THRAX - Kriegerschicksal - David J. Greening - E-Book

THRAX - Kriegerschicksal E-Book

David J. Greening

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Beschreibung

Von ihren Verbündeten mitten im winterlichen Feindesland im Stich gelassen, erreicht das Griechische Expeditionskorps ein Hilferuf von der Insel Chersonnesos. Ständig von Verrat in den eigenen Reihen, den Angriffen feindlicher Stämme und der Gefahr eines persischen Hinterhalts bedroht, müssen die Griechen und ihre bunt zusammengewürfelte Truppe wieder zurück nach Westen eilen, um den Bewohnern dort zur Hilfe zu eilen. Und dort muss sich Thrax einem alten Feind stellen, einem Mann der alles Menschliche abgeworfen hat und zu etwas viel Schrecklicherem geworden ist…dem Minotaurus.

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Inhaltsverzeichnis

Bisher erschienen

Danksagung

Bithynien

Lampsakos

Farnabah

Chersonnesos

Minotauros

Dingavas

Sestos

Sturm

Paraplexis

Belagerung

Atarneus

Tore

Epilog

Nachwort

Dramatis Personae

Glossar

Ein Schreibstark Buch

Copyright © 2022 by David J. Greening

Titelbild by Kostas Nikellis

Umschlaggestaltung von Martin Henze, Karte von David Toalster

Aus dem Englischen übertragen von David Toalster

kosv01.deviantart.com

SCHREIBSTARK

An imprint of

Schreibstark Verlag der Debus und Dr. Kuhnecke GbR

Saalburgstraße 30

61267 Neu-Ansbach

ISBN XXX

Printed in Germany

by Amazon Distribution GmbH, Leipzig

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Thrax: Buch Drei

Kriegerschicksal

David J. Greening

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David J. Greening wurde im Jahr 1969 n.Chr. in Karachi geboren, ging kurz auf Malta in den Kindergarten und wuchs in Deutschland auf. Nach Tätigkeiten als Tellerwäscher, Bauarbeiter und Küchenhilfe, sowie einer Reihe von anderen Jobs, erlernte er den Beruf des Landschaftsgärtners, bevor er Alte Geschichte in Frankfurt am Main studierte. Nachdem er sein Studium 2004 mit dem Magister abgeschlossen hatte, legte er 2007 eine Dissertation nach. Er arbeitet zurzeit als Lehrkraft an einer Schule und ist zusätzlich Lehrbeauftragter für Alte und Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt. Er wohnt zusammen mit seiner Frau, drei Söhnen und einem Hund in einem kleinen Dorf in Mittelhessen in einem 1615 erbauten Haus.

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Für Inka

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Bisher erschienen

Thrax Buch I: Kriegerdämmerung

Thrax Buch II: Söldner von Sparta

Thrax Buch III: Kriegerschicksal

Ebenfalls von David J. Greening

Kyniska, Prinzessin von Sparta

Die Prinzessin und der Schlüssel

Der Prinz und der Schlüssel

Danksagung

Wie so oft ist dies eine gute Stelle, um mich bei einer Reihe von Menschen zu bedanken, die mir beim Schreiben dieses Buches geholfen haben. Zuallererst möchte ich meiner Agentin Nadia Micheilis für ihre harte Arbeit danken, die sie vor so langer Zeit geleistet hat, um das ganze Buch auf den Weg zu bringen, bei Dr. Frank Billek, Elmar Köhler, Paul Theissen, Nina Merget und vor allem Marco Fernschild für ihre Hilfe dabei das Manuskript in etwas zu verwandeln, das halbwegs einem Roman ähnelt, Jari Theissen für sein Feedback zu medizinischen Fragen, Sabina Polski für ihre großartige Unterstützung sowie meinem Verleger Marc Debus. Außerdem möchte ich meinem griechischen Freund Kostas Nikellis für sein großartiges Titelbild und Martin Henze für seine Hilfe bei der Karte und seine Umschlaggestaltung meinen Dank aussprechen. Zu guter Letzt möchte ich mich bei meiner Frau Inka bedanken, dass sie mich nicht nur in meinem Kopf spazieren gehen lässt. Sondern auch wieder in die Realität zurückholt.

Alle Fehler, welcher Art auch immer, sind allein meine.

Kleinasien

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David J. Greening

Kriegerschicksal

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Bithynien

Es war kalt. Als Bryzos noch ein Prinz auf der thrakischen Chersonnesos gewesen war, hatte er sich Asien immer warm vorgestellt, oder zumindest wärmer als seine Heimat. Aber jetzt war er in Asien, stand knöcheltief im Schnee mitten auf einem Feld, das von Zelten und Männern bedeckt war, zwischen denen hier und da ein Lagerfeuer zu finden war. Bryzos sah sich um: Überall um ihn herum waren Soldaten, ihr Atem zeichnete sich als dichte Wolken im schwachen Sonnenlicht des frühen Morgens ab. Doch selbst diese harten, kampferprobten Männer wirkten verloren in der ganz in Weiß gehüllten Landschaft, die sie umgab. Die Männer zogen ihre Umhänge eng gegen die Kälte um sich oder versuchten, sich an einem der kleinen Feuer zu wärmen, während alle geduldig darauf warteten, dass ihr Kommandanten eine Rede hielt.

Natürlich war er inzwischen nicht mehr Bryzos, der thrakische Prinz, sondern Thrax, der Thraker. Er war auf jeden Fall der einzige Thraker in seiner Einheit von Peltasten, einem Lochos leichtbewaffneter arkadischer Fußsoldaten, der gegenwärtig etwa zweihundert Mann stark war. Nicht, dass er damals bei der Rekrutierung etwa die Wahl gehabt hätte. Dennoch hätten die Dinge für Thrax auch sehr viel schlimmer sein können. Es war ihm gelungen seinem mordgierigen Bruder zu entkommen, der sich selbst zum König gemacht hatte, nachdem er den Rest seiner Familie, einschließlich ihres Vaters König Ozrykes, umgebracht hatte. Und hier in Asien hatte er bei diesen seltsamen griechischen Söldnern immerhin sowohl neue Freunde als auch Arbeit gefunden.

Thrax zitterte und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Offizier, der sich gerade anschickte zu ihnen zu sprechen: Megalias, ‚der Alte‘, Kommandant einer Einheit leichtbewaffneter Söldner, die derzeit beim ‚Griechischen Expeditionskorps‘ angeheuert hatten, der spartanischen Armee, die in Kleinasien gegen die Perser kämpfte. Zunächst war der Feldzug erfolgreich gewesen: Das spartanische Oberkommando hatte über den Winter nicht nur einen Waffenstillstand mit den Persern aushandeln können, sondern hatte sich auch mit den Odrysen, einem der mächtigsten thrakischen Stämme, gegen deren Erzfeinde, die Bithynier, verbündet. Zahlreiche Dörfer und Gehöfte waren geplündert und große Mengen an Beute gemacht worden. Dann jedoch waren die Plünderer verraten und ihr Lager selbst gebrandschatzt worden. Über zweihundert Mann wurden hierbei im Schlaf in ihren Zelten niedergemacht. Was als Nächstes passieren würde, konnte man nur vermuten, aber zumindest im Moment waren sowohl die Moral der Truppe als auch die Vorräte auf dem absoluten Nullpunkt.

Er seufzte und schüttelte den Kopf, da wurden seine Grübeleien von ihrem kommandierenden Offizier unterbrochen.

„Männer“, sagte Megalias mit ruhiger, fester Stimme, die laut genug war, um alle Anwesenden zu erreichen, „ich werde nicht versuchen, hier ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Wir stecken tief in der Scheiße.“

Sofort brach überall Tumult aus. Thrax nickte sich selbst zu, zuckte mit den Achseln und zog seinen Umhang gegen die Kälte enger um die Schultern. Die Lagerfeuer waren nur noch klein, da der Armee langsam das Feuerholz ausging und auch die Lebensmittelvorräte waren inzwischen auf zwei Portionen Getreidebrei pro Tag geschrumpft. Inzwischen war es offensichtlich, dass die Männer, die Armee und möglicherweise der gesamte Feldzug in ernsthaften Schwierigkeiten steckten.

„Diese Unternehmung“, fuhr Megalias fort, wobei er seine Stimme erhob, was die Gespräche schnell abklingen ließ, „ist nicht ganz so gut gelaufen, wie der Chef gedacht hatte.“

‚Der Chef‘, das war Derkylidas, der spartanische Oberbefehlshaber des Griechischen Expeditionskorps. Die Männer um Thrax murmelten und nickten zustimmend, während sie darauf warteten, dass Megalias fortfuhr.

„Es ist mitten im Winter. Uns gehen bald die Vorräte aus, unsere Verbündeten scheinen uns im Stich gelassen zu haben, der größte Teil der Beute unseres Feldzuges ist verloren und…“

Diesmal konnte Megalias seinen Satz unter dem Getöse der Menge um ihn herum nicht beenden. Das war in der Tat eine böse Überraschung, dachte Thrax und schüttelte den Kopf. Eine harte Söldnertruppe wie die von Megalias war schlechtes Wetter, schlechtes Essen und schlechte Gesellschaft gewohnt. Aber wenn jetzt auch die Beute aus dem Feldzug verlorengegangen war hatten die Männer nun überhaupt nichts mehr für ihre Mühsal vorzuweisen. Thrax fragte sich, was mit ihren vermeintlichen odrysisch-thrakischen Verbündeten geschehen war, aber Megalias fuhr bereits fort.

„Gestern traf ein odrysischer Gesandter ein, und heute Abend findet ein Treffen mit ihnen statt.“

„Scheiß auf alle Thraker!“, rief jemand, was ihm zustimmendes Gejohle und gemurmelte Zustimmung von einigen Anwesenden einbrachte.

Hierauf richteten einige der Anwesenden ihre Augen auf Thrax, der durch seinen bunt gemusterten, farbigen Umhang sofort als Thraker zu erkennen war.

„Trotz dieses Treffens hat der Chef mich und die anderen Offiziere gestern Abend zu einer Beratung einbestellt. Es wurde beschlossen, dass je früher wir zur Küste aufbrachen, desto besser“, ignorierte Megalias den Einwurf und fuhr fort. „Uns wurde gesagt, dass die Einwohner der schönen Stadt Lampsakos sich darauf freuen, ihre griechischen Befreier mit Geld zu überschütten und nur allzu bereit sind, alle anderen Wünsche zu erfüllen, die wir haben könnten“, fuhr er fort, um dann kurz innezuhalten. „Ich sage euch, Männer, ich glaube denen da oben kein Wort! Aber wenigstens lassen wir alle diesen verdammten Schnee hinter uns und sind dann irgendwo, wo wir uns nicht mit Eingeborenen herumschlagen müssen, die uns in der Nacht überfallen!“

Daraufhin fingen alle auf einmal an zu reden. Megalias gab den Männern etwas Zeit die Angelegenheit zu besprechen, da die Lage der Armee allen Anwesenden nur zu offensichtlich war.

„Ich weiß nicht einmal, wo dieses verdammte Lampsakos sein soll“, murmelte ein junger Mann neben Thrax und drehte sich zu ihm um.

Es war Grinser, sein Zeltkamerad, dessen Spitznamen von einer Narbe herrührte, die vom Mundwinkel aufwärts über die linke Wange fast bis zum Auge verlief und sein Gesicht zu einem Dauergrinsen zwang.

„Im Norden der Troas, an der Südküste des Hellespontos, gegenüber der Chersonnesos-Halbinsel“, antwortete ein Mädchen.

Seinen ungläubigen Gesichtsausdruck erwiderte sie umgehend mit einem finsteren Blick. Das war Zenia, Thrax persönliche Dienerin, ein persisches Mädchen, das er während der Besetzung der Stadt Gergis durch die Armee vor einigen Monaten erworben hatte. Obwohl sie in der Tat ein sehenswerter Anblick war, weigerte sie sich meistens tatsächlich hartnäckig ihm auch zu dienen oder irgendwelche Arbeiten zu verrichten, war eine miese Köchin und insgesamt keine gute Gesellschaft.

„Woher weißt du, wo…“ begann er, wurde aber von Megalias unterbrochen, der schon wieder fortfuhr.

„Ich weiß, wir hatten gehofft, dass sich die Dinge für uns alle profitabler gestalten würden, aber so ist es nun einmal, Männer. Also, esst gut und fangt an zu packen, denn wenn wir morgen aufbrechen, dann bilden die Arkadier die Vorhut. Weggetreten!“

Sofort begannen die Männer um sie herum, sich in Richtung ihrer jeweiligen Zelte und Lagerfeuer, mit der Hoffnung auf ein anständiges Frühstück zu zerstreuen, bis der Befehl kommen würde, das Lager abzubrechen. Thrax nickte Grinser zu, und die beiden stapften zusammen mit Zenia durch den Schnee zurück zu ihrem eigenen Zelt.

„Was ist jetzt mit den Odrysen?“ fragte Grinser. „Was machen die, wenn wir alle einfach abziehen? Du weißt schon, ohne uns zu verabschieden?“

Thrax zuckte bei dieser Bemerkung nur düster mit den Schultern. In der Tat, was würden die Odrysen jetzt tun? Schon seit einiger Zeit hatte niemand mehr etwas von ihnen gehört. Er selbst war mitten in die Kämpfe geraten, als ihr Lager nachts angegriffen, die Beute gestohlen und die Männer im Schlaf niedergemacht worden waren. Er musste noch immer wegen der Speerwunde hinken, die er bei dem Angriff erlitten hatte. Und nicht nur das, er war sich auch ziemlich sicher, dass einer der spartanischen Befehlshaber zusammen mit einem der odrysischen Offiziere dafür verantwortlich gewesen war, dass sie überhaupt in dieses Desaster hineingeraten waren.

Thrax öffnete den Mund, um zu antworten, wurde aber durch einen Klaps auf die Schulter zum Schweigen gebracht.

„Du nicht, Thraker“, sagte Megalias und tauchte aus dem Nichts auf, so dass die beiden sofort stehen blieben. „Oros will einen Thraker bei seiner Gruppe, wenn sie ausreiten.“

Thrax blickt seitwärts zu Grinser, während Zenia nur mit den Achseln zuckte und die drei einfach dort stehen ließ. Oros war der Befehlshaber der berittenen Kundschafter. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, aber Befehl war schließlich Befehl. Stattdessen nickte er, woraufhin Megalias die Geste erwiderte, sich umdrehte und sie ohne ein weiteres Wort genauso plötzlich wieder verließ, wie er eben erschienen war.

„So so, die berittene Aufklärung“, sagte Grinser. „Wenigstens bekommst du da ein anständiges Frühstück statt Zenias verbrannten Haferbrei. Keine Sorge, wir kümmern uns schon ums Packen, Kumpel“, sagte er mit einem breiten Grinsen, wobei die Narbe auf seiner linken Wange sein Gesicht in eine groteske Fratze verwandelte.

Sie ergriffen einander an den Unterarmen. Dann drehte Grinser sich um und machte sich auf den Weg zu ihrem Lagerplatz und ließ Thrax allein im Schnee stehen. Für einen Augenblick stand Thrax da und sah sich um. Überall waren die Männer entweder am essen, sie packten oder taten beides und bereiteten sich auf den Marsch der Armee nach Lampsakos vor, sobald der Befehl dazu kam. Das Griechische Expeditionskorps war immer noch etwa fünftausend Mann stark, und es würde einige Zeit dauern, bis diese alle in Gang kämen. Er zuckte mit den Achseln und seine linke Hand ging instinktiv zu seinem Glücksmesser, das er an der linken Hüfte trug, dann nickte er schweigend vor sich hin. Er holte tief Luft, straffte die Schultern und versuchte sich auf das vorzubereiten, was ihn erwarten würde. Wenigstens würde er auf einem Pferd sitzen, anstatt zu Fuß durch den Schnee stapfen zu müssen, dachte er. Thrax nahm einen tiefen Atemzug und wandte sich Richtung Pferdekoppel um, als es wieder zu schneien begann.

***

„Mmmh“, murmelte der Reiter zu seiner Rechten leise und zeigte in Richtung eines kleinen Buchen- und Eichenhains direkt vor ihnen.

Thrax blickte sich um, nickte und ritt vorwärts, um so geräuschlos wie möglich nachzuschauen. ‚Schweigen‘, das war das Wort für diese Männer. Thrax selbst hatte als berittener Aufklärer in der Armee seines Vaters gedient, aber diese Männer… nun, sie hatten es einfach drauf, das musste er widerwillig zugeben. Sie sprachen fast nie und auch dann nur, wenn es absolut notwendig war. Zusammen mit einigen anderen waren er und Erimanthos ausgesucht worden als Vorreiter zu fungieren, das Gebiet noch vor Oros und den anderen Spähern auszukundschaften und weit vor der eigentlichen Armee zu reiten. Der Mann auf dem Pferd neben ihm war einer von Oros erfahreneren Spähern. Er war wesentlich älter als Thrax, aber er war verdammt gut bei dem, was er tat. Während Erimanthos stehenblieb und seinem Pferd sanft – und geräuschlos – den Hals tätschelte, ritt Thrax auf die Bäume zu. Da es bisher den ganzen Morgen sanft geschneit hatte, waren alle Spuren der anderen Männer, ob Freund oder Feind, schnell verwischt und unter einer dichten, weißen Decke verschwunden. Unter den Bäumen lag aber natürlich kein Schnee.

Was hatte er gesehen? fragte sich Thrax. Er glitt von seinem Reittier und landete mit einem Knirschen im Schnee. Er sah sich um. Nichts. Es waren weder Fuß- noch Hufabdrücke im Schnee zu sehen, und wäre hier irgendjemand entlanggekommen, so wären die Spuren inzwischen längst verwischt. Er streichelte sein Pferd und blickte zurück zu Erimanthos, aber der Mann nickte lediglich und zeigte wieder auf die Bäume vor Thrax. Achselzuckend schritt er so leise wie möglich voran. Die Schneeverwehung hier reichte bis zur Mitte seiner kniehohen Reitstiefel, robuste thrakische Embades, die auch bei diesem Wetter trocken und warm blieben.

Die Äste der Buchen waren größtenteils kahl, während die Eichen noch immer den größten Teil ihrer braunen, verschrumpelten Blätter behalten hatten, die jetzt mit Schnee bedeckt waren. Er kam bis zu den untersten Ästen und schaute sich um, konnte aber immer noch nicht sehen, was Erimanthos entdeckt hatte. Als er sich umdrehte, blickte er zum Kundschafter zurück und zuckte mit den Achseln. Anstatt zu antworten, schüttelte der Mann lediglich angewidert den Kopf und ritt mit seinem Pferd ein paar Schritte näher heran. Er ergriff den Bogen und den Köcher, die nach skythischer Art an seinem Gürtel hingen, und glitt elegant von seinem Pferd. Es gab kein Geräusch, selbst als die Füße des Mannes auf den gefrorenen Schnee trafen. Erimanthos näherte sich, ging wortlos an Thrax vorbei und… und dann konnte auch Thrax es sehen. Auf einem der unteren Eichenzweige, etwa in Brusthöhe, befand sich etwas, das ein wenig wie ein zerrissenes Spinnennetz aussah. Aber anstatt weiß und mit Schnee bedeckt zu sein, war es rötlich-braun.

„Pferdeschweif“, sagte Erimanthos und pflückte vorsichtig das Haarbüschel vom Ast. „Pferde anbinden“, fügte er hinzu und duckte sich zwischen den Bäumen hindurch, ohne auf eine Antwort von Thrax zu warten.

Thrax atmete frustriert aus. Er war gewogen und in den Augen des älteren Aufklärers offensichtlich als zu leicht befunden worden. Er drehte sich um, ergriff die Zügel der Pferde und band sie am nächsten Ast fest, spitzte die Lippen und folgte dann seinem Vorgesetzten zwischen die Bäume hindurch. Zuerst war nichts zu sehen: Heruntergefallene Blätter, etwas Schnee, der sich durch das Labyrinth der halbleeren Äste über ihnen den Weg zum Boden gebahnt hatte, hier und da gefrorener Schlamm.

„Da“, sagte Erimanthos leise und deutete auf einen Haufen Pferdeäpfel unter einem Baum. „Losung. Die Drecksäcke dachten, wir würden das übersehen. Haben sich wohl geirrt“, fuhr der Kundschafter in einem ungewohnten Anfall von Redseligkeit fort, der Thrax überrascht die Augenbrauen hochziehen ließ.

Zu seiner weiteren Überraschung bedeutete der Mann ihm nun ungeduldig herzukommen, während er sich neben dem kleinen Kothaufen niederließ. Thrax kam näher, hockte sich neben ihn und wartete auf weitere Befehle. Als er dort jedoch untätig abwartete, sah Erimanthos ihn nur fragend an, worauf Thrax dessen Blick allerdings nur erwidern konnte. Was zur Hölle wollte der Mann nun von ihm? Sollte er etwa die verdammte Pferdescheiße befummeln?

Anstatt noch mehr Worte zu verschwenden, rollte Erimanthos genervt mit den Augen und bohrte vorsichtig seine Fingerspitze in die Mitte des Haufens. Thrax schüttelte den Kopf. Als Stallbursche und auch später als rangniedrigster aller rangniedrigen Mitglieder der griechischen Armee hatte er genug Zeit damit verbracht, Scheiße zu schaufeln. Damals, wie auch jetzt, fühlte er keinen wie immer gearteten Drang danach das Zeug tatsächlich anzufassen. Und so war er völlig erstaunt, als Erimanthos einfach seine linke Hand nahm und seine Finger zwischen die faustgroßen Kugeln schob. Thrax warf dem Kundschafter einen angewiderten Blick zu und wollte instinktiv seine Hand zurückziehen, wurde aber von Erimanthos Stimme unterbrochen.

„Lerne, Junge. Wie warm ist es?“, fragte er streng und noch leiser als zuvor, wobei er Thrax Hand mit einem für einen Mann seines Alters erstaunlich starken Griff in dem Haufen festhielt.

Thrax beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit stattdessen lieber auf die Temperatur des Misthaufens. Nur um dann plötzlich die Augen weit aufzureißen: Er war noch warm.

„Ja, Junge. Sie sind hier immer noch irgendwo.“

Verdammt, dachte Thrax. Wie viele, Freunde oder Feinde, Odrysen oder Bithynier? Und würde es eigentlich einen Unterschied machen, welchem thrakischen Stamm sie begegneten? Und überhaupt, wie viele von ihnen waren dort, und…

Erimanthos ließ Thrax Handgelenk los und erhob sich in einer fließenden Bewegung aus der Hocke, wischte seine rechte Hand am Bein seiner Reiterhose ab und unterbrach für den Augenblick jede weitere Untersuchung. Er schaute sich um, und Thrax zog schnell seine Finger aus dem Misthaufen, wischte sie in einem Schneefleck ab und stand ebenfalls auf. Im verschwommenen Licht unter den Bäumen konnte er nun hier und da einen Hufabdruck sehen, aber mehr nicht.

„Was meinst du, wie viele…?“, begann er, aber Erimanthos erhob bereits seine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Thrax nickte und hielt sofort den Mund. Einen Moment lang standen die beiden da und lauschten. Der erfahrene Kundschafter blieb still stehen, offensichtlich ganz auf die Geräusche um sie herum konzentriert. Thrax versuchte, seinem Beispiel zu folgen und atmete so flach wie möglich, bis er das Gefühl hatte sein eigenes Herz schlagen zu hören, aber er konnte immer noch nichts ausmachen. Wortlos neigte Erimanthos den Kopf und ging zu ihren Pferden zurück. Thrax schluckte und fragte sich, ob der Mann vielleicht etwas gehört haben mochte, was ihm entgangen war. Er beschloss besser schnell dem Kundschafter zu folgen. Sie waren gerade dabei, den Schutz der Bäume zu verlassen, als eines ihrer Pferde schnaubte.

„Scheiße“, rief Erimanthos, bleckte die Zähne und ging sofort hinter der nächsten Buche in Deckung.

Ohne irgendwelche offensichtlichen Anzeichen von Nervosität griff er nach seinen Bogen und legte einen Pfeil auf. Einmal mehr wurde Thrax klar, dass er schon wieder unzureichend bewaffnet war. Er war zwar ein guter Schütze, aber ein Bündel auf den Rücken geschnallte Wurfspieße war kaum etwas, das er als Kundschafter leicht hätte transportieren können, ohne ständig überall hängenzubleiben, wenn er lautlos durch die Wälder reiten wollte. Wenigstens hatte Oros ihm ein anständiges Schwert geliehen, so dass er zur Abwechslung mal nicht nur auf sein Glücksmesser angewiesen war.

Sie warteten. Thrax schaute hinaus und sah, dass es aufgehört hatte zu schneien. Ihre beiden Reittiere standen untätig herum, direkt hinter ihnen, kaum einen Steinwurf entfernt. Eines der Pferde begann mit dem Huf am Boden zu scharren, auf der Suche nach ein paar trockenen Grasresten. Die umliegenden Äste würden sie vor allen neugierigen Augen verbergen, die in ihre Richtung blickten. Aber die beiden Reittiere würden einem feindlichen Spähtrupp nicht nur anzeigen, dass sich jemand hinter den Bäumen versteckte, sondern auch, mit wie vielen Männern sie es zu tun haben würden. Einige Zeit lang geschah nichts. Erimanthos kauerte nur dort, seine Augen suchten die schneebedeckten Hügel ab, die sie auf ihrem Weg hierher überquert hatten, sowie die Baumreihe auf einem Hügel zu ihrer Linken, vielleicht einen Bogenschuss entfernt. Es gab kein weiteres Geräusch. Erimanthos holte ebenso tief wie leise Luft, erhob sich und winkte dann Thrax zu sich heran.

Er näherte sich so leise, wie er konnte, und versuchte, in seiner wachsenden Anspannung nicht über irgendeinen Ast zu stolpern. Sie spähten durch die Zweige, aber es war nichts zu sehen. Das ist doch lächerlich, dachte Thrax. Das Geräusch, das sie gehört hatten, kam von einem ihrer Tiere. Es war niemand in der Nähe, weder Freund noch Feind, weder zu Fuß noch zu Pferd. Erimanthos wurde wohl langsam ein bisschen zu alt für diese Aufgabe, dachte Thrax, schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Grinsen. Der Kundschafter nickte, blickte seitwärts zu Thrax und deutete mit dem Kinn nach vorne. Thrax bemerkte, dass der Späher immer noch seinen Bogen und einen Pfeil in der linken Hand hielt, aber er nickte einfach, und die beiden näherten sich ihren Pferden. Die beiden Tiere hatten inzwischen den Schnee von einem kleinen Fleckchen Erde geräumt und kauten friedlich auf dem trockenen gefrorenen Gras herum, das sie freigelegt hatten. Thrax band die Pferde los, reichte Erimanthos seine Zügel und tätschelte den Hals seines Pferdes, das daraufhin sanft an seiner Hand schnupperte. Erimanthos schwang sich mit seiner gewohnten, ruhigen Eleganz auf den Rücken seines eigenen Pferdes. Thrax wollte gerade dasselbe tun, als die Hölle losbrach.

Ohne jede Vorwarnung ging plötzlich eine Salve Pfeile auf sie nieder. Sofort fing Erimanthos Pferd zu wiehern und warf den Kundschafter ab. Thrax Reittier wieherte laut, stieg auf und riss ihm die Zügel aus den Händen. Irgendwie musste er das Tier einfangen, sonst wäre er als Nächster dran. Das in Panik geratene Pferd bäumte sich auf und schlug aus, und die umherpeitschenden Zügelenden trafen ihn seitlich am Kopf. Thrax krümmte sich vor Schmerz, Tränen schossen ihm in die Augen, seine Wange brannte und der Geschmack von Blut füllte seinen Mund.

„Steigst du wohl endlich auf?“ hörte er plötzlich Erimanthos Stimme über ihm.

Er richtete sich mit zitternden Knien auf, nur um dann zu spüren, wie er an seinem Umhang hochgehievt wurde. Irgendwie hatte es der Kundschafter nicht nur geschafft, Thrax Pferd zu beruhigen, sondern auch auf dessen Rücken zu steigen.

Ohne nachzudenken schwang sich Thrax auf das Reittier, das sofort angesichts des ungewohnten Gewichts nach Hinten auskeilte. Doch bevor Ross oder Reiter die Chance hatten, mit der Situation klarzukommen peitschte Erimanthos das Pferd bereits vorwärts. Als Thrax sich umdrehte, sah er, wie das andere Tier mit mehreren Pfeilen im Körper zu Boden fiel, wobei bereits eine neue Salve auf sie selbst niederging. Ohne zu zögern lenkte Erimanthos sein Pferd zwischen die Bäume.

Ein Pfeil traf einen Ast zu ihrer Linken, ein weiterer schlug zu ihren Füßen in den gefrorenen Boden ein, aber sie waren bereits unterhalb der ersten Bäume, fast außer Reichweite. Erimanthos trieb das Pferd an, ließ es nach Belieben ausschlagen oder sich aufbäumen, um es ihren Feinden so schwer wie möglich zu machen, sie zu treffen. Und dann hatte er das Tier endlich unter Kontrolle und sie ritten im gestreckten Galopp durch das Wäldchen. Erst jetzt bemerkte Thrax, dass Erimanthos ein abgebrochener Pfeil aus dem linken Schulterblatt herausragte.

„Runter! “ kam Erimanthos Stimme von vorne.

Bevor er reagieren konnte, scheuerte ihm ein Eichenast über den Schädel und riss ihm die Mütze vom Kopf.

Sterne explodierten vor seinen Augen, und ihm wurde schwindelig. Das Pferd sprang über ein unsichtbares Hindernis unter ihnen und Thrax fühlte, wie seine Finger vom Erimanthos Gürtel abrutschten.

„Halt dich fest, verdammt!“, rief der Späher, was Thrax schnell dazu veranlasste fester zuzugreifen.

Er schüttelte den Kopf und blickte dem Mann über die Schulter: Zwischen den Bäumen war deutlich Schnee zu erkennen. In wenigen Augenblicken wären sie jenseits der Bäume und wieder im Freien.

„Wohin jetzt?“, rief er.

Statt zu antworten, drehte Erimanthos das Pferd nach links, und das schneebedeckte Hügelland tat sich vor ihnen auf.

Als beider Männer Überraschung wurden die beiden plötzlich vom Rücken des Pferdes geworfen. Ihr Reittier selbst ging nach links in den Schnee zu Boden, während die beiden davongeschleudert wurden. Thrax prallte mit dem Gesicht auf dem gefrorenen Boden auf und konnte den Sturz lediglich mit seinem ausgestreckten Ellbogen ein wenig abfedern. Schnee drang ihm in Mund und Nase und bedeckte seine Augen. Glücklicherweise war er mit der rechten Hüfte auf dem Boden aufgekommen, anstatt mit der Linken aufzuschlagen, an die er seine beiden Waffen geschnallt hatte.

Der Schmerz war heftig, trotzdem zwang er sich aufzustehen und wischte sich den Schnee aus den Augen, um sich zu umzuschauen. Nur um dann zu sehen, dass der Kundschafter es wieder einmal irgendwie geschafft hatte, den Sturz besser zu verkraften als er selbst. Und obwohl Erimanthos noch im Schnee lag, zielte er bereits mit einem Pfeil auf etwas. Oder besser auf jemanden, wie Thrax feststellte, als er nach rechts blickte. Dort stand nämlich ein Bogenschütze, der genauso auf den Späher zielte. Er hielt den Atem an. Wenn er sich bewegte, würde er auf einmal zum Ziel dieses Mannes, auch wenn dies bedeutete, dass Erimanthos ihn danach niederstrecken würde. Regungslos hielten die beiden Schützen ihre Bögen voll gespannt, keiner von beiden wagte es, auch nur zu zwinkern, zu zucken oder in die andere Richtung zu blicken. Aber Thrax konnte bereits sehen, wie Erimanthos Arm anfing zu zittern und der Pfeil in seinem Schulterblatt schnell seinen Tribut forderte.

„Zur Hölle mit allen Thrakern“, sagte er nüchtern und schoss.

Doch das Zittern in seinem Bogenarm ließ den Schuss danebengehen. Der feindliche Bogenschütze drehte sich einfach zur Seite, um dem Pfeil auszuweichen.

„Du, du sein Grieche“, antwortete er auf Griechisch mit einem starken thrakischen Akzent.

„Ja, du Mistkerl, bin ich. Und jetzt bring es endlich hinter dich“, antwortete Erimanthos, gab dem Schmerz nach und ließ sich zurück in den Schnee fallen.

„Aber du, du kein Grieche“, sagte der Mann nickend, drehte sich um und zielte auf Thrax.

Er schluckte. Ihm wurde klar, dieser Mann war Thraker, das machte nicht nur sein Akzent, sondern auch seine Kleidung deutlich: der bunt gemusterte Umhang, die Filzkappe, die thrakischen Embades von der gleichen Art, die Thrax selbst trug. Aber war er nun ein Bithynier oder ein Odryse? Und würde das überhaupt einen Unterschied machen? Als er sich umsah, konnte er sehen, wie sich weitere Männer zu Pferd näherten, während ihr eigenes Reittier einfach schnaubend und zitternd dastand, mit einer Art Seilschlinge um den Hals.

„Von welchem Stamm bist du denn, Junge?“, fragte der Mann, ohne seinen Bogenarm auch nur im Geringsten zu entspannen.

Thrax atmete tief ein.

„Dolonker“, sagte er. „Ich bin Dolonker“, wiederholte er und ballte die Fäuste, auf das Schlimmste gefasst.

Einen Moment lang stand der Bogenschütze lediglich reglos da. Dann nickte er und entspannte langsam seinen Bogenarm. Erst dann bemerkte Thrax, dass er den Atem angehalten hatte.

„Tut mir leid, das mit Pferd“, sagte er, spuckte in den Schnee und steckte den Pfeil zurück in seinen Köcher.

***

Als Spartaner war Derkylidas natürlich ein guter Soldat. Aber er war auch ein tüchtiger Befehlshaber und daher keineswegs ein Mann, der eine gute List verschmähte, wenn sie zu seinem eigenen Vorteil war, und damit zum Vorteil der Armee. Deshalb hatte er aus seiner Armee eine kleine, handverlesene Gruppe von Nicht-Griechen ausgesucht und sie zu spartanischen Gardisten ausbilden lassen; eine Einheit, die als die ‚Muttersprachler‘ bezeichnet wurde. Allein dadurch, dass diese Männer bei Besuchen ausländischer Würdenträger Wache standen, waren sie in der Lage, deren Gespräche mitzuhören. Mehr als einmal hatte dies den Spartanern schon einen Vorteil sowohl gegenüber potenziellen Feinden als auch Verbündeten verschafft.

Nach seinem kleinen Abenteuer in den Wäldern von Bithynien kam Thrax die Situation immer noch etwas unwirklich vor. Kurz nachdem die odrysischen Kundschafter ihn und Erimanthos zurück ins Lager des Griechischen Expeditionskorps eskortiert hatten, wurde Thrax schon wieder zu den Muttersprachlern gerufen, da er ihr einziges thrakisches Mitglied war. Während also Erimanthos sofort medizinisch versorgt wurde, musste er nach ihrer Ankunft direkt zu den Kommandeurszelten humpeln. Dort waren er und die anderen Muttersprachler von einem Spartaner namens Nikandrippos, dem Kommandanten der Wache und Derkylidas rechte Hand, hastig in ein Zelt geführt worden. Dort hatte man ihnen befohlen, sich schnell und unauffällig in vollen spartanischen Ornat umzuziehen, um dann sofort wieder in den Schnee hinauszumarschieren, um vor einer Reihe von Offizierszelten Wache zu halten.

Und so stand Thrax jetzt, nicht einmal eine Stunde nach seiner Rückkehr ins griechische Lager, zusammen mit den anderen Männern stramm und versuchte sein Bestes, um wie der spartanische Elitegardist auszusehen, der er nicht war. Er hatte Schmerzen. Sein Kopf tat ihm von der Begegnung mit mehr als einem Ast weh, während ihm das aufrechte Stehen ständige Beschwerden in der Hüfte bereitete. Aber da die Spartaner ihre Verhandlungen nie im Geheimen abhielten, würden er und die anderen dort stehen bleiben müssen. Und zwar solange, bis die odrysischen Delegierten gegangen oder zumindest bis die Dinge geklärt worden wären, die es zu klären gab, was auch immer zuerst geschah.

Diener hatten unter einer Zeltplane mehrere Tische auf Böcken mit Bänken an zwei Seiten aufgebaut. Die beiden Delegationen würden einander gegenübersitzen, und die Gardisten waren auf der linken und rechten Seite der Anordnung stationiert. Als ihr einziger Thraker befand sich Thrax natürlich ganz links in der Reihe der Muttersprachler, so dass er jedes Gespräch in seiner eigenen Sprache mithören konnte.

„Wir wollen ja nicht, dass die irgendwie denken wir wären ihre Feinde“, hatte Nikandrippos geantwortet als einer der Muttersprachler die Sitzordnung kommentierte. „Die dummen thrakischen Bastarde könnten sogar darauf hereinfallen, wer weiß. Nichts für ungut, Thraker“, fügte er hinzu und gab Thrax einen Klaps auf die Schulter.

Während sie alle warteten kamen weitere Diener und gingen wieder, kümmerten sich um dieses oder jenes. Schließlich hörte Thrax irgendwo hinter den Reihen der hohen Offizierszelte, die ihnen die Sicht auf den Rest des Lagers versperrten, ein Pferd wiehern.

„Da sind sie, Jungs“, sagte der Gardist, „macht euch gerade!“

Wäre es möglich gewesen, noch strammer dazustehen als sie es ohnehin schon taten, hätten die Männer es sicherlich getan. Auch so versuchten einige von ihnen tatsächlich sich noch gerader hinzustellen. Zu seiner Rechten sah Thrax, wie eine Zeltklappe geöffnet wurde. Eine Reihe von Männern erschien und sie marschierten über den hartgefrorenen Schnee an der Ehrengarde vorbei. Wortlos begannen die Offiziere ihre Plätze einzunehmen, alle in der Reihenfolge ihres Ranges um Derkylidas gruppiert.

Aufgrund seines bisherigen Dienstes bei den Muttersprachlern waren Thrax die anwesenden leitenden Offiziere alle nur zu gut bekannt: An der Spitze des Tisches saß natürlich Derkylidas selbst, der Chef, Kommandant des Griechischen Expeditionskorps, die momentan aus fünftausend Mann bestand. Wie Thrax aus dem letzten Sommer wusste, würde diese Zahl in der Kriegssaison auf mindestens fünfzehntausend ansteigen. Viele Städte in Kleinasien würden ihnen noch Soldaten schicken und mehrere Söldnerkontingente, die über den Winter entlassen worden waren, würden zur Armee zurückkehren. Eine riesige Streitmacht, mehr Kämpfer, als er je gesehen hatte, während er noch in Thrakien war. Zu seiner Linken saßen Kleitos und Laios, leitende Stabsoffiziere und ebenfalls Spartaner. Neben ihnen befanden sich Athenadas, der Kommandant der wichtigsten Hopliteneinheit der Armee, Megalias, der Anführer von Thrax Einheit, und Oros, der Befehlshaber der berittenen Aufklärer; allesamt loyale Gefolgsleute von Derkylidas.

Zu seiner Rechten sah die Lage jedoch ganz anders aus. Direkt neben Derkylidas, aber immer noch so weit von ihm entfernt wie überhaupt möglich, saß sein spartanischer Stellvertreter Onomakles. Die Abneigung, die sie füreinander empfanden, grenzte an Hass. Thrax wusste, dass er nicht der einzige Anwesende war, der den Mann in irgendeiner Form des Verrats verdächtigte. Bislang hatte man ihm jedoch nichts nachweisen können, und er genoss weiterhin die starke Unterstützung Spartas, was Derkylidas dazu zwang, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Zu dessen Rechten saß Xenophon, der aufgeblasene athenische Kommandeur der ‚Kyreier‘, einer Söldnertruppe, die sowohl für ihre Tapferkeit auf dem Schlachtfeld als auch für ihren Hang zum wahllosen Niedermetzeln von Zivilisten, Feinden und Verbündeten gleichermaßen berüchtigt war. Ihr ehemaliger Befehlshaber war sogar nach Sparta zurückberufen worden, wo er der Beihilfe an zahlreichen Kriegsverbrechen für schuldig befunden und anschließend in Ungnade gefallen war. Diese Männer hatten nicht nur für ihre derzeitigen Feinde, die Perser, sondern auch für die Thraker und nun für die Spartaner gekämpft – wer auch immer am meisten bezahlt hatte. Söldner eben. Thrax schüttelte angewidert den Kopf.

Und ganz rechts schließlich saß Polykritos, Befehlshaber von dreihundert athenischen Reitern. Thrax schluckte trocken. Während Polykritos und seine Athener sich gerne als abenteuerlustige Edelmänner ausgaben, so wusste Thrax nur zu gut, dass er und seine Schergen Freund und Feind gleichermaßen vergewaltigt, gefoltert und getötet hatten. Aber eines Tages, da würde es eine Abrechnung geben, dachte er grimmig. Und dann würden Männer wie er und seine Kumpane für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, und er würde…

„Achtung!“ brüllte Nikandrippos und riss Thrax augenblicklich aus seinen Rachegedanken heraus und zurück ins Hier und Jetzt.

Ungefähr zwei Dutzend Männer näherten sich zu Fuß, angeführt von einem Diener und auf beiden Seiten begleitet von einem kleinen Ehrenkontingent echter spartanischer Gardisten, die sowohl größer als auch zackiger aussahen als die anwesenden Muttersprachler. Derkylidas erhob sich schweigend von seinem Platz, woraufhin alle am Tisch Anwesenden es ihm gleichtaten.

„Wegtreten“, sagte Nikandrippos mit ein wenig leiserer Stimme, woraufhin die Eskorte abtrat, irgendwo zwischen den Offizierszelten verschwand und ihre odrysischen Schützlinge in den Händen ihrer spartanischen Gastgeber zurückließ.

Die Thraker näherten sich dem Tisch und warfen den Anwesenden hier und da verdächtige Blicke zu. Etwa die Hälfte der Männer blieb stehen und nahm hinter ihrer Seite des Tisches Aufstellung, offensichtlich als eine Art persönliche Leibwache für die anwesenden odrysischen Abgesandten. Als alle endlich dort zu sein schienen, wo sie sein sollten, nickte Derkylidas.

„Willkommen“, sagte er kurz in typisch lakonischer Manier und setzte sich einfach wieder hin, was alle Anwesenden, Griechen wie Thraker, veranlasste, das Gleiche zu tun.

Da sie direkt vor ihm saßen, konnte Thrax einen genaueren Blick auf die thrakische Delegation werfen. Er erkannte jedoch nur eines ihrer Mitglieder, einen Mann namens Skreta. Dieser war für die in Bithynien operierenden odrysischen Streitkräfte verantwortlich und unterstand direkt König Seuthes II. selbst. Zunächst schien alles gut zu gehen, bis zu dem nächtlichen Überfall auf das gemeinsame Lager der Griechen und Odrysen. Bei diesem Desaster hatten sie nicht nur den Großteil ihrer Gefangenen und ihrer Beute verloren, sondern er hatte die Spartaner fast eine ganze Einheit von zweihundertfünfzig Mann gekostet. Die Abwesenheit eines Mannes war jedoch bemerkenswert: Pytros, ihr odrysischer Verbindungsoffizier. Dieser Mann hatte anfangs mit Onomakles Freundschaft geschlossen, um dann nach dem Überfall zusammen mit zwei großen, schweren Holzkisten zu verschwinden. Aus irgendeinem Grund waren weder Pytros noch die Kisten nach dem Angriff jemals wieder erwähnt worden.

Es herrschte eine unbehagliche Stille, während einige Diener aus dem Zelt hinter ihnen auftauchten. Sie brachten Tabletts mit dampfenden Krügen mit etwas, was wohl heißer Gewürzwein sein musste, sowie einfache, schmucklose Becher. Wortlos begannen die Männer, Getränke einzuschenken, wobei sie sowohl den Inhalt der Krüge als auch die Becher mischten, um jeden Verdacht auf eine mögliche Vergiftung zu zerstreuen. Thrax glaubte nicht, dass die Spartaner in der Lage wären, selbst ihre Feinde zu vergiften, geschweige denn etwaige einstige Verbündete, aber die Geste wurde von ihren Gästen zur Kenntnis genommen und gutgeheißen. Der Geruch des gewürzten, heißen Weins wehte zu ihm hinüber und ließ seinen Magen leise knurren. Das brachte ihm einen strengen Blick von Nikandrippos ein, der immer alles zu bemerken schien, was unter seinen Leuten vor sich ging.

Endlich hatten alle Sitzenden ein heißes Getränk vor sich stehen, woraufhin der Kommandant beschloss, mit den Verhandlungen zu beginnen.

„So“, sagte Derkylidas und nahm einen Schluck aus seinem Becher, „danke, für euer Erscheinen. Ich hoffe wir können…“

„Wir sind verraten worden“, unterbrach Skreta ihn, und Thrax bemerkte, dass keiner der Odrysen ihren Wein auch nur angefasst hatten. „Und wir werden diejenigen bestrafen, die dafür verantwortlich sind“, fuhr er fort und schaute der Reihe nach jedem der gegenübersitzenden griechischen Offiziere in die Augen.

„In der Tat. Dies waren auch meine Gedanken“, antwortete Derkylidas, offenbar unbeeindruckt von dem Ausbruch seines Gastes. „Dürfte ich euch bitten, eure Informationen mit uns zu teilen, damit wir…“

„Ich weiß, dass es sich bei dem Verräter um einen eurer Männer handelt“, unterbrach Skreta den Chef erneut, was die anwesenden thrakischen Gesandten zu gemurmelter Zustimmung veranlasste. „Tatsächlich weiß ich sogar, dass er jetzt gerade an diesem Tisch sitzt.“

Daraufhin brach auf der griechischen Seite des Tisches Tumult aus. Noch bevor Derkylidas eine Antwort formulieren konnte, war Xenophon auf den Beinen und warf den Odrysen Drohungen und Anschuldigungen an die Köpfe, während Polykritos über die vermeintliche Absurdität einer solchen Anschuldigung einfach nur lauthals lachte. Wie nicht anders zu erwarten, brachte dies wiederum auch einige der Odrysen ebenfalls auf die Beine, die es den Griechen gleichtaten. Die Spartaner hingegen blieben vollkommen ruhig. Derkylidas, Kleitos und Laios wandten langsam, aber scharf den Kopf in Richtung von Onomakles. Der stellvertretende Kommandeur saß einfach nur da und erwiderte ohne Gefühlsregung die starren Blicke.

„Achtung!“, bellte Nikandrippos, und seine Stimme brachte den Großteil der erhitzten Anschuldigungen, die von einer Seite des Tisches zur anderen flogen, augenblicklich zum Erliegen.

Derkylidas nickte schweigend, während die Männer um ihn herum schnell zur Ruhe kamen.

„Sehe ich das für richtig, dass ihr jemanden unter meinem Kommando beschuldigt, nicht nur unsere Männer, sondern auch eure an unseren gemeinsamen Feind, die Bithynier, verraten zu haben?“, sagte der Chef geradeheraus.

„Das tue ich“, antwortete Skreta.

Und um seine Worte zu unterstreichen, hob er den vor ihm stehenden Becher mit Wein an und goss seinen Inhalt in den Schnee neben ihm, wobei er einen dampfenden, blutroten Fleck auf dem Boden hinterließ.

Thrax konnte hören, wie einer der Muttersprachler neben ihm tief einatmete. Die Anwesenden schienen für einen Moment alle den Atem anzuhalten. Dies war unerhört. Der Mann hatte nicht nur seinen Gastgeber des Verrats beschuldigt, er hatte sogar das Geschenk der heiligen Gastfreundschaft abgelehnt.

„Habt ihr Beweise für diese Anschuldigung?“, fragte Derkylidas, wobei die Ruhe in seiner Stimme die Wut verriet, die in ihm angesichts dieses Verhaltens aufkam.

„Ich dachte, ihr teilt meinen Verdacht“, höhnte Skreta. „Warum glaubt ihr dann, dass ich Beweise brauche, wo doch offensichtlich ist, dass nur einer eurer Männer eine solche Tat begangen haben kann?“

Derkylidas öffnete den Mund, um zu sprechen, aber was auch immer er dem Mann hatte antworten wollen, blieb in der darauffolgenden Aufregung ungesagt. Mit Ausnahme von Derkylidas und Onomakles waren nun alle Männer am Tisch aufgestanden und schrien sich gegenseitig an. Für ein Treffen, das einberufen worden war, um Angelegenheiten zwischen den ehemaligen Verbündeten zu regeln, waren die Dinge bemerkenswert schnell aus dem Ruder gelaufen. Thrax konnte sehen wie mehrere der odrysischen Wachen ihre möglichen Gegner abschätzten, was wiederum mehrere Muttersprachler nervös werden ließ. Das läuft gar nicht gut, dachte er bei sich. Der Speer in seiner rechten Hand würde nur ein Hindernis darstellen und sich in einem der Abspannseile des Vorzeltes über ihnen verfangen, wenn er versuchte, ihn zu benutzen, während der schwere Schild an seinem linken Arm einfach nur totes Gewicht wäre, wenn es zu einem Kampf in einem so geschlossenen Raum käme. Nicht, dass er mit den Schmerzen in der Hüfte tatsächlich in der Lage wäre irgendjemandem einen anständigen Kampf zu liefern. Wenn es hart auf hart käme würde er beides einfach schnell fallen lassen müssen, und dann…

„Ruhe!“ brüllte Nikandrippos.

Auch wenn der Befehl die Männer um ihn herum nicht sofort zum Schweigen brachte, gelang es ihm zumindest den Tumult in Gemurmel und leises Fluchen zu verwandeln. Allmählich beruhigte sich die Lage, und die Wachen auf beiden Seiten entspannten sich wieder. Erst jetzt bemerkte Thrax, dass er die Luft angehalten hatte und atmete so leise wie möglich aus.

„Wie ich schon sagte“, begann Derkylidas, sah seine eigenen Männer an und forderte sie mit seinem Blick auf, ihre Stimme für den Augenblick nicht zu erheben, „ich stimme euch zu: Es gab Verrat. Warum ihr jedoch annehmt, dass er aus unseren Reihen kam, ist für mich jedoch schwer nachzuvollziehen.“

Einer der Odrysen sagte leise etwas auf Thrakisch, nämlich, dass die Dummheit der Spartaner nur von ihrer Untreue gegenüber ihren Verbündeten übertroffen würde, aber nur Thrax schien dies bemerkt zu haben. Mehrere Griechen nickten mit dem Kopf und lehnten sich vor, um herauszufinden, welche Argumente Skreta nun vorbringen würde.

„Das Lager war von einer Palisadenmauer umgeben und war schwer bewacht“, antwortete Skreta. „Einigen der Wachleute wurde vor dem Angriff die Kehle durchgeschnitten. Man fand sie mit dem Gesicht nach unten im Schnee, ohne irgendwelche weiteren Wunden.“

Dies stimmte beides, nickte Thrax. Tatsächlich hatte er selbst kurz vor dem Angriff einen der ermordeten Wachposten entdeckt.

„Wir sind Odrysen, Spartaner. Wir sind die Todfeinde der Bithynier, und keiner meiner Männer würde sich mit ihnen abgeben, geschweige denn sich mit ihnen verbünden, um uns zu verraten!“, fuhr Skreta erhitzt fort.

„Das bedeutet noch lange nicht…“, setzte Xenophon an, wurde aber durch eine erhobene Hand von Derkylidas und einen strengen Blick von Nikandrippos zum Schweigen gebracht.

„Ich verstehe“, sagte der Chef. „Also muss es eurer Meinung nach einer meiner Männer gewesen sein, der eure Wachen getötet und den Feind hereingelassen hat. Er sorgte dann nicht nur dafür, dass die meisten der Männer, die wir euch unterstellt hatten, getötet wurden, sondern auch, dass der Großteil der Beute unserer Raubzüge in Bithynien verlorenging. Und trieb damit einen Keil zwischen Verbündete im Feindesland. Und das alles mitten im Winter.“

Skreta hatte begonnen, bei der ersten Bemerkung zu nicken, hatte dann aber die Fäuste geballt, um schließlich am Ende die Stirn zu runzeln.

„Ergibt ein solches Verhalten eurer Meinung nach irgendeinen Sinn? Denn für mich ergibt es keinen“, antwortete Derkylidas mit kalter Stimme.

Dann drehte er sich erst nach links und dann nach rechts um, und schaute jedem seiner Offiziere mit Ausnahme von Onomakles in die Augen. Nachdem er als Antwort rundherum lediglich Kopfschütteln erhalten hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Skreta zu.

„Weder ich noch einer meiner Männer“, und hier betonte der spartanische Kommandant das Wort ‚mein‘, „hätte durch solch eine hinterhältige Tat etwas zu gewinnen. Aber vielleicht ja einer der euren?“

Hierauf sprangen mehrere der Odrysen von ihren Sitzen, um auf diese vermeintliche Anschuldigung zu antworten. Aber zur Überraschung aller blieb Skreta sitzen, breitete beide Arme aus und brachte seine Männer schnell zum Schweigen.

„Und da wäre noch etwas“, fuhr Derkylidas fort und lehnte sich zurück, „wo ist euer Mann Pytros?“

***

„Und was geschah dann?“, fragte Grinser.

Sie hievten einen Packsattel auf den Rücken ihres zweiten Esels, einer Stute, die wegen ihres hellgrauen Fells Gala hieß, Griechisch für ‚Milch‘.

„Naja, das wars eigentlich schon“, antwortete Thrax achselzuckend. „Nichts. Der Chef entließ alle, und er und Skreta verschwanden in einem Zelt. Allein.“

„Allein?“ prustete Grinser und schüttelte den Kopf. „Du verarschst mich. Seit wann machen die Spartaner auf Geheim? Ich meine, was macht man…“

„Ich hoffe ich störe die verehrten jungen Herrschaften nicht etwa in irgendeiner Weise“, unterbrach Neodamos der Zahlmeister ihr Gespräch. „Hört endlich mit dem verdammten Geschwätz auf und macht hin!“, fügte er schlechtgelaunt hinzu und schüttelte den Kopf.

Er wollte sich gerade umdrehen und weggehen, um jemand anderen zum anmeckern zu finden, hielt dann jedoch inne.

„Und bevor ich es vergesse, Thraker, der Alte hat dich gesucht“, fügte er hinzu und ließ sie wieder mit ihrer Arbeit alleine.

Hastig und schweigend zurrten Thrax und Grinser den Packsattel fest.

„Und, was ist es denn diesmal?“ fragte Grinser, als der Zahlmeister außer Hörweite war. „Wache oder Kundschafter?“

Thrax zuckte die Achseln, zog einen letzten Gurt fest und tätschelte den Packesel. Obwohl sie viel zu schwer aussah, wusste er, dass das kleine, aber robuste Tier die Last leicht bewältigen konnte. Und wenn nötig auch mehr, sogar im Schnee. Wache oder Kundschafter, dachte Thrax, Neodamos oder Oros… einen Moment lang stand er einfach nur da, schürzte die Lippen und dachte nach.

„Kundschafter, vermute ich“, antwortete er schließlich. „Im Moment scheinen die Odrysen und die Spartaner keine Zeugen zu wollen.“

„Es wird verdammt kalt sein, sag ich dir“, antwortete Grinser und griff nach Galas Zaum. „Also, dann sehen wir uns heute Abend, Kumpel“, fügte er hinzu, drehte sich um und führte Gala zu den anderen Tieren ihrer Einheit.

Thrax nickte, bewegte sein Bein, um zu spüren, wie es seiner Hüfte ging, und zuckte zusammen. Nun, zumindest würde er nicht laufen müssen, dachte er und marschierte los, um nach Megalias zu suchen.

***

Die Nachmittagssonne war kaum mehr als ein fahler, gelblicher Fleck am Himmel, während die Wolken darüber bereit zu sein schienen, eine Ladung Schnee auf alles und jeden unter ihnen abzuladen. Thrax blickte sich um und tätschelte sein Pferd. Er hatte richtig vermutet, es waren die Kundschafter gewesen. Statt wichtige Angelegenheiten öffentlich zu verhandeln, hatten Derkylidas und die anderen Spartaner angefangen alles nur noch im Geheimen zu besprechen, zumindest hatte Oros ihm das gesagt.

„Der Chef hat mir befohlen meine Männer mit diesen Odrysen zu mischen“, hatte er gesagt, als Thrax sich bei ihm zum Dienst gemeldet hatte. Er zeigte mit dem Kinn in Richtung einer Gruppe von Thrakern, die ungefähr so stark war wie seine eigene Einheit. „Hier sind wir also. Befehl ist Befehl“, zuckte er mit den Achseln und straffte die Riemen seines Sattels. „Und du bist wieder bei deinen Leuten“, fügte er hinzu und wandte sich wieder zu Thrax um

„Das sind nicht meine Leute“, antwortete Thrax, erbost darüber mit Leuten wie Pytros in einen Topf geworfen zu werden. „Ich bin Dolonker, das da sind Odrysen.“

„Aber ihr seid beides Thraker“, sagte Oros sachlich.

„Nun, du bist Ionier, die Spartaner sind Lakedaimonier. Technisch gesehen macht euch das beide zu Griechen“, erwiderte Thrax, „aber ihr stammt noch nicht einmal vom selben Kontinent.“

Daraufhin nickte Oros einfach schweigend, spitzte die Lippen und grübelte über die Angelegenheit nach.

„Nun, dann schnapp dir mal ein Pferd, Thraker. Das eine, das wir dir letztes Mal gegeben haben, scheint ja verschwunden zu sein“, fügte er schließlich hinzu.

Er drehte sich um, sprang elegant in den Sattel, ritt davon und ließ Thrax einfach stehen.

Und da war er wieder: zusammen mit lauter schweigenden Griechen irgendwo in Bithynien zu Pferd im Schnee unterwegs. Der einzige Unterschied war, dass seine Hüfte schmerzte und dass die Männer, die dafür verantwortlich waren, diesmal Oros berittene Kundschafter begleiteten, anstatt auf sie zu schießen.

Die Reiter waren diesmal in Achtergruppen zu jeweils vier Griechen und vier Thrakern ausgesandt worden. Niemand hatte es ausgesprochen, aber es war offensichtlich, dass die Verdoppelung der Zahl der Männer auf der Seite der Griechen darauf zurückzuführen war, dass niemand den ehemaligen und inzwischen wieder aktuellen Verbündeten vertraute. Zwei Späher allein hätte ein Feind leicht irgendwo in der Wildnis erschlagen können. Aber vier Männer wären viel schwieriger zu töten oder daran zu hindern, zur Armee zurückzukehren und einen Verrat zu melden. Die Odrysen hingegen vertrauten den Griechen ebenso wenig, da sie offensichtlich davon ausgingen, dass Oros Männer sich gegen sie wenden würden, sobald sie die richtige Gelegenheit dazu fänden. Und so schien allen, dass vier Reiter auf jeder Seite wohl ungefähr die richtige Stärke für diese Aufgabe darstellten.

Acht Reiter waren jedoch deutlich zu viele. Während die acht Reiter sicher leise genug waren, hoffte Thrax, dass ihre Tiere ebenfalls ruhig bleiben würden. Aber selbst dann wäre eine Gruppe von acht Mann zu Pferd für jeden gegnerischen Späher viel einfacher zu erkennen als nur zwei Reiter.

Sie waren nun schon seit mehreren Stunden unterwegs, ohne dass ihnen bisher irgendetwas oder irgendjemand begegnet wäre. Die Sonne stand auch zur Mittagszeit nicht besonders hoch am Himmel, und nun begann sie bereits auch schon wieder unterzugehen. Die Männer blieben in der Nähe eines Waldes und hofften, dass die Bäume zu ihrer Rechten sie vor einer zufälligen Entdeckung schützen würden. In einer Reihe hintereinander reitend, war stillschweigend vereinbart worden, dass sich die Einheiten mischen würden: erst ein Grieche, dann ein Thraker, dann wieder ein Grieche und so weiter, so dass niemand es mit einer ganzen Gruppe potenzieller Feinde im Rücken zu tun haben würde. Es gab keine Geräusche außer dem Knirschen der Hufe im Schnee, unterbrochen durch ein gelegentliches Schnauben von einem der Reittiere. Es waren keine Tiere zu sehen, noch nicht einmal Vögel am Himmel.

Thrax zitterte und zog seinen Umhang fester um sich. Irgendwie hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Er hielt sein Pferd an und sah sich um: Zu seiner Rechten befand sich ein Wald, hauptsächlich Eichen und Buchen, zwischendrin Kiefern und verschiedene andere Bäume. Zu seiner Linken befand sich eine offene Fläche, eine Art Wiese, die mit Schnee bedeckt war, während dahinter ein Grat mit einer lockeren Baumbewuchs lag, zu offen, um als Wald bezeichnet werden zu können. Drei Männer ritten hinter ihm, vier vor ihm, alle in einer Reihe hintereinander. Der odrysische Reiter direkt hinter ihm blickte bereits misstrauisch in seine Richtung und fragte sich wahrscheinlich, warum der seltsame Thraker, der für die Griechen arbeitete, wohl plötzlich stehengeblieben war. Thrax atmete langsam und tief ein, aber er konnte das Gefühl der Beunruhigung nicht abschütteln. Er konzentrierte sich auf die Bäume entlang des Grats. Hatte er da eine Bewegung gesehen?

Der Odryse ritt heran und hielt an seiner linken Seite an.

„Siehst du etwas?“, fragte er leise und blickte über die schneebedeckten Felder zu ihrer Linken und zu den baumbestandenen Hügeln dahinter.

„Ich weiß nicht“, antwortete Thrax, „es ist nur ein Gefühl.“

„So so, ein Gefühl“, sagte der Mann und runzelte die Stirn. „Junge, ich weiß nicht, wie es bei euch Griechen läuft, aber…“

„Was ist los?“, unterbrach sie Theoxenos mit zischender Stimme.

Sofort drehte sich der Odryse um und zwang sein Pferd nach hinten, um in eine bessere Verteidigungsstellung zu kommen. Aus den Augenwinkeln konnte Thrax sehen, dass die anderen Reiter sich ebenfalls umdrehten, wobei die Thraker sofort die Griechen taxierten, während die Griechen sich ebenfalls auf einen möglichen Verrat vorbereiteten. Thrax hob langsam die Hände.

„Ich glaube…“, begann er auf Griechisch, räusperte sich aber hastig angesichts der Blicke, die er daraufhin erhielt. „Ich habe etwas gesehen“, fuhr er hastig fort, mit deutlich größerer Überzeugung in der Stimme, als er tatsächlich fühlte.

„Was, wo?“, erwiderte der Odryse auf Thrakisch, wobei er sie immer noch misstrauisch beäugte.

„Was hat er gesagt?“, fragte Theoxenos barsch, der die Frage auf Thrakisch offensichtlich nicht verstanden hatte.

Das läuft nicht sehr gut, dachte Thrax nervös. Jeden Augenblick könnte hier alles eskalieren, und die Späher hatten noch nicht einmal Feindkontakt gehabt!

„Ich habe eine Bewegung gesehen“, antwortete er auf Griechisch, wiederholte schnell seine Antwort auf Thrakisch und zeigte auf den Grat zu ihrer Linken.

Die Männer, alle Männer, wie Thrax nun bemerkte, drehten sich sofort um. Der Wald hinter ihnen war ziemlich dicht und würde ihre Umrisse erfolgreich kaschieren, während die lichte Baumreihe auf dem Kamm potenziellen Feinden viel weniger Möglichkeiten zum Verstecken bot. Und dann sah er plötzlich eine Bewegung, gefolgt von einem sich schnell ausbreitenden weißen Fleck. Ein schnaubendes Pferd, das im Schnee scharrte!

„Gut gemacht, Junge“, lobte Theoxenos und nickte dem Odrysen zu.

„Gut gemacht, Junge“, sagte dieser auf Thrakisch und nickte ebenfalls anerkennend.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Thrax, sowohl erfreut darüber, dass er als erster bemerkt hatten, dass man sie beschattete, aber auch völlig im Ungewissen darüber, was als Nächstes geschehen würde. Würden sie angreifen? Weglaufen? Verstärkung anfordern? Oder…

„Wir sollten gehen und deinen neuen Freund Hallo sagen“, antwortete Theoxenos und drehte sein Pferd in Richtung des Grats. „Schließlich hat er sich von uns entdecken lassen und keinen Versuch unternommen abzuhauen.“

„Schnapp dir einen Ast, Junge“, befahl der Odryse und wandte sein Pferd ebenfalls um.

Thrax sah sich um. Die drei Reiter hinter ihnen machten sich bereit, zu fliehen und der Armee Bericht zu erstatten, falls etwas Unerwartetes passieren sollte, während die beiden Männer vor ihm sich darauf vorbereiteten, in die entgegengesetzte Richtung zu galoppieren. Was auch immer mit ihm und den beiden anderen geschah, Derkylidas würde darüber informiert werden. Er schluckte, als ihm plötzlich klar wurde, dass er entbehrlich war.

„Wartest du auf etwas?“, fragte Theoxenos und blickte ihn ungeduldig an.

„Nein, es war nur…“, begann Thrax.

„Na dann mach hin!“, zischte Theoxenos und wandte sich wieder dem Kamm zu.

Thrax folgte ihm und sah nun, dass ein einzelner Reiter langsam hinab und über die schneebedeckte Wiese ritt, mit einen Tannen- oder Fichtenzweig in der Hand. Zusammen mit dem glänzenden Weiß des Schnees unter ihm bildete das Grün der Nadeln einen starken Kontrast zur dunklen Farbe seiner Kleidung und der seines Pferdes. Thrax ritt hastig zwischen den Bäumen hindurch, ergriff den erstbesten Tannenzweig und hackte ihn schnell mit seinem Glücksmesser ab.

Er kehrte zurück, was die beiden anderen zu einem Nicken veranlasste, und die drei ritten los, um den Fremden zu treffen, der sein Reittier inzwischen angehalten hatte und nun etwa auf halbem Weg über die Wiese auf sie wartete. Als sie sich langsam näherten, sah Thrax, dass der Kopf des Mannes mit Stoff umwickelt war, anstatt dass er eine Pelz- oder Filzmütze trug.

„Perser“, sagte Theoxenos leise, woraufhin der Odryse nickte.

Thrax stimmte ihm schweigend zu und fragte sich, was bei den Göttern ein persischer Kundschafter – und er dürfte wohl kaum allein sein, soviel war klar – im Schnee, mitten in Bithynien, mehrere Tagesritte von jeder persischen Verstärkung entfernt, zu suchen hatte.

„Ich grüße euch“, sagte der persische Reiter auf Griechisch, als sie nahe genug herangekommen waren, um leicht gehört zu werden, aber noch in der Lage waren, sich umzudrehen und schnell zu fliehen, falls irgendetwas schiefgehen sollte. „Ein schöner Tag für einen Ausritt, findet ihr nicht etwa auch?“

Thrax unterdrückte ein Grinsen und bemerkte, dass der Odryse das Gleiche tat, während Theoxenos auf die übermäßig höfliche Begrüßung lediglich mit einem finsteren Blick reagierte.

„Was willst du? Was machst du hier?", erwiderte er und übersprang weitere Höflichkeiten.

Daraufhin nickte der persische Reiter.

„Ich könnte euch dasselbe fragen“, sagte er und lächelte schmallippig. „Schließlich seid sowohl ihr, euer odrysischer Kamerad und euer…“ hier hielt er einen Moment inne und betrachtete Thrax Umhang, „apsinthischer Gesandte Fremde hier im Reich meines Herrn Farnabah.“

„Wir sind auf Einladung unserer odrysischen… Freunde hierhergekommen“, antwortete Theoxenos steif. „Und nur zu deiner Information: Dies hier ist nicht Persien.“

„In der Tat, das ist es nicht“, erwiderte der persische Reiter und lächelte höflich. „Aber es ist auch nicht Griechenland, wie ihr vielleicht bemerkt habt. Eine interessante Definition des Wortes ‚Freund‘ habt ihr da übrigens“, fügte er hinzu, womit er auf die Art und Weise anspielte, wie Theoxenos sein Pferd positioniert hatte, so dass der Odryse nicht in der Lage wäre, ihn überraschend anzugreifen.

„Was auch immer“, entgegnete der griechische Kundschafter schroff. „Hat das hier irgendeinen Zweck, oder willst du mit uns einfach nur weiterplaudern bis es dunkel ist?“

Oder er Verstärkung rufen kann, dachte Thrax und fragte sich ebenfalls, wohin genau die ganze Sache hier führen solle.

„Oh nein, ich dachte nur, es wäre höflich, mich euch zu zeigen, nachdem ihr mich schließlich entdeckt habt“, sagte der Perser. „Ein guter Mann übrigens, euer Apsinther.“

Thrax Blick verfinsterte sich. Schließlich waren die Apsinther die Erzfeinde seines eigenen Stammes. Dies war jedoch mit Sicherheit eher nicht der richtige Zeitpunkt, um auf die korrekte Identifizierung seiner Stammeszugehörigkeit zu bestehen.

„Er Dolonker“, sagte der odrysische Kundschafter mit einem breiten Grinsen, der die ganze Angelegenheit offensichtlich im selben Ausmaß genoss, wie es Theoxenos nicht tat.

„Verzeiht mir, junger Mann“, begann der Perser, „es muss wohl das Licht gewesen sein…“

„Sind wir jetzt endlich hier fertig“, unterbrach Theoxenos, „oder gibt es da noch was?“

„Ein kleines Detail möglicherweise“, antwortete der Perser, völlig unbeeindruckt von den völlig fehlenden Umgangsformen seines Gegenübers. „Nur für den Fall, dass ihr auf der Suche nach einem möglichen bithynischen Hinterhalt auf eure Armee wart, so lasst mich euch versichern, dass der Weg nach Lampsakos frei ist von jeglichen… Feinden.“

Während der Odryse finster dreinblickte, nahm Theoxenos diese Bemerkung, mit vor Wut versteinerter Miene auf, und auch Thrax fragte sich, wie Farnabah und seine Leute an derart heikle Informationen gelangt waren.

„Und… warum solltest du… das annehmen?“, entgegnete der Grieche, der offensichtlich Schwierigkeiten damit hatte, sich selbst davon abzuhalten, den Perser auf der Stelle anzugreifen.

„Der Rückzug der Bithynier oder Derkylidas Marsch nach Lampsakos?“, fragte der Mann freundlich. „Mein Herr, Satrap Farnabah, schätzt es darüber informiert zu sein, was in seinem Reich vor sich geht. Daher sorgen sowohl ich als auch viele andere dafür, dass er es ist. Nachdem ihr im Winter auf Kriegszug gewesen seid, haben sich die Bithynier nun nach Osten zurückgezogen. Sie stellen keine Bedrohung mehr dar, weder für euren Herrn, König Seuthes“, sagte er und wandte sich an den odrysischen Kundschafter, „noch für euren Herrn, Derkylidas.“

„Und was zur Hölle machst du dann hier?“, antwortete Theoxenos schroff, nachdem er einen Moment lang über diese Information nachgedacht hatte.

„Wir eskortieren euch einfach zurück zur Küste“, erwiderte der Perser, höflich wie zuvor. „Damit ihr euch unterwegs nicht verirrt“, fügte er mit einem breiten Lächeln hinzu.

Daraufhin verlor Theoxenos beinahe völlig die Fassung. Sein Gesicht wurde rot vor Wut, und Thrax konnte sehen, wie es seine rechte Hand schon danach juckte, das Schwert zu ziehen und anzugreifen. Zur Überraschung aller begann der odrysische Späher jedoch laut zu lachen.

„Du, du sein komischer Mann“, sagte er in gebrochenem Griechisch und schüttelte den Kopf über die Absurdität der ganzen Situation. „Ich sage Skreta, Perser mir sagen alles sicher, er lacht mich aus und vielleicht lässt mich auspeitschen. Warum ich dir glauben?“, sagte er mit breitem Grinsen.

„Nun, ich könnte euch wohl mein Wort geben“, antwortete der Perser und erwiderte das Grinsen. „Aber dies hier könnte etwas zweckdienlicher sein, um euer Vertrauen zu gewinnen.“

Daraufhin nahm er den Tannenzweig in die linke Hand, steckte die rechte Hand irgendwo in seine Tunika und zog eine kleine Rolle heraus. Der Odryse ritt näher heran, streckte seine rechte Hand aus und der Perser überreichte sie ihm.

„Eine Botschaft von Satrap Farnabah, für den Fall, dass wir einem von Derkylidas Männern begegnen sollten“, sagte der Perser.

Der odrysische Kundschafter untersuchte das Siegel, zuckte schließlich mit den Achseln, drehte sein Pferd in Richtung Theoxenos und übergab ihm die Rolle. Thrax bemerkte, dass er den Gegenstand mit der linken Hand annahm und die rechte Hand freibehielt, um nach seinem Schwert zu greifen, falls dies notwendig werden sollte.

„Und ich soll einfach glauben, dass das hier echt ist?“ spuckte er den Perser förmlich an, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, das kleine, zylindrische Objekt näher zu betrachten.

„Es steht euch selbstverständlich frei zu glauben, was ihr wollt“, gab er zur Antwort. „Ich würde euch jedoch raten, die Nachricht an jemanden weiterzugeben, der in der Lage ist sie… angemessen zu behandeln“, schloss er.

Sogar Thrax musste nun ein Grinsen unterdrücken, denn es war offensichtlich, dass er ‚sie zu lesen‘ hatte sagen wollen.

Der vor Wut schnaubende Theoxenos öffnete den Mund, um dem Perser eine geharnischte Antwort zu entgegnen, wurde aber von dem Odrysen unterbrochen.

„Wir kehren Lager zurück und sehen, Perser“, sagte er und streckte Therimachos die Hand nach dem Briefzylinder entgegen.

Kopfschüttelnd spuckte der griechische Kundschafter zwischen sich und dem Perser in den Schnee. Er wendete sein Pferd, warf die Botschaft in Richtung des Odrysen und ritt davon, ohne sich umzusehen. Der Odryse fing den Zylinder geschickt auf, nickte und drehte ebenfalls sein Pferd, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Thrax war im Begriff ebenfalls umzudrehen, als der Perser das Wort ergriff.

„Ich frage mich, warum ein Dolonker auf einer Erkundungsmission mit Odrysen und Griechen unterwegs ist. Immerhin werden beide normalerweise nicht zu euren Freunden gezählt“, sagte er lächelnd und hob die Augenbraue. „Ich könnte mir vorstellen, dass hinter all dem eine interessante Geschichte steckt. Vielleicht werden wir sie irgendwann einmal hören“, fügte er hinzu, wendete sein Pferd, neigte den Kopf höflich in Thrax Richtung und ritt über die Wiese zurück.

Seufzend ließ Thrax seinen Ast in den Schnee fallen und fragte sich, wo er da schon wieder hineingeraten war.

Θ

Lampsakos

„Kannst du das riechen?“, fragte Grinser und hielt seine Nase theatralisch in den Wind.

Um seine Worte zu unterstreichen blieb er stehen und was den Esel, den er führte, dazu veranlasste dasselbe zu tun. Er breitete die Arme aus und atmete tief ein.

„Kann ich was riechen?“, fragte Thrax und schnalzte unbewusst mit der Zunge, um Phaia, das treue Lasttier ihrer Einheit, anzuspornen weiterzugehen.