3,99 €
Reisen ist schwer. Besonders, wenn man von einer Toten verfolgt wird. Goya ist kühl, kontrolliert – und hat die Zunge ihres Vaters in einem Einmachglas. An ihrer Seite: Raffa, ihre schweigsame, brandgefährliche Leibwächterin mit Zigarrenduft im Haar und Loyalität bis zum letzten Schuss. Gemeinsam fliehen sie durch den Schwarzwald, die Gluthitze des Death Valley und die Nebel von Mallorca. Immer im Gepäck: Schuld, Begierde – und die Madonna, einer Gestalt aus Verfall und Schuld, die Goya in ihren Träumen heimsucht. Und bald auch im wachen Leben. THE SAPPHIC TRAVEL GUIDE TO HELL ist ein fiebriger Roadtrip durch Horror, Liebe und Verdrängung. Eine Geschichte zweier Frauen, die einander nie gesucht, aber vielleicht verdient haben.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impressum
Nathalie Bitterblut
Nathalie Sophie Gummel
Getzelauer Str. 9
04279 Leipzig
bitterblut.de
Umschlag, Illustration: Nathalie Bitterblut
Bildquellen: DALL·E
veröffenlicht über tolino media
ISBNPaperback: 9783759229793
E-Book: 9783819400667
Verwesung
Die Zunge ihres Vaters starrte sie aus ihrer Handtasche heraus an. Sie schwamm in dem Glas Formaldehyd, in das sie sie gelegt hatte. Das Gewicht des Organs in seinem gläsernen Grab erfüllte sie mit Sicherheit. Mit so etwas wie Genugtuung.
»Die Maisonette-Suite ist noch frei. Für wie viele Nächte soll ich Sie einbuchen, Frau Kovač?«, riss eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Eine weiche Stimme. Wie Finger auf Kopfhaut. Prickelnd. Angenehm. Sie gehörte dem Portier, einer Person mit blondem Haar, glatt und dünn nach hinten gelegt. Helle Augen hinter blonden Wimpern. Ein höfliches Lächeln spielte um seine Lippen, doch der Blick offenbarte nichts als Leere.
Goya senkte den Kopf, griff blind hinter sich. Ballte die Faust im Anzug der Frau hinter ihr. Raffa bewegte sich, Goya hörte sie atmen, roch ihr Aftershave in der Luft. Dann Lippen an ihrem Ohr, ohne sie zu berühren. Ihre breitschultrige Leibwächterin beugte sich zu ihr hinunter.
»Buche länger, als wir bleiben«, raunte sie, der schwere italienische Akzent deutlich zu hören. »Vier Wochen. Für den Anfang.«
»Vier Wochen«, antwortete sie also dem Portier. »Ich hoffe, die Zimmer sind nicht ähnlich … patiniert, wie die Lobby.« Um ihre Aussage zu unterstreichen, ließ sie den Blick durch die Eingangshalle schweifen, die sicherlich einmal in Architektur-Zeitschriften abgedruckt worden war. Zeitschriften, die nun ähnlich verblasst waren, wie das Hotel selbst. Der kreisrunde Raum mit der niedrigen Decke war der Inbegriff des Mid-century modern. Sämtliche Möbel hatten klare, geschwungene Formen, die Goya an die Umrisse von Organen erinnerten. Ein monströses Oberlicht ließ die fahle Februarsonne des deutschen Mittelgebirges hinein.
»Das Prestige mag verblasst sein, doch das Herz schlägt noch immer.« Die Augen des Portiers erwachten kurz zum Leben, bevor der Funke in ihnen unmittelbar wieder erlosch. Mit Fingern, die aussahen, als würden sie regelmäßig in Bleiche gebadet werden, schob er Goya die Schlüssel über die Theke.
Der getäfelte Paternoster ächzte, als Raffa hinter Goya in die schmale Kabine stieg. »Bist du sicher, dass dieser Ort die richtige Wahl war?«, fragte die Frau mit dem geölten schwarzen Haar, in dem stets der flüchtige Geruch von Zigarren hing.
Goya, die mit dem Rücken gegen die Wand des Aufzugs lehnte, die schmalen Arme auf dem Rücken verschränkt, sah zu ihr auf. Zu der Frau, die sie aus der Gosse gekratzt hatte. Der Frau, die sie in zwei Hälften brechen könnte, würde ihr je der Sinn danach stehen.
»Dieser Ort liegt im Sterben, Raffa«, antwortete sie schließlich mit ihrer Stimme wie schwarzes Glas. »Im Duft der Verwesung werden wir kaum auffallen.«
Die warme Farbe von Rauch
Nur Tage zuvor standen Raffas Budapester in Blut. Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarre. Behielt den Qualm in den Lungen, während sie auf das gestrandete Ding hinab sah, das sie in einer Gasse hinter der Bar entdeckt hatte. Der Lärm der startenden und landenden Flugzeuge über ihren Köpfen krönte die Nacht. Raffa ragte hoch über der zerschmetterten Frau zu ihren Füßen auf. Ihr Schatten tauchte sie und die Pfütze, in der die Fremde saß, in Dunkelheit. Zigarrenqualm stahl sich aus Raffas Mundwinkel. Die Bars um den Flughafen waren ein Sumpf. Ein Ort, an dem die Absätze teurer Pumps versanken. Ein Ort, an dem Überfälle nur mit einem Blick aus dem Augenwinkel bedacht wurden. Raffa hätte wohl besser daran getan, sich an diese Sitte zu halten. Hätte weitergehen sollen, als sie die Umrisse eines Körpers am Boden der Gasse zucken sah. Nackte Füße, der Pumps beraubt. Aufgeschlagene Knie unter einem schicken Bleistiftrock. Einen tiefen Schnitt im Unterarm, aus dem unaufhörlich Blut sickerte. Doch sie war stehen geblieben. Herangekommen wie ein Hund, der das Blut gewittert hatte. Bevor sie nachdenken konnte, zertrat sie ihre Zigarre und bot der Fremden die Hand an. Eine gepflegte Hand, weiche Haut. Und vernarbte Knöchel. Sie ragte über dem zerschmetterten Wesen auf, das nun das spitze Kinn hob und zu ihr aufsah. Ihre Augen waren weit und nass. Von undefinierbarer Farbe. Wie das Rauschen eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war. Raffa hörte auf, zu atmen. Die Fremde zögerte wie ein Tier, das zu viel Härte kannte. Dann legte sie ihre Hand in die Dargebotene. Langen Fingernägel schabten über Raffas Handrücken.
»Sag mir, welche Kerle das waren. Ich kriege sie für dich«, sagte sie, ohne genau zu wissen, warum. Der italienische Akzent war schwer auf ihrer Zunge, sie hatte das Gefühl, als schmeckte sie starken Whiskey.
Die farblosen Augen ihres größten Fehlers inspizierten sie mit einer Gelassenheit, die ihre zerschlagene Gestalt Lügen strafte. Raffa hätte Angst bekommen sollen, in diesem Moment. Hätte die Beine in die Hand nehmen sollen, unter dem Blick dieser Frau wie gefrorenes Silber in der Gasse hinter der Bar. Doch stattdessen hatte sie sie hochgezogen, ihr auf die Beine geholfen und sogar gewagt, eine zweite Hand auf die knochige Schulter der Fremden zu legen. Ihre schwieligen Hände fühlten sich primitiv an, auf diesem anderen Körper.
Die Fremde im teuren Kostüm machte ein Geräusch, das an ein Lachen erinnerte. Teilte die Lippen dabei. Blut lief ihr aus der Nase und färbte ihre Zähne rot. »Ich bin sicher, das tust du.« Sie leckte sich das Blut von den Zähnen. Schmatzte. »Aber nimm mich mit. Ich möchte sehen, was du mit ihnen machst.«
Raffa lief es kalt den Rücken hinunter. Und in diesem Moment verliebte sie sich. Sie nickte und ließ ihre Zigarre fallen. Trat sie mit der Spitze eines Budapesters aus.
»Wohin bist du unterwegs?«
»Deutschland. In die Berge.«
»Ich war noch nie in Deutschland.«
»Wie heißt du?«
»Raphaela«, antwortete Raffa.
Verschwinden
Ihre Suite fühlte sich klamm an. Goya legte eine Hand an die Glasfront, die sich über beide Stockwerke ihrer Unterkunft erstreckte. Sie war beschlagen und verbarg den Wald, der dahinter lag. Goya malte mit dem Finger das Wort rodina auf die Scheibe und strich es dann mit der Spitze ihres Nagels durch. Das Geräusch biss in ihren Ohren. Hinter ihr erklangen Schritte. Raffa kam die kurze Wendeltreppe herunter, die in die Galerie der Suite führte, auf der Goya schlafen würde. Raffa hatte erklärt, dass sie selbst besser unten schlafen sollte. Falls eintrat, was beide befürchteten. Goya hatte nicht widersprochen.
»Deine Tasche ist oben. Bist du hungrig? Durstig?«
Goya musterte sie, diese Frau, die sie seit wenigen Tagen und einem ganzen Leben kannte. Die in ihrem Schatten ging wie ein Dobermann bei Fuß. Dann wischte sie die Buchstaben auf der Scheibe mit der Handfläche davon.
»Nein. Aber ich möchte sehen, ob der Rest des Hotels ebenfalls aussieht wie ein Fiebertraum in Erdtönen. Es ist, als würde man lebendig begraben. In Teppich und … Kondenswasser.«
Raffa lächelte, doch es reichte nicht bis zu ihren Augen, die die Farbe von reifen Limetten hatten. Sie nahm die letzten Stufen abwärts und durchquerte ihre geräumige Suite. Es herrschten Braun- und Rottöne vor. Indirektes Licht hinter dunklen Holzvertäfelungen. Ein Design aus einer vergangenen Zeit. An braunem Klinker hingen goldene Spiegel.
Raffa ging hinüber zu Goya und bot ihr den Arm an. Die schmale Tschechoslowakin hakte sich wie selbstverständlich unter und gemeinsam verließen sie die Suite, die sich jetzt schon wie ein Grab anfühlte.
Goya behielt recht.
Alles im Hotel Waidblick löste ein Gefühl – eine Ahnung – von längst vergangenem Glanz aus. Sie und Raffa waren eine Weile durch die langen Korridore spaziert, durch Flecken aus Sonnenlicht, die es durch die riesigen, allesamt beschlagenen Fenster ins Innere geschafft hatten. Der leichteste Hauch von Moder lag in der Luft, fast verdeckt durch das Aroma von Putzmitteln. Es war totenstill. Einzig aus der Hotelbar, die sie ansteuerten, drangen die Geräusche anderer Gäste. Die Bar, ein runder Raum, der von einem von der Decke hängendem Kamin beherrscht wurde, war beinahe verwaist. Nur ein Pärchen fläzte in den Polstern der Sitzgrube, die um den gusseisernen Kamin herum angelegt war. Das Feuer darin schaffte es nicht, das blasse Licht, das durch die massiven Fenster fiel, aufzuwärmen. Es war, als würde Nebel in den Räumen liegen.
Raffa trat pflichtbewusst zur Bar, während Goya etwas entfernt von dem Pärchen auf dem durchgesessenen Sofa Platz nahm. Sie überschlug die Beine und lehnte sich zurück. Die beiden anderen Gäste – ein Mann und eine Frau, beide Mitte zwanzig – waren in ein Gespräch vertieft, das eindeutig die Dame dominierte. Zwischen kurzen Sätzen würdigte die schmale, brünette Frau immer ihren offenkundigen Gatten keines Blickes. Ihr Partner, ein blonder Mann, der aussah wie ein verängstigter Retriever, sah ihr ebenfalls nicht in die Augen, sondern starrte nur in die Flammen im Kamin.
»Wenn wir abreisen, denk dieses Mal daran, deine Mutter anzurufen. Die Bank lässt sie wegen des Kredites nicht in Ruhe«, sagte die Frau, während sie sich mit schmerzhaft kurz geschnittenen Nägeln durchs Haar fuhr.
Ihr Partner brummte nur zustimmend, die hellen Augenbrauen jedoch fest zusammengezogen, als würde es hinter seiner Stirn arbeiten. Goya beobachtete, wie er die Füße, die in ordentlichen, sauberen Turnschuhen steckten, unruhig über den Boden schob.
»Dein Drink«, erklang die Stimme ihrer Leibwächterin hinter ihr. Goya hob eine Hand und schürzte dann zufrieden die Lippen, als sie spürte, wie ein eiskalter Martini hineingelegt wurde. Das Polster knirschte, als Raffa sich abstürzte und über die Lehne zu ihr hinabbeugte.
»Ich glaube, es wird bald regnen«, sagte sie. »Das Licht verschwindet.«
Das Pärchen begann, sie zu langweilen. Für eine Zeit war das einseitige Gespräch zwischen ihnen unterhaltsam gewesen, in das die junge Frau Goya schnell hineinzog, indem sie sich und ihren Partner ungefragt vorstellte. Goya lernte, dass die Dame mit dem dominanten Tonfall Melanie hieß und offenbar ihr Geld mit dem Schreiben von komplizierten Algorithmen verdiente. Ihr Partner, Jan, war halbtags Personaler und schmiss ansonsten den Haushalt in ihrem neu erworbenen Heim. Die Dynamik zwischen den beiden begann sich abzunutzen, als Raffa sich schließlich neben Goya in die Polster sinken ließ.
Die Italienerin hielt ihre Zigarre zwischen den Zähnen und blickte aus halb geschlossenen Lidern zu Jan herab, der zum ersten Mal die Augen vom Feuer genommen hatte und die hochgewachsene Italienerin anstarrte. Dabei stand sein Mund ein wenig offen und Speichel glänzte auf seiner Unterlippe.
»Das war eine Tragödie. Er war so gut erzogen. Und das ist bei Chihuahuas so unheimlich schwer«, beendete Melanie ihre Erzählung. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass er durch die Stufen der Treppe gefallen ist. Sonst war er so geschickt.«
Es folgte Schweigen, bis sie Jan mit dem Ellenbogen anstieß, der daraufhin wieder zustimmend brummte. Er fuhr sich schnell mit dem Handrücken über den Mund. Seine Augen waren dunkel.
»Jetzt habe ich euch unsere halbe Lebensgeschichte erzählt«, lachte Melanie. »Was ist mit euch? Seid ihr auf Pärchenurlaub? Flitterwochen?«
Goya, die sich bisher nicht am Gespräch beteiligt, sondern es lediglich überblickt hatte wie ein Vorarbeiter eine Baustelle, lachte milde. Das Geräusch erinnerte in seiner Abruptheit an den ersten Riss in einer Eisfläche.
»Raphaela arbeitet für mich. Wir nehmen hier … eine kleine Auszeit. Dieser Teil von Deutschland soll ruhig sein im Winter. Ein Ort, um durchzuatmen.«
Melanie nickte zustimmend, als hätte die Antwort sie nicht aus dem Konzept gebracht. »Ruhig ist es tatsächlich. Kaum ein anderer Gast, weit und breit, nicht wahr?« Sie lachte angestrengt. »Ich glaube, neben uns ist da nur eine Dame mit zwei Töchtern und eine junge Frau.«
Goyas Gesicht blieb glatt, sie zeigte keine der kleinen Gesten, die Menschen machten, um ihrem Gegenüber zu signalisieren, das sie zuhörten. Stattdessen musterte sie die Frau vor ihr aus farblosen Augen. Ihre Hand stahl sich auf Raffas Oberschenkel und drückte zu.
Raffa erhob sich und nahm Goya ihr leeres Glas ab. Dabei paffte sie den Zigarrenqualm durch die Zähne.
»Es war mir eine Freude, euch beide kennenzulernen«, sagte Goya und sah Melanie durch den Qualm hindurch an. »Aber ich möchte den Rest des Hotels sehen.«
Melanie erhob sich halb und stieß dabei Jan an, der jedoch kaum reagierte. Er sah an Raffa hoch, die Goya die freie Hand hinhielt, um ihr aufzuhelfen.
»Ihr müsst euch den Pool ansehen!«, sagte Melanie hastig und krallte sich in die Schulter ihres Partners. »Das gefärbte Wasser und die Terrasse sind großartig. Vielleicht gehen wir mal zusammen schwimmen?«
Goya nahm die warme Hand ihrer Leibwächterin und stand auf. Dabei wanderten ihre Augen an Melanie herab. Ihren Jeans, dem akkurat geschnittenen Haar. Und dem Hunger in ihren Augen. Goya lächelte und ihre blassen Lippen spannten.
»Nein«, sagte sie schlicht und verließ dann, gefolgt von Raffa, die Sitzgrube.
Tod im Hotel Waidblick
Auf dem Weg zum Pool schwiegen sie.
Raffa trug einen Beutel, in dem sich Goyas Handtuch und ein Flachmann befanden. Sie hatte ihn nicht über die Schulter geschlungen, sondern hielt ihn bei den Henkeln, als würde sie eine Trainingstasche ins Fitnessstudio tragen.
Das Licht draußen war weiter entschwunden, wie Raffa es gesagt hatte, und es fühlte sich an, als wäre die Luft in den langen Korridoren dichter geworden. Unter ihnen lockten die geometrischen Muster des Teppichs sie tiefer hinein ins Hotel, bis ihnen der Geruch von Chlor entgegenschlug.
Der Pool befand sich unter einer halbrunden Kuppel aus Glas, die aus dem Hauptgebäude hinausragte wie eine Beule. Unter riesigen gelben Lampenschirmen lag das purpurne Becken. Ein Teil führte nach draußen, wo er von einer rechteckigen Terrasse eingerahmt wurde. Das Wasser war so dunkel, dass es gefärbt sein musste. Über ihren Köpfen spiegelten sich ihre Schemen in den zahllosen Glaspaneelen der Kuppel.
Über dem anderen Ende des Pools schwebten die Reflexionen dreier Gesichter. Die zweier Kinder, die ungestüm im Wasser spielten. Und das einer Frau, die ihnen aus toten Augen zusah.
Goya wollte niemals Kinder haben. Es war das, was ihre Familie von ihr erwartet hätte. Ihr einziger Zweck als einzige Tochter neben sieben Brüdern. Das, was ihr Vater für sie vorgesehen hatte. Wenn sie ihm nicht die Zunge genommen hätte.
Sie hatte es sich auf einer der Liegen bequem gemacht, die um den Beckenrand herum aufgestellt waren. Das goldene Licht der Lampenschirme spiegelte sich in den polierten Fliesen. In ihrem eleganten Einteiler und dem Flachmann in der Hand beobachtete sie die Mutter mit ihren Töchtern. Sah man die Frau an, die nur wenig älter als Goya sein konnte, war es, als schaute man einen Schwarz-Weiß-Film auf einem Fernseher mit niedrigem Kontrast. Sie war blass, klein und leise. Kaum zu hören, wenn sie ihren Töchtern versuchte etwas über das unaufhörliche Platschen zuzurufen. Ihre Mädchen waren nicht älter als acht, vielleicht ein Jahr auseinander. Sie spielten grob miteinander und drückten einander immer wieder unter die Oberfläche des purpurfarbenen Wassers. Es muss in den Augen brennen, dachte Goya.
Dann musste sie eingenickt sein. Fortgetragen von den hallenden Geräuschen am Pool, dem Geruch von Chlor und Parfum. Sie träumte, sie stünde in einem Kloster. Das Kloster war warm, aus Sandstein, Licht in jedem Bogen der hohen Gewölbedecken. Es war schön. So schön, dass sie weinen wollte. Sie hatte eine Mission. Musste mit dem hohen Abt sprechen, ihm von ihren Reisen berichten. Goya war rein. Und rechtschaffen. Und nicht Goya.
Sie bewegte sich im Körper eines Mannes durch ihren Traum. Gebräunte Haut, schwarzes Haar auf ihren muskulösen Unterarmen. Einfache, lederne Schuhe an ihren Füßen. Sie trugen sie bis in die große Kammer des Abtes. Ein herrlicher Raum, mit einem Becken aus Wasser in der Mitte. Es wuchsen Seerosen darin und sie waren so rot, so lebendig, dass Goyas Augen brannten. Sie nahm vor dem Abt Platz, der hinter einem großen Tisch saß. Herrschaftlich, milde, autoritär. Er sprach zu ihr, stellte ihr Fragen, doch ihre Augen wanderten durch den Raum. Zum Becken. In den Seerosen stand ein Umriss. Wie aus Schatten, doch auf dem Kopf trug er einen Schleier wie ein Marienbildnis. Eine schwarze Madonna.
Die Worte des Abtes verschwammen, der Umriss – die Madonna – kam näher. Plötzlich von einer unendlichen Angst gepackt, wandte Goya den Blick ab. Sie starrte auf ihre groben Hände, die auf dem Tisch zum Gebet verschränkt waren. Das Gesicht der Madonna war dunkel. Und Goya wusste, dass es faulte. Wusste, sie würde den Anblick nicht ertragen. Würde sterben, wenn sie in die Ruine aus Fäulnis blickte und verstand.