The ugly truth about us - S. H. Roxx - E-Book

The ugly truth about us E-Book

S. H. Roxx

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Beschreibung

Für Außenstehende führt Rachel Summers ein Bilderbuchleben. Mit ihrem Ehemann James, einem erfolgreichen Anwalt, lebt die attraktive Mittdreißigerin in der noblen Kleinstadt Woodshaven, in der sie ihrem Traumjob als Dozentin an einer Universität nachgeht. Seit ihrem Umzug vor einem Jahr geht es mit ihrer Ehe jedoch steil bergab. Rachel fühlt sich von ihrem Mann vernachlässigt, ist einsam und sehnt sich nach körperlicher Nähe. Wie gefährdet ihre Beziehung tatsächlich ist, merkt sie, als ein neuer Student in ihrem Kurs auf unverschämte Weise beginnt, ihr Avancen zu machen. Und er lässt sich dabei keine Gelegenheit entgehen, seine Professorin daran zu erinnern, wie es sich anfühlt, begehrt zu werden ... Der Roman ist in sich abgeschlossen und garantiert ein Happy End.

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THE UGLY TRUTH ABOUT US

S. H. ROXX

INHALT

Liebe Leserin, lieber Leser

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Danksagung

Zusatz

Über den Autor

Alle Rechte sind der Autorin vorbehalten. Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Eine Verbreitung des Textes oder Ausschnitten des Textes ist ohne die schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt.

© S. H. Roxx, 1. Auflage 2020, Österreich

Cover: © S. H. Roxx unter der Verwendung von Adobe Photoshop und canva.com

Bildquelle: depositphotos.com, © Subbotina

Lektorat: https://www.derletzteschliff.de

Sämtliche Personen und Handlungen dieser Geschichte sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit real existierenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Ereignissen ist rein zufällig.

Kontakt: www.shroxx.com

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER

Was du hier in den Händen hältst, ist weder eine Dark Romance noch eine New Adult Lovestory. Dennoch ist es ein typischer Roxxi-Roman. Es geht um Liebe und Leidenschaft, um emotionale Höhen und Tiefen, um Schwarz, Weiß und Grau. Um dieses Etwas zwischen richtig und falsch, das wir alle schon einmal kennengelernt haben.

Wer mich schon kennt, weiß, dass ich keine klischeehaften Liebesgeschichten schreibe, die einem Märchen gleichen. Meine Protagonisten verhalten sich oft recht fragwürdig und agieren nicht immer ganz vorbildlich. Ich möchte mit meinen Romanen – egal, welches Genre sie bedienen – auch keine moralischen Maßstäbe setzen.

Meine Bücher sollen dich einfach nur gut unterhalten und für eine kurze Zeit in eine andere Welt abtauchen lassen. Also genieß die wenigen Stunden fernab der Realität!

XOXO,

Roxxi

Manchmal muss erst etwas kaputtgehen,

bevor es etwas Schönerem weicht.

KAPITELEINS

»Bist du heute Abend zu Hause?« Erwartungsvoll sehe ich James an.

Als er abwesend den Kopf schüttelt, während er eine E-Mail auf seinem Smartphone beantwortet, erlaube ich mir, das Gesicht zu verziehen. An jedem anderen Morgen hätte ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht, aber da er mich weder ansieht noch wirkt, als wäre er sich meiner Existenz überhaupt bewusst, muss ich meine Enttäuschung auch nicht mit einem Lächeln überspielen.

Ich schnappe mir seine Tasse Kaffee und schütte den Inhalt in die Spüle.

»Hey, den wollte ich noch trinken«, protestiert er.

Ich werfe ihm einen entschuldigenden Blick zu, obwohl es pure Absicht war, den Kaffee wegzuschütten. Eine kleine und stille Trotzreaktion. »Sorry. Ich dachte, du müsstest gleich los.«

Mein Blick wandert zur Uhr oberhalb des Kühlschranks. Es ist zehn vor sieben Uhr morgens. James verlässt täglich pünktlich um fünf vor sieben das Haus. Zuvor checkt er seine E-Mails auf dem Handy, während ich uns Frühstück zubereite, welches er meist unberührt stehen lässt, bevor er zu seinem supertollen Job aufbricht, der ihm wichtiger zu sein scheint als unsere Ehe.

Ich bewundere meinen Mann für seinen beruflichen Erfolg und Ehrgeiz, aber ich bin auch immer noch eine Frau. Und Frauen möchten gerne beachtet werden. Hin und wieder wenigstens.

»Muss ich auch«, murmelt er wieder abwesend und tippt wie besessen auf sein Smartphone.

Ohne den Blick vom Display zu nehmen, rutscht er vom Barhocker und schnappt sich sein schwarzes Jackett, welches ich gleich nach dem Aufstehen für ihn hergerichtet habe. Wenn ich das nicht tue, zieht er eines dieser potthässlichen Dinger an, die ihm seine Schwester jährlich zum Geburtstag schenkt. Davon bekommt man Augenkrebs.

»Warte nicht mit dem Essen auf mich. In meinem aktuellen Fall gibt es Probleme. Ich komme spät.«

Wie immer, denke ich mir, nicke aber bloß. Innerlich kämpfe ich mit mir selbst, um keinen doofen Spruch abzulassen. Das höre ich nun schon fast jeden Tag, und allmählich habe ich es satt.

James verlässt die Küche in Richtung Flur, bleibt abrupt stehen und dreht sich mit einem Schmunzeln zu mir um. »Bekomme ich einen Abschiedskuss?«

Ich lächele, obwohl mir nicht nach Lächeln zumute ist. »Komm und hol ihn dir.«

Er grinst, steckt das Smartphone in seine Hosentasche und umrundet die Kücheninsel. Als er mich erreicht, schlinge ich meine Arme um seinen Hals und gehe auf die Zehenspitzen, um ihm einen leidenschaftlichen Kuss zu geben, der ihn an unsere früheren, heißen Nächte erinnern soll, die mehr und mehr in Vergessenheit geraten.

Ich vermisse die Nähe zu meinem Mann, und noch mehr, dass er sich nach meiner Nähe sehnt. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb meine Hände plötzlich unanständig an seinem Hemd hinunterwandern, während meine Zunge ausgehungert seinen Mund erforscht. Ich presse mich an ihn und greife an seine Gürtelschnalle. Beinahe wild öffne ich sie, während ich mich an ihm reibe und seinen vertrauten Duft einatme. Er trägt das Aftershave, das ich ihm jedes Jahr zu Weihnachten schenke. Fast habe ich vergessen, wie gut es riecht.

Gott, ich habe es so verdammt nötig. Wir haben es nötig. Es ist einfach schon zu lange her.

»Rachel«, murmelt James an meinen Lippen und stoppt mich in der Bewegung, als ich den Reißverschluss seiner Anzughose öffnen will. Er weicht mit dem Kopf zurück und runzelt irritiert die Stirn. »Was machst du? Ich muss zur Arbeit.«

Ich beschließe, nicht so leicht aufzugeben. Vielleicht ist es mein Fehler, und ich muss bloß hartnäckiger sein. Wenn ich ihn erst einmal daran erinnert habe, wie viel Spaß wir früher zusammen hatten, wird er schon von selbst merken, wie sehr es auch ihm fehlt, Zeit mit mir zu verbringen. Vorzugsweise nackt.

»Du kannst auch ein bisschen später losfahren, Liebling«, flüstere ich ihm zu und schiebe meine Hand in seine Hose.

Er gibt ein leises Keuchen von sich, während ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie überrumpelt ich bin, dass er körperlich nicht im Geringsten auf meine Berührungen reagiert. Sein Schwanz hat sich beinahe verkrochen, anstatt freudig zu seiner beachtlichen Größe heranzuwachsen.

»Komm schon, Liebling … Es ist eine Ewigkeit her, seit wir zum letzten Mal ein bisschen Zeit für uns hatten.«

»Aber jetzt ist bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, Rachel.« James klingt tadelnd, als er meine Hand aus seiner Hose zieht und vor mir zurückweicht. »Mein Mandant wartet. Und ich habe noch einen Termin im Büro, bevor ich zu ihm aufbrechen muss.«

Ich kann meine Enttäuschung nicht länger verbergen, obwohl ich schon lange nicht mehr nur enttäuscht darüber bin, dass zwischen meinem Mann und mir körperlich rein gar nichts mehr läuft.

Nach monatelanger Durststrecke hat sich meine Enttäuschung über sein fehlendes Interesse an Sex mit mir in pure Frustration verwandelt. Und Wut. Ich fühle mich zurückgewiesen und ungewollt. Immer, wenn ich versuche, Sex zu initiieren, weist er mich aufgrund mangelnder Zeit ab, obwohl schon ein fünfminütiger Quickie ausreichen würde, um mir ein bisschen lang ersehnte Befriedigung zu verschaffen. Und abends, wenn wir rein theoretisch Zeit für zehn Quickies hätten, ist er entweder zu erledigt oder kommt gar nicht erst so früh nach Hause, dass wir uns in den Laken wälzen könnten. Meist schlafe ich schon, wenn er sich zu mir ins Bett legt, sodass ich gar nicht mitbekomme, wann denn genau das ist.

Allmählich habe ich wirklich das Gefühl, er würde seine Arbeit mehr lieben als mich.

»Willst du mich nicht mehr?«, platzt es in meiner Verzweiflung aus mir heraus, woraufhin James überrumpelt blinzelt. »Dann sag es mir bitte einfach. Das hat doch so keinen Sinn, James.«

»Was?« Er sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Wovon sprichst du? Natürlich will ich dich noch. Ich liebe dich.«

Aber begehrt er mich noch? Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

»Schatz«, stößt er mit Nachdruck hervor und greift nach meiner Hand. Er zieht mich an sich und drückt einen Kuss auf meine Stirn. »Es tut mir wirklich leid, dass ich in letzter Zeit so eingespannt bin. Ich weiß, dass ich dich vernachlässige. Aber dass du denkst, ich würde dich nicht mehr wollen, ist doch lächerlich.« Er versucht es mit einem schelmischen Lächeln und lässt die Augen an meinem Seidenkimono hinabgleiten. »Wer würde dich nicht wollen? Im Büro beneidet mich jeder, du hast ja keine Ahnung. Keiner hat zu Hause eine so sexy Frau wie dich.«

»Und warum -«

Das Klingeln seines Telefons unterbricht meine Frage, warum er die Tatsache, dass zu Hause eine sexy und willige Frau auf ihn wartet, geflissentlich ignoriert und lieber Zeit mit seinen Mandanten oder Fallakten in seinem winzigen Büro ohne Tageslicht verbringt.

James holt das Handy aus seiner Hosentasche und wirft einen Blick auf das Display. Ich erwarte, dass er den Anruf ignoriert, damit wir unser längst überfälliges Gespräch über unser nicht vorhandenes Sexleben zu Ende führen können, doch er entschuldigt sich mit einem Handzeichen bei mir und nimmt den Anruf entgegen. Natürlich tut er das.

Seufzend wende ich mich von ihm ab und leere meinen Kaffee, um die Küche zu verlassen. Ich muss mich ebenfalls für die Arbeit fertig machen, da ich wie jeden Morgen spät dran bin. Das hindert mich trotzdem nicht daran, es immer wieder auch morgens bei meinem Mann zu versuchen. Abends ist er ja kaum da.

Ich würde fast schon lieber aufgrund meiner sich häufenden Verspätungen gefeuert werden, als einen Tag länger ohne Sex zu verbringen. Und ich bin gewiss keine Nymphomanin, nur eben auch nicht innerlich tot.

»Schatz?«

Hoffnungsvoll halte ich im Flur inne und werfe einen Blick über meine Schulter. Vielleicht hat James es sich anders überlegt und wir legen doch noch einen Quickie ein.

Sein Gesichtsausdruck wirkt gestresst, während er den Lautsprecher des Telefons abdeckt, um mir hastig mitzuteilen: »Ich schaffe es heute nicht zur Reinigung. Holst du nach der Arbeit meine Sachen ab?«

Es juckt mich in den Fingern, ihm den Mittelfinger zu zeigen.

»Natürlich«, erwidere ich stattdessen sarkastisch, bevor ich nach oben in unser Schlafzimmer stampfe und die Tür hinter mir zuknalle. Eine weitere kleine Trotzreaktion auf sein abweisendes Verhalten.

»Ich muss los. Ich liebe dich!«, höre ich ihn rufen, ignoriere es jedoch, wie er unsere Sexflaute ignoriert, und knalle auch die Badezimmertür hinter mir zu.

* * *

Es ist bereits sechs Minuten nach acht, als ich den Hörsaal mit der Nummer 111 betrete.

Es ist mein liebster Lehrraum an der Fakultät, da er sich im Erdgeschoß befindet, wodurch mir mühsames Treppensteigen erspart bleibt. Die Fenster sind zudem südseitig ausgerichtet, wodurch dem Saal warmes Tageslicht gespendet wird, während die meisten anderen von künstlichen Leuchtröhren erhellt werden. Außerdem ist der Stuhl hinter dem massiven, hölzernen Schreibpult um einiges bequemer als die anderen, da er vor kurzem ersetzt wurde. Der alte ist unter Mrs Rogerson zusammengebrochen, was vielleicht an ihren schätzungsweise einhundert Kilo Übergewicht liegt. Natürlich nur reine Mutmaßung.

»Guten Morgen!«, rufe ich in die Runde, bevor ich atemlos die hohe Tür hinter mir zuziehe. Ich entdecke ein paar amüsierte Blicke auf mir und schmunzele vor mich hin, während ich eilig das Lehrerpult ansteuere. »Ja, ja, ich weiß. Die Alte ist schon wieder zu spät. Aber ich versichere Ihnen, ich weiß seit meinem siebten Lebensjahr, wie man eine Uhr liest.« Dafür ernte ich leises Kichern von den Mädchen. »Oder doch erst seit meinem zehnten? Ach, unwichtig.« Jetzt lachen auch die jungen Kerle aus den hinteren Reihen.

Lächelnd lege ich meine Umhängetasche auf dem Schreibtisch ab und sehe mit einem leisen Seufzer auf. »So, noch einmal guten Morgen euch allen. Wie war das Wochenende? Habt ihr brav gefeiert?«

»Immer doch, Mrs Summers«, ruft einer der Studenten aus der vorletzten Reihe, den ich trotz der doofen Sprüche, die er regelmäßig von sich gibt, total gerne mag. »Und wie sieht’s bei Ihnen aus? Brav gefeiert?«

»Oh, ja. Nachdem ich mir eure Essays von letzter Woche angesehen habe, habe ich tatsächlich eine ganze Flasche Wein geleert.« Wieder ertönt ein leises Kichern, und die Jungs aus der vordersten Reihe grinsen verschmitzt. »Spaß beiseite. Ich habe mir eure Arbeiten am Wochenende angesehen, und sie waren wirklich gut. Alle.«

Zufrieden und ein wenig stolz lächele ich durch die Runde. Erleichterung breitet sich auf den meisten Gesichtern aus, ein paar andere wirken unbeeindruckt, da sie wissen, was sie können, und nicht überrascht sind, dass ich ihre Arbeiten für gut befinde.

»Die Flasche Wein habe ich natürlich trotzdem geleert.«

»So gehört es sich auch«, ruft ein Student mit einem Grinsen, und ich zwinkere ihm zu, bevor ich die Arbeiten aus meiner Tasche ziehe.

Ich liebe meinen Job. Bestimmt genauso sehr, wie mein Mann seinen liebt, nur investiere ich nicht meine gesamte Zeit und Energie hinein. An einer Uni zu lehren, ist das, was ich schon immer machen wollte. Die Zusammenarbeit mit den jungen Leuten gefällt mir, weil ich mich selbst noch jünger fühle, als ich es auf dem Papier bin – letzten Monat wurde ich vierunddreißig – und der Job steht in direkter Verbindung mit meinem größten Hobby, meiner Leidenschaft – dem Schreiben. Daher ist der Beruf als Dozentin, die kreatives Schreiben unterrichtet, für mich mehr als bloß das. Ich sehe ihn als meine Berufung an.

Mein Start an der Rosegarden University in Woodshaven hätte nicht besser verlaufen können. Nachdem James und ich vor einem Jahr in die idyllische Kleinstadt an der Grenze zu Louisville, Kentucky, gezogen sind, hatte ich die Befürchtung, hier keinen Anschluss und keine Akzeptanz zu finden, doch das Gegenteil war der Fall.

Obwohl Woodshaven im Vergleich zu anderen Städten so wenige Einwohner hat, dass gefühlt jeder jeden kennt, wurden wir hier sehr herzlich aufgenommen. Auch an der Privatuni hat man mich sehr nett willkommen geheißen und nicht wie eine Außenseiterin behandelt – oder als Großstadttussi betrachtet, die hier nichts zu suchen hat. Man sieht mir vermutlich an, dass ich nicht von hier stamme, aber das scheint niemanden zu stören. Mein Kleidungsstil entspricht nun mal immer noch eher dem einer Großstadttussi als dem einer Kleinstadtvorzeigehausfrau.

Ich muss zugeben, dass mir das Leben hier sehr gut gefällt, obwohl ich zu Beginn skeptisch gegenüber dem Umzug war. James hat man hier eine tolle Stelle in der renommiertesten Kanzlei der Stadt angeboten, die er aufgrund des Gehaltes nicht ausschlagen konnte, und ich war ohnehin auf der Suche nach einem Job. Dass man mich an der einzigen Privatuni der Stadt annehmen könnte, hätte ich nicht für möglich gehalten, weshalb ich mich gar nicht erst für die freie Stelle beworben habe. Eine Nachbarin aus unserer Straße überredete mich schließlich, mein Glück zu versuchen, und trug wohl maßgeblich dazu bei, dass man mich hier aufgenommen hat – sie ist nicht nur ein hilfsbereiter Mensch, sondern auch die Ex-Frau des Dekans.

So führte eines zum anderen, und heute bin ich unendlich froh darüber, hier und nicht auf dem öffentlichen College in Woodshaven zu unterrichten. Die Kids an der Rosegarden sind definitiv cooler, obwohl man meinen sollte, sie wären verzogen und versnobt, da sie mit dem silbernen Löffel im Mund geboren wurden. Die Kosten, um hier studieren und auf dem Campus wohnen zu dürfen, sind horrend, aber die meisten Eltern haben wohl so etwas wie einen Geldbaum im Garten, an dem Dollarscheine wachsen, und die anderen Kids haben ein Stipendium. Viele von ihnen leben aber auch noch zu Hause, weil es dort schöner ist. Verständlich. Im Hotel Mama ist es doch immer am schönsten, oder? Überhaupt, wenn es einen Pool und eine Haushälterin besitzt, was bei den meisten der Fall ist.

Mit den Essays in der Hand umrunde ich meinen Schreibtisch und gehe zur vordersten Reihe. Ich teile die Arbeiten aus, lobe diejenigen, die besonders gute Arbeit geleistet haben, und ignoriere die interessierten Blicke der jungen Kerle, die auf meinen Beinen und meinem Po haften.

Insgeheim schmeichelt es mir, dass ich den Titel als heißeste Professorin der Uni trage. Mir kam schon des Öfteren zu Ohren, dass der eine oder andere Student ein Auge auf mich geworfen hat oder darüber gesprochen wurde, wie jung ich für mein Alter aussehen würde, und ich muss gestehen, dass mein Ego diese Art von Bestätigung dringend nötig hat. Egal, ob sie von gerade einmal volljährigen Jungs oder meinen männlichen Kollegen kommt.

Da mein Mann irgendwann aufgehört hat, mir Komplimente zu machen oder mich als die sexy Frau anzusehen, die ich war, als wir uns kennenlernten – und hoffentlich immer noch bin –, muss ich mir meinen Egopush ab und zu woanders holen. Dazu braucht es gar nicht viel, denn meine Schüler lassen mich im Gegensatz zu meinem Mann ganz schamlos wissen, für welch heißen Feger sie mich halten. Vermutlich rührt ihr Interesse an mir auch daher, dass ich auf dem Campus die jüngste Lehrkraft bin.

Irgendwie ist es traurig, dass mich die Blicke neunzehnjähriger Collegestudenten dermaßen erfreuen, aber abstreiten kann ich nicht, wie gut sie meinem Ego tun.

»Netter Rock«, sagt Timmy Marten, der bei weitem die schlechteste Arbeit geleistet hat, als ich sie ihm über den Tisch reiche. Er grinst dieses bestimmte Grinsen, das nur Kerle in seinem Alter auf diese schmutzige Weise perfektioniert haben. »Wäre ich Ihr Mann, würde ich Sie so nicht aus dem Haus gehen lassen. Viel zu riskant, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Ich schenke ihm ein möglichst unbeeindrucktes Lächeln, obwohl mein Ego freudig im Kreis hüpft. »Und wäre ich deine Mutter, würde ich dich gewiss nicht jedes Wochenende eine Party schmeißen lassen. Deine Arbeit hätte besser sein können, Tim. Versuch es doch mal lieber mit einem guten Buch anstelle eines guten Wodkas.« Über meinen übertrieben strengen Tonfall grinst er noch breiter.

Ich lache kopfschüttelnd und wende mich seinem Sitznachbar zu, der bessere Arbeit geleistet hat. »Sehr gut geschrieben, Ryan. Weiter so.«

»Danke, Mrs Summers«, flötet er.

Das mit der Autorität liegt mir nicht besonders. Und es stört mich kein bisschen. Ich wollte nie die prüde, strenge und kleinliche Professorin werden, wie sie so viele meiner Kolleginnen perfekt repräsentieren, denn ich mochte auf dem College die lockeren Dozenten selbst am meisten. Von ihnen habe ich mehr gelernt, zu ihnen habe ich aufsehen können. Man hatte immer das Gefühl, sich ihnen anvertrauen und eine viel engere Beziehung zu ihnen aufbauen zu können, wenn man mit ihnen scherzen konnte und keine Angst haben musste, bei der kleinsten blöden Bemerkung des Hörsaals verwiesen zu werden.

Also habe ich mich bemüht, bei meinen Schülern einen ähnlichen Eindruck zu hinterlassen. Als jemand, der kompetent und klug ist, ein Vorbild, aber auch jemand, der nicht zum Lachen in den Keller geht und mehr als bloß Professorin an einer Uni ist. Ich möchte nicht auf dem Campus eine andere Person sein müssen als zu Hause – das wäre viel zu anstrengend auf die Dauer gesehen.

Ich bin der Meinung, dass man nicht nur durch Strenge erfolgreich in diesem Job sein kann. Solange mich meine Studenten respektieren, dürfen wir auch gerne einmal miteinander scherzen oder Blödsinn anstellen, wie wir es vor dem letzten Semesterende getan haben. Damals haben wir Dekan Fields einen kleinen Streich gespielt – den er uns Gott sei Dank nicht allzu übelgenommen hat. Das Klopapier später zu entsorgen, muss anstrengend gewesen sein.

Mein Vorgesetzter ist ebenfalls ein umgänglicher Kerl, auch wenn mir seine durchbohrenden Blicke stets unangenehm sind. Als würde er mich mit den Augen ausziehen, röntgen und danach mit Haut und Haar verschlingen wollen. Seine Blicke schmeicheln mir nicht unbedingt, weil er ein paar Jährchen älter als ich und nicht unbedingt der attraktivste Mann der Welt ist. Aufgrund meiner relativ freundschaftlichen Beziehung zu seiner Ex-Frau weiß ich außerdem, dass er auch nicht unbedingt der treueste Mann auf Gottes Erde ist. Das bringt ihm nicht unbedingt Sympathiepunkte bei mir ein.

Ich teile die restlichen Arbeiten aus und gehe dabei von Reihe zu Reihe, bis ich bei der letzten angekommen bin. Als ich aus dem Augenwinkel jemanden auf dem äußersten Platz in der rechten Hälfte des Saals entdecke, stutze ich. Dieser ist für gewöhnlich leer.

Ich lege die letzten Zettel auf den langen Tisch und bedeute den Jungs, sich ihre Arbeiten selbst herauszusuchen, bevor ich den Kopf zu dem Studenten drehe, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Zumindest glaube ich das. In diesem Kurs und an diesem Wochentag ganz bestimmt nicht. Anhand seiner auffälligen Größe würde ich mich wohl daran erinnern.

»Hi«, sage ich und gehe zu der sonst leeren Reihe.

Augenblicklich drehen sich ein paar Köpfe nach dem Neuen um, der jedoch geistesabwesend aus dem deckenhohen Fenster starrt, das den hübschen grünen Teil des Innenhofes zeigt, auf dem sich ein paar Lehrkräfte zum Kaffeetrinken versammelt haben. Ich beneide sie. Einen zweiten Kaffee könnte ich jetzt auch gut gebrauchen.

»Hi«, sage ich noch einmal, als ich unmittelbar vor ihm stehe, was er erst bemerkt, als ich mit den Fingerknöcheln auf die hölzerne Tischplatte klopfe. Sie ist leer, keine Unterrichtsmaterialien liegen darauf. Nicht einmal ein Stift. »Störe ich dich?« Ich sage es amüsiert, anstatt anklagend, und wieder kichern die Mädchen hinter mir.

Als der Neue den Kopf dreht und zu mir aufsieht, blinzele ich überrumpelt. Rasch verdränge ich den unangebrachten Gedanken, der sich beschämender Weise augenblicklich in meinen Kopf geschlichen hat, und schenke dem unbekannten Studenten ein Lächeln. »Du bist neu in meinem Kurs, richtig?«

»Sieht ganz so aus.« Seine Stimme klingt überraschend tief und heiser, als wäre er verkühlt. Er wirkt allerdings nicht angeschlagen, sondern sieht topfit aus, was sich nicht nur auf seinen Körper bezieht, der durch den enganliegenden Pullover mit V-Ausschnitt gut zur Geltung kommt.

Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Sportler – athletisch und mit breiten Schultern ausgestattet –, aber mein Gefühl sagt mir, dass er keiner der Basketballer der Uni ist, obwohl er durch seine überdurchschnittliche Größe der ideale Kandidat für diese Sportart wäre. Er muss mindestens einen Meter neunzig groß sein, da er sogar im Sitzen weit in die Höhe ragt.

»Möchtest du dich uns denn nicht vorstellen?«, frage ich verwirrt, da ich es merkwürdig finde, dass er seit Kursbeginn einfach hier sitzt und noch kein Wort von sich gegeben hat.

Es wäre wohl angebracht gewesen, mich auf sich aufmerksam zu machen, da ich nicht über einen Neuzugang in diesem Kurs informiert wurde. Ich werde mich später über meinen neuen Studenten erkundigen müssen.

Seine Augen wandern wie in Zeitlupe an mir herab, bevor sie den ganzen Weg wieder zurücklegen und so tief in meine schauen, dass sich mein Körper kaum merklich anspannt. Sie sind dunkel wie die Nacht, aber so warm, fast feurig, dass ich dem Blickkontakt kaum standhalten kann. Ein tiefes Dunkelbraun, obwohl ich nun, wo Sonnenstrahlen auf sein Gesicht fallen, einen grünlichen Schimmer darin entdecke.

Der Ausdruck in seinen Augen macht mich plötzlich nervös, weil ich ihn absolut nicht deuten kann. Der junge Mann taxiert mich ganz unverhohlen, und der Gedanke, dass ich gerne wüsste, was er denkt, macht mich noch eine Spur nervöser.

»Eigentlich nicht«, erwidert er knapp.

Ich runzele amüsiert die Stirn. »Sprichst du nicht gerne?«

Wieder kichern ein paar der Mädchen, und nun drehen sich auch die Studenten aus den vorderen Reihen auf ihren Sitzen um und starren zu dem Neuen. Offensichtlich habe nicht nur ich seine Anwesenheit nicht bemerkt. Und ganz offensichtlich bin nicht nur ich überrumpelt von seinem Aussehen. Ein Blick zu den Mädchen in den Reihen hinter mir zeigt deutlich, dass wir ein und denselben Gedanken teilen: Dass der junge Mann unverschämt gut aussieht.

Für seine geschätzt neunzehn Jahre wirkt er älter, männlicher und … erfahrener, wobei ich nicht weiß, wie ich auf diesen Schluss komme. Es liegt etwas in seinem Blick, das mich an James erinnert. Dieser nachdenkliche Ausdruck, der leicht strenge Zug um seinen schönen Mund. Er hat wahnsinnig volle Lippen, die von leichten Bartstoppeln umgeben sind – ein Hinweis darauf, dass er starken Bartwuchs hat, da er trotzdem wie frisch rasiert aussieht. Zwischen seinen geschwungenen Augenbrauen bildet sich eine Falte, als meine Worte in seinem Kopf ankommen. Er scheint mit den Gedanken weit weg gewesen zu sein.

Plötzlich glätten sich seine fast harten Gesichtszüge, die auf eine maskuline Weise ausgeprägt und markant wirken, wie es selten bei Männern in diesem Alter der Fall ist. Die meisten haben noch etwas Kindliches an sich, etwas Weiches in ihren Gesichtern. Nicht so er.

»Entschuldigen Sie, Mrs Summers.« Er spricht leise, als würde er nur zu mir sprechen und nicht wollen, dass die anderen hören können, was er sagt. »Ich spreche gerne, aber nicht mit jedem.«

»Wenn du an diesem Kurs teilnehmen möchtest, solltest du wohl gerne mit mir sprechen, weil es ohne Kommunikation zwischen uns ziemlich schwer würde«, kommt mir ein lockerer Spruch über die Lippen, um die seltsame Situation aufzulockern.

Er reagiert darauf mit einem Schmunzeln, welches meinen Magen unwillkürlich rumoren lässt. Sein Schmunzeln wirkt flirtend, ist aber weniger offensiv als das der anderen Jungs. Nur seine Augen verraten, dass er wirklich mit mir flirtet, als er in demselben lockeren Tonfall wie ich eine Antwort liefert, die mich prompt aus dem Konzept bringt.

»Ich bin mir sicher, dass es auch ohne verbale Kommunikation gut zwischen uns laufen würde, aber ganz wie Sie wünschen, Mrs Summers.«

Ich spüre, wie meine Wangen erröten, und werfe rasch einen Blick zu den anderen Studenten im Saal. Die aus den vorderen Reihen runzeln die Stirn, da sie aufgrund seines fast geflüsterten Tonfalls nicht hören konnten, was er gesagt hat, und die Mädchen aus der Reihe direkt hinter mir erröten auf dieselbe Weise, bevor sie hinter vorgehaltener Hand kichern. Sie wirken gleichermaßen verlegen wie ich.

»Nennst du mir bitte deinen Namen«, fordere ich den Neuen möglichst unbeeindruckt auf, der mich mit seinen Augen durchbohrt, wie es Dekan Fields stets tut.

Ich wende mich ab und steige auf den hohen Absätzen die Stufen zu meinem Pult hinunter. Aus irgendeinem Grund überkommt mich das dringende Bedürfnis, Distanz zwischen den jungen Mann und mich zu bringen.

»Zane.«

Beim Klang seiner Stimme spanne ich mich wieder am ganzen Körper an. Ich lasse mich auf den Stuhl hinter dem massiven Tisch sinken. Nachdem ich meine Beine überschlagen habe, ziehe ich meine Unterlagen aus der Umhängetasche und hänge diese über den Stuhl. »Verrätst du mir auch deinen Nachnamen, Zane?«

»Lewis.«

»Zane Lewis«, murmele ich vor mich hin, während ich meine Dokumente durchblättere. Irgendwo muss es doch einen Vermerk über den neuen Studenten geben – ich finde jedoch keinen. Seltsam. »Wann hast du in diesen Kurs gewechselt?«

Ich sehe auf und treffe sofort auf seinen Blick. Immer noch sind seine dunklen Augen mit einer Intensität auf mich gerichtet, die mir gleichermaßen unangenehm und angenehm ist. Er ist ein attraktiver, junger Mann – und er wirkt, als würde er etwas Ähnliches über mich denken. Dass ich eine attraktive, junge Frau bin, wobei ich im Vergleich zu ihm eine alte Schachtel bin.

»Ich habe erst heute an diese Uni gewechselt«, eröffnet er mir zu meiner Überraschung. Es ist nicht üblich, dass wir mitten im Semester neue Studenten aufnehmen – schon gar nicht im zweiten –, aber vielleicht hatte er an seiner alten Uni einen für sich sprechenden Notendurchschnitt und Dekan Fields hat deswegen eine Ausnahme gemacht. Vielleicht hat er auch ein Stipendium?

»Welche Uni hast du bisher besucht?«, möchte ich wissen. Ob er von hier kommt?

Immer noch starren alle interessiert zu ihm nach hinten, doch er würdigt niemanden außer mich eines Blickes. Fast fühlt es sich an, als wären wir allein im Saal.

»Die öffentliche«, erwidert er kurz angebunden.

Ich nicke. »Hast du schon alle Unterrichtsmaterialien erhalten?« Er schüttelt den Kopf. »Dann bitte ich dich, dich bis morgen darum zu kümmern. Ein paar der Bücher, mit denen wir arbeiten werden, musst du selbst kaufen. Die anderen bekommst du von der Universität zur Verfügung gestellt.« Er starrt mich bloß an. Ich räuspere mich erneut und schiebe die Unterlagen beiseite, um mit dem Unterricht für heute zu beginnen. »Dann heißen wir dich herzlich willkommen, Zane.«

Er sagt nichts darauf, starrt mich immer noch einfach nur an.

Es ertönt ein Schwall geflüsterter Worte in seine Richtung, der ausschließlich von den weiblichen Teilnehmerinnen des Kurses stammt. »Schön, dass du jetzt bei uns bist«, »Hi Zane«, »Falls du jemanden brauchst, der dich herumführt, sag Bescheid …«

Seine männlichen Mitstudenten scheinen nicht ganz so euphorisch über seinen Wechsel zu sein. Sie werfen sich untereinander Blicke zu und taxieren Zane argwöhnisch. Vermutlich sehen sie in ihm einen Konkurrenten, was die Mädchen anbelangt, die während der restlichen Stunde nur noch Augen und Ohren für ihn haben. Sie tuscheln untereinander und drehen sich immer wieder zu ihm um, um ihn etwas zu fragen, worauf er knappe Antworten gibt, die ich jedoch von hier vorne aus nicht verstehen kann.

Ich ermahne sie deswegen nicht, notiere mir aber gedanklich, die Tuschelei im nächsten Unterricht zu unterbinden. Heute lasse ich sie während des Kurses für den Neuen schwärmen, da ich es ihnen nicht verdenken kann. Mich lenkt er ebenfalls ein wenig ab, zumal er bis zum Ende des Unterrichts seine Augen kein einziges Mal von mir nimmt. Selbst dann nicht, als er mit den Mädchen ein paar Reihen vor sich spricht. Er wirkt dabei ziemlich desinteressiert, fast schon genervt.

»Ich wünsche euch noch einen schönen Tag!«, beende ich den Unterricht schließlich, nachdem wir ein paar der besten Essays durchgegangen sind, und packe meine Sachen zusammen. Den nächsten Kurs habe ich in einem anderen Saal.

Ich beschließe, mir auf dem Weg dorthin noch schnell einen Kaffee zu holen. Ich bin ein wenig nervös wegen des Zwischenfalls, der eigentlich gar keiner war, und entgegen der Meinung der meisten Menschen bilde ich mir ein, dass Koffein gegen innere Unruhe hilft, was natürlich Unsinn ist.

»Bleibt brav«, sage ich in Richtung der Jungs, die mit lässig über eine Schulter geworfenen Rucksäcken aus dem Saal marschieren. Sie grinsen mich zum Abschied an.

Während nach und nach alle Studenten in den Flur verschwinden, hole ich mein Handy aus der Tasche und stelle überrascht fest, dass ich eine Nachricht von James erhalten habe. Tagsüber hören wir kaum voneinander, da wir beide zu beschäftigt mit der Arbeit sind, aber in der Mittagspause telefonieren wir meistens, wenn auch nur eine Minute lang, um zu klären, ob er es zum Abendessen nach Hause schafft. Da ich schon weiß, dass er heute wieder länger arbeitet, öffne ich mit einem Stirnrunzeln die Nachricht, die er mir vor knapp zwanzig Minuten geschrieben hat.

Sorry wegen heute Morgen, Schatz. Ich habe umdisponiert und komme doch zum Abendessen nach Hause. Bis später also. Ich liebe dich.

Mit einem Lächeln drücke ich die Nachricht weg und spüre, wie es in meinem Magen zu flattern beginnt. Endlich. Wieder. Sex. Ich werde wohl den Hauptgang überspringen und direkt zur Nachspeise übergehen, beschließe ich. Nur für alle Fälle – vielleicht muss James doch noch spontan weg. Das ist oft der Fall.

»Gute Neuigkeiten?«

Erschrocken sehe ich auf. Diese tiefe, heisere Stimme durchschneidet die Stille im Saal wie ein Messer.

Ich habe nicht bemerkt, dass der Neue noch anwesend ist, und nicht einmal, dass er lässig mit der Hüfte unmittelbar vor mir an meinem Schreibtisch lehnt. Sein dezenter, fremder Duft steigt mir in die Nase. Er ist nicht aufdringlich, sondern frisch und erdig. Nun sehe ich auch, was er untenherum trägt – dunkle Jeans mit einem abgewetzten Ledergürtel um seine schmalen Hüften.

»Kann man so sagen.« Ich lächele zu ihm hoch. »Kann ich dir helfen, Zane?«

»Ich weiß es nicht«, erwidert er rau und aus unerklärlichen Gründen leise, als ob er wieder nicht wollte, dass uns jemand hören kann, obwohl wir alleine im Saal sind. »Können Sie?«

»Wobei denn?«, frage ich verwirrt.

Wieder dieses Schmunzeln …

Unwillkürlich angespannt lege ich das Handy auf den Tisch und verschränke die Hände darüber. Dabei stelle ich zu meiner Verwirrung fest, dass meine Handflächen feucht sind und meine Finger kaum merklich zittern. Woran liegt das?

Es gibt viele attraktive Studenten auf dem Campus, und die meisten von ihnen haben mich schon mindestens einmal angebaggert, wenn auch nur als Gag. Aber Zane Lewis ist irgendwie anders. Etwas an der Art, wie er mich ansieht, beunruhigt mich. Allerdings nicht in dem Sinne, dass ich Angst vor ihm hätte.

Es beunruhigt mich, dass nicht nur mein Ego, sondern auch mein Körper darauf reagiert.

»Netter Ring.« Er sieht auf meine Hände herab und betrachtet den kleinen, tropfenförmigen Diamanten an meinem Ringfinger. Ich streiche unwillkürlich darüber. »Unterrichtet Ihr Mann auch?«

Ich muss lachen. »Oh nein, das wäre nichts für ihn. Er verhandelt lieber, als sich normal zu unterhalten.«

»Ein Anwalt?« Er klingt erstaunt, sofern ich das beurteilen kann.

Ich nicke. »Der geborene Anwalt.«

»Muss anstrengend sein«, meint er, während er mich ein weiteres Mal eingehend mustert. Ich spüre seine Blicke heiß auf meiner Haut und bewege mich automatisch auf dem Stuhl nach hinten, um ihnen auszuweichen, was nicht funktioniert. »Er ist älter als Sie?« Er formuliert es eher wie eine Tatsache als eine Frage.

»Zehn Jahre«, beantworte ich ihm die Frage trotzdem und unnötig detailliert, woraufhin ein seltsamer Ausdruck über sein markantes Gesicht huscht. Es ist wirklich einzigartig durch seinen eckigen Kiefer und das energische Kinn. Im Vergleich dazu wirken seine vollen Lippen fast schon zu sanft, zu weich. »Brauchst du Hilfe dabei, dir alle Unterrichtsmaterialien zu organisieren?«

»Nein.«

»Welchen Hauptkurs belegst du denn?«, möchte ich interessiert wissen. Kreatives Schreiben ist bloß ein Wahlfach, das man zusätzlich belegen kann. Jeder Student muss mindestens drei Kurse besuchen, bestehend aus einem Hauptfach und zwei Wahlfächern. Fällt er in einem davon durch, muss er das Semester wiederholen. Die Regeln hier sind sehr streng, was ich für gut befinde.

Zane fährt sich mit einer Hand durch das dichte, dunkelbraune Haar. Er trägt es relativ lang und lässig, sodass es mit einer leichten Welle locker zur Seite fällt. Ich bin mir sicher, dass allein bei dieser Geste ein Dutzend Mädchen weiche Knie bekommen. »Englische Literatur.«

»Du liest und schreibst also gerne«, schlussfolgere ich angetan. Da scheinen wir etwas gemein zu haben.

»Nur das Plaudern ist nicht so meins«, erwidert er mit einem Funkeln in den Augen, das ich wieder nicht deuten kann. Scherzt er? Und warum klingt es, als würde die eigentliche Message unausgesprochen zwischen den Zeilen hängen?

Ich erinnere mich an seine früheren Worte und spüre, wie meine Wangen warm werden. Ich bin mir sicher, dass es auch ohne verbale Kommunikation gut zwischen uns laufen würde. Rasch erwidere ich möglichst locker: »Daran werden wir arbeiten.«

»Wie Sie wünschen, Mrs Summers.«

Ein paar Sekunden verstreichen, ohne dass er sich vom Fleck bewegt. Oder ich. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass der nächste Unterricht gleich beginnt.

»Du solltest jetzt gehen, wenn du nicht zu spät zu deinem nächsten Kurs kommen willst«, sage ich schließlich und bemerke, ebenfalls sehr leise zu sprechen, wie er es die ganze Zeit über tut. Als würden wir über verbotene Dinge sprechen, die niemand hören soll.

Ich erhebe mich abrupt und hänge mir meine Tasche über die Schulter, woraufhin er sich wortlos vom Tisch abstößt. »Also dann bis morgen, Zane. Ich wünsche dir einen erfolgreichen ersten Tag und noch einmal herzlich willkommen an der Rosegarden.«

Seine dunklen Augen treffen auf meine und verharren ein paar Sekunden lang auf ihnen. Oder ganze Minuten? Ich kann es kaum erklären, aber sein Blick ist irgendwie magisch, hypnotisierend. Als würde er mich an mein Gegenüber fesseln, kann ich mich nicht davon losreißen, obwohl es jede Faser meines Körpers verlangt, weil ich ihm gleichzeitig auch kaum standhalten kann. Ich blinzele nicht ein einziges Mal, während ich in den dunklen Tiefen seiner mandelförmigen Augen forsche. Sie sind von langen und genauso dunklen Wimpern umgeben, die bestimmt jede Frau vor Neid erblassen lassen. Mich eingeschlossen.

Als er unseren Blickkontakt abrupt unterbricht, bevor er den Saal wortlos verlässt, höre ich mich tief ausatmen, als hätte ich während unseres unverwandten Blickkontaktes die Luft angehalten.

Zu meiner Schande stelle ich fest, dass ich das auch habe.

KAPITELZWEI

Im Haus ist es so still, dass man eine Stecknadel würde fallen hören. Einzig und allein die massive Wanduhr aus Eichenholz gibt ein regelmäßiges Ticktack von sich. Ich werfe einen Blick darauf. Zwanzig nach sieben. James ist immer noch nicht da.

Wut wallt in mir auf, ich unterdrücke sie jedoch mit aller Macht. Dass er sich verspätet, sollte mich nicht ärgern, doch das tut es. Entweder kommt mein Mann gar nicht zum Essen nach Hause oder erst, wenn dieses längst kalt und ungenießbar ist. Hundefutter. Oder wenn ich schon mein drittes Glas Rotwein intus habe, bevor ich mich mit der ganzen Flasche ins Schlafzimmer verziehe, um meinen Frust zu ertränken. Irgendeine Art der Gesellschaft brauche ich immerhin. Und wenn mein Mann mir keine leistet, dann eben der Alkohol. Im Gegensatz zu ihm bricht er seine Versprechen nie.

Ticktack.

Ich beschließe, noch zehn Minuten zu warten, bevor ich mein übliches Ritual durchziehe. Das Essen im Müll entsorgen, die Küche aufräumen, mit der Flasche Rotwein nach oben gehen und mir ein heißes Bad einlassen. Dort bemitleide ich mich kurz selbst, bevor ich es mir selbst besorge und mich dabei an die Zeiten zurückerinnere, in denen es James’ Hand war, die zwischen meinen Beinen gearbeitet hat. Danach lege ich mich mit einem angenehmen Schwindelgefühl ins Bett und vergesse, dass die Seite neben mir leer ist. Und das viel zu oft in den vergangenen Monaten.

Vielleicht trinke ich regelmäßig abends, um mich nicht mit der Ursache hinter dem Problem beschäftigen zu müssen. Dem eigentlichen Problem.

Mir ist klar, dass meine Ehe gerade dabei ist, den Bach hinunterzugehen. Einsehen will ich es aber nicht. Ich weigere mich, zu akzeptieren, dass James und ich zu einem dieser Paare gehören, bei denen nach ein paar Jahren einfach die Luft raus ist. So etwas habe ich früher nie verstanden. Paare, die sich trennen und als Grund angeben, dass es einfach nicht mehr zwischen ihnen passen würde. Dass es im Bett und im Alltag nicht mehr laufen würde.

Wenn man sich Hals über Kopf verliebt, den besten Sex seines Lebens hat und eine gemeinsame Zukunft miteinander plant, bevor man sich sogar vor einem Altar ewige Treue schwört, wie kann es eines Tages dann plötzlich dazu kommen, dass man sich auseinanderlebt? Es passiert wohl eher schleichend, aber dennoch … Ich möchte mir nicht eingestehen, dass es exakt das ist, was mit James und mir passiert.

Wie konnte es dazu kommen? Ist es meine Schuld? Ist tatsächlich sein stressiger Job schuld daran? Gibt es für so etwas überhaupt einen expliziten Grund oder geschieht es einfach bei all den Paaren, die nicht füreinander bestimmt sind? Schlägt das Schicksal irgendwann aus dem Nichts zu, weil es etwas anderes für einen vorgesehen hat?

James und ich sind seit neun Jahren ein festes Paar. Seit fast vier Jahren davon verheiratet. Und seit einem Jahr leben wir wie Fremde nebeneinanderher. Nun bin ich an einem Punkt, an dem ich die Veränderung in unserer Beziehung nicht mehr verdrängen kann.

Es ist leicht, sich einzureden, dass es bloß eine Phase ist, dass irgendwelche Faktoren wie ein stressiger Job und die dadurch fehlende Zeit für Zweisamkeit dafür verantwortlich sind, aber im Grunde genommen weiß ich, dass es an niemand anderem als uns selbst liegt. An ihm und mir. Wir funktionieren offenbar nicht mehr zusammen.

Aber ich versuche wenigstens, wieder mit ihm zu funktionieren. Ich versuche, uns zu reparieren, will Pflaster auf all unsere Wunden kleben und hoffe darauf, dass sie heilen. Aber er … Er lässt uns einfach kaputtgehen, als wären wir nicht wertvoll genug, um gekittet zu werden.

Es ist Punkt halb acht, als ich mit einem resignierten Seufzer aufstehe und beginne, den Tisch abzuräumen. Dreißig Minuten lang saß ich alleine im totenstillen Wohnzimmer vor diesem lächerlich riesigen Tisch, dessen Dekoration mich weitere dreißig Minuten gekostet hat – mal ganz abgesehen von dem Menü, für dessen Zubereitung ich über eine Stunde benötigt habe –, und von meinem Mann fehlt jede Spur. Nicht einmal angerufen hat er, um mir Bescheid zu geben, dass er es doch nicht schafft.

Die Wut packt mich erneut und dieses Mal bekämpfe ich sie nicht. Ich bin verdammt noch mal sauer. Und ich habe jedes Recht dazu. Die Trauerphase ist definitiv vorbei.

Kurzerhand lasse ich die Teller wieder fallen und reiße nur die Flasche Wein an mich. Soll James doch sehen, wie viel Mühe ich mir gegeben habe, um uns einen schönen Abend zu bereiten, und den Dreck selbst wegräumen. Den Braten kann er höchstens dem Hund unserer Nachbarin vor die Füße werfen, doch selbst dieser würde ihn nicht anrühren.

Leise vor mich hin fluchend, stampfe ich aus dem Wohnzimmer in den Eingangsbereich und öffne noch im Gehen den Reißverschluss meines Kleides, das ich mir ebenfalls extra für ihn angezogen habe. Es ist eines meiner – und seiner – Lieblingskleider und erinnert mich an alte Zeiten. Ich hatte es zu unserem ersten Hochzeitstag an, und irgendwie wurde es eine Tradition, dass ich es zu diesem besonderen Anlass trage. Heute wollte ich ihn damit schlicht daran erinnern, wie schön es zwischen uns war. Und welch unanständige Dinge wir schon getan haben, als ich dieses Kleid trug. Wie beispielsweise es auf einer Restauranttoilette zu treiben. Wo ist seine Abenteuerlust heute?

Ich stoße ein verzweifeltes Lachen hervor, während ich die Treppe nach oben gehe. Jetzt treiben wir weder unanständige noch überhaupt irgendwelche Dinge miteinander. Und das einzige Abenteuer, das wir zusammen erleben, sind unsere gemeinsamen Morgen, an denen wir zusammen Kaffee trinken, ohne wirklich miteinander zu kommunizieren.

Ich werde immer wütender und bin geneigt, die Flasche Rotwein hysterisch an die Wand zu schleudern, um ein klares Zeichen zu setzen, doch dann wäre ich nur noch einsamer und würde mich vermutlich in den Schlaf heulen.

Also nehme ich stattdessen einen großen Schluck daraus und betrete das geräumige Schlafzimmer, an welches unser Badezimmer angrenzt. Als ich die Kleidersäcke auf dem Bett entdecke, die ich wie eine brave Ehefrau nach der Arbeit für ihn aus der Reinigung geholt habe, brennt eine Sicherung in mir durch.

Ich schleudere statt der Flasche die Kleidersäcke an die Wand. Dann marschiere ich ins Badezimmer und knalle die Tür lautstark hinter mir zu.

Beim Anblick der Rosenblätter und Kerzen auf dem Wannenrand wird mir schlecht. Und gleichzeitig steigen mir Tränen in die Augen.

Ich schätze, James und ich gehören wohl doch zu diesen Paaren, die ich nie verstehen konnte. Zu jenen, deren Feuer nur einmal entflammbar ist. Einmal erloschen, sieht man die Flammen nie wieder. Und unsere sehe ich schon lange nicht mehr, spüre keine Hitze mehr. Nur Kälte, selbst als ich mich in die volle Badewanne lege, den Kopf auf den Rand bette und es mir selbst mit der Hand mache. Wie beinahe jeden Abend seit ungefähr zehn Monaten.

Seit mich mein Mann zum letzten Mal angefasst hat.

* * *

»Es tut mir so unendlich leid, Schatz.«

Ich schlinge die Finger fester um meine Tasse Kaffee, sodass sie beinahe zerbricht. Der reuevolle Unterton in James’ Stimme verärgert mich, anstatt mich zu besänftigen.

Ich kann seine Entschuldigungen nicht mehr hören. Ich brauche seine Reue nicht – ich brauche seine Aufmerksamkeit, seine Zeit, seine Nähe, seine Liebe. Und seinen verdammten Schwanz, der bestimmt nicht einmal mehr weiß, wie er zu funktionieren hat.

»Liebling …«

»Halt den Mund.« Ich fahre zu ihm herum und schneide ihm zusätzlich mit einer scharfen Handbewegung das Wort ab. »So kann das nicht weitergehen, James. Wir müssen darüber reden.«

Mein Mann reibt sich seufzend den Nacken. »Es war das letzte Mal, dass ich dich versetzt habe. Ich verspreche es dir. In der Kanzlei gab es so etwas wie einen Notfall und …-«

»Das hier«, ich deute mit dem Finger auf ihn und mich, »hat sich ebenfalls zu einem verdammten Notfall entwickelt.«

James schweigt. Wie jeden Morgen steht er in einem seiner teuren Anzüge vor mir, nur dass er heute eines dieser potthässlichen Jacketts trägt, das ihm seine Schwester zum Geburtstag geschenkt hat, weil ich ihm keines vorbereitet habe. Geweckt habe ich ihn ebenfalls nicht und Frühstück gibt es auch keines. Meine Wut hat sich seit gestern Abend nicht gelegt, wenn überhaupt ist sie schlimmer geworden. Da hilft es auch nicht, dass James erschöpft wirkt, als hätte er letzte Nacht kaum geschlafen und wäre genauso frustriert über unsere Situation wie ich.

»Wann bist du überhaupt nach Hause gekommen? Ich habe dich nicht gehört«, will ich im Verhörstonfall von ihm wissen.

»Du hast so fest geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte«, erklärt er kleinlaut und umrundet die Kücheninsel. Das ist wohl dem Wein geschuldet. Er bewegt sich beinahe vorsichtig auf mich zu, als befürchte er, dass ich wie eine Bombe bei der nächsten Bewegung in die Luft gehen könnte. »Es war schon spät.«

»Wie spät?«

»Kurz nach Mitternacht.«

Erst blinzele ich überrumpelt, dann frage ich nüchtern: »Betrügst du mich, James?«

Als hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen, zuckt er zurück. »Wie bitte? Das … das ist nicht dein Ernst.«

»Sag du es mir.« Herausfordernd recke ich das Kinn, die Tasse Kaffee immer noch brutal zwischen meinen Fingern eingequetscht. »Du hast mich seit Monaten nicht mehr angefasst. Du siehst mich ja kaum noch an. Und ständig arbeitest du bis spät in die Nacht. Jede Frau würde die logische Schlussfolgerung daraus ziehen, dass du eine andere hast, mit der du dich vergnügst.«

»Natürlich betrüge ich dich nicht. Was für ein Unsinn!«, zischt er durch zusammengepresste Zähne, was mich ein wenig besänftigt.

Ich weiß, dass er nicht so reagieren würde, würde er lügen. Wenn er unehrlich ist, gerät er ins Stottern und weicht meinem Blick aus. Nun jedoch sieht er mich mit wütend funkelnden Augen an, Empörung spiegelt sich darin. Es macht ihn sauer, dass ich ihm Untreue unterstelle – ein gutes Zeichen.

»Du weißt, dass ich keiner dieser Männer bin. Und wir nicht eines dieser Paare sind. Also frag mich das nie wieder, Rachel. Das ist lächerlich.«

»Was ist dann los?«, will ich verzweifelt wissen. All die Wut fällt mit einem Mal von mir ab. Ich möchte so sehr eine Lösung für unser Problem finden – oder erst einmal die Ursache –, dass es mich beinahe erstickt. Vor lauter Ratlosigkeit kann ich kaum noch klar denken. »Läuft es in der Arbeit schlecht? Warum bist du ständig so gestresst und erledigt? Und warum arbeitest du immer bis spät in die Nacht? Das war früher doch auch nicht so.«

»Im Gegenteil, es läuft sehr gut«, erwidert er, und seufzt dennoch angestrengt. »Genau deswegen bin ich so gestresst. Du weißt doch, wie es ist. Als Anwalt bin ich quasi ständig im Einsatz. Ich habe keine fixen Arbeitszeiten. Und die Fälle, die ich nun bearbeite, machen andauernd Probleme. Die Mandanten auch. Sogar die Kollegen, verdammt. Es ist nervenaufreibend und verlangt mir alles ab, aber wenn ich irgendwann zum Senior Partner ernannt werden will, kann ich jetzt nicht schlapp machen. Ich glaube, sie wollen mich immer noch testen.«

Ich runzele die Stirn. »Aber wir sind doch hierhergezogen, weil man dir eine Stelle als Junior Partner in der Kanzlei angeboten hat. Warum musst du denn jetzt sofort Senior Partner werden?«

»Nicht sofort, aber irgendwann.«

»Aber als Junior Partner verdienst du doch schon richtig gut«, wende ich verständnislos ein. »Wenn du zum Senior Partner ernannt wirst, wird es doch nur noch schlimmer, oder? Dann sehen wir uns gar nicht mehr.«

»Wenn ich einmal Namenspartner in der Kanzlei bin, wird sich alles ändern, Schatz«, meint er tröstend, doch anstatt durch dieses Wissen beruhigt zu sein, beunruhigt mich das nur noch mehr.

Jetzt soll ich also noch ein paar Jahre lang so weitermachen, bis er zum Senior Partner und irgendwann auch noch Namenspartner ernannt wird, damit sich sein Stress legt und wir … einmal einen Abend zusammen verbringen können, um wie jedes andere normale Paar miteinander zu essen und zu vögeln?

Gott, wie himmelschreiend. Nein, das ist keine Lösung. Eher ein weiteres Problem.

»James, ich -«

Sein Handy klingelt. Sein verdammtes Handy klingelt.

»Wenn du rangehst, lasse ich mich scheiden«, kommt es mir trocken über die Lippen, woraufhin er mich schockiert ansieht. »James, das ist doch nicht normal. Können wir denn nicht wenigstens ein Gespräch miteinander führen, bei dem du mir deine volle Aufmerksamkeit schenkst?«

»Ich wollte gar nicht rangehen, Schatz«, erklärt er mir hastig, doch er stottert dabei etwas und weicht meinem Blick aus. Lügner. Schnell kommt er auf mich zu und schlingt seine Arme um meine Taille. Sogar diese unschuldige Berührung sendet feine Blitze durch meinen nach Nähe schreienden Körper. »Hör zu, heute sollte ich meinen Fall endlich abschließen. Das bedeutet, dass ich früher Schluss machen kann. Aber anstatt zusammen zu Hause zu Abend zu essen, habe ich eine bessere Idee. Ich führe dich in dein Lieblingslokal aus.«

Trotzig sehe ich ihn an.

»Ich hole dich um sieben Uhr ab. Was sagst du? Ein Abend nur du und ich?« Er beugt den Kopf nach unten, um mich auf die Stirn zu küssen. Dann legt er seine Lippen an mein Ohr und flüstert: »Und dann holen wir nach, was wir in letzter Zeit versäumt haben … Ich werde dich bis zum Morgengrauen vernaschen, das verspreche ich dir. Erst, wenn wir beide nicht mehr gehen können, höre ich auf. Klingt das gut?«

Das klingt wie das verdammte Paradies.

Gegen meinen Willen muss ich lächeln. »Okay. Ich nehme dich beim Wort. Wehe, wenn ich morgen um diese Uhrzeit noch stehen kann, Mister.«

James grinst an meinem Ohr, bevor er einen Kuss darauf drückt und sich zum Gehen abwendet. Als er im Flur verschwindet, wirft er einen Blick über die Schulter und formt »Ich liebe dich« mit seinen Lippen. Ich erwidere es, doch zum ersten Mal fühle ich dabei ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust, das mich an Verlust erinnert.

Er entgleitet mir, und ich weiß nicht, wie ich es aufhalten soll.

* * *

Zane Lewis. Neunzehn Jahre alt, geboren in Woodshaven, lebhaft in Woodshaven. Kein besonders toller Notendurchschnitt wie angenommen. Offenbar gehörte er in der High School zu den Schwänzern und Unruhestiftern. In der zehnten Klasse wurde er sogar der Woodshaven High School verwiesen, weil er einen seiner Lehrer angegriffen hat. Das wirft nicht unbedingt ein gutes Licht auf den Kerl. Danach hat er an die private High School der Stadt gewechselt, wo er seinen Abschluss gemacht hat. Trotzdem ging er danach auf das öffentliche College, nur um jetzt – mitten im Semester – doch auf die private Uni zu wechseln. Hat er dort etwa auch Probleme gemacht?

Aus seiner Akte werde ich nicht schlau. Grundsätzlich gibt es außer Zeugnissen und seinen eingereichten Dokumenten zur Anmeldung keine weiteren Informationen über ihn. Seine Akte ist im Gegensatz zu vielen anderen der Studenten sehr dünn, da er keinerlei außerschulische Leistungen erbracht hat, wie an dem Spendenmarathon teilzunehmen, den die Stadt jährlich veranstaltet, bei einer Schul- oder Universitätsveranstaltung mitzuwirken, oder einem Wochenend- oder Sommerjob nachzugehen, was sich in seinem Zeugnis gut gemacht hätte. Vielleicht wurde er deswegen nicht an der Rosegarden angenommen, da diese sehr viel Wert auf außerschulische Aktivitäten legt, aber warum dann jetzt?

Ich schlage die Akte zu, verstaue sie in meiner Umhängetasche, um sie später im Verwaltungsbüro abzugeben, und hänge mir diese über die Schulter. Gestern habe ich es versäumt, mich über meinen neuen Studenten zu erkundigen, was ich heute vor Kursbeginn schnell nachholen wollte. Dafür bin ich extra früher gekommen. Aber das hätte ich mir auch sparen können. Viel habe ich nicht über Zane Lewis herausgefunden.

»Guten Morgen«, trällert Susan, als sie in das Lehrerzimmer rauscht und noch im Laufen ihren Blazer von ihrem Körper reißt. Ich muss lächeln – sie ist mindestens genauso oft spät dran wie ich. Das macht sie in meinen Augen sehr sympathisch, zumal all meine anderen Kollegen übereifrig sind und schon dreißig Minuten vor ihrem Kursbeginn auf dem Campus antanzen.

»Morgen. Alles klar?«

»War etwas hektisch heute Morgen«, murmelt sie achselzuckend, während sie den Blazer achtlos über einen Stuhl wirft und mit der anderen Hand blind die Kaffeemaschine bedient. Ihre Finger zittern dabei, als wäre sie auf starkem Koffeinentzug. Ihre Augen scannen mich bis aufs Knochenmark, bevor sie mir schmeichelt: »Gut siehst du aus.«

»Danke. Du auch.« Ich deute auf ihr etwas wildes Haar. »Aber vielleicht solltest du dich noch einmal bürsten, bevor du in den Unterricht gehst.«

Verwirrt greift sie sich an den Kopf, bevor sie errötend ihr abstehendes Haar glattstreicht. »Ich … ich hatte es ziemlich eilig.«

Ich hebe eine Augenbraue, während mein Mundwinkel amüsiert zuckt. »Lange Nacht gehabt?«

»Nicht so, wie du denkst«, erklärt sie und verdreht dramatisch ihre Augen, worüber ich lachen muss. »Rodney und ich renovieren das Haus und haben bis spät in die Nacht irgendwelche Möbelstücke zusammengebaut.«

»Oh«, mache ich. »Das allerdings klingt wirklich nicht sehr spaßig.« Aber immer noch spaßiger als das, was ich gemacht habe.

»Absolut nicht. Dafür haben wir heute Morgen eine Runde Spaß eingelegt.« Sie gluckst.

Ich verspüre einen Stich der Eifersucht in der Brust und wechsele rasch das Thema. »Essen wir heute zusammen zu Mittag?«

Susan lächelt mich an, während sie sehnsüchtig ihren Kaffee an sich nimmt. »Gerne. Ich hole uns was, geht diesmal auf mich. Pasta?«

Ich nicke lächelnd und wende mich zur Tür ab. Gleich beginnt mein Kurs mit dem Neuen. »Dann bis später.«

Während ich mich auf den Weg zum Hörsaal 111 mache, stelle ich fest, wie froh ich darüber bin, hier Anschluss gefunden zu haben. Hätte ich nicht einmal auf der Arbeit nette Gesellschaft, wäre ich wirklich erbärmlich einsam.

Susan ist nicht die einzige Kollegin, mit der ich mich gut verstehe, allerdings sind wir uns wohl am ähnlichsten. Sie ist etwas lockerer als die anderen und immer zu Scherzen aufgelegt. Mit ihr habe ich mich auch schon das eine oder andere Mal privat getroffen, wenn James am Wochenende arbeiten musste und ich nicht alleine in dem großen Haus sein wollte. Sie versteht das gut, weil ihr Mann als Architekt ebenfalls oft unterwegs ist.

---ENDE DER LESEPROBE---