Toby und Sox - Vikky und Neil Turner - E-Book
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Vikky und Neil Turner

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Beschreibung

Toby hat Autismus - sein Hund Sox veränderte sein Leben

Kate und Neil Turner hatten sich immer vier Kinder gewünscht. Und sie machten ihren Traum wahr. Doch bald mussten sie feststellen, dass ihr viertes Kind Toby "anders" war. In der Vorschule dann die niederschmetternde Erkenntnis: Toby hat Asperger-Autismus. Die ganze Welt ist zu laut, zu grell, zu hektisch für den hochintelligenten und hochsensiblen Jungen. Sie macht ihm Angst. Und wenn Toby Angst bekommt, rastet er aus. Als er anfängt, sich selbst und andere zu verletzen, als er gar von Selbstmord redet, wissen seine Eltern nicht mehr ein noch aus. Doch dann erfahren sie von der Möglichkeit, einen Assistenzhund für ihren Sohn zu bekommen. Und als der Labrador-Mix Sox endlich in die Familie einzieht, ändert sich alles ...

"Ich fühle mich einfach besser, jetzt wo Sox da ist. Davor hatte ich kaum noch die Kraft weiterzuleben. Dann trat Sox in mein Leben. Es fühlt sich so an, als wären unsere Herzen miteinander verbunden - ich habe ihn so lieb."

Toby


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Seitenzahl: 318

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungPrologEine FamilienangelegenheitAndersEchte FreundeEin schlechter RufDas ist nicht fairWir müssen etwas tunDunkle ZeitenNeue EntdeckungenDie DiagnoseEs muss sich etwas ändernZu weit gegangenEin denkwürdiger WinterEs kann nur noch besser werdenSo geht es jedenfalls nichtHunde mit ZauberkräftenEin wirklich ganz besonderer HundKein HappyendEin Hund namens SoxSchultageEndlich zu HauseEin absolut großartiger TagDas letzte WortDank

Über dieses Buch

Vikky und Neil Turner hatten sich immer vier Kinder gewünscht. Und sie machten ihren Traum wahr. Doch bald mussten sie feststellen, dass ihr viertes Kind Toby »anders« war. In der Vorschule dann die niederschmetternde Erkenntnis: Toby hat Asperger-Autismus. Die ganze Welt ist zu laut, zu grell, zu hektisch für den hochintelligenten und hochsensiblen Jungen. Sie macht ihm Angst. Und wenn Toby Angst bekommt, rastet er aus. Als er anfängt, sich selbst und andere zu verletzen, als er gar von Selbstmord redet, wissen seine Eltern nicht mehr ein noch aus. Doch dann erfahren sie von der Möglichkeit, einen Assistenzhund für ihren Sohn zu bekommen. Und als der Labrador-Mix Sox endlich in die Familie einzieht, ändert sich alles …

Über die Autorin

Vikky Turner arbeitete zunächst als Erzieherin an der örtlichen Schule. Sie entschied sich jedoch dazu, eine Auszeit zu nehmen, um mehr für ihren Sohn Toby da zu sein, der an Asperger-Autismus leidet. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren vier Kindern und dem Hund Sox in Oxfordshire.

Vikky und Neil Turner

Toby und Sox

Wie ein Labrador einem autistischen Kind das Leben rettete

Aus dem Englischen von Marie Henriksen

BASTEI ENTERTAINMENT

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © Neil and Vikky Turner, 2016

First published as Toby and Sox by Ebury Press, an imprint of Ebury Publishing. Ebury Publishing is a part of the Penguin Random House group of companies.

Extracts from Dogs for Good website Copyright © Dogs for Good, formerly Dogs for the Disabled, 2015

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung eines Motives © shutterstock: Tania Kolinko

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325- 4790-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Sox, der unser Leben verändert hat.

»Von Zeit zu Zeit tritt ein Hund in dein Leben und verändert alles …«

Prolog

In dem Sommer, als ich sechzehn war, verliebte ich mich Hals über Kopf. Der Glückliche hatte wunderschöne weiße Zähne und liebte Ballspiele, und so wie er mich mit seinen dunkelbraunen Augen anschaute, wusste ich, er würde mich nie enttäuschen und immer für mich da sein. Er war wunderbar, sehr sportlich und liebte jede Art von Spaß, und ich hätte sein glänzendes blondes Haar stundenlang streicheln können.

Er hieß Dusty und war ein Golden Retriever.

Er gehörte einem jungen Mann namens Neil Turner, und ich sollte wohl fairerweise anmerken, dass ich zumindest am Anfang mehr an dem Hund interessiert war als an dem Mann. Ohne diesen wunderbaren treuen Hund hätten Neil und ich vielleicht nie zusammengefunden.

Das war das erste Mal, dass ein Hund mein Leben veränderte – oder besser gesagt, rettete.

Und es war nicht das letzte Mal.

Eine Familienangelegenheit

»Du erinnerst dich doch sicher an Neil, Vikky.«

Ich saß auf Mrs. Turners Sofa, die Katze Sophie auf dem Schoß, und kraulte Dustys seidenweiche goldene Ohren. Dusty saß treu und brav neben mir. Die Turners waren alte Freunde unserer Familie, eine Freundschaft, die entstanden war, als Mrs. Turner, die meine Grundschullehrerin gewesen war, mich einmal hatte nachsitzen lassen, als ich zu viel geschwätzt hatte. Meine Mutter und sie hatten bei einem nachmittäglichen Treffen über meine Neigung zur Plaudertasche gesprochen. Und aus diesem unwahrscheinlichen Szenario hatte sich eine Freundschaft ergeben. Als Kind hatte ich manchmal mit Neil, dem Sohn der Turners, im Garten Fußball gespielt, während unsere Mütter sich unterhielten. Aber Neil war ein paar Jahre älter als ich, und ich hatte ihn eine ganze Weile nicht mehr so richtig gesehen. Ich erinnerte mich, dass er im Schulbus Aufsicht geführt hatte, ein freundlicher, ruhiger Junge, der einmal, als sich ein Mädchen verletzte, sofort aufstand und sagte: »Ich trage sie nach Hause.« Und genau das tat er dann auch. Er hatte ein Herz aus Gold, aber seit er auf die weiterführende Schule ging, hatte ich ihn aus den Augen verloren.

Jetzt erkannte ich ihn kaum wieder. Er war achtzehn, ein richtiger Mann. In diesem Sommer 1988 kam er in Tennissachen ins Wohnzimmer seiner Eltern, langbeinig und sportlich, und schien irgendwie den strahlenden Sonnenschein von draußen mit hereinzubringen. Seine braunen Haare waren ein wenig zerzaust, und sein jungenhaftes Lächeln schloss seine grünen Augen ein. Und dieses Lächeln galt mir, die ich da auf dem Sofa saß. Er schien genauso erstaunt über das, was er sah, wie ich es gewesen war. Inzwischen war ich sechzehn und sah überhaupt nicht mehr aus wie das linkische Schulmädchen aus dem Bus. Meine braunen Haare waren halblang geschnitten, ich hatte mir ein paar Teenager-Kurven zugelegt, und jetzt lächelten wir uns erst mal an, bevor ich den Blick senkte und meine Aufmerksamkeit wieder Dustys Hängeohren widmete. Ich spürte, wie mein Herz klopfte, als wäre ein unmittelbarer Kontakt hergestellt worden, dessen Kraft mich etwas beunruhigte. So etwas wie Liebe auf den ersten Blick.

Dusty neben mir hechelte, strahlte mich mit seinem ganzen Hundegebiss und seiner langen rosa Zunge an und schien mir mit jedem Atemzug Mut machen zu wollen.

Trotzdem, ohne meinen kleinen Bruder Nicholas wäre es wohl bei dem flüchtigen Blick auf Neil in seinen Tennisklamotten geblieben. In diesem Sommer hatte ich die Prüfungen zur Mittleren Reife hinter mich gebracht, und vor mir erstreckten sich lange, leere, heiße Monate – faulenzen und lange schlafen waren angesagt. Da ich aber eine brave große Schwester war, stand ich jeden Morgen auf und brachte Nicholas zur Haltestelle des Schulbusses. Mein Bruder war vier Jahre jünger als ich und besuchte eine Sonderschule, weil er Lernschwierigkeiten hatte. Seit seiner frühen Kindheit hatte er spezielle Hilfen gebraucht. Auch von mir, denn ich war die Einzige, die ihn dazu brachte, wenigstens einen Teil seiner Hausaufgaben zu machen. Wir saßen zusammen am Küchentisch, wenn er mit den Buchstaben und Zahlen kämpfte. Und ich brachte ihn eben morgens zum Schulbus.

Nun zeigte sich, dass Neil meine täglichen Wanderungen zur Haltestelle sehr wohl wahrgenommen hatte. Und weiter zeigte sich, nachdem wir unsere Bekanntschaft im Wohnzimmer seiner Eltern aufgefrischt hatten, dass er ganz zufällig immer dann mit seinem Hund spazieren ging, wenn ich mit Nicholas zur Bushaltestelle marschierte. Und dass wir uns ganz zufällig trafen. (Später beichtete Neil mir, dass er und Dusty immer im Kreis gelaufen waren, um mir irgendwie zu begegnen.)

Letztlich lief es immer auf dieselbe Weise ab. Dusty kam angesprungen, wedelte mit dem Schwanz und grinste übers ganze Hundegesicht. Er war ein wirklich lieber, reizender Hund. In seinem Kopf bestand die Welt aus 53 Millionen Freunden, die er noch nicht kennengelernt hatte, und jeder Spaziergang war eine neue Chance dazu. Ich begrüßte ihn also überschwänglich, und dann ließ ich meinen Blick die Leine entlang nach oben wandern, wo Neil stand und geduldig wartete, dass wir fertig waren, mit einem scheuen Lächeln auf den Lippen. Und dann fragte er mich, ob ich ein Stück mit ihnen gehen wollte, und unsere Schritte stimmten sich ganz automatisch aufeinander ein, während Dusty vorauslief. Wir umrundeten immer wieder das kleine Dorf, in dem wir lebten, Scraptoft in Leicestershire, bis wir jeden Schritt kannten wie unsere Westentasche. Und wir redeten und redeten, während die Sommersonne uns wärmte.

Die Verbindung, die ich im Wohnzimmer seiner Eltern gespürt hatte, war immer noch da. Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick, anders kann man es nicht erklären. Es war einfach so. Und bei unseren Gesprächen stellten wir fest, dass wir ähnliche Ziele und Werte hatten und dass wir uns richtig gut verstanden. Wir hatten nie Streit, und wenn wir uns nicht sahen, vermissten wir einander ganz schrecklich. So sehr, dass wir wussten, wir sollten eigentlich zusammen sein. Für mich war das ganz klar. Wir gehörten zusammen. Für immer, einfach so.

Und so verabredeten wir uns und warben ganz altmodisch umeinander. Ich sah ihm beim Tennis und allen möglichen anderen Sportarten zu und erzählte ihm von der Ausbildung, die ich ab September machen würde. Ich hatte einen Platz als Unterrichtsassistentin in einer Mädchenschule bekommen und sah das als ersten Schritt in Richtung Betreuungsarbeit mit Kindern an. Denn mit Kindern arbeiten wollte ich unbedingt. Ich liebte Kinder, und mein Zusammenleben mit Nicholas hatte mich sicher auch dazu inspiriert.

Neil berichtete mir seinerseits von seinen eigenen Plänen. Er würde zu Anfang des Studienjahres an die Universität Leeds gehen, um dort ein dreijähriges Studium zum Elektroingenieur zu beginnen. Drei Jahre – das kam mir furchtbar lang vor, und Leeds war ja auch schrecklich weit von Scraptoft entfernt. Aber wir kriegten es hin. Jedes zweite Wochenende fuhr ich nach Leeds und besuchte ihn, und unsere junge Beziehung blühte weiter, so schwierig es auch war und so sehr ich ihn vermisste.

An einem Winterwochenende Anfang 1989 – Neil studierte im zweiten Semester – ging wieder einmal ein Besuch in Leeds dem Ende entgegen. Wie alle Sonntagabende zu dieser Zeit war unsere Stimmung trübe. Ich war ganz verzweifelt angesichts der Vorstellung, jetzt wieder ohne ihn sein zu müssen.

»Ich will nicht nach Hause«, schluchzte ich.

Neil schaute mich mit einem seltsam ernsten Blick an, den ich nicht erwartet hatte. »Dann heirate mich«, sagte er geradeheraus.

Dieser Antrag war eine ziemliche Überraschung, und wir beließen es dabei, als wäre es eher ein Scherz gewesen. Aber seine Worte schienen sich in der kalten Luft zu materialisieren wie ein Versprechen, dass zum Greifen nahe war. Und ein paar Tage später am Telefon fragte ich ihn danach.

»Hast du das wirklich ernst gemeint?«, sagte ich, und die Hoffnung schnürte mir die Kehle zu.

»Klar«, erwiderte er sachlich und so gut geerdet wie immer.

Ich atmete tief durch. »Dann sage ich Ja«, erklärte ich ihm.

Schon am folgenden Wochenende kauften wir die Ringe. Ich war siebzehn, was mir im Rückblick ziemlich jung erscheint, aber ich war mir so sicher – nie vorher und nie nachher war ich mir in irgendeiner Angelegenheit so sicher. Er kaufte einen wunderschönen Verlobungsring für mich, einen hellblauen Saphir mit kleinen Diamanten rundherum, und den Rest seiner Studienzeit in Leeds waren wir nun also verlobt. Neil machte seinen Abschluss, ich absolvierte nach dem ersten Jahr an der Schule einen zweijährigen Kurs zum Thema Begleitung von Kindern, wie geplant. Im Sommer 1991 waren wir beide fertig, und dann machten wir erst einmal viereinhalb Wochen Ferien in Frankreich und lebten nur von Luft und Liebe.

Als der Sommer zu Ende ging, zogen wir ganz selbstverständlich zusammen, nicht nur aus finanziellen Gründen und auch nicht nur, weil wir noch mehr zusammen sein wollten. Meine Familienverhältnisse waren nicht ganz einfach, mein Vater war Alkoholiker, depressiv und selbstmordgefährdet. Neil wusste, was bei uns zu Hause los war, und er beschützte mich auf vielerlei Weise, indem er mich dort wegholte. Zu dieser Zeit war es zu Hause besonders schlimm, und ich wusste, Neil wollte mich aus der Situation retten. Ich war damit aufgewachsen und hielt mich für zäh und widerstandsfähig, aber für ihn war klar, dass ich tief im Inneren immer wieder verletzt wurde. Wir hatten beide das Gefühl, eine eigene Wohnung wäre ein Schutzraum nicht nur für mich, sondern auch für meine Mutter und meinen kleinen Bruder, falls es nötig wäre. Also musste ich ausziehen.

Neil hatte ein Stipendium von einer Firma für Elektronik und Software erhalten, um sein Studium zu finanzieren, und diese Firma bot ihm jetzt nicht nur einen Job an, sondern auch ein »Umzugspaket«, das den Kauf eines Hauses sehr erleichterte. Und schließlich schaut man einem geschenkten Gaul nichts ins Maul. Neils Vater half uns mit dem Eigenanteil für die Finanzierung, meine Eltern kauften uns ein Bett, und von Freunden bekamen wir eine Essgruppe und zwei Sessel. Die Menschen in unserer Umgebung waren so großzügig, dass wir am Ende immer scherzten, der Einzug ins eigene Haus hätte uns nicht mehr gekostet als die 15 Pfund für den gebrauchten Kühlschrank.

Es war eine Doppelhaushälfte mit einem halbrunden Erker in Leicester, drei Schlafzimmern und ein Traum – oder besser: ein Albtraum – für Heimwerker. Wir zogen kurz vor Weihnachten 1991 ein. Ich hatte noch nie eine solche Kälte erlebt. Wir hatten keine Heizung und eine Außentoilette. Unser Bett heizten wir mit einem Haarföhn unter der Decke auf, und an der Innenseite der Fenster bildeten sich Eisblumen. Egal, es war ein Zuhause, unser erstes eigenes Zuhause. Und deshalb wird es in meiner Erinnerung immer etwas Besonderes sein.

Weil ich ein großer Familienmensch bin, dachte ich sofort an ein Baby – oder ein paar Katzen. Zunächst lief es auf die Katzen hinaus, zwei rote Katzenmädchen namens Meg und Tarragon, die wir »Taz cat« nannten. Sie waren Schwestern, sahen aber überhaupt nicht so aus. Ich vermute, wir hatten die größte und die kleinste aus dem Wurf bekommen. Meg war ein mageres kleines Ding, Taz dagegen war riesig. Als wir sie bekamen, waren sie fast wild – sie kamen aus dem Tierschutz – und verbrachten die meiste Zeit in einem Versteck unter dem Fernseher. Aber eines Tages, als ich frei hatte und sie herauslocken konnte, gelang es mir, sie mit sehr viel Zärtlichkeit zu zähmen. Als Neil nach Hause kam, lagen sie beide auf meinem Schoß, und von diesem Tag an waren wir unzertrennlich.

Die Katzen waren völlig verrückt. Ich musste mitten im Zimmer frühstücken, denn wenn ich mich irgendeinem Möbelstück näherte, kletterten sie darauf und sprangen von dort aus auf meine Schulter. Dort richteten sie sich dann häuslich ein und gingen auch nicht runter, wenn ich zur Arbeit musste. Neil und ich bauten das halbe Haus um, rissen Wände ein und bauten ein Bad in eins der Schlafzimmer ein, sodass wir nicht mehr das Außenklo benutzen mussten. Und die ganze Zeit lag Meg auf meiner Schulter. Ich bohrte mit dem Schlagbohrer Löcher in die Wand, den Bohrer in der einen Hand und Meg auf der Schulter wie der Papagei eines Piratenkapitäns.

Außerdem waren die beiden auch ein gutes Team. Meg ging raus und fing riesige Motten, die sie dann hereinbrachte und ihrer Schwester zeigte. Die fraß die Beute auf und schickte Meg gleich wieder los. Taz fraß nämlich im Grunde genommen immer. Irgendwann war sie so groß, dass wir eine Klappe für kleine Hunde einbauen mussten, damit sie rein und raus kam. Wir setzten sie auf Trockenfutterdiät, aber sie zog los und suchte sich ihr Futter selbst. Irgendwo fand sie immer jemanden, dem sie eine Dose Katzenfutter abschmeicheln konnte.

Die beiden waren wirklich wunderbar! Dusty war bei Neils Eltern geblieben, die Katzen waren also unsere einzigen »Kinder« und wurden umso mehr geliebt.

Im Januar 1993, ein paar Monate nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag, brachte sich mein Vater um. Es überraschte uns nicht, aber ein Schock war es trotzdem. Und so war er dann auch bei unserer Hochzeit am 22. Mai 1994 nicht mehr dabei. Eigentlich hatten wir eine kleine Hochzeit geplant, aber mein Dad hatte sich immer ein großes Familienfest gewünscht. Am Ende nahmen wir einen Teil des Geldes, das er mir hinterlassen hatte, und feierten genau das Fest, das er sich für uns gewünscht hatte. Wie gern wäre er mit mir den Mittelgang entlanggegangen – jetzt übernahm Mum seine Rolle.

Während der Vorbereitungen für die Hochzeit besuchte ich eine Wahrsagerin oben in Yorkshire, die nichts über uns wissen konnte. Trotzdem beschrieb sie mein Hochzeitskleid ganz genau, das doch nur Mum und ich gesehen hatten. Und sie sagte zu mir: »Dein Dad wird dabei sein.« Und das glaube ich auch bis heute. Als ich in meinem cremefarbenen Seidenkleid von Ronald Joyce mit dem elfenbeinfarbenen Schleier durch die Kirche von Scraptoft auf den Altar zu ging, umgeben von sämtlichen Dorfbewohnern, die sich in die Kirche gequetscht hatten, war er bei mir. Er war auch da, als Neil und ich uns im sonnendurchfluteten Altarraum die Treue versprachen. Neil trug eine sehr schöne burgunderrote Weste zum dunklen Cut. Dad war auch da, als wir nach der Zeremonie eine Kerze für ihn anzündeten und als uns alle Familienmitglieder gratulierten. Es war einer der glücklichsten Tage in meinem Leben.

Neil und ich hatten immer eine große Familie haben wollen. Darüber sprachen wir oft. Obwohl wir beide nur je ein Geschwister hatten – Neil hat eine ältere Schwester –, wünschten wir uns beide viele Kinder. Ich wollte eine gerade Zahl, Neil hatte sich eigentlich auf fünf festgelegt. Also dachten wir, vier wären ein guter Kompromiss.

Angesichts dieser großen Pläne war es vielleicht ganz gut, dass ich im Herbst 1996 ganz unverhofft schwanger wurde, trotz Pille und aller möglichen Vorbehalte. Als wir es erfuhren, waren wir sehr glücklich. Man kann irgendwie immer dasitzen und sagen, wir können es uns nicht leisten, wir haben gar keine Zeit dafür, es ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt und so weiter. So war uns die Entscheidung aus der Hand genommen, und das war auch gut so. Alle drei zukünftigen Großeltern waren begeistert – es würde ihr erstes Enkelkind sein.

Während der Schwangerschaft lag ich abends immer auf dem Sofa, und Taz lag auf meinem Bauch wie eine warme rote Decke. Wenn das Baby trat, sprang sie herunter und schaute meinen Bauch fragend an, kletterte dann aber sofort wieder hinauf. Vom ersten Moment an liebten wir dieses kleine Wesen, das in mir heranwuchs, wirklich sehr.

Unsere Tochter Lauren wurde am 13. August 1997 geboren, drei Wochen zu spät, und es war weiß Gott keine leichte Geburt. Die Wehen mussten eingeleitet werden, ich verbrachte einen ganzen Tag im Kreißsaal, und wir brauchten nicht nur die Saugglocke, sondern auch noch die Geburtszange, aber als alles vorbei war und ich das Neugeborene im Arm hielt, sagte ich zu Neil: »Ich würde es sofort wieder tun.« (Da schaute er mich allerdings wirklich verwirrt an, muss ich zugeben.) Und Lauren war wirklich jede Mühe wert. Sie schrie schon, bevor sie ganz draußen war – kein Wunder nach dem ganzen Theater – aber als sie dann auf meiner Brust lag und ich zu ihr sagte: »Na komm Lauren, jetzt reicht’s«, hörte sie einfach auf, beruhigte sich ganz schnell und schlief erst mal zwölf Stunden lang. Man konnte sehen, dass sie richtig nachdachte, als sie mich hörte. Die Stimme kenne ich, dachte sie, schmiegte sich in meine Arme und schlief ein.

Ich erinnere mich, dass ich sie ansah, wie sie so friedlich in meinen Armen lag und tief und fest schlief. Sie hatte einen pechschwarzen Haarschopf und war einfach wunderbar. Ich erinnere mich auch, dass ich ihr ihren Namen sagte: Lauren Turner. Den hatten wir ausgesucht, weil wir fanden, dass er stark klang. Dieser Name auf einem Schild an einer Bürotür – diese Lauren Turner konnte es mit der ganzen Welt aufnehmen. Mein kleines Mädchen, 3544 Gramm schwer.

Ich war unheimlich gern Mutter, vom ersten Tag an. Neil arbeitete inzwischen als freiberuflicher Softwareingenieur in der Luftfahrtindustrie und verdiente fast das Doppelte wie vorher, und so hatte ich das Glück, nach Laurens Geburt nicht gleich wieder arbeiten zu müssen, sondern mich ganz und gar auf mein Baby konzentrieren zu können. Durch meine Ausbildung kannte ich die wichtigsten Entwicklungsschritte, und Lauren legte jedes Mal mindestens eine Punktlandung hin, in vielen Fällen war sie sogar früher dran als der Durchschnitt. Sie lächelte und kicherte, und ich redete sehr viel mit ihr, während Taz mir um die Beine strich und das neue Familienmitglied bestaunte. Meg war zu diesem Zeitpunkt leider schon nicht mehr da. Sie war tragischerweise von einem Auto überfahren worden. Aber die riesige Taz war immer um mich und gab mir in dieser Zeit sehr viel Sicherheit. Sie schien immer weise zu nicken und stand mir stets zum Kuscheln zur Verfügung, wenn ich Lauren ins Bett gebracht hatte.

In Laurens erstem Frühling erzählte ich der Kleinen alles über das neue Haus, in das wir ziehen würden. Ihr Daddy und ich hatten uns in dieses Haus richtig verliebt, erzählte ich ihr begeistert und beschrieb das schöne Reihenhaus mit den vier Schlafzimmern, das bald unser Zuhause sein würde. An unserem vierten Hochzeitstag zogen wir ein. Das Haus lag auf der anderen Seite von Leicester, nicht weit vom größten Marks & Spencer in England entfernt. (Kein Wunder, dass es uns so gut gefiel!)

Lauren gedieh auch nach unserem Umzug prächtig. Sie fing früh an zu sprechen, und als sie anderthalb Jahre alt war, sprach sie fließend und in ganzen Sätzen. Sie war eine ebensolche Plaudertasche wie ihre Mum und schon früh sehr selbstständig. Bald darauf hatte ich Neuigkeiten für sie: Es würde ein Geschwisterkind zum Spielen geben.

Joe war auch nicht geplant, aber auch er war uns sehr willkommen. Am 26. Januar 2000 wurde er geboren, ein Riesenbaby von 4366 Gramm, und auch er hatte dichte schwarze Haare auf dem Kopf. Und Hunger hatte er. Du lieber Himmel! Er trank ständig, und wenn er nicht trank, dann schrie er. Er war ein echtes Arbeitsbaby, das kann man nicht anders sagen.

Allerdings vermute ich, dass er einfach Bewegung brauchte. Als er nämlich drei Monate alt war und endlich herumrollen konnte, wurde er viel glücklicher und ruhiger. Ein paar Wochen, nachdem er zu rollen gelernt hatte, konnte er auch schon krabbeln. Und danach war er einfach nur noch glücklich. Er war ein sehr aktives Baby, schon im Bauch hatte er ständig um sich getreten. Und er verfolgte nur zu gern die Katze. Taz war sehr brav und ertrug geduldig seine Aufmerksamkeit, selbst wenn er sich mit ihrem Schwanz durchs Gesicht fuhr. Oft lagen die beiden aneinandergeschmiegt unter dem Tisch. Joe durchlief eine sehr schnelle körperliche Entwicklung und sprach auch früh. Ich amüsiere mich immer noch über sein erstes Wort, weil es viel über mich und meinen Hausfrauenstolz aussagt. Es war nicht Mummy oder Daddy oder Lauren, sondern – Hoover. So hieß unser Staubsauger.

Trotzdem spielte Lauren eine sehr wichtige Rolle in seinem Leben. Sie war das ideale Kleinkind und immer sehr nett zu ihrem kleinen Bruder. Ich konnte Joe auf einer Decke auf dem Boden lassen, wenn ich oben etwas zu erledigen hatte, und wenn ich runterkam, saß Lauren bei ihm und redete mit ihm oder sang ihm etwas vor. Es war einfach reizend, wie sie für ihn sorgte. Ich erinnere mich, dass ihre Kita eines Tages anrief, um ein Problem zu besprechen. Instinktiv machte ich mir Sorgen, was sie angestellt haben könnte, aber es stellte sich heraus, dass Lauren immer, wenn ihr ein anderes Kind etwas wegnahm, sagte: »Ist gut, du kannst es haben.« Man musste ihr erst beibringen, auch einmal ihre Interessen durchzusetzen.

Als Joe geboren wurde, waren Laurens Haare nicht mehr dunkel, sondern platinblond und lockig. Bei Joe ging es später genauso. Sie war das niedlichste kleine Mädchen, das man sich vorstellen kann, lernte sehr früh lesen und schreiben und klebte uns immer wieder einmal Post-it-Zettel an die Schlafzimmertür: »Hab dich lieb, Mummy!« und Ähnliches. Wir waren eine Familie, die sehr viel Zuneigung zeigte.

Als Joe älter wurde, stellte ich fest, dass er sehr viel Wert auf Blickkontakt legte. Manchmal zog er mein Gesicht – oder auch die Gesichter anderer Leute – nah zu sich heran, wenn wir miteinander sprachen. Neils Schwester Helen sagte: »Er sieht einen immer so direkt an, als wollte er mitten in deine Seele schauen.« Außerdem hatte Joe ein großes Bedürfnis nach Umarmungen und Körperkontakt. Manchmal, wenn er in seinem Kinderwagen saß, sagte er: »Eine Umarmung«, und dann musste man ihn sofort in den Arm nehmen, und er schmolz regelrecht dahin. Dann sagte er: »Jetzt ist wieder gut«, und spielte weiter.

Die einzige dunkle Wolke über unserem Leben war die Tatsache, dass Neils Arbeit in der Luftfahrtindustrie häufig längere Abwesenheit mit sich brachte. Ich vermisste ihn sehr, genau wie damals in unserem ersten Sommer. Und die Kinder vermissten ihn auch. Ganz schlimm wurde es im Sommer 2001, als Lauren, Joe und ich an einem Abend an einer Fabrik vorbeikamen. Der Parkplatz war ganz leer, und Lauren sah mich verwirrt an und fragte: »Wo sind die Arbeiter alle hin?«

»Die sind nach Hause gefahren«, erwiderte ich.

»Warum?«, fragte sie.

»Das machen alle Leute, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind«, erklärte ich.

Sie sah mich mit einem fragenden Ausdruck in ihren intelligenten grünen Augen an. »Mein Daddy fährt nicht nach Hause«, sagte sie.

Himmel, was sollten wir nur machen?

Wir suchten ein Haus zwischen Leicester, wo die Großeltern der Kinder lebten, und Neils Haupt-Arbeitsplatz in Heathrow. Schließlich fanden wir eins in Bicester und ließen uns auf eine hohe Hypothek ein. Aber das schöne freistehende Haus mit den fünf Schlafzimmern war es durchaus wert. Im September 2001 zogen wir ein, und die Zukunft erschien uns rosig.

Zehn Tage später, nach den tragischen Ereignissen in Amerika vom 11. September, verlor Neil seinen Job.

Es ist wohl kaum übertrieben, wenn ich sage, dass nun eine stressige Zeit begann. Abgesehen von dem Entsetzen über das, was in Amerika passiert war, bekamen auch noch beide Kinder Windpocken, Lauren wurde nicht in der gewünschten Schule angenommen, wir standen finanziell enorm unter Druck, und Neils Jobsuche gestaltete sich sehr schwierig. Und nachdem wir ein paar Jahre viel getrennt gelebt hatten, saßen wir jetzt sozusagen aufeinander, was den Stress noch verstärkte. Ich fing wieder an zu arbeiten, um ein bisschen Geld zu verdienen. Für uns als Familie stand es wirklich Spitz auf Knopf. Aber wir schafften es. Nach sechs schwierigen Monaten bekam Neil wieder Arbeit, und langsam, aber sicher, wendete sich das Blatt.

Während dieser schwierigen Zeit hatten wir unsere Familienplanung natürlich auf Eis gelegt. Aber als Weihnachten 2003 näher kam, fühlte ich mich sicher genug, das Thema anzusprechen. Wir saßen am Esstisch, Lauren und Joe schwatzten fröhlich vor sich hin, und ich sagte leise zu Neil: »Meinst du, wir könnten noch eins haben?«

Mein Mann sah mit seinen schönen grünen Augen unsere zwei blonden Engel an und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dann schaute er mich liebevoll an.

»Wie sollte ich da Nein sagen?«, fragte er. »Natürlich könnten wir. Natürlich sollten wir.«

Noch am selben Abend setzte ich die Pille ab. Zwei Wochen später gingen wir zur Weihnachtsfeier in Neils Büro, und zwei Wochen danach stellte ich fest, dass ich schwanger war.

Toby Turner war unterwegs zu uns.

Anders

»Du siehst prächtig aus, Vikky!«

Lachend streichelte ich meinen Babybauch. »Oh, danke schön«, sagte ich freundlich lächelnd zu der anderen Mutter am Schultor. »Drei Kinder, da werde ich ab Oktober ganz schön zu tun haben.«

Wie zur Bestätigung streckte Toby einen Fuß aus und trat mich ein wenig. Ich spielte zu gerne mit seinen Füßchen und streichelte die Stelle zärtlich. Erst kürzlich hatte er angefangen zu treten, und wenn er es tat, kitzelte ich seinen Fuß, bis er ihn wieder wegzog. Dann streckte er ihn wieder aus, und wir spielten weiter.

Meine Freundin und ich plauderten über andere Dinge, während wir darauf warteten, dass unsere Kinder herauskamen – über das Wetter, das bevorstehende Schulfest, alles und nichts. Am Schultor war es immer nett, jeder sprach mit jedem. Für eine Plaudertasche wie mich war das ein echter Höhepunkt des Tages.

Jetzt kam Lauren heraus, begleitet von ihrer Aushilfslehrerin Pam. Ich winkte ihr zu. Nach einem etwas wackligen Start hatte sie sich prima eingelebt, und jetzt in der zweiten Klasse gehörte sie zu den Besten. Sie und Joe lasen unheimlich gern, und ich wusste genau, Joe, der noch in der Vorschule war, konnte es kaum erwarten, zu den »Großen« zu gehören. Im kommenden September 2004 würde es für ihn losgehen, und ich wusste jetzt schon, er würde den Start mit Bravour schaffen.

Ich spazierte hinüber zu Lauren. Joe rannte wie immer vor mir her und schrie: »Lauren! Lauren! Lauren!« Pam beobachtete uns und schenkte mir ein herzliches Lächeln. Sie war eine sehr nette Frau mit dunklen Locken und einer Brille. Mit ihr fühlte man sich sofort wohl. Allerdings waren alle Mitarbeiter hier an der Schule sehr nett, viele kannte ich ja auch als Kollegen, weil ich immer noch ein wenig dort aushalf. Aber Pam war etwas Besonderes. Schon als ich sie das erste Mal getroffen hatte, hatte sie ihren großzügigen Charakter gezeigt, und das hatte ich ihr nicht vergessen. Eines Mittags hatte Lauren mir gesagt, es ginge ihr nicht so gut und sie müsse nach Hause. Ich hatte ihr gesagt, das sei in Ordnung, aber wir müssten zu Fuß gehen, weil ich an diesem Tag das Auto nicht dabeihatte. Der Weg dauerte nur eine Viertelstunde, aber Pam, die uns gehört hatte, sagte sofort: »Ich fahre euch.« Ich fand das unheimlich nett, schließlich war es ja auch ihre Mittagspause. Aber so war sie. Sie hatte immer Zeit für andere.

»Lauren! Lauren! Lauren!«, rief Joe wieder in seiner typischen ohrenbetäubenden Lautstärke. Wir mussten über seine Begeisterung lachen. Seit Joe sprechen konnte, war er nicht mehr zu stoppen. Er redete wie ein Wasserfall. Klein und laut – ein Mund auf kurzen Beinen. Kein Wunder, dass wir ihn zu Hause manchmal Gobby nannten, nach dem Hobbit.

»Lauren!«, schrie er wieder, und ich ging lachend und kopfschüttelnd mit den beiden vom Schulhof, nicht ohne Pam fröhlich zuzuwinken. Joe überschlug sich fast, während er seiner Schwester von seinem Schultag berichtete. Lauren kam kaum zu Wort.

Ich fragte die beiden, was sie am bevorstehenden Wochenende gern machen würden.

»Schwimmen!«

»Softball!«

»In den Safaripark!«

»In den Zoo!«

Die Antworten prasselten nur so auf mich ein. Mir war es wichtig, dass wir am Wochenende und in den Ferien gemeinsam aktiv waren, deshalb machten wir immer viele Ausflüge und dachten uns auch sonst alles Mögliche aus. Es konnte durchaus vorkommen, dass wir während der Ferien jeden Tag etwas unternahmen, bis die Kinder auf meine Frage »Was machen wir morgen?« erschöpft antworteten: »Können wir nicht einfach mal zu Hause bleiben?« Wir drei – und Neil, soweit es seine Arbeit zuließ – gingen in Museen und Bibliotheken, besuchten Bauernhöfe und so weiter. Gerade das gefiel mir so gut am Muttersein: meinen Kindern die Welt zu zeigen und dafür zu sorgen, dass sie sich selbst besser kennenlernten und viel erfuhren und lernten. Mit dem Baby sollte es unbedingt so weitergehen, hatte ich beschlossen.

Und so kam es auch. Toby wurde am 14. Oktober 2004 geboren und war ein Traumbaby. Als ich ihn zum ersten Mal in den Armen hielt und liebevoll betrachtete, sagte die Hebamme ganz überrascht zu mir: »Himmel, das ist jetzt Ihr drittes Kind, und Sie sehen immer noch so verliebt aus!«

Das war ich aber auch. Heute sagen wir im Scherz manchmal, dass Toby aussah wie ein Hühnchen, als er geboren wurde. Er war ein bisschen spät dran, und seine Haut war ganz verschrumpelt, als hätte er in den letzten Tagen abgenommen. Vielleicht stimmte das sogar, die Tage vor der Geburt waren nicht ganz einfach gewesen. Aber ich sah einfach nur dieses wunderbare Baby mit den rotblonden Haaren. In der Mitte des Kopfes hatte er einen Streifen ganz hellblonder Haare, das sah lustig aus.

Diesmal hatte ich per Kaiserschnitt entbunden, und ich weiß noch, dass ich zu den Schwestern sagte: »Könnten Sie bitte die Schläuche und Infusionen wegmachen, damit ich erst mal mein Baby in den Arm nehmen kann?« Wir waren sofort ganz innig miteinander verbunden, so wie es mir auch bei meinen beiden älteren Kindern gegangen war. Für mich fühlt sich das an, als ob man sich körperlich öffnet, irgendwo tief im Herzen, und die Kinder dort für alle Zeit hineinnimmt. Ein wunderbares Gefühl.

Toby war ein tolles Baby. Er aß gut, schlief gut, lächelte – alles ganz entspannt. Meine Tage waren angefüllt mit Kindern. Morgens fütterte ich Toby, packte ihn dann in das Tragetuch und brachte die beiden Großen zur Schule. Wieder zu Hause fütterte ich Tobes wieder, wickelte ihn und ging zurück zur Schule und holte Joe ab (der im Moment nur halbtags in der Schule war, um ihm den Übergang zu erleichtern). Dann gab es Mittagessen, Tobes wurde gestillt, die Katze wurde gefüttert, und wir spazierten wieder zur Schule, um Lauren abzuholen … So sahen meine Tage aus. Wenn die anderen beiden in der Schule waren oder abends im Bett lagen, genoss ich noch eine richtige Kuschelstunde mit Tobes. Diese Zeit ist so kostbar, und sie geht so schnell vorbei. Ich nutzte jede Sekunde, um alles ganz bewusst zu erleben.

Seine Geschwister liebten ihn sehr. Es gab keine Feindseligkeit, keine Eifersucht. Sie legten sich gern zu ihm auf den Boden oder setzten sich ihm gegenüber, wenn er in der Wippe lag, und spielten stundenlang mit ihm, am liebsten mit seinem weichen Teddybär mit dem fantasievollen Namen »Bär«.

Toby entwickelte sich prächtig, wenn auch ein kleines bisschen langsamer als Lauren und Joe. Aber die beiden waren auch ziemlich schnell gewesen, sodass ich mir darüber keine Gedanken machte. Er kam mir vollkommen normal vor. Tatsächlich brauchte er länger, um sprechen zu lernen und von den Einzelwörtern zu ganzen Sätzen überzugehen. Aber Gobby der Hobbit quasselte ja genug für uns alle, und so dachten wir, Toby ließe sich einfach etwas mehr Zeit und hätte seinen eigenen Rhythmus. Wir waren glücklich und zufrieden. Die Menschen sind nun mal nicht alle gleich. Toby war ein wenig anders als die beiden Großen.

Als er fast ein Jahr alt war, fing ich wieder an zu arbeiten. Gemeinsam mit der Vorschullehrerin kümmerte ich mich an der Schule meiner Kinder um die Dreijährigen, die in diesem Schuljahr vier würden und nächstes Jahr zu den Großen gehören würden. Es war eine anstrengende Tätigkeit, aber auch sehr schön. Ich genoss es, Teil einer Gemeinschaft zu sein und mit meinen Kolleginnen freundschaftlich zusammenzuarbeiten. Und ich liebte die Arbeit mit den Kindern, etwas Besseres gibt es ja gar nicht.

Toby passte sich mühelos an den neuen Rhythmus an. Er zeigte keine Trennungsängste, wenn ich ihn bei der Kinderfrau ließ, und unser Familienleben lief weiter wie ein Uhrwerk.

Aber dann hörte ich auf, Toby zu stillen, und damit geriet ganz unerwartet auf einmal Sand in dieses Uhrwerk. Brei nahm er ohne Weiteres an, aber er verweigerte jegliche feste Nahrung. Lauren und Joe hatten mit »Finger Food« angefangen: Ich hatte ihnen das Essen auf dem Tischchen ihres Hochstuhls bereitgestellt, und sie hatten sich selbst bedient. Das hatte immer gut funktioniert.

Als wir aber nun dasselbe mit Toby versuchten, ging alles schief. Er schrie so laut, dass mir fast das Herz stehen blieb.

»Zu heiß!«, brüllte er.

Ich eilte besorgt zu ihm und probierte, aber das Essen war bestenfalls lauwarm.

»Toby, das ist nicht heiß«, sagte ich verwirrt. »Versuch’s noch mal.«

Aber er brüllte weiter. »Das brennt!«

Ich dachte an eine Allergie und gab ihm etwas anderes, aber es klappte einfach nicht. Was auch immer wir ihm zu essen anboten, er reagierte immer auf die gleiche Weise. Manchmal war ihm das Essen zu heiß, manchmal zu hart oder zu nass … jedenfalls immer »zu viel« von irgendetwas. Wenn wir ihm etwas Neues anboten, würgte er regelrecht. Knackige oder saftige Dinge gingen gar nicht – Äpfel waren ein absolutes No-go –, und alles mit einer gewissen Struktur wurde abgelehnt, selbst Hackfleisch. Lauren und Joe hatten immer fröhlich vor sich hin gefuttert und sich mit ihren kleinen Händen alles in den Mund gestopft. Toby weigerte sich, das Essen auch nur zu berühren. Er musste immer mit dem Löffel oder mit der Hand gefüttert werden, er selbst fasste nichts an. Ich entwickelte alle möglichen Strategien, las ihm vor, um ihn abzulenken, damit er wenigstens etwas zu sich nahm. Und ich musste bei den Mahlzeiten immer neben ihm sitzen, damit er überhaupt aß.

Doch so viel Mühe ich mir auch gab und so sehr ich mich auch auf seine Forderungen nach ungewürztem, weichem und langweiligem Essen einließ, manchmal aß er einfach gar nichts.

Überhaupt nichts.

Es war ein echter Kampf. Zunächst hielten wir ihn einfach für einen mäkeligen Esser. Und da wir wussten, dass er beispielsweise Schinkenbrot ganz gern aß, gaben wir ihm ein kleines Stück Brot mit Schinken und sagten: »Wenn du das isst, darfst du aufstehen. Nur dieses kleine Stück, Toby.«

Aber selbst dann konnte er seine Weigerung ewig aufrechterhalten. Er hielt seinen kleinen Mund fest geschlossen, schüttelte nur heftig den Kopf und spannte seinen ganzen Körper an. Es war ein Machtkampf – und wir verloren ihn jedes Mal.

Kein Wunder, dass er immer dünner wurde. Es war verstörend, das zu sehen, aber ich dachte an meine Ausbildung und sagte mir fröhlicher, als ich mich wirklich fühlte: »Kein Kind ist je vor einem vollen Teller verhungert.«

Doch genau das schien Toby zu versuchen.

Lauren und Joe waren seit jeher gute Esser, also hoffte ich, Toby würde ihrem Beispiel folgen, wenn sie gemeinsam am Tisch saßen und die gesunden Mahlzeiten verspeisten, die ich für uns gekocht hatte. Aber Toby schien gar nicht besonders darauf zu achten, was die beiden taten. Ich vermutete, es läge am Altersunterschied oder weil er sie nicht ständig sah, sie gingen ja zur Schule. Aber aus welchem Grund auch immer: Er achtete nicht auf die beiden und zog sich immer mehr zurück. Und er lernte nicht von ihnen, wie ich es gehofft hatte, sondern ging seinen eigenen Weg.

Das zeigte sich bald auch in anderen Bereichen. Er entwickelte eine eigene Art zu gehen, bei der gelegentlich ganz plötzlich ein Arm oder ein Bein zuckte, ähnlich wie es schon vor seiner Geburt gewesen war. Manchmal sprang er auch wie verrückt auf und nieder. Er war nicht aggressiv, eher so, als hätte er einen Energieüberschuss, der irgendwie herausmüsste. Wenn wir die Straße entlanggingen, mussten uns entgegenkommende Passanten manchmal ausweichen, weil er mit den Beinen austrat oder um sich schlug. Lauren hielt ihn oft an der Hand, wenn wir spazieren gingen, und sagte dann auf ihre Große-Schwester-Art zu ihm: »Toby, geh doch mal vernünftig.«

Dann erwiderte er beleidigt: »Ich gehe doch vernünftig.«

Als er ins Trotzalter kam, erlebten wir zum ersten Mal einen echten Kleinkind-Wutanfall. Lauren und Joe hatten so etwas zu unserem großen Glück nie gehabt. Wir vermuteten, dass sie es nicht nötig gehabt hatten, weil sie so früh gut sprechen konnten und einfach sagten, was sie brauchten. Aber Toby trotzte für drei, wütete und kreischte und stampfte. Seine helle Haarsträhne schien noch heller zu werden, wenn er wütend wurde – wir nannten sie den »Gremlin-Streifen«.