Theorien und Schriften - René Descartes - E-Book

Theorien und Schriften E-Book

Rene Descartes

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Beschreibung

Dieser Band enthält die folgenden drei Schriften des französischen Vertreters des Rationalismus: Abhandlung über die Methode, richtig zu denken und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen. Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie

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Theorien und Schriften

René Descartes

Inhalt:

René Descartes – Biografie und Bibliografie

Abhandlung über die Methode, richtig zu denken und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen.

Vorwort.

Erster Abschnitt.

Zweiter Abschnitt

Dritter Abschnitt.

Vierter Abschnitt.

Fünfter Abschnitt.

Sechster Abschnitt.

Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie

Widmung.

Vorwort an den Leser.

Inhaltsübersicht

Erste Untersuchung. Ueber das, was in Zweifel gezogen werden kann.

Zweite Untersuchung. Ueber die Natur der menschlichen Seele, und dass sie uns bekannter ist als ihr Körper.

Dritte Untersuchung. Ueber Gott, und dass er ist.

Vierte Untersuchung. Ueber das Wahre und Falsche.

Fünfte Untersuchung. Ueber das Wesen der körperlichen Dinge und nochmals über Gott, dass er besteht.

Sechste Untersuchung. Ueber das Dasein der körperlichen Dinge und den wirklichen Unterschied der Seele vom Körper.

Anhang.

Die auf geometrische Art geordneten Gründe, welche das Dasein Gottes und den Unterschied der Seele von ihrem Körper beweisen.

Definitionen.

Heische-Sätze (Postulate).

Grundsätze (Axiome) oder Gemein-Begriffe.

Erster Lehrsatz.

Zweiter Lehrsatz.

Dritter Lehrsatz.

Zusatz.

Vierter Lehrsatz.

Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie

Zur Einleitung.

Vorwort an den Leser!

Übersicht der sechs folgenden Betrachtungen.

Erste Betrachtung. Woran man zweifeln kann.

Zweite Betrachtun. Das Wesen des menschlichen Geistes; es ist uns bekannter als der Körper.

Dritte Betrachtung. Das Dasein Gottes.

Vierte Betrachtung. Wahrheit und Irrtum.

Fünfte Betrachtung. Das Wesen der Materie und nochmals die Existenz Gottes.

Sechste Betrachtung. Das Dasein der Körper und der Wesensunterschied zwischen Leib und Seele.

Theorien und Schriften, R. Descartes

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849609481

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

RenéDescartes– Biografie und Bibliografie

Der Begründer der neuern dogmatisch-rationalistischen Philosophie und der scharfsinnigste Denker der Franzosen, geb. 31. März 1596 zu La Haye in Touraine als Sohn eines Parlamentsrats, gest. 11. Febr. 1650 in Stockholm, zeigte früh eine ungemeine Lebhaftigkeit des Geistes, kam im achten Jahr ins Jesuitenkollegium zu La Flèche, wo er bis 1612 blieb, und lebte während der nächsten Jahre, besonders mit mathematischen Studien beschäftigt, zumeist in Paris. Um Erfahrungen in der Welt zu sammeln, nahm er, 21 Jahre alt, Kriegsdienste und machte unter Moritz von Oranien und Tilly Kriegszüge in Holland und Deutschland mit, focht in der Schlacht am Weißen Berg (8. Nov. 1620) unter Buquoy gegen die Böhmen und unter demselben Heerführer in Ungarn gegen die Türken, beschäftigte sich aber im stillen eifrigst mit wissenschaftlichen Arbeiten und trug sich bereits damals mit dem Vorsatz, der Forschung neue, unanfechtbare Grundlagen zu schaffen. Nachdem er 1621 seinen Abschied genommen, brachte er die nächsten Jahre teils auf Reisen, zumeist in Deutschland und Italien, teils in Paris zu und ging, um völlige Muße zur Ausarbeitung seines Systems zu finden, 1629 nach Holland, wo er 20 Jahre in Verborgenheit an 13 verschiedenen Orten verweilte und nur in regem wissenschaftlichen Verkehr mit der Prinzessin Elisabeth von der Pfalz, Tochter des Königs Friedrich von Böhmen und der Elisabeth von England, stand. Während dieser Zeit verfasste er die meisten und bedeutendsten seiner Werke, von denen er jedoch solche, durch die er mit der Geistlichkeit in Konflikt kommen konnte, wie die Schrift »De mundo«, lange zurückhielt. Er fand bald Anhänger und erbitterte Gegner und wurde von der gelehrten Königin Christine (1649) nach Schweden eingeladen, um ihr Lehrer in der Philosophie zu sein. Diesen Ruf nahm er an, erlag aber dem ungewohnten nordischen Klima. Seine Leiche wurde 1661 nach Paris gebracht und in der Kirche Ste. – Geneviève du Mont beigesetzt.

Obwohl D. durch seine mathematischen und physikalischen Entdeckungen einer der Väter der neuern Physik geworden ist, galt ihm doch nicht, wie seinem Zeitgenossen Bacon, die äußere, sondern die innere Erfahrung als der Ausgangspunkt unsers Wissens. Die Ergebnisse der sinnlichen Erfahrung sind dem Zweifel unterworfen; man kann überhaupt an allem zweifeln, nur nicht daran, dass wir zweifeln, d. h., da Zweifeln ein Denken ist, daran, dass wir denken. Mit meinem Denken ist aber meine Existenz gegeben:

Ich denke, also bin ich (cogito, ergo sum), ich bin also denkendes Wesen; ob auch noch als körperliches etc., bleibt vorläufig dahingestellt. Unter meinen Vorstellungen findet sich nun eine, die ich ihrer ganzen Beschaffenheit nach nicht selbst gebildet haben kann, die mir vielmehr gegeben sein muss, da sie eine vollere Realität in sich trägt, als ich in mir selbst habe, wonach die Existenz des Gebers so notwendig gewiss ist wie meine eigne. Das ist die Idee Gottes, eines vollkommensten Wesens, eines unbeschränkten Seins, die dem Gefühl der Beschränktheit meines eignen Seins gerade entgegengesetzt ist, daher von Gott selbst in mir verursacht sein muss. Sie ist mir ebenso eingeboren wie die Vorstellung, die ich von mir selbst habe. Den ursprünglich von Anselmus von Canterbury vorgebrachten ontologischen Beweis bildet D. so um, dass er sagt: Gott ist das schlechthin vollkommenste Wesen; zu den Vollkommenheiten gehört auch die Existenz, also hat Gott Existenz. Ein andrer Beweis für das Dasein Gottes bei D. ist der: mein eignes Dasein ist nur zu erklären durch die Annahme der Existenz Gottes; denn wäre ich durch mich selbst, so würde ich mir alle Vollkommenheiten gegeben haben, bin ich aber durch andre, Eltern, Voreltern etc., so muss es doch, da ein regressus in infinitum nicht anzunehmen ist eine erste Ursache, d. h. Gott, geben. Unter Gottes Eigenschaften, d. h. Vollkommenheiten, findet sich nun die Wahrhaftigkeit, aus der sich mit Bestimmtheit ergibt, dass alles, was ich klar und deutlich erkenne, wahr sei. Wäre das nicht der Fall, so müsste mich Gott selbst täuschen wollen, was seinem Begriff widerspricht. Die Vorstellung der äußern Welt und der Natur ist nun nicht nur in meinem Geiste vorhanden und zwar so, dass, wenn ich auch wollte, ich mich ihrer nicht entschlagen könnte, sondern sie ist auch eine klare und deutliche, so dass die ausgedehnte Welt wirklich existiert. Dieses Ausgedehnte heißt Körper oder Materie. Bei sorgfältiger Reflexion über den Begriff des Körpers finden wir, dass die Natur der Materie nicht in sinnenfälligen Eigenschaften besteht, da jede solche Eigenschaft von dem Körper hinweg gedacht werden kann, sondern lediglich in der Ausdehnung. Der Körper hat Ausdehnung, die Seele aber keine, daher besteht zwischen beiden ein diametraler Unterschied, der zur Folge hat, dass, während der Körper zerstört werden kann, die Seele unverwüstlich, d. h. unsterblich ist. Im eigentlichen Sinne darf nur Gott Substanz heißen, d. h. das, was so existiert. dass es keines andern Dinges zum Existieren bedarf; im abgeleiteten Sinne kann man auch von körperlicher und denkender Substanz reden, die beide keines andern Dinges als Gottes zur Existenz bedürfen. Der Materie kommen nur Ausdehnung und Modi der Ausdehnung zu, keine Kräfte; Druck und Stoß genügen, um die Erscheinungen in der Natur zu erklären. Die letzten Bestandteile der Materie sind kleinste Körperchen, verschieden an Gestalt und Größe (corpuscula), deren Teilung, da sie ausgedehnt sind, durch Gott immer noch denkbar ist. Materie und Bewegung bleiben in ihrer Quantität unverändert; das Quantum der Bewegung im Körper kann die Seele nicht vermehren oder vermindern, nur die Richtung der Bewegung kann sie verändern. Den Tieren kommt keine denkende Seele zu, alles in ihnen geschieht ausschließlich nach mechanischen Gesetzen, so dass sie D. als belebte Maschinen ohne jedes Gefühl, also auch ohne jeden Schmerz ansah. Im Menschen kommen die ausgedehnte Substanz, Körper, und die denkende Seele, deren Sitz in der Zirbeldrüse, als dem einzigen unpaarigen Organ im Gehirn, sein soll, zusammen; sie würden aber, als vollständig voneinander verschieden, gar nicht in Beziehung zueinander stehen können, wenn nicht Gott die angemessene Übereinstimmung zwischen ihnen herstellte, immer schaffend und vermittelnd (concursus oder assistentia Dei), eine Behauptung, die D.' Schüler Geulincx auf die Hypothese des Okkasionalismus leitete. Ethische Ansichten hat D. nur beiläufig in seinen Schriften, namentlich in dem Buch »De passionibus« und in seinen Briefen, besonders in dem »De summo bono« an die Königin Christine, geäußert. Er schließt sich in der Ethik meist an die Stoiker und Aristoteles an: Glückseligkeit ist das Ziel; sie geht hervor aus dem konsequenten guten Willen oder der Tugend. – D. vollzog eine entscheidende Tat, indem er als erste Bedingung von Philosophie aussprach, dass sie alle gegebene Erkenntnis, jede Voraussetzung von sich zu weisen habe (Kartesianischer Zweifel), um aus dem schlechthin Gewissen durch Denken die Welt der Wahrheit völlig neu sich aufzubauen. Von dem festen Punkte, den ihm das Selbstbewusstsein gewährt, ausgehend, hat er auf die weitere Entwickelung der Philosophie großen Einfluss ausgeübt. Obwohl er der Metaphysik volles Recht einräumte, hat er doch auf dem Gebiete der Natur den Mechanismus viel strenger durchgeführt als der etwas früher lebende Francis Bacon, so dass sich spätere Materialisten auf ihn berufen konnten. Sein System erregte lebhaften Widerspruch bei Philosophen, insbes. aber bei Theologen. Hobbes, Gassendi, Huet, Daniel Voetius u. a. traten als D.' Gegner auf, verfolgten ihn z. T. fanatisch, klagten ihn des Skeptizismus und Atheismus an und erwirkten sogar in manchen Ländern, wie in Italien 1643, in Holland durch die Dordrechter Synode 1656, Verbote gegen seine Philosophie als eine gefährliche. Dagegen fand D. Anhänger in Holland und Frankreich, besonders unter den Jansenisten von Port-Royal und den Mitgliedern der Congrégation de l'Oratoire. Vornehmlich suchten De la Forge, Arnauld, Pascal, Malebranche, Geulincx u. a. sein System weiter zu entwickeln. Die Logik von Port-Royal: »L'art de penser«, von Arnauld und Nicole unter Benutzung einer Abhandlung von Pascal 1662 herausgegeben, ist im ganzen cartesianisch.

Um die physiologische und psychologische Anthropologie hat sich D. trotz mehrerer Irrtümer manche Verdienste erworben; doch größerer und dauernderer Ruhm gebührt ihm als Mathematiker. Er erfand die Methode der unbestimmten Koeffizienten, gab eine Regel, um die Anzahl der positiven und der negativen Wurzeln einer algebraischen Gleichung aus dem Vorzeichen der Koeffizienten der Gleichung zu erkennen und entwickelte eine auf eine ausgedehnte Klasse von Kurven anwendbare Methode zum Ziehen von Tangenten; sein Hauptverdienst ist aber die Begründung der analytischen Geometrie, die es ermöglicht, die Eigenschaften jeder ebenen Kurve durch eine Gleichung zwischen zwei veränderlichen Größen, den Koordinaten, auszudrücken. Zwar besaß Fermat diese Koordinatenmethode auch schon, aber D. hat sie zuerst durch eine zusammenhängende Darstellung in seiner »Géometrie« (1637, mit Kommentar von Schooten, Leid. 1649; deutsch von Schlesinger, Berl. 1894) der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Auch seine »Dioptrique« (1639), die zuerst das von Snellius entdeckte Gesetz der Brechung der Lichtstrahlen beim Übergang aus einem Mittel in ein andres darlegte und die großen Entdeckungen von Newton und Leibniz vorbereitete, ist ein bleibendes Denkmal seines großen Verdienstes um die exakten Wissenschaften. Die nach ihm benannten Kartesianischen Teufel sind eine Spielerei. In seinen kosmogonischen Versuchen wollte er, ähnlich wie Demokrit und dessen atomistische Nachfolger, die Bewegung der Himmelskörper, d. h. also die Schwerkraft, durch Wirbel erklären, die in Strömungen des das Weltall erfüllenden Äthers bestehen sollten, eine Theorie, die von Leibniz aufgenommen und verbessert wurde.

D.' Hauptschriften sind: »Discours de la méthode pour bien conduire la raison et chercher la vérité dans les sciences« (zugleich mit seinen Abhandlungen über die Dioptrik, die Meteore und die Geometrie, Leid. 1637; lat. 1641); »Meditationes de prima philosophia etc.« (Amsterd. 1641; hrsg. von Barach, Wien 1862); »Principia philosophiae« (Amsterd. 1641); »Traité des passions« (das. 1650; lat., das. 1656); »Traité de l'homme et de la formation du foetus« (das. 1668, lat. 1677).Wertvoll ist auch die Sammlung seiner Briefe (Frankf. a. M. 1692). Eine Ausgabe seiner sämtlichen Werke in lateinischer Sprache erschien zuerst Amsterdam 1670–1683 u. daselbst 1692–1701: in französischer Sprache herausgegeben von V. Cousin (Par. 1824–26, 11 Bde.) und von Aimé-Martin in 1 Band (Par. 1881). Eine neue Gesamtausgabe besorgten Adam und Tanwery (bisher 6 Bde., Par. 1897–1903).Von Foucher de Careil sind »Œuvres inédites de D.« (Par. 1859 bis 1860) und »D., la princesse Elisabeth et la reine Christine, d'après des lettres inédites« (1879) veröffentlicht worden.Deutsche Übersetzungen von philosophischen Hauptschriften des D. haben K. Fischer (Mannh. 1863) und v. Kirchmann (Berl. 1870 u. ö.) veranstaltet. Sein Leben beschrieben Tepelius (Nürnb.1674), Bayle (Amsterd. 1681) und Baillet (Par. 1691). Vgl. Millet, D., sa vie, ses travaux, ses découvertes avant 1637 (Münch. 1867); Derselbe, D. etc. depuis 1637 (das. 1871); Bouillier, Histoire et critique du Cartésianisme (das. 1842); Derselbe, Histoire de la philosophie cartésienne (3.Aufl., das. 1868); Hock, Cartesius und seine Gegner (Wien 1835); Heinze, Die Sittenlehre des D. (Leipz. 1872); Koch, Die Psychologie D.' (Münch. 1881); Liard, Descartes (Par. 1882); Meincke, D.' Beweise vom Dasein Gottes (Heidelb. 1883); v. Stein, Über den Zusammenhang Boileaus mit D. (in der »Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik«, 1885); Natorp, D.' Erkenntnistheorie (Marb. 1882); v. Hertling, D.' Beziehungen zur Scholastik (Münch. 1899).

Abhandlung über die Methode, richtig zu denken und die Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen.

Vorwort.

Da diese Abhandlung zu lang ist, um mit einem Male durchlesen zu werden, so kann man sie in sechs Abschnitte theilen. In dem ersten wird man dann mancherlei Betrachtungen in Bezug auf die Wissenschaften finden; in der zweiten die Hauptregeln der von dem Verfasser gesuchten Methode; in dem dritten einige aus dieser Methode abgeleitete Regeln der Moral; in dem vierten die Gründe, aus denen er das Dasein Gottes und der menschlichen Seele beweist, welche die Grundlagen seiner Metaphysik bilden; indem fünften eine Reihe von Erörterungen über naturwissenschaftliche Fragen, insbesondere die Erklärung von dem Herzschlag und einigen anderen schwierigen Gegenständen der Medizin; ferner den unterschied zwischen den unsrigen und den Thier-Seelen, und in dem letzten Einiges, was nach des Verfassers Ansicht nöthig ist, um in der Erkenntniss der Natur weiter als bisher vorzuschreiten, sowie die Gründe, welche ihn zu schriftstellerischen Arbeiten bestimmt haben.

Erster Abschnitt.

Der gesunde Verstand ist das, was in der Welt am besten vertheilt ist; denn Jedermann meint damit so gut versehen zu sein, dass selbst Personen, die in allen anderen Dingen schwer zu befriedigen sind, doch an Verstand nicht mehr, als sie haben, sich zu wünschen pflegen. Da sich schwerlich alle Welt hierin täuscht, so erhellt, dass das Vermögen, richtig zu urtheilen und die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden, worin eigentlich das besteht, was man gesunden Verstand nennt, von Natur bei allen Menschen gleich ist, und dass mithin die Verschiedenheit der Meinungen nicht davon kommt, dass der Eine mehr Verstand als der Andere hat, sondern dass wir mit unseren Gedanken verschiedene Wege verfolgen und nicht dieselben Dinge betrachten. Denn es kommt nicht blos auf den gesunden Verstand, sondern wesentlich auch auf dessen gute Anwendung an. Die grössten Geister sind der grössten Laster so gut wie der grössten Tugenden fähig, und auch die, welche nur langsam gehen, können doch weit vorwärts kommen, wenn sie den geraden Weg einhalten und nicht, wie Andere, zwar laufen, aber sich davon entfernen.

Ich selbst habe nie meinen Geist im Allgemeinen für vollkommener als den Anderer gehalten, aber oft habe ich mir die schnelle Auffassung oder die scharfe und bestimmte Vorstellungskraft oder das gleich umfassende und schnelle Gedächtniss Anderer gewünscht. Nach meiner Einsicht dienen nur diese Eigenschaften zur Vervollkommnung des Geistes; denn wenn auch die Vernunft oder der Verstand allein uns zu Menschen macht und von den Thieren unterscheidet, so möchte ich doch glauben, dass dieser in Jedem ein Ganzes ist, und hierin den Philosophen beitreten, welche das Mehr oder Weniger nur bei den Accidenzen annehmen, aber nicht bei den Formen oder Naturen der Einzelnen einer Gattung.

Aber ich scheue mich nicht zu sagen, dass ich viel Glück gehabt und seit meiner Jugend mich auf Wegen befunden habe, welche mich zu Betrachtungen und Regeln geleitet, aus denen ich eine Methode gebildet habe, die mir geeignet scheint, allmählich meine Kenntnisse zu vermehren und sie nach und nach auf den höchsten Punkt zu erheben, welchen die Mittelmässigkeit meines Geistes und die kurze Dauer meines Lebens zu erreichen gestatten. Denn ich habe schon solche Fruchte von ihr geerntet, obgleich ich nach dem, wie ich mich kenne, mehr zu Zweifeln als zu anmasslichen Behauptungen neige. Betrachte ich die verschiedenen Handlungen und Unternehmungen der Menschen mit dem Auge des Philosophen, so scheinen sie mir alle eitel und unnütz. Ich empfinde deshalb eine hohe Befriedigung über die Fortschritte, die ich bereits in der Erforschung der Wahrheit gemacht zu haben glaube, und hoffe so viel von der Zukunft, dass unter allen Beschäftigungen der Menschen, als solche, die von mir erwählte mir allein als wahrhaft gut und werthvoll erscheint.

Trotzdem kann ich mich irren, und es ist vielleicht nur Kupfer und Glas, was ich für Gold und Diamanten nehme. Ich weiss, wie leicht man sich in eigenen Angelegenheiten täuscht, und wie verdächtig selbst die günstigen Urtheile der Freunde uns sein müssen. Aber ich werde mit Vergnügen in dieser Abhandlung die von mir vorgeschlagenen Wege schildern und mein Leben wie in einem Gemälde aufrollen, damit Jeder selbst urtheilen könne. Wenn mir von diesen Urtheilen später etwas zu Ohren kommt, so soll es ein neues Mittel der Belehrung für mich werden, was ich zu den von mir geübten hinzufügen werde.

Meine Absicht ist also hier nicht, die Methode zu lehren, die Jeder zur richtigen Leitung seines Verstandes zu befolgen habe, sondern ich will nur zeigen, wie ich den meinigen zu leiten gestrebt habe. Wer Lehren geben will, muss sich für klüger halten als die, an welche er sich richtet, und bei dem geringsten Versehen trifft ihn der Tadel. Ich biete daher diese Schrift nur als eine Erzählung oder, wenn man lieber will, als eine Fabel dar, wo neben nachahmenswerthen Beispielen sich vielleicht auch manche finden, denen man mit Recht nicht folgen mag. So hoffe ich, dass sie Manchem nützen und Niemandem schaden werde, und dass Alle mir für meine Offenheit Dank wissen werden.

Ich bin seit meiner Kindheit in den Wissenschaften unterrichtet worden, und da man mich versicherte, dass dadurch eine klare und sichere Kenntniss von allem zum Leben Nützlichen gewonnen werde, so entstand in mir das dringende Verlangen, sie zu erlernen. Sobald ich jedoch die Studien vollendet hatte, nach deren Abschluss man unter die Klasse der Gelehrten aufgenommen zu werden pflegt, änderte sich meine Ansicht gänzlich. Denn ich sah mich von so viel Zweifeln und Irrthümern bedrängt, dass ich von meinen Studien nur den einen Vortheil hatte, meine Unwissenheit mehr und mehr einzusehen. Und dennoch befand ich mich in einer der berühmtesten Schulen Europa's, in welcher, wenn es irgendwo gelehrte Männer gab, dergleichen sein mussten. Ich hatte Alles gelernt, was die Andern daselbst lernten; ich hatte sogar mich nicht mit den Wissenschaften, die man uns lehrte, begnügt, sondern alle Bücher durchlesen, die von den seltensten und wissenswürdigsten Dingen handelten und mir in die Hände fielen. Daneben kannte ich die Urtheile Anderer über mich, und ich wusste, dass man mich nicht unter meine Mitschüler stellte, obgleich manche darunter die Stelle unserer Lehrer auszufüllen bestimmt waren. Auch hielt ich dieses Jahrhundert für so frisch und fruchtbar an guten Köpfen als irgend ein vorhergegangenes. So nahm ich mir die Freiheit, die Andern nach mir zu beurtheilen und an keine solche Lehre in der Welt zu glauben, wie man sie früher mich hatte hoffen lassen.

Ich verachtete jedoch deshalb die Arbeiten nicht, mit denen man in den Schulen sich beschäftigte. Ich erkannte, dass die hier gelehrten Sprachen zum Verständniss der alten Bücher nöthig sind; dass die Zierlichkeit der Fabeln den Geist weckt; dass die merkwürdigen Thaten in der Geschichte ihn erheben und, mit Einsicht gelesen, das Urtheil bilden helfen. Das Lesen der guten Bücher gleicht einer Unterhaltung mit ihren Verfassern, als den besten Männern vergangener Zeiten, und zwar einer auserlesenen Unterhaltung, in welcher sie uns nur ihre besten Gedanken offenbaren. Ebenso hat die Beredsamkeit ihre Macht und unvergleichliche Schönheit; die Dichtkunst hat ihre Feinheiten und entzückenden Genüsse; die Mathematiker zeigen ihre scharfsinnigen Erfindungen, welche ebensowohl den Wissbegierigen befriedigen, wie den Künsten zu Statten kommen und die menschliche Arbeit erleichtern. Ebenso enthalten die moralischen Schriften viele nützliche Belehrungen und Ermahnungen zur Tugend; die Gottesgelahrtheit lehrt den Himmel gewinnen; die Philosophie gewährt die Mittel, über Alles zuverlässig zu sprechen und von den weniger Gelehrten sich bewundern zu lassen; die Rechtswissenschaft, die Medizin und die anderen Wissenschaften bringen ihren Jüngern Ehre und Reichthum; endlich ist es gut, wenn man sie alle geprüft hat, um ihren wahren Werth zu erkennen und sich vor Betrug zu schützen.

Indess meinte ich schon zu viel Zeit auf die Sprachen und selbst auf die alten Bücher, ihre Geschichten und Fabeln verwendet zu haben; denn die Unterhaltung mit Personen aus früheren Jahrhunderten ist wie das Reisen. Es ist gut, wenn man mit den Sitten verschiedener Völker bekannt wird, um über die unsrigen ein gesundes Urtheil zu gewinnen und nicht zu glauben, dass Alles, was gegen unsere Gebräuche läuft, lächerlich oder unvernünftig sei, wie dies leicht von dem geschieht, der nichts gesellen hat. Verwendet man aber zu viel Zeit auf das Reisen, so wird man zuletzt in seinem eigenen Vaterlande fremd, und bekümmert man sich zu sehr um das, was in vergangenen Jahrhunderten geschehen, so bleibt man meist sehr unwissend in dem, was in dem gegenwärtigen vorgeht. Ausserdem lassen die Fabeln Vieles für möglich halten, was es nicht ist, und selbst die zuverlässigsten Geschichtschreiber verändern oder vergrössern die Bedeutung der Ereignisse, um sie lesenswerther zu machen, oder sie lassen wenigstens die geringen und weniger glänzenden Umstände bei Seite, so dass der Ueberrest nicht mehr so bleibt, wie er ist. So gerathen die, welche ihr Verhalten nach diesen Beispielen einrichten, leicht in die Tollheiten unserer Ritterromane und fassen Pläne, die ihre Kräfte übersteigen.

Ich schätzte die Beredsamkeit hoch und liebte die Dichtkunst; aber ich hielt beide mehr für Geschenke der Natur als für Früchte des Fleisses. Wer den besten Verstand hat und seine Gedanken am richtigsten ordnet und am klarsten und verständlichsten ausdrückt, wird seine Aussprüche am besten vertheidigen, wenn es auch in schlechtem Dialekt geschieht, und er nie die Beredsamkeit gelernt hat. Ebenso sind die, welche die ansprechendsten Einfälle haben und sie am zierlichsten und gefühlvollsten schildern können, die besten Dichter, auch wenn die Dichtkunst ihnen unbekannt geblieben ist.

Ich erfreute mich vorzüglich an der Mathematik wegen der Gewissheit und Sicherheit ihrer Beweise; allein ich erkannte ihren Nutzen noch nicht. Ich meinte, sie diene nur den mechanischen Künsten, und wunderte mich, dass man auf ihren festen und dauerhaften Grundlagen nichts Höheres aufgebaut hatte. Umgekehrt erschienen mir die moralischen Schriften der alten Heiden wie prächtige und grossartige, aber auf Sand und Schmutz erbaute Paläste. Sie erheben die Tugend hoch und lassen sie als das Werthvollste von allen Dingen der Welt erscheinen, aber sie lehren sie nicht genug erkennen, und oft ist es nur eine Unempfindlichkeit oder ein Stolz oder eine Verzweiflung oder ein Vatermord, was sie mit dem schönen Namen der Tugend belegen.

Ich verehrte unsere Gottesgelahrtheit und mochte gleich jedem Anderen den Himmel verdienen; als- ich indess erkannte, dass der Weg dahin den Unwissenden ebenso offen steht wie den Gelehrten, und dass die geoffenbarten Wahrheiten, welche dahin führen, unsere Einsicht übersteigen, so wagte ich es nicht, sie meiner schwachen Vernunft zu unterbreiten; denn das Unternehmen ihrer Prüfung verlangt zu seinem Gelingen eines ausserordentlichen Beistandes des Himmels und einer mehr als menschlichen Kraft.

Von der Philosophie kann ich nur sagen, dass, obgleich sie seit vielen Jahrhunderten von den ausgezeichnetsten Geistern gepflegt worden, dessenungeachtet kein Satz darin unbestritten und folglich unzweifelhaft ist. Ich war nun nicht anmassend genug, um zu hoffen, dass es mir besser wie den Andern gelingen werde. Ich überlegte, wie vielerlei verschiedene Meinungen über einen Gegenstand von den Gelehrten vertheidigt werden, während doch die wahre nur eine sein kann, und deshalb galt mir selbst das Wahrscheinliche für falsch.

Was aber die übrigen Wissenschaften anlangt, die ihre Grundsätze von der Philosophie entlehnen, so meinte ich, dass man auf so unsicheren Unterlagen nichts Dauerhaftes errichten könne, und weder die Ehre, noch den Gewinn, den sie versprachen, konnten in mir den Wunsch, sie zu lernen, erwecken; denn, Gott sei Dank! nöthigten meine Verhältnisse mich nicht, aus der Wissenschaft ein Gewerbe für meinen Unterhalt zu machen. Ich verachtete zwar nicht den Ruhm, wie ein Cyniker, aber ich machte mir wenig aus einem solchen, den ich nur mit Unrecht verdiente. Endlich kannte ich bereits den Werth falscher Lehren hinlänglich, so dass die Versprechen der Alchymisten und die Weissagungen der Astrologen und die Betrügereien der Zauberer und die Kunststücke und Lobpreisungen derer mich nicht täuschen konnten, die ein Geschäft daraus machen, mehr zu wissen, als sie wissen.

Ich gab deshalb, sobald mein Alter mich der Aufsicht meiner Lehrer enthob, das Studium der Wissenschaften gänzlich auf. Ich verlangte nur noch nach der Wissenschaft, die ich in mir selbst oder in dem grossen Buche der Natur finden würde, und benutzte den Rest meiner Jugend zu Reisen. Ich sah die Höfe und die Kriegsheere, verkehrte mit Leuten jeden Standes und Temperamentes, sammelte mancherlei Erfahrungen, erprobte mich in den Widerwärtigkeiten des Schicksals und betrachtete alle vorkommenden Dinge so, dass ich einen Nutzen daraus ziehen konnte. Es schien mir, dass ich viel mehr Wahrheit in den Betrachtungen finden konnte, die Jeder über die Dinge anstellt, die ihn betreffen, und deren Ausgang ihm bald die Strafe für ein falsches Urtheil bringt, als in denen, welche der Gelehrte in seinem Zimmer über nutzlose Spekulationen anstellt, die ihn höchstens um so eitler machen, je mehr er sich dabei von dem gesunden Verstande entfernen muss; denn umsomehr muss er Geist und Kunst aufwenden, um sie annehmbar zu machen. Ich hatte von jeher das eifrige Verlangen, den unterschied des Wahren und Falschen zu erkennen, um in meinen Handlungen klar zu sehen und im Leben mit Sicherheit vorzuschreiten.

Selbst bei der Betrachtung der Sitten Anderer fand ich nichts Zuverlässiges; ich sah hier beinahe dieselben Gegensätze wie früher in den Meinungen der Philosophen. Der wichtigste Vortheil, den ich davon zog, war die Einsicht, dass selbst die ausschweifendsten und lächerlichsten Dinge bei grossen Völkern allgemeine Annahme und Billigung finden können, und dass ich mich nicht zu sehr auf das verlassen dürfe, was mir selbst durch Beispiel und Gewohnheit beigebracht worden war.

So befreite ich mich nach und nach von vielen Irrthümern, die unser natürliches Licht verdunkeln und den Ausspruch der Vernunft uns weniger hören lassen; und nachdem ich so mehrere Jahre in dem Studium des Buches der Welt verbracht und einige Erfahrung zu sammeln versucht hatte, fasste ich eines Tages den Plan, auch mich selbst zu erforschen und alle meine Geisteskraft zur Auffindling des rechten Weges anzustrengen. Dies gelang mir auch, glaube ich, nunmehr viel besser, als wenn ich mich nie von meinem Vaterlande und von meinen Büchern entfernt gehabt hätte.

Zweiter Abschnitt

Ich war damals in Deutschland, wohin die Kriege, welche noch heute nicht beendet sind, mich gelockt hatten. Als ich von der Kaiserkrönung zum Heere zurückkehrte, hielt mich der einbrechende Winter in einem Quartiere fest, wo ich keine Gesellschaft fand, die mich interessirte und wo glücklicherweise weder Sorgen noch Leidenschaften mich beunruhigten. So blieb ich den ganzen Tag in einem warmen Zimmer eingeschlossen und hatte volle Musse, mich in meine Gedanken zu vertiefen.

Einer der ersten dieser Gedanken liess mich bemerken, dass die aus vielen Stücken zusammengesetzen und von der Hand verschiedener Meister gefertigten Werke oft nicht so vollkommen sind als die, welche nur Einer gefertigt hat. So sind die von einem Baumeister unternommenen und ausgeführten Bauten schöner und von besserer Anordnung als die, wo mehrere gebessert, und man alte Mauern, die zu anderem Zweck gedient, dabei benutzt hat. So sind jene alten Städte, die anfangs nur Burgflecken waren, aber im Laufe der Zeit gross geworden sind, im Vergleich zu den regelmässigen Plätzen, die ein Ingenieur nach seinem Gutdünken in einer Ebene anlegt, meist so schlecht eingetheilt, dass ohnerachtet der hohen Kunst des Einzelnen man doch bei dem Anblick ihrer schlechten Ordnung und der krummen und ungleichen Strassen sie eher für Werke des Zufalls als für die vernünftiger Wesen hält. Trotzdem gab es zu allen Zeiten Beamte, welche die einzelnen Bauten im Interesse der allgemeinen Zierde zu beaufsichtigen hatten. Man sieht also, wie schwer es ist, etwas Vollständiges zu erreichen, wenn man nur die Arbeiten Anderer benutzt. Deshalb befinden sich auch halb wilde und nur nach und nach civilisirte Völker, die ihre Gesetze nur nach Maassgabe der gerade vorkommenden Verbrechen und Streitigkeiten erliessen, nicht in so gutem Zustande als die, welche von Anfang ihrer Verbindung an die von einem weisen Gesetzgeber ausgegangene Verfassung angenommen haben. Ebenso ist es unzweifelhaft, dass eine Religion, deren Anordnungen von Gott allein ausgegangen sind, unvergleichlich besser als alle anderen geordnet sein muss. Was aber die menschlichen Dinge anlangt, so glaube ich, dass der ehemalige blühende Zustand Sparta's nicht durch seine einzelnen guten Gesetze herbeigeführt worden ist, deren manche sonderbar und selbst den guten Sitten zuwider waren, sondern dadurch, dass sie sämmtlich von einem Manne erdacht waren und dasselbe Ziel verfolgten. Das Gleiche nahm ich von den in den Büchern niedergelegten Wissenschaften an, wenigstens so weit ihre Gründe nur Wahrscheinlichkeit haben, und sie ohne Beweise allmählich aus den Meinungen einer Menge verschiedener Männer gebildet und angewachsen sind. Sie kommen der Wahrheit nicht so nahe als die einfachen Betrachtungen, welche ein Mensch von gesundem Verstande über die ihm vorkommenden Dinge in natürlicher Weise anstellt. Auch sind wir Erwachsenen ja alle früher Kinder gewesen und sind lange von unseren Begierden und von unseren Lehrern geleitet worden, die einander oft widersprachen, und die vielleicht beide uns nicht immer das Beste riethen. Unsere Urtheile können deshalb nicht so rein und zuverlässig sein, als wenn wir von unserer Geburt ab den vollen Gebrauch unserer Vernunft gehabt hätten und immer von ihr allein geleitet worden wären.

Allerdings reisst man nicht alle Häuser einer Stadt nieder, nur um sie in anderer Gestalt wieder aufzuführen und die Strassen zu verschönern, aber Mancher lässt das seinige abtragen und neu bauen, ja er ist mitunter dazu gezwungen, wenn Gefahr droht, dass es von selbst einfallen werde, und die Fundamente nicht zuverlässig sind. Nach diesem Beispiel meinte ich, dass ein Einzelner schwerlich die Reform eines Staats damit beginnen werde, alle Grundlagen zu ändern und behufs des Neubaues umzustürzen; ebensowenig wird in dieser Weise die Gesammtheit der Wissenschaften oder die in den Schulen eingeführte Weise des Unterrichts verbessert werden können. Aber in Betreff der von mir bisher angenommenen Meinungen schien es mir das Beste, sie mit einem Male ganz zu beseitigen, um nachher bessere oder auch vielleicht dieselben, aber nach dem Maasse der Vernunft zugerichtet, an deren Stelle zu setzen. Ich war überzeugt, dass ich damit zu einem besseren Lebenswandel gelangen würde, als wenn ich auf den alten Grundlagen fortbaute und mich nur auf die Grundsätze stützte, die ich in meiner Jugend, ohne ihre Wahrheit zu prüfen, angenommen hatte. Wenn ich auch einige Schwierigkeiten hier antraf, so gab es doch Hülfsmittel dafür, und sie waren nicht mit denen zu vergleichen, die sich bei der geringsten öffentlichen Angelegenheit hervorthun. Diese grossen Körper sind, einmal umgestürzt, schwer wieder aufzurichten und schwer zu erhalten, wenn sie schwanken; ihr Fall muss Viele hart treffen. Ihre Mängel, wenn sie deren haben, und dass dies bei den meisten der Fall, zeigt schon die blosse Verschiedenheit unter ihnen, sind durch die Gewohnheit gemildert. Vieles davon wird allmählich beseitigt oder verbessert, was durch blosse Berechnung nicht so gut erreicht werden könnte, und das Bestehende ist endlich beinahe immer erträglicher als der Wechsel. Es ist wie mit den Heerstrassen über die Gebirge; allmählich werden sie glatt und bequem durch den Gebrauch, und man thut besser, ihnen zu folgen, als geradeaus zu gehen, über Felsen zu klettern und in Abgründe hinabzusteigen.

Ich kann deshalb jene aufsprudelnden und unruhigen Launen nicht billigen, wo man, ohne dass Geburt oder Stellung zur Beschäftigung mit den öffentlichen Angelegenheiten auffordert, doch nicht ermüdet, irgend eine neue Verbesserung auszudenken; und wenn diese Abhandlung nur im Geringsten mich dieser Thorheit verdächtig machen könnte, sollte es mir leid thun, ihre Veröffentlichung gestattet zu haben. Ich habe mich immer darauf beschränkt, meine eigenen Gedanken zu berichtigen und auf einen Grund zu bauen, der ganz mir gehört. Wenn ich hier von meinem Werke, weil es mir gefällt, ein Muster biete, so will ich doch deshalb Niemand zur Nachahmung veranlassen. Die, welche Gott mehr begnadigt hat, mögen vielleicht höhere Pläne haben; aber ich fürchte, dass schon dieser hier für Manchen zu kühn sein wird. Der blosse Entschluss, sich von Allem loszusagen, was man bisher für wahr gehalten hat, ist ein Schritt, den nicht Jeder thun mag. Die Welt ist mit zwei Arten von Geistern erfüllt, denen beiden dies nicht gefallen wird. Die Einen halten sich für klüger, als sie sind, überstürzen sich in ihren Urtheilen und können ihre Gedanken nicht in Ruhe leiten. Nähmen diese sich einmal die Freiheit, an ihren angenommenen Grundsätzen zu zweifeln und von dem betretenen Wege abzuweichen, so würden sie nie den Fussweg einhalten können, der sie geradeaus führt, und sie würden ihr ganzes Leben aus den Irrwegen nicht herauskommen. Die Zweiten sind vernünftig und bescheiden genug, um einzusehen, dass sie das Wahre und Falsche weniger als Andere unterscheiden; sie lassen sich von Diesen unterrichten und werden deshalb lieber den Meinungen Dieser folgen, als selbst etwas Besseres aufsuchen.

Ich würde unzweifelhaft zu den Letzteren gehört haben, wenn ich nur einen Lehrer gehabt hätte, oder wenn ich nicht die Verschiedenheit der Ansichten bemerkt hätte, die von jeher unter den Gelehrten geherrscht hat. Ich hatte bereits in dem Kolleg gelernt, dass man nichts so Fremdes und Unglaubliches sich ausdenken kann, was nicht ein Philosoph behauptet hätte. Ich bemerkte ferner auf meinen Reisen, dass selbst die, welche in ihren Ansichten von den meinigen ganz abwichen, deshalb noch keine Barbaren oder Wilde waren, sondern oft ihren Verstand ebensogut oder besser als ich gebrauchen konnten.

Ich überlegte ferner, dass derselbe Mensch mit demselben Geist, je nachdem er unter den Franzosen oder Deutschen aufwächst, anders werden wird, als wenn er immer unter den Chinesen oder Kannibalen lebt, und wie bis auf die Kleidermoden hinab dieselbe Sache, die uns vor zehn Jähren gefallen hat und vielleicht vor den nächsten zehn Jahren wieder gefallen wird, uns jetzt verkehrt und lächerlich erscheint. So bestimmt uns mehr die Gewohnheit und das Beispiel als die sichere Kenntniss; und obgleich die Mehrheit der Stimmen für schwer zu entdeckende Wahrheiten nicht viel werth ist, und es oft wahrscheinlicher ist, dass ein Einzelner sie eher als ein ganzes Volk entdecken werde, so fand ich doch Niemand, dessen Meinungen mir einen Vorzug vor denen Anderer zu verdienen schienen, und ich war gewissermassen zu dem Versuch genöthigt, mich selbst weiter zu bringen.

Allein gleich einem Menschen, der in der Dunkelheit und allein geht, entschloss ich mich, es so langsam und mit so viel Vorsicht zu thun, dass ich, sollte ich auch nur langsam vorwärts kommen, doch vor jedem Falle geschützt bliebe. Ich beschloss sogar, nicht mit dem gänzlichen Verwerfen Alles dessen zu beginnen, was sich ohne Anleitung der Vernunft in meinem Glauben eingeschlichen hatte, sondern zuvor den Plan des zu unternehmenden Werkes sattsam zu überlegen und die wahre Methode aufzusuchen, die mich zur Kenntniss Alles dessen führen könnte, dessen mein Geist fähig ist.

Ich hatte in meiner Jugend von den Zweigen der Philosophie die Logik und von der Mathematik die geometrische Analysis und die Algebra ein Wenig studirt, da diese drei Künste oder Wissenschaften mir für meinen Plan förderlich zu sein schienen. Bei ihrer Prüfung wurde ich indess gewahr, dass die Schlüsse der Logik und die Mehrzahl ihrer übrigen Regeln mehr dazu dienen, einem Anderen das, was man weiss, zu erklären oder, wie bei der Lullischen Kunst, von dem, was man nicht weiss und versteht, zu sprechen, als selbst zu lernen. Die Logik enthält allerdings viele gute und wahre Vorschriften, aber es sind auch viele schädliche und überflüssige eingemengt, welche sich so schwer von jenen trennen lassen, wie eine Diana oder Minerva aus einem rohen Marmorblock zu trennen ist. Bei der Analysis der Alten und der Algebra der Neuem fand ich, dass sie sich nur auf sehr abstrakte und nutzlose Gegenstände erstreckt. Die erste ist immer so an die Betrachtung der Figuren geknüpft, dass sie den Verstand nicht üben kann, ohne die Einbildungskraft zu ermüden; in der letzteren aber hat man sich gewissen Regeln und Zeichen unterworfen, aus denen eine verworrene und dunkle Kunst, welche den Geist beschwert, statt eine Wissenschaft, die ihn bildet, hervorgegangen ist. Dies liess mich nach einer anderen Methode suchen, welche die Vortheile dieser drei Wissenschaften böte, ohne ihre Fehler zu haben. So wie nun die Menge der Gesetze oft dem Laster zur Entschuldigung dient, und ein Staat besser regiert ist, wenn er nur wenige, aber streng befolgte Gesetze hat; so glaubte auch ich in der Logik, statt jener grossen Zahl von Regeln, die sie enthält, an den vier folgenden genug zu haben, sofern ich nur fest entschlossen blieb, sie beharrlich einzuhalten und auch nicht einmal zu verlassen.

Die erste Regel war, niemals eine Sache für wahr anzunehmen, ohne sie als solche genau zu kennen; d.h. sorgfältig alle Uebereilung und Vorurtheile zu vermeiden und nichts in mein Wissen aufzunehmen, als was sich so klar und deutlich darbot, dass ich keinen Anlass hatte, es in Zweifel zu ziehen.

Die zweite war, jede zu untersuchende Frage in so viel einfachere, als möglich und zur besseren Beantwortung erforderlich war, aufzulösen.

Die dritte war, in meinem Gedankengang die Ordnung festzuhalten, dass ich mit den einfachsten und leichtesten Gegenständen begann und nur nach und nach zur Untersuchung der verwickelten aufstieg, und eine gleiche Ordnung auch in den Dingen selbst anzunehmen, selbst wenn auch das Eine nicht von Natur dem Anderen vorausgeht.

Endlich viertens, Alles vollständig zu überzählen und im Allgemeinen zu überschauen, um mich gegen jedes Uebersehen zu sichern.

Die lange Kette einfacher und leichter Sätze, deren die Geometer sich bedienen, um ihre schwierigsten Beweise zu Stande zu bringen, liess mich erwarten, dass alle dem Menschen erreichbaren Dinge sich ebenso folgen. Wenn man also sich nur vorsieht und nichts für wahr nimmt, was es nicht ist, und wenn man die zur Ableitung des Einen aus dem Anderen nöthige Ordnung beobachtet, so kann man selbst den entferntesten Gegenstand endlich erreichen und den verborgensten entdecken. Auch war ich über das, womit ich den Anfang zu machen hätte, nicht in Verlegenheit. Ich wusste, dass dies das Einfachste und Leichteste sein müsste. Ich überlegte, dass von Allen, welche früher die Wahrheit in den Wissenschaften gesucht hatten, allein die Mathematiker einige Beweise, d.h. einige sichere und überzeugende Gründe haben auffinden können, und so zweifelte ich nicht, dass sie mit diesen auch die Prüfung begonnen haben; und wenn ich auch keinen Nutzen sonst davon erwarten konnte, so glaubte ich doch, sie würden meinen Geist gewöhnen, sich von der Wahrheit zu nähren und nicht mit falschen Gründen sich zu begnügen.

Aber ich war deshalb nicht Willens, alle besonderen mathematischen Wissenschaften zu erlernen; denn ich sah, dass sie trotz der Verschiedenheit ihrer Gegenstände darin übereinkamen, die zwischen denselben stattfindenden Beziehungen oder Verhältnisse zu betrachten. Ich hielt es deshalb für besser, nur diese Verhältnisse überhaupt zu untersuchen und sie nur in Gegenständen zu suchen, welche die Kenntniss jener mir erleichtern würden, aber ohne sie darauf zu beschränken, damit ich desto besser sie nachher auf alles Andere darunter Fallende anwenden konnte. Auch hatte ich bemerkt, dass ihre Erkenntniss mitunter erfordern würde, dass ich sie im Einzelnen betrachtete oder auch nur im Gedächtniss behielt oder mehrere zusammenfasste. Ich meinte deshalb für ihre Betrachtung im Einzelnen sie am besten in Linien zu suchen, da ich nichts Einfacheres und bestimmter Wahrnehmbares kannte; um sie aber festzuhalten oder mit anderen zusammenzufassen, musste ich suchen, sie durch einige möglichst einfache Ziffern auszudrücken. Damit glaubte ich das Beste von der geometrischen Analysis und von der Algebra entlehnt zu haben und alle Mängel der einen mit der anderen zu verbessern.

Ich kann sagen, dass die Beobachtung dieser wenigen aufgestellten Regeln mich zur leichten Lösung aller von diesen beiden Wissenschaften behandelten Fragen führte. Indem ich mit dem Einfachsten und Allgemeinsten anfing, und jede gefundene Wahrheit mir zu einer Kegel wurde, um neue daraus zu gewinnen, kam ich in zwei bis drei Monaten mit verschiedenen Aufgaben zum Ziel, die ich bisher für sehr schwierig gehalten hatte, und ich meinte zuletzt selbst bei den noch ungelösten Fragen die Mittel und die Grenze ihrer Auflösung bestimmen zu können. Der Leser wird mich deshalb nicht für eitel halten; er möge bedenken, dass es in jeder Sache nur eine Wahrheit giebt, und Jeder, der sie findet, Alles weiss, was davon zu wissen möglich ist. So kann z.B. ein in der Arithmetik unterrichtetes Kind, wenn es eine Addition nach seinen Regeln macht, sicher sein, in Betreff der gesuchten Summe Alles gefunden zu haben, was der menschliche Geist zu finden vermag. Denn zuletzt enthält die Methode, welche die richtige Ordnung zu befolgen und alle Umstände der Aufgabe genau zu beachten lehrt, Alles, was den arithmetischen Regeln ihre Gewissheit giebt.

Am meisten gefiel mir aber an dieser Methode, dass ich bei ihr in Allem meinen Verstand, wo nicht vollkommen, doch so gut benutzte, als es in meinen Kräften stand. Ich bemerkte ausserdem, dass mein Geist durch ihre Anwendung sich allmählich gewöhnte seinen Gegenstand reiner und bestimmter zu erfassen, und obgleich ich diese Methode noch nicht im Besonderen versucht hatte, so versprach ich mir doch von ihr bei den Schwierigkeiten anderer Wissenschaften denselben Nutzen, den sie mir in der Algebra gewährt hatte. Nicht, dass ich gewagt hätte, damit gleich Alles, was sich darbot, zu prüfen; denn dies würde selbst der von ihr verlangten Ordnung zuwider gewesen sein; aber da ich bemerkt hatte, dass alle Grundsätze dieser Methode aus der Philosophie entlehnt werden müssten, und ich doch hier keine sichere vorfand, so meinte ich, vor Allem dergleichen darin aufstellen zu müssen. Da dies jedoch die wichtigste Sache von der Welt ist, und Uebereilung und Vorurtheile hier am gefährlichsten werden, so konnte ich ein solches Unternehmen nur erst in einem reiferen Alter zu vollführen hoffen; denn ich war damals erst 23 Jahre alt und hatte meine Zeit bis dahin blos mit Vorbereitungen hingebracht, indem ich aus meiner Seele theils alle falschen, früher empfangenen Ansichten entfernte, theils eine Menge Erfahrungen sammelte, die mir später als Stoff für meine Untersuchungen dienen sollten, theils mich in der vorgesetzten Methode übte, um mehr und mehr mich in ihr zu befestigen.

Dritter Abschnitt.

Da es indess zu dem Wiederaufbau eines Wohnhauses nicht blos genügt, es niederzureissen, die Materialien und den Baumeister zu beschaffen oder sich selbst der Baukunst zu befleissigen und den Plan sorgfältig entworfen zu haben, sondern auch eine andere Wohnung besorgt sein will, in der man während des Baues sich gemächlich aufhalten kann, so bildete ich mir, um während der Zeit, wo die Vernunft mich nöthigte, in meinem Urtheilen unentschlossen zu bleiben, es nicht auch in meinen Handlungen zu sein, und um währenddem so glücklich als möglich zu leben, als Vorrath eine Moral aus drei oder vier Grundsätzen, die ich hier mittheilen will.

Der erste