The Sea People - David J. Greening - E-Book

The Sea People E-Book

David J. Greening

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Beschreibung

For as long asanyone could remember, the Shardana had sailed their gigantic ships across the endless waters oft he Lautan Tedau, the Peacefull Sea, fishing, hunting the mighty raksasa ans trading with the inhabitants off the islands doting the ocean. This ist he tale oft he Perahu and those onboard: Kura-Kura, the orphan girl, Pirang, the shaman´s daughter, sleepless Mati and Kegentingan, the chief harpooner´s only living son. No-one in living memory had seen or heard anything oft he scourge oft he seas, the Tangata´mango, the deadly Shark-Men, who had once killed and looted their way across sea and land until they had finally become the stuff of nightmare and legend. Until now….

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Inhaltsverzeichnis

Keirpara

Sonketa

Mernest

Tod

Spindas

Kupsela

Kotys

Flut

Zvaka

Xenis

Opfer

Gaidrus

Nachwort

Dramatis Personae

Glossar

Der Autor

Schreibstark Verlag

Copyright © 2017 by David J. Greening

1. Auflage 2017

Titelbild: Kostas Nikellis

Umschlaggestaltung: Patrick Toalster

Aus dem Englischen übertragen von Charlotte Knöll

kosv01.deviantart.com

toalster.de

Schreibstark-Verlag

Saalburgstrasse 30.

61267 Neu Anspach

ISBN 978-3-946922-16-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Thrax Buch Eins

Kriegerdämmerung

David J. Greening

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Für

Michael John Dent

* Hull, England 4.8.1948,

† Melbourne, Australien 16.12.1998.

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Danksagung

Ich möchte an dieser Stelle einer Reihe von Menschen danken, auf deren Hilfe ich mich beim Schreiben dieses Buches immer wieder verlassen konnte.

Zu allererst gilt mein Dank meiner Frau Annette, die mir wieder einmal großzügigerweise erlaubt hat, meine Zeit auf den Schlachtfeldern der Antike zu verbringen; außerdem meiner Agentin Nadia Micheilis für ihre aufrichtige und harte Arbeit, Elmar Köhler für seine produktive Kritik an diversen Textfassungen bei dem einen oder anderen Brytos, Charlotte Knöll für ihre gefühlvolle Übersetzung, Nina Merget für ihre Lektoratsarbeit, Katha Plum und Dr. Frank ‘Billy’ Billek für ihre Beiträge bei der Bearbeitung des Manuskripts, Christian Rhode für seine Hilfe bei der Recherche, Milena Klumbies sowie einer ganzen Reihe von ehemaligen Studierenden und Mitarbeitern der Abteilung für Alte Geschichte der Goethe-Universität Frankfurt für ihre allgemeinen Ratschläge und Unterstützung, Chris Palmer von Scorpion Swords für Anschauungsobjekte und Waffenkunde, Kostas Nikellis für sein großartiges Titelbild und, zuguter Letzt, meinem Bruder Patrick Toalster für seine Karte und das Lay-out.

Fehler, welcher Art auch immer, sind allein meine.

Die Chersonnesos

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David J. Greening

Kriegerdämmerung

Θ

Keirpara

Die Umgebung, in der der Unterricht stattfand, war so wunderschön wie man es sich nur vorstellen kann. Der Lehrer und seine Schüler saßen auf einem Hügel auf einer Landzunge, mit Aussicht über den steinigen Abhang, der hinunter zur Bucht und den blauen Gewässern des Golfes von Melas führte. Es war ein heißer und trockener Frühsommertag, obwohl der Eichenhain, in dem die Jungen saßen und ihrem Lehrer lauschten, etwas Schatten spendete. Die Eichen waren alt und knorrig, neigten sich in jedwede Richtung, ihr Wachstum beeinflusst von den Winden der Ägäis, denen die Landzunge ausgesetzt war. Dieser Hain war außerdem ein Heiligtum des Gottes Zibelthiurdos, Gebieter über Blitz und Donner, welchem die Eiche geweiht war.

Ein Dutzend Jungen saß unter den Bäumen, während ihr Lehrer vor ihnen stand, einen Stock in der Hand haltend, mit dem er alsbald hierhin und dorthin deutete, oder in den Sand vor ihnen zeichnete. Er war alt und runzelig und in hellenistischer Art gekleidet, im Gegensatz zu den thrakischen Gewändern, die die Jungen, die vor ihm saßen, zu tragen pflegten. Sein Name war Glyptos, und er war Ionier. Er unterrichtete die Jungen auf Griechisch in dem, was die Griechen als einzigen sinnvollen Zeitvertreib ansahen: die Liebe zur und dem Streben nach Weisheit, „Philosophie“ genannt. Seine Schüler waren allesamt Prinzen und verwandt mit König Ozrykes, Herrscher der Dolonker, die die Landenge der Halbinsel Chersonnesos bewohnten. Glyptos weißes Gewand ließ ihn aus der Horde der Jungen, die in bunten und wild gemusterten Tuniken gekleidet waren, hervorstechen. Der Mittag brach an und einige der Jungen wurden zunehmend schläfrig; einer von ihnen, Bryzos, war sogar bereits eingeschlafen und begann, friedlich vor sich hin zu schnarchen.

„Wie ich bereits sagte“, fuhr Glyptos in seiner monotonen und brüchigen Stimme fort, „glauben wir Ionier daran, dass Naturphänomene keine Launen der Götter sind, sondern rational erklärbar. Zum Beispiel wurde in den großen Erzählungen von Miletos theorisiert“ – einer der jüngeren Schüler blickte fragend auf, verwirrt durch das für ihn komplizierte Wort – „dass das Beben der Erde nicht von Poseidon, dem Erderschütterer, ausgelöst wird, der seinen Dreizack wütend in die Erde schlägt, sondern dadurch, dass die Erde auf dem niemals endenden Okeanos treibt, Vater aller Meere, der alle Schöpfung umgibt.“

„Aber wie kann Erde denn auf Wasser schwimmen?“, fragte Brentas, einer der älteren Schüler und Erstgeborener des Königs, in fließendem Griechisch. „Wenn ich Dreck ins Wasser werfe, versinkt er doch!“, fügte er hinzu, was allgemeine Heiterkeit bei den jüngeren Schülern auslöste.

„Nun, es ist tatsächlich nur eine Theorie, junger Brentas. Aber Ihr werdet Euch sicherlich daran erinnern, dass unsere Erde auch aus den anderen Elementen besteht, wie Feuer oder Luft. Und Luft ist natürlich leichter als Wasser, was wir daran erkennen können, dass wir, Kreaturen der Erde, oberhalb des Wassers auf festem Grund leben und Luft atmen. Von daher muss die Erde obenauf schwimmen.“

„Und das Feuer im Erdinneren, Meister Glyptos“, fügte Tarbos, der dritte Nachkomme des Königs, hinzu, „wie kann das Feuer auf dem Wasser schwimmen, wenn wir doch wissen, dass Wasser die Macht hat, es auszulöschen?“

Als der Lehrer sich Tarbos zuwandte, um ihm zu antworten, wurde er durch einen lauten Schnarcher von Bryzos unterbrochen, woraufhin die gesamte Lichtung vor Lachen erzitterte. Glyptos versuchte, die aufsteigende Schmach zu unterdrücken und seine Haltung zu bewahren, und Bryzos erwachte jäh, als der Lehrer seinen Stab gegen einen Baum über ihn krachen ließ.

„Über was haben wir denn gerade gesprochen, junger Mann?“, fragte der Lehrer mit lauter Stimme. „Was glaubst du eigentlich, wofür dein Vater mich bezahlt!“

Unbeeindruckt vom Rüffel des alten Mannes streckte sich Bryzos und gähnte. Mit starkem thrakischem Akzent antwortete er „Ich habe keinen blassen Schimmer. Aber ich kann Euch sagen, ich bin verdammt durstig.“

Die anderen Schüler, nun alle wieder wach nach diesem Ausbruch des Lehrers, brachen in schallendes Gelächters aus, wodurch Glyptos endgültig seine griechische Gelassenheit verlor.

„Ihr seid entlassen!“, sagte der alte Mann und beendete damit die Lehrstunde. Seinen Kopf wegen des Verhaltens dieser Barbaren schüttelnd, die er gezwungen war zu unterrichten, ging er, woraufhin die jüngeren Schüler jubelnd die Lichtung verließen.

„Du weißt, Bryzos, dass Vater dich deswegen in die Mangel nehmen wird“, sagte Tarbos, als sich die Älteren um Brentas, ihrem inoffiziellen Anführer, versammelten. „Ich glaube nicht, dass Glyptos mit der Art und Weise, wie du dich im Unterricht verhältst, zufrieden ist“, fuhr er fort. „Du machst nicht nur einen Trottel aus dir selbst, sondern du lässt uns andere zudem dastehen wie Barbaren.“

„Naja, ich hab sowieso den Eindruck, dass uns der alte Sack für dumme Wilde hält, egal was ich tue“, entgegnete Bryzos. „Und übrigens: daran, dass Vater mir deswegen das Fell über die Ohren ziehen wird, weil ich mir dieses Geschwätz nicht anhören will, bin ich schon gewöhnt. Ich habe keine Ahnung, warum er diesen alten Idioten immer noch beschäftigt. Er langweilt mich zu Tode.“

Einige kicherten daraufhin, doch schauten gleichzeitig zu Brentas, der langsam den Kopf schüttelte.

„Falls du irgendwann einmal König werden willst, solltest du besser auf einen Gelehrten wie ihn hören. Was Glyptos versucht, oder in unserem Fall zumindest versuchen soll, ist, uns das Denken zu lehren.“

„Ich bin der Vierte in der Thronfolge, falls unser Vater sterben sollte“, antwortete Bryzos gelassen, „glaubst du wirklich, dass ich irgendwann einmal die Geschicke solcher jungen, in Reih und Glied stehenden Männer, wie ihr es seid, regeln werde? Hm? Ich glaube eher nicht.“

„Bruder, ich für meinen Teil habe nicht vor, mein Leben für Wein, Weib und Gesang hinzugeben“, mischte sich Tarbos wieder ein. „Ich habe vor…“

„Mach dir nicht die Mühe, Bruder, es liegt daran, dass du zu schwach bist, einen Bierkrug festzuhalten, und zu hässlich, um flachgelegt zu werden!“, spottete Bryzos.

Tarbos Wangen röteten sich bei dieser Bemerkung. Er warf seinem Bruder einen giftigen Blick zu und verschwand wortlos, die Prinzen Darsas und Skaplis im Schlepptau.

„So“, sagte Bryzos vergnügt, nachdem sie außer Hörweite waren, „sieht so aus als ob sich die feinen Herren aus dem Staub gemacht haben. Lasst uns etwas trinken! Wer hat Lust auf einen Krug Bier?“

***

Als Bryzos es einige Zeit später wieder schaffte, seine Augen zu öffnen, lag er mit dem Gesicht auf dem Boden seines Zimmers. Seine Wange und seine Haare klebten an den Fliesen fest. Auch sein Oberkörper war verschmiert mit einer beträchtlichen Menge seines eigenen Erbrochenen, und der widerwärtige Geruch stach ihn in die Nase.

Die einzigen Erinnerungsfetzen, die ihm geblieben waren, zeigten ihn und seine Freunde in der Taverne, während sie sich mit Brytos, dem hiesigen thrakischen Bier, betranken. Bryzos versuchte sich aufzurichten, woran er kläglich scheiterte. Seine Hand rutschte in der schmierigen Lache auf dem Boden aus und Bryzos schlug, jeder Reaktionsfähigkeit beraubt, mit dem Kopf auf dem Steinboden auf, wobei er auch noch den Rest von sich mit den Hinterlassenschaften der letzten Nacht besudelte.

Als er ein missbilligendes Knurren über sich hörte, hob Bryzos seinen Kopf, um in ein ihm vertrautes Gesicht zu blicken.

„Ich wünsche einen angenehmen Tag, junger Herr!“, sagte Ziles, der griechische Leibdiener und Haushofmeister seines Vaters in freundlichem Gleichmut. Sein Thrakisch war akzentfrei, kurzgefasst und präzise, jedoch offensichtlich nicht das eines Einheimischen. Allerdings war es auffallend besser als das Griechisch seines Herren. „Ich nehme an, dass die Aktivitäten des letzten Abends ganz Euren Vorstellungen entsprachen.“

„Lassmischinruh!“ war das Einzige, was Bryzos darauf antworten konnte, und nuschelte noch ein sorgfältig ausgesuchtes „hauabaltasack!“ hinzu.

„Aber, aber, Meister Bryzos! Was würde Euer Vater sagen, frage ich mich, wenn er Euch in diesem, wie soll ich sagen, unkultivierten Zustand anträfe? Ich habe mir erlaubt, Eure Abwesenheit bei Eurem Vater zu entschuldigen, als ich sah, dass Ihr gestern Nacht doch wohl recht spät zurück in Euer Nachtlager gefunden habt. Übrigens ohne Euren Gürtel, wenn ich dies anmerken darf. Der König wünscht, Euch diesen Nachmittag zu sehen; vielmehr besteht er darauf. Es wäre unratsam, Euren Vater zu versetzen. Ihr kennt seine Laune, wenn andere sich seinem Befehl verweigern. Oh, und Meister Tarbos war unerbittlich bezüglich der Form der Strafe für Euer Verhalten. Bevor Ihr fragt; ich meine damit Euer Verhalten im morgendlichen Unterricht. Ich für meinen Teil würde nicht anwesend sein wollen, wenn Euer Vater sie so sähe. Auf, auf, junger Mann! Oder er wird Euch die Ohren langziehen!“

Der freundliche, aber tadelnde Monolog hielt an, während sich Bryzos, nun erfolgreicher, aus seiner Benommenheit erhob. Ziles öffnete die Jalousien, hinter denen sich ein wunderbarer Sommertag verborgen hatte. Die Sonne durchflutete den Raum mit Licht und den Kopf des Prinzen mit Schmerz; dieses Mal war es jedoch weniger schlimm als vergangenes Mal. Bryzos sah katastrophal aus. Seine Haare standen in alle Richtungen ab, verklebt mit einer Mischung aus Schweiß und Erbrochenem, die auch seine linke Gesichtshälfte überzog, welche auf dem Boden gelegen hatte. Ähnlich furchtbar sah auch seine Tunika aus, die er seit dem Morgen des vorherigen Tages trug.

Ich hoffe, dass die anderen Bastarde wenigstens genau schlimm dran sind, dachte er, als er sich schwankend erhob.

„Und einen ebenso scheißtollen Tag für dich, Ziles!“ unterbrach er den alten Mann, der nicht aufgehört hatte zu reden, während er das Bett gemacht und Wasser in den Waschtisch am anderen Ende des Raumes geschüttet hatte. Er drehte sich um, bemerkte, dass Bryzos ihn erst jetzt überhaupt richtig wahrgenommen hatte, und verließ den Raum um etwas aus dem Regal auf dem Gang zu holen.

„Hier, Meister Bryzos, das sollte Euch helfen. Sie wissen schon, gegen den Kater“, und er hielt Bryzos einen Krug unter die Nase, der den Duft von heißem Gewürzwein verströmte. Sofort übergab Bryzos den kläglichen Rest seines Mageninhalts auf seine Füße, und er musste sich am Bettpfosten festhalten, um von den Krämpfen, die seinen Körper durchzogen, nicht in die Knie gezwungen zu werden.

„Ah, hier bist du also!“, sprach eine angenehme Stimme hinter ihm.

Es war sein Bruder Tarbos.

„Vater hat mich beauftragt dich abzuholen. Er wünscht, dich…“ Tarbos unterbrach sich selbst, um Bryzos zu mustern, und ein immer breiter werdendes, gehässiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, „…zu sprechen.“

„Hau ab“, murmelte Bryzos und versuchte vergeblich sich aufzurichten.

„Es tut mir sehr leid“, antwortete Tarbos in einem Tonfall, der an seiner Aussage zweifeln lies, „Vater besteht darauf. Ich hatte den Eindruck, dass er eher… wenig begeistert ist“, fügte er hinzu, und sein fieses Grinsen wurde noch breiter.

***

Die Behausungen von König Ozrykes konnten, zumindest nach griechischem Standard, kaum als Palast beschrieben werden, obwohl der philhellenische Herrscher der Dolonker einige Elemente und Gepflogenheiten des griechischen Stils übernommen hatte, was sich unter anderem auch in den Gebäuden wiederspiegelte. Der König, seine Frau, Konkubinen und ihre Kinder, einige seiner engsten Vertrauten, die gewöhnliche Anzahl an Leibwächtern für die Edelmänner, Soldaten und Wachen, sowie eine Hundertschaft an Dienern, Leibeigenen und Sklaven, die notwendig waren, um das Anwesen zu unterhalten, lebten in der Vielzahl an Gebäuden, die den Hügel säumten. Der Hügel, auf dem das Anwesen errichtet worden war, war aus verschiedenen strategischen Gründen ausgewählt worden, da Krieg für die Thraker keine Seltenheit war.

Die Wände der Halle, durch die Bryzos nun an seinen langen rotblonden Haaren geschleift wurde, waren in griechischem Stil verputzt, und seine nackten und mittlerweile blutenden Füße hinterließen unschöne Striemen auf dem schimmernden Steinboden. Wie viele thrakische Edelmänner hatte Ozrykes einige der Gepflogenheiten der ionischen und aiolischen Griechen, die an der Küste siedelten, übernommen. Nach einem massiven Erdbeben, welches vor vielen Jahren vor allen Dingen die großen, mit Steinen errichteten Bauten dem Erdboden gleichgemacht hatte, waren die Bauarbeiter auf Geheiß des Königs dazu angehalten worden, alles nach griechischer Bauart neu zu errichten: die Wände waren weiß verputzt und glichen der Optik von Marmor; einige von ihnen waren bemalt. Die Haupteingänge waren flankiert von massiven Eichensäulen, die das Aussehen von Kalkstein nachahmten, und das Dach war mit importierten griechischen Ziegeln anstelle der üblichen Holzschindeln gedeckt. Einige Zugeständnisse waren jedoch hier und da gemacht worden. Aufgrund der Häufigkeit von Erdbeben in dieser Region waren das Haupthaus und seine angrenzenden Gebäude nur eine Etage hoch gebaut worden, und die Wände bestanden aus einer Holzkonstruktion, welche anstelle von Stein mit Weidengeflecht und Lehm gefüllt wurde. Bis jetzt hatte das Anwesen von Ozrykes einige kleinere Erdbeben erfolgreich überstanden, was ihn in der Entscheidung, importierte und thrakische Konstruktionsweisen zu kombinieren, bestätigte.

Thrakisches Holz und thrakische Pferdescheiße- erstklassige Baumaterialien, dachte Bryzos, als Tarbos ihn gnadenlos durch die Halle schleifte. Er freute sich nicht gerade darauf, seinem Vater unter die Augen treten zu müssen. Die auf die Wände gemalten Götter blickten voll Abscheu auf ihn herab. Da war Epta, die Göttin der Liebe, entführt vom himmlischen Reiter, in seiner Form als Zymdrenos, dem Wasserdrachen. In dieser Erscheinung endete sein männlicher Körper im Schwanz einer gigantischen Schlange. Die wunderschöne nackte Frau ritt lasziv den Körper des gewellten Ungeheuers mit spottendem Blick und hielt sich an Zymdrenos‘ Rumpf fest, während das Paar von Eptas Schwester Bendis verfolgt wurde. Sie war in thrakischer Rüstung gekleidet, den Bogen in ihrer Hand gespannt, entschlossen, die Schlange zu töten, um – wie immer vergebens – die Jungfräulichkeit ihrer Schwester zu bewahren.

Auf der Wand zu seiner Linken sah Bryzos den bärtigen Derzelas, den Gott der Unterwelt und der Fruchtbarkeit, der dem jungen Dionysos das Horn der Fülle als Symbol der Fürsorge der Toten für die Lebenden übergibt.

Während sein Bruder ihn weiter zu seinem wütenden Vater schleppte, trafen sie auf zwei Dienerinnen, die Besorgungen im Lager machten.

„Einen schönen Tag für Euch, werte Prinzen!“, grüßte die untersetzte blonde Thrakerin die beiden und schenkte ihnen ein strahlendes Grinsen, während die andere, eine schlanke, schwarzhaarige Griechin, nur schwach nickte und den Weg einschlug, den Tarbos Bryzos entlanggezogen hatte.

„Für dich ebenfalls, Zvaka. Was ist mit dir, Kersa, freust du dich nicht, mich zu sehen? Komm schon, lach mal, oder ist jemand tot umgefallen, während ich meinen Rausch ausgeschlafen habe?“, plapperte Bryzos, als Tarbos für einen Moment innehielt und Bryzos der Situation gewahr wurde und er versuchte, seine Haare aus dem Gesicht zu streichen und sich aufzurichten. „Falls dem so ist, so hoffe ich, dass es den verdammten griechischen Philosophen getroffen hat.“

Beide ernüchterten ob dieser Aussage.

„Herr, ich hoffe dein Morgen in Ordnung sein bis jetzt“, sagte Kersa, während sie den festen Griff und den ernsten Blick in Tarbos Gesicht musterte. „Aber wir Diener seien unglücklich heute, weil dein Vater sehr, sehr böse. Er sei auch sehr, sehr böse über dich sein, Herr Prinz.“

Bryzos schaute Zvaka schief an, die ihr Lächeln nun abgelegt hatte und nur noch ernst nickte.

„Mein Prinz, der König ist nicht erfreut. Überhaupt nicht. Er hat den verdammten Bastard Sautis verprügeln lassen, weil er wieder beim Wachehalten eingeschlafen ist.“ Sie spukte aus. „Er hat’s verdient, würd ich sagen.“

Erneut nickte Kersa. Sautis war bekannt dafür, ein Lustmolch zu sein, der sich regelmäßig den Sklavenmädchen aufzwang, was oft genug an Vergewaltigung grenzte. Diesbezüglich hatte die blonde Zvaka natürlich mehr Glück als die schwarzhaarige Kersa: Kein einfaches Mitglied der königlichen Garde würde es so einfach wagen, sich der königlichen Bettgenossinnen zu bemächtigen, auch wenn er ein erfahrener Krieger war und dieser Prinz eher ein Jüngling. Beide wussten, dass Kersa des Öfteren schon Zielscheibe von Sautis Avancen gewesen war.

„König hat Sautis Fell gezogen über die Ohren. Mach ihn fertig, ich sage!“, sagte Kersa, und versuchte, gegen aufsteigende Tränen anzukämpfen. Bryzos senkte seinen Blick.

„Genug jetzt“, sagte sein Bruder in einem bedrohlichen Tonfall, „komm weiter!“

Sie wandten sich ab und betraten den großen, offenen Innenhof inmitten eines Ensembles aus Gebäuden, welche die Residenz des Königs bildeten und durchquerten ihn. Tarbos bewegte sich zielstrebig auf den Haupteingang des Palastes seines Vaters zu. Im Schatten der Holzsäulen, die nach Marmor aussahen, und des breiten, sanft abfallenden Daches, welches den gesamten Eingangsbereich überdeckte, standen zwei ernst dreinblickende Männer, die Tarbos und Bryzos skeptisch beäugten.

Der Mann zur Linken hatte seine massiven Arme vor der Brust verschränkt, ein Speer auf der Schulter lehnend, mit einem am Rücken befestigten Schild. Sein Name war Bolinthos, obwohl ihn die meisten Leute einfach nur den ‚Bullen‘ nannten. Er war vom Stamm der Dier, berüchtigt sogar unter den Thrakern, gefürchtet für ihre Barbarei und Erbarmungslosigkeit im Krieg. Der Bulle war blond und bärtig, riesig, einen Kopf größer als Bryzos und eineinhalb Mal so schwer wie er. Er trug eines der kurzen, hellgrün gemusterten Gewänder, mit denen der König seine Wachen hatte ausstatten lassen. Der größte Teil seiner Haut, einschließlich seines Gesichtes, war mit blauen Schnörkeln tätowiert, was ihn als Anhänger von Kotys, der thrakischen Göttin des Todes und des Leidens auswies. Die Gesichtstätowierungen symbolisierten dabei seine vollkommene Hingabe an den Krieg als Lebenseinstellung.

Der Mann zur Rechten war nur wenig größer als Bryzos und erschien geradezu winzig im Vergleich zu seinem Kollegen auf der linken Seite. Er war ein Grieche namens Zeuxidas, seine Haut war olivfarben und dunkler als die der Thraker, und sein Haar war rabenschwarz.

Tarbos verlangsamte seinen Schritt, sichtlich eingeschüchtert von den beiden massigen Kriegern, was Bryzos erlaubte, sich wenigstens kurz die Haare zu ordnen und sich aufzurichten, auch wenn in ihm kein Funke des Widerstands gegen seinen Bruder mehr übrig war.

„Wohin des Weges, ihr hübschen Burschen?“,fragte der Bulle, während er Tarbos denselben abschätzigen Blick zuwarf wie zuvor Bryzos, als die beiden vor den Wachen zum Stehen kamen.

„Das geht dich einen feuchten Dreck an, Dier“, gab Tarbos zurück, „lasst uns vorbei!“

Anstelle einer Antwort spuckte Zeuxidas auf den Boden, gerade so weit links, dass die beiden gezwungen waren, ihm auszuweichen, um nicht in seinen Schleim zu treten, während Bolinthos nur grinste und bedrohlich die Schultern spielen ließ.

Tarbos, der ob der Beleidigung rot angelaufen war, fasste Bryzos unwirsch an seiner Tunika und stieß ihn vor sich her. Just als sie den Säulengang hinter sich gelassen hatten, hörte er Tarbos etwas murmeln, dass nach „seinen verdammten Kopf auf einen Speer“ klang.

Bryzos lief weiter, von seinem Bruder vorangetrieben, dabei im Schatten des überdachten Säulengangs bleibend, welcher das große Wasserbassin in der Mitte der Eingangshalle umgab. Zwei der Töchter des Königs, seine Halbschwestern Eptarys und die kleine goldhaarige Saldas, saßen am Rande des Wasserbassins gegenüber und unterhielten sich leise, während sie mit den Füßen im kühlen Wasser planschten. Eine der Sklavinnen, die etwas Undefinierbares in einem Korb mit sich trug, lief vorüber. Während sie seinem Blick auswich, lächelten die beiden Mädchen ihn an und winkten, als er vorbeiging, um danach ihre Unterhaltung fortzuführen.

Welch friedlicher Anblick, dachte Bryzos bei sich. Hoffentlich hat sich auch Vater ein wenig beruhigt, seufzte er; immerhin war dies bei weitem nicht sein erster Rüffel.

König Ozrykes hatte sich jedoch mitnichten beruhigt seit der Prinz die Eingangshalle betreten hatte. Eher war das Gegenteil der Fall.

Bryzos trat durch die schweren, geöffneten Türen, die imstande waren, auch ernsthafteren Angriffen standzuhalten, und auch sie waren von Wachen des Königs flankiert, die in die Audienzhalle von König Ozrykes führten. Die Decke war über die Höhe der angrenzenden Gebäude erhaben, um die Halle eindrucksvoller wirken zu lassen, und der komplette Boden war mit Mosaiken ausgelegt, die eine Reihe mythischer Szenen darstellten. Sein Vater stand an einem großen Tisch, welcher in einigem Abstand zu seinem Hochsitz aufgestellt worden war. Er beriet sich mit einigen Mitgliedern seines Rates, unter welchen der Prinz auch Raskus erkannte, einen der wichtigsten Vertrauten seines Vaters. Sein Sohn Suras war ebenfalls ein Mitglied des Saufgelages in der Taverne am Abend zuvor gewesen.

Nun, das wird die Sache nicht gerade vereinfachen, dachte Bryzos, und sein Magen verkrampfte sich. Er blieb kurz hinter dem Eingang stehen. Einige der Männer bemerkten ihn und knufften sich in die Seite. Alle Augen wandten sich dem Prinzen zu und die Unterhaltungen erstarben, als Tarbos in Richtung seines Vaters nickte und zur Seite trat.

„Mein Herr, Vater“, begann Bryzos stammelnd, „ich entschuldige mich dafür, Euren Aufforderungen nicht sofort nachgekommen zu sein, ich…“

„Schweig!“ unterbrach der König seinen Sohn donnernd.

Sein Blick durchdrang ihn scharf, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Einige der Bediensteten und Sklaven zuckten bei diesem Ausbruch zusammen, während die beiden Wachen, die zur Linken und Rechten des Thrones des Königs standen, ihn merklich angrinsten. Diesmal, so schien es, war er endgültig geliefert.

„Mein König, ich bin gekommen um…“

„Still! Du wirst reden, wenn du dazu aufgefordert wirst!“, befahl der König und ließ seine Faust zur Unterstreichung seiner Worte auf den Tisch donnern, wobei einer der Weinbecher umfiel und seinen Inhalt über den Tisch ergoss.

Die darauffolgende Stille war leise genug für Bryzos, um seinen eigenen Herzschlag hören zu können, dessen Rhythmus sich ebenfalls plötzlich zu beschleunigen und zu intensivieren schien. Diese Angelegenheit war offensichtlich nicht mit ein paar fadenscheinigen Entschuldigungen, etwas Buße und ein paar Tagen Abstinenz erledigt. Er fühlte, wie er in Schweiß ausbrach, und er musste seine Knie und Beine zwingen, nicht unter ihm nachzugeben. In diesem Moment fühlte er sich so ganz und gar nicht wie ein mächtiger thrakischer Kriegsgott, der fähig und Manns genug war, Feuer von den Göttern zu stehlen; er fühlte sich eher wie ein Sklave, der gerade zum Minendienst verurteilt wurde. Dies würde offensichtlich sein großer Untergang sein.

Nach einigen Momenten des Schweigens, die sich über längere Zeit erstreckten und schließlich unerträglich für Bryzos wurden, bellte König Ozrykes: „Wer bist du, junger Mann? Sag mir, wer bist du!“

Bryzos riss sich eilig zusammen, atmete tief ein und versuchte zu antworten: „Mein König, ich bin Prinz Bryzos, Euer…“

„Du, du gehst mir auf den Sack!“, unterbrach der König ihn erneut. „Du! Ein Prinz? Ha, bei meinen Eiern!“, und er spuckte auf den schönen Mosaikboden der großen Halle.

Sein Schleim traf dabei einen der Köpfe der Hydra, durch die Handwerker eingefangen in ihrem endlosen Konflikt mit ihrem Erzfeind, dem Reiter. Wirklich ein gutes Omen.

„Schau dich doch nur einmal an! Du siehst aus wie eine Müllgrube und stinkst noch mehr! Du, Prinz Nichtsnutz, scheinst mehr Zeit damit zu verbringen, meine Sklavinnen und meine Huren zu ficken, meine Pferde auf die Jagd mitzunehmen und meine Keller leer zu saufen!“

Einige der Umherstehenden mussten daraufhin grinsen.

„Nun, das ist mir scheißegal, als ich so alt war wie du, hab ich dasselbe getan! Oder weiß einer von euch Männern, wie viele meiner Bastarde hier herumrennen?“, fuhr der König fort, seinen sarkastischen Kommentar beiseitewischend.

Einige der Zuschauer nickten daraufhin, ohne es zu kommentieren. Immerhin waren die anwesenden Berater ihrerseits Saufbrüder in ihrer Jugend gewesen und mit fünf Frauen und fünf Konkubinen an ihrer Seite wahrscheinlich Vater von Kindern, von deren Vielzahl nur die Götter wussten.

„Und was das Fressen und Saufen angeht“, was von noch mehr Grinsen begleitet wurde, „um dann umzukippen und in deiner eigenen Kotze aufzuwachen“, einige der Berater begannen zu kichern, „beim Reiter, auch das haben wir alle getan, mein Junge! Aber was ich dir nicht durchgehen lassen werde, ist, wie du deinen Lehrer behandelst!“

Nachdem seine Hoffnung aufgrund der verständnisvollen Worte seines Vaters zunächst wieder gestiegen war, war Bryzos nach dieser Bemerkung wieder am Boden zerstört.

„Nun, was hast du dazu zu sagen, junger Mann?“, sagte der König und beendete damit seine Tirade.

„Also, naja“, antwortete der Prinz lahm, in der Erwartung, jeden Moment wieder unterbrochen zu werden. Als dies jedoch nicht geschah, riss er sich zusammen und sagte: „Mein Herr, ich bin ein Thraker, ein Dolonker aus dem stolzen Hause des Ozrykes, Sohn von Burazas, dem Felsen im Kampfe, der seine Herkunft bis zum Trojanischen Krieg zurückverfolgen kann. Wie unser Ahne Akamas, der die Griechen an den Stadtmauern von Ilion bekämpfte, waren wir schon immer eine Rasse von Kriegern, von allen gefürchtet und respektiert, geboren, um andere zu regieren. Ihr seid mein Führer, und ich bin Euer Sohn, König Ozrykes.“

Diese Ansprache kam bei den umstehenden Männern gut an, von denen die meisten genickt hatten, während Bryzos gesprochen hatte, und genauso erging es dem Vater, dem das Herz warm geworden war, als sein Sohn seine stolze Herkunft angesprochen hatte.

„So soll es sein“, antwortete er in einem versöhnlichen Tonfall. „Aber ich kann nicht weiter zulassen, dass du dich über deinen Lehrer Glyptos lustig machst. Du weist nicht nur seine Weisheit zurück und weigerst dich, von ihm zu lernen, du hältst auch noch andere davon ab! Er hat sich bei mir über dein andauerndes Fehlverhalten ausgeheult und verkündet, dass er als ein wahrer Philosoph nicht auf mein Geld angewiesen sei, die verdammte griechische Schwuchtel!“

Daraufhin brachen die Thraker in schallendes Gelächter aus, und die Spannung, die den Raum erfüllte hatte, entlud sich.

„Nun, du weißt ja wie sie sind. Wie auch immer, er sagte, er wolle sich nicht länger mit dir herumschlagen, wenn du seinen Unterricht weiterhin unterbrichst und dass er gehen würde, solltest du ihn weiterhin besuchen. Was hast du dazu zu sagen?“

„Vater“, antwortete Bryzos nun selbstsicher, denn er hatte das Schlimmste befürchtet, „lass ihn gehen! Ich habe keine Ahnung, was ich überhaupt von ihm lernen soll! Er ist nicht nur alt und gebrechlich, körperlich und geistig, wie ich finde, sondern auch noch ein Grieche, und er erzählt uns dauernd seine blöden, langweiligen Geschichten! Heute zum Beispiel hat er verkündet, dass Mutter Erde auf dem Meer schwimmt, weil sie mit Luft gefüllt ist!“

Daraufhin brachen die Umstehenden wieder in lautes Gelächter aus, welches eine Zeitlang anhielt. Lediglich der König schien nicht beeindruckt von den Worten seines Sohnes und der ihn umgebenden Heiterkeit. Langsam schüttelte er den Kopf. Bryzos bemerkte es, und es dämmerte ihm, dass es noch nicht vorbei war.

„Was, Vater, können wir denn dann noch von so einem Mann lernen, was uns Thrakern nützen könnte?“, endete er.

„Mein Junge, es gibt vieles was du noch lernen musst, nicht nur vom verdammten Glyptos, sondern generell, und ich werde dir nun etwas davon erzählen!“, begann König Ozrykes. „Wir Dolonker, und das gilt auch für die verdammten Apsinther, unsere Freunde die Thynier, und die Bithynier, Kikonier und Edonier, sind Nachbarn und umgeben von den Griechen der ionischen und aiolischen Stämme. Und obwohl die odrysischen Könige Amadokos und Seuthes die meisten Thraker des Nordens unter ihrer Fuchtel halten, haben wir uns doch nie zu einem Stamm oder unter einem König zusammengeschlossen, und, beim Reiter, ich für meinen Teil werde mich nie einem anderen Herrscher unterwerfen, egal on Thraker oder Grieche!“

Murmeln und Kopfnicken folgten dieser Bemerkung.

„Nichtsdestotrotz“, fuhr der König fort, „haben sich viele Griechen, schwach und feige wie sie sind, unter einer ihrer größten Städte vereint, Athen. Und die Griechen der Chersonnesos, sowohl Aiolier und Ionier, haben sich dieser Vereinigung angeschlossen, die sie „den Seebund von Delos“ nennen. Schon mal von diesem Ort gehört, Junge?“

Bryzos schüttelte den Kopf. Sein Vater gab einem seiner Diener das Zeichen, ihm ein Getränk zu reichen. Er nahm einen großen Schluck und fuhr fort.

„Das dachte ich mir. Nun, mein Junge, das bedeutet, dass jede griechische Stadt in unserem eigenen Territorium, während sie auf unseren Schutz vor den Stämmen des Nordens angewiesen ist, gleichzeitig Tribut an ihre jeweilige Liga zahlt. Und wir müssen daher irgendwie mit diesen Athenern zurechtkommen. Die Athener sind Ionier, so wie die Männer, die weiter unten an der asiatischen Küste wohnen, wie zum Beispiel die Menschen von Ephesos. Und die verdammten Athener können ihre eigene Sprache niederschreiben, können ihre Gedanken anderen übermitteln und versuchen ständig neue Verbündete zu finden und Städte zu unterwerfen. Nun, wenn wir Dolonker uns weder einem anderen Thrakischen König oder einem dieser Athener beugen wollen, sondern frei und Herrscher der Chersonnesos bleiben wollen, sollten wir uns nicht bemühen, unsere Rivalen und etwaige Feinde zu verstehen, indem wir ihnen zuhören? Indem wir herausfinden, wie sie die Dinge sehen und so von ihren Schwächen profitieren, ihre Fehler vermeiden? Denk nach, Junge! Glyptos ist Ionier! Seinen Weisheiten, aber auch seinem Gebrabbel zuzuhören befähigt uns dazu, die Athener in ihrer Art zu denken und zu handeln zu verstehen. Und wenn wir diese Dinge wissen, werden wir sie im Schlachtfeld besiegen können, wann immer es nötig ist!“

Bei diesen Worten brachen alle Mitglieder des Rates in Beifall aus, ihr Blut in Wallung gebracht bei der Erwähnung eines möglichen erneuten Krieges gegen die Griechen, im Gegensatz dazu, gezwungen zu sein, das ständige Vordringen der apsintischen Nachbarn unter der Führung ihrer beiden Könige, Skalme und Beres, auszuhalten.

„So, mein Sohn, das sollte deine Frage beantwortet haben, warum du diesem verdammten alten griechischen Trottel zuhören solltest – du sollst lernen, wie man griechisch spricht, wie man griechisch schreibt, und wie die Griechen denken! Doch jetzt ist es dafür zu spät. Solltest du eines Tages König sein, oder irgendeine Art von Herrscher, musst du lernen, sowohl zu gehorchen, als auch zu befehlen. Und du, junger Mann, kannst nicht nur beides nicht tun in der Zeit, in der du deinen Unterricht besuchen sollst, sondern du hast auch zu Genüge bewiesen, dass du keines von beidem lernen willst.“

Dies war natürlich nichts als die Wahrheit, und Bryzos wusste das nur zu gut. Doch er wagte noch einen letzten Versuch, mit seinem Vater darüber zu diskutieren.

„Mein Herr, ich weiß, ich habe nicht immer Eure Erwartungen erfüllt. Ich verspreche jedoch, dass…“

Wieder unterbrach der Vater ihn kopfschüttelnd, diesmal jedoch in einem komplett nüchternen und vernünftigen Tonfall.

„Mein Junge, für einen Prinzen der Dolonker und Nachkomme des mächtigen Hauses des Akamas wird dies nicht genügen. Momentan bist du einfach nur eine Schande. Deine Brüder trinken, spielen und huren herum – und das sollten sie auch, denn sie sind jung – aber sie nehmen am Unterricht teil und versuchen nicht dauernd ihrem Lehrer auf den Sack zu gehen, auch wenn er nur ein verdammter Grieche ist. Also habe ich eine Entscheidung getroffen und beschlossen, die Art deines Unterrichts zu ändern.“

Der König schnippte mit den Fingern, und ein einäugiger Mann mit flammend roten Haaren und Bart trat aus dem Schatten zu ihnen, hielt an und verbeugte sich.

„Dies, junger Bryzos, ist Rudas. Du bist nun sein und wirst ihm in allem gehorchenen, oder er wird dich bestrafen“, worauf Rudas ernst nickte. „Und nun verschwinde, wir haben genug Zeit mit dir verschwendet.“

Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte sich König Ozrykes zu seinen Beratern, die sich erneut um den Tisch versammelt hatten und fuhr mit den Gesprächen, die vom Erscheinen des Prinzens unterbrochen worden waren, als sei nichts geschehen, fort. Bryzos stand da, mit geöffnetem Mund und sprachlos, und er wusste, dass alles, was er jetzt hätte sagen können, das Ganze noch wesentlich schlimmer gemacht hätte. Viel schlimmer.

Der Einäugige bewegte sich auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er war etwas größer als Bryzos und unwesentlich breiter gebaut, jedoch offensichtlich mehr an körperliche Arbeit gewohnt. Das, was von seinen Armen und Schultern sichtbar war, war bedeckt mit den für die Dolonker typischen Tätowierungen, die ihn als erfahrenen Veteranen auszeichneten, der Männer in Schlachten getötet hatte.

Wie viele der anderen war er bekleidet mit einer Tunika und einem leichten Sommermantel, und ein großer Sonnenhut hing über seinem Rücken. Seine Kleidung sah abgetragen aus, genauso wie sein breiter Ledergürtel und das Bandelier, das von seiner linken Schulter hing. Er trug abgenutzte und offensichtlich oft getragene Reiterstiefel, im Gegensatz zu den anderen anwesenden Männern mit ihren eleganten Sandalen. Die Waffe an seiner Seite war ebenfalls keine Akinakes, ein gerades Schwert, das an der rechten Hüfte an einem Gürtel befestigt wurde, sondern eine Machaira, die boshaft gebogene thrakische Klinge, für jeden Zweck geeignet, die an seiner linken Seite herabhing. Die gesamte Erscheinung des Mannes zeugte von der Tatsache, dass mit ihm nicht zu spaßen war, und er sicherlich keinen Wert auf den Austausch von Nettigkeiten legte.

„Wie soll ich dich denn nun nennen, Junge?“, fragte Rudas, schüttelte den Kopf und rümpfte die Nase beim Anblick und dem Gestank des jungen Mannes vor ihm. „Ich werde einen Teufel tun und dich ‚Prinz‘ nennen, wenn ich dir sage, dass du die Pferdescheiße wegschaffen sollst. Komm, Junge, wir gehen.“

Und er ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, an Bryzos vorbei, und verließ den Raum durch das Haupttor, ohne sich noch einmal umzusehen.

Verwirrt schaute Bryzos sich um, sah seinen Vater und die anderen Mitglieder des Rates, die über einem Dokument auf dem Tisch grübelten und ihn komplett ignorierten, während die Wachen, deren Blicke er aufgefangen hatte, entweder hämisch grinsten oder ihn anstarrten, als ob sie es hätten kommen sehen.

Als er plötzlich bemerkte, dass Rudas nicht auf ihn wartete und auch nicht anhalten würde, drehte er sich schnell um und beeilte sich, dem älteren Mann zu folgen. In der Halle mit dem Wasserbassin holte er ihn schließlich ein. Der heiße Nachmittag hatte einige der Kinder des Königs dazu veranlasst, in den Gebäuden nach Schatten zu suchen, und mittlerweile hatte sich ein halbes Dutzend Kinder, mehr oder weniger bekleidet, im und neben dem Bassin zusammengefunden, lachend und fröhlich planschend, ohne etwas außerhalb ihres Spiels wahrzunehmen. Rudas ignorierte sie, während er weiter voranschritt, was Bryzos zwang, ihm mit erniedrigender Geschwindigkeit zu folgen. Er lief an den Kindern vorbei, die ihn nicht bemerkten, und versuchte gar nicht erst, seinen Halbgeschwistern Lebwohl zu sagen.

Binnen Kurzem hatte der Krieger die Schwelle des Hauptgebäudes durchquert und bog scharf rechts ein, was ihn zur gegenüberliegenden Seite der Anlage führte, in der sich auch Bryzos Gemach befand. Nach der Standpauke seines Vaters hielt es der Prinz für weise, nicht danach zu fragen, wann er seine persönlichen Sachen abholen konnte. Nachdem sie an einer Reihe von Lagerschuppen vorbeigekommen waren, näherten sie sich dem nördlicheren der beiden Ställe, in dem die Pferde des Königs standen, und in dem auch die Stallburschen einquartiert waren. Dort wartete bereits Ziles, zufrieden lächelnd, einen Hut auf dem Kopf, um sich vor der Sonne zu schützen, und mit einem weiteren in der Hand.

„Meister Bryzos, ich bin so froh, dass Ihr hergefunden habt. Euer Vater war über die Sache mit Glyptos wohl sehr aufgebracht. Schön, dass es geklappt hat.“

Einer der Stallburschen stand ebenfalls dort, zusammen mit drei Pferden, die bereits aufgezäumt und aufbruchsbereit waren. Da weder Sättel noch Trensen bei den Thrakern gebräuchlich waren, oder in dem Falle bei den Griechen, die von ihnen die Reiterei gelernt hatten, waren die Rücken der Pferde lediglich mit gepolsterten Decken bedeckt, die unter ihren Bäuchen zusammengebunden wurden.

„Mach dich sauber“, grummelte Rudas, „so werde ich dich nicht auf ein Pferd lassen.“

Bryzos sah sich um, doch alles was er sehen konnte, war ein Trog mit kaltem Wasser. Er öffnete den Mund und drehte sich gerade um, um sich bei Rudas zu beschweren, als dieser einen Eimer mit eiskaltem Wasser in seine Richtung schwang, und den Prinzen so von Kopf bis Fuß zu durchnässte.

„Hör auf meine Zeit zu verschwenden, Junge, und leg los!“, befahl er und warf den Eimer dem Stallburschen zu, der ihn auffing, während er versuchte, bei Bryzos Anblick ein Grinsen zu unterdrücken.

Der Prinz stand einfach nur da, klitschnass und geschockt von der Kälte des Wassers.

Da er nun keine andere Wahl mehr hatte, lief er hinüber zum Trog, befreite sich von seiner beschmutzten Tunika und wusch sich rasch, wobei er nur noch seine Sandalen trug. Plötzlich lief Kersa an ihm vorbei, die eine bis zum Rand mit Weizen gefüllte Amphore trug. Als Bryzos sich umdrehte, um zu sehen, wer da kam, errötete sie ob seiner Nacktheit, verlor ihre Ladung, und verschüttete alles auf den Steinfliesen vor den Ställen. Weder Rudas noch Ziles bewegten sich, um dem Sklavenmädchen zu helfen, und so eilte Bryzos herbei. Da er in diesem Moment nicht zum Plaudern aufgelegt war, half er ihr wortlos, die Amphore auf dem Boden abzustellen und sie wieder mit seinen Händen zu befüllen, während Kersas Gesicht einen noch dunkleren Farbton annahm, als überhaupt möglich gewesen wäre.

„Ich Euch danken, Herr“, sprach sie in gebrochenem Thrakisch und eilte davon, bevor Bryzos auch nur nicken konnte.

„Ich wusste gar nicht, dass so einer wie Ihr den Bediensteten so nahesteht“, sagte Rudas, während er sich die Zügel vom Stallburschen reichen ließ und mit Leichtigkeit sein Pferd bestieg, eine graubraune Stute, die ebenso schmucklos ausgestattet war.

„Glücklicherweise nicht allzu nah“, antwortete Ziles kryptisch, was ihm einen skeptischen Blick von Bryzos einbrachte, der versuchte, seine schmutzige und nasse Tunika auszuwringen.

Der Haushofmeister lächelte schwach über seinen Blick, gab dem Prinzen einen Hut, und gestikulierte der Stallhilfe, ihm aufs Pferd zu helfen. Nach einigen peinlichen Momenten gelang es ihm aufzusitzen. Das Pferd war ein prächtiger schwarzer Wallach, dessen Satteldecke und Trense mit Silber verziert war, was im Kontrast zu seinem Fell stand.

Bryzos zog sich rasch an und übernahm das dritte Pferd, ebenfalls eine Schönheit aus dem Stall des Königs, eine kupferfarbene Stute, die der Stallbursche schwarz gesattelt und gezäumt hatte. Er griff fest nach dem linken Zügel des Pferdes und sprang auf seinen Rücken, indem er sein rechtes Bein darüber schwang.

Der Stallbursche gab ihm auf dem Weg zurück in den Stall die Zügel in die Hand und auf Ziles Frage „Wollen wir nun?“, ritten die drei los.

Bryzos hatte keine Zeit gehabt, weder ein paar seiner Klamotten, noch etwas von dem Schmuck, den er besaß, mitzunehmen; auch nichts seiner restlichen persönlichen Gegenstände, wie etwa seiner Akinakes, dem Schwert, das sein Vater ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatte.

„Wo ist dein Gepäck, Ziles?“, fragte Bryzos, während er den Strohhut aufsetzte, der ihm beim Aufbruch gegeben worden war, als sie durch das Haupttor ritten, welches aus der Residenz heraus auf die Straße am Fuße des Hügels führte. Rudas ignorierte diese Bemerkung und ritt voraus.

„Sorgt Euch nicht darum, Herr. Es wurde sich um alles gekümmert, und wir werden nicht lange unterwegs sein“, antwortete Ziles lächelnd.

Diese Antwort besänftigte den Prinzen überhaupt nicht. Es war offensichtlich, sowohl durch Ziles unbeteiligtes Verhalten als auch durch das vollkommene Desinteresse von Rudas, dass diese Dinge nicht zur Diskussion standen. Er nickte Ziles zu, der erneut mit einem Lächeln antwortete, und sie ritten weiter, um am Haupttor zu halten. Die beiden diensthabenden Wachen aus König Ozrykes Gefolge sahen die drei an, winkten Ziles und Rudas durch und grinsten Bryzos hämisch an. Anscheinend wussten mittlerweile nicht nur seine beiden Begleiter, sondern alle Mitglieder der Wache, was ihn erwarten würde. Langsam beunruhigte Bryzos diese Tatsache.

Je weiter die Pferde in Richtung des Dorfes von Keirpara kamen, welches die Hälfte des Hügels umgab, desto mehr sank auch Bryzos Stimmung.

Sonketa

Während die Drei schweigend nebeneinander her geritten waren, war der Nachmittag zur Neige gegangen. Nachdem sie die Ausläufer von König Ozrykes Anwesen passiert hatten, waren sie nach Westen geritten, und an einigen Dörfern vorbeigekommen, die zum Herrschaftsgebiet des Königs gehörten, und so schließlich zur Küste gelangt. Keiner seiner Begleiter hatte es bis jetzt für nötig gehalten, Bryzos über ihr Ziel aufzuklären.

Wahrscheinlich Sonketa, dachte er finster, wo auch immer dieses Kaff liegen mochte. Sicherlich war es irgendein nach Pferdescheiße stinkendes Loch, wo die Schweine besser aussehen als die Pferde und die Pferde besser als die Weiber. Bestimmt gibt es da nicht mal was Anständiges zu trinken. Was für ein Albtraum.

Sie ritten eine staubige Landstraße hinunter, die umgeben war von zwei Feldern, auf denen das Getreide prächtig gedieh und bald geerntet werden wollte. Dahinter lag ein kleiner Pinienwald, der offensichtlich vor einiger Zeit von einem Feuer heimgesucht worden war. Bei Bendis, dies war also der Arsch der Welt. Bryzos Laune sank weiter. Was zur Hölle hab ich hier zu suchen? dachte er bei sich.

Die Straße stieg an, und nachdemsie die abgebrannten Stümpfe des Pinienwaldes hinter sich gelassen hatten, trafen sie auf einen Hügel. Rudas hielt sein Pferd an und stieg ab. Er wandte sich den beiden anderen zu und sprach das erste Wort, seit sie aufgebrochen waren.

„Sonketa.“

Wie Ziles es versprochen hatte, waren sie nur wenige Stunden unterwegs gewesen.

„Wir sind angekommen, Meister Bryzos“, bemerkte Ziles, immer noch auf seinem Pferd sitzend. „Wäret Ihr so gütig, von Eurem Pferd zu steigen?“

Sie standen nun auf der Anhöhe, die sanft in ein Tal hinabfiel, an dessen Horizont der Golf von Melas zu erahnen war, wo gerade die Sonne unterging, die somit ebenfalls ihr Ziel erreicht hatte. Sonketa war nicht so groß wie Bryzos Heimat Keirpara, aber bei weitem kein Kaff, wie er es zunächst befürchtet hatte. Es war ein schön gelegenerOrt, umgeben von Getreidefeldern. Schafe grasten auf den Hügeln der Umgebung, und ein Bach plätscherte in der Nähe.

Vielleicht doch nicht so schlecht, dachte Bryzos, während er gedankenverloren abstieg und Ziles die Zügel in die Hand drückte. Hatte der Könignicht etwas von Rudas drei gutaussehenden Töchtern erzählt? Er wäre zumindest nicht der erste Vater, den der Prinz überlistet hätte. Bryzos grinste und wandte sich Ziles zu, der immer noch die Zügel in der Hand hielt, aber keinerlei Anstalten machte, vom Pferd zu steigen.

„Was ist denn jetzt mit unserem Gepäck, Ziles? Du sagtest, es würde sich darum gekümmert werden?“

„Oh, macht Euch keine Sorgen, Herr, Rudas wird das übernehmen. Und nun sage ich Euch hiermit Lebwohl!“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er die Pferde um, trieb sie an, galoppierte den Hügel hinunter, und war bald im Pinienwald verschwunden.

Plötzlich überkam Bryzos ein mulmiges Gefühl, und seine Euphorie war mit einem Mal wie weggeblasen. Er öffnete den Mund, um Ziles etwas hinterherzurufen, fand jedoch keine passenden Worte; und als er seine Sinne wieder beisammenhatte, war Ziles bereits außer Sichtweite.

„Verdammte Griechen“, murmelte er.

Das war alles, was er zustande brachte.

Rudas hatte alles beobachtet, ohne ein Wort zu sagen, und als sich Bryzos schließlich wieder umwandte und ihn ansah, nickte er, und führte sein Pferd die Straße hinab in Richtung Dorf. Einige nackte Kinder liefen an ihnen vorüber zum Bach hin. Sie schienen komplett in ihrer Welt zu sein, nicht wahrnehmend, was um sie herum geschah, und Rudas musste bei ihrem Anblick unwillkürlich lächeln. Im Gegensatz zu ihren griechischen Nachbarn, die Wert auf eine strenge Erziehung mit der Rute legten und darauf achteten, ihre Kinder nicht allzu sehr zu verwöhnen, vergötterten die Thraker ihre Sprösslinge regelrecht und erlaubten ihnen, alles zu tun, wonach ihnen der Sinn stand, solange sie noch klein waren. Ein Privileg, dem Bryzos offensichtlich entwachsen war, ohne es bemerkt zu haben.

Als sie im Dorf ankamen, trafen sie auf Männer und Frauen, Freie und Sklaven, die ihrem Tagewerk nachgingen. Alle begrüßten Rudas, der lächelte, winkte, und hier und da ein paar Worte wechselte, je nachdem, wer ihm gerade über den Weg lief. Offensichtlich war der bärenhafte Krieger ein gern gesehenes Gesicht, dachte Bryzos bei sich.

Keiner der Leute, die sie trafen, machte Anstalten, sich mit dem Prinzen zu unterhalten. Sie ignorierten ihn, während sie mit Rudas plauderten. Jedoch musterten sie ihn und sein schickes Gewand hin und wieder verstohlen, wies es ihn doch ganz offensichtlich als Fremden aus:Bryzos trugleichte Sandalen, die für ernstzunehmende körperliche Arbeiten, jagen oder wandern, gänzlich ungeeignet waren; dazu eine hellrote, wenn auch mittlerweile nicht mehr allzu vorzeigbare Tunika, und den auffälligen Mantel, den Ziles ihm unterwegs aufgeschwatzt hatte. Im Augenwinkel sah er sogar zwei Mädchen, die flüsternd und kichernd mit dem Finger auf ihn zeigten.

Zum ersten Mal in seinem Leben, was nun immerhin schon vierzehn oder fünfzehn Jahre andauerte, fühlte er sich schrecklich fehl am Platz. Bis jetzt war es ihm einerlei gewesen, was und wann er essen oder trinken würde, oder wo – und insbesondere mit wem – er schlafen würde, war er doch immer von Menschen umgeben gewesen, die wussten, dass er der Sohn des Königs war, und entsprechend für ihn sorgten. In diesem Dorf aber, auf dem Land, wo Männer und Frauen zum Arbeiten und nicht zum Angeben angezogen waren, war er nicht mehr als ein extravagant gekleideter Schönling.

Irgendwo in der Mitte des Dorfes bogen sie erst nach rechts, dann nach links ab, was sie auf eine Straße brachte, die zu einem Haus führte, welches etwas abseits der Siedlung stand. Als sie näherkamen, liefen mehrere Leute winkend und lachend auf sie zu, um sie zu begrüßen. Ein Junge rannte auf Rudas zu und warf sich jubelnd in die Arme seines Vaters.

„Kenthas!“, rief Rudas. Er lachte, warf den kleinen Jungen mehrmals in die Luft und fing ihn mit seinen starken Armen wieder auf. „Und hier sind ja Ida, Kira und Ilis, meine Schönheiten!“

Der Rest der Familie, von dem zwei offensichtlich seine Frauen waren, und einMädchen, das in Bryzos Alter zu sein schien, versammelten sich um sie, tauschten Küsse und Umarmungen aus, und redeten alle auf einmal auf Rudas ein, der mit einem Mal seine lakonische Haltung abgelegt hatte.

Wie hübsch, dachte der Prinz. Ein verdammtes Familientreffen. Hoffentlich kann wenigstens eines der beiden Weiber kochen. Ein weiterer Junge, der offensichtlich nicht zu Rudas engerem Familienkreis gehörte und ein wenig abseits vom Begrüßungsgetümmel stand, nahm das Pferd des Hausherrn bei den Zügeln und folgte den anderen, als sie sich langsam auf den Weg zum Haus machten. Er war barfuß und trug eine Exomis, eine einfache Arbeitskutte, die seine rechte Schulter entblößte, und mit einem einfachen Seil um die Hüften zusammengebunden war.

Der Stallbursche blieb zurück und stellte sich vor

„Hallo du da! Ich bin Rakas, ich kümmere mich um Meister Rudas Pferde. Wie heißt du, und warum bist du so seltsam angezogen?“

Bryzos öffnete den Mund um zu antworten, aber wie bereits einige Male zuvor, und wie es sonst so gar nicht seine Art war, fehlten ihm die Worte.

„Mach lieber den Mund zu, bevor da Fliegen reinkommen!“ lachte Rakas und schlug ihm auf die Schulter. „Dann komm mal mit, schweigender Schönling, lass uns erst nach den Pferden sehen, dann können auch wir essen gehen.“

Er nahm das Pferd bei den Zügeln und führte es zum Stall. Immer noch unsicher darüber, was er sagen sollte, brachte der Prinz schließlich „Ach ja, also ich… ich heiße Bryzos“ hervor und folgte Rakas zu den Ställen.

Wie jeder junge Mann von Stand war Bryzos mit Pferden aufgewachsen und wusste, wie er mit den Tieren umzugehen hatte. Er hatte sich jedoch nie wirklich um sich selbst kümmern müssen. Da ihn niemand mit ins Haus hineingenommen hatte, folgte er nun einfach Rakas.

Bryzos hängte seinen Mantel über eine der Stallungen und begann, das Pferd mit Stroh abzureiben, während der Stallbursche ihm genau erklärte, was zu tun war. Dann endlich, als alle Tiere mit Heu und Wasser versorgt waren, bedeutete Rakas ihm, dass das Tagwerk geschafft sei.

„Gut, Bryzos, wir sind fertig. Deine schicken Sandalen taugen wohl auch nur zum Sitzen. Wir sollten uns waschen gehen und uns etwas zu beißen besorgen!“

Erneut schlug er dem Prinzen auf die Schulter und verließ den Stall in Richtung Haupthaus. Die Dämmerung brach langsam herein.

***

Rudas und die Kinder saßen an einem langen Tisch aus massivem Holz und wurden von den beiden Frauen, die Bryzos richtigerweise als Rakas Ehefrauen erkannt hatte, und einem dunkelhaarigen Mädchen, offensichtlich einegriechische Sklavin, bewirtet.

„Wie ich sehe, hast du Rakas bereits kennengelernt“, sagte Rudas. Seine Stimme hatte die Wärme, mit der er mit seiner Familie sprach, mit einem Mal wieder verloren. „Gut. Setz dich und iss. Hört zu, alle miteinander: Dies hier ist der junge Bryzos, sein Vater ist Mitglied im Königsrat. Er wird eine Zeit lang bei uns leben.“

Der Prinz bemerkte, dass Rudas nicht erwähnt hatte, dass sein Vater natürlich im Königsrat saß, weil er selbst der König war, ließ diese Abwertung aber kommentarlos über sich ergehen. Wenn er für längere Zeit mit diesem Mann und seiner Familie unter einem Dach leben sollte, sollte er es sich besser nicht gleich mit ihnen verscherzen.

Die Kinder machten etwas Platz für Rakas und Bryzos, und als sie sich links von Rudas niederließen, begannen sie, ihn Löcher in den Bauch zu fragen, wer er war, wo er herkam, und wer sein Vater war.

„Lasst den Burschen zufrieden“, bestimmte Rudas, und ohne dass er seine Stimme erheben musste, erstarb das Geplapper im Nu.

Auch Rudas Frauen hatten mittlerweile Platz genommen, und alle bis auf das Sklavenmädchen begannen zu essen. Bryzos lauschte den Unterhaltungen, die sich um die Arbeit des Hausherrn bei Gericht drehten, und er merkte, wie hungrig er eigentlich war. Das letzte anständige Mahl hatte er am Abend zuvor zu sich genommen, und der lange Ritt und die Arbeit im Stall hatten ihn dermaßen ausgezehrt, dass er das Essen nur so in sich hineinschaufelte und alles um sich herum vergaß. Was für ein Tag, dachte Bryzos bei sich. Gestern Morgen hatte er noch einem blöden alten Griechen zugehört, der über Gott und die Welt schwadronierte, sich mit seinen Freunden betrunken, und sich mit Germas im Heu gewälzt. Dann war er von Ziles aufgeweckt und von seinem Vater aus dem Haus geworfen worden.Und so war innerhalb eines Tages aus ‚Prinz Bryzos‘‚Bryzos der Stallbursche‘ geworden, und…

„Junger Mann! Hör mir verdammt noch mal zu wenn ich dir etwas zu sagen habe!“, rief Rudas in seiner ungehaltenen Art und schüttelte ihn. Bryzos lief rot an und schluckte beschämt, als er merkte, dass jeder am Tisch ihn anstarrte.

„Ja, Meister Rudas? Entschuldigt, ich war so hungrig nach der langen Reise, und Euer Essen schmeckt so köstlich, und…“

„Halt den Mund“, unterbrach ihn der Krieger. „Du wirst bei Rakas schlafen.“ Der Stallbursche zwinkerte ihm zu. „Er wird dich in die Arbeit mit den Pferden einweisen. Morgen werden Ieter und du mir bei der Musterung unserer Truppe Gesellschaft leisten. Der König versammelt seine Einheiten, wir werden in den Krieg ziehen.“

Daraufhin erstarben die Tischgespräche, während Rudas, der mit dieser Nachricht alle überrascht hatte, sich zurücklehnte und an seinem Bier nippte. Bryzos, der gleichermaßen überrumpelt war, schwieg. Dies war also seine Lektion: Er sollte kein Stallbursche werden, sondern ein richtiger Thraker. Er lächelte in sich hinein und stellte sich vor, welch große Taten er vollbringen würde und wie stolz sein Vater, König Ozrykes, auf ihn sein würde, und…

„Bryzos, bei den Eiern des Reiters, reiß dich zusammen und hör auf zu träumen!“, bellte Rudas ihn erneut an. „Eine Sache noch, hör gut zu. Diese drei Schönheiten“ – er wies auf drei Mädchen, von denen eine zu seiner Rechten und zwei, offenbar Zwillinge, gegenüber von Bryzos saßen – „sind meine Töchter.“

Und wahrlich, Rudas hatte Recht, sie waren alle drei wunderschön. Nicht auf dieselbe Art und Weise wie die thrakischen Mädchen, die blond, groß und gut gebaut waren, sondern wie die griechischen: Ihr Haar war kohlrabenschwarz und rahmte ihre zarten Gesichter ein. Ihre dunklen Augen strahlten genauso wie ihr bezauberndes Lächeln. Ihre Haut, die von dunklerer Farbe war als die der Thrakerinnen, passte zu ihren Haaren. Diese mandeläugigen Schönheiten waren mit Abstand die schönsten Mädchen, die Bryzos je gesehen hatte. Das andere Mädchen jedoch kam offensichtlich nach ihrem Vater; sie war ein typisch thrakischer Rotschopf.

„Aua!“ Ein abgenagtes Hühnerbein traf ihn im Gesicht. „Verzeiht, Meister Rudas, was habt Ihr gesagt?“

Der gesamte Tisch brach in Gelächter aus. Bryzos lief erneut rot an. Das Lachen der Zwillinge war so bezaubernd, dass es ihm regelrecht Gänsehaut bereitete.

„Was zur Hölle hast du eigentlich den ganzen Tag in Keirpara gemacht! Ich wundere mich, dass ihr da drüben nicht den ganzen Tag über eure eigenen Füße fallt!“, blaffte Rudas, was das Gelächter noch weiter anheizte. „An sich ist mir das ja egal. Aber hier weht ein anderer Wind, Freundchen. Was ich sagte, war: Diese drei Mädchen sind meine Töchter. Dies hier ist Kira“, woraufhin das rothaarige Mädchen nickte und lächelte, „und die anderen beiden Schönheiten hier“, er wies auf die Zwillinge, „sind Ida und Ilis. Alle drei sind mein ganzer Stolz und der Stern meines noch verbliebenen Auges. Wenn du dich auch nur wagst, sie länger als drei Sekunden anzuschauen, geschweige denn sie anzutatschen, werde ich mich vergessen. Hast du verstanden?“ Er blickte ernst zu seinen Töchtern, die ihn anstrahlten. „Ich werde dafür sorgen, dass du es bereust, denn ich werde dir deinen Schwanz abschneiden, bevor ich dich umbringe. Und nicht, dass wir uns hier falsch verstehen; dies sind die Anweisungen deines Vaters. ‚Erinnere ihn an den verdammten Glyptos‘, waren seine Worte, wenn ich mich recht erinnere. Ich rate dir, dich daran zu halten, denn für gewöhnlich lasse ich meinen Worten auch Taten folgen.“

Bryzos wusste, dass Rudas es ernst meinte. Mit jemandem, der damit drohte, anderen Leuten das Gemächt abzuschneiden, sollte man besser keine Scherze treiben. Offensichtlich war die Familie Rudas Tonfall gewohnt; die Zwillinge schienen zumindest nicht besonders verwundert über seine Ausdrucksweise. Immerhin war man hier auf dem Land.

Sofort antwortete Bryzos: „Jawohl Hauptmann, vielen Dank, dass Ihr mich in Euer Haus aufgenommen habt. Ich werde die Ehre Eurer Töchter mit meiner eigenen verteidigen. Darauf habt Ihr mein Wort.“

Daraufhin lächelten die Zwillinge wieder, und plötzlich fiel es dem Prinzen nicht mehr allzu schwer, das Kitzeln in seiner Lendengegend zu unterdrücken.

„Gut, du bist gewarnt. Frauen, räumt den Tisch ab, ich würde gerne noch etwas trinken, bevor ich ins Bett gehe.“

***

Der nächste Morgen begann so gar nicht, wie der Prinz es gewohnt war. Rakas erwachte bereits vor Sonnenaufgang, zu einer Tageszeit, die Bryzos nicht wirklich geläufig war, schlüpfte in dieselbe Tunika, die er gestern bereits getragen hatte, und machte sich auf den Weg zu den Pferden. Zum Glück keinen Kater, dachte Bryzos. Einen feinen Eindruck hätte er hinterlassen, wenn ihn jemand hier in seinem gestrigen Zustand gesehen hätte. Er gähnte, warf die Decke zur Seite und schwang seine Füße aus dem Bett. Zunächst war er etwas orientierungslos, obwohl er daran gewöhnt war, in anderer Leute – genauer gesagt in anderer Frauen – Betten aufzuwachen; dies geschah jedoch selten zu einer solch götterlosen Tageszeit.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sich sein Leben gestern von einen auf den anderen Tag radikal geändert hatte: Als er gestern Morgen, oder –um ehrlich zu sein – gestern Mittag aufgewacht war, war er ein Prinz der Dolonker gewesen, hatte zwei Kisten voll edler Kleidung, hübschem Schmuck, der seine Vorzüge zur Geltung brachte, und ein Schwert besessen und konnte sich bei den Pferden und Sklavinnen des Königs bedienen, wann immer ihm gerade der Sinn danach stand. Nun war er nicht mehr als ein Stallgehilfe, der die Kammer mit dem Bediensteten des Dorfhauptmannes teilte.

„Morgen, Meister Bryzos“, sagte das Sklavenmädchen, das sie gestern bei Tisch bedient hatte, und trat ein ohne anzuklopfen, womit sie Bryzos aus seinen Tagträumen riss.

Obwohl sie nur eine Sklavin war, verspürte Bryzos plötzlich das dringende Bedürfnis, seine Blöße zu bedecken.Er hatte wie immer nackt geschlafen. Und obwohl er sonst kein großer Freund von Sittsamkeit war, schien sie ihm in diesem Moment angebracht.

Das Mädchen lächelte und sagte „Ich sein Nane. Rakas wohl schon verschwunden, wie ich sehen. Das hier für dich zum Anziehen. Du kommen in große Halle zum Frühstück, ja?“

Sie ließ eine frisch gewaschene Tunika und einen Gürtel aus Seil auf sein Bett fallen und schlüpfte wieder zur Tür hinaus. Die Art von Vertrautheit, mit der Nane über Rakas gesprochen hatte, gab ihm den Eindruck, dass die beiden mehr verband als nur Freundschaft. Also gibt es hier wohl doch das ein oder andere Schäferstündchen, dachte Bryzos grinsend, zog seine Tunika an und ging zum Frühstück.

Beim Essen unterrichtete Rudas Bryzos, Ieter und Rakas über die Vorhaben der folgenden Tage. Zum ersten Mal bemerkte Bryzos die Narbe auf der Schulter von Ieter, welche ein Zackenmuster über zwei breiten Balken bildete. Rudas erklärte, dass alle drei ihn zum Hauptmann des Nachbardorfes begleiten würden. Der König hatte ein Treffen angeordnet, bei dem sich alle freien Dolonker und seine griechischen Untertanen der nordwestlichen Chersonnesos zählen lassen sollten.

Nachdem sie ihr Mahl beendet hatten, was aus Resten des Brotes von gestern, kalter Bohnensuppe und einem Stück Ziegenkäse bestand, gab Rudas Bryzos eine Lederscheide, in der ein kleines Messer steckte.

„Nun, soweit ich sehen kann, bist du noch kein richtiger Krieger. Trotzdem sollte ein freier Mann nicht ohne Klinge aus dem Haus gehen. Gebrauche es weise!“ sagte er barsch, offensichtlich nicht davon überzeugt, dass Bryzos sich daran halten würde.

Der Prinz dankte ihm und befestigte das Messer an dem Seil, welches ihm als Gürtel diente, denn seltsamerweise war sein Ledergürtel mitsamt seiner Tunika über Nacht verschwunden. Danach waren sie bereit zum Aufbruch, denn Rakas hatte sich selbstverständlich bereits um die Pferde gekümmert. Bryzos wurden die Zügel einer unbegeistert dreinblickenden, rotbraunen Stute in die Hand gedrückt, und sie ritten los, mit Rudas an der Spitze.

Nach einem kurzen Ritt durch einen kleinen Pinienwald erklärte Rudas, sie seien nun in Kurtabria, einem Ort mit dem recht offensichtlichen Namen „Baumhaindorf“. Sie stiegen nicht ab, was Bryzos darüber nachdenken ließ, warum der Hauptmann gestern von seinem Pferd gestiegen war, bevor sie Sonketa erreicht hatten. Vielleicht, weil er dort zuhause war? Oder wollte er den Rest von Bryzos Ehre bewahren und ihn nicht als einfachen Diener dastehen lassen, der laufen musste, während sein „Herr“ auf einem Pferderücken saß? Langsam aber sicher lernte er den lakonischen Hauptmann zu schätzen.

Zu dieser Tageszeit waren die meisten der Dorfbewohner freilich schon zu ihren Feldern, Gärten und Schafen aufgebrochen. Rudas führte die kleine Gruppe die Hauptstraße entlang, vorbei an nachlässig eingezäunten Gemüsebeeten, auf denen Bohnen, Trauben, und der ein oder andere Olivenbaum wuchsen, und Trampelpfaden, die zu den eigentlichen Bauernhäusern führten. Endlich blieben sie vor dem Garten eines großen, einstöckigen Gehöfts stehen. Rudas stieg vom Pferd, drückte Rakas wortlos die Zügel in die Hand, lief hinüber zum Haupteingang und klopfte an.

Daraufhin öffnete ein Bediensteter, ein thrakischer Junge, und sagte: „Hauptmann Rudas! Oh, und Ieter! Wie kann ich Euch zu Diensten sein?“

„Wir sind hier um den Herrn des Hauses zu treffen, Hauptmann Saimas“, sagte Rudas mit lauter Stimme. Offensichtlich war diese Information für Bryzos bestimmt. „Sei so gut, schicke jemanden nach den Pferden und sag ihm, dass ich hier bin.“

Der Junge nickte und schloss die Tür.

Rudas bedeutete Rakas, abzusteigen, und Ieter und Bryzos taten es ihm gleich. Rakas und der Prinz führten die Pferde in den Garten, während Ieter seinem Vater folgte.

Als sie wieder zu Rudas und Ieter stießen, öffnete sich die Tür erneut, und ein weiterer thrakischer Diener, diesmal der Stallbursche, trat hinaus, nickte dem Hauptmann zu, sagte „Kommt mit, ihr beiden, wir werden euren Pferden etwas zu trinken geben“, und führte Bryzos und Rakas zu den Ställen, die hinter dem Haus lagen. Hier banden sie die Pferde an einem Balken fest, unter dem ein mit Wasser gefüllter Trog stand, aus dem die Pferde trinken konnten.

„Und wir“, fragte Bryzos, „bekommen wir nun auch etwas zu trinken?“, woraufhin Rakas schelmisch grinste.

Aus einer der zahlreichen Falten seiner Tunika zog er eine Lederflasche, entkorkte sie und wedelte damit vor ihren Nasen herum, damit sie das feine Bouquet riechen konnten.

„Keine Sorge, Bryzos, ich habe noch nie gesehen, dass Antzeri sich vor einem ordentlichen Schluck Brytos gedrückt hätte. Stimmt’s, alter Knabe?“

Der andere Junge nickte, nahm den ersten Schluck, seufzte zufrieden und leckte sich die Lippen.

„Dies, meine Freunde, ist das beste Bier des Hauptmanns, und nur für die Bediensteten – nicht diese ekelhafte Drecksbrühe, die er seinen geschätzten Gästen vorsetzt.“