Theodora und der Engel des Todes - Ruth Edelmann-Amrhein - E-Book

Theodora und der Engel des Todes E-Book

Ruth Edelmann-Amrhein

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Beschreibung

Kriminalkommissarin Theodora Klein ist in einer Sinnkrise. Schon lange ist in der Landeshauptstadt nichts Aufregendes mehr geschehen, auch ihr Privatleben bietet wenig Anlass zur Freude. Theodoras einzige Freuden sind die Ratte Mephisto, ihre Tarotkarten sowie der Genuss einer Flasche Rotwein und eines Joints am Abend. Ihr lethargisches Dasein findet ein jähes Ende, als innerhalb weniger Tage zwei alte Damen in ihren Wohnungen erschlagen aufgefunden werden. Zusammen mit ihrem seltsamen, neuen Assistenten Georg Eisele, macht sie sich an die Ermittlungen im Fall „Tote Omas“, wie er im Präsidium bald genannt wird. Als Theodora endlich den lang ersehnten Hinweis auf einen möglichen Täter findet, ermittelt sie im Alleingang und bringt sich dadurch in tödliche Gefahr.

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Autorin

Ruth Edelmann-Amrhein arbeitet als Projektverwalterin in einem Forschungsinstitut der Universität Stuttgart. Nachdem sie schon immer viel gelesen hatte, entdeckte sie ihre Liebe zum Schreiben erst in ihrer zweiten Lebenshälfte. Es erfüllt sie, mit ihren Geschichten Menschen zu berühren, dies ganz besonders bei Lesungen, im direkten Kontakt mit den Lesern und Zuhörern. Seit 2011 ist sie Mitglied des Nürtinger Autorenkreises Atmosphäre, im Jahr 2017 schloss sie sich den Mörderischen Schwestern e.V. an. Zusammen mit ihrem Mann lebt sie in Württembergs Mitte, im schönen Aichtal.

Ruth Edelmann-Amrhein

Theodora und der Engel des Todes

Ein Schwabenkrimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2021 Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen Alle Rechte vorbehaltenTitelbild: © Ruth Edelmann-AmrheinGestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenLektorat: Bernd WeilerKorrektorat: Sabine Tochtermann Satz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN 978-3-96555-108-4

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Für Werner

PROLOG

5 Jahre vorher

Am zweiten August, einem Sonntag, schien die Sonne. Sie erwachte beim Klang der Kirchenglocken, den der Wind zu ihr herübertrug. Vermutlich hatten auch an diesem Morgen die Vögel gesungen, ein kühler Hauch hatte die Zweige des Kirschbaumes vor ihrem Fenster bewegt, und der dicke fremde Kater war auf seinem Heimweg durch den großen verwilderten Garten gestreift. Frieden lag über dem jungen Tag. Beim Versuch sich aufzurichten schmerzte ihr Rücken. Vor Erschöpfung hatte sie sich gestern am späten Abend, nachdem sie von der Klinik nach Hause gekommen war, auf das Bett geworfen und war sofort eingeschlafen. Seit sechs Wochen wachte und betete sie, doch es bestand keine Hoffnung mehr, dies hatten ihr die Ärzte gestern schonungslos mitgeteilt. Sie öffnete die Augen, deren Wimpern vom vielen Weinen verklebt waren.

Langsam erhob sie sich und ging ins Bad. Sie trug noch immer die Kleidung von gestern, die bequeme rote Hose und ein weites blaues T-Shirt. Beides schien durchdrungen vom Geruch des Äthers, der Desinfektionsmittel und der über allem stehenden Angst. Als könnte sie sich davon befreien, schälte sie sich die Klamotten vom Leib. Sie sehnte sich nach einer heißen Dusche, nach dem herbsüßen Duft der Wildrosenseife überall auf ihrer Haut. Mit steifen Gliedern stieg sie in die Wanne und zog den Duschvorhang zu. Das Wasser prasselte auf ihren schmerzenden Rücken, als das Telefon zum ersten Mal klingelte. Sie zuckte zusammen, Panik erfasste sie. Sie schloss die Augen, wartete, bis das Telefon verhallte, ließ einen letzten Schauer über sich gleiten und stieg schließlich aus der Wanne, um sich abzutrocknen.

Eine viertel Stunde später stand sie am Fenster in der Küche. Beim Versuch den Kaffeebecher zum Mund zu führen zitterte ihre Hand. Sie stellte ihn ab und zündete sich eine Zigarette an. Gierig nahm sie den ersten Zug, da klingelte das Telefon erneut. In der Hoffnung, es möge auch diesmal verstummen, verharrte sie reglos. Sie wusste, wer der Anrufer war, wusste, dass er ihr mitteilen würde, was sie nicht ertragen konnte. Trotzdem nahm sie schließlich den Hörer ab. Aus der Ferne drang die Nachricht in ihr Bewusstsein. Es war vollbracht. Ihr Herz begann zu rasen, in ihren Ohren setzte ein Orkan ein, ihr Himmel verfinsterte sich. Sie ließ den Hörer fallen, griff sich in die Haare und riss, ohne es zu bemerken, ein Büschel heraus. Ziellos rannte sie durch die Wohnung, öffnete die Tür zur Terrasse und floh in den Garten auf die große Wiese hinter dem Haus. Wie gejagt hetzte sie bis zur verdorrten alten Brombeerhecke, von der sie früher gerne gemeinsam Beeren gepflückt hatten. Ihre Lungen brannten und sie rang nach Atem. Sie warf sich auf den Boden und krallte ihre Finger in die trockene Erde. Dann schrie sie, schrie ihren Schmerz und ihre Ohnmacht in den blauen wolkenlosen Sommerhimmel.

FREITAG, 2. AUGUST

Die Sonne schien. Ein Tag. Der Himmel wolkenlos. Sie hasste diese Tage. Sie wurden zu Feuer in ihrem Kopf. So viele Bilder mit der Sonne. So viele Worte, die nie wiederkommen würden. Sie hörte ihr Lachen, dort, am Bach, sah jeden Tropfen auf ihrer Haut. Sie spürte den Schmerz und kämpfte dagegen an. Angespannt versuchte sie, sich zusammenzureißen. Hier war der Koffer, dort war die Tür. Hatte sie auch alles. Sie suchte ihren Schlüssel. Hoffentlich traf sie niemanden im Aufzug. Nähe konnte sie keine ertragen. Menschen suchten immer Nähe. Die meisten jedenfalls. Sie nicht. Sie wollte niemandem mehr nah sein. Warum musste sie überhaupt raus heute. Wieso dieser Termin. Nur weil sie von etwas leben musste. Ärmlich, sehr ärmlich, dachte sie. Doch es ging nicht anders. Sie musste dahin. Ihre Arbeit machen. Auch wenn es ihr verdammt schwerfiel. 150 Meter bis zum Bus. Nur 150 Meter. Ein Rinnsal rann ihr den Rücken hinab, schon jetzt klebte der Stoff auf ihrer Haut. Schweiß tropfte über ihre Augenbraue, rann ins Lid, brannte. Sie blinzelte, war geblendet. Sie hatte ihre Sonnenbrille vergessen. Zurück konnte sie nicht mehr. Der Bus würde nicht warten. Den Fahrer kannte sie nicht. In ihren Ohren rauschte es. Es war nicht der Wind. Sie suchte nach ihrem Verbundausweis. Der Fahrer trommelte auf sein Lenkrad. Sie fand den Ausweis. Er warf einen Blick darauf, nickte kurz und sie ging durch. Auf der vorletzten Bank ließ sie sich nieder. Ihr Herz klopfte hart gegen ihre Brust. Er ließ den Motor an. Die Türen schlossen sich. Der Bus fuhr los. In 38 Minuten würde sie ihr Ziel erreicht haben. 38 Minuten, in denen sie zur Ruhe gekommen sein musste. Wie konntest du nur, ausgerechnet heute? Da war sie wieder, die Stimme. Wenn sie doch endlich verstummen würde. Eine Klammer legte sich um ihre Brust. Heute war der 2. August. Die Luft stand still. Die Klammer um ihre Brust wurde enger. Sie musste die Haltestellen nicht zählen, sie wusste, es waren noch fünf, dann würde sie aussteigen. Vor ihr auf dem Sitz hatte eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern Platz genommen. Der Junge saß auf ihrem Schoß. Das Mädchen kniete auf dem Sitz. Es starrte nach hinten. Zu ihr. Unentwegt. Das Mädchen trug lange Zöpfe. Blonde. Nächste Haltestelle: Bopser, sagte die Stimme, deren Gesicht sie auch nicht kannte. Endlich, der Bus hielt. Die Mutter zog das Mädchen vom Sitz. »Mama, warum guckt die Frau so böse?«, fragte es. Die Antwort der Mutter hörte sie nicht mehr. Noch immer war die Klammer da. Doch sie fühlte noch etwas, fühlte, wie es näherkam, Besitz von ihr ergriff. Sie fürchtete sich davor. Sie fürchtete sich vor der Wut. Sie griff in ihre Tasche. Sie brauchte eine dieser kleinen gelben Tabletten. Ihr Griff ging ins Leere. Sie hatte gewusst, dass sie heute etwas vergessen hatte. Das Rauschen wurde lauter. Gleich würde sie am Schlossplatz sein. In zwei Stunden war ihr Termin. Sie hatte noch genau zwei Stunden, um zur Ruhe zu kommen …

Wohnung Häberle Stuttgart, Schwabstraße, vormittags

»Nie hab ich mit meinem Mann Verdruss, nur wenn er Geldhergeben muss!« Kichernd nahm Karolina Häberle das längst vergilbte, bestickte Deckchen vom Nussbaum-Sideboard ihres Wohnzimmers.

»Die Zeiten sind zum Glück vorbei. Und des hat der so mögen«, kopfschüttelnd trug sie es zum Fenster, um es bei Tageslicht genauer zu betrachten. »Vergilbt, alt und altbacken!«, stellte sie fest. »Fascht wie ich auch. Aber des wird jetzt anders, gell Gottlieb, jetzt wo du bei deiner Mutter im Himml bisch, jetzt isch alles gut!«

Vor einem viertel Jahr war Gottlieb ganz plötzlich im Alter von 84 Jahren verstorben. Dabei war er kerngesund gewesen, hatte nie getrunken, nie geraucht, überhaupt hatte er sehr enthaltsam gelebt, in jeder Hinsicht, was sie in jungen Jahren sehr traurig gemacht hatte. Es war ein Wunder gewesen, dass sie wenigstens einmal schwanger geworden war, mit Emilie, ihrer Tochter. Karolina seufzte, als ihr Blick auf die vielen Fotos fiel, die sie in Reih und Glied auf dem Sideboard angeordnet hatte. Fotos ihrer Emilie von der Einschulung bis zur Doktorfeier, von ihrer Hochzeit, bereits in den USA, wohin es sie nach dem Studium verschlagen hatte und Fotos ihrer Enkeltochter Leslie, die sie leider erst einmal in ihrem jungen Leben in Stuttgart besucht hatte. Verbittert blickte sie auf das Stück Stoff in ihrer Hand. Was ihr geblieben war, waren Gottlieb und ihre Schwiegermutter. Wenn sie es genau betrachtete, so hatte Gottlieb eigentlich immer nur für seine Mutter gelebt. Daran hatte sich auch nach deren Tod nichts geändert. Im Frühjahr war Gottlieb seiner Mutter nach einem Erstickungsanfall – er hatte sich an einer Gräte verschluckt –, ins Jenseits gefolgt. Karolina atmete tief durch. Eigentlich musste sie niemandem etwas vormachen. Sich selbst am allerwenigsten. Sie war erleichtert, dass der alte Kotzbrocken ihr das Leben nicht mehr schwer machte. Endlich konnte sie tun und lassen, was sie wollte. Sie konnte essen, worauf sie Appetit hatte, ohne darauf achten zu müssen, ob sie zu fettig oder zu süß aß. Sie konnte sich am Abend ein Glas Wein gönnen, in ganz seltenen Fällen auch mal zwei. Nein, es war gut so, wie es war. So Gott wollte, würde sie vielleicht weitere fünf oder zehn erfüllte Jahre haben. Sie war schließlich gesund, zumindest hatten die letzten Vorsorgeuntersuchungen nichts Besorgniserregendes ergeben. Und mit ihrem neuen, leichten Rollator aus Aluminium kam sie wunderbar zurecht. Vielleicht würde sie die eine oder andere Reise unternehmen können; keine Kaffeefahrten natürlich, sie dachte da eher an eine Reise an die Mosel oder den Rhein, vielleicht auch einmal nach Cornwall, dort wäre sie ihr Leben lang schon gerne einmal hingefahren. Noch immer hielt sie den alten Stofffetzen in Händen. Energisch trat sie auf den Treteimer in der Küche. Mit blechernem Scheppern öffnete sich der Deckel.

»Leb wohl, Schwiegermutter«, murmelte sie und warf das muffige, mit blauen Kreuzstichen beschriftete Deckchen in den Eimer. Sie blickte zur Uhr und erschrak. Es war bereits kurz nach elf. Wie immer am ersten Freitag des Monats traf sich die Gemeinsam-statt-Einsam-Gruppe im Gemeindehaus zum Kaffee. Heute allerdings erwartete sie zuvor einen Besuch der besonderen Art. Die würden Augen machen. Die würden sich sowieso bald alle wundern. Der Besuch, den sie heute erwartete, würde erst der Anfang sein. Heutzutage konnte man ja fast alles von zu Hause aus erledigen, darauf freute sie sich.

Um halb zwölf betrat sie die Bäckerei in der Schwabstraße. Ihre Augen glänzten, als sie die vielen bunten Kuchen und Torten in der Auslage betrachtete. Nie wieder würde Gottlieb ihr Vorhaltungen machen, wenn sie sich ein solches cremiges ungesundes Stück Torte gönnen würde. War das Leben nicht schön? Heute würde sie sogar zweimal Kaffee trinken. Zuerst zu Hause mit ihrem Besuch und später zusammen mit den anderen im Gemeindehaus. Etwas brummte in ihren Ohren.

»Herrgott, die Weffzga«, bruddelte die Verkäuferin. Jetzt erst sah Karolina den brummenden Schwarm der Wespen, die um die Torten herum flogen. Auf einer Vanilleschnecke hatten sich gleich fünf der Viecher niedergelassen.

»Was derfs sein?«, fragte die Verkäuferin und schaute Karolina lächelnd an.

»Gebed Sie mir einen halben Hefezopf mit Rosinen, wie immer, und zwei Laugaweggla auch, bitte«, antwortete Karolina. Sie zog einen Stoffbeutel mit Teddybärenmuster aus dem Korb des Rollators und faltete ihn seelenruhig auseinander. Dann reichte sie ihn über den Tresen. »Tätet Sie mir die Sachen bitte in des Täschle füllen? Wissed Sie, meine Gicht in dene Finger, die isch heut ganz besonders arg«, bat sie die Verkäuferin, die dem Wunsch, noch immer lächelnd, gerne nachkam. »Wissed Sie, den hat mir meine Urenkelin zum achtzigschde Geburtstag gnäht und mit einem Päckle aus Amerika rüber gschickt«, fuhr Karolina fort, doch die Damen hinter dem Tresen wandten sich bereits dem nächsten Kunden zu, so entging ihnen der Satz, den sie leise hinzufügte: »Wissed Sie, nachher bekomm ich nämlich Besuch.«

Vorsichtig legte Karolina Häberle den Beutel in den Korb ihres Rollators und schob ihn zum Ausgang. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich um.

»Danke für älles«, rief sie ins Ladeninnere, hob den Arm und winkte den Umstehenden zu. Kurz danach schloss sich die Ladentür hinter ihr.

»Ha, des isch aber jetzt komisch«, sagte eine der Verkäuferinnen, des hat die ja noch nie gmacht.«

»Eine ganz reizende alte Dame«, meinte ein Herr mit Strohhut abschließend und orderte sechs Schneckennudeln.

SAMSTAG, 3. AUGUST

Gemeindesaal, Stuttgart, Elisabethenstraße, nachmittags

»Jetzt mache ich mir aber doch langsam Sorgen«, sagte Pfarrer Scheible in die fröhliche Runde der Kaffeegesellschaft.

»Was ist morgen?«, fragte Frau Pfeifer, eine ehemalige Musiklehrerin, die neben ihm Platz genommen hatte. Sie war neu in der Runde und offensichtlich schwerhörig.

»Sorgen«, wiederholte Pfarrer Scheible verzweifelt. »Sorgen mache ich mir, sagte ich.«

»Ach so«, sagte Frau Pfeifer und nickte, »aber genau deswegen frage ich Sie ja, also, was ist morgen?«

Pfarrer Scheible schüttelte den Kopf. Warum nur hatte ihm der liebe Gott solche Prüfungen auferlegt? Ihm graute jeden Monat vor diesem Nachmittag. Das laute Geschnatter der Alten erinnerte ihn stets an seine Heimat auf der Schwäbischen Alb. Wenn im August die Gänse über die Wiese rannten, war das Geschnatter nicht weniger aufdringlich, mit der Ausnahme, dass diese Gänse nur bis November schnatterten, und dann zwischen Kartoffelknödeln und Rotkohl auf festlich gedeckten Tischen landeten.

»Jetzt wolled mir singen«, ertönte die schrille Stimme einer fünfundachtzigjährigen ehemaligen Oberstudienrätin am Ende des Tisches, und sie hob auch sofort an:

»Morgen muss ich fort von hier, und muss A-a-a-a-abschied nehmen.«

Ihr treu ergebener Mitbewohner aus dem Seniorenstift, in dem sie untergebracht war, griff sofort zur Ziehharmonika und stimmte mit ein, was dem Ganzen die Krone aufsetzte. Wie sehr wünschte sich Pfarrer Scheible doch manchmal, genauso schlecht zu hören, wie die meisten der hier Anwesenden. Nur so ließ sich erklären, dass sie dies alles Monat für Monat ertragen konnten.

Inzwischen war es kurz vor sechs. Um halb sieben war die Veranstaltung zum Glück beendet und Pfarrer Scheible hatte wieder für einen Monat seine Ruhe. Doch was war nur mit Frau Häberle, warum war sie nicht erschienen? Erst am Donnerstag hatte er sie auf dem Markt getroffen. Sie war ihm so fröhlich vorgekommen, geradezu befreit. Sie hatten ein paar Worte gewechselt, dabei machte sie einige Andeutungen, die er nicht einordnen konnte. Als sie sich schon von ihm verabschiedet hatte, drehte sie sich noch einmal um und rief ihm nach »bis Samstag«. Nun war der Tag fast vorbei und Frau Häberle war nicht gekommen.

»Hallo«, versuchte er, die grauenvolle musikalische Darbietung zu unterbrechen, doch erst auf sein geharnischtes »Ruhe!« verstummten die Musikanten. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet.

»Bitte hören Sie mal alle her«, sprach der Pfarrer in nun versöhnlicherem Ton. »Ich mache mir Sorgen um Frau Häberle, eigentlich wollte sie den heutigen Nachmittag mit uns verbringen. Hat jemand von Ihnen vielleicht eine Ahnung, ob ihr was dazwischengekommen ist? Ist sie krank?«

Beim Blick in die Runde sah der Pfarrer nur in ratlose Gesichter. Schließlich ertönte die Stimme der Oberstudienrätin: »Ach wissen Sie, Herr Pfarrer, die Karolina hat sich doch sehr verändert seit dem Tod ihres Mannes. Vielleicht hat sie es sich kurzfristig tatsächlich anders überlegt. Das weiß man bei der neuerdings nicht mehr so genau.«

»Trotzdem, merkwürdig ist es schon«, sagte nun eine andere Dame. »So kenne ich sie gar nicht.«

Ich auch nicht, dachte Pfarrer Scheible und laut sagte er: »Ich werde am Montag bei ihr vorbeigehen und klingeln, vielleicht gibt’s ja für alles eine ganz harmlose Erklärung.«

MONTAG, 5. AUGUST

6.30 Uhr, Wohnung Klein, Stuttgart, Artusweg

Es hätte eine gute Woche werden können. Hätte!

Als Theodoras alter Kupferwecker um 6.30 Uhr mehr schepperte als klingelte, lag ihr ein leiser Fluch auf den Lippen. Dabei hätte sie eigentlich froh sein müssen, dem Albtraum, der sie seit Jahren immer und immer wieder quälte, entronnen zu sein. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Es war ein Traum gewesen, und obwohl er vorüber war, fühlte sie sich noch mittendrin. Sie spielte wieder mit ihrem Ball im Hinterhof des Mehrfamilienhauses, in dem sie mit ihren Eltern wohnte. Es war Sommer und es war heiß, so wie jetzt. Sie stand im Schatten, warf ihren Ball gegen die Hauswand und fing ihn wieder auf. Irgendwann entglitt er ihr und fiel zu Boden. Sie sah ihm zu, wie er von ihr fortrollte und bei den Mülleimern liegen blieb. Langsam ging sie hinüber. Als sie sich bückte, um den Ball aufzuheben, erschrak sie. Vor ihr saß ein kleines schwarzes Tier mit einem langen Schwanz, das sie verstört anblickte. Das muss eine Maus sein, dachte sie und freute sich. Endlich hatte sie ein Haustier. Von da an stibitzte sie jeden Tag heimlich irgendetwas aus dem Kühlschrank und fütterte die Maus, die ihr schon bald ein zutraulicher Freund wurde, der wuchs und gedieh. Das war der schöne Teil des Traumes, der in all den Jahren jäh in dem Moment endete, in dem ihr Vater in Erscheinung trat. An seinem Arm baumelte ein Eimer, er sagte, er gehe hinunter in den Hof. Es dauerte nicht lange, da kam er zurück. Er lachte gehässig, warf ihr einen hämischen Blick zu und griff in den Eimer. Genussvoll zog er einen langen dünnen schwarzen Schwanz hervor, an dessen Ende Theodoras Freund baumelte. Mutters gellender Schrei klang noch heute in ihren Ohren, »Eine Ratte!«

Das war der Moment, in dem Theodora erwachte, so auch heute. Seit damals liebte sie Ratten und seit damals hasste sie ihren Vater.

Erneut öffnete sie die Augen. Der Sonne war es gelungen, einen Strahl durch den einzigen Spalt im Vorhang zu werfen und Muster auf die bunte indische Bettwäsche zu zeichnen. Ein fröhlicher Anblick, doch heute war Montag, und da konnte rein gar nichts fröhlich sein. Eine endlose Woche lag vor ihr. Konnte sie sich krankmelden? Nein, das hatte sie bereits im vergangenen Monat getan, zweimal sogar, worauf ihr Kriminaloberrat Hummel nach der wöchentlichen Dienstbesprechung mangelnden Arbeitseinsatz gepaart mit viel zu wenig Empathie ihren Kollegen gegenüber vorgeworfen hatte. Der Idiot! Während Theodora sich langsam aufsetzte, überlegte sie, was sie diese Woche wohl wieder erwarten würde. Wahrscheinlich lagen neue Fälle von Sachbeschädigung auf ihrem Schreibtisch, ganz sicher hatte übers Wochenende in irgendeinem Stadtteil Stuttgarts ein Einbruch stattgefunden, und irgendwo in einen Club war ein junges Mädchen mit K.-o.-Tropfen gefügig gemacht worden. Es waren immer dieselben Delikte. Theodora gähnte. Es hatte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, da war sie besessen davon gewesen, Verbrecher zu jagen. Wie ein Terrier, der Blut geleckt hatte, hatte sie sich in die Fälle verbissen. Damals hatte sie sich den Ruf einer eiskalten Ermittlerin erworben, von dem inzwischen nicht mehr viel vorhanden war. Schon lange hatte kein Mordfall mehr auf ihrem Schreibtisch gelegen. Sie ertappte sich dabei, wie sie beinahe ein leises Schade gemurmelt hätte. Stuttgart wurde offensichtlich immer sicherer. Kriminaloberrat Hummel wurde nicht müde zu betonen, dass seine Mannschaft nicht unerheblich zu diesem Erfolg beigetragen hatte. Dass sie ein wesentlicher Teil dieser Mannschaft gewesen war, schien er allerdings vergessen zu haben. Dieser Lackaffe in seinen Maßanzügen machte keinen Hehl daraus, wie wenig er von ihr und ihren Ermittlungsmethoden hielt. Es war nur zu verständlich, dass sie darum in letzter Zeit häufiger über die Möglichkeit eines vorzeitigen Ruhestandes nachdachte.

Theodora schnupperte. Der verräterische Geruch lag noch in der Luft. Gestern Abend hatte sie sich zum Ausklang des Wochenendes einen Joint gegönnt.

»Ich muss dringend lüften«, murmelte sie und schwang ihre Beine aus dem Bett. »Verflixt«, stieß sie aus und hielt inne, als sie auf ihre Füße sah. Sie hatte das linke Bein zuerst auf ihren Bettvorleger gesetzt, war also sozusagen mit dem linken Fuß aufgestanden, das konnte ja nicht ohne Folgen bleiben. Benommen tappte sie hinüber in ihr Wohnzimmer. Ihr Blick fiel auf die Tarotkarten, die sie gestern Abend seit langer Zeit einmal wieder für sich selbst gelegt hatte. Das Kartendeck lag aufgedeckt auf dem Tisch, daneben eine leere Flasche Lemberger. Ein umgefallenes Weinglas sprach Bände und rundete das Stillleben ab.

»Kein Wunder, dass mir der Schädel brummt«, murmelte Theodora bei einem erneuten Blick auf die Karten. Seltsam, was sie da gezogen hatte. Die Sonne, den Stern, das As der Kelche. Immer wieder waren diese Symbole aufgetaucht und hatten in Verbindung zu Liebe, Fülle, Freundschaft und Lebensveränderung gestanden. Kopfschüttelnd schob sie die Karten zusammen und legte sie in das kleine, mit rotem Samt ausgekleidete Holzkästchen, das sie im vergangenen Jahr auf der Esoterikmesse gekauft hatte. Mit diesen Deutungen wusste sie nichts anzufangen. Beim As der Kelche lachte sie bitter. Welche Fülle hatte sie denn bitteschön noch zu erwarten in ihrem Leben? An die Liebe glaubte sie nicht, und eine Lebensveränderung könnte nur bedeuten, dass sie vorzeitig ihren Dienst quittierte. Was Freunde betraf, so hatte sie in den dreiundfünfzig Jahren ihres Lebens gerne auf solche verzichtet. Freunde bedeuteten Verpflichtung, sie stellten Forderungen und stahlen einem die Zeit. Freunde, oder das, was man dafür hielt, waren falsch, neidisch und unaufrichtig. Die meisten jedenfalls! Bis auf Fritz. Vielleicht. Dazu kam, dass Frauen in ihrem Alter meist nichts anderes taten, als mit den Fotos ihrer Enkelkinder zu prahlen.

»Sieh mal das ist der kleine Tommy auf der Schaukel«, pflegte ihre Kollegin Gerda gern zu sagen und dabei strahlte sie wie ein Vollmond am Sommernachtshimmel. Als ob sie das nicht selbst sehen konnte. Dass es Tommy war, wusste sie, denn seit einem Jahr hatte Gerda kein anderes Thema mehr und sie konnte Tommy unschwer von der Schaukel unterscheiden. »Und das ist Tommy auf dem Bobby Car«, war Variante Nummer zwei. Nein, Theodora mochte keine Kinder! Kinder raubten einem den Schlaf, quengelten, waren laut, wollten gewickelt und bespaßt werden, einfach ätzend! Aber das durfte sie Gerda natürlich niemals sagen. Nein, ganz offensichtlich hatten sich die Karten diesmal geirrt. Theodora ergriff die leere Weinflasche und das Glas und trug beides in die Küche. Mutig zog sie das Rollo nach oben und wurde wie erwartet sofort geblendet. »Verdammt hell hier«, maulte sie vor sich hin, doch dann setzte das vertraute Rascheln ein und sie war versöhnt.

»Guten Morgen, Mephisto«, sagte sie, beugte sich hinab in den Käfig, hob ihre Ratte heraus und setzte sie sich auf die linke Schulter. »Mein lieber Freund, du wirst auch immer schwerer«, murmelte sie, nahm ihren alten Melitta Porzellanfilter und eine Kaffeekanne vom Regal über der Spüle und stopfte eine Filtertüte hinein. Dann füllte sie ihren Wasserkocher bis zum Rand und schaltete ihn ein. Vorsichtig setzte sie Mephisto zurück in seinen Käfig und machte sich auf den Weg hinüber in ihr Badezimmer.

Beim Blick in den Spiegel musste sie erkennen, dass sie es gestern wohl zu gut mit sich selbst gemeint hatte. Eine ganze Flasche Lemberger und einen Joint, das war eindeutig zu viel für eine Mittfünfzigerin. Ihre wilden roten Locken hatten sich wie ein Dornenkranz um ihren Kopf gewunden, wässrig grüne, von Fältchen umrandete Augen blickten ihr aus dem Spiegel entgegen. Ihre rote Nase und das Übrige, was sie dort noch sah, erfreute sie wenig und sie musste unweigerlich an den blöden Spruch von Madame Plissee, derVielfältigen, denken. »Tja, Theodora, das ist der Preis den man bezahlt, wenn man über die Maßen schlank ist«, sagte sie zu ihrem zerknitterten Gegenüber, streifte sich die Träger ihres lila Nachthemdes über die Schultern und ließ es an ihren langen Beinen hinabgleiten. Frustriert kickte sie es in die Ecke unter das Waschbecken. Eine kaltwarme Wechseldusche würde ihr erfahrungsgemäß nach Exzessen dieser Art guttun.

Sie hatte sich gerade das Shampoo in die störrischen Locken gekleistert, als es an ihrer Wohnungstür klingelte.

»Egal wer du auch sein magst, du kannst mich mal«, fluchte sie in den Schaum hinein, doch es klingelte erneut. Was hatte das zu bedeuten? Etwa ein Notfall? »Moment«, rief sie und stieg rasch aus der Duschkabine. Sie rutschte aus und konnte sich gerade noch am Türgriff festhalten, als es heftig gegen ihre Wohnungstür klopfte.

»Ja ist denn da einer komplett irre? Moment, ich komm doch schon!«, schrie sie in den Flur, da wurde es still im Treppenhaus. Sie wickelte sich in ihr großes Badetuch und öffnete die Tür.

»Hallo, isch bins, der Murat.« Vor ihr stand der freche türkische Bengel, der vor Kurzem mit seiner Mutter und einem Mops über ihr eingezogen war. Unverhohlen ließ er seinen Blick von oben nach unten und wieder zurück über ihren Körper wandern. Ein breites Grinsen legte sich über seine feisten Züge.

»Das sehe ich, dass du das bist«, sagte sie. Sein unverschämtes Grinsen war ihr nicht entgangen. »Ich glaub, mein Schwein pfeift, was fällt dir eigentlich ein, mich am frühen Montagmorgen in einen solchen Schrecken zu versetzen?«

»Isch nix Schwein, isch Moslem!«, antwortete Murat und fuchtelte mit einem Brief vor Theodoras Nase herum.

»Ich habe auch nicht gesagt, dass du ein Schwein bist, Herrgott noch mal.«

»Isch nix glauben Herrgott, isch Moslem. Mohammed. Du verstehen? Isch glauben Mohammed.«

»Das ist mir vollkommen egal. Mohammed, Allah, Gott oder Winnetou!«

»Winnetou?« In Murats Gesichtsspeckfalten zuckte es auffällig.

»Was ist das für ein Brief, mit dem du mir hier ständig vor der Nase herumfuchtelst?«

»Ach so, ja, der Brief, is für disch, meine Mama hat versehentlisch mitgenommen.«

»Ist für Sie«, verbesserte ihn Theodora. Mit diesem Früchtchen duzte sie sich nicht!

»Nein, is nisch für sie, nisch für Mama, is für disch!«

»Ich geb’s auf«, seufzte Theodora, griff nach dem Brief, nahm ihn Murat aus der Hand und machte ihm die Tür vor der Nase zu. Ein Blick zur Uhr ließ sie zusammenzucken. Sie steckte den Umschlag in die Seitentasche ihrer neuen großen Fair-Trade-Umhängetasche und schlüpfte rasch in ein weites langes Leinenkleid.

»Gefrühstückt wird heute im Büro«, sagte sie zu Mephisto, griff beherzt in seinen Käfig, hob ihn heraus und versenkte ihn in seiner Transportbox ebenfalls in der Tasche. Fünf Minuten später saß sie auf ihrem Rad und strampelte der Dienststelle entgegen. Ihre feuerroten Locken trocknete der warme Sommerwind.

7.15 Uhr, Wohnung Eisele Stuttgart, Rosenbergplatz

»Geeorg, wo bisch denn? Schoorschi.«

Georg blickte auf das Rasiermesser in seiner Hand. Es war scharf, doch weiter durfte er nicht denken! Er wischte sich die letzten Spuren des Rasierschaums vom Kinn, atmete tief durch und ging hinüber zu Mutter in die Küche, wo er wie angewurzelt stehen blieb.

»Mama, du sollst mich ned immer Schorschi rufen, wie oft muss ich dir des noch sagen?«

»Ja, ja, ich weiß, du bisch der Georg Eissele, achtunddreißig Jahr alt und Assischdend bei der Sitte. Aber du bischd ond bleibschd trotzdem ällaweil no mein Bua!«

Gerade heute hatte er sich vorgenommen, besonders cool zu bleiben, denn heute war sein erster Tag in der neuen Abteilung. Aber wie so oft gelang es seiner Mutter auch jetzt, ihn aus der Fassung zu bringen.

»Ja, Mama, um Himmels willen, was isch denn des?«, war alles, was er hervorbrachte. Umhüllt von einem weißen wallenden Umhang, bedruckt mit knallroten Mohnblumen, saß seine Mutter am Küchentisch und lächelte ihm erwartungsvoll entgegen. »Des isch mein neuer Kimono«, sagte sie. »Gell da guggschd.« Georg schluckte, es hatte ihm sprichwörtlich die Sprache verschlagen, doch seine Mutter fuhr unbeirrt fort: »Was meinst, Schorschi, mit welcher Farb soll ich heut meine Nägel lackiera?« Sie wies auf eine Galerie kleiner Fläschchen, die sie vor sich aufgestellt hatte.

»Mutter, des isch vollkommen Wurst, was du nimmst, des isch nämlich alles nix! Von Himmelblau bis grell Pink, des kannst du ned machen, Mutter du bisch Vierundsiebzig! Und was isch denn des um Himmels willen für ein Fummel, den du da anhast? Hast du des alles etwa neu bestellt?«

Georg fühlte, wie er zu schwitzen begann. Er hasste die Schweißtröpfchen, die sich durch sämtliche Poren quetschten und sich als kleiner See auf seiner Stirn niederließen. Er sah es regelrecht vor sich, auch ohne sich im Spiegel zu betrachten. Es war schon sehr warm heute früh, dies hier kam jedoch eindeutig von seinen Nerven! Erst kürzlich hatte er einen Artikel in der Apothekenrundschau gelesen, in dem er sich wiedererkannt hatte. Die Seele schwitzt mit, hatte dort unter anderem gestanden. Tragen Sie weite, atmungsaktive Bekleidung, trinken Sie viel Wasser und vermeiden Sie Stresssituationen, wurde vom Verfasser des Artikels, einem Psychologen, geraten. Der hatte gut reden. Das mit der Kleidung und dem Wasser war ja nachvollziehbar, seine Mutter kannte der Psychologe allerdings nicht.

»Ha woisch, des war’s Tagesangebot auf meinem Verkaufssender«, plapperte sie unterdessen weiter und lächelte verzückt. »Und des beschde isch, des kann ich in 24 Monatsraten abstottern.«

Georg seufzte beim Blick auf seine Armbanduhr.

Elfriede griff zur Fernbedienung und drückte auf die eingespeicherte Taste. Sofort erschien eine strahlende Brünette auf dem Bildschirm. »Ah, des isch ja subber«, Elfriede war im Glück! »Jetzt kommt mei Lieblingssendung, die Schlankstützkollektion. Schorschi, gib mir doch bitte den Stift und den Block, dann kann ich glei die Bestellnummer notieren!«

»Darüber werdet mir reden müssen!« Georg schnaubte. »Heut Abend, wenn ich heimkomm. Ich bin viel zu spät dran, ich muss jetzt los.«

»Hosch koi Zeit mehr für a Tässle Kaffee, Bua?«, rief ihm seine Mutter noch nach, doch da hatte er längst die Tür hinter sich zugezogen und war im Treppenhaus verschwunden.

Noch immer in Gedanken bei seiner Mutter, hastete Georg in Richtung Schwabstraße. Bereits jetzt am frühen Morgen lag eine bleierne Schwüle über Stuttgarts Talkessel. Der neue graue Anzug war viel zu warm, das hellblaue Hemd schon jetzt zerknittert und die gelbweiß gestreifte Krawatte schien die Absicht zu haben, ihn erwürgen zu wollen. Er, der sonst eher legere Typ, hatte zur Feier des Tages seine geliebten Cordhosen und die karierten Hemden auf dem Bügel im Kleiderschrank seines Kinderzimmers gelassen. Das hatte er nun davon. Er schwitzte! Auf seiner hohen Stirn standen noch immer die kleinen Pfützen, er spürte es genau. Inzwischen konnte er seine Mutter nicht mehr dafür verantwortlich machen. Er griff in die Hosentasche und fühlte sein kleines braunes Notizbuch darin. Wie gut, dass er daran noch gedacht hatte. Er hatte sich extra ein Neues gekauft, doch sonst war da nichts, nichts, womit er sich den Schweiß hätte abtupfen können. Sein Stofftaschentuch steckte in der Hosentasche seiner Cordhose.

»Ich muss mein Leben endlich ändern«, nahm er sich in Gedanken vor, als die S-Bahn in Richtung Hauptbahnhof einfuhr. Sie war überfüllt wie immer. Georg gelang es gerade noch, sich zwischen zwei Mädchen in knappen Shorts zu quetschen, da schloss sich die Tür bereits und die Bahn fuhr davon. Verstohlen warf Georg einen Blick auf die langen, braunen Beine, die unter den knappen Shorts der beiden hervorlugten. Schöne Beine waren das, das musste er sich eingestehen, so ganz anders als die Beine von Chantal.

Er seufzte. Chantal, sie war seine eine »Baustelle«, die andere – wesentlich größere – war seine Mutter. Nach Vaters Tod vor 20 Jahren war er bei Mutter geblieben, mit Ausnahme der Jahre in Freiburg, in denen er die Polizeiakademie besucht hatte. Er hatte Vater auf dem Sterbebett versprochen, immer für Mutter da zu sein. Was das allerdings für sein späteres Leben bedeuten würde, hatte er damals noch nicht ahnen können.

Chantal hatte er vor drei Jahren bei einem Einsatz im Stuttgarter Bohnenviertel kennengelernt. Die junge Prostituierte hieß im wirklichen Leben Sieglinde Rebmann und stammte aus Dapfen auf der Schwäbischen Alb. Er hatte sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt, als er bei den Befragungen im Hinterzimmer des Bordells zusah, wie sie genüsslich ihre Sauren Kutteln verspeiste. Saure Kutteln waren eine jener Lieblingsspeisen, die ihm seine Mutter niemals zubereitet hatte. Ein Freier hatte damals eine Kollegin Chantals niedergeschlagen und war ohne zu bezahlen aus dem Etablissement entkommen. Chantal hatte ihm mit vollem Mund Antwort auf seine Fragen gegeben, doch das hatte ihn nicht gestört, im Gegenteil, ihm war das Wasser im Mund zusammengelaufen vor Appetit auf die Kutteln, aber auch auf Chantal. Wenige Wochen nach diesem Einsatz hatte er seinen ganzen Mut aufgebracht und war eines Abends mit hochgestelltem Mantelkragen und tief in die Stirn gezogenem Hut über die Schwelle der Lust getreten. Rosemarie, die Betreiberin des Bordells hatte ihm mit einem Underberg am Tresen Mut zugesprochen, und dann war er schließlich in Chantals Zimmer gelandet. Bis heute hatte er diese Beziehung verborgen, vor den Kollegen, vor allem jedoch vor seiner Mutter, der er immer am ersten Freitag des Monats, dem Abend, an dem er Chantal aufsuchte, erzählte, er habe seinen Skatabend mit den Kollegen im »Brauhaus«.

Als die Bahn auf dem Hauptbahnhof einfuhr, war Georg bereits komplett durchgeschwitzt. Mit einem letzten Blick auf die gebräunten Mädchenbeine schälte er sich aus dem Abteil. Er musste sich beeilen zur neuen Dienststelle zu kommen, am heutigen Tag durfte er auf keinen Fall zu spät erscheinen. Auch brauchte er einen klaren Kopf. Er musste versuchen, sein lästiges Gedankenkarussell zu stoppen. Heute würde er keines seiner Probleme lösen können, und morgen auch nicht sofort. Zuerst musste er etwas an seiner beruflichen Position verändern, und heute war sein Tag, der erste Tag in der Kriminalinspektion. Gleich würde er seiner neuen Vorgesetzten vorgestellt werden. Ob sie überhaupt wusste, dass sie einen Assistenten, nämlich ihn, an die Seite gestellt bekam? Theodora Klein war bekannt wie ein bunter Hund. Nicht nur, dass Frau Klein 1,85 Meter groß und hager war, auch ihr sonstiges Äußeres war exotisch, genau wie ihre Art Ermittlungen zu führen, wenn man den Gerüchten glauben durfte.

Er würde sich überraschen lassen. Er griff in seine Brusttasche und holte seine neue Sonnenbrille hervor. Er setzte sie auf und nahm dabei automatisch eine andere Körperhaltung ein. Es waren nur wenige Meter bis zur Dienststelle. Als ihm eine grauhaarige Dame mit einem Pudel entgegenkam, grüßte er sie freundlich, obwohl er sie nicht kannte. Seinen Gruß ignorierend sagte diese stattdessen anerkennend zu ihrem Hund: »Fein Goliath, hast ein schönes Häufle gemacht«, und zog ihn rasch an der Leine hinter sich her. Das Häufle ließ sie liegen. Einen Moment später hörte man eine Männerstimme laut fluchen: »Verdammte Scheiße!«

Die Dame zuckte schuldbewusst zusammen und beschleunigte ihre Schritte. Goliath war es egal.

8.25 Uhr, Polizeidienststelle Stuttgart, Büro Klein

Kurz vor halb neun traf Theodora in ihrem Büro ein. Wie immer nach einem Wochenende roch es stickig im ganzen Gebäude, doch so schlimm wie heute war es schon lange nicht mehr gewesen. Sie ging rasch zum Fenster um es zu öffnen, als sie von unten jemanden Scheiße rufen hörte.

»Der bringt’s aber mal auf den Punkt«, murmelte sie, nahm Mephisto aus ihrer Tasche und setzte ihn in seinen Bürokäfig, wo er sofort begann, sich über sein Müsli herzumachen. Ihrem Vorgesetzten, Kriminaloberrat Rüdiger Hummel, war Mephisto von jeher ein Dorn im Auge gewesen. »Eine Ratte im Büro, ausgerechnet eine Ratte«, war der am meisten zitierte Satz aus seinem Munde gewesen, wobei der das Wort Ratte genussvoll scharf betonte und das Ganze mit heftigem Kopfschütteln unterstrich. Gott sei Dank hatte dies nach der letzten Stuttgarter Love Parade ein jähes Ende gefunden. Hummels Verlobter Hubert war bei dieser Veranstaltung gestürzt und hatte sich das Bein gebrochen, nachdem er im Übermut in viel zu hohe High Heels geschlüpft war. Hummel war somit gezwungen, sich um Max, den gemeinsamen Dackel zu kümmern, dies bedeutete wiederum, dass er ihn mit in die Dienststelle bringen musste. Max war nicht nur ein entsetzlicher Kläffer – mit seinem Gebell brachte er die ganze Abteilung zur Verzweiflung – er hatte es auch auf Gerda abgesehen. Ausgerechnet auf Gerda. Theodora hatte die Kollegin von der Sitte nie besonders gemocht und sich auch nicht bemüht, das zu vertuschen. Immer wenn die dralle Gerda mit den schwarz gefärbten Haaren auf dem Flur erschienen war, war der Hund nicht mehr zu halten gewesen und eines Tages hatte er sie gebissen. In die Wade. Zum Glück war die Sache halbwegs glimpflich ausgegangen, dennoch war Gerda kurz davor gewesen, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Kriminaloberrat einzureichen. Nur noch einmal hatte Hummel danach gegen Mephisto interveniert. Sie hatte ihm nur ganz cool geantwortet: »Mephisto hat noch niemanden gebissen.« Seither hatte sie ihre Ruhe. Bis heute. Doch nun hatte sich Hummel bereits seit mehreren Tagen nicht mehr in ihrem Büro blicken lassen. Meist war dies kein gutes Zeichen, und auch jetzt wurde sie das Gefühl nicht los, dass er über irgendetwas brütete, zumal er nach der letzten Dienstbesprechung merkwürdige Andeutungen gemacht hatte. Vor allem seine Kritik ihrer mangelnden Empathie gegenüber Kollegen hatte ihr schwer zugesetzt. Dabei konnte er nur an Gerda gedacht haben. Nachdem sie von einer Anzeige abgesehen hatte, schwänzelte Hummel nur so um sie herum. Früher war Gerda ja noch irgendwie zu ertragen gewesen, doch seit sie in den Olymp der Großmütter aufgestiegen war, ging sie mit ihrem Enkelkind-Gequatsche nicht nur ihr, sondern inzwischen der ganzen Dienstelle auf die Nerven. Beunruhigend war auch, dass Hummel einen zweiten Schreibtisch in ihr Büro hatte stellen lassen. Er würde hoffentlich nicht auf die Idee verfallen, eine zweite Person zu ihr ins Zimmer zu setzen? Er wusste genau, dass sie in ihrer Aura außer Mephisto niemanden dauerhaft ertragen konnte. Alleine bei der Vorstellung wurde ihr ganz übel. Sie würde ihr Pendel befragen. Doch zuvor würde sie den Brief, den ihr Murat vorhin in die Hand gedrückt hatte, lesen. In der Eile war sie nicht einmal dazu gekommen, einen Blick auf den Absender zu werfen. Wahrscheinlich handelte es sich wieder um irgendeine Werbung eines Immobilienhais. Seit sie vor einiger Zeit auf einer IMMO-Seite im Netz gesurft war, wurde sie überhäuft von derartigen Angeboten. Sie zog den Brief gerade aus ihrer Tasche, als es an der Tür klopfte. Schnell ließ sie ihn in ihrer Schreibtischschublade verschwinden.

»Wenn man an den Teufel denkt«, murmelte sie, denn vor ihr stand in Lebensgröße Kriminaloberrat Rüdiger Hummel.

»Guten Morgen Theodora«, grüßte er, zog ein weißes Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich über die gebräunte Stirn. »Was haben Sie da eben gesagt? Ich habe nicht alles verstanden.«

»Nichts, nichts, ich habe nur mit Mephisto gesprochen, er muss jetzt zuallererst sein Müsli bekommen«, beeilte sich Theodora zu sagen. Hummel würde nicht auffallen, dass Mephisto bereits heftig am Knabbern war, er hatte bereits begonnen, vor ihrem Schreibtisch im Kreis zu gehen. Das tat er immer dann, wenn ihn etwas bedrückte. Theodora wurde alleine vom Zusehen schwindlig, oder lag das noch immer an der Mischung des gestrigen Abends?

»Verdammt schwül schon, heute Morgen, machen Sie um alles in der Welt Ihr Fenster zu, außer heißer Luft kommt da ja nichts mehr rein!«, japste Hummel und wischte sich erneut mit dem Taschentuch über das Gesicht. Theodora betrachtete ihn misstrauisch. Irgendwie sah er mitgenommen aus, vermutlich hatte er ein wenig vergnügliches Wochenende mit Hubert verbracht. Rüdiger Hummel war ein großer stattlicher Mann, mit breiten, muskulösen Schultern. Als Dauergast im Solarium wies er eine ganzjährige Bräune auf, die durch das Tragen der ausschließlich weißen Hemden auffällig hervorgehoben wurde. Seine schwarzen Haare glänzten frisch gegelt und er roch wie immer sinnlich nach seinem teuren Herrenduft, den er sich regelmäßig aus Florenz kommen ließ. Eigentlich schade, dass er der Frauenwelt nicht zur Verfügung steht, dachte Theodora wie schon so oft und seufzte, ohne es zu bemerken. Bei einem Kerl wie ihm wäre sogar sie vielleicht einmal schwach geworden, aber diese Frage hatte sich niemals gestellt. Leider.

»Wir haben eine Leiche!«, platzte Hummel unvermittelt heraus.

»Eine Leiche?« Theodora runzelte die Stirn. »Endlich mal wieder …«

»Aber Theodora! Wie können Sie denn so etwas sagen? Immerhin ist ein Mensch gestorben!« Endlich blieb er stehen und schaute Theodora kopfschüttelnd an.

»Schon gut, schon gut. Menschen sterben eben, und wir sind hier immerhin bei der Kriminalpolizei und nicht beim Statistischen Landesamt«, konterte sie und schob die Ordner ihrer statistischen Erhebungen der vergangenen Wochen zur Seite. Hummel betrachtete sie stumm.

»Was ist jetzt?«, Theodora wurde ungeduldig. »Muss ich die berühmten Fragen erst stellen? Wo, wer, wie, wie alt?«

»Nur der Reihe nach, eins nach dem anderen«, Hummel griff sich den Stuhl, der vor Theodoras Schreibtisch stand, und setzte sich.

»Es handelt sich um eine Seniorin, die tot in ihrer Wohnung in der Schwabstraße aufgefunden wurde.«

»Eine Seniorin? Ich nehme an, sie ist eines unnatürlichen Todes gestorben? Wer hat sie denn gefunden?«

»Der Hausmeister. Gemeinsam mit dem Pfarrer.«

»Merkwürdiges Duo.«

»Nein, das ist gar nicht merkwürdig, wenn man bedenkt, dass der Pfarrer den Hausmeister gebeten hat, die Tür zur Wohnung der Verstorbenen zu öffnen, nachdem er sie nicht erreichen konnte. Sie hat ihm nicht aufgemacht.«

»Und weiter?«

»Pfarrer Scheible, so heißt er übrigens, ist zuständig für die Johannesgemeinde. Er hat die Frau zuletzt am Freitag gesehen.«

»Am Freitag? Na prima, jetzt haben wir Montag. Bei der Hitze in der Stadt, da wird uns ganz schön was erwarten.« Sie verdrehte die Augen.

»Wann der genaue Todeszeitpunkt war, wird die Obduktion ergeben. Also, ich bitte Sie – Sie sind doch ein alter Hase, Sie bringt doch so schnell nichts mehr aus der Fassung, auch keine drei oder vier Tage alte Leiche. Jetzt kommen Sie schon!«

»Ist ja gut«, maulte Theodora, »ich bin ja schon unterwegs! Aber über den alten Hasen werden wir noch sprechen, wobei die Betonung auf dem Wort alt liegt!«

»Halt, da wäre etwas, worüber wir vorher reden müssen.« Hummel stand auf und schob den Stuhl zurück an seinen Platz. Er blickte zu Boden und faltete seine Hände.

»Wollen Sie beten?«, Theodora schien amüsiert.

Hummel wurde ernst. »Ich wollte es Ihnen eigentlich in der vergangenen Woche sagen«, er rieb sich die Hände, »ab heute haben Sie einen Assistenten.« Zur Tür gewandt rief er:

»Kommen Sie, Georg, wir sind so weit.«

Hummel stieß einen Seufzer aus, während Theodora perplex zur Tür schaute, die sich einen Spalt öffnete.

Herein trat ein kleiner, gedrungener Mann, auf dessen Stirn sich ein nicht zu übersehender, feuchter Niederschlag gebildet hatte. Er trug einen schlecht sitzenden Anzug, der ihn verkleidet wirken ließ. Auf seiner Nase saß eine goldumrandete Brille, die Theodora einer Kollektion aus den achtziger Jahren zuordnete. Oder war so etwas inzwischen wieder modern? Theodora betrachtete ihn genau. Seinen Blick konnte sie nicht deuten. Sah er tatsächlich so aus oder versuchte er ein Pokerface aufzusetzen? Unmöglich. Der Kerl war alles andere als cool. Hummel dieser Idiot! Das also hatte hinter seinen Andeutungen gesteckt. Ein neuer Assistent! Den hatte sie gerade noch gebraucht. Die junge aufstrebende Kollegin Sally, die erst seit Kurzem das Team verstärkte, reichte ihr vollkommen, nun auch noch so einer. Während Hummel nervös von ihr zu Eisele blickte, zuckte der neue Kollege auffällig mit dem Mund. Er kniff die Augen zusammen und atmete schwer, um gleich darauf von einem heftigen Niesanfall geschüttelt zu werden. Nach dem siebten Mal kehrte Ruhe ein.

»Eisele«, sagte er schließlich und streckte Theodora die Hand entgegen. »Georg Eisele.«

Theodora ergriff sie kurz, um sie sofort wieder loszulassen. Sie hasste nichts mehr, als feuchte Hände und dieser Georg Eisele hatte genau das. Feuchte Hände!

»Theodora Klein«, antwortete Theodora kühl.

»Ich weiß, wer Sie sind, ich habe schon viel von Ihnen gehört!«, sagte der neue Assistent.

»So? Was haben Sie denn von mir gehört?«

»Schon so einiges. Über Ihre individuellen Ermittlungsmethoden zum Beispiel, oder über den hier!«, er deutete auf Mephistos Käfig. »Das werden wir natürlich ändern müssen.« Seine Brille rutschte in Richtung Nasenspitze. Sofort schob er sie mit einem seiner dicken Wurstfinger zurück auf ihren Platz zwischen seine engen Augenbrauen.

Was glaubte denn dieser Vorgartenzwerg, wen er hier vor sich hatte.

»Daran werden wir nichts ändern müssen, rein gar nichts!« Theodoras Augen wurden zu Schlitzen und wanderten zu Hummel. Wehe, er würde auch nur ein Wort gegen Mephisto erheben. Der Biss von Max in Gerdas Wade war noch nicht verjährt!

»Wie Sie soeben bemerkt haben dürften, habe ich eine schwere Tierhaarallergie«, stammelte Georg Eisele und zog demonstrativ den Rotz nach oben.

»Wisst ihr was, macht das unter euch aus, ich habe einen Termin! Frau Klein, Herr Eisele, ich erwarte Ihren Bericht!«

Hummel drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Theodora und Eisele blickten sich noch immer feindselig in die Augen.

»Und aus welcher Abteilung wurden Sie hierher abkommandiert?«, fragte Theodora.

»Abkommandiert wurde ich überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich habe mich beworben.«

»Das ist nur eine Antwort auf die Hälfte meiner Frage. Für Sie aber gerne noch verständlicher ausgedrückt: Wo waren Sie bis gestern?«

»Ich war …, ich war«, Eisele senkte für einen Moment seinen Blick.

»Ich war bei der Sitte.«

»Sie? Bei der Sitte?« Theodora lachte auf. »Du meine Güte, ausgerechnet Sie zwischen lauter Nutten und Zuhältern im Puff? Dann müssten Sie ja eigentlich auch unsere Kollegin Gerda kennen?«

»Woher, woher wissen Sie …?«, stammelte Eisele und er begann, noch mehr zu schwitzen. Natürlich kannte er Gerda, wer kannte die nicht. Wahrscheinlich hatte sie etwas über ihn und Chantal herausgefunden und dies bereits herumposaunt?

»Woher ich weiß, dass die Sitte mit dem Rotlichtmilieu zu tun hat?«, unterbrach Theodora Klein seine Gedanken.

»Herr Kollege, ich darf schon bitten, Sie stehen einer Kommissarin gegenüber.«

Georg kratzte sich am Ohr. Er war erleichtert, diese Antwort ließ darauf schließen, dass sie nichts von ihm und Chantal wusste.

»Also, was ist jetzt mit dem hier?«, wieder deutete er auf Mephisto.