Thriller Quartett 4096 - Thomas West - E-Book

Thriller Quartett 4096 E-Book

Thomas West

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis von Thomas West Der Rennbahn-Erpresser Mord mit Ansage Amoklauf für Laura Ein Köder für den Maulwurf In letzter Sekunde wird ein Mörder auf dem elektrischen Stuhl begnadigt. Das ist der Auftakt zu einer beispiellosen Hetzjagd auf Menschen, die nicht der Norm entsprechen. Unliebsame Ärzte, Schwule, Journalisten werden getötet– sogar ein Gouverneur soll sterben. Wer sind die Elias-Ranger, die im Namen einer fehlgeleiteten Ideologie Morde begehen? Trevellian und Tucker bekommen es mit Leuten zu tun, für die nur ein Gesetz gilt: Ihr eigenes.

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Thomas West

Thriller Quartett 4096

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Inhaltsverzeichnis

Thriller Quartett 4096

Copyright

Der Rennbahn-Erpresser

Mord mit Ansage

Amoklauf für Laura

Ein Köder für den Maulwurf

Thriller Quartett 4096

Thomas West

Dieser Band enthält folgende Krimis

von Thomas West

Der Rennbahn-Erpresser

Mord mit Ansage

Amoklauf für Laura

Ein Köder für den Maulwurf

In letzter Sekunde wird ein Mörder auf dem elektrischen Stuhl begnadigt. Das ist der Auftakt zu einer beispiellosen Hetzjagd auf Menschen, die nicht der Norm entsprechen. Unliebsame Ärzte, Schwule, Journalisten werden getötet– sogar ein Gouverneur soll sterben. Wer sind die Elias-Ranger, die im Namen einer fehlgeleiteten Ideologie Morde begehen? Trevellian und Tucker bekommen es mit Leuten zu tun, für die nur ein Gesetz gilt: Ihr eigenes.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Alles rund um Belletristik!

Der Rennbahn-Erpresser

Krimi von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.

Ein toter Jockey und zwei Polizistenmorde rufen das FBI auf den Plan. Jesse Trevellian und Milo Tucker ermitteln gegen eine skrupellose Bande, die die Wettgeschäfte unter die eigene Kontrolle bringen will. Zur gleichen Zeit versuchen ein paar Cops, mit krummen Geschäften an das große Geld zu gelangen. Aber dieser Plan geht schief, und das FBI ermittelt plötzlich in den Reihen der Polizei. Aber auch die Bande will es sich nicht bieten lassen, dass ausgerechnet Polizisten in ihrem Revier wildern.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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1

„Seh′ ich recht, oder wird es schon hell?‟ Christopher Boone trat auf die Terrasse und blickte in den Nachthimmel. Im Osten schimmerte ein rötlicher Streifen über der Skyline der Upper East Side.

Er drehte sich um und winkte durch die offene Glasfront in den Salon hinein. Dort standen oder saßen die letzten fünfundzwanzig der ursprünglich über hundertfünfzig Partygäste. „War nett mit euch!‟

Die Leute stellten ihre Gläser und Tassen ab und klatschten Beifall. Boone deutete eine Verbeugung an. Schon den ganzen Abend über genoss er es, im Mittelpunkt zu stehen.

Nur noch wenige Tage – und er würde wieder im Mittelpunkt stehen. Und dieselben Leute würden sich wieder um seinetwillen treffen. Nur würden sie dann nicht applaudieren, sondern mehr oder weniger andächtig der Trauerrede lauschen, die der Reverend an seinem Grab hielt.

Herbert Buchanan, der Hausherr, eilte aus dem Salon auf die Terrasse hinaus und drückte ihm die Hand.

„Tja, Chris – heute bist du der Champion.‟ Er wollte die Hand seines Jockeys gar nicht mehr loslassen. „Man gewinnt nicht alle Tage den Großen Preis von Long Island!‟ Er beugte sich ein wenig zu dem kleinen Boone hinunter und senkte die Stimme. „Ich überweis′ dir eine fette Siegesprämie.‟

Sie zwinkerten sich zu, und Boone lief über die Terrassenstufen in den Garten hinab. Der weiße Kies knirschte unter seinen Schuhsohlen, als er mit großen Schritten auf das gusseiserne Gartentor zueilte.

Die Hochstimmung seit seinem Sieg gestern hatte sich im Laufe der Party eher noch gesteigert. Und Buchanans Ankündigung einer Extraprämie war das Sahnehäubchen dieses Festtages. Der Immobilienmakler war ein großzügiger Mann. Wenn er von einer „fetten Siegesprämie‟ sprach, war eine fünfstellige Summe nicht unter zwanzigtausend Dollar angesagt.

Er trat auf die Straße. In der Dunkelheit wirkten die Konturen der Jugendstilvillen wie die Fassaden kleiner Schlösser. Dumpfes Hundegebell drang aus einem Garten, zwei Häuser weiter schlug ein Bewegungsmelder an – Licht flammte auf. Boone registrierte es nur beiläufig.

Die Parkreihen in der York Avenue hatten sich gelichtet. Gestern Abend standen die Nobelkarossen hier Stoßstange an Stoßstange. Kaum jemand der meist schwerreichen Partygäste war mit dem Taxi gekommen. Auch Boone hatte sich nicht dazu durchringen können. Wann hat man schon mal Gelegenheit, in seinem Statussymbol vorzufahren?

Er zog den Wagenschlüssel aus der Tasche, die Blinklichter seines Mercedes 300 SL leuchteten auf, und er stieg ein.

Boone fummelte den Zündschlüssel ins Schloss. Ein Schatten an der Beifahrertür. Jemand riss die linke Hintertür auf und fiel hinter Boone auf die Rückbank. Gleichzeitig wurde die Beifahrertür aufgerissen – ein zweiter Mann schwang sich zu ihm in den Wagen. Etwas Kühles, Hartes bohrte sich in Boones Schläfe.

„Fahr′ zu, Boone.‟ Eine heisere, kehlige Stimme neben ihm auf dem Beifahrersitz.

Der Jockey erkannte die Stimme sofort. „Was soll das, Gash?‟ Aus den Augenwinkeln nahm er das kantige Profil neben sich wahr. Und den langen Lauf der Waffe an seiner Stirn – ein Schalldämpfer.

„Stell keine Fragen – fahr zu!‟

Boone spähte in den Rückspiegel. Im Font des Wagens die Umrisse eines massigen Mannes. Die Straßenbeleuchtung spiegelte sich in seiner Glatze. Ein Afroamerikaner. Auch ihn kannte Boone: Wayne Tydall – Peter Gashs Schläger …

Schweißperlen traten auf die Stirn des Jockeys. Seine Hände waren plötzlich feucht. Er startete seinen Benz. Keine Spur mehr von der Hochstimmung der vergangenen Stunden.

Die beiden hatten ihn vorgestern besucht. Und vor dem Pferderennen hatte er sie auf der Tribüne gesehen. Der große Schwarze war ihm sofort aufgefallen.

„Richtung Fifth Ave‟, sagte der Mann neben ihm.

Boone bog in die neunundachtzigste Straße ein und steuerte seinen Benz nach Westen. „Was wollt ihr von mir?‟ Er blinzelte nach rechts. Ein heißer Schreck durchzuckte ihn, als er sah, dass Gash Handschuhe trug.

„Vielleicht einfach nur gratulieren.‟ Gashs Stimme klang gleichgültig.

„Hör zu, Gash – ich konnte unmöglich auf euren Vorschlag einsteigen. Es hätte mich meine Karriere gekostet.‟ Boone erschrak vor seiner eigenen Stimme – sie klang brüchig und weinerlich.

„Du musst da was falsch verstanden haben, Boone – wir machen keine Vorschläge. Wir sagen, wie die Dinge zu laufen haben, und bezahlen gutes Geld dafür, dass sie so laufen, wie wir uns das vorstellen.‟

„Ich konnte euer Pferd unmöglich vorbeilassen ...‟ Boones Herz flatterte ihm im Brustkorb herum. Er ahnte, dass er um sein Leben redete. „Jeder hätte es gemerkt. Meine Lizenz wäre im Eimer gewesen ... kapier doch – ich konnte nicht ...‟

„Du wolltest nicht‟, sagte Gash seelenruhig. „Und das hat unseren Chef einen Koffer voll Geld gekostet.‟ Sie überquerten die Second Avenue. Die Scheinwerfer eines Fahrzeuges näherten sich auf der Gegenfahrbahn. Gash nahm die Waffe von der Schläfe des Jockeys.

„Okay, Gash, lass uns in Ruhe darüber reden ...‟ Das entgegenkommende Fahrzeug war noch gut zweihundert Meter entfernt. „Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht, kann sein ... okay, okay ... ich hab′ einen Fehler gemacht ... das nächste Mal lass ich mich auf euren Deal ein ...‟

Boone erkannte den balkenartigen Aufsatz auf dem Dach des entgegenkommenden Wagens – ein Streifenwagen!

„Bullen.‟ Der rauchige Bass des Schwarzen aus dem Font. Gash nickte nur. Er hatte den Patrol Car längst bemerkt.

„Du wirst es nicht glauben, Boone ...‟ Gash gähnte. „Aber es wird kein nächstes Mal geben ...‟

Der Streifenwagen war noch höchstens zwanzig Meter entfernt. Boone hatte es bis an die Spitze des internationalen Pferderennsports gebracht, weil er jede Chance nutzte, die sich ihm bot. Der Patrol Car war seine einzige Chance, den nächsten Sonnenaufgang zu erleben. Und er wollte ihn erleben. Um jeden Preis der Welt wollte er das. Seine Hände verkrampften sich um das Steuer.

„Du musst das verstehen, Boone‟, sagte Gash. „Niemand nimmt uns mehr ernst, wenn wir dich ungeschoren ...‟

Boone riss das Steuer herum und trat auf die Bremse. Der Benz schleuderte auf die Gegenfahrbahn. Der Fahrer des Streifenwagens legte eine Vollbremsung hin und kam wenige Meter vor Boones querstehender Luxuskarosse zum Stehen.

„Könnte es sein, dass du schon wieder einen Fehler gemacht hast, Boone?‟ Gash drückte dreimal ab. Boones kleiner Körper bäumte sich kurz auf und sackte dann zusammen.

Gash drehte sich zum Seitenfenster um. Die beiden Cops waren aus ihrem Streifenwagen gesprungen und kamen auf die Beifahrerseite des Mercedes zugelaufen. Gash achtete darauf, dass sein Oberkörper die Leiche des Jockeys verdeckte. Seine Finger tasteten die Armlehnen in der Tür nach den Knöpfen für die Seitenfenster ab.

„Es ist, wie es ist, Tydall‟, sagte er, „bringen wir’s hinter uns.‟ Ein metallenes Klicken aus dem Font des Benz. Der massige Schwarze rutschte hinter Gash ans rechte Seitenfenster.

Endlich fand Gash die Schalter. Summend versanken die Scheiben in den Türen.

Die Cops beugten sich zu den offenen Fenster herunter. „Alles in Ordnung?‟, fragte der eine. Der andere versuchte an Gash vorbei, einen Blick auf den Fahrer zu werfen.

„Alles bestens, Officer.‟ Gash riss die Waffe hoch und schoss dem Polizisten ins Gesicht. Fast gleichzeitig ein Feuerstoß aus dem hinteren Seitenfenster.

Die Cops hatten nicht die Spur einer Chance. Der, den Gash traf, riss die Arme hoch und schlug rücklings auf dem Asphalt auf. Der andere, von Tydalls Pumpgun in den Bauch getroffen, krümmte sich und ging ächzend zu Boden.

Gash stieß die Tür auf und schwang sich aus dem Benz. Nacheinander setzte er den reglosen Polizisten den Lauf seiner Waffe auf die linke Brustseite und drückte ab.

Der Schwarze war ebenfalls ausgestiegen und spähte links und rechts die Hausfassaden hinauf. Hinter einigen Fenster gingen die Lichter an.

„Nichts wie weg hier‟, fauchte er.

Die Männer spurteten westwärts die neunundachtzigste Straße hinunter. Als sie in die Third Avenue einbogen, heulten von fern die Patrol-Car-Sirenen …

2

Mein Handy orgelte sich in meine Träume hinein. Ich begriff nicht sofort, dass mich das Geräusch etwas anging. Immerhin war Sonntag, und ich war mit der Hoffnung auf einen freien Tag ins Bett gegangen.

Sarah schob sich über mich und griff nach dem Störenfried auf meinem Nachttisch.

„Boyle?‟, sagte sie schlaftrunken. „Moment.‟ Sie knallte das Gerät neben mich auf die Matratze. „Für dich ...‟ Fluchend verkroch sie sich wieder unter ihre Decke.

„Hallo, Jesse?‟ Die Stimme meines Chefs. „Tut mir leid, dass ich Sie aus dem Bett holen muss. Alle anderen sind im Einsatz oder nicht erreichbar, und ich brauche dringend ein Team in der Upper East Side.‟

„Schon okay, Sir.‟ Ich setzte mich auf. 5.30 Uhr verkündete die Digitalanzeige des Wecker neben mir auf dem Nachttisch. „Was ist passiert?‟

„Schießerei in der Neunundachtzigsten. Drei Tote. Zwei davon sind Polizisten. Ihr Dienststellenleiter hat mich angerufen. Er will, dass wir die Ermittlungen übernehmen.‟ Er gab mir die genaue Adresse durch. „Ihren Partner habe ich schon angerufen – vielleicht können Sie Milo abholen, Jesse.‟

„Mach′ ich, Sir.‟ Ich schob mich aus dem Bett. Der Abend war feucht, und die Nacht kurz gewesen. Unter der Dusche spritzte ich mich kalt ab. Danach sah ich einigermaßen klar.

Sarah stand mitten im Zimmer, als ich das Bad verließ. In ihre Decke gewickelt und mit dem Gesicht eines Racheengels. Das zerwühlte Blondhaar fiel ihr auf die nackten Schultern. Eine steile Falte stand zwischen ihre Brauen.

„Sag′, dass das nicht wahr ist, Jesse!‟ Ihr blauen Augen funkelten zornig. Der Tag stand unter einem schlechten Stern.

„Sorry, Sarah – es ist wahr. Ich muss ausrücken.‟ Ich warf die Kaffeemaschine an und stieg in meine Klamotten.

Sie lief hinter mir her und beobachtete mich. „Ich hab′ heute Geburtstag.‟ Es klang wie eine Anklage.

„Ich weiß, Darling. Aber irgendwelche Killer müssen es vergessen haben.‟

Okay – das war nicht besonders diplomatisch. Aber kein Grund, gleich an die Decke zu gehen. Sarah verfluchte meinen Chef, meine Firma und mich. Wenn ich ginge, könnte ich sie vergessen, und so weiter, und so weiter.

Man traute ihr solche Ausbrüche nicht zu, wenn man sie nur von der Mattscheibe kannte. In den Abendnachrichten von CBS verlas sie viermal die Woche die Neuigkeiten des Tages. Sachlich und gelassen verkündete sie bei solchen Gelegenheiten auch die verheerendsten Hiobsbotschaften. Eine Frau, die über den Dingen steht, meinte man dann. Eine Frau, die so schnell nichts erschüttern kann.

Irrtum. Sarah Boyle war ein Vulkan.

Wir hatten uns schon zweimal getrennt, weil sie mit meinem Job nicht klarkam. An diesem Sonntagmorgen sah alles nach einem dritten Mal aus.

„Wenn du bis zwölf Uhr nicht zurück bist, kannst du mir den Buckel ‚runterrutschen!‟, zischte sie und rauschte ins Schlafzimmer ab.

Wir hatten geplant, zum Frühstück in eine Kneipe nach SoHo zu fahren. Und danach Strand, Konzert und gepflegtes Essen in einem thailändischen Restaurant in Lower Manhattan.

Nun standen Ermittlungen in einem dreifachen Mordfall auf meinem Tagesprogramm. Mit ein bisschen Pech würde ich ihr vor heute Abend nicht einmal ihr Geburtstagsgeschenk überreichen können.

Ich hatte ihr einen barocken Garderobenspiegel und zwei dazu passende Wandleuchter besorgt. Sarah war scharf auf alles, was uralt aussah. In ihrem Apartment kam ich mir immer vor, wie in einem Antiquitätenladen. Oder wie in Queen Victorias Privatgemächern.

Die Empfehlung, sie solle sich einen Finanzbeamten oder einen junggebliebenen Frührentner suchen, lag mir auf der Zunge. Ich schluckte sie herunter. Man lernt ja dazu.

Ich schnallte mir mein Gürtelholster um, füllte das Magazin meiner SIG und lief ins Schlafzimmer. Sie rührte sich nicht, als ich ihre Schulter küsste.

„Ich ruf dich an‟, sagte ich. Mehr nicht. Eine Glanzleistung, oder?

Zehn Minuten später hielt ich an der gewohnten Ecke. Milo stieg ein und knurrte einen Gruß. Schweigend fuhren wir in die Upper East Side hinüber. Über Manhattan graute der Morgen des neuen Tages. Sarahs Geburtstag. Unter anderem auch das.

In der Neunundachtzigsten, zwischen Third und Second Avenue, das vertraute Bild: Streifenwagen, Ambulanzen, Blitzlichter, Trassierband und Gaffer.

Eine Menge Cops – uniformierte und zivile. Sie schlichen herum wie geprügelte Hunde.

„Wir würden die Scheißkerle lieber selbst schnappen‟, blaffte ein Detective in Jeans und Lederjacke. Das war alles, was wir zur Begrüßung zu hören bekamen.

„′n schönen Sonntag‟, knurrte Milo zurück.

Ein silbergrauer Benz stand quer vor dem Streifenwagen der toten Cops. Vor der offenen Beifahrertür Plastikplanen über zwei Leichen. Die dritte lag auf der anderen Seite des Luxusschlittens. Leute von der Spurensicherung krochen in dem Wagen herum.

Scheinwerfer waren um die beiden Fahrzeuge herum aufgebaut. Ich kniff geblendet die Augen zusammen.

„Hallo, Jesse, hallo, Milo.‟ Am Heck des Mercedes die wuchtige Gestalt eines Mannes. Alexis Silas. Wir kannten den Gerichtsmediziner gut. Ihn als groß und breitschultrig zu bezeichnen, wäre geschmeichelt. Okay – groß war er, ein Stück größer als ich sogar. Aber vor allem war er unglaublich fett.

Er stellte seine Arzttasche neben uns ab und machte eine Kopfbewegung zu den beiden Plastikplanen hin. „Die Dienstwaffen stecken noch in den Holstern. Sie müssen vollkommen überrascht worden sein.‟

Milo hob die Planen an. Zwei weiße Polizisten. Das Gesicht des einen war eine blutverkrustete Maske. Der andere starrte aus gebrochenen Augen in den Morgenhimmel. Sein Mund stand weit offen. Als hätte er im Augenblick seines Todes etwas Unglaubliches gesehen.

„Die Schüsse wurden aus nächster Nähe abgegeben.‟ Die Speckschicht über Alexis′ Stirn legte sich in Falten. „Je ein aufgesetzter Schuss ins Herz. Da lagen sie sicher schon flach.‟

„Hört sich nach Hinrichtung an.‟ Ich ging um das Heck des Benz herum. „Was ist mit dem Dritten?‟

Der Pathologe fingerte eine Schachtel Benson & Hedges aus seinem zerknitterten Jackett. „Mindestens drei Schüsse in den Brustkorb. Er war noch angeschnallt, als ich hier ankam.‟ Sein goldenes Feuerzeug flammte auf. Ich hatte ihn noch nie rauchen gesehen und muss etwas erstaunt geguckt haben. „Willst du eine?‟

„Später.‟ Ich sah mir die dritte Leiche an. Ein auffallend kleiner und schmächtiger Mann. Er trug einen weißen Seidenanzug. Jedenfalls war er weiß gewesen, bevor man seinem Besitzer drei Kugeln in die Brust geschossen hatte.

Männer des Zentrallabors kamen mit Leichensäcken. Nacheinander trugen sie die drei Toten zum Leichenwagen.

„Was glaubst du?‟, fragte Milo den Pathologen. „Du hast doch immer eine Theorie.‟

Alexis stieß den Zigarettenrauch aus. Er hatte ungeheuer wulstige Lippen. „Im Augenblick glaube ich weiter nichts, als dass alle drei ziemlich tot sind‟, sagte er. „Wenn ich sie mir angeschaut habe, lass ich von mir hören.‟

Ich hatte Alexis öfter im Zentrallabor besucht. In der pathologischen Abteilung. Dort hatte ich ihn gesehen – inmitten seiner Zinkwannen, Chromschüsseln, Sägen, Messern und Scheren. Ich wusste also, was er unter „anschauen‟ verstand.

Keine Ahnung, wie man so einen Job durchstehen kann. Vielleicht war der Mann deswegen so überdurchschnittlich gut gepolstert.

„Ich ruf′ euch an, bevor ich den Bericht schreibe.‟ Er bückte sich nach seiner Arzttasche und schaukelte an den Straßenrand. In der zweiten Parkreihe, auf dem Bürgersteig, stand sein alter Volvo. Ein roter Kombi aus den Jahren vor Woodstock und dem Vietnamkrieg. „Einen schönen Sonntag noch.‟

Ich dachte an Sarah und an den barocken Spiegel. „Dir auch‟, sagte ich.

Ein Cop tauchte neben uns auf. „Der dritte Tote heißt Christopher Boone.‟ Er reichte mir einen Führerschein und eine Sozialversicherungskarte. Erwartungsvoll sah er mich an. „Boone‟, wiederholte er. „Nie gehört?‟

Ich schüttelte den Kopf. „Bildungslücke?‟

Milo nahm mir die Papiere aus der Hand und betrachtete sie. „Doch, kommt mir bekannt vor.‟

„Lesen Sie die Sonntagszeitung‟, sagte der Cop, „im Sportteil werden Sie seinen Namen finden.‟

„Ein Jockey, stimmt′s?‟ Das Stichwort Sportteil hatte Milo auf die Sprünge geholfen. „War da nicht gestern ein Rennen im Belmont Park?‟

„Der große Preis von Long Island.‟ Der Cop schien sich auszukennen. „Blizzard hat gewonnen. Ich hab′ fünfzig Dollar auf das Pferd gesetzt.‟

„Blizzard ist das Pferd des Toten?‟, fragte ich.

Der Cop zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls hat er′s geritten.‟

Milo und ich sahen uns den Tatort genau an. Die heruntergelassenen Fenster des Mercedes, die Bremsspur des Patrol Cars, die Kreideskizzen der beiden toten Cops.

„Was denkst du?‟, fragte ich Milo, als wir zu meinem Sportwagen zurückgingen.

„Profis, mindestens zwei.‟

„Seh′ ich auch so.‟ Wir stiegen ein. „Die aufgesetzten Schüsse ins Herz – das sind Leute, die gewohnt sind, zu töten. Sie haben aus dem Benz heraus das Feuer eröffnet.‟

„Die Cops haben ihre Dienstwaffen nicht benutzt‟, sagte Milo. „Also wurde Boone von den gleichen Leuten erschossen wie sie. Fragt sich nur, warum der Jockey seine Mörder durch die Gegend chauffiert hat.‟

„Bestimmt nicht freiwillig.‟ Ich fuhr die Achtundneunzigste hinunter in Richtung Central Park. „Aber die Frage könnte ein Schlüssel zu der blutigen Geschichte sein – versuchen wir also die Antwort zu finden. Man hat ja sonst nichts zu tun an so einem langweiligen Sonntag ...‟

3

„Kann ich Sie einen Augenblick sprechen, Captain?‟ Der Mann im Türrahmen lächelte verlegen. Er drehte seine Dienstmütze zwischen den Händen, wie das Lenkrad eines ins Schleudern geratenen Wagens.

Tennessee Lee, der schwarze Chef des zweiunddreißigsten Polizeireviers, wandte den Blick nicht vom Monitor seines PCs. „Kommen Sie ′rein, Sergeant Buckley.‟ Er speicherte die Datei, an der er gerade gearbeitet hatte, und schloss sie. Sie ging niemanden etwas an.

Die Tabellen mit den Dienstplänen für den kommenden Monat erschienen auf dem Bildschirm. Als hätte er sich in den letzten Stunden mit nichts anderem beschäftigt.

„Setzen Sie sich, Buckley.‟ Lee wies auf einen der beiden freien Stühle vor seinem Schreibtisch. Er hatte ein rundes, weiches Gesicht. Schnurrbart und Haarkranz schimmerten grau.

Der Sergeant, ein Weißer mit langen Gliedern und breiten Schultern, setzte sich. Immer noch hielt er seine Mütze fest, und immer noch lächelte er. Seine leicht gebeugte Haltung und sein allzu freundlicher Gesichtsausdruck verrieten Lee, dass Buckley versuchen würde, einen bezahlten Sonderurlaub herauszuschinden. Oder einen besonders dringenden Beförderungswunsch vortragen würde.

Der Captain war ein Menschenkenner durch und durch. Ein scharfsinniger dazu. „Wo drückt der Schuh, Buckley?‟

„Es ist wegen meiner Beförderung, Sir. Ich bin schon das letzte Mal vergessen worden ...‟ Mit seiner riesigen Pranke strich er sich eine Strähne seines blauschwarzen Haares aus der Stirn. Er hatte ein langes Gesicht mit einem ausgeprägten, leicht vorgeschobenen Unterkiefer. Wie immer, war er schlecht rasiert. Manchmal erinnerte er Lee an eine Karikatur von Arnold Schwarzenegger.

„Ich hab′ Sie aber vorgeschlagen!‟

„Aber ich bin immer noch kein Lieutenant, Sir ...‟ Seine braunen Augen sahen aus, wie die Augen eines kleinen Jungen, dem man das Fahrrad geklaut hatte. Ein derart unschuldiges Gesicht zu machen, gehörte nach Lees Einschätzung zu den wirklichen Stärken des Sergeants.

„Ich hab′ Sie diesmal wieder auf Vorschlagsliste, Buckley, keine Sorge.‟ Lee schlug einen kameradschaftlichen Ton an. „Der Deputy wird Sie nicht ein zweites Mal vergessen.‟

„Könnten Sie nicht ...‟ Der große Polizist räusperte sich. „Könnten Sie den Vorschlag nicht mit einer besonderen Empfehlung ... ich meine ... „

Lee zog seine dichten, leicht angegrauten Brauen hoch. Überrascht musterte er seinen Untergebenen.

Er würde schon eine Menge Fantasie brauchen, um den Beförderungsvorschlag für Buckley mit einer „besonderen Empfehlung‟ zu versehen.

Der Sergeant war ein fauler Sack. Wirklich gut war er nur, wenn es darum ging, irgend jemanden zu veranlassen, für ihn die Kartoffeln aus dem Feuer holen zu lassen.

Außerdem hatte Lee Gerüchte gehört. Üble Gerüchte – Buckley würde Schmiergelder nehmen und so weiter. Lee wusste nicht, von wem und wofür.

Er hatte nicht nachgebohrt. Der Captain gehörte nicht zu den leitenden Beamten, die alles so genau wissen wollten. Das hatte ihn beliebt gemacht im Revier.

Jedenfalls war Raymond Buckley alles andere als ein Vorzeigebulle.

Allerdings verfügte er über einen ziemlich scharfen Verstand. Auch wenn man ihm das nicht ansah – er verstand es meisterhaft, sich den Anschein der Begriffsstutzigkeit zu geben. Meistens aber lag er richtig mit seinen Schlussfolgerungen. Und hatte in schwierigen Fällen schon manchen guten Tipp abgegeben.

Lee nickte langsam. „Okay, Buckley – ich lass mir was einfallen.‟

„Danke, Sir.‟ Der Sergeant sprang auf. Erleichterung in seiner Miene. „Vielen Dank.‟ Er verbeugte sich sogar, bevor er seinen großen Körper aus dem Chefbüro schaukelte.

Lee musste grinsen. Im Grunde war Buckley ein großer Junge. Ein großer Junge, dem irgend jemand ins Hirn geschissen hatte.

Lee wollte sowenig wie möglich über das Privatleben seiner Beamten wissen. Aber es hatte sich herumgesprochen, dass Buckley eine Menge Geld für Frauen aus dem Fenster schmiss und sich gern auf der Pferderennbahn herumtrieb.

Außerdem war er ein Motorradnarr. Das nun ließ sich nicht übersehen. Und schon gar nicht überhören. Wenn im Innenhof des Reviers der Motor eines Feuerstuhls brüllte, wusste jeder, dass Buckley in voller Ledermontur zum Dienst anritt. Lee hatte nie so genau darauf geachtet – aber angeblich besaß der Sergeant drei verschiedene Maschinen.

Lee wandte sich wieder dem Monitor zu. Er öffnete die Datei, die er bei Buckley Eintreten in der Festplatte versenkt hatte. Es war ein Roman. Ein Western - „Der Pferdedieb‟ hieß er. Nichts Großartiges, hoch Literarisches oder so. Eine von den Paperback-Schwarten, die man am Bahnhofskiosk für zwei Dollar kaufen konnte.

Lee schrieb etwa alle sechs Wochen so eine Geschichte. Meistens im Dienst und an freien Wochenenden. Immerhin neunhundert Dollar, die auf diese Weise zusätzlich auf seinem Konto landeten. Mehr als die Hälfte dessen, was er Monat für Monat seiner geschiedenen Frau und seinen beiden Kindern an Unterhalt zahlen musste.

Das hatte er mit Buckley gemeinsam: Das Geld reichte hinten und vorn nicht. Seine Freundin würde in ein paar Monaten ein Baby bekommen, sein ältester Sohn hatte seinen Wagen zu Schrott gefahren, und das Wochenendhaus in Freeport auf Long Island war ein unersättliches Dollargrab. Lange würde er es nicht mehr halten können.

Niemand wusste von seinen finanziellen Problemen. Nach außen hin war er ganz der seriöse Polizeicaptain – geschätzt und geachtet von Untergebenen und Vorgesetzten. Auch dass er geschieden war, hatte er bisher geheim halten können. Und dass er hin und wieder Western schrieb, sowieso. Tennessee Lee sprach nicht über persönliche Angelegenheiten.

Die harten Männer in seinen Western hatten auch nie genug Geld. Sie lösten dieses Problem auf ihre eigene Weise – schürften Gold, spielten Poker, überfielen Postkutschen und Banken.

Sie waren ein wenig wie Sergeant Buckley. Ja, das waren sie. Nur nicht so faul. Lee hatte im Lauf der Jahre Sympathien entwickelt für den jüngeren Cop. Seitdem seine eigene private Situation sich so niederschmetternd entwickelt hatte, fühlte er sich ihm manchmal fast verbunden.

Lee fragte sich immer öfter, ob was dran war an den Gerüchten über den Sergeant. Ob er sich wirklich auf illegale Weise ein paar Dollars dazuverdiente.

„Frag′ ihn doch einfach mal‟, murmelte er, während er seinen Schreibtisch aufräumte. Der Feierabend stand vor der Tür. „Vielleicht hat er ja einen Tipp für dich. Eine hübsche Geldquelle, die auch ein Captain mit gutem Gewissen anzapfen kann.‟ Er grinste vor sich hin. „Oder vielleicht hat er Lust, mit dir eine Bank zu überfallen ...‟

Ein Scherz, ein Gedankenfurz, weiter nichts. Aber als er später in seiner Stammbar in Harlem saß und das Sonntagsspiel der Yankees auf der Mattscheibe über der Theke verfolgte, spukte dieser Gedankenfurz noch immer in seinen Hirnwindungen herum.

Das beunruhigte Lee.

Später stieg er in seinen weißen Dodge und fuhr bei Nancy vorbei, seiner Freundin. Eine quirlige kleine Frau mit einigen Pfund Rastalocken auf dem Kopf. Zehn Jahre jünger als er, also Anfang dreißig. Er liebte sie über alles.

Sie hockte mit einer Menge Nachbarn und einem halben Dutzend ihrer zahllosen Freundinnen auf der Straße vor dem Haus, in dem sie wohnte. Es wurde gegrillt, gewürfelt, Schach gespielt und Musik gemacht. Wie das eben so geht in manchen Straßenzügen Harlems.

Nancy machte keine Anstalten, mit ihm hoch auf ihr Zimmer zu gehen. Wenn sie nicht wollte, gab es keinen Sex. So war das nun mal.

Lee, der sein Manuskript noch fertigstellen wollte, verabschiedete sich schon nach einer Stunde.

Nancy arbeitete für eine Werbeagentur. Wenn sie in ein paar Monaten ihr Kind bekam, würde sie eine Zeit lang keinen müden Dollar mehr verdienen. Lee würde für ihren Lebensunterhalt mit aufkommen müssen. Für ihren und für den des Kindes. Schöne Aussichten.

Spät nachts in seinem Ein-Zimmer-Apartment in der hundertdreißigsten Straße Ecke Malcolm X Boulevard ging er noch einmal sein Manuskript durch. Die Geschichte eines Mannes, der sich eine Farm durch Pferdediebstähle finanzierte. Ein Mann, der auch vor Morden nicht zurückscheute.

Und die Geschichte eines Sheriffs, der den Pferdedieb schließlich an den Galgen brachte.

Als Lee sein Manuskript in ein Kuvert steckte, wusste er nicht, wer ihm sympathischer war – der Sheriff oder der Pferdedieb.

Auf seinem Schreibtisch, neben der Tastatur, stapelten sich die Rechnungen.

4

Der Chef hatte die Polizistenmorde in der Upper East Side ganz oben auf die Liste der zu bearbeitenden Fälle gesetzt. Alles andere musste warten.

Nach einem Sondermeeting am Sonntagvormittag machten wir uns an die Ermittlungen. Leslie Morell und Jay Kronburg sollten sich um den Bekanntenkreis des erschossenen Jockeys kümmern. Clive Caravaggio und Medina hatten den Auftrag im sportlichen Umfeld Christopher Boones zu recherchieren. Milo und ich sollten uns mit den Laborberichten und den toten Polizisten beschäftigen.

Den halben Tag verbrachten wir in ihrer Dienststelle, dem neunzehnten Revier – Gespräche mit der Einsatzleitung der vergangenen Nacht, mit Vorgesetzten und Kollegen, Dienstprotokolle, Personalakten, und so weiter. Mit einem Stapel Aktenunterlagen verzogen wir uns am frühen Nachmittag in unser Büro in der Federal Plaza. Es ging schlicht darum, einen persönlichen Racheakt auszuschließen. Oder eben eine Spur zu finden, die einen persönlichen Racheakt nahelegte.

Es war schon drei Uhr, als mir siedend heiß einfiel, dass Sarah auf mich wartete. Ich rief in meinem Apartment an. Niemand ging ans Telefon. Sie wartete also doch nicht …

Gegen sechs Uhr hatten wir die Unterlagen durchgearbeitet.

„Zwei korrekte Beamte‟, fasste Milo zusammen, „beliebt bei den Kollegen, geschätzt bei den Vorgesetzten und kaum mit spektakulären Fällen befasst.‟

„Außer der Einbruchserie und der Vergewaltigung‟, sagte ich. Die beiden Toten hatten vor einem halben Jahr ein Einbrecherduo geschnappt, das monatelang sein Unwesen in der Upper East Side getrieben hatte. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass die Einbrecher zu einer größeren Bande gehörten.

„Dass eine Bande von Einbrechern Polizisten tötet, um sich für die Verhaftung von Komplizen zu rächen, habe ich noch nie gehört‟, sagte Milo.

„Bleibt nur noch die Vergewaltigung.‟ Die Cops hatten vor Wochen eine Motorradbande im Central Park überrascht. Die Rocker hatten zwei Mädchen verschleppt und vergewaltigten sie gerade, als die Polizisten dazukamen.

„Die drei Hauptangeklagten sind gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden‟, überlegte ich laut. „Der Prozess soll Anfang nächsten Monats stattfinden. Unsere toten Kollegen waren als Hauptbelastungszeugen vorgesehen.‟

„Man hat schon von Schwachköpfen gehört, die in solchen Fällen vor einem Mord nicht zurückschrecken.‟ Milo machte ein skeptisches Gesicht. „Aber Polizistenmord ...?‟

„Wir sollten die Motorradcowboys wenigstens fragen, was sie in der vergangenen Nacht getrieben haben.‟ Ich stand auf und zog mein Jackett von der Stuhllehne.

Wir fuhren hoch in die Bronx, wo die Motorradgang in einem baufälligen Haus residierte. „Steel Bones Convention‟, so nannte sich der Clan. Verheißungsvoller Name.

Doch die Stahlknochen waren nicht zu Hause. Keine einzige Maschine war zu sehen, weder vor dem Haus, noch auf dem Hinterhof.

„Ausgeflogen‟, sagte Milo. „Obwohl wir uns nicht angemeldet haben.‟

„Versuchen wir’s morgen noch mal‟, schlug ich vor. „Lass uns Schluss machen für heute.‟

Eine Stunde später schloss ich mein Apartment in der West Side auf. Es roch nach Sarah. Und auf dem Tisch lag ein kurzer Brief von ihr. Ihre Zahnbürste fehlte, ihre Wäsche hatte sie aus meinem Schrank genommen, ihre Tasche hing nicht mehr an der Garderobe.

Und der Brief war eindeutig.

Hab′ bis nach zwei gewartet. Nicht mal einen Anruf bin ich dir wert. Ich denke, das war’s dann. Sarah.

5

Der Mann lehnte am Gatter und sah hinaus auf die Pferdekoppel. Silberhaarig, Sonnenbrille, heller Sommeranzug – maßgeschneidert. Hinter ihm auf dem Fahrweg ein metallic-blauer Buick Park Avenue.

Ein kleiner Puertoricaner mit Sonnenbrille schlenderte rauchend neben dem Fahrzeug auf und ab. Houston Rispolis Chauffeur. Auch er trug einen ausgesucht edlen Anzug. Rispoli konnte es nicht leiden, wenn jemand in seiner direkten Umgebung sich nachlässig kleidete.

An der Beifahrerseite des Buicks standen, die Arme auf dem Rücken verschränkt, zwei junge Männer. Sie waren in blaues Nadelstreifentuch gehüllt. Beide waren nicht besonders groß, und beide trugen Sonnenbrillen.

Das Pferd, das Houston Rispoli vom Gatter der Koppel aus beobachtete, war sein Pferd. Und die junge Frau auf dem Rücken des Rappen war seine Tochter. Ihr langes Haar glänzte genauso schwarz, wie das Fell des Rappen. Und wie dessen Schweif flatterte es im Sommerwind.

Ein stilles Lächeln legte sich auf Rispolis braungebranntes Gesicht. Es gab nicht viel, was der Hotelier, Speditionsunternehmer und Börsenspekulant liebte. Wirklich nicht. Seit vorgestern liebte er nicht einmal mehr sein teures Rennpferd. Seitdem es im „Großen Preis von Long Island‟ nur den zweiten Platz gemacht hat.

Doch Laureen – seine Tochter, die liebte er mehr, als seine vielen Dollars. Oder wenigstens genauso sehr.

„Eine Zigarette, Ramirez‟, sagte er über die Schulter hinweg. Der Chauffeur eilte zum Buick, holte ein Lederetui von der Mittelkonsole und brachte es seinem Chef. Der entnahm dem Etui eine Zigarette.

Einer der beiden Leibwächter trat von hinten heran und gab ihm Feuer.

Rispolis Blick fiel auf einen Wagen, der eben von der Straße auf den Fahrweg einbog. Eine rote, offene Corvette. Er näherte sich mit großer Geschwindigkeit und zog eine Staubwolke hinter sich her. Kurz vor dem Heck des Buicks stoppte das Cabriolet. Peter Gash und Wayne Tydall stiegen aus.

„Fahr schon mal ins Gestüt voraus, Ramirez‟, sagte Rispoli. Der Chauffeur nickte beflissen und stieg in den Buick. Die beiden Bodyguards zögerten. „Schon okay!‟ Rispoli deutete auf den Buick. „Ich komm gleich hinterher.‟

Rispoli warf einen Blick auf die Koppel hinaus. Seine Tochter zog ihre Runden auf dem Rappen. Niemand mehr in der Nähe, der sein Gespräch mit den beiden Männern belauschen würde.

Er wartete, bis sie bei ihm waren. „Warum erfahre ich aus der Zeitung, dass und auf welche Weise ihr eure Arbeit gemacht habt!?‟ Er sprach leise und betonte jedes Wort. Wie er es immer machte, wenn er stinksauer war.

„Wir wollten dich nicht anrufen, Houston.‟ Gash nahm seine Sonnenbrille ab. „Vorsichtsmaßnahme. Wenn dein Telefon ...‟

„Blödsinn!‟, zischte Rispoli. „Warum sollte irgend jemand mein Telefon abhören! Habt ihr die Cops umgelegt? Los, raus mit der Sprache!‟

„Es ließ sich nicht vermeiden.‟ Gash erzählte.

Rispoli wurde blass. „Ihr Idioten!‟ Er stampfte wütend auf und wandte sich der Weide zu. „Ihr gottverdammten Idioten!!‟

„Boone fuhr ihnen direkt vor den Kühlergrill. Sie hätten uns wiedererkannt. Wir mussten sie erledigen.‟

„Diese Ratte!‟, knurrte Rispoli. „Diese elende Ratte ...‟

„Er hat sein Fett abgekriegt.‟ Peter Gash blickte hinaus auf die Koppel. Die Reiterin winkte ihm zu. Er grinste und winkte zurück. Wayne Tydall schwieg die ganze Zeit.

„Ihr habt Boone von Anfang an nicht hart genug angefasst.‟ Rispoli warf seine Zigarette weg und wandte sich der Corvette zu. „So was darf nicht mehr vorkommen. Wenn ihr euch das nächste Mal einen Jockey vorknöpft, erwarte ich, dass er anschließend genau das tut, was wir von ihm verlangen.‟

„Er hat so getan, als würde er auf das Geschäft eingehen‟, verteidigte Gash sich. „Stimmt’s, Wayne?‟ Tydall nickte grimmig.

Rispoli bedachte seine beiden Killer mit einem verächtlichen Blick. „Bringt mich ins Gestüt.‟

Er setzte sich auf den Beifahrersitz des Cabriolets. Der schwarze Riese zwängte sich auf den Notsitz, und Gash startete den Wagen. Über den Fahrweg rollten sie dem Gestüt entgegen. Es lag westlich von Queens auf Long Island. Umgeben von Weideflächen, die im Süden an einen kleinen Laubwald grenzten.

Gash machte sich nichts vor. Beim nächsten Fehler war er weg vom Fenster. Boones Sieg beim „Großen Preis von Long Island‟ hatte seinen Chef etwa dreißigtausend Dollar gekostet. Den durch die Wetten einkalkulierten Gewinn nicht mitgerechnet.

Wer Geschäfte verdarb, kam auf die Abschussliste. Rispoli hatte da seine Prinzipien. Die galten auch für Gash. Selbst wenn er Rispolis rechte Hand war und als sein zukünftiger Schwiegersohn galt.

Rispoli erkundigte sich knapp nach dem Stand einiger Projekte. Waffenhandel mit einer Organisation aus St. Petersburg, Drogengeschäfte mit Kolumbien, Vereinbarungen mit diversen Jockeys und Buchmachern, und so weiter. Gash, der für den reibungslosen Ablauf dieser Deals verantwortlich war, berichtete genauso knapp. Wenigstens hier lief alles glatt.

Ein silbergrauer Cadillac parkte vor den Stallungen. Direkt neben Rispolis Buick. Ein grauhaariger Mann in weißen Leinenhosen und kurzärmligem Polohemd war eben im Begriff einzusteigen. Der Mann, dessen Pferd Rispolis Rappen vorgestern auf den zweiten Platz verwiesen hatte.

„Halt an‟, knurrte Rispoli.

Gash stoppte die Corvette. Rispoli stieg aus und lief auf Herbert Buchanan zu.

„Mensch, Herbie – ich habe es erst vorhin in der Zeitung gelesen! Das ist ja furchtbar!‟ Mit dem Ausdruck der Fassungslosigkeit auf dem Gesicht drückte er dem Immobilienmakler die Hand.

„Ja. Schreckliche Geschichte‟, sagte Buchanan. „Ganz schrecklich ...‟

Rispoli erging sich in wehleidigen Betrachtungen der Schlechtigkeit der Welt. Nicht mal in der Upper East Side sei man seines Lebens mehr sicher und so weiter.

„Was mit Blizzard wird, weiß ich auch noch nicht.‟ Buchanan machte eine sorgenvolle Miene. „Meine Schwarze ist ziemlich empfindlich, du weißt ja.‟ Er zog die Autotür auf und stieg in seinen Cadillac. „Sie lässt sich nur von Chris reiten ...‟

„Ein herber Schlag.‟ Rispoli schüttelte den Kopf. „Tut mir wirklich leid ...‟ Der andere winkte ab, schlug die Tür zu und fuhr davon. Rispoli sah dem Wagen nach, bis er aus dem weißen Haupttor des Gestüts rollte.

„Zigarette, Ramirez!‟, winkte er. Der Chauffeur eilte mit dem Etui herbei. Gefolgt von einem der beiden Bodyguards. Der zückte das Feuerzeug. Gash trat neben seinen Boss und zündete sich ebenfalls eine an.

„Ruf′ Turner an‟, sagte Rispoli leise. Edward Turner war sein Anwalt. Er verwaltete große Teile seines Vermögens. „Er soll ausloten, wie viel Buchanans Stute wert ist. Vielleicht können wir sie kaufen ...‟

Gash runzelte erstaunt die Stirn. „Und wer soll sie reiten?‟

„Scheißegal‟, knurrte Rispoli. „Schon wenn uns der Gaul kein Rennen mehr vermasseln kann, würde sich das Geschäft bezahlt machen ...‟

6

Ein riesiger Ventilator drehte sich träge unter der Decke, Rauchschwaden hingen über den Tischen und der Theke, zwei Dutzend Männer und ein paar Frauen hingen auf den Barhockern oder umringten Billardtische und Spielautomaten. Vor allem Afroamerikaner. Auch ein paar Latinos. Kaum ein Weißer.

Charly′s Little Corner – eine dreckige Spelunke im Süden der Bronx.

Tennessee Lee hatte sich an einen Ecktisch ganz hinten im Schankraum verzogen. Von hier aus hatte er einen guten Überblick. Er blätterte in der Daily News und lugte über den Rand der Zeitung, wenn neue Gäste die abgefuckte Bar betraten.

Die Uniform hatte er nach Dienstschluss ausgezogen. Lee trug Jeans und ein helles Jackett über blauem T-Shirt mit V-Ausschnitt. Er hatte sich an diesem Montag Buckleys Personalakte auf den Schreibtisch geholt. Und er hatte sich mit einem Informanten aus der Drogenszene in Verbindung gesetzt. Zum ersten Mal interessierte der Captain sich dafür, ob etwas dran war an den Gerüchten über den Sergeant.

Der V-Mann hatte sich gewunden, wollte nicht reden – offenbar stand er auf Buckleys Gehaltsliste. Lee hatte nicht lockergelassen und bekam immerhin den Tipp, dass der Sergeant in dieser Bar in der südlichen Bronx verkehrte. Einigermaßen regelmäßig. Und dass er sich hier mit Leuten treffen würde, die normalerweise nicht zum Bekanntenkreis eines Cops zählten.

Nach über einer Stunde betrat ein dunkelhäutiger Mann in die Bar – ein schlaksiger Bursche mit Rastahut, Sonnenbrille und bunten Hosen. Er tänzelte zu einem der Tische am Fenster, bestellte einen Kaffee und zündete sich eine Zigarette an.

Lee kannte den Mann nicht persönlich. Aber durch seine Zusammenarbeit mit den Kollegen von der Drogenfahndung wusste er, dass er wegen Dealerei vorbestraft war. Der Name wollte ihm ums Verrecken nicht einfallen.

Der Bursche trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte herum, rauchte Kette, und blickte immer wieder durch das Fenster auf die abendliche Straße hinaus.

Lee wunderte sich nicht einmal, als nach einer weiteren halben Stunde sein Sergeant die Bar betrat. In Lederkluft und den Motorradhelm unter dem Arm. Zielstrebig ging Buckley an den Tisch des dunkelhäutigen Kerls mit den bunten Hosen und setzte sich. Er sah sich nur flüchtig um in der Bar. Offenbar fühlte er sich zu Hause hier. Jedenfalls entdeckte er den Captain nicht.

Lee beobachtete die beiden aus den Augenwinkeln. Sie steckten die Köpfe zusammen und hatten allerhand zu plaudern. Nicht lange – vielleicht fünfzehn, zwanzig Minuten. Dann zog der Dealer einen Umschlag aus der Gesäßtasche und schob ihn über den Tisch. Buckley öffnete das Kuvert, warf einen flüchtigen Blick hinein und ließ es in seiner Lederjacke verschwinden.

Das war’s schon – der Kerl mit den bunten Hosen stand auf und ging.

Lee faltete die Zeitung zusammen, nahm sein Bierglas, und ging zu Buckley an den Tisch. „So′n Zufall, Buckley!‟ Er wandte sich zur Theke. „Zwei Bier!‟ Dem Sergeant fiel die große Kinnlade herunter.

„Wie geht’s denn so, Buckley?‟, grinste Lee.

„Bestens, Captain.‟ Buckleys Stimme klang brüchig. Er schluckte.

„Klar doch, wie soll’s einem sonst gehen – nach einem guten Geschäft!‟

Buckley wurde noch blasser, als er sowieso schon war. „Ich ... Sie werden′s nicht glauben, Captain ... ich ermittle privat ...‟

Er strich sich eine schwarze Haarsträhne aus dem schmalen Gesicht. Seine braunen Hundeaugen flackerten unruhig. Doch er fing sich schnell.

„Es ist ganz einfach zu erklären, Captain.‟ Er beugte sich über den Tisch und machte ein verschwörerisches Gesicht. „Ich mach′ Überstunden gewissermaßen, ehrlich, Captain. Der Typ da eben, ich will ihn wegen Dealerei kriegen ... ich dachte, das könnte sich bei meiner Beförderung auswirken ...‟

„Hören Sie auf, Buckley!‟ Lee musterte ihn spöttisch. „Als Märchenonkel gefallen Sie mir lange nicht so gut, wie als korrupter Cop.‟ Der Wirt brachte das Bier. „Prost‟, sagte Lee. Er trank. Buckley rührte sein Glas nicht an. Schweiß stand auf seiner Stirn.

„Wie viel kassiert man bei so einem Date, und was muss man dafür tun?‟ Lee sprach leise. Keine Spur mehr von Spott in seiner Miene.

„Hören Sie, Captain, ich ...‟

„Sparen Sie sich den Dienstrang – ich bin privat hier. Und ich frage aus rein privatem Interesse. Okay?‟

Buckley blinzelte ihn ungläubig an. „Ich versteh′ nicht, Sir ...?‟

„Ich habe Sie zur Beförderung vorgeschlagen, Buckley. Mit einer besonderen Empfehlung. Das Schreiben liegt in meiner Schublade. Morgen geht es an den Deputy.‟

Sekundenlang sahen sich an. Buckleys Adamsapfel tanzte auf und ab, seine Kiefermuskulatur arbeitete. Aus großen Augen versuchte er in Lees Miene zu lesen.

„Also‟, sagte Lee, „wie viel und wofür?‟

„So fünf-, sechshundert Dollar sind schon drin‟, flüsterte Buckley. „Pro Woche. Ich drück′ beide Augen zu, wenn′s drauf ankommt und schieb′ ab und an ein paar Neuigkeiten aus der Drogenabteilung über den Tisch.‟

Lee nickte langsam. „Und er ist nicht der Einzige, von dem Sie kassieren.‟

Buckley wich seinem Blick aus. „Ich bin auch nicht der einzige im Revier, der ...‟

„Ich will′s nicht wissen, Buckley‟, unterbrach Lee ihn. Er deutete auf Buckleys Bierglas. Der Schaum hatte sich fast aufgelöst. „Trinken Sie. Und erzählen Sie mir lieber von sich.‟

Zögernd griff Buckley nach seinem Glas. Er traute dem Frieden immer noch nicht ganz. Sie stießen an und tranken. „Was wollen Sie von mir, Lee?‟

„Vielleicht such′ ich einen Partner für Geschäfte nach Feierabend. Erzählen Sie.‟

Buckley erzählte. Stockend zuerst, aber er erzählte. Von seinen Schulden, von seiner Wettleidenschaft, von seinen Geschäften mit Dealern, Zuhältern und Autodieben.

Lee staunte nicht schlecht. Dass der Sergeant Dreck am Stecken hatte, hatte er geahnt. Aber das Ausmaß seines Doppellebens überraschte ihn doch. Buckley schien in der Unterwelt aktiver zu sein als im Revier.

„Wo sind Sie aufgewachsen, Buckley?‟, wollte er wissen. „Aus Ihrer Akte geht nur hervor, dass sie in Helena geboren sind.‟

„Wir haben Montana verlassen, als meine Mom starb. Ich war zwölf oder dreizehn, als mein Dad seine Farm verkaufte und einen Gemüseladen in Brooklyn kaufte.‟

„Sie sind auf einer Farm aufgewachsen?‟ Lee hatte so etwas läuten gehört, aber er wollte es genau wissen. „Sie können also mit Pferden umgehen?‟

„So gut wie mit Feuerstühlen, Captain.‟ Etwas wie Stolz flog über sein Gesicht. Lee betrachtete ihn schweigend.

„Und jetzt sind Sie an der Reihe, Captain‟, sagte Buckley irgendwann.

„Ich mach′s kurz, Buckley.‟ Lee sah sich um. Niemand in der Bar beachtete sie. Er beugte sich über den Tisch. „Ich steck′ gewaltig in der Klemme. Was ich brauche, und zwar schnell brauche, ist ein warmer Dollarregen.‟

Er senkte die Stimme. „Ich hab′ keine Lust auf Peanuts. Ich will mich nicht jahrelang mit Flickschusterei über Wasser halten, wie Sie. Einmal gut geplant zuschlagen, einen Batzen Geld verdienen, und Schicht. Alles andere wäre mir auf die Dauer auch viel zu gefährlich.‟

Er lehnte sich wieder zurück, trank sein Glas aus und bestellte noch einmal zwei Bier.

„An was denken Sie, Captain?‟ Buckley sprach zögernd.

„Hör endlich auf mit dem verdammten Captain‟, blaffte Lee.

„Denkst du an einen ...‟ Buckley unterbrach sich, weil der Wirt mit dem nächsten Bier kam. Sie warteten, bis der Mann wieder hinter seiner Theke verschwunden war. „… denkst du an einen Banküberfall oder etwas in der Art?‟, flüsterte Buckley.

Lee schüttelte den Kopf. „Kein Blutvergießen, keine Gewalt.‟ Er entfaltete die Zeitung und breitete sie vor Buckley aus. „Sieh dir die Schlagzeile an.‟

„Unbekannte erschießen zwei Polizisten und Jockey‟, las Buckley murmelnd. „Schweinerei‟, zischte er. „Ich hab′ einen der Jungs gekannt ...‟ Zweifelnd sah er Lee an. „Du musst schon etwas deutlicher werden ...‟

„Ich hab′ da neulich so eine Revolverstory gelesen‟, sagte Lee. „Über einen Pferdedieb – du kennst dich doch mit Pferden aus ...‟

7

Es wurde Abend, bis wir dazu kamen der „Steel Bones Convention‟ unseren Besuch abzustatten. Diesmal hatten wir Glück. Schwere Maschinen standen auf dem Bürgersteig und links und rechts der Hofeinfahrt.

Durch die bogenförmige Einfahrt gingen wir in den Hof. Hämmernde Musik dröhnte uns entgegen. Im Hof dann zehn, fünfzehn wilde Burschen mit struppigen Bärten und Mähnen. Die meisten trugen Lederklamotten – ärmellose Westen und enge Hosen mit Fransen oder seitlicher Beinschnürung.

Die Exoten wirkten wie Überbleibsel aus den siebziger Jahren. Kaum einer unter dreißig. Sie hockten auf ihren Maschinen, auf den Fenstersimsen vor offenen Fenstern, oder einfach auf dem brüchigen Betonboden des Hofes. Fast alle hielten sich an Bierdosen fest.

Einige ließen einen Joint hinter ihrem Rücken verschwinden, als wir auftauchten. Ein Ghettoblaster auf dem Müllcontainer sorgte für hämmernde Bässe - „Led Zeppelin‟ oder „Iron Maiden‟ oder sonst irgendeine urzeitliche Rockgruppe.

„Hey!‟, rief ein fetter Bursche mit Sonnenbrille und rotem Stirntuch. „Wen haben wir denn da?!‟

Die grauen Fransen hingen ihm von einer Halbglatze auf tätowierte Schultern herab. Eine verrostete Kette baumelte von seiner Hüfte. Sah schon exotisch aus, der Bursche.

„Lasst mich raten‟, röhrte er. „Ihr seid euren Müttern davongelaufen und sucht den Puff, hab′ ich recht?‟ Allgemeines Gegröle hallte von den Hausfassaden wider.

„Oder habt ihr vergessen, wo ihr euren Wagen geparkt habt?‟, rief ein anderer. Wieder Gelächter.

„Nicht, dass wir euch die Stimmung versauen wollen ...‟, Milo zückte seine Dienstmarke, „aber wir hätten da ein paar Fragen an euch.‟

Augenblicklich verstummte das Gelächter. „Bullshit‟, zischte einer, „Feds.‟

„Genauer gesagt, an drei von euch ...‟ Weiter kam ich nicht. Der Exot mit der Kette um den Bauch schwang sich durch ein offenes Fenster ins Haus hinein. Ein anderer Altrocker spurtete los in die Hofeinfahrt, ein langer Kerl mit einem sorgfältig geflochtenen Zopf. Er erinnerte mich an einen Wikinger. Milo hechtete durchs Fenster. Ich hängte mich an den anderen und rannte zurück auf die Straße.

Ein Motor brüllte auf. Der Wikinger hockte schon im Sattel. Ich wollte mich auf ihn stürzen. Keine Sekunde zu früh sah ich die abgesägte Schrotflinte in seiner Rechten. Ich hechtete mich zur Seite zwischen zwei parkende Autos. Der Schuss donnerte los – die Windschutzscheibe des Wagens hinter mir zersplitterte. Unser Dienstwagen …

Die Maschine heulte auf und schoss über die Bordsteinkante auf die Straße. Ich rollte mich aus meiner Deckung mitten auf die Straße und riss meine SIG aus dem Holster. Flach auf den Asphalt gepresst zielte ich auf das Rücklicht. Drei, viermal drückte ich ab. Die Maschine kam ins Schlingern, rutschte weg, und prallte gegen einen parkenden Wagen.

Ich sprang auf und spurtete los. Nicht ganz zweihundert Meter von mir entfernt rappelte der Blonde sich auf. Wie benommen tastete er nach seiner Schrotflinte. Sie lag mitten auf der Straße.

„Rühr das verdammte Ding nicht an!‟, brüllte ich. Ich blieb stehen und zielte auf ihn.

Der Kerl hörte nicht, oder war besoffen, oder wahnsinnig – jedenfalls bückte er sich nach seiner Waffe. Ich zog durch – die Flinte schlitterte unter ein parkendes Auto. Endlich kapierte der Wikinger und streckte die Arme in die Luft.

Ich verpasste ihm Handschellen. Die anderen „Steel Bones‟ hatten sich vor der Hofeinfahrt versammelt. Feindselige Blicke trafen mich, als ich den Blonden zum Dienstwagen brachte. Bald schleppte Milo den Exoten mit dem roten Tuch um die Glatze an. Der blutete aus der Nase. Es sah ganz so aus, als hätte auch Milo sich nur durch Gewalt verständlich machen können.

Wir verständigten die Cops des zuständigen Reviers. Die rückten mit einem Mannschaftswagen an und veranstalteten eine Razzia.

Zwei Stunden später hockten die beiden Steel Bones im Verhörraum unseres Kellergeschosses. Und schwiegen wie Grabsteine.

„Wie ihr wollt‟, knurrte Milo. „Wir haben Zeit.‟

Wir sperrten sie im Zellentrakt unseres Untersuchungsgefängnisses ein.

Es war schon elf, als ich an diesem Abend nach Hause kam. Ich schaltete das TV-Gerät ein. Bei CBS flimmerte Sarah Boyles Gesicht vom Bildschirm. Sie verlas die Elf-Uhr-Nachrichten – sachlich und aufgeräumt wie immer. Ich zappte sie weg, sprach ihr ein Friedensangebot auf den Anrufbeantworter.

Am nächsten Morgen das tägliche Meeting beim Chef. Wir trugen die mageren Ergebnisse von zwei Ermittlungstagen zusammen. Auch die Laborberichte lagen vor – der Bericht aus der Ballistik, ein langer Brief von Alexis Silas, dem Pathologen, und ein Dossier der Spurensicherung.

Sorgenfalten standen auf Jonathan McKees Stirn, während er die Berichte überflog.

„Keine Schmauchspuren an Boones Händen. Auch er ist aus nächster Nähe erschossen worden. Ohne sich wehren zu können.‟

„Also saßen die Täter in seinem Benz‟, sagte Clive.

„Und schossen von da aus auf die Cops.‟ Unser Chef schüttelte den Kopf. „Die Kollegen kamen nicht einmal dazu, nach ihren Dienstwaffen zu greifen.‟

„Nach dem Bericht des ballistischen Labors wurden Schüsse aus zwei Waffen abgegeben.‟ Milo reichte mir den Bericht. „Wir haben es also mit zwei Tätern zu tun.‟

„Die Cops waren auf dem Weg in eine Villa in Yorkville. Dort glaubte jemand, Einbrecher zu hören‟, sagte Leslie Morell. „Sie trafen also zufällig auf Boone und die Killer in seinem Wagen.‟

„Sag′ ich doch!‟ Orry sah mich an. „Wir können eure Motorradhelden vergessen – die Killer hatten Boone im Visier, nicht die Cops.‟

„Warum wollten die beiden dann flüchten?‟, fragte ich.

Die Antwort auf diese Frage lag am nächsten Morgen auf dem Tisch. Die „Steel Bones‟ waren in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Albany gesehen worden. Dort hatte es ein Rockkonzert gegeben. Eine Frau war vergewaltigt worden. Die Gegenüberstellung räumte jeden Zweifel aus: Der Wikinger und der Bursche mit dem roten Tuch waren die Täter. Immerhin etwas.

Die ganze Woche über durchleuchteten wir Bekanntenkreis und Privatleben des Jockeys. Und kamen keinen Schritte weiter. Und die ganze Woche über kein Anruf von Sarah …

8

Laureen hing ihrem Vater am Hals. „Danke, Daddy! Danke, danke, danke!‟

Rispoli genoss ihren Temperamentsausbruch. Sie standen in den Stallungen des Gestüts. Vor einer Pferdebox. Eine schwarze Stute äugte über das Gatter. An der brusthohen Tür auf einem Holzschild ihr Name: Blizzard.

„Wie hast du es nur geschafft, Herbie sein Lieblingspferd abzuschwatzen!?‟ Sie drückte ihre Wange an sein glattrasiertes Gesicht.

„Das war nicht besonders schwer.‟ Houston Rispoli wechselte eine verschwörerischen Blick mit Peter Gash. Der stand etwas abseits in der Nähe des offenen Stalltores. „Er hat ja niemanden mehr, der die Stute hätte reiten können.‟

Das war nur die halbe Wahrheit. Gash hatte Wayne Tydall mit ein paar Schlägern auf Geschäftspartner Buchanans angesetzt. Die Leute waren aus laufenden Projekten ausgestiegen, und der Immobilienmakler sah innerhalb einer Woche mehr Felle davonschwimmen, als er an geplatzten Geschäften sonst für ein ganzes Jahr einkalkulierte.

Das war letztlich ausschlaggebend – Rispolis Anwalt hatte den Preis auf unter hunderttausend Dollar drücken können. Durch eine Vertragsklausel, nach der Buchanan drei Jahre lang mit zwanzig Prozent an allen Siegesprämien beteiligt sein sollte, die Blizzard holen würde.

Die Klausel war keinen Cent wert – Rispoli hatte nicht vor, die teure Hannoveraner-Stute je wieder auf die Rennbahn zu schicken. Er konnte es sich leisten, seiner Tochter solch ein edles Spielzeug zu schenken.

„Ich werde sie ganz langsam an mich gewöhnen.‟ Laureen Rispoli ließ endlich ihren Dad los und legte Arme und Kinn auf die fast schulterhohe Boxentür. „Wir beide werden uns schon verstehen, oder?‟ Sie streckte die Hand aus und tätschelte den Hals der schwarzen Stute. Das Tier ließ es zu.

„Angeblich lässt der Gaul sich von niemand anderem reiten, als von Boone‟, mischte Gash sich ein. „Und der kann ihn bekanntlich nicht mehr reiten.‟ Er sprach ruhig und gedehnt wie immer. Fast gelangweilt.

„Das ist kein Gaul, Pete!‟ Eine Zornesfalte erschien zwischen Laureens Brauen. „Das ist eine edle Rassestute!‟

Der Stallmeister tauchte aus einer der Boxen auf. „Jedes Pferd lässt sich reiten‟, brummte der Mann, ein bulliger Bursche Ende dreißig, mit kahl rasierter Glatze und einem Kaiser-Wilhelm-Bart. „Man muss nur seine Freundschaft gewinnen.‟ Er blieb vor Laureen stehen. „Und so wie ich Sie einschätze, Madam, wird Ihnen das schnell gelingen.‟

„Danke, Sam‟, flötete Laureen. Ihre grünen Augen blieben einen Augenblick länger als nötig an dem vierschrötigen Gesicht des Stallmeisters hängen. „Siehst du!‟, giftete sie in Richtung Gash.

„Passen Sie gut auf das Prachtstück auf!‟ Rispoli drückte Sam Shooter einen Hunderter in die Hand.

„Ehrensache, Sir.‟ Der Stallmeister versenkte den Schein in der Brusttasche seines blauen Overalls.

Rispoli sah auf seine Uhr. „Ich hab′ einen Termin.‟ Er küsste seine Tochter zärtlich auf die Stirn. Zusammen mit Gash verließ er die Stallung. Mitten auf dem Hof des Gestüts stand sein Buick. Ramirez lehnte rauchend gegen die Fahrertür. Die beiden Leibwächter flankierten das Stalltor und plauderten mit Wayne.

„Geht schon mal zum Wagen‟, sagte Rispoli. „Wir fahren nach Manhattan.‟ Er wartete, bis die Männer sich entfernt hatten. Dann, an Gash gewandt: „Wann kommt der russische Champagner?‟ Gemeint war eine größere Lieferung automatischer Gewehre und Panzerfäuste aus St. Petersburg.

„Der Frachter legt heute Abend in Baltimore an‟, sagte Gash. „Unsere Leute sind schon vor Ort, die Transportwege liegen fest, die Händler sind informiert.‟

Rispolis rechte Hand hatte eine Organisation aufgebaut, deren Netz sich zwischen Baltimore, Houston, Los Angeles, Chicago und New York City spannte. In all diesen Städten besaß der Geschäftsmann Hotels. Nicht nur Waffen wurden dort in Kisten mit Gastronomiebedarf angeliefert.

„Schon alles verkauft?‟ Rispolis graue Brauen wanderten erstaunt nach oben.

„Fast die ganze Lieferung‟, sagte Gash gleichgültig. „Du weißt doch, auf wen du dich verlässt, wenn du mir einen Auftrag gibst, oder?‟

„Die Sache mit dem Jockey hast du verhauen, Pete‟, raunte Gashs Boss. „Vergiss das nicht. Aber ich lass mich gern wieder überzeugen.‟

Gash hielt dem Blick der eisgrauen Augen stand. „Wenn ich geschlafen hätte, würde dir der Gaul da drin jetzt nicht gehören, Houston. Und wenn ich geschlafen hätte, hättest du ihn nicht aus der Portokasse bezahlen können.‟

Rispoli schürzte die Lippen. Aus schmalen Augen musterte er den Mann, der den größten Teil seiner Geschäfte managte – den Mann, der es auf seine Tochter abgesehen hatte. Gash entging die Geringschätzung im Blick des Älteren nicht.

„Wie gesagt, Pete, ich lass mich überzeugen.‟ Rispoli wandte sich ab. Mit federndem Schritt lief er über den Hof auf seinen Wagen zu.

„Ich brauch′ noch ein Viertelstündchen‟, sagte Gash zu Wayne. „Warte hier draußen.‟ Der schwarze Hüne nickte.

Zurück im Stall sah Gash den Stallmeister und Laureen vor der Box der Stute stehen und plaudern. Laureen kicherte, weil der launige Kerl in dem blauen Overall einen Witz zum besten gab. Gash legte seinen Arm um Laureen. Seine kalten Augen schienen den Stallmeister aufspießen zu wollen.

„Stell dir vor, Pete, was Sam für eine tolle Idee hat.‟ Laureen schien mal wieder vor Begeisterung zu platzen. „Er meint, ich soll einfach ein paar Tage auf dem Gestüt übernachten und so oft wie möglich nach Blizzard sehen. Damit sie sich schneller an mich gewöhnt.‟

Gash hätte dem Stallmeister am liebsten in den Hintern getreten und Laureen diesen Plan schlichtweg verboten. Aber die Rispoli-Tochter hatte einen Dickschädel, an dem er sich schon zigmal die Zähne ausgebissen hatte. Sie ließ sich nichts verbieten. Also schwieg Gash.

Laureen boxte den Stallmeister freundschaftlich gegen die Schulter. „Und wissen Sie was, Sam? Vielleicht werde ich sogar bei ihr in der Box schlafen ...!‟

„Das würde ich mir aber zweimal überlegen, Madam ...‟

„Is′ okay, Shooter‟, unterbrach Gash. „Wir brauchen Sie jetzt hier nicht mehr.‟ Der vierschrötige Mann blitzte ihn an, drehte sich um und schaukelte an den meist leeren Boxen vorbei aus dem Stall. Das Tor donnerte hinter ihm ins Schloss.

„Warum bist du so unfreundlich zu ihm!‟, zischte Laureen.

„Du willst dich von ihm ficken lassen, stimmt′s?‟

„Du Hohlkopf! Ich will, dass er mein Pferd vernünftig betreut! Und du Idiot ...‟

Gash riss sie an sich und verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. Mit einem langen Kuss. Laureen Rispoli wehrte sich nur halbherzig. Sie war eine heißblütige Frau mit einem unglaublichen Hunger nach Sex. Seufzend schmolz sie in Gashs Armen dahin und drängte ihre Hüften an seine.

Rispolis Tochter kümmerte sich nicht um die Geschäfte ihres Vaters. Sie ahnte zwar, dass er seine vielen Dollars nicht nur durch Hotels, seine Spedition und an der Börse verdiente. Und sie ahnte auch, dass Gash mehr war, als nur ein ganz gewöhnlicher Privatsekretär. Aber sie wollte gar nicht wissen, was die Männer in Wirklichkeit trieben.

Die Sechsundzwanzigjährige bewegte sich traumtänzerisch in einer Welt aus Boutiquen, Segeltörns, Nachtclubs und Dinnerpartys. Sex und Pferde nicht zu vergessen. Einer Welt also, in der eine Durchschnittsfrau weder Lust noch Zeit zum Nachdenken hat.

Gashs routinierten Hände hatten ihre Bluse geöffnet. Er massierte ihre kleinen, festen Brüste.

„Nicht hier, Pete‟, stöhnte sie. „Wenn jemand hereinkommt ...‟ Die Stute äugte neugierig über die Boxentür.

Gash zog die Frau in die leere Nachbarbox. Gierig riss sie ihm die Hose herunter. Sie stieg aus ihrer Reithose, zog den Slip aus und packte ihn am Hals. „Nimm mich! Nimm mich schnell!‟ Mit beiden Beinen umschlang sie seine Hüften.

Etwas Brutales lag auf seinem Gesicht, als er in sie eindrang. „Wenn du dich von ihm ficken lässt, bring ich ihn um‟, flüsterte er.

Laureen liebte diesen grausamen Zug an ihm, sie liebte es, von diesem harten, leidenschaftslosen Mann gevögelt zu werden. Sie liebte Sex, der fast bis an die Schmerzgrenze ging.

Die schwarze Stute in der Nachbarbox legte den Kopf auf die Trennwand. Fast staunend betrachtete sie die beiden halbnackten Körper. Die zuckten und wanden sich, als hätte sie sich in tödlichem Kampf ineinander verbissen …

9

„Du willst schon gehen?‟ Nancy fuhr im Bett hoch und funkelte ihren Lover an. „Hey, Bulle! Soll das heißen, du hast mich nur für eine schnelle Nummer von der Straße gelockt?!‟ Ihre großen, dunklen Augen funkelten zornig.

Tennessee Lee stieg in seine schwarzen Leinenhosen. „Sorry, Baby – ich musste mich einfach mal wieder davon überzeugen, dass du mich noch liebst.‟

„Du bleibst bei mir heute Nacht!‟ Sie hob die Decke. Ihr schweißnasser, schwarzer Körper glänzte verheißungsvoll. „Ich lass mich nicht mit einem Mal abspeisen – komm wieder ins Bett!‟

„Es geht nicht, Baby – wirklich nicht.‟ Lee schlüpfte in seine Lederjacke. „Ich hab′ mir einen Haufen Arbeit mit nach Hause genommen. Die muss erledigt werden – sonst komm′ ich in Teufels Küche.‟

Nancy zeterte und überschüttete ihn mit Verwünschungen. Er kümmerte sich nicht darum. Hastig band er seine Turnschuhe zu und überprüfte den Inhalt seines Rucksacks: Stablampe, schwarze Leinensäcke, Taue, ein Bund Dietriche, der Schlüssel fürs Wochenendhaus, seine Dienstwaffe und der Brief – alles da.

Er ging zum Bett und küsste seine wütende Freundin auf den Mund. „Ich tu′s doch für uns, Baby.‟ Nancy verstummte. Sie spürte sein Herz klopfen, als er ihren Kopf an seine Brust presste. „Für uns drei.‟

Sie sah ihm ins Gesicht. Seine Augen flackerten unruhig. „Hast du Druck im Revier?‟, fragte sie besorgt.

„Kann man so sagen.‟ Er stand auf. „Hör zu, Nancy – ich habe eine große Bitte an dich.‟ Sie musterte ihn erwartungsvoll. „Wenn irgend jemand anruft und mich sprechen will, erzähl′ ihm, ich würde neben dir im Bett liegen und schlafen.‟

Ihre Augen wurden schmal. „Und wenn dieser Jemand verlangt, dass ich dich wecke?‟

„Dann sag ihm, ich hätte eine Flasche Whisky intus und sei so ansprechbar wie ausgeweideter Hirsch.‟

Sekundenlang musterte sie ihn schweigend.

„Stell′ mir keine Fragen, Nancy – versprich es mir einfach.‟ Sie nickte langsam. Lee schnappte sich seinen Rucksack und ging zur Tür.

„Tennessee?‟ Er drehte sich noch einmal nach ihr um. „Was tust du für uns drei?‟

„Alles.‟ Er zog die Tür hinter sich zu. Sekunden später hörte sie seine Schritte auf der Treppe. Sie sprang aus dem Bett und lief ans Fenster.

Unten auf der Straße sah sie ihn in den alten Chevrolet Blazer steigen, mit dem er gekommen war. Der Wagen scherte aus der Parklücke und verschwand aus ihrem Blickfeld. Die Straßenbeleuchtung flammte auf.

Schon als Lee mit dem Fahrzeug vorgefahren war, hatte Nancy ihn verwundert gefragt, wo er seinen Dodge gelassen hatte. Jetzt erst wurde ihr bewusst, wie ausweichend seine Antwort gewesen war.

Beunruhigt, und die kleinen Hände im Rastagebirge auf ihrem Kopf vergraben, ging sie zum Bett zurück. Sie hockte sich auf die Bettkante und griff nach der Dose mit den sauren Drops auf dem Nachttisch. Seit sie wusste, dass sie schwanger war, vertrieb sie die Lust auf Zigaretten mit dem süßen Zeug.

Für uns drei ... - dieser Satz von ihm schwirrte ihr im Kopf herum. Ein klebriges Gefühl kroch ihr den Hals hinauf auf die Zunge. Ein Gefühl, wie nach einem schlimmen Traum …

10

Die Büsche und Bäume entlang des Parkplatzes verschwammen zu konturlosen Schatten. Nach und nach wich die Dämmerung der Nacht.

Rasselnder Verkehrslärm und Scheinwerferkegel vom Cross Island Parkway her. Raymond Buckley blies den Rauch seiner Zigarette aus dem offenen Seitenfenster seines Oldsmobiles.

Auch die Umrisse der Leute in dem Wagen hundert Meter vor ihm, am Ende des Parkplatzes, waren nicht mehr zu erkennen. Ein Liebespaar. Kaum anzunehmen, dass sie dem Oldsmobile mit dem Anhänger auch nur die Spur von Aufmerksamkeit geschenkt hatten.

Buckley warf die Kippe aus dem Fenster und blickte auf seine Armbanduhr. Kurz nach zehn. Der Captain musste jeden Augenblick kommen. Buckleys Augen wanderten zum hundertsten Mal zum Seitenspiegel. Noch immer kein Scheinwerferpaar, das in den Parkplatz einbog.

Im Rückspiegel der Schatten seines Anhängers. Ein Pferdetransporter.

Sie hatten die Sache bis in die letzte Einzelheit durchgesprochen. Neun Tage lang. Nach Feierabend hatten sie sich in Lees Apartment in Harlem getroffen und über Karten und einem genau durchdachten Einsatzplan gebrütet. Als würden sie eine Großfahndung, eine Geiselbefreiung oder eine Razzia planen.

Buckley hatte Lee mit auf die Rennbahn genommen, hatte die Garage in dessen Wochenendhaus in Freeport inspiziert, Buchanans Geschäftsbeziehungen recherchiert und den Computer der Steuerbehörde angezapft, um dessen Vermögensverhältnisse auszuspionieren.

Der Brief aus zerschnittenen Zeitungsartikeln war fertig, die Kontakte mit Buchanan und die Lösegeldübergabe Schritt für Schritt geplant.

Es konnte eigentlich nichts schiefgehen.

Buckley war trotzdem nervös. Natürlich.

Er hatte schon alles Mögliche über die Bühne gezogen: Schießereien mit Bankräubern, wilde Prügeleien mit Gangs, halsbrecherische Motorradrennen auf den nächtlichen Straßen der Bronx, Drogengeschäfte mit Großdealern, und konspirative Treffen mit den Führungsleuten des organisierten Verbrechens. Aber ein Pferd zu klauen – das war eine neue Erfahrung.

Buckley sah wieder in den Seitenspiegel. Noch immer kein Scheinwerferkegel, der aus dem stark befahrenen Cross Island Parkway in den Parkplatz abbog. Er zündete sich die nächste Zigarette an.

Wenn man’s genau bedachte, war so ein Pferdediebstahl geradezu läppisch gegen das Meiste, womit er sonst so seine Dollars verdiente.

Buckley schmunzelte. „Du gehst in einen Stall, holst einen bestimmten Gaul heraus, transportierst ihn in ein Versteck, schickst den Brief an Buchanan und kassierst Lösegeld. Das war’s schon. Irgendwelche Probleme?‟

Der Captain allerdings ... Lee schien ihm nicht der Allercoolste zu sein.

Scheinwerfer leuchteten im Seitenspiegel auf. Ein Wagen fuhr auf den Parkplatz. Langsam rollte er an Buckleys Oldsmobile vorbei. Der Chevrolet Blazer! Buckley hatte ihn in der Bronx oben gemietet. Statt zu stoppen, rollte er weiter.

„Bullshit!‟, fluchte Buckley. Lee hatte Angst wegen des zweiten Fahrzeuges auf dem Parkplatz. Anders konnte der Sergeant sich nicht erklären, warum Lee weiterfuhr. Er wollte jedes Risiko vermeiden.

„Von mir aus.‟ Buckley startete den Motor und folgte dem Jeep auf den Parkway.

So war er eben, der Captain. Hatte die ganze Sache bis in die feinste Einzelheit geplant, als müsste er gegen eine Spezialeinheit der Marines antreten. Idiotisch. Aber gut – er hatte keine Erfahrung auf der anderen Seite des Gesetzes. Und er hatte eine Menge zu verlieren.

Buckley hielt sich dicht hinter Lees Chevrolet. Nach knapp zehn Minuten setzte der den Blinker nach rechts und bog in den nächsten Parkplatz ein. Hier waren sie allein.

Sie kuppelten den Anhänger ab und hängten ihn an den Chevrolet. Auch den Pferdewagen hatte Buckley besorgt. Bei einem großen Gebrauchtwagenhändler in Brooklyn.

Buckley ließ sein Oldsmobile stehen und setzte sich neben Lee auf den Beifahrersitz des Mietwagens. „Du kommst spät.‟

„Meine Frau konnte nicht genug kriegen.‟ Lee steuerte den Chevrolet Richtung Long Island.

„Ich dachte, du bist geschieden.‟

„Stimmt. Aber ich hab′ ′‚ne Freundin in Harlem. Bin heute bei ihr abgestiegen. Sie wird bezeugen, dass ich die ganze Nacht besoffen neben ihr gelegen bin.‟ Er wandte kurz den Kopf und musterte Buckley. „Und du? Was für ein Alibi hast du?‟

„Ein Konzert im Madison Square Garden.‟ Buckley ballte die Faust und zeigte Lee den Stempel auf seinem Handrücken. „Wu-Tang. Ich hab dafür gesorgt, dass ein paar Kumpel mich gesehen haben. Morgen organisier′ ich mir den Mitschnitt.‟

Lee nickte befriedigt.

Sie fuhren den Parkway aus Queens hinaus und bogen in die Interstate 495 ab. Je weiter östlich sie kamen, desto weniger Verkehr herrschte auf dem Highway. Nur noch vereinzelte Scheinwerfer kamen ihnen entgegen.

In Jericho verließen sie die 495 und nahmen die Oyster Bay Road Richtung Norden. Keine zwei Meilen, und sie erreichten den Bezirk Muttontown.

Im Mondlicht zeichneten sich die Konturen der Baumwipfel ab. Bald fuhren sie durch ein ausgedehntes Waldstück. Dahinter dann die großen Weideflächen.

Sie hatten das Gelände in den letzten Tagen sorgfältig ausgekundschaftet. Nach Dienstschluss waren sie dreimal von Harlem aus hier herausgefahren. Auf einer von Buckleys Maschinen. Glücklicherweise war der Sommer schon so weit fortgeschritten, dass es lang genug hell blieb.

Jetzt aber war es dunkel, und man sah nicht einmal die Dachkonturen des Gestüts.

„Mach langsam‟, sagte Buckley, „sonst verfehlen wir die Einmündung.‟

Lee drosselte die Geschwindigkeit. Buckley musterte ihn von der Seite. Er konnte in der Dunkelheit keine Einzelheiten des Gesichtes ausmachen. Mit seinem Schnurrbart erinnerte das Profil des Captains an das eines freundlichen Seehundes. Aber Buckley spürte die Anspannung, die von seinem Partner ausging.

Endlich die Einmündung des Feldweges, der über die Weiden zum Gestüt führte. Lee schaltete die Scheinwerfer aus und bog in den Fahrweg.

Nach etwa zweihundert Meter stoppte er den Wagen. Buckley stieg aus. Er brauchte nicht einmal zwei Minuten, um die Nummernschilder des Chevrolets und des Anhängers abzuschrauben. Er warf sie in den Fußraum des Fahrzeugs und zog die Tür zu. „Der Countdown läuft, schätz′ ich.‟

Lee fuhr weiter. Er starrte durch die Windschutzscheibe in die Dunkelheit. Die Umrisse von Gebäuden wurde sichtbar.

„Noch einmal, Buck‟, flüsterte er. „Keine Gewalt. Die Waffe nur, um zu drohen. Notfalls ein gezielter Fausthieb, weiter nichts.‟

Buckley verdrehte die Augen. „Wir haben das zigmal durchgekaut, Lee – keine Gewalt, die Waffe nur als Drohmittel, im alleräußersten Notfall ein Klaps – aye, aye, Captain ...‟