The Vyrus: Ausgesaugt - Charlie Huston - E-Book
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The Vyrus: Ausgesaugt E-Book

Charlie Huston

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Beschreibung

Beim Morgengrauen bist du tot: Der nervenaufreibende Thriller »The Vyrus: Ausgesaugt« von Charlie Huston jetzt als eBook bei dotbooks. Den eigenen Dämonen kann man nicht entkommen … Ein Leben voller Blut und Gewalt haben Privatdetektiv Joe Pitt an den Rand des Abgrunds geführt: Auf der Flucht vor gnadenlosen Kriminellen musste er sich in die Schatten von New Yorks U-Bahn-Schächten zurückziehen – denn seit durch seine Ermittlungen ein Machtvakuum in der kriminellen Unterwelt New Yorks entstanden ist, tobt ein ausgewachsener Krieg an der Oberfläche. Als ein alter Freund ihn aufsucht, und ihn beauftragt, eine junge Frau zu finden, die von sämtlichen Unterweltbossen der Stadt gesucht wird, bleibt ihm keine andere Wahl, als eine Seite zu wählen – und gerät zwischen die Fronten eines mörderischen Konflikts, der die Millionenstadt für immer verändern wird … Rasant, dreckig und so unfassbar spannend, dass man nicht aufhören kann zu lesen: »Huston ist einer der brillantesten Stilisten dieses Jahrhunderts.« Stephen King Jetzt als eBook kaufen und genießen: »True Detective« meets »The Walking Dead« – der abgründige Thriller »The Vyrus: Ausgesaugt« von Charlie Huston, der spektakuläre fünfte Band in seiner Reihe um den Privatermittler Joe Pitt, in der alle Bände unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Den eigenen Dämonen kann man nicht entkommen … Ein Leben voller Blut und Gewalt haben Privatdetektiv Joe Pitt an den Rand des Abgrunds geführt: Auf der Flucht vor gnadenlosen Kriminellen musste er sich in die Schatten von New Yorks U-Bahn-Schächten zurückziehen – denn seit durch seine Ermittlungen ein Machtvakuum in der kriminellen Unterwelt New Yorks entstanden ist, tobt ein ausgewachsener Krieg an der Oberfläche. Als ein alter Freund ihn aufsucht, und ihn beauftragt, eine junge Frau zu finden, die von sämtlichen Unterweltbossen der Stadt gesucht wird, bleibt ihm keine andere Wahl, als eine Seite zu wählen – und gerät zwischen die Fronten eines mörderischen Konflikts, der die Millionenstadt für immer verändern wird …

Rasant, dreckig und so unfassbar spannend, dass man nicht aufhören kann zu lesen: »Huston ist einer der brillantesten Stilisten dieses Jahrhunderts.« Stephen King

Über den Autor:

Charlie Huston wurde 1968 in Oakland, Kalifornien geboren. Nach einem Theaterstudium zog er nach New York, wo er als Schauspieler und Barkeeper arbeitete, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine »Vyrus«-Reihe, für die er unter anderem mit dem wichtigsten amerikanischem Krimipreis, dem Edgar-Award, nominiert wurde, erzählt den Überlebenskampf von Privatermittler Joe Pitt in der New Yorker Unterwelt. Charlie Huston lebt mit seiner Frau, einer bekannten Schauspielerin, in Los Angeles.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine packende Serie um den New Yorker Privatermittler Joe Pitt:

»The Vyrus: Stadt aus Blut«

»The Vyrus: Blutrausch«

»The Vyrus: Das Blut von Brooklyn«

»The Vyrus: Bis zum letzten Tropfen«

»The Vyrus: Ausgesaugt«

Außerdem bei dotbooks erschienen ist sein Thriller »Killing Game«.

***

eBook-Neuausgabe Dezember 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2009 unter dem Originaltitel »My Dead Body« bei Del Rey, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Ausgesaugt« bei Heyne

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2009 by Charlie Huston

This edition published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Geobor, aounphoto

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-536-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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blog.dotbooks.de/

Charlie Huston

The Vyrus:Ausgesaugt

Ein Joe-Pitt-Thriller

Aus dem Amerikanischen von Kristof Kurz

dotbooks.

Für Simon Lipskar,der mir vorgeschlagen hat, mal ein anderes Genre als den Krimi zu versuchen, um nicht irgendwann wieder hinter dem Tresen stehen zu müssen: »Fantasy, Science Fiction, Horror, was weiß ich.«

Und für Mark Tavani,weil ich seine erste, völlig vernünftige Reaktion ignoriert habe: »Vampire sind eigentlich nicht so mein Ding.«

ORIGINALABSCHRIFTNICHT KOPIEREN

Wenn ihr das hört, bin ich tot.

(Lachen)

Na ja, vielleicht findet das im Moment keiner außer mir besonders witzig. Aber hört mir noch ein bisschen länger zu, dann findet ihr’s möglicherweise auch lustig. Oder auch nicht. Wahrscheinlich kann niemand, der sich das hier anhört, groß drüber lachen. Vorausgesetzt, ihr glaubt, was ich hier erzähle; wenn nicht, werdet ihr wahrscheinlich vor Lachen tot umfallen. Würde mir zumindest so gehen.

Ich frage mich, wie ich wohl gestorben bin.

Scheiße, da gibt’s so viele Möglichkeiten, dass mir der Kopf schwirrt. Wahrscheinlich haben sie mich einfach erschossen. Andererseits wurde ich schon ziemlich oft angeschossen. Also, entweder haben sie diesmal gut gezielt oder es waren eine Menge Kugeln auf einmal. Obwohl – ich kenne da einen Kollegen, der ganze zweimal von einer Maschinengewehrsalve durchlöchert wurde und quicklebendig davonspaziert ist.

(Lachen)

Quicklebendig. Guter Witz. Auch wenn ihr den Spaß daran vielleicht noch nicht ganz versteht, aber ich erklär’s euch.

Bei mir fing der ganze Spaß an, als ich sechzehn war. 1977, im Klo des CBGB während eines Ramones-Konzerts. Ein Typ hatte mir gerade zwanzig Mäuse gegeben, damit ich ihm einen runterhole. Und als ich gerade am Machen war, hat er seine Zähne in meinen Hals geschlagen und angefangen zu saugen.

(Lachen)

Ach, ihr hättet dabei sein müssen.

Dieser Typ. Den hätte ich gerne in die Finger gekriegt. Dafür hab ich eine Menge anderer unangenehmer Leute in die Finger gekriegt. Aber ich bin nicht nachtragend.

(Lachen)

Tut mir leid, aber die Witze bleiben so schlecht, das kann ich euch versichern.

Wisst ihr, was das Komische am Älterwerden ist? Die Sachen, die einem mal Spaß gemacht haben, sind irgendwann langweilig oder dumm oder einfach nur traurig. Andererseits kriegen die Sachen, die früher nicht besonders lustig waren, irgendwie eine leichtere Note. Nein, falsch. Nicht leichter. Es ist eher so, dass man plötzlich über Dinge lacht, über die man vorher nicht lachen konnte. Man hat gar keine andere Wahl. Ansonsten kann man sich gleich Abflussreiniger hinter die Binde kippen.

(Lachen)

Ich sag ja, viel lustiger wird’s nicht.

Um ehrlich zu sein: So viel zu lachen hatte ich schon seit einer Ewigkeit nicht. Also, natürlich nicht wirklich seit einer Ewigkeit. So alt bin ich nun auch wieder nicht. Aber seltsamerweise finde ich das Ganze irgendwie ziemlich lustig.

Zum Beispiel, wenn ich an euch denke, wer auch immer ihr seid. Wie ihr euch das gerade anhört. Entweder denkt ihr jetzt, das ist der schlechteste Scherz aller Zeiten, oder ihr glaubt mir – und dann ist es sowieso zu spät. Wenn ihr das hört, ist die Bombe bereits geplatzt und alle wissen es, oder auch nicht. Egal, ich erzähl’s euch trotzdem.

Okay.

Ich fang mal mit ein paar Fakten an. Habt ihr gewusst, dass eine schwangere Frau ungefähr vierzig Prozent mehr Blut in sich hat als eine, die nicht schwanger ist? Sagen wir, die Frau wiegt um die sechzig Kilo. Ihr Blut macht etwa sieben Prozent ihres Gewichts aus. Also rund vier Liter. Schon in den beiden ersten Dritteln der Schwangerschaft nimmt die Blutmenge um vierzig Prozent zu. Im letzten Drittel sind es dann alles in allem fast sechseinhalb Liter.

So viel Blut wie ein ziemlich dicker Mann.

Damit kann man locker drei bis vier Monate auskommen.

Man bringt jemanden unter die Erde und kann dafür sechzig bis neunzig Tage auf der Erde bleiben.

Wobei – strenggenommen bringt man ja zwei unter die Erde.

Was sind diese zusätzlichen vierzig Prozent wert? Vierzig Prozent mehr Blut als bei einem gewöhnlichen Menschen mit seinen fünf Litern. Was ist das wert?

Was ist das Blut einer Schwangeren und ihres Babys wert?

(Lachen)

Ich lache nicht, weil ich das besonders lustig finde. Mir ist nur der Abflussreiniger ausgegangen.

Okay.

Erzähl einfach nur, was passiert ist. Das hat sie gesagt. Als wäre ich so ein großer Redner. Na ja, immer noch besser, als alles aufzuschreiben. Wenn ihr meine Sauklaue entziffern müsstet, würdet ihr in Tränen ausbrechen, statt zu lachen.

Okay.

Das war übrigens keine rhetorische Frage. Ich weiß, wie viel das Blut einer Schwangeren wert ist. Etwa zwanzig Riesen. In Dollar.

Es gibt natürlich noch andere Möglichkeiten, dafür zu bezahlen. Mit eigenen Körperteilen, die nie wieder nachwachsen.

Was soll ich sagen? So ist es passiert, und so werde ich es erzählen.

Okay.

Ich bin ein Vampyr. Mit Y, nicht mit I. Fragt mich jetzt nicht, wieso man das so schreibt. Ist wohl Tradition. Egal – Vampyre mit Y, das sind die einzig wahren. Die mit I sind Kinderkacke.

Ich gehöre zu der Sorte, vor denen ihr Angst haben solltet.

Als alles anfing, führte ich noch ein ziemlich normales Leben. Ich hauste in einer Mietwohnung, genau wie ihr. Nicht ganz – im Gegensatz zu euch hatte ich einen Kühlschrank voll mit Blut. Am Ende musste ich mich in der Kanalisation verkriechen. Tja, als Vampyr ist man ständig vom sozialen Abstieg bedroht.

Klingt ziemlich bescheuert. Vampyre in der Kloake.

Ist es aber nicht.

Das ist mein Leben.

(Lachen)

Seht ihr, ich lache trotzdem drüber.

Egal.

Folgendes ist passiert.

KAPITEL 1

Es ist nur ein kleines bisschen mehr Wärme als üblich, aber ich spüre sie genau. Außerdem wittere ich abgestandene Luft. Wärme und Kohlendioxid – eine Kombination, die auf einen lebenden Organismus schließen lässt. Irgendetwas atmet ein und aus, Luft füllt die Lunge, Sauerstoff wird verbraucht. Bei allem, was warm und lebendig ist, steht eins in jedem Fall fest: Es ist mit Blut gefüllt.

Vor mir im Dunkeln bewegt sich ein lebender Körper.

Zumindest lebt er im Moment noch.

Ich hätte nicht gedacht, dass er so schwer zu finden sein würde. Als er in den Freedom Tunnel rannte, war er mit dem Blut des Krüppels förmlich durchtränkt; ziemlich unwahrscheinlich, dass ich diese Spur verlieren würde. Ich wollte ihm ganz gemütlich hinterherschlendern und ab und zu gegen einen Schrotthaufen treten, damit er auch mitkriegt, dass ich komme. Ich rechnete fest damit, dass er irgendwann vor Erschöpfung stehen bleiben und sich in eine dunkle Nische kauern würde. Das Komplizierteste an der Sache wäre die Entscheidung, ob ich ihn aus seinem Versteck zerren und dabei ein paar Schnittwunden riskieren sollte oder ob ich mir irgendetwas suchen würde, das ich ein paarmal in die Nische ramme, um ihm damit den Schädel einzuschlagen.

Aber dann hat er in Kloake gebadet.

Keine Ahnung, ob er das geplant hat. So, wie er vorhin ausgeflippt ist und den Krüppel zugerichtet hat, hätte ich eher vermutet, dass strategisches Vorgehen nicht gerade seine Stärke ist. Andererseits hat er sich, gleich nachdem er den U-Bahn-Tunnel verlassen hat, in einem verstopften Kanal in einer Abwasserpfütze gewälzt. Danach konnte ich ihn nicht mehr wittern.

Vorher roch der Typ nach Schlachthof. Jetzt duftet er wie ein wandelndes Dixie-Klo. Und so ziemlich alles andere unterhalb Manhattans stinkt genauso.

Das machte die Sache nicht einfacher. Der clevere kleine Pisser hat mitbekommen, dass ich ihm nicht unmittelbar auf den Fersen bin, und hat die Zeit zum Ausruhen genutzt. Hat sich einigermaßen beruhigt, seinen Atem unter Kontrolle gebracht, das Keuchen und Stolpern eingestellt, immer wieder Verschnaufpausen in ruhigen Ecken eingelegt und gelauscht. Der kleinste Lichtschein hätte genügt, und ich hätte ihn mit ein paar Steinwürfen niedergestreckt. Manchmal gibt es hier unten die irrsten Reflektionen. Das Sonnenlicht fällt durch die Abflussgitter, ein Strahl trifft auf eine Rinne, bricht sich im Schmutzwasser, und plötzlich ist der ganze Tunnel in schwaches Licht getaucht. Genug Licht, damit ein normaler Mensch die Hand vor Augen erahnt.

Ein Mensch wie ihr. Ich dagegen würde noch eine ganze Menge mehr sehen. Doch selbst mein Auge braucht ein Mindestmaß an Licht, das sich auf den Oberflächen der Dinge bricht und mich erkennen lässt, um was es sich handelt.

Stattdessen bin ich völlig blind. Vielleicht ist oben gerade Nacht, keine Ahnung. Mein Zeitgefühl hat sich schon vor längerer Zeit verabschiedet. Früher hatte ich Morgendämmerung und Sonnenuntergang sozusagen im Blut. Aber wenn man von beiden ein paar Hundert verpasst hat, verliert man einfach jedes Gespür dafür.

Der Typ vor mir sieht so wenig wie ich, kennt sich aber in der Kanalisation offenbar ziemlich gut aus. Weiß Gott, wie viele Jahre er schon hier unten ist. Wahrscheinlich seit seiner Kindheit. Seit irgendjemand es satthatte, ihn durchzufüttern, und er sich allein durchschlagen musste. Da ist ihm wohl irgendwann aufgegangen, dass es in der Kanalisation zwar dunkel, aber auch bedeutend ungefährlicher ist als auf der Straße. Hier unten, im Reich der Verlorenen, kippt niemand einen Benzinkanister über dir aus und zündet ein Streichholz an, nur um zu sehen, was dann so passiert. Klar, auch hier wird gemordet, aber nicht wegen irgendwelcher Kleinigkeiten, wie wenn beispielsweise jemand in der falschen Abwasserrinne pennt. Meine Güte, hier haut sich jeder hin, wo es ihm gefällt. Die Leute hier unten müssen sich nichts beweisen. Wenn sie töten, dann aus gutem Grund. Für Brennmaterial. Eine Flasche Wein. Die guten Stiefel eines toten Mannes.

Keine Ahnung, warum der Kerl, der vor mir Kohlenstoffdioxid ausatmet, den Krüppel umgebracht hat. Warum ich ihn verfolge, weiß ich hingegen sehr wohl.

Weil er sich für sein Massaker ausgerechnet den Eingang zum Freedom Tunnel ausgesucht hat. Nicht weit von der Stelle, an der die Sprayer zusammenkommen, um die Graffiti zu bewundern, die die Betreibergesellschaft glatt zu überstreichen vergessen hat, als der Tunnel wieder für den Zugverkehr geöffnet wurde. Gut möglich, dass ein Sprayer alles mitangesehen hat, nach oben gelaufen ist und den Bullen in diesem Moment einen Mord im Tunnel meldet. Üblicherweise sind die Cops alles andere als scharf drauf, in der Kanalisation für Recht und Ordnung zu sorgen. Sie vertrauen darauf, dass sich hier unten alles von selbst regelt. Doch wenn ein Student der schönen Künste an der Columbia Zeuge einer hässlichen Messerstecherei wird, wäre das durchaus ein guter Grund, einen Sturmtrupp mit Helmen und Schutzschilden loszuschicken, um die provisorischen Behausungen niederzureißen, ein paar Schädel einzuschlagen und einige arme Schweine ans Tageslicht zu zerren, um sie zu verhören und in eines von ihren Löchern zu werfen.

Klar, mich würden sie bei einer solchen Aktion wohl kaum erwischen, aber ich habe großes Interesse daran, dass das Milieu der Tunnelbewohner einigermaßen intakt bleibt. Je reibungsloser das Zusammenleben hier unten funktioniert, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Panik kriegen und weiterziehen. Eine stabile Gemeinschaft sorgt dafür, dass neue Tunnelbewohner hinzustoßen. Und je mehr Kanalratten sich hier unten tummeln, desto leichter kann ich untertauchen.

Vom Nahrungsangebot ganz zu schweigen.

Allerdings lebe ich hier nicht gerade wie die Made im Speck. Eher im Gegenteil. So magere Zeiten hatte ich selten. Trotzdem – da die Bevölkerung der Kanalisation quasi nur aus Trinkern und Junkies besteht, ist es normalerweise nicht allzu schwierig, im Schutze der Dunkelheit jemanden zu finden, der gerade bewusstlos oder im Tran ist, und ihn um einen halben Liter zu erleichtern. Wenn man nicht zu gierig wird, kann man praktisch immer und überall eine Vene finden, wenn man eine braucht.

Das ist einer der Gründe, warum ich hinter diesem Typen her bin. Er stellt eine Gefahr für mein Revier dar. Richtig auf die Palme gebracht hat mich aber das Blut, das gegen die Wand gespritzt ist. Der Geruch war wie ein Schlag ins Gesicht. Er hat mir das Wasser ins Auge getrieben und im Mund zusammenlaufen lassen. Und schon war ich hinter dem Typen her, ohne an die Cops zu denken. Ohne überhaupt groß an irgendwas anderes zu denken als daran, dass es niemanden kümmern wird, was ich mit dem Kerl anstelle; daran, wie dunkel es im Tunnel sein wird, wenn ich ihn erwische; und wie ich ihn genussvoll aussaugen werde, bis ich so voll mit Blut bin, dass ich fast kotzen muss. Nach dem ständigen Kleinscheiß hatte ich wirklich große Lust auf einen ordentlichen Schluck.

Nein, keine Ahnung, weshalb er den Krüppel umgebracht hat. Ist mir auch egal. Mir macht eher Sorgen, dass ich so gut wie blind bin und er die Kanalisation besser kennt als ich. Irgendwo hier muss er stecken, er und sein Blut. Die Frage ist: Ist er stehen geblieben, weil er in einer Sackgasse gelandet ist, oder plant er irgendetwas?

Kalte Scheiße driftet gegen meine Knöchel und fließt dann weiter in seine Richtung. Ein paar Meter entfernt höre ich ein lautes Gurgeln und spüre einen leichten Sog.

In meinem ersten Monat hier unten bin ich in genau so einen Tunnel spaziert. Wollte mich mal umsehen, austesten, wie tief das Abwasser ist. Ein Schritt zu viel, und ich fand heraus, dass es ziemlich tief ist. Nach einem Fall von über sieben Metern landete ich auf einem Haufen Ziegel und Schutt. Dabei hab ich mir an einem rostigen Metallteil die Rückseite meines Oberschenkels vom Knie bis zum Arsch aufgerissen. Bis sich die Wunde geschlossen hatte, verlor ich so viel Blut, dass mir richtig schwindlig wurde. Damals hatte ich eine Taschenlampe dabei, sie aber nicht eingeschaltet – ich wollte mich langsam dran gewöhnen, mich auch im Dunkeln zurechtzufinden. Aber ich hatte sie zumindest dabei. Andernfalls – oder wenn sie beim Sturz kaputtgegangen wäre – hätte ich wahrscheinlich niemals aus dem Loch rausgefunden.

Diesmal habe ich leider keine Taschenlampe dabei. Wenn ich also wieder in so ein Loch falle, dann war’s das. Der kleine Scheißer wartet hier irgendwo auf mich, glaubt, dass er im Vorteil ist, nur weil er sich hier auskennt. Ich werd’s ihm nicht leichtmachen, darauf kann er sich verlassen. Wenn ich nur wüsste, wo er sich verkrochen hat.

Ich frage mich, wie durchgeknallt er tatsächlich ist.

Aber das lässt sich ja rausfinden.

– Hey.

Nichts.

– Ich hätte da mal eine Frage.

Keine Antwort.

– Warum hast du den Krüppel umgelegt?

Er holt Luft, als wolle er gleich was Wichtiges sagen, dann atmet er aus und schweigt weiter.

Ziemlich einseitige Konversation, aber davon lasse ich mich nicht beirren.

– Du hattest sicher deine Gründe, auch wenn er ein Krüppel war. Er hatte es bestimmt verdient, ob er jetzt einen Unterleib hatte oder nicht. Ich kannte mal einen, der war blind. Blind wie eine Fledermaus, er konnte nicht das Geringste sehen. Weißt du, wie sich die Blindheit auf seinen Charakter ausgewirkt hat? Gar nicht. Das war ein Arschloch. Ein blindes Arschloch. Ein versoffenes, blindes Arschloch. Ich war Türsteher in seiner Stammkneipe, und immer, wenn wir zugemacht haben, brauchte er jemanden, der ihn nach Hause bringt. Als ich an der Reihe war, hab ich ihn zu einem leeren Grundstück geführt, wo er dann im Dreck seinen Rausch ausgeschlafen hat. Am nächsten Tag war er dann stinksauer und hat allen erzählt, was ich getan hab. Und weißt du was? Sie haben mir auf die Schulter geklopft. Weil der Kerl es verdient hatte. Da waren alle meiner Meinung. Nur weil einer ein Krüppel ist, muss er noch lange kein netter Mensch sein.

Ich höre, wie er sich über die Lippen leckt. Er würde wirklich gerne was sagen. Tut’s aber nicht.

Ich schon.

– Andererseits ist es ja auch möglich, dass dein Krüppel ein richtig feiner Kerl war und du nur ein durchgeknalltes Arschloch bist, das nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Wer weiß, vielleicht hast du diesen netten Krüppel ja nur aufgeschlitzt, weil dich das Quietschen seines Rollstuhls aufgeregt hat.

– Er hat mir die Freundin ausgespannt.

Mehr brauche ich nicht. Nur den Klang seiner Stimme, der von den Wänden und der Decke widerhallt. Das Echo zeigt mir den Weg. Ich bin schon ziemlich nah dran, er ist nur noch ein paar Meter entfernt. Ich könnte ihn jetzt mit einem Sprung erreichen, ohne mir Sorgen über Löcher im Boden machen zu müssen. Und wenn ich ihn erst mal in die Finger kriege, muss ich mir wegen überhaupt nichts mehr Sorgen machen.

Aber ich bin neugierig.

– Deine Freundin?

– Ja. Dieses Arschloch. Wir waren schon fünf Monate zusammen. Dann kommt dieser Rollstuhlpenner an, ohne Beine, ohne Magen, ohne nichts. Armselig. Setzt sich auf die Fifth Avenue und sahnt ab. Alle anderen sind pleite, aber der beinlose Typ hat immer ’ne Flasche am Start, die er mit den Mädels teilen kann. Ich hab sie gefragt: Was hat der, was ich nicht habe. Ich weiß zumindest, was er nicht hat, hab ich gesagt – einen gottverdammten Schwanz.

– Und, was hat sie darauf gesagt?

Ich höre, wie er ins Wasser spuckt.

– Er hat Stil, hat sie gesagt.

Darüber müssen wir beide einen Augenblick nachdenken. Dann wird er neugierig.

– Was interessiert dich das überhaupt? Warum rennst du mir hinterher? Ich kenn dich, Einauge. Wir hatten doch noch nie Stress, oder? Hab dich nie mit dem Krüppel zusammen gesehen. Scheiße, warum verfolgst du mich denn? Noch dazu in meiner Kanalisation, du Arschloch. Wie lange bist du überhaupt schon hier unten? Du kennst dich doch hier null aus und rennst mir hinterher. Du hast doch den Arsch offen, mir in die Kanalisation zu folgen. Warum denn, Mann?

Ich richte mich auf, überprüfe, dass meine Sohlen nicht auf etwas Rutschigem stehen.

– Du hast da was, das ich haben will.

Er lacht.

– Motherfucker, du hast den Falschen erwischt. Ich hab ’nen Scheißdreck. Ich hatte mal ’ne Freundin, aber die hat mir der Krüppel weggeschnappt. Jetzt hab ich nur noch ein Messer. Willst du das? Dann komm und hol’s dir.

– Nee, das kannst du behalten. Ich hab selbst eins.

Ich springe los und strecke die Arme aus wie ein Footballspieler beim Angriff. Doch im Gegensatz zu einem Footballspieler halte ich ein vierzig Zentimeter langes Amputationsmesser in der Hand, das ich vor drei Monaten am Auslass eines Abwassertunnels gefunden habe. Es lag zwischen den verrosteten Stäben eines alten Einkaufswagens im Wasser. Den Rost hab ich mit einem Flusskiesel abgekratzt, wodurch die Klinge etwa zwei Millimeter an Durchmesser eingebüßt hat. Dann hab ich den längst verrotteten Beingriff durch eine Viertelrolle gelbes Isolierband ersetzt, und schon hatte ich das perfekte Werkzeug, um mir den gröbsten Ärger vom Hals zu halten. Üblicherweise reicht es, wenn ich die Klinge wie durch Zauberhand aus meinem Jackenärmel rutschen lasse – ein Stück Fahrradschlauch und weiteres Isolierband machen’s möglich.

Der Typ kriegt die Klinge leider nie zu sehen. Obwohl ihm das Gefühl, wie sie sich unter seinem Brustkorb hindurch in seinen rechten Lungenflügel bohrt, vermutlich eine ziemlich genaue Vorstellung davon geben dürfte. Eigentlich würde ich das Messer jetzt gerne ein bisschen hin und her drehen, um die Sache schnell zu Ende zu bringen, aber ich bin mit meinem vollen Gewicht auf ihm gelandet. Wir gehen beide zu Boden und die Klinge bohrt ein weiteres Loch in seinen Rücken, aus dem zischend Kohlendioxid entweicht. Als ich das Messer aus ihm herausziehe, ist er noch nicht richtig tot, lässt mich aber ungestört ein Loch in seine Kehle stechen. Die letzten, kräftigen Blutstöße aus der Halsschlagader fließen fast von selbst in meine Kehle. Dann hat er’s hinter sich, und ich muss meine Lippen fest um die Wunde schließen und kräftig saugen. Als ich mich wieder von ihm löse, schmatzt es wie in dem verstopften Abwasserrohr ganz in der Nähe.

Ob ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich gerade einen armen Teufel umgebracht habe, der das Einzige, das ihm etwas bedeutete, an einen noch ärmeren Teufel verloren und darüber den Verstand verloren hat? Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen. Aber wenn ich daran denke, wo ich in meinem Leben schon überall gewesen bin, wo ich jetzt eigentlich sein könnte, und wie viel Scheiße ich im Laufe der Jahre gebaut habe, um schließlich hier unten zu landen, dann geht’s mir noch viel schlechter.

Das soll jetzt nicht heißen, ich würde mich für was Besseres halten; aber ich bin schon verdammt tief gesunken. Selbst wenn es meine eigene Schuld ist. Wäre ich der Typ, der auch nur ab und zu Kompromisse macht, ginge es mir jetzt wahrscheinlich bedeutend besser.

Aber egal.

Um jemand anders sein zu können, müsste ich auch alles um mich herum ändern. Wäre ich jemand anders, hätte ich niemals so lange durchgehalten. Wäre ich jemand anders, hätte sie mich ziemlich sicher nie eines Blickes gewürdigt.

Diese Erinnerungen lassen das Blut des Typen, das ich im Dunkeln trinke, in meinem Mund zu Essig werden. Ich trinke trotzdem weiter, ich bin ja nicht blöd. Man soll nichts verkommen lassen.

Nachdem ich so viel getrunken habe, wie ich kann, rolle ich die Leiche auf das schmatzende Geräusch zu und warte, bis die reißende Strömung sie ergreift. Ich lasse den Fuß des Toten los, und er wird in die Tiefe gerissen. Dann taste ich mich an der Wand entlang um das Loch herum und mache mich auf den Rückweg. Zum Glück ist es stockdunkel und ich kann mich nicht sehen. Dem Blut nach zu urteilen, das an meinem Mund, meinen Wangen, meinem Kinn und am Hals klebt, brauche ich nicht in den Spiegel zu schauen, um zu wissen, wie übel ich aussehe. Sobald ich wieder im Licht bin, werd ich mich saubermachen. Na ja, ein bisschen zumindest.

Hier unten ist es völlig ausreichend, wenn man annähernd menschlich rüberkommt.

Über die Kanalisation gibt’s eigentlich nicht viel zu erzählen.

Wenn sich ein Mann entschließt, hier unten zu hausen, dann kann man sich die Gründe dafür schnell zusammenreimen.

Irgendwie muss dieser Mann Scheiße gebaut haben. Und das nicht nur einmal. Wahrscheinlich hat er Feinde. Viele Feinde. Und offensichtlich auch gute Gründe, weshalb er nicht so weit weg wie möglich rennt. Grund Nummer eins: Er hat die Stadt nie verlassen und weiß gar nicht, wo er überhaupt hinrennen sollte. Grund Nummer zwei: Was seinen Lebensstil angeht, hat er gewisse Mindeststandards.

Anonymität. Wenn er sich schon nicht in der Menge verstecken kann, dann wenigstens an einem Ort, an dem es niemanden interessiert, wer er ist oder was er getan hat.

Dunkelheit. Die Nacht ist sein Verbündeter, der Schutz vor den UV-Strahlen der Sonne ein absolutes Muss. Wenn er zu viel Sonne abkriegt, verwandelt er sich im Nu in einen nässenden, schorfigen Klumpen aus Eiterbeulen. Habt ihr schon mal Bilder von Leuten mit extremem Hautausschlag gesehen? Jetzt stellt euch mal vor, so was wächst in eurem Mund, in den Ohren, der Nase und den Augen. Das ist der Effekt der Sonne.

Außerdem braucht der Mann andere Leute um sich. Nicht weil er so ein sozialer Mensch ist. Er braucht sie als Nahrungsquelle. Klingt hart, ist aber leider so. Schließlich will ich hier nichts verschweigen. Ohne Nahrung wird er verhungern und kurz vor seinem Tod wahnsinnig. Was ihm allerdings auch eine wahnsinnige Schnelligkeit und Stärke verleiht. Dann gnade Gott allen, die so dumm genug sind, sich in seiner Nähe aufzuhalten.

Hab ich was vergessen?

Richtig.

Die Frau.

Wenn ein Mann in der Kanalisation hausen muss, ist mit Sicherheit eine Frau im Spiel. In meiner Geschichte gibt’s sogar eine ganze Menge. Verschwundene Frauen, reiche Frauen, hochintelligente Frauen, lesbische Frauen, durchgeknallte Frauen, harte Frauen, schwangere Frauen. Im Laufe der Jahre hab ich’s mit allen möglichen Frauen zu tun bekommen. Ja, auch mit toten Frauen. Aber sie alle bedeuten mir nichts. Nur eine. Meine Frau. Eine Frau, die es wert ist, buchstäblich bis zum Hals in der Scheiße zu stecken. Zu warten. Zu beobachten. Die Vibrationen der Tunnelwände zu spüren, weil sie einem etwas über das Leben auf der Oberfläche erzählen können.

Was zum Teufel geht da oben vor? Wer hat ins Gras gebissen? Wer hat überlebt? Wie sind die Karten jetzt gemischt, und wer ist als Nächstes am Zug? Seid ihr schon verwirrt? Tja, das ist eben so, wenn man mitten in einer Geschichte einsteigt.

Was gibt’s noch zu sagen? Dass ich so bin, wie ich bin, hat weder mit Gott noch mit dem Teufel zu tun. Ich bin einfach der, der ich bin. Ein Scheißkerl. Ein Scheißkerl, der sich mit dem sogenannten Vyrus infiziert hat, woraufhin er sich in einen sogenannten Vampyr verwandelt hat. Was vielen Leuten, denen ich im Laufe der Jahre begegnet bin, nicht gut bekommen ist. Nicht weil ich mich ohne die Infektion erst gar nicht mit ihnen angelegt hätte, sondern weil die Infektion es so verdammt schwermacht, mich zur Strecke zu bringen. Über das Vyrus gibt es viele Meinungen. Manche werden da richtig esoterisch, andere halten es einfach für eine ansteckende Krankheit, die uns andersartig und gefährlich macht. Wieder andere sagen, dass wir diese Krankheit nicht länger verbergen dürfen, dass wir uns solidarisieren und an die Öffentlichkeit treten müssen. Und einige gehen sogar so weit, von einem möglichen Heilmittel zu sprechen. Die meisten jedoch haben überhaupt keine Meinung und warten einfach mal ab, was passiert, um dann bei passender Gelegenheit ins richtige Lager zu wechseln.

Und alle diese verschiedenen Gruppierungen führen Krieg gegeneinander.

Was meine Schuld ist.

Hätte ich mein Maul gehalten, wäre das alles nicht passiert. Aber da ist ja noch die Frau. Ich wollte sie wiedersehen, und das war nur möglich, indem ich für eine gewisse Ablenkung sorgte. Da dachte ich eben, Krieg wäre ein angemessenes Ablenkungsmanöver.

Im Nachhinein betrachtet war das möglicherweise ein Fehler. Nicht, den Krieg anzufangen – sondern auf die Frau zu hören. Sie hat mir gesagt, dass ich sie zurücklassen soll. Ich hätte nicht auf sie hören sollen. Ich hätte sie einfach am Kragen packen und mitschleifen sollen. Dann wären wir schon lange ganz woanders.

Darüber denke ich oft nach. Im Dunkeln. Es gibt ja nicht viel, worüber ich sonst nachdenken könnte. Nur über das, was ich hätte tun sollen. Welche Leben ich hätte retten, welche Hälse ich hätte durchschneiden sollen.

Selbst Typen wie ich kriegen ab und zu mal eine Verschnaufpause. Und dann denkt man über die Dinge nach, die man bereut.

Dafür hatte ich vorher nie Zeit. Aber jetzt leisten mir solche Gedanken ständig Gesellschaft.

Und dabei überkommt einen die blanke Mordlust.

Chubby Freeze findet mich zusammengekauert in einem Bretterverschlag, den ich von Q-line-Dave übernommen hatte, nachdem er unter die Räder des Hudson Valley Express geraten war.

Chubby macht ordentlich Lärm, als er sich dem Verschlag nähert. Das ist auch gut für ihn, weil mich der Lärm davon abhält, ihm das Amputationsmesser von hinten um die Gurgel zu legen und sie einfach durchzuschneiden. Ich könnte ihm jetzt trotzdem die Klinge an die Kehle halten und ihn fragen, was zum Henker er hier unten verloren hat. Davon hält mich allerdings die Pistole ab, die sein Lover Dallas auf mich gerichtet hat.

Ist wahrscheinlich auch besser so. Chubby und ich sind die meiste Zeit gut miteinander ausgekommen, und ich würde ihn nur ungern ohne Grund umlegen. Obwohl allein die Tatsache, dass er mich hier aufgespürt hat, ein guter Grund dafür wäre. Zunächst muss ich aber herausfinden, ob noch mehr Leute wissen, dass ich hier unten bin.

Wenn es wieder ans Töten geht, dann sollte ich mir vorher eine möglichst vollständige Liste machen.

– Du siehst nicht gut aus, Joe.

Manche Menschen sind ja der Meinung, dass das Offensichtliche unbedingt auch ausgesprochen werden muss. Ich dagegen glaube, dass jeder, der in der Kanalisation hausen muss, zwangsläufig ziemlich beschissen aussieht. Da sollte man sich einen entsprechenden Kommentar verkneifen. Nicht dass Chubby damit meine Gefühle verletzt hätte oder so, aber schließlich ist unser aller Lebenszeit kostbar. Warum sie darauf verschwenden, das Selbstverständliche zu verkünden?

Chubby kneift die Augen zusammen und spitzt die Lippen.

– Nein, bei guter Gesundheit scheinst du mir nicht zu sein.

Ich deute auf die dreckbespritzten Hosenaufschläge seines Dreitausend-Dollar-Maßanzugs.

– Du bist auch nicht mehr ganz taufrisch, Chubby.

Er befingert die Falten, die der Anzugstoff über seiner Taille wirft. Oder über dem, was bei einem so fetten Mann der Taille eben am nächsten kommt.

– Das ist ein ausrangierter Anzug von letztem Jahr. Normalerweise spende ich sie der Wohlfahrt, sobald meine neue Garderobe aus Hongkong eintrifft, aber in weiser Voraussicht halte ich immer einen oder zwei Anzüge zurück. Für die Drecksarbeit.

Ich nicke Dallas zu, dem Schönling mit den wohlgeformten Muskelpaketen und der Kanone.

– Das bin ich jetzt also für dich, Drecksarbeit?

Seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat sich etwas mehr Grau in Chubbys Afro geschlichen, die Speckrollen scheinen etwas üppiger geworden zu sein und die fünfknöpfige Anzugweste hält sie nur mit Mühe im Zaum. Er hat weitere Falten um die Augen bekommen. Um diese Jahreszeit ist es in der Kanalisation ziemlich kalt, und unser Atem hinterlässt weiße Dampfwölkchen. Nichtsdestotrotz hängt Chubbys Mantel über Dallas’ freiem Arm, der nicht die Pistole hält. Der Fettsack ist beim Abstieg regelrecht ins Schwitzen gekommen.

Er zieht ein Taschentuch heraus. Im Gegensatz zu dem zur Krawatte passenden Einstecktuch aus blauweißer Seide ist es aus einfacher weißer Baumwolle.

– Ich weiß nicht so recht, wie ich dich dieser Tage bezeichnen soll, Joe. Unsere letzte Zusammenkunft fand vor geraumer Zeit statt, so wie scheinbar alle deine sozialen Kontakte. Daher wäre alles, was ich über die derzeitige Natur deiner Beschäftigung sagen kann, reine Spekulation.

Der Verschlag wird von einer Leuchtstofflampe erhellt, die Q-line-Dave aus einem Abbruchhaus an der Oberfläche abgestaubt hat. Sie hängt an einem Kleiderhaken, der um einen alten Holzbalken gebogen ist. Der Balken stützt auch die verbeulten, durchweichten Gipskartonplatten über unseren Köpfen. Der Strom stammt aus einer langen Kette hintereinander gesteckter Verlängerungskabel, die sich durch die Hüttensiedlung schlängelt. Die Kabel sind an manchen Stellen mit Klebeband umwickelt, liegen jedoch größtenteils blank und verschwinden dann irgendwo in der Dunkelheit. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, herauszufinden, woher der Strom letztendlich kommt. Das käme einer Expedition zu den Quellen des Nils gleich. Ungefähr ein Dutzend Mal in der Woche herrscht Stromausfall, weil irgendjemand im Dunkeln über die Kabel stolpert. Hier unten haben sie nur vor einem Angst: dass irgendwann ein Techniker der Stadtwerke den Energieverlust bemerkt und den Saft abstellt.

Das fände ich ja nicht so schlimm – so viel gibt’s hier nun auch wieder nicht zu sehen. Aber ohne Licht könnte ich die vergammelten Taschenbücher nicht mehr lesen, die hier die Runde machen. Sie stellen mehr oder weniger mein einziges Mittel gegen die Langeweile dar. Das Licht ist hell genug, und so erkenne ich neben den neuen Fältchen um Chubbys Augen auch, dass die Augen selbst rotgeädert sind.

Ich greife in eine der aufgesetzten Taschen der Arbeitsjacke, die ich einem Halbstarken abgenommen habe. Er spazierte abenteuerlustig und mit einer Tasche voll klirrender Weinflaschen die Gleise entlang. Wollte vermutlich mal was richtig Abgefahrenes erleben, das er seinen Kumpels erzählen konnte. Er hat uns in seiner Unterwäsche wieder verlassen. Jemand, der netter war als ich, hat ihm gelbe Plastik-Flip-Flops gegeben, damit er sich die Füße nicht an den Glasscherben und spitzen Steinen neben den Gleisen zerschnitt. Er war ziemlich groß, und die Jacke habe ich bekommen, weil ich der Einzige war, dem sie passte. Oder andersherum: Weil ich der Größte hier unten bin, haben mir die anderen die Jacke freiwillig abgetreten. Ich hatte mal eine andere Jacke. Diese Jacke war so ziemlich das einzige meiner Besitztümer, das mir etwas bedeutet hat. Ich habe sie oben zurückgelassen.

An diese Jacke will ich mich lieber nicht erinnern. Auch nicht an diejenige, die sie für mich aufbewahrt. Das lenkt mich nur ab. Und Ablenkung kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen. Da mich Dallas nicht gefilzt hat, scheint er auch nicht besonders glücklich darüber zu sein, dass ich meine Hand in die Jackentasche stecke, weshalb er mir die Pistole etwas deutlicher unter die Nase hält.

Trotzdem stecke ich die Hand in die Tasche.

Dallas lässt den Lauf ein bisschen hin und her pendeln. Es sieht aus, als würde die Pistole den Kopf schütteln.

Ich nicke ihm zu.

– Mach ruhig, drück ab.

Ich ziehe die Hand wieder aus der Tasche.

– Lieber eine Kugel kassieren als noch eine weitere Sekunde ohne Zigarette.

Er zuckt zusammen, als er das glänzende Ding in meiner Hand sieht. Zum Glück ist er einigermaßen besonnen und wartet ab, bis er die Zellophanfolie auf der Tabakpackung erkennt. Außerdem scheint er nicht besonders schießwütig zu sein. Klar will ich rauchen, aber dass ich dafür eine Kugel in den Kopf riskieren würde, war doch ein bisschen übertrieben.

Ich ziehe ein Paper aus der Packung und fülle es mit billigem, trockenem Tabak. Eigentlich bin ich ja ein Lucky-Strike-Raucher, genau wie mein alter Herr. Ich hoffe, es klingt nicht allzu verbittert, wenn ich mir wünsche, dass er und seine Frau Gemahlin in der Hölle schmoren. Wie dem auch sei – richtige Zigaretten sind hier schwer aufzutreiben, und bei meinem Konsum hält eine Schachtel gerade mal einen Nachmittag vor. Mit einem Beutel Bugler-Drehtabak dagegen kann ich ein paar Tage auskommen. Sollte es je etwas geben, das mich aus der Kanalisation und ins Auge des beschissenen Hurrikans an der Oberfläche treibt, dann ist es der Geschmack einer Lucky.

Ich lecke über die Gummierung des Zigarettenpapiers, rolle es zusammen, zünde ein Streichholz aus einem Heftchen an, auf dem Werbung für eine Telefonsexhotline prangt, und halte es gegen die Zigarettenspitze.

Chubby wischt sich den Schweiß aus dem Genick.

Ich schnippe das abgebrannte Streichholz in eine Ecke, in der bereits Tausende davon liegen.

– Dann schieß mal los, Chubby. Wer da oben stellt denn solche Mutmaßungen über mich an?

Er faltet das Taschentuch zusammen und steckt es wieder weg. Dann streicht er die Anzugtasche glatt, damit auch wirklich kein Fältchen im teuren Stoff zu sehen ist. Aber so eng wie die Jacke sitzt, ist Faltenbildung praktisch unmöglich.

– Es steht mir nicht zu, dir den Namen des Betreffenden zu nennen.

– Außer, du hast mit diesem Betreffenden noch eine Rechnung offen.

Er nimmt sich einen Augenblick Zeit, um seine Maniküre zu kontrollieren.

– Boshaftigkeit und Zorn liegen nicht in meiner Natur. Unser Umgang hat sich immer auf das Geschäftliche beschränkt. Soweit ich mich erinnern kann, waren wir beide nie besonders zimperlich, wenn es um die Beendigung bestimmter Geschäftsbeziehungen ging. Ich habe mich nie groß für die Umstände interessiert. Und du auch nicht, wenn du entsprechend bezahlt wurdest.

Ich sitze immer noch auf dem Boden. Ein Zementbrocken bohrt sich in meinen Unterschenkel. Ich greife danach, um ihn wegzuschieben.

Dallas hat sich nach der Geschichte mit der Tabakpackung wohl ein wenig entspannt und verzichtet diesmal darauf, mit der Waffe herumzufuchteln. Daher rechne ich mir eine etwas größere Chance aus, als ich den Zementbrocken gegen seinen Schädel schleudere. Er prallt nicht ab, sondern fällt fast senkrecht herunter, als sein Kopf nach hinten geschleudert wird. Anstatt auf mich zu schießen, lässt er die Waffe fallen und geht unmittelbar darauf selbst zu Boden. Ich muss mir nicht mal die Mühe machen, nach der Pistole zu greifen. Sieht nicht so aus, als würde er sich die nächste Zeit großartig dafür interessieren. Und sollte Chubby etwas Unüberlegtes versuchen, hätte ich bestimmt eine Minute lang Zeit, mir die Waffe zu holen, bevor er es schaffte, sich überhaupt nur vorzubeugen.

Ich blase eine Rauchwolke in seine Richtung.

– Tut mir leid, Chubby. Ich weiß, er ist dein Lover und so, aber die Knarre hat mich einfach irritiert.

Ich drücke die Zigarette aus, ziehe den Tabak hervor und drehe mir die nächste.

– Um nochmal auf die Personen zurückzukommen, deren Namen du mir nicht nennen willst – wie heißen sie gleich noch?

Er räuspert sich und schüttelt den Kopf.

– Er hat lediglich meine Befehle befolgt, Joe.

– Du hättest es eigentlich besser wissen sollen.

Er nickt.

– Ja. Ja, wahrscheinlich hast du Recht.

Ich zünde mir die Zigarette an.

– Früher sind wir auch ohne Knarren gut miteinander ausgekommen, Chubby.

Er sieht sich eine Weile lang im Müll und Unrat des Verschlags nach einer Sitzgelegenheit um, aber da alles ziemlich baufällig und instabil wirkt, entscheidet er sich stehen zu bleiben.

– Auch da pflichte ich dir bei. Andererseits warst du früher immer bis zu einem gewissen Grad berechenbar. Wie bereits angedeutet, scheinen mir deine Handlungen und Absichten inzwischen von Willkür diktiert. Außerdem leben wir in gefährlichen Zeiten. Woher hätte ich also wissen sollen, in welchem Zustand ich dich vorfinden würde?

Er deutet mit den Fingern durch den Verschlag.

– Hier unten kann man schließlich ganz schön auf den Hund kommen.

Ich kratze mir die Nase mit einem rissigen Daumennagel, dessen Schmutzrand aus dem getrockneten Blut eines anderen Mannes besteht.

– Wie hast du mich gefunden, Chubby?

Er schüttelt den Kopf.

– Joe.

– Ich will wissen, wie du mich gefunden hast.

Das Schütteln seines Kopfes breitet sich auf seinen ganzen Körper aus, seine Wangen beben, der Fettwulst über dem Hemdkragen erzittert, schließlich sein ganzer Körper.

– Joe. Wenn du nur ...

Ich gehe in die Hocke.

– Chubby?

Tränen fließen aus den geröteten Augen, quellen zwischen den Fältchen hervor und rinnen zu seinem gewaltigen Doppelkinn hinunter.

– Ich glaube, ich muss ...

Ich springe auf, stürze auf ihn zu und packe seinen Arm, bevor seine Beine unter ihm nachgeben.

Da ich erst kürzlich Blut getrunken habe, bin ich sehr stark. Ich könnte Knochen brechen und Zähne zertrümmern; wenn es sein muss, könnte ich sogar einem gesunden Mann den Arm ausreißen. Trotzdem muss ich mich anstrengen, um den schlaffen Chubby nicht fallen zu lassen. Irgendwie gelingt es mir, ihn einigermaßen sanft auf den Boden zu befördern. Er liegt auf der Seite und schluchzt vor sich hin.

– Ich muss mich setzen. Ich muss mich setzen. Tut mir leid wegen der Waffe, Joe. Ich. Oh, Joe.

Ich hebe Dallas’ Pistole auf. Nur für den Fall, dass das alles ein fieser Trick ist, um an die Waffe zu gelangen. Eigentlich weiß ich, dass es nicht so ist. Aber mit der Kanone fühle ich mich besser.

Chubby rollt sich auf den Bauch, vergräbt sein Gesicht im Dreck und heult noch lauter.

Ich rauche und tigere dabei hin und her. Berühre ab und zu die Pistole.

Nach einer Weile kriegt sich Chubby wieder ein, seufzt noch einmal tief und wälzt sich auf den Rücken. Ich strecke die Hand aus, er ergreift sie, ich ziehe, und er rutscht so lange auf seinem Hintern herum, bis er sich mit dem Rücken gegen den Holzbalken in der Mitte des Verschlags lehnen kann. Das Holz ächzt, einige Rigipsbrocken fallen von der Decke, der gesamte Verschlag neigt sich ein paar Zentimeter nach links, bricht aber nicht zusammen.

Im Sitzen ist seine Hose bis zum Zerreißen gespannt. Er schafft es nicht, eine Hand in die Hosentasche zu stecken, und muss schließlich doch auf das blau-weiße Seidentuch zurückgreifen.

– Sie ist weg, Joe.

Ich zerdrücke die Glut der Zigarette zwischen den Fingerspitzen.

– Wer ist weg, Chubby?

Er wischt sich den mit Dreck vermischten Rotz von der Oberlippe.

– Meine Tochter, Joe. Mein kleines Mädchen. Ich kann sie nirgends finden.

Er sitzt hier vor mir in seinem ruinierten Anzug, den er extra für die Drecksarbeit angezogen hat, und versucht, den Schmutz wegzuwischen, der wie eine Art Kabuki-Schminke auf seinem Gesicht klebt.

Und hört nicht mehr auf, von seiner Tochter zu reden.

Als würde mir seine Tochter auch nur das Geringste bedeuten.

Wäre möglich, dass ich Chubby noch was schuldig bin.

Einmal hat er mir den Arsch gerettet, als ich mich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt. Hat für mich gebürgt. Hat mit seinem Namen für mich eingestanden. Hat mir den Rücken freigehalten, als DJ Grave Digga, der Präsident des Hood, drauf und dran war, mir die Luftröhre rauszuschneiden, ein Liedchen drauf zu pfeifen und sich gleichzeitig in meinem Blut zu suhlen.

Im Gegenzug hab ich ein paar Sachen für ihn erledigt, die man mit Fug und Recht als Drecksarbeit bezeichnen kann. Kann sein, dass wir damit quitt sind.

Kann aber auch sein, dass sich doch noch ein Außenstand findet, wenn man die Bilanz mal ganz genau unter die Lupe nimmt.

Wäre also durchaus möglich, dass ich dem Mann noch was schuldig bin.

Trotzdem, wenn ich wollte, könnte ich die ganze Bilanz einfach für null und nichtig erklären. Ich habe ein Messer und eine Pistole – meiner Erfahrung nach völlig ausreichend, um alle offenen Rechnungen ein für alle Mal zu begleichen.

Und was noch besser ist: Weder Dallas noch Chubby sind infiziert. Keiner von beiden trägt das Vyrus in sich. Sie wissen gerade genug, um ab und zu mit uns Geschäfte zu machen, aber im Prinzip sind sie clean. Ich könnte sie fest verschnüren und an einem sicheren Plätzchen verstauen. Sie könnten mich wochenlang mit Blut versorgen. Dallas ist topfit, Chubby fett wie eine Tonne. Sie würden lange vorhalten und ich wäre so gut genährt wie lange nicht.

Ich denke ernsthaft darüber nach.

Anscheinend macht mich die Kanalisation langsam mürbe.

Denn das ist gar nicht meine Art. Eigentlich.

Weil es nämlich Chubby Freeze ist, der vor mir im Dreck liegt. Um seine vermisste Tochter weint. Mich ansieht, als ob ich ihm helfen könnte.

Da weiß ich, wie die Dinge zwischen uns liegen. Ich werde ihn nicht töten.

Ich sehe zur brüchigen Decke auf. Ich denke an die Tausende von Tonnen Beton und Stahl über uns, an die Stadt, an den Krieg, den ich angezettelt habe. Und ich denke an das, was mich erwarten würde, sollte ich mich tatsächlich entschließen, wieder an die Oberfläche zu kriechen, um dort herumzuschnüffeln.

Chubby starrt mich erwartungsvoll an.

Ich betrachte die Zigarette zwischen meinen Fingern.

– Chubby, da kann ich dir nicht helfen.

Er spuckt in das schmutzige Taschentuch, reibt sich damit über die Stirn und hinterlässt eine Dreckspur.

– Ja. Natürlich. Das war nicht anders zu erwarten.

Ich zucke mit den Schultern.

– In deiner Branche solltest du doch eigentlich massenweise Leute kennen, die dir bei so was zur Hand gehen können.

Er hebt die Augenbrauen und atmet lang und müde aus.

– Klar. In der pornografischen Industrie gibt es eine Menge Mädchen, die von heute auf morgen verschwinden oder am liebsten verschwinden würden.

– Und die hast du doch auch alle wiedergefunden.

– Stimmt.

– Also kennst du gewisse Leute.

– Stimmt.

– Chubby, du kennst doch so ziemlich jeden.

Er lächelt kaum merklich. Das erste Lächeln überhaupt, seit er hier unten ist.

– Stimmt. Das ist wahr. Und doch ...

Er wedelt mit dem Taschentuch durch den abgewrackten Verschlag.

– ... bin ich hier.

Er deutet mit dem Kinn auf Dallas, der außer einem tiefen Atmen keine Regung zeigt.

– Mit meinem Lieblingsgespielen.

Er berührt mit dem Taschentuch seine Mundwinkel, erst den einen, dann den anderen.

– In der Höhle des Löwen.

Er schüttelt das Tuch aus, faltet es gekonnt zusammen und steckt es wieder ein. Schmutzig oder nicht – es sitzt perfekt.

– Ist es denn nicht verwunderlich, weshalb ich so etwas tue? Warum ich dieses Risiko eingehe? Obwohl ich doch jeden beliebigen Ermittler engagieren könnte?

Das Leben unter dem Himmel wird von der Sonne beherrscht. In ihrem Schatten sind wir Infizierten nur Marionetten. Wir verbergen unsere wahre Natur. Verbergen sie vor der Welt und vor uns selbst. Doch hier unten bin ich fast völlig ich selbst. Entspreche meiner Natur. Bin fast das Raubtier, zu dem mich das Vyrus gerne machen würde. Ein einfaches Leben, im Gegensatz zu dem an der Oberfläche. Das war immer schon hart, selbst vor meiner Infektion.

Dieser Mann vor mir auf dem Boden hat alles verloren. Jetzt sucht er verzweifelt nach einem Köder, mit dem er mich an die Oberfläche locken kann. An die frische Luft. An der ich ganz schnell ersticken könnte.

Ich räuspere mich. Meine Kehle ist staubtrocken.

– Ich verstehe, Chubby. Aber das ändert gar nichts. Sie hat Ärger mit meinen Leuten, treibt sich mit den Infizierten rum. Da kann ich überhaupt nichts tun. Schlimm für sie, aber nichts, was mich auch nur im Geringsten betrifft. Scheiße, ich wusste ja nicht mal, dass du eine Tochter hast.

Er greift in seine Tasche und zieht ein Foto heraus, das er zwischen Daumen und Zeigefinger hält.

– Willst du sie mal sehen?

Ich hebe die Hand.

– Das ändert auch nichts.

Er hält mir das Bild hin.

– Tu mir den Gefallen. Der Eitelkeit eines Vaters zuliebe.

Ich beiße nicht an.

Er wedelt mit dem Foto, so dass es vor meinem Auge hin und her tanzt.

Also sehe ich es mir in Gottes Namen an, bringe es hinter mich, damit ich noch einmal laut und deutlich nein sagen kann. Hoffentlich haut er dann endlich ab und lässt mich in Frieden.

Er hebt die Schultern.

– Ich kann nicht sagen, dass ich sonderlich schockiert war. Liegt wohl an meiner Branche, wie du so schön gesagt hast. Glaub mir, ich weiß so ziemlich alles über die Sache mit den Bienchen und den Blümchen. Ich war nicht einmal besonders enttäuscht. Da ich insgesamt nicht allzu viel Zeit mit meiner Tochter verbracht habe, kann ich es mir nicht leisten, ihre Präferenzen in Frage zu stellen – nicht wenn ich eine wie auch immer geartete Beziehung zu ihr aufbauen will. Trotzdem, als Vater macht man sich so seine Gedanken. Zunächst dachte ich, sie käme aus den naheliegenden Gründen zu mir. In diesem Fall hätte ich ihr eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem vorschlagen können. Aber erstaunlicherweise hielt sie es nicht im Geringsten für problematisch. Die Jugend heutzutage ist ganz anders als wir. Stimmt doch, Joe?

Ich betrachte immer noch das Foto. Es ist ein ziemlich junges und ziemlich hübsches Mädchen. Sie hat Chubbys schöne goldene Augen, der Rest kommt wohl eher nach der Mutter. Schlanke Gliedmaßen, schmales Gesicht, aber ein ziemlich dicker Bauch. Siebenter Monat, würde ich schätzen.

Chubby nickt.

– Ändert das deine Meinung, Joe?

Ich sage nichts.

Er nickt erneut.

– Evie hat gesagt, das würde deine Meinung ändern.

KAPITEL 2

Chubby kennt jeden.

Auch einen einarmigen Friseur namens Percy. Percy ist ein Vampyr durch und durch. Er gehört zum Hood, ist einer von Grave Diggas Leuten. Jedenfalls glauben das die meisten. Aber wie jeder in der Vampyrwelt fährt auch Percy zweigleisig und hat eine Menge geheimer Verbindungen.

Percy ist Mitglied der Enklave.

Allerdings haust er nicht wie der Rest von ihnen Downtown in diesem Lagerhaus. Dort hungern sie sich selbst zu Tode, setzen sich der verzweifelten Überlebensgier des Vyrus aus, wollen eine Veränderung des Körpers herbeiführen, die außer ihnen niemand nachvollziehen kann. Percy gehört schon seit Ewigkeiten zur Enklave. Soweit ich weiß, hatte er dann irgendwann eine Erleuchtung, als sich der Hood unter dem ursprünglichen Anführer Luther X formierte: Percy war die Farbe seiner Haut wichtiger als die Zusammensetzung seines Bluts. Er verließ das Territorium der Enklave und zog nach Norden. Aber genau wie ein Mann, der seine Kirche verlässt, um in einem fremden Land für etwas zu kämpfen, das nichts mit seinem Gott zu tun hat, konnte auch Percy dem Dunstkreis seiner Religion nicht entkommen. Einmal Enklave, immer Enklave. Daher weiß er auch Bescheid, was sie so treiben und was in ihrem Lagerhaus vor sich geht.

Ich habe selbst eine gewisse Vorstellung, was dort abläuft.

Ich kenne nämlich ein paar Leute, die dort rumhängen.

Evie.

Die Frau, die meine Jacke hat. Aber das ist nur recht und billig. Sie hat sie mir schließlich geschenkt.

Chubby hat seine beiden Taschentücher zusammengebunden, damit er sie um Dallas’ Kopf wickeln kann. Dallas ist noch zu belämmert, um das nötige Fingerspitzengefühl dafür aufzubringen. Leider ist er nicht so belämmert, als dass er sich nicht mehr erinnern könnte, wer den Zementbrocken auf ihn geworfen und ihm damit eine Platzwunde auf der Stirn verpasst hat, die seiner Attraktivität einen gewissen Abbruch tun wird. Er sitzt auf dem Boden und versucht, mir böse Blicke zuzuwerfen. Leider schielt er dabei ab und an, was dem beabsichtigten Effekt nicht gerade zuträglich ist.

Chubby steht hinter ihm. Er ist mit überraschend wenig Hilfe wieder auf die Beine gekommen. Jetzt ist er dabei, den improvisierten Verband so zurechtzurücken, dass er Dallas die Ohren nicht einklemmt.

– Ihre Mutter war vor Jahren bei mir unter Vertrag. Damals, als es noch Videokassetten gab. Finsterstes Mittelalter. Als sofortige Befriedigung noch nicht das Gebot der Stunde war. Man stelle sich vor, Porno war einmal ein gesellschaftliches Ereignis. Es gab Junggesellenabschiede, Pornokinos. Erinnerst du dich an den Times Square, Joe? Die 42nd Street? Das alte Rotlichtviertel?

Klar erinnere ich mich – der Block an der 42nd zwischen der Seventh und der Eighth. Eine Peepshow neben der anderen, Sexläden, Pornokinos. Als ich dreizehn war, herrschten dort so lockere Sitten, dass ich nicht mal so tun musste, als würde ich mich reinschleichen. Ich warf einfach das Eintrittsgeld auf den Tresen und schon konnte ich anfangen zu arbeiten. Ich setzte mich in die letzte Reihe und verlangte fünf Dollar für einen Handjob. Meine Geschäftsausgaben bestanden aus einer Dose Vaseline und einer Großpackung Taschentücher. So habe ich einen ganzen Sommer auf der Straße überlebt. Aber dann haben sie mich hochgenommen, ich geriet wieder in die Fänge des Jugendamts, landete schließlich bei einer weiteren Pflegefamilie, die mich nach ein paar Wochen rausgeschmissen hat. Inzwischen ist das Rotlichtviertel total kommerzialisiert. Ich bin seit Jahren nicht mehr dort gewesen, es liegt außerhalb meines Territoriums, aber ich hab Fotos davon gesehen.

Ich bin nicht nostalgisch. Jetzt ist es nicht besser oder schlechter als früher. Es gibt neue Nutten und neue Geschäfte. Manche Kunden stehen aufs Ficken, andere auf Fastfood. Mir doch egal, auf welche Weise sich die Leute ruinieren.

Chubby ist das nicht egal.

Er breitet die Arme aus.

– Damals waren Sexfilme was für echte Kenner. Es gab Sammler, die große Mühen auf sich nahmen, um in ihren Besitz zu gelangen. Oder sie dienten als eine Art Initiationsritus. Die jungen Männer stellten sich die Krägen auf und schlichen in die Kinos, um mal mit eigenen Augen zu sehen, wovon ihre Lehrer in Sexualkunde redeten. Wollten mal Titten sehen. Einen nackten Arsch. Eine Muschi. Und was sie dann sahen, überstieg ihre kühnsten Träume.

Er lässt die Arme wieder sinken.

– Jetzt ist alles fest in Amateurhand. Mit elf Jahren wissen sie schon, was Anilingus ist, und sie gelten als verklemmt, wenn sie sich noch nicht mit der Webcam dabei gefilmt und es anschließend auf ihre Facebook-Seite gestellt haben.

Ich lasse Kieselsteine durch meine Finger gleiten und denke unfreiwillig an Dinge, die besser vergraben bleiben sollten.

– Du wolltest mir was von deiner Tochter erzählen, Chubby. Und wie du mich gefunden hast.

Er tätschelt Dallas’ Schulter, dann entfernt er sich ein paar Schritte von ihm.

– Richtig, richtig. Ich wollte nur, dass du dir ein Bild von ihrer Mutter machen kannst. Obwohl sie der Post-Zelluloid-Ära angehörte, entstammte sie doch einer zivilisierteren Generation. Sie hat unsere Tochter gut erzogen. Mein kleines Mädchen lässt sich nicht mit obskuren Elementen ein. Sie ist in diese missliche Lage geraten, weil sie ihrem Herzen gefolgt ist.

Auf meiner Handfläche liegt eine grüne Glasscherbe, die wie ein zersplitterter Edelstein aussieht. Es ist dasselbe Grün wie das einer Cutty-Sark-Flasche. Ich hätte jetzt gerne einen Drink.

– Chubby, wenn du mir verklickern willst, dass deine Tochter keine Nutte ist, dann sag’s mir einfach. Auf deine alten Tage wirst du richtig geschwätzig.

Er hebt die Augenbrauen.

– Joe, wenn du in die Hocke gehst, nimmt dein Stiefel eine recht unnatürliche Form an. Ich würde vermuten, dass du einen Zeh verloren hast. Dein Knie klingt beim Gehen wie zerbrochenes Geschirr. Du hast nur noch ein Auge.

– Und?

Er lässt die Augenbrauen wieder sinken.

– Wenn’s darum geht, wie man mit Würde altert, sollte ein Motherfucker wie du das Maul nicht so weit aufreißen.

Ich lächle.

– Ah, das ist der Chubby Freeze, den ich kenne.

Er schnieft und rückt sich die Krawatte zurecht.