The Shadows Between Us - Tricia Levenseller - E-Book

The Shadows Between Us E-Book

Tricia Levenseller

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ich kann alles haben. Die Macht. Das Königreich. Den Mann.
+++Jetzt zum Einführungspreis sichern! (Befristete Preisaktion des Verlages)+++


Alessandra hat es satt, übersehen zu werden. Doch sie hat einen Plan, ihr Schicksal zu ändern:
1) Den Schattenkönig verführen.
2) Ihn heiraten.
3) Ihn beseitigen und sein Königreich an sich reißen.
Aber niemand weiß, wie mächtig der frisch gekrönte Schattenkönig wirklich ist. Manche behaupten, er befehlige die Schatten, die ihn ständig umgeben. Andere sagen, sie flüstern ihm die Gedanken seiner Feinde zu. Alessandra hält das nicht auf. Sie wird alles tun, um zu bekommen, was sie will.
Jedoch ist sie nicht die Einzige, die dem König nach dem Leben trachtet. Doch ihm darf nichts geschehen, bis er Alessandra zu seiner Königin gemacht hat! Also sucht sie seine Nähe, versucht ihn zu beschützen – und dabei auf keinen Fall ihr Herz zu verlieren. Denn wer würde besser zu einem Schattenkönig passen als eine gerissene Königin?
TikTok-Sensation Tricia Levenseller stürmt mit ihrer neuen epischen Dark-Romantasy die New-York-Times-Bestsellerliste.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 507

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Tricia Levenseller

Aus dem Englischen/Amerikanischen von Doris Attwood

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2025 der deutschsprachigen Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

produktsicherheit@penguinrandomhouse.de

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

© 2020 Tricia Levenseller

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »The Shadows Between Us«

bei Feiwel and Friends, einem Imprint von Macmillan Publishing Group, LLC

120 Broadway, New York, NY 10271

Übersetzung: Doris Attwood

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins, München

unter Verwendung einer Gestaltung von Liz Dresner & Meg Sayre

und einer Illustration von Nekro © 2020

FK · Herstellung: AnG

Satz und Reproduktion: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-32631-9V002

www.cbj-verlag.de

Für BeckiIch kann mir keine Person vorstellen, die diese Slytherin-Romanze mehr verdient hätte.Danke, dass du sie als Erste gelesen hast!

Es ist cool, nicht zu altern. Es gefällt mir, der ewige Herzensbrecher zu sein.

Damon Salvatore, Vampire Diaries, Staffel 1, Folge 4

KAPITEL 1

Man hat die Leiche des ersten und einzigen Jungen, der mir je das Herz brach, nie gefunden.

Und das wird man auch nie.

Ich habe Hektor Galanis in einem so tiefen Loch vergraben, dass noch nicht einmal die Teufel hier auf Erden ihn erreichen könnten.

Mein Traum handelte von ihm – von jenem Tag, an dem er mir verkündet hatte, das mit uns hätte Spaß gemacht, aber er sei fertig mit mir. Eine andere hätte es ihm angetan. Ich kann mich noch nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern. Damals konnte ich nur daran denken, dass ich Hektor alles gegeben hatte: meinen ersten Kuss, meine Liebe, meinen Körper.

Und als ich ihm gestand, dass ich ihn liebte, erwiderte er bloß: »Danke, aber ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir getrennter Wege gehen.«

Später hatte er noch mehr zu sagen. Als ich das Messer in seine Brust tauchte, sprudelten die Worte fast genauso schnell aus ihm heraus wie sein Blut.

Er konnte es nicht begreifen. Genauso wenig wie ich selbst. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie das Messer in meine Hand gekommen war – das silbern glänzende Messer mit dem juwelenbesetzten Griff, das Vater mir erst drei Monate zuvor zu meinem fünfzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Aber ich weiß noch, wie gut Hektors Blut zu den darin eingefassten Rubinen passte.

Und ich erinnere mich daran, was meinem Verstand am Ende half, zu meinem wie wild hämmernden Herzen aufzuschließen: das letzte Wort, das jemals Hektors Lippen verließ.

Alessandra.

Sein letztes Wort war mein Name. Sein letzter Gedanke galt mir.

Ich habe gewonnen.

Dieses Wissen ist heute noch genauso lebendig wie vor drei Jahren. Dieses Gefühl der Richtigkeit, des inneren Friedens.

Ich recke die Arme in die Luft, strecke mich wie eine Katze, bevor ich mich im Bett herumrolle.

Ein Paar braune Augen glänzt nur wenige Zentimeter von meinen eigenen entfernt.

»Verflucht, Myron, warum starrst du mich so an?«, frage ich.

Er küsst meine nackte Schulter. »Weil du wunderschön bist.«

Myron liegt auf der Seite, den Kopf auf seine Faust gestützt. Er ist bis zur Taille zugedeckt. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt in mein Bett passt, so groß, wie er ist. Schlaffe Locken fallen über seine Stirn und er wirft sie kopfschüttelnd nach hinten, um wieder besser sehen zu können. Der Duft von Sandelholz und Schweiß steigt in meine Nase.

Mit einer Hand halte ich die Decke über meiner Brust zusammen und setze mich auf. »Letzte Nacht hat Spaß gemacht, aber du solltest jetzt gehen. Ich bin heute sehr beschäftigt.«

Myron starrt auf meine Brust und ich rolle mit den Augen.

»Vielleicht später noch mal?«, versuche ich es.

Er sieht kurz auf, bevor sein Blick erneut bedeutungsvoll zu meiner Brust hinunterwandert.

Nein, Moment. Nicht zu meiner Brust. Zu meiner Hand, die die Decke festhält und an der ich ein zusätzliches Gewicht spüre.

An meinem Finger funkelt ein Diamant. Er ist wunderschön, oval geschliffen und in Gold eingefasst. Er glitzert im Morgenlicht, als ich meine Hand hin und her drehe. Der Ring ist mit Abstand das teuerste Schmuckstück, das Myron mir je geschenkt hat.

»Alessandra Stathos, ich liebe dich. Willst du mich heiraten?«

Mein Lachen erfüllt den Raum und Myron zuckt zusammen. Hastig lege ich die freie Hand auf meine Lippen.

»Was glaubst du denn?«, frage ich einen Moment später. »Natürlich nicht.« Ich blicke erneut auf den wunderschönen Ring hinunter. Nach diesem Geschenk ist Myron nicht länger nützlich. Aus irgendeinem Grund hören meine Liebhaber auf, mir teure Geschenke zu machen, nachdem ich ihren Antrag abgelehnt habe.

Wirklich ein Jammer.

»Aber wir sind so glücklich miteinander«, beharrt er. »Ich werde dich jeden Tag auf Händen tragen. Dir alles geben, was du verdienst. Ich werde dich wie eine Prinzessin behandeln.«

Wenn er wüsste, dass ich etwas höhere Ziele habe. »Ich weiß dieses freundliche Angebot wirklich zu schätzen, aber ich bin noch nicht bereit, sesshaft zu werden.«

»Aber … ich habe das Bett mit dir geteilt«, brabbelt er.

Ja – er und drei weitere Kerle in diesem Monat.

»Und nun ist es an der Zeit, dass du es verlässt.« Ich mache Anstalten, das Bett zu verlassen, als plötzlich die Tür zu meinem Schlafgemach aufschwingt.

Myron erstarrt, eine Hand nach mir ausgestreckt, während mein Vater, Lord Masis, auf das herabfunkelt, was er von unseren nackten Körpern erkennen kann.

»Verschwinde«, presst er an Myron gewandt mit tödlicher Ruhe in der Stimme hervor. Mein Vater ist zwar kleiner als ich mit meinen fünfeinhalb Fuß, aber er ist gebaut wie ein Stier: dicker Hals, breite Schultern und scharfe Augen, die sich bis in die Seele bohren.

Myron versucht, die um mich gewickelte Decke mitzunehmen, aber ich halte sie gut fest und es gelingt ihm nicht, sie mir aus der Hand zu reißen. Stattdessen greift er nach seiner Hose.

»Verschwinde sofort«, präzisiert Vater.

»Aber …«

»Hau ab oder ich lasse dich auspeitschen!«

Myron erhebt sich. Mehr oder weniger. Er krümmt sich zusammen, als könnte er so seinen langen Körper verstecken. Auf halbem Weg zur Tür dreht er sich noch einmal um. »Mein Ring?«

»Gewiss möchtest du, dass ich ihn behalte? Um mich an unsere gemeinsame Zeit zu erinnern?«

Myron verzerrt das Gesicht. Eine seiner Fußspitzen zeigt zur Tür, die andere zu mir.

Vater knurrt.

Myron rennt davon, stürmt über die Schwelle und stolpert dabei beinahe über Vaters Stiefel. Als er weg ist, dreht Vater sich zu mir um.

»Du machst es mir nicht gerade leicht, eine gute Partie für dich zu finden, wenn du dich jede Nacht mit einem anderen Bettgenossen erwischen lässt.«

»Sei doch nicht albern, Vater. Das war schon Myrons fünfter Besuch.«

»Alessandra! Du musst damit aufhören. Es ist Zeit, dass du erwachsen wirst. Eine Familie gründest.«

»Dann hat Chrysantha also einen Ehemann gefunden?« Vater weiß sehr wohl, dass es mir per Gesetz verboten ist, zu heiraten, bevor meine ältere Schwester es tut. Es muss schließlich alles seine Ordnung haben.

Vater trottet zu mir ans Bett. »Der Schattenkönig hat eine ganze Reihe lediger junger Damen aus dem Palast geschickt, unter ihnen auch Chrysantha. Ich hatte gehofft, deine Schwester würde seine Aufmerksamkeit erregen – eine seltene Schönheit wie sie.«

O ja. Chrysantha ist eine seltene Schönheit. Und so dumm wie ein Stein.

»Aber es sollte nicht sein«, endet Vater.

»Myron ist noch zu haben«, schlage ich vor.

Vater funkelt mich an. »Sie wird Myron nicht heiraten. Chrysantha wird eine Herzogin. Ich habe bereits alles mit dem Herzog von Pholios arrangiert. Er ist ein älterer Herr, der sich ein hübsches Mädchen an seiner Seite wünscht. Die Sache ist bereits besiegelt. Was bedeutet, dass du nun an der Reihe bist.«

Endlich.

»Plötzlich interessierst du dich also für meine Zukunft?«, frage ich einfach nur, um schwierig zu sein.

»Ich wollte stets das Beste für dich.«

Reine Unwahrheit. Vater verschwendet nur dann einen Gedanken an mich, wenn er mich bei etwas erwischt, von dem er findet, ich sollte es nicht tun. Schon mein ganzes Leben lang galt seine ganze Aufmerksamkeit Chrysantha.

Vater fährt fort: »Ich gedenke, mit dem Grafen von Oricos über eine Vermählung zwischen dir und seinem Sohn zu verhandeln, der eines Tages sein Erbe antreten wird. Schon recht bald, wie ich angesichts Aterxes’ angeschlagenem Gesundheitszustands vermuten mag. Das sollte dich doch glücklich machen.«

»Tut es nicht.«

»Ich werde gewiss nicht zulassen, dass du ewig mein Problem bleibst.«

»Wirklich rührend, Vater, aber ich habe schon einen anderen Mann im Auge.«

»Und wen, wenn ich fragen darf?«

Ich stehe auf, ziehe die Decke mit mir vom Bett und klemme sie unter meinen Achseln fest. »Den Schattenkönig, natürlich.«

Vater bricht in schallendes Gelächter aus. »Das glaube ich kaum. Bei deinem Ruf wird es ein Wunder sein, wenn ich den Sohn irgendeines Adligen davon überzeugen kann, dich zu nehmen.«

»Meinen Ruf kennen nur die, die er direkt betrifft.«

»Männer behalten ihre Bettgeschichten nicht für sich.«

Ich lächle. »Wenn es um mich geht, dann schon.«

»Was soll das nun wieder heißen?«

»Ich bin nicht dumm, Vater. Ich habe jeden einzelnen Mann in der Hand, der dieses Schlafgemach jemals betreten hat. Myron hat unglücklicherweise ein kleines Glücksspielproblem. Er hat beim Kartenspiel ein wertvolles Familienerbstück verloren. Die Schuld für den verschwundenen Anhänger hat er einem Bediensteten angehängt und dafür gesorgt, dass er ausgepeitscht und anschließend entlassen wurde. Sein Vater wäre gar nicht erfreut, davon zu erfahren. Und was Damon betrifft: Ich weiß zufällig, dass er einer Gruppe von Schmugglern angehört, die illegal Waffen in die Stadt bringen. Man würde ihn ins Gefängnis stecken, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Und wir wollen natürlich auch Nestor nicht vergessen, der eine Vorliebe für Opiumhöhlen hat. Ich kann gerne weitermachen und alle meine Liebhaber aufzählen, aber ich denke, du hast das Prinzip verstanden.«

Obwohl sich seine Miene nicht verändert, weicht ein Teil der Anspannung aus Vaters Schultern. »Du verstehst es wirklich, dich stets mit den einnehmendsten jungen Herren zu umgeben, mein Liebes.«

»Der Punkt ist: Ich weiß, was ich tue, Vater. Und ich werde auch weiterhin tun und lassen, was mir beliebt, weil ich die Herrin meines eigenen Schicksals bin. Und du? Du wirst mich mit der nächsten Gruppe von Damen zum König in den Palast schicken. Denn wenn ich in irgendetwas wirklich gut bin, dann darin, Männer dazu zu bringen, mir einen Heiratsantrag zu machen.« Ich zeige ihm den funkelnden Diamanten an meinem Finger.

Vater kneift die Augen zusammen. »Wie lange planst du das schon?«

»Seit Jahren.«

»Du hast nichts gesagt, als ich Chrysantha in den Palast geschickt habe.«

»Vater, Chrysantha könnte noch nicht einmal die Aufmerksamkeit eines tollwütigen Hundes erregen. Außerdem reicht Schönheit nicht aus, um dem Schattenkönig ins Auge zu stechen. Ihm werden das ganze Jahr über unzählige Schönheiten vorgeführt. Schick mich hin. Dann sorge ich dafür, dass wir einen Palast bekommen.«

Eine geschlagene Minute lang herrscht Schweigen im Raum.

»Du wirst neue Kleider brauchen«, bemerkt Vater schließlich, »und ich bekomme das Brautgeld für deine Schwester erst in ein paar Wochen. Uns bleibt nicht genügend Zeit.«

Ich ziehe den Ring von meinem Finger und betrachte ihn liebevoll. Was glaubt er wohl, warum ich so viele Liebhaber habe? Sicher, sie sind unterhaltsam, aber was noch viel wichtiger ist: Sie werden meinen Aufenthalt im Palast finanzieren.

Ich halte den Ring hoch, damit Vater ihn sehen kann. »Und davon hab ich noch eine Menge.«

Nähen war schon immer eine meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen, aber ich kann in so kurzer Zeit unmöglich all die Kleider allein anfertigen, die ich für die Umsetzung meiner Pläne benötige. In Zusammenarbeit mit meiner Lieblingsschneiderin entwerfe und bestelle ich zehn neue Tageskleider, fünf Abendroben und drei angemessen anstößige Nachthemden (wobei ich Letztere selbst anfertige – Eudora muss schließlich nicht wissen, wie ich meine Nächte zu verbringen gedenke).

Vater ist in die Planungen nicht involviert, da er viel zu sehr mit seinem Buchhalter beschäftigt ist, sich um sein Hab und Gut zu sorgen. Er ist bankrott und versucht verzweifelt, es zu verstecken. Es ist nicht seine Schuld. Vater ist durchaus kompetent, aber das Land wirft einfach nicht mehr dieselben Erträge ab wie früher. Vor einigen Jahren grassierte eine Seuche, der ein Großteil des Viehs zum Opfer fiel, und auch die Getreideernte fällt mit jedem Jahr magerer aus. Einer der Brunnen ist bereits versiegt und immer mehr Pächter ziehen fort.

Das Masis-Anwesen stirbt eines langsamen Todes und Vater braucht ein anständiges Brautgeld für meine Schwester und mich, um es aufrechtzuerhalten.

Und auch wenn ich mir dieser Situation durchaus bewusst bin, mache ich mir deswegen keine Sorgen. Scheinbar haben all meine Liebhaber das Bedürfnis, mir hübsche Dinge zu schenken. Sehr teure Dinge. Es hat Spaß gemacht: Ihre Geheimnisse aufzudecken. Sie zu verführen. Sie dazu zu bringen, mich mit Geschenken zu überhäufen.

Aber soll ich ehrlich sein?

Inzwischen langweilt es mich.

Doch ich habe einen neuen Plan.

Ich werde den König bezirzen.

Vermutlich wird es nur einen Monat dauern, bevor er sich hilflos in mich verliebt. Und wenn er mir einen Antrag macht, werde ich zum ersten Mal Ja sagen.

Und sobald wir verheiratet sind und die Ehe offiziell vollzogen wurde?

Dann werde ich den Schattenkönig töten und sein Reich übernehmen.

Nur werde ich die Leiche diesmal nicht vergraben müssen. Stattdessen werde ich einen Sündenbock suchen und dafür sorgen, dass jemand den Schattenkönig entdeckt. Schließlich müssen die Menschen ja wissen, dass ich das letzte noch lebende Mitglied des Königshauses bin.

Ihre Königin.

KAPITEL 2

Vater steigt zuerst aus der Kutsche und hält mir seinen Arm hin. Ich ergreife ihn mit einer behandschuhten Hand, ziehe mit der anderen meinen schweren Überrock ein Stück nach oben und steige die Stufen hinunter.

Der Palast ist ein imposantes, schwarz gestrichenes Bauwerk. Es ist gotisch geprägt, die Säulen von geflügelten Kreaturen gekrönt. Runde Türmchen ragen an den Seiten empor, dem neuesten architektonischen Stil entsprechend mit Ziegeln gedeckt.

Der Palast wurde auf dem Gipfel eines Berges erbaut, während sich der Großteil der Stadt den Hang hinunterschlängelt. Der Schattenkönig ist ein großer Eroberer und weitet seinen Einfluss nach und nach über die ganze Welt aus, genau wie sein Vater vor ihm. Da die umliegenden Königreiche hin und wieder versuchen, zurückzuschlagen, ist eine gut befestigte Hauptstadt unverzichtbar, und der große Palast gilt als uneinnehmbar. Wachen patrouillieren mit geschulterten Gewehren überall auf dem Gelände – eine weitere Abschreckungsmaßnahme gegen unsere Feinde.

»Ich bin mir nicht sicher, ob Schwarz wirklich die beste Farbwahl für deinen Aufzug war«, bemerkt Vater, während er mich die Stufen zum Haupteingang hinaufgeleitet. »Alle wissen, dass Grün die Lieblingsfarbe des Königs ist.«

»Jedes einzelne Mädchen dort drin wird Grün tragen. Es geht darum, aus der Masse hervorzustechen, Vater, nicht darin unterzugehen.«

»Ich fürchte, du bist deutlich über das Ziel hinausgeschossen.«

Das sehe ich anders. Nachdem der König Pegai erobert hatte, kleideten sich einige der Damen bei Hofe im pegaiischen Stil: eine weite Hose mit juwelenbesetztem Saum und dazu ein eng anliegendes Oberteil. Nach einiger Zeit verschwand die neue Modeerscheinung jedoch wieder. Sie war einfach zu anders und die meisten Damen konnten sich nicht daran gewöhnen.

Bei den Entwürfen für mein heutiges Outfit habe ich eine Kombination aus dem pegaiischen Stil und den hier in Naxos vorherrschenden schweren Röcken gewählt. Ich trage eine enge Hose unter einem bodenlangen Überkleid mit einem Schlitz in der Rockmitte, um die Hose gebührend zur Geltung zu bringen. Die Absätze meiner Stiefel machen mich gut zwei Zentimeter größer. Das Kleid ist kurzärmelig, aber ich trage so lange Handschuhe, dass sie sich mit den Ärmeln überlappen. Unter dem Oberkleid ist mein Mieder auf dem Rücken geschnürt und der Ausschnitt streift mein Schlüsselbein. Sittsam, aber nicht bieder.

Ein Anhänger in Form einer schwarzen Rose ziert meine enge Halskette. An meinen Ohrläppchen baumeln passende Ohrringe und mein Haar ist in einem losen Zopf halb nach oben gesteckt.

»Ich nehme an, du weißt, was du tun wirst, wenn man dich dem König vorstellt?«, fragt Vater. »Er wird eine Dame nach der anderen vor dem Thronpodium empfangen. Chrysantha hat er kaum eines Blickes gewürdigt, als sie an der Reihe war. Der Schattenkönig kommt niemals die Stufen herab, um mit den Ballgästen zu plaudern. Er fordert noch nicht einmal eine der Damen zum Tanz auf.«

»Natürlich weiß ich, was ich tun werde«, antworte ich. Man zieht schließlich nicht unvorbereitet in eine Schlacht.

»Und wirst du mir auch verraten, was es ist?«

»Es hat nichts mit dir zu tun, also musst du es auch nicht wissen.«

Die Muskeln in seinem Arm spannen sich ein wenig an. »Aber ich könnte dir einen Rat geben. Dir helfen. Du bist nicht die Einzige, die sich diesen Erfolg für dich wünscht.«

Vor dem Haupteingang bleibe ich stehen. »Hast du schon einmal einen Mann verführt?«

Röte steigt in Vaters Wangen. »Natürlich nicht!«

»Dann wüsste ich nicht, welchen Rat du mir geben könntest. Ich versichere dir, Vater, falls sich wider Erwarten eine Gelegenheit offenbart, bei der du dich doch noch als nützlich erweisen kannst, werde ich es dich wissen lassen. Aber fürs Erste komme ich bestens allein zurecht.«

Gemäßigten Schrittes setzen wir uns wieder in Bewegung. Der Page nickt uns zur Begrüßung zu, als wir an ihm vorbeigehen, und Vater führt mich zum Ballsaal.

Wir kommen jedoch nicht näher als dreißig Meter heran, weil sich im Korridor eine Schlange aus Grün fast an der ganzen Wand entlang erstreckt. Rund einhundert junge Damen plappern aufgeregt miteinander und mit ihren Familien, während sie darauf warten, dem König vorgestellt zu werden. Ich bin mir sicher, sie können unmöglich alle heiratsfähig sein. Viele der Mädchen sehen aus wie die jüngeren Schwestern der etwas älteren Damen in der Reihe. Sollte der König jedoch Interesse an einer der Jüngeren zeigen, zweifle ich nicht daran, dass ihr Vater dafür sorgen wird, dass sie heiratsfähig ist.

Vater führt mich ans Ende der Schlange, und obwohl sie sich recht schnell zu bewegen scheint, ist das einfach nicht gut genug.

»Nein, wir reihen uns nicht hier ein und warten«, sage ich.

»Aber es ist die einzige Möglichkeit, dem König vorgestellt zu werden.«

»Lass uns direkt in den Ballsaal gehen.«

»Dort drin wirst du in einem Meer aus Gästen untergehen. Damit erregst du seine Aufmerksamkeit sicher nicht.«

Ich atme langsam durch die Nase aus, bevor ich mich zu meinem Vater umdrehe. »Wenn du nicht tust, was man dir sagt, dann darfst du gerne wieder gehen. Vergiss nicht, Vater: Deine Bevormundung war bei Chrysantha nicht von Erfolg gekrönt. Deine Methode führt zu nichts. Ich habe meine eigene Strategie und werde sie so in die Tat umsetzen, wie ich es für richtig halte. Und da wir auf gar keinen Fall weiterhin zanken können, wenn wir den Ballsaal betreten, musst du dich jetzt entscheiden.«

Vater presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Er lässt sich nicht gerne sagen, was er tun soll, schon gar nicht von mir, seinem jüngsten Kind. Wenn Mutter noch am Leben wäre, wäre er vielleicht sanfter, freundlicher, aber sie starb an einer Krankheit, als ich elf war.

Schließlich nickt Vater, streckt seine freie Hand aus und bedeutet mir mit der Geste, die Führung zu übernehmen.

Ich tue es.

Beschwingte Orchestermusik dringt durch eine offen stehende Flügeltür ein Stück den Gang hinunter zu uns. Die Tür scheint jedoch ausschließlich als Ausgang des Ballsaals zu dienen. Ich sehe zu, wie mehrere junge Damen in den Korridor hinausströmen und hastig den Rückzug antreten, ein Taschentuch vor die Nase gepresst, um ihr Schniefen zu dämpfen, begleitet vom wütenden Tadeln ihrer Mütter.

Ob der König die jungen Bewerberinnen, die ihm vorgestellt werden, wohl ganz offen ablehnt? Ich lächle bei dem Gedanken, er könnte so unverhohlen sein. Genau das würde ich an seiner Stelle auch tun.

Vater und ich müssen uns an einigen weiteren aus dem Saal kommenden Adligen vorbeidrängen, bis wir uns schließlich mitten im Ballgetümmel wiederfinden.

Pärchen schweben über die Tanzfläche. Edle Herren trinken Wein aus Kelchen, Mütter tratschen am Rand des Saals miteinander. Mädchentrauben kichern hinter vorgehaltenen Fächern oder Schals, während sie zum Thron hinaufschauen.

Zum Schattenkönig.

Ich habe den Mann noch nie zuvor gesehen, doch hier und jetzt, versteckt zwischen den anderen Gästen, steht es mir frei, ihn zu beobachten, so lange ich will.

Es scheint, als würde sein Titel all den Gerüchten, die ich über ihn gehört habe, mehr als gerecht. Schattenranken wabern wie ein düsterer Heiligenschein um seinen Körper, streichen wirbelnd über seine Haut, als wären sie lebendig, bevor sie sich in Luft auflösen und von Neuem erscheinen.

Der Anblick ist faszinierend.

Man erzählt sich, der Schattenkönig verfüge über gewisse Kräfte, aber niemand weiß genau, wie sich diese gestalten. Manche sagen, er könne die Schatten beherrschen, sie nach Belieben dazu benutzen, zu töten und seinen Feinden das Leben aus dem Leib zu saugen. Andere behaupten, dass sie ihm als Schutzschild dienen. Dass keine Klinge seine Haut durchdringen könnte. Wieder andere glauben, die Schatten sprächen zu ihm und flüsterten ihm die Gedanken all jener in seiner Nähe zu.

Ich hoffe inständig, Letzteres entspricht nicht der Wahrheit.

Er darf auf keinen Fall erahnen, was ich nach unserer Hochzeitsnacht mit ihm vorhabe.

Nachdem ich mich ein wenig an seine Schattenumrisse gewöhnt habe, kann ich endlich auch irgendetwas anderes an ihm wahrnehmen. Sein Haar ist so schwarz wie die Schatten um ihn herum, an den Seiten kurz geschoren, auf dem Kopf jedoch länger und zu einem Seitenscheitel gekämmt. Dicke Brauen verdunkeln seine Augen. Sein markanter Kiefer ist von dichten Stoppeln überzogen und so scharf, als könnte man Glas damit schneiden. Seine Nase ist gerade, seine Lippen voll …

Etwas Schöneres als ihn habe ich noch nie gesehen, obwohl der Ausdruck auf seinem Gesicht irgendwo zwischen gelangweilt und gereizt erstarrt zu sein scheint.

Den König zu verführen, wird sich als außerordentlich angenehme Aufgabe erweisen.

Wir passen zusammen, fällt mir auf, als ich seine Kleidung betrachte. Während sämtliche Kleider um uns herum zwischen Mintgrün, Türkis und Oliv variieren, sind wir beide von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt. Der König trägt eine elegante Anzughose, ebenso schwarz wie sein Hemd, die Krawatte, die Weste und der Mantel. Glitzernde Silberknöpfe zieren sein Jackett. Eine Kette führt von seiner Schulter zur linken Brusttasche, in der sich zweifellos eine Uhr befindet. Seine Hände ruhen von schwarzen Lederhandschuhen bedeckt auf den Armlehnen seines Throns, an dem ein in einer Scheide steckender Degen lehnt – gewiss nur ein modisches Accessoire, das nicht wirklich für die Benutzung gedacht ist.

Obwohl er keine Krone trägt, besteht kein Zweifel am Status dieses Mannes.

»Er ist atemberaubend«, sage ich schließlich. Und jung. Ich wusste, dass er erst vor etwa einem Jahr gekrönt wurde, aber er kann nicht viel älter sein als ich.

»Vergiss nicht, wenn du dich ihm näherst, zwei Meter Abstand einzuhalten.«

Ja, ich kenne das Gesetz. Niemand darf den Schattenkönig berühren. Ein Verstoß wird mit dem Tode bestraft.

Oh, dieser Mann ist wirklich ein herrliches Rätsel und ich kann es kaum erwarten, es zu lösen.

»Tanz mit mir, Vater.«

Vater hat seine Lektion gelernt und legt ohne weitere Fragen eine Hand auf meine Taille, um mich bei dem langsamen naxonischen Tanz zu führen. Zunächst bewegen wir uns am Rand der Tanzfläche entlang, aber ich befehle Vater, sich weiter in die Mitte zu bewegen.

Zu unserer Linken tanzen zwei Herren miteinander. Der größere wirbelt den kleineren in einer perfekten Bewegung herum. Rechts von uns schmiegen sich ein Mann und eine Frau geradezu unanständig eng aneinander und ich juble ihnen im Stillen zu. Die Rebellin in mir schert sich einen Dreck um Anstand und Etikette.

Bereits nach einer Minute erspähe ich mehrere Männer, die über die Köpfe ihrer Tanzpartnerinnen hinweglugen, um einen Blick auf mich zu erhaschen. Mein schwarzer Aufzug erfüllt seinen Zweck offenbar ausgezeichnet.

Wobei ich glaube, es liegt vor allem an der Tatsache, dass meine in einer Hose steckenden Beine die große Ausnahme im Saal sind. Die meisten Männer sind diese Mode nicht gewöhnt. Außerdem habe ich mich für einen engen Schnitt entschieden, um meine Kurven bestmöglich zur Geltung zu bringen.

»Die Leute starren«, raunt Vater mir zu.

»Das ist ja auch der Sinn der Übung, oder etwa nicht?«

Ich stelle mir vor, wie die Szene vom Thronpodest aus wirken muss – das schwarze Innere einer Blüte in einem Meer aus salbeigrünen Blättern.

Immer mehr Bewerberinnen verlassen den Saal, nachdem sie dem König vorgestellt wurden. Hoffentlich waren bald alle Wartenden an der Reihe. So viele blaublütige junge Damen kann es doch gar nicht geben.

Plötzlich habe ich das Gefühl, ein Hitzestrahl würde sich in meinen Nacken bohren und bis zu meinen Zehen hinunterjagen. Ich werde beobachtet. »Sag mir, Vater, haben wir die Aufmerksamkeit des Königs bereits erregt?«

Vater wirft einen verstohlenen Seitenblick in Richtung des Throns. Seine Augen weiten sich. »Ich glaube, das haben wir.«

»Ausgezeichnet. Tanz weiter.«

»Aber …«

»Vater«, warne ich ihn.

Ich verliere mich regelrecht in den Tanzschritten. Ich liebe das Tanzen – wie leicht und fließend sich mein Körper bei den Bewegungen anfühlt, wie mein Haar während der Drehungen über meine Schultern fliegt und mir der Rock um die Beine wirbelt.

Als das Stück fast zu Ende ist, frage ich: »Wie viele Frauen stehen noch in der Schlange?«

»Zehn.«

Die Musik verklingt, doch das Orchester stimmt sofort das nächste Stück an.

»Sollten wir …?«, beginnt Vater.

»Ich bin am Verdursten. Gehen wir ans Büfett und gönnen uns eine kleine Erfrischung.«

»Aber …«

Als ich ihn anfunkle, nimmt er erneut meinen Arm und führt mich zu einem der reich gefüllten Tische hinüber, auf denen Gläser mit einer roten Flüssigkeit und Tabletts mit winzigen Kanapees stehen.

Ich nehme mir ein Glas, halte es an dem langen Stiel und führe es an meine Lippen.

»Lord Masis«, ist eine helle Stimme auf der anderen Seite des schmalen Tisches zu hören.

Ich blicke auf. Vor uns steht irgendein goldblonder Adliger, ein gutes Stück älter als ich. Dreißig, vielleicht. Sein Gesicht wirkt noch immer jung, aber seine Schultern sind viel breiter als die der Herren, deren Gesellschaft ich für gewöhnlich genieße.

»Lord Eliades!«, begrüßt Vater ihn und vergisst mich für einen Moment. »Wo haben Sie sich herumgetrieben? Wir haben Sie schon seit Wochen nicht mehr im Club gesehen.«

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, von welchem Club er spricht, aber ich schätze, ich hätte wissen müssen, dass Vater seine Abende nicht bei einer Geliebten verbringt. Er hat Mutters Tod nie verwunden.

Vater streckt eine Hand aus, um die von Lord Eliades zu schütteln, und mir fällt auf, dass der jüngere Mann deutliche Schwielen an der rechten Hand hat. Äußerst ungewöhnlich für einen Lord. Doch als ich die straffen Muskeln sehe, die sich unter seiner Anzughose abzeichnen, ordne ich ihn sofort als versierten Reiter ein.

»Leider erforderten meine Ländereien in letzter Zeit meine volle Aufmerksamkeit. Ich musste …«

Bereits gelangweilt von dieser Unterhaltung mache ich mir nicht die Mühe, weiter zuzuhören. Stattdessen wende ich mich ab und lasse den Blick über die Tanzenden schweifen. Ein Herr tritt seiner Partnerin bei einer Drehung auf den Fuß, weil er mit den Augen förmlich an meinen Beinen klebt.

»Au!«, ruft die Leidtragende aus.

Ich lächle in mein Glas, trinke einen weiteren Schluck und achte darauf, zum Thron zu schauen. Ich könnte schwören, dass ich noch immer eine leichte Hitze aus dieser Richtung auf meiner Haut spüre.

»Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit!«, ruft Vater plötzlich. »Orrin, das ist meine Tochter Alessandra. Nun, da Chrysantha verlobt ist, habe ich ihr einen Besuch im Palast erlaubt.«

Ich unterdrücke ein Stöhnen, bevor ich mich umdrehe. Vermutlich kann es meiner Sache nur zuträglich sein, dabei gesehen zu werden, wie ich mit anderen Gästen plaudere, statt irgendein Interesse an unserem König zu zeigen. Allerdings bin ich mir fast ebenso sicher, dass ich jeden Freund meines Vaters unerträglich finden werde.

Ich hebe mit der freien Hand meinen Rock an und vollführe einen Knicks. »Freut mich.«

Eliades’ Augen leuchten, bevor er sich verneigt. »Sie ist genauso schön wie die Ältere. Ist sie denn auch von so freundlichem Gemüt?«

Bevor Vater eine Antwort auf diese Frage zusammenkratzen kann, fügte Eliades hinzu: »Ich bin noch immer ein wenig verärgert, dass Sie Chrysanthas Hand nicht mir gegeben haben. Mein Geld ist ebenso gut wie das des Herzogs!«

»Als Graf verstehen Sie gewiss, dass ich meiner Tochter den bestmöglichen Adelstitel verschaffen musste. So sehr ich Ihre Freundschaft auch zu schätzen weiß, meine liebste Chrysantha ist …«

Ich schließe genervt die Augen. Chrysantha ist das Letzte, worüber hier alle reden sollen. Heute Abend geht es um mich.

»Vater, es beginnt ein neuer Tanz.« Ich stelle mein leeres Glas auf dem Tisch ab und zupfe ihn am Ärmel.

Offenbar erinnert Vater sich wieder an den Zweck dieses Ballbesuchs, denn er entschuldigt uns und reiht sich mit mir zwischen den anderen Tanzpaaren ein. Ich versuche, meinen Zorn zu verstecken. Selbst auf einem Fest, bei dem Chrysantha nicht anwesend und Vater fest entschlossen ist, mir dabei zu helfen, die Aufmerksamkeit des Königs zu erregen, kann er nicht anders, als seine Lieblingstochter zu erwähnen. Die Tochter, die wie Mutter aussieht und das gleiche sanfte Wesen wie sie hat.

»Die Warteschlange hat sich aufgelöst«, verkündet Vater während der ersten Tanzschritte, nun wieder ganz auf den König konzentriert.

»Tanz einfach weiter. Sieh den König nicht mehr an.«

»Aber er beobachtet uns.«

»Ignoriere ihn.«

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie der König auf seinem Thron hin und her rutscht, als hätte er zu lange in einer Position verharrt, weil er abgelenkt war.

Abgelenkt von mir.

Bei dem Gedanken verschwindet meine Wut. Das neue Stück ist schneller und erfordert daher mehr Geschick und Konzentration. Vaters Gesicht verschwimmt beim Tanzen vor meinen Augen und ich vergesse den König vollkommen. Ich verliere mich im Rhythmus der Musik, der im Gleichklang mit meinem Herzen schlägt, und dem herrlichen Gefühl meiner über den Boden fliegenden Füße.

Doch bevor das Stück zu Ende ist, erstirbt die Musik abrupt. Die Paare ringsum gehen auseinander und Vater unterbricht unseren Tanz.

Der König nähert sich uns, seine Schatten wabern hinter ihm, während er sich bewegt. Ich versuche, nach dem anstrengenden Tanz meinen rasenden Atem zu beruhigen, während Vater sich bei mir unterhakt und sich umdreht, um unseren Regenten zu begrüßen.

»Eure Majestät«, sagt Vater und verneigt sich.

Neben ihm vollführe ich einen Knicks.

»Lord Masis«, erwidert der König mit einem Nicken. »Ich glaube, Eure Tanzpartnerin wurde mir noch nicht vorgestellt.«

Ich lasse meinen Blick knapp rechts am König vorbei fallen. Obwohl ich es nicht sehen kann, spüre ich, wie er mich von Kopf bis Fuß betrachtet. Er hat mich die letzten fünfzehn Minuten lang beobachtet und lässt sich nun Zeit, mich aus der Nähe zu begutachten.

»Verzeiht mir, Eure Majestät«, erwidert Vater. »Darf ich Euch meine Zweitgeborene vorstellen? Lady Alessandra Stathos.«

Der König neigt den Kopf zur Seite. »Ihr habt Euch nicht zusammen mit den anderen Damen in die Warteschlange gestellt, Lady Stathos. Ist die Tanzfläche interessanter als ich?« Seine Stimme ist ein tiefer Bariton, nicht unbedingt beruhigend, aber kraftvoll.

Ich unterdrücke ein Lächeln und begegne seinem Blick zum ersten Mal. Ein herrliches Kribbeln jagt durch meinen ganzen Körper, als wir einander in die Augen schauen.

Seine sind grün wie das Meer, wie tosende Wellen und gewaltige Stürme. In ihrer Tiefe liegt etwas Gefährliches, Aufregendes, und mir wird umgehend bewusst, dass es mir äußerst schwerfallen wird, weiterhin Desinteresse zu heucheln.

Als es mir schließlich gelingt, den Blick abzuwenden, lasse ich ihn langsam am Körper des Königs nach unten wandern und betrachte ihn, während er mich beobachtet. Ich begutachte ihn ausführlich, von seinen schwarzen Haarspitzen bis zu den Sohlen seiner perfekt gewienerten Schuhe.

»Ja«, gestehe ich schließlich.

Sämtliche Luft entweicht mit einem schmerzhaft klingenden Keuchen aus der Lunge meines Vaters.

Doch der Schattenkönig stößt ein tiefes Lachen aus.

»Ich sah, wie mehrere Damen den Ball in Tränen aufgelöst verließen«, füge ich hinzu. »Mit Eurer Majestät zu sprechen, schien mir ein zuverlässiger Weg zu sein, aus dem Saal geschickt zu werden. Und das wollte ich auf keinen Fall riskieren, bevor ich ein wenig getanzt hatte.«

»Tanzt Ihr wirklich gern? Oder wollt Ihr vor allem Euer«, sein Blick huscht für einen Moment zu meinen Beinen hinunter, »Kleid präsentieren?«

»Macht Ihr Euch über mein Outfit lustig? Ich habe es selbst entworfen.«

»Ganz im Gegenteil. Es gefällt mir ausgezeichnet.« Ein amüsiertes Zucken umspielt seine Mundwinkel. Ich vermute stark, seine Erheiterung geht auf meine Kosten und das gefällt mir ganz und gar nicht.

»Gebt mir Eure Maße, dann kann ich auch eines für Euch schneidern«, erwidere ich.

Erneut breitet sich ein Grinsen auf den Lippen des Königs aus und ich kann nicht umhin, zu bewundern, wie viel attraktiver er dadurch aussieht.

»Tanzt mit mir«, fordert er mich auf.

Vater steht so reglos da, dass man meinen könnte, er wäre zu Stein erstarrt.

»Ist das ein Befehl oder eine Bitte? Wie ich höre, lasst Ihr Mädchen erhängen, wenn sie Euch zu nahe kommen.«

»Ich lasse sie nicht erhängen. Die jungen Damen werden nur höflich gebeten, den Ball zu verlassen. Solange Ihr den entsprechenden Abstand wahrt, werde ich Euch nicht ebenso wegschicken.«

Trotzdem bin ich noch nicht bereit, einzuwilligen. »Macht ein Tanz denn überhaupt Spaß, wenn man seinen Partner dabei nicht berühren darf?«

»Akzeptiert meine Aufforderung und findet es heraus.«

KAPITEL 3

Die Tanzfläche leert sich, bis nur noch der König und ich übrig sind. Das Orchester beginnt mit einem neuen Stück, zu dem nur wir beide tanzen.

Während er mir direkt in die Augen schaut, macht der König einen Schritt auf mich zu und ich folge seiner Führung, indem ich mich einen Schritt rückwärts bewege. Diese Art des Tanzens ist eher improvisiert, anstatt einer strikten Choreografie zu folgen, und ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob der König mich damit testen will, um zu sehen, ob ich mit ihm mithalten kann. Als er einen Schritt zur Seite macht, tue ich es ihm nach. Er hält die ganze Zeit die Arme auf dem Rücken verschränkt, aber beim Tanzen sollte man nicht so steif sein, daher lasse ich meine eigenen Arme mit meinen Bewegungen mitschwingen.

Anfangs fällt es mir schwer, mich nicht von den schwarzen Ranken ablenken zu lassen, die um ihn herumwirbeln. Die Schatten sind so ungewöhnlich, so faszinierend. Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn ich die Hand nach einem von ihnen ausstrecken würde. Würde er sich um meinen Finger wickeln? Sich bei meiner Berührung in Luft auflösen? Würde es sich anfühlen, wie in Nebel einzutauchen?

Als der Schattenkönig einen Arm nach mir ausstreckt, kehre ich wieder in den Moment zurück. Ich weiß, dass ich ihn nicht berühren darf, also vollführe ich stattdessen eine Drehung vor ihm, bei der mein Rock vom Boden abhebt und noch mehr von der engen Hose darunter enthüllt. Ich schließe die Augen, um die Bewegung noch intensiver zu spüren.

Das Tempo der Musik nimmt zu und mit ihm die Schritte des Königs. Ich scheine seine Bewegungen eher zu spüren, als zu sehen. Der Tanz wird aufgeregter, wilder, beinahe so, als wohnte der Musik selbst etwas Verzweifeltes inne. Während das Stück immer schneller wird, durchbohrt der König mich förmlich mit seinem Blick und mich beschleicht das Gefühl, er wollte mir mithilfe des Tanzes etwas mitteilen.

Ich sehe nur noch diese grünen Augen, spüre nichts als den Boden unter meinen Füßen und verliere jedes Gefühl für Zeit und Sinn.

Als die Musik urplötzlich erstirbt, lege ich den Kopf in den Nacken, während der Schattenkönig eine behandschuhte Hand in meine Richtung bewegt, als wollte er ein Streicheln imitieren.

Ich atme schwer und starre in zwei smaragdgrüne Strudel hinauf, doch schon wenige Sekunden später haben wir uns wieder gefasst.

Als der König den Blick schließlich von mir abwendet, verkündet er für alle hörbar: »Genug gefeiert für eine Nacht.«

Dann wirbelt er ohne ein weiteres Wort auf dem Absatz herum, stolziert aus dem Saal und schnappt sich auf dem Weg nach draußen seinen Degen.

Ich starre sprachlos auf die Stelle, an der er eben noch stand.

Einen Moment später scheuchen Bedienstete mit albernen Perücken alle aus dem Saal. Vater nimmt meinen Arm und ich lasse mich schweigend von ihm hinausführen.

Was ist hier gerade passiert?

Ich dachte, der Tanz lief perfekt. Ich habe ihn nicht berührt. Ich bin ihm nicht zu nahe gekommen.

Der König, der seit seiner Krönung mit niemandem öffentlich getanzt hat, hat mich zum Tanz aufgefordert.

Und mich dann ohne ein weiteres Wort stehen lassen.

Männer servieren mich nicht einfach so ab. Nicht seit Hektor. Ich spüre, wie meine Nasenflügel beben und mein Gesicht glüht.

»Es war ein beherzter Versuch«, lobt Vater, als er mir mit einer Hand in die Kutsche hilft. »Teufel noch mal, du hast mehr erreicht als jede andere Frau. Seine Majestät hat sich nicht nur die Mühe gemacht, dich anzusehen, er hat dich zum Tanzen aufgefordert. Er wird sich an dich erinnern. Die Sache muss noch nicht vorbei sein.«

Die Kutsche setzt sich langsam in Bewegung, hält jedoch immer wieder an und rollt ein Stück weiter, da sich dank all der anderen Gäste, die den Palast mit uns verlassen haben, ein Rückstau gebildet hat.

»Einen Moment!«, ruft plötzlich jemand. Die Kutsche kommt erneut ruckelnd zum Stehen.

Im offenen Seitenfenster taucht der Kopf eines Mannes auf. Ein Palastdiener, der Uniform nach zu urteilen.

»Lady Stathos?«, fragt er.

»Das bin ich.«

Er streckt einen Arm in die Kutsche und reicht mir einen schwarzen Umschlag. Ich nehme ihn an mich, aber der Bote verschwindet nicht wieder. Er wartet geduldig, während ich den Umschlag öffne.

Verzeiht mir, Lady Stathos, aber ich habe meine Meinung geändert. Ich wünsche nicht, dass Ihr geht – Ihr seid viel zu interessant. Würdet Ihr Euch meinem Hofstaat anschließen? Betrachtet dies als Einladung, nicht als Befehl. Mein Diener wird warten, während Ihr diese Nachricht lest, für den Fall, dass Ihr einwilligt.

K. M.

Ich wundere mich über die Unterschrift. Könnten dies die Initialen des Königs sein? Ich hätte angenommen, er würde mit S. K. unterschreiben. Dabei ist Schattenkönig überhaupt nicht sein Name.

Freudige Erregung rauscht durch meinen Körper, als mir bewusst wird, was dies bedeutet.

»Was ist das für eine Nachricht?«, will Vater wissen.

»Der König bittet mich, mich seinem Hofstaat anzuschließen.«

»Und warum sitzt du dann noch in dieser Kutsche?«

Ich wende mich dem Diener zu. »Ich nehme die Einladung seiner Majestät an.«

»Sehr wohl, Mylady.« Er öffnet die Kutschentür für mich, schließt sie jedoch wieder, bevor auch Vater die Stufen hinabsteigen kann. »Ich fürchte, die Einladung gilt nur für die Dame, Mylord. Ihr könnt in Euer Zuhause zurückkehren.«

Und bevor Vater protestieren kann, eskortiert mich der Diener zurück in den Palast.

Wir gehen nicht durch den Haupteingang hinein. Stattdessen werde ich zu einer Seitentür gebracht, bei der es sich um einen Dienstboteneingang zu handeln scheint.

Wäscherinnen und Küchenmägde starren mich neugierig an, als ich durch lange, mit schwarzem Teppich ausgelegte Korridore geführt werde, vorbei an Kerzenleuchtern in Form von dornigen Ranken und durch mit Hengsten und Adlern bemalte Türen, die von mächtigen Vasen flankiert werden.

Versucht der König, mich zu verstecken? Oder will er nur kein großes Aufhebens um meinen Einzug veranstalten?

Schließlich bittet der Diener mich, vor einer Tür stehen zu bleiben. Er holt einen Schlüssel aus seiner Jackentasche hervor und schließt auf.

Das Zimmer ist prachtvoller als jedes einzelne, in dem ich jemals genächtigt habe, mit schweren, lichtundurchlässigen Vorhängen, Holzmöbeln, die mit kunstvollen Rosen verziert sind, und Kissen aus den weichsten Daunen. Aber ich bin mir sicher, es ist nichts im Vergleich dazu, wie die Gemächer einer Königin aussehen würden.

Eine Zofe wartet in dem Zimmer auf mich. Vermutlich hat sie das Bett soeben frisch bezogen.

»Der König hat bereits nach Euren Sachen geschickt, Mylady. Sie sollten morgen früh hier eintreffen«, erklärt mir der Diener, der mich hergebracht hat.

»Aber ich habe seine Einladung doch eben erst angenommen, und der König weiß noch gar nicht, dass ich eingewilligt habe.«

Der Diener richtet sich ein wenig gerader auf. »Der König war hoffnungsfroh, Ihr würdet einwilligen.«

Hoffnungsfroh? Anmaßend trifft es wohl eher. Oder arrogant.

»Ich verstehe.«

Es liegt noch viel Arbeit vor mir.

KAPITEL 4

Am nächsten Morgen wird mir das Frühstück aufs Zimmer gebracht, zusammen mit meinen Habseligkeiten. Ich verbringe den Vormittag damit, Bedienstete herumzukommandieren. Die Schränke sind mit all den Kleidern gefüllt, die ich entworfen habe, und auf der Frisierkommode stehen meine verschiedenen Puder und Parfüms sowie mein Schmuck.

Ich bin keine große Leserin, habe jedoch zahlreiche Bücher in den Palast bringen lassen. Bei den meisten handelt es sich um philosophische, mathematische, agrarwissenschaftliche Arbeiten und andere Bücher zu ähnlich wichtigen Themen. Sie sind nur hier, um die drei einzigen wirklich interessanten Bücher zu verstecken. Für den oberflächlichen Betrachter wirken sie harmlos: drei Bände zu Heilpflanzen und -kräutern. Jedes der Bücher umfasst jedoch auch mehrere Kapitel zu Giften und Gegengiften, die sich für mich als äußerst nützlich erweisen werden, schließlich werde ich den Schattenkönig töten müssen, wenn wir erst verheiratet sind.

Hektors Tod war chaotisch und widerlich, und es war äußerst schwer, ihn zu verstecken und die Spuren zu beseitigen. Ich würde nur sehr ungern noch einmal jemanden erstechen. Gift ist eine so viel sauberere Art, jemanden zu töten, und dürfte sich als deutlich einfacher erweisen. Ganz davon zu schweigen, dass es nahezu unmöglich ist, die Giftmischerin zu entlarven.

Ich weise die Zofen an, die Bücher in ein leeres Regal in meinem Wohnzimmer zu räumen. Dann trete ich einen Schritt zurück und bewundere das gesamte Arrangement.

Ja, es wird seinen Zweck erfüllen.

Eine Zofe hilft mir beim Ankleiden. Ich wähle einen dunkelblauen Überrock zu einer passenden Hose. Bei dem Stoff handelt es sich um schlichte Baumwolle – ein starker Kontrast zu dem Taft meines Kleids am gestrigen Abend. Ein Spitzensaum ziert meine Knöchel, das Muster eine Kette aus Rosen.

Statt Stiefeln entscheide ich mich für schlichte flache Schuhe. Meine Bluse ist vorne geschnürt und ähnelt einem Korsett. Sie ist absolut skandalös und ich vermute, kein einziger Mann am Hof wird den Blick von mir abwenden können.

Doch genau darum geht es. Sieht ein Mann etwas, das mehrere andere Männer wollen, kann er nicht anders, als es auch zu wollen.

Die Zofe fasst mein Haar oben auf dem Kopf zu einem Dutt zusammen, dreht dann ein paar vereinzelte Strähnen zu Locken auf und lässt sie über meinen Nacken und meine Ohren fallen.

Als ich mich schließlich bereit fühle, dem Tag zu begegnen, betritt ein weiterer Diener meine Gemächer.

Er verneigt sich tief. »Mylady, der König hofft, Ihr werdet ihm und dem restlichen Hof zum Tee im Obstgarten Gesellschaft leisten.«

»Habe ich das Mittagessen versäumt?«

»Ich fürchte ja, aber Seine Majestät hat nichts anderes erwartet. Der König ging davon aus, es würde den Großteil Eures Tages in Anspruch nehmen, Euch in Euren neuen Gemächern einzurichten.«

Es freut mich, zu hören, dass der König an mich denkt, selbst wenn ich nicht in seiner Nähe bin.

»Wenn ich noch etwas hinzufügen dürfte, Mylady: Der König veranstaltet für gewöhnlich keinen Nachmittagstee. Ich kann daher nur annehmen, dass er ihn speziell für Euch ausrichtet.«

»Für mich?«

Er verschränkt seine in weißen Handschuhen steckenden Hände auf dem Rücken. »Wie ich höre, ist dies Euer erster Aufenthalt bei Hofe. Hier gibt es zahlreiche Herrschaften, mit denen Ihr noch bekanntgemacht werden müsst.«

Das zaubert ein kleines Lächeln auf meine Lippen. »Dann sollte ich Seine Majestät lieber nicht durch meine Abwesenheit enttäuschen.«

Von Ziegelsteinen gesäumte Wege schlängeln sich unter blütenübersäten Kirschbäumen hindurch. Ein schmaler Bach plätschert neben dem Weg und die Luft ist vom Gesang der Vögel erfüllt.

Gepolsterte Stühle wurden unter freiem Himmel aufgestellt und ein langer Tisch mit dünnen Sandwiches, geschnittenem Obst, Feingebäck, Kuchen und anderen süßen Köstlichkeiten gedeckt, die von Bediensteten ständig neu aufgefüllt werden.

Erregung kribbelt in mir bei dem Gedanken an all die Möglichkeiten, die sich mir nun bieten. Diesmal ist Vater nicht hier, um mir alles kaputtzumachen. Stattdessen bin ich von den einflussreichsten Menschen der Welt umgeben.

Eine Gruppe von Damen sitzt am Bach und tauscht den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Drei Herren stehen, die Köpfe zusammengesteckt, unter einem der Kirschbäume, Teetassen in ihren Händen, während sie über eine Bemerkung lachen, die einer von ihnen hat fallen lassen. Mehrere Pärchen haben sich ein wenig von den anderen Grüppchen abgesondert und ich beobachte zwei turtelnde Damen, deren Reifröcke einander berühren, während sie Händchen haltend spazieren gehen. Den Damen bei Hofe könnten ein paar modische Ratschläge von mir wirklich nicht schaden. Ich hege die Hoffnung, hier einige neue Akzente setzen zu können.

Da sämtliche Höflinge in Gespräche vertieft sind, hat noch niemand meine Ankunft bemerkt.

Ich stolziere absichtlich auffällig auf den Tisch mit den Erfrischungen zu, während ich mich nach dem König umschaue, als plötzlich etwas von hinten in mich hineinrauscht.

Ich verliere beinahe den Halt, aber es gelingt mir, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, obwohl ganz offenbar jemand auf meinem Überrock steht.

Die tadelnde Bemerkung liegt mir bereits auf der Zunge, als ich mich umdrehe, aber ich schlucke sie wieder hinunter.

Ein hechelnder Hund steht vor mir.

Zumindest glaube ich, dass es ein Hund ist. Die Ähnlichkeit zu einem Bären ist verblüffend – sowohl dank seiner Größe als auch der Farbe seines Fells.

»Hallo«, sage ich, beuge mich nach unten und strecke meine Hand aus.

Der Hund schnuppert daran, bevor er meine Finger mit der Nase anstupst. Eine eindeutige Aufforderung, ihn zu streicheln.

Ich wollte schon immer einen Hund, aber Vater hat es mir stets verboten, weil er allergisch gegen sie ist.

Ich kraule ihn – und es ist tatsächlich ein er, wie mir ein kurzer Blick nach unten bestätigt – hinter den Ohren.

»Braver Junge«, sage ich, »auch wenn ich es zu schätzen wüsste, wenn du von meinem Rock heruntergehen würdest.«

Stattdessen legt der Hund sich hin, wodurch er noch mehr von meinem Rock in Beschlag nimmt, bevor er seine feuchte Schnauze tief in dem Stoff vergräbt.

»Was tust du denn da, du albernes Ding?« Ich verlagere das Gewicht, um die Balance nicht doch noch zu verlieren, und stoße dabei mit dem Fuß gegen etwas.

Ein Ball, ungefähr so groß wie ein Apfel. Versteckt unter meinem Rock. Ich hole ihn hervor.

»Oh, suchst du den?«, frage ich.

Der Hund springt schwanzwedelnd auf und gibt endlich meinen Rock frei. Ich hole aus, werfe den Ball, so weit ich kann, und sehe zu, wie der riesige Mischling ihm hinterherjagt.

Dann, aus dem Augenwinkel, der Hauch eines Schattens.

Der König beobachtet mich. Seine Schatten werden dunkler, als sich unsere Blicke treffen, umwirbeln ihn dichter. Ich frage mich, ob sie sich entsprechend seiner Gedanken verändern. Ob ich lernen könnte, sie zu deuten, wenn ich sie nur lange genug studiere.

Er steht im Schatten eines Baumes, an den Stamm gelehnt. Heute ist sein Haar aus der Stirn gekämmt und ich habe nicht die geringste Ahnung, durch welche Art von Zauberei es ihm gelingt, es so voll und makellos aussehen zu lassen, jede Strähne an ihrem Platz. Er trägt ein langärmliges schwarzes Hemd, passende Handschuhe, eine Weste aus dunkelblauem Brokat und eine schwarze Krawatte.

Mir war gar nicht bewusst, dass ich den Hund angelächelt habe, doch jetzt spüre ich, wie sich meine Züge zu einem überraschten Ausdruck verziehen.

Und dann sehe ich, wie das Tier zu dem Baum hinübertrottet und den Ball vor die Füße des Königs fallen lässt.

Ich richte mich auf, streiche meinen Überrock glatt und rausche auf den König zu. Zwei Meter von ihm entfernt bleibe ich stehen und verschränke die Arme über der Brust.

»Ist das Euer Hund?«, frage ich anklagend, obwohl ich die Antwort bereits kenne.

»Braver Junge, Demodocus«, lobt der Schattenkönig, hebt den Ball auf und wirft ihn noch einmal. Demodocus saust ihm sofort hinterher. An mich gewandt fügt der König hinzu: »Ihr habt einen kräftigen Arm.«

»Und Ihr seid beeindruckend zielsicher.«

Er zieht eine Augenbraue hoch. »Ihr beschuldigt mich doch gewiss nicht, den Ball absichtlich nach Euch geworfen zu haben.«

»Aber genau das habt Ihr getan.« Nur warum? »Wenn Ihr meine Aufmerksamkeit gewollt hättet, hättet Ihr nur darum bitten müssen. Obwohl ich nicht geneigt bin, sie Euch noch immer zu schenken, nachdem Ihr Eurem Hund praktisch befohlen habt, mich anzugreifen.«

Die Mundwinkel des Königs wandern nach oben. »Es war nicht Eure Aufmerksamkeit, die ich wollte. Ich war nur neugierig, wie Ihr auf Demodocus reagieren würdet.«

»Warum?«, frage ich verblüfft.

Demodocus stürmt wieder zu uns zurück und lässt den Ball vor den hochglanzpolierten Schuhen des Königs fallen. Der hebt ihn mit einer schwarz behandschuhten Hand hoch, bevor er ihn in Richtung mehrerer Damen schleudert, die auf Stühlen am Bachufer sitzen. Demodocus saust an ihnen vorbei, um seine Trophäe zu fangen, und ein Chor aus kreischenden Schreien hallt durch die Luft.

Der König hebt ein wenig das Kinn, so als würde dies unterstreichen, was er zum Ausdruck bringen wollte.

Was immer das auch sein mag.

»Ihr kommt gut mit Unerwartetem zurecht«, bemerkt er schließlich. »Und Ihr mögt Tiere. Das sind zwei Dinge, die ich vorher noch nicht über Euch wusste.«

»Und Ihr seid hinterhältig.« Seinen Hund so schamlos auf nichts ahnende Damen zu hetzen.

»Gewiss konntet Ihr Euch dies in meinem Fall doch bereits denken«, entgegnet er und stößt sich von dem Baumstamm ab. Er tritt ins Licht und ich weiche einen Schritt zurück, um den angemessenen Abstand zu wahren. Sein Grinsen wird noch breiter, als er mich von Kopf bis Fuß betrachtet.

»Was ist denn so komisch?«, frage ich.

»Ich bewundere einmal mehr Euren Aufzug. Sagt, trägt man ein Korsett nicht für gewöhnlich unter der Bluse?«

»Das ist kein Korsett, es ist nur einem nachempfunden. Ich finde die Schnürung sehr hübsch, warum sollte man sie verstecken?«

Der König nimmt sich einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken. »Ihr werdet an meinem Hof für jede Menge Aufregung sorgen.«

Ich kann nicht sagen, ob ihn diese Aussicht besorgt oder amüsiert.

»Seht Euch nur an, wie sehr Ihr die Dinge bereits verändert habt. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet?« Er wendet sich ab. »Demodocus! Bei Fuß, Junge!«

Demodocus stürmt zu ihm zurück und die beiden entfernen sich im Laufschritt zwischen den Bäumen hindurch, während die Schatten dem König wie ein Kometenschweif folgen.

Die Dinge verändert? Was meint er nur damit?

Ich lehne mich mit dem Rücken an den Baumstamm, an dem der König eben noch stand, und lasse den Blick über den Garten schweifen.

Oh.

Die Hofdamen – sie sind von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Nicht ein winziger Sprenkel Grün in Sicht.

Sie ahmen meinen Aufzug vom gestrigen Abend nach. Wie konnte mir das bisher entgehen?

Ich habe damit die Aufmerksamkeit des Königs erregt, er forderte mich zum Tanzen auf und jetzt wurde er dabei gesehen, wie er sich im Obstgarten mit mir unterhielt. Alle starren mich nun offen an. Und …

Und eine Gruppe älterer Lords und Ladys kommt direkt auf mich zu. Sie sind zu fünft, alle in den Vierzigern und Fünfzigern, würde ich schätzen. Sie sehen wichtig aus. Was ich daran erkenne, dass sie niemanden ringsum auch nur eines Blickes würdigen und alle anderen zur Seite weichen, um ihnen Platz zu machen.

Außerdem beobachte ich, dass einige andere Höflinge, die sich mir ebenfalls nähern wollten, den Fünfen den Vortritt lassen.

»Lady Alessandra Stathos, nicht wahr?«, fragt der Mann ganz vorne in der Gruppe und streckt mir seine Hand entgegen. »Mein Name ist Ikaros Vasco. Ich bin der Vorsitzende des Königlichen Rates.«

Ich halte ihm meine Hand hin und er beugt sich galant darüber. Man sieht Lord Vasco sein Alter nicht unbedingt an, abgesehen von ein paar Falten um die Augen und einem zunehmend weißen Haarschopf, der einst braun gewesen sein muss.

»Ja. Es ist mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen, Lord Vasco.«

Er macht sich nicht die Mühe, den Rest seiner Begleiterinnen und Begleiter vorzustellen, bei denen es sich vermutlich um die restlichen Mitglieder des Königlichen Rates handelt.

»Ich fürchte, ich weiß nicht viel über Euch«, gesteht er und richtet sich wieder auf. »Die zweite Tochter eines Grafen. Bis gestern Abend noch nicht in die Gesellschaft eingeführt. Einige Herren bei Hofe scheinen Euch jedoch zu kennen, da sie geschäftlich mit Eurem Vater zu tun hatten.«

Er hat sich über mich schlaugemacht. Sich über meinen familiären Hintergrund informiert. Natürlich. Es ist seine Aufgabe, alles über die Personen zu wissen, mit denen der König Zeit verbringt. Die eigentliche Frage ist jedoch, ob der König ihn persönlich angewiesen hat, in meiner Vergangenheit herumzustöbern, oder ob der gute Rat eigenmächtig gehandelt hat.

»Ich fürchte, daran müsst Ihr dem Gesetz die Schuld geben«, erwidere ich ehrlich. »Meine Schwester ist erst seit Kurzem verlobt, daher war es mir bisher nicht gestattet, irgendwelchen Veranstaltungen beizuwohnen. Die einzigen Bekanntschaften, die ich bislang schließen konnte, beschränkten sich auf die Herren, mit denen mein Vater geschäftlich verkehrt.«

»Und auf ihre Söhne, wie es scheint.«

Ich blinzle irritiert. »Wie bitte?«

»Ich fand es recht kurios, dass keine der Damen bei Hofe je von Euch gehört hatte. Schließlich hat Eure Schwester den letzten Ball hier besucht. Blieb anschließend am Hof. Schloss Freundschaften. Und dennoch hat sie Euch kein einziges Mal erwähnt. Es ist fast, als hättet Ihr damals noch nicht existiert.«

Ich lächle höflich, während sich ein bleischweres Gewicht in meinen Magen senkt. Typisch Chrysantha, Probleme zu verursachen, obwohl sie gar nicht hier ist. Mal wieder.

»Und dennoch«, fährt Vasco fort, »behaupten Myron Calligaris und Orrin, Lord Eliades, Euch zu kennen. Tatsächlich hatten sie einiges über Euch zu sagen. Eliades konnte Euren Charme gar nicht genug preisen.« Vasco verzieht das Gesicht. »Calligaris hingegen hatte … anderes über Euren Charakter vorzubringen.«

Darauf würde ich wetten. Myron ist noch immer verärgert, weil ich seinen Antrag abgelehnt habe. Meine Schwester und meine Verehrer müssen ein schreckliches Bild von mir gezeichnet haben, ohne etwas wirklich Vernichtendes über mich zu sagen. Aber ich kann die Sache wieder in Ordnung bringen.

»Ich fürchte, Lord Calligaris bat meinen Vater, mir den Hof machen zu dürfen, bevor meine Schwester verlobt war. Und als gesetzestreuer Ehrenmann musste mein Vater diese Bitte selbstverständlich ablehnen.« Ich mache ein trauriges Gesicht. »Und bedauerlicherweise gibt Lord Calligaris mir die Schuld dafür. Ist das zu glauben? Es kommt mir vor, als hätte er keinerlei Respekt für jene, die die Gesetze unseres Königreichs erlassen und für deren Einhaltung sorgen.«

Bei denen es sich, selbstverständlich, um die fünf Damen und Herren vor mir handelt.

Lord Vasco nickt verständnisvoll. »In der Tat. Ich werde wohl noch einmal auf mein Gespräch mit ihm zurückkommen müssen.«

Und vorher werde ich Myron daran erinnern müssen, was passieren wird, falls er irgendwelche Einzelheiten über unsere frühere Bekanntschaft verbreitet. Uns Damen sind Liebhaber vor der Ehe nicht gestattet. Eines von vielen Gesetzen, die ich ändern werde, sobald ich auf dem Thron sitze.

Schon der Anflug eines derartigen Gerüchts würde mein Ende und damit das all meiner Pläne bedeuten.

»Genießt Eure Zeit bei Hofe, Lady Stathos«, fügt Vasco hinzu. »Ich bin mir sicher, Ihr werdet Euch freuen, einige bekannte Gesichter zu sehen. Aber wenn ich Euch einen Rat geben dürfte? Falls Ihr hofft, mehr Zeit mit dem König zu verbringen, solltet Ihr die Freundschaft einiger Damen suchen. Hmm? Und Euch vielleicht um eine etwas traditionellere Gewandung bemühen?« Er betrachtet meine Kleider mit eindeutigem Abscheu.

»Ich habe bereits einige Freundschaften mit anderen Damen geschlossen, Lord Vasco. Womöglich habt Ihr nur nicht genügend Hofdamen befragt.«

»Denkt Ihr, ja?«, erwidert er.

»Ja. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet?«

Ich habe drei Sekunden, um mich im Obstgarten umzuschauen. Zunächst landet mein Blick auf den Damen, die in kreischendes Geschrei ausgebrochen sind, als Demodocus auf sie zustürmte. Innerlich schüttle ich den Kopf. Die nicht. Dann fällt mein Blick auf mehrere beieinanderstehende Lords und Ladys. Sie wirken wie eine Gruppe alter Freunde, in die ich mich unmöglich drängen kann.

Doch dann entdecke ich ein wenig entfernt zwei Damen. Sie sitzen ein Stück bachabwärts auf einer Bank und genießen die Ruhe abseits des Trubels.

Ja, die beiden werden ihren Zweck erfüllen.

Ich schlendere entschlossen zu ihnen hinüber, während ich die Blicke der Ratsmitglieder heiß in meinem Rücken spüre. Sie beobachten mich, bis ich die beiden Damen erreiche, die sich glücklicherweise außer Hörweite befinden.

»Hallo«, sage ich zur Begrüßung. »Mein Name ist Alessandra Stathos. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

Die erste junge Dame strahlt mich an und ich lasse vor Erleichterung die Schultern sinken. Das ist genau die Reaktion, die der Königliche Rat sehen sollte.

»Selbstverständlich, nehmen Sie Platz! Ich bin Hestia Lazos. Aber bitte, nennen Sie mich Hestia.«

Ich mag sie sofort, allein deswegen. Nur gute Freundinnen und Freunde nennen einander beim Vornamen.

Dann betrachte ich ihren Aufzug. Sie trägt eine Hose unter ihrem Überrock. Ich bezweifle, dass sie dieses Outfit bereits im Schrank hatte, und frage mich, wie viele Schneiderinnen wohl die ganze Nacht wach bleiben mussten, damit sie diese Kleider am nächsten Tag tragen konnte.

Farblich ist Hestia in intensives Umbra mit einigen gelben Akzenten gehüllt. Sie trägt ihr Haar kurz, nur gut zwei Zentimeter lang, zu winzigen Löckchen aufgedreht. Durch die Frisur kommen ihre wunderschönen Ohrringe perfekt zur Geltung – zwei Granate, in filigran gearbeitetes Messing eingefasst.

»Und das ist meine gute Freundin Rhoda Nikolaides.«

»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Lady Stathos«, sagt Rhoda. Sie trägt ein schwarzes Kleid mit furchtbar schwer aussehenden Unterröcken, die so ausladend sind, dass sie kaum auf die Bank passt. Obwohl alle Adligen in die edelsten Stoffe gewandet sind, kann ich sehen, dass diese junge Dame außergewöhnlich wohlhabend ist. Ihre Röcke leuchten so strahlend, dass ich darin beinahe mein Spiegelbild sehen kann. Ihr Haar ist zu einer aufwendigen Frisur hochgesteckt, mit der gewiss mindestens drei Zofen gleichzeitig beschäftigt waren. Es ist ebenso schwarz wie mein eigenes, aber ihr Teint ist ein wenig dunkler, eher bernsteinfarben als mein eher beiger Hautton.

»Bitte, nennt mich Alessandra«, erwidere ich und folge Hestias Vorbild. Schließlich muss ich so schnell wie möglich Bande der Freundschaft knüpfen, nicht wahr? Ich hatte bislang nicht viele Gelegenheiten, Freundinnen zu finden, und musste die Erfahrung machen, dass die meisten Damen mich nicht mögen. Nicht, wenn sie mit mir um die Aufmerksamkeit diverser Herren wetteifern.

Aber diese beiden lächeln mich aufrichtig an.

»Endlich lernen wir uns kennen!«, sagt Hestia. »Ich wollte bereits auf dich zugehen, dachte dann jedoch, ich sollte damit vielleicht noch warten, um dich nicht zu sehr zu überwältigen. Es wollen schließlich alle wissen, wer du bist! Dann sah ich dich jedoch mit dem Rat und die Entscheidung wurde mir abgenommen. Ich bin so froh, dass du zu uns gekommen bist. Ich wollte dich schon die ganze Zeit fragen, wer das Kleid geschneidert hat, das du gestern Abend getragen hast. Es war schlicht zauberhaft!«

»Und herrlich skandalös!«, fügt Rhoda hinzu. »Ich bewundere deine Abenteuerlust bezüglich deiner Garderobe. Dem König bist du damit jedenfalls direkt ins Auge gefallen.« Sie lächelt, als hätten wir gerade ein sündiges Geheimnis miteinander geteilt.

Die beiden blicken mich erwartungsvoll an.

»Tatsächlich entwerfe ich all meine Kleider selbst«, erzähle ich ihnen. »Ich nähe für mein Leben gern und engagiere eine Schneiderin, wenn ich alleine nicht alles rechtzeitig fertigstellen kann.«

»Du machst Witze!«, ruft Hestia aus und ihre langen Ohrringe baumeln hin und her, als sie den Kopf dreht. »Kein Wunder, dass es dir so gut stand. Du hast es für deine eigene Figur entworfen. Ich habe meiner Schneiderin sofort geschrieben, als der Ball zu Ende war, und ihr das Dreifache ihres üblichen Honorars geboten, wenn sie dieses Outfit schnellstmöglich für mich näht. Sie hat ihr Bestes getan, um meine schriftlichen Anweisungen umzusetzen, aber der Schnitt der Hose sagt mir noch nicht richtig zu. Es ist schlicht brillant, einen Rock darüber zu tragen. Wusstest du, dass der Grund, warum sich der pegaiische Stil hier nicht durchsetzen konnte, der war«, sie senkt die Stimme zu einem Flüstern, »dass die meisten Damen es nicht ertragen konnten, ihren Hintern so offen zu präsentieren? Aber du hast dieses Problem einfach gelöst.«

Ich weiß nicht recht, was ich darauf erwidern soll, als plötzlich eine Stimme hinter mir ertönt und ich hochschrecke.

»Verzeiht, wenn ich Euer Gespräch über Hintern unterbreche. Ich würde diese Unterhaltung liebend gerne fortführen, aber vorher musste ich mich Euch einfach vorstellen.«

Der junge Herr geht um die Bank herum und baut sich vor uns auf. »Leandros Vasco. Zu Euren Diensten, Mylady.«

»Vasco?«, frage ich, als er meine Hand nimmt und sie küsst. »Seid Ihr mit Ikaros Vasco verwandt, dem Vorsitzenden des Königlichen Rates?«

Leandros seufzt. »Bedauerlicherweise, ja. Er ist mein Onkel.«



Tausende von E-Books und Hörbücher

Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.