Tochter der Wüste -  - E-Book

Tochter der Wüste E-Book

0,0

Beschreibung

Wie unerschöpflich und farbenprächtig der May'sche Orient ist, zeigen in diesem Band sieben moderne Schriftstellerinnen und Schriftsteller – darunter die Bestsellerautorin Tanja Kinkel mit der Titelgeschichte "Tochter der Wüste" – als Hommage an Karl Mays immer wieder faszinierende literarische Schöpfung. Unter Verwendung seiner Schauplätze und Figuren sind zehn neue Geschichten entstanden, die die May'schen Orient-Abenteuer weiterführen sowie neue Facetten seiner Helden und moderne Einblicke in arabische Gepflogenheiten vermitteln. Kara Ben Nemsi behandelt in der Sahara einen medizinischen Notfall. Kara und Halef entdecken ein geheimnisvolles Tal in den kurdischen Bergen, wo sich ein Freiheitskämpfer der Aramäer versteckt. Außerdem muss Sir David Lindsay die Ehre des britischen Empires im Harem eines Sultans im Oman verteidigen. Karl May hätte diese Anthologie Spaß gemacht, und wir sind uns sicher, dass auch die Leserinnen und Leser diese Geschichten mit viel Freude genießen werden. Mit Geschichten von: Karl-Ulrich Burgdorf, Hubert Hug, Tanja Kinkel, Thomas Le Blanc, Monika Niehaus, Bianca M. Riescher, Alexander Röder

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 567

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



TOCHTERDER WÜSTE

UND WEITERE NEUE ARABISCHE

ABENTEUER MIT KARA BEN NEMSI

UND HADSCHI HALEF OMAR

HERAUSGEGEBEN VON

THOMAS LE BLANC

Herausgeber der Reihe: Bernhard Schmid

© 2023 Karl-May-Verlag, Bamberg

Alle Urheber- und Verlagsrechte vorbehalten

Deckelbild: Klaus Lehmann

ISBN 978-3-7802-1639-7

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG . RADEBEUL

INHALT

Vorwort

Tanja Kinkel: Tochter der Wüste

Monika Niehaus: Die Notoperation

Bianca M. Riescher: Der Geisterberg

Karl-Ulrich Burgdorf: Der Dschinn in der Festung

Alexander Röder: Das schwarze Herz des Erlen Kagan

Bianca M. Riescher: Der Schatz von Troja

Thomas Le Blanc: Der Berg der Aramäer

Alexander Röder: Der Schatz der Lamia

Thomas Le Blanc: Sir David im Harem

Hubert Hug: Das Kupferbergwerk in Kurdistan

Vorwort

Als Karl May seine legendäre sechsbändige Orient-Romanreihe schrieb, da präsentierte er seinen Lesern nicht nur eine spannungsreiche Jagd auf den Schut und seine Verbrecherbande, sondern er siedelte seine Abenteuer in allen Regionen des damaligen Osmanischen Reichs an und zeichnete ein Lebensbild des Orients der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in all seinen farbigen Schattierungen. Die Reise seines Helden Kara Ben Nemsi und seiner Gefährten führte von Nordafrika über Ägypten, das Rote Meer, das nördliche Arabien, das Zweistromland von Euphrat und Tigris, über Kurdistan, die Levante, die Hauptstadt Istanbul und quer durch den südlichen Balkan bis zum Showdown hinauf in die montenegrinischen Berge. Karas Begleiter waren der treue Hadschi Halef Omar und seine Frau Hanneh, der spleenige Engländer Sir David Lindsay, Scheich Mohammed Emin und Omar Ben Sadek. Er begegnete auf seiner Abenteuerreise der scheuen Ingdscha und streitbaren kurdischen Emiren, er kämpfte gegen die Schergen des Schut wie den falschen Zauberer Mübarek, die ungeschlachten Aladschy-Brüder und den verschlagenen Hamd el Amasat, und er lernte die uralte Friedensstifterin Marah Durimeh kennen, die als guter Geist in den kurdischen Bergen wirkte.

Wie unerschöpflich und farbig der May’sche Orient ist, wollen nun ein halbes Dutzend moderne Autoren zeigen und als Hommage an seine literarische Schöpfung neue Abenteuer in seiner Welt ansiedeln. Unter Verwendung seiner Schauplätze und seiner Figuren sind Geschichten entstanden, die die May’schen Erzählungen weiterführen oder aber Handlungslücken füllen. Dabei zeigen sie auch neue Facetten seiner Helden und modernere Einblicke in arabische Gepflogenheiten. Ohne sich jedoch konträr zu Mays Weltbild zu stellen, wird sein Denken weiterentwickelt, werden Karas Handlungen aus Sicht der heutigen Zeit betrachtet und gelegentlich auch mit viel Humor unterlegt. Dabei wird seinen Helden erlaubt, etwas mehr aus sich herauszugehen.

Karl May hätte diese Anthologie Spaß gemacht, und wir sind sicher, dass auch die Leser diese Geschichten mit viel Freude genießen werden.

Thomas Le Blanc

Tanja Kinkel

Tochter der Wüste

Nach dem Tod Abu Seïfs, dem Vater des Säbels, jenem schurkischen Piraten, der keinen Geringeren als den Statthalter von Mekka zum Schirmherren hatte, beschloss ich, weiter mit den Ateïbeh zu ziehen, zumal nach meinem entdeckten Besuch in Mekka Halefs und mein Bleiben dort nicht länger zu verantworten war. Die Ateïbeh, der Stamm der Ausgestoßenen, hatte uns nicht nur große Gastfreundschaft erwiesen, nein, mein treuer Halef hatte bei ihnen sein Herz verloren und war binnen einer Woche nicht nur zum wahren Hadschi, sondern auch zum Ehemann avanciert.1 Ich brachte es außerdem nicht über mich, ihn jetzt, nach wenigen Ehetagen, schon von seiner Hanneh zu trennen. Überdies sagte mir Scheich Malek, das Ziel der Ateïbeh sei die Wüste Ad-Danah, wo sie sich sicher fühlen konnten. Schon lange hatte ich davon geträumt, die legendären Höhlen unter dem Summan-Plateau kennenzulernen.

Allerdings stellt ein frisch verliebter Bräutigam, der nur noch die Lobpreisung seiner Braut im Sinn hat, selbst die Geduld eines Schriftstellers auf eine harte Probe. So entschied ich mich, eine Weile neben der einen Person zu reiten, in deren Gegenwart Halef Zurückhaltung hinsichtlich seiner Beschreibungen von Hannehs körperlichen Vorzügen würde zeigen müssen: seiner neuen Schwiegermutter, der Beduinen-Amazone Amscha.

Für mich war Amscha ein Rätsel, obwohl ich mittlerweile einiges über sie wusste. Sie trug den Burnus eines Mannes, dazu eine Flinte und an ihrem Gürtel einen Jatagan. Dass sie mit den Wurfspießen umgehen konnte, die im Sattelriemen ihres Kamels steckten, hatte ich bereits erlebt. Ihr Alter konnte ich nur erraten. Einst hatte Abu Seïf sie ihrem Stamm geraubt und zur Ehe gezwungen; Hanneh, meines Halefs neues Weib, war die Frucht dieser bösen Tat. Und wenn ich davon ausging, dass Amscha zum Zeitpunkt ihres Raubs wohl in Hannehs jetzigem Alter gewesen sein mochte, so zählte Amscha heute noch keine vierzig Jahre, vielleicht sogar nur knapp über dreißig. Sie besaß die gleichen großen braunen Augen wie ihre Tochter, doch ihr Gesicht war von der Wüstensonne gebräunt, denn sie trug keinen Schleier, und man sah, dass schlimme Erfahrungen früh den Schmelz der Jugend hinweggefegt hatten. Gleichzeitig war bei ihrem Anblick noch offensichtlich, warum der ‚Vater des Säbels‘ ihr seinerzeit die Freiheit genommen und sich so eine Blutfehde mit den Ateïbeh eingehandelt hatte. Wie es ihr gelungen war, dem Räuber zu entkommen, zumal mit einem kleinen Kind, und wie sie ihren Vater davon hatte überzeugen können, sie in der für Bedu-Frauen eigentlich undenkbaren Freiheit eines Mannes leben zu lassen, das allerdings hatte mir noch niemand verraten.

Am Tag unseres Aufbruchs aus der Gegend um Mekka waren die meisten Ateïbeh in guter Stimmung; mehr als einer sang, und ich bildete mir ein zu spüren, wie erleichtert der Stamm war, den toten Abu Seïf und seinen korrupten Beschützer, den Statthalter von Mekka, endlich hinter sich lassen zu können. Nur in Amschas Stirn hatte sich eine tiefe Furche gegraben und ihr Blick war düster. Ich meinte, den Grund für ihren Groll zu erraten. Gewiss war es nicht einfach für sie, ihr Kind einem Manne vermählt zu wissen, den sie noch vor Kurzem überhaupt nicht gekannt hatte.

„Halef ist ein guter Mann, ehrenhaft und tapfer“, sagte ich. „Du hast keine Tochter verloren, sondern einen Sohn gewonnen. Er hat es so gemeint, als er sagte, er wolle einer der Euren werden.“

„Glaubte ich etwas anderes, so würden seine Eingeweide nun in der Wüste vertrocknen“, entgegnete sie nüchtern. „Als ich Hanneh gebar, da schwor ich mir, sie solle ein anderes Schicksal haben. Dein Freund mag noch nicht lange bei uns sein, doch Herz und Tapferkeit hat er bereits bewiesen.“

Das klang gut, doch sie schaute darum nicht glücklicher drein. Ich erinnerte mich daran, wie sie und Halef von der Verfolgung Abu Seïfs zurückgekehrt waren. Sie hatte vor Zorn gebebt.

„Kann es sein“, fragte ich zögernd, „dass du ihm gleichwohl grollst, weil es seine Hände waren und nicht die deinen, durch die Abu Seïf starb?“

Sie gab einen kurzen Laut von sich, halb ein Lachen, halb ein Schnauben.

„Das ist der Gedanke eines Mannes, Effendi. Für mich zählt allein, dass Abu Seïf endlich für seine Taten bezahlt hat und nie das Leben meiner Tochter verdunkeln wird.“

Erst da wurde mir bewusst, dass Abu Seïf, ob er nun Amscha geheiratet oder sie nur als seine Konkubine behandelt hatte, als Vater völlig über Hanneh hätte bestimmen können, wenn es ihm eingefallen wäre, einen solchen Anspruch zu erheben. Er hätte noch nicht einmal einen weiteren Frauenraub begehen müssen. Sein Freund, der Statthalter von Mekka, hätte gewiss, ohne zu zögern, in seinem Sinn entschieden, ganz nach den Vorgaben des Korans. Da die Ateïbeh seit dem Beginn ihrer Fehde mit Abu Seïf zudem rechtlose Ausgestoßene waren, hätte es auch niemanden gegeben, der für sie eingeschritten wäre.

Bisher hatte ich Amschas Wunsch, Abu Seïf tot zu sehen, für reine Rachsucht gehalten, vor der mir grauste, so verständlich sie auch war. Nun jedoch sah ich die nachvollziehbare Sorge einer Mutter. Dies beschämte mich ein wenig, erklärte allerdings immer noch nicht, warum Amscha überhaupt nichts von dem Frohsinn zeigte, die ihren gesamten Stamm erfasst hatte.

„Was liegt dir dann auf dem Herzen, Tochter Maleks?“, fragte ich, um das Rätsel endlich zu lösen.

Eine Weile schwieg sie. Dann fragte sie ernst: „Was weißt du über Blutrache, Effendi?“

„Genug, um sie als Straße ohne Ende zu sehen, die mehr Unheil bringt als alles andere“, entgegnete ich und erwartete, dass sie mir widersprach, denn für alle Beduinen war die Blutrache eine Angelegenheit der Ehre, nicht von Recht oder Unrecht. Stattdessen betrachtete Amscha mich abwartend, fast ein wenig ungeduldig, als habe sie mir eben einen entscheidenden Hinweis gegeben, den ich noch nicht entschlüsselte. Ich fragte mich, inwieweit ihre Frage eine Antwort auf die meine sein konnte.

Mein Blick fiel auf Halef, dessen großer Turban ihn auch unter den Ateïbeh leicht auffindbar machte. Er ritt neben seiner Hanneh und man hatte den Eindruck, die beiden würden selbst einen aufziehenden Sandsturm nicht bemerken. Mit einem Mal kam mir ein Verdacht. Eine Blutrache verpflichtete die gesamte Familie des Toten, vor allem jedoch seine nächsten Anverwandten, Rache für seinen Tod am Täter zu nehmen. Die nächste Blutsverwandte Abu Seïfs jedoch war keine andere als Hanneh, und sie war nun die Gemahlin dessen, der den ‚Vater des Säbels‘ zu Tode gebracht hatte.

„Aber gewiss wird niemand von Hanneh erwarten, Rache an ihrem Gatten zu nehmen!“, rief ich bestürzt.

„Nicht von Hanneh“, sagte Amscha scharf, doch mehr ließ sich ihr an jenem Tag nicht entlocken, und endlich gab ich es auf und sprach von anderem.

*

Bei den Kamelen der Ateïbeh handelte es sich um hervorragende Rennkamele. Auf Dauer, und wenn es über ein gewisses Maß, sagen wir beispielsweise mehr als 15 deutsche Meilen, hinauszugehen hätte, kann auch das allerbeste arabische Pferd nicht gegen ein Rennkamel ankommen. Mit einer gewissen Genugtuung berichtete Scheich Malek mir, dass die Türken mehrfach vergeblich versucht hätten, diese Tiere auch im nördlicheren Teil ihres Reichs anzusiedeln und sie für den Kurierdienst in Mesopotamien und der Syrischen Wüste zu verwenden.

„Vergebens!“, meinte Malek zufrieden. „Diese Tiere gehen nördlich der Nefud zugrunde. Sie wollen keine Sklaven in türkischen Diensten sein.“

Durch die Schnelligkeit unserer Tiere erreichten wir schon nach wenigen Tagen die Region der Ad-Danah, welche in die Nefud übergeht. Im Glanz der untergehenden Sonne sah es so aus, als ob der Boden, auf den man trat, sowie die Wüste und alle umliegenden Felsen wie mit Blut übergossen seien. Als wir am Regenwasserplatz von Hoa unser Lager aufschlugen, empfing uns ein unheimliches Konzert, denn das Wasser dort zog nicht nur menschliche Reisende, sondern sämtliche Tiere in der näheren und weiteren Umgebung an. So hörten wir das Geheul der Schakale, das schrille Gelächter zahlreicher Hyänen und endlich auch das weithin durch die Nacht hallende Gebrüll eines Wüstenlöwen.

Wir waren an jenem Abend nicht die einzigen Reisenden am Regenwasserplatz. Vor uns war bereits eine Handelskarawane eingetroffen. Man einigte sich schnell, was die Lagerplätze für die Ateïbeh anging. Die Lagerfeuer brannten bereits, denn die Nächte in der Wüste sind kalt, als sich aus der Dämmerung noch eine dunkle Gestalt löste, ein letzter Reisender, der aus der entgegengesetzten Richtung wie wir kam. Sein schwarzer Burnus war mit rotem Wüstenstaub bedeckt, und als er in den Schein der Flammen trat, schien es kurz, als umgebe ihn eine Aureole. Er grüßte knapp und stellte sich als Ben Rischa vor. ‚Sohn der Feder‘ war die Art von Spitznamen, wie sie ein Gelehrter oder Schreiber gern erntet, und so freute ich mich bereits auf ein Gespräch mit dem Fremden, als Amscha mich hastig beiseite zog und mir bedeutete, ihr zu folgen. Erst als wir so weit von den Lagerfeuern entfernt waren, dass nur das Licht der Sterne uns die Nacht erhellte, sagte sie mit allen Zeichen der Aufregung:

„Das hatte ich befürchtet. Er ist hier. Effendi, wenn du die Blutrache wirklich missbilligst, so musst du mir helfen.“

„So kennst du den Fremden?“, wollte ich wissen.

„Ich kannte ihn. Es ist gut fünfzehn Jahre her.“

Nun mag man mir viel vorwerfen, doch nicht, dass ich des Rechnens nicht mächtig sei. Vor fünfzehn Jahren war Amscha ihrer Gefangenschaft bei Abu Seïf entflohen.

„Ein Dscheheïne?“, fragte ich bestürzt. „Ich dachte, alle Männer Abu Seïfs aus diesem Stamm, die sich an Bord seines Schiffs befanden, seien im Kampf gegen die Ateïbeh umgekommen.“

„Er ist nicht nur ein Mann Abu Seïfs“, gab Amscha zurück, schluckte, und dann brach es aus ihr heraus. „Er ist sein Bruder.“

Dunkel erinnerte ich mich aus meiner Gefangenschaft bei den Dscheheïnen, dass ein gefangener Bruder Abu Seïfs in Aden als Grund dafür erwähnt worden war, nach Mekka zu pilgern, um für die Freilassung jenes Bruders zu beten, doch noch ehe ich dies erwähnen konnte, setzte Amscha hinzu:

„Der jüngste seiner Brüder. Ich kannte ihn als Jamal.“

Nun begriff ich, warum sie ein paar Tage zuvor den Begriff der Blutrache ins Spiel gebracht hatte. Ihr musste bewusst gewesen sein, dass Abu Seïf noch mehrere überlebende Brüder hatte. Zweifellos würde sich auch dieser hier verpflichtet fühlen, den ‚Vater des Säbels‘ zu rächen, wenn er erst erfuhr, was sich bei Mekka zugetragen hatte und dass es sich bei meinen Mitreisenden um den Stamm der Ateïbeh handelte. Was ich allerdings nicht verstand, war, warum sich Amscha nicht ihrem Vater, dem Scheich, anvertraut hatte, als sie den Reisenden erkannte. Zwar schien es mir unwahrscheinlich, dass ein einzelner ‚Sohn der Feder‘ eine Bedrohung für einen Stamm darstellte, doch für ein oder zwei Mitglieder mochte eine Klinge im Dunkeln tödlich werden, und so war es unbedingt nötig, die Ateïbeh zu warnen – die Ateïbeh und Halef, denn sowie Ben Rischa, der frühere Jamal, erfuhr, wie sich der Tod seines Bruders zugetragen hatte, würde er zweifellos nach dem Tod meines Freundes streben.

Andererseits: Hätte Amscha den Neuankömmling ihrem Stamm gegenüber als Bruder des verhassten Abu Seïf bezeichnet, dann wäre er wohl nicht nur in Fesseln, sondern schon tot. Er mochte ein Pirat wie sein Bruder sein, aber mein Gewissen verbot mir, einen Mann, über dessen persönliches Verschulden mir nichts bekannt war und der bisher noch niemanden angegriffen hatte, einfach der eigentlich unvermeidbaren Lynchjustiz zwischen den Stämmen zu überlassen. Dergleichen war mir in den Wüsten Arabiens nicht weniger zuwider als in der Prärie des Westens. Ja, es war meine Pflicht, Amscha zu helfen, falls sie dies verhindern wollte. Aber wollte sie das wirklich? Weder für das Gefolge ihres alten Peinigers noch für ihn selbst hatte sie jemals das geringste Mitleid gezeigt. Am Ende kam es ihr doch nur darauf an, einen Feind selbst zu töten, ganz gleich, was sie darüber gesagt hatte.

„Sag mir, Mutter Hannehs, was du von mir erwartest“, versetzte ich, und wählte absichtlich eine Anredeform, die nicht ihren Vater, sondern ihre Tochter ins Spiel brachte.

„Beginne eine Gespräch mit Ben Rischa, verhindere, dass es ein anderer tut, und führe ihn hierher, sobald du es kannst“, bat sie. „Es gibt Dinge, die gesagt werden müssen, doch können sie nur ausgesprochen werden, wenn kein anderes Ohr uns lauscht.“

Ich nickte und nahm mir vor, bei dieser Begegnung auf jeden Fall anwesend zu bleiben, um notfalls einspringen zu können. Ich musste mir jedenfalls einen eigenen Eindruck vom ‚Sohn der Feder‘ verschaffen.

Der jüngere Bruder Abu Seïfs stellte sich zunächst als unzugänglich heraus. Ich bot ihm etwas von dem Ziegenfleisch an, welches die Ateïbeh mir zur Verfügung gestellt hatten; er lehnte ab. Ich erwähnte, ebenfalls der Feder zu huldigen, und fragte, ob er denn als Gelehrter selbst Werke verfasse; er nickte nur, nannte jedoch kein Beispiel, was meiner Erfahrung nach höchst ungewöhnlich ist, spricht doch ein jedes Mitglied der schreibenden Zunft gerne von den eigenen Werken. Erst als ich von dem Dichter Hafis schwärmte und dessen Poesie pries, taute er auf und fand einige warmherzige Worte zu dem großen Lyriker Persiens, die mir den Eindruck verschafften, dass er dessen Werk tatsächlich kannte und nicht nur so tat. Sollte er wie sein Bruder ein Räuber sein, so war er zumindest ein belesener.

Sein Alter ließ sich im flackernden Licht der Flammen schwer schätzen. Wie Amscha war er zwar eindeutig kein Jüngling mehr, doch wo genau zwischen 30 und 40 Jahren sein Alter angesiedelt war, hätte ich nicht beschwören können. Anders als die meisten Beduinen trug er nur einen Schnurrbart, sein Kinn war rasiert, was bei einer längeren Reise durch die Wüste nicht einfach sein konnte und darauf hinwies, dass er sich wohl vorwiegend in Städten aufhielt.

Schließlich fand ich einen geeigneten Vorwand, um ihn zu bitten, mir zum Außenbereich des Lagers zu folgen. Ich bildete mir ein, dass die Schakale immer lauter wurden, sagte ich und forderte ihn auf, mir mit einer Fackel zu folgen, um sie zu verjagen.

Amscha trat uns entgegen. In der Nacht und bei diesem spärlichen Licht hätte ich sie nicht von den meisten der übrigen Ateïbeh unterscheiden können, wenn ich nicht gewusst hätte, um wen es sich handelte, und so wunderte es mich nicht, als sich Ben Rischa neben mir versteifte und seine Hand an den Gürtel fuhr, der seinen Dolch hielt.

„Jamal, Sohn Feisals“, sagte Amscha, und beim Klang ihrer eindeutig weiblichen Stimme fuhr er zusammen. „Ich grüße dich.“

Mehrere Herzschläge lang herrschte Stille, und das Konzert der Tiere rund um unser Lager wurde noch lauter. Dann sagte er:

„So bist du es wirklich, Amscha Bint Malek. Als ich hier eintraf, da schien es mir, als hätte ich dich gesehen. Aber so geht es mir oft und ich habe gelernt, solchen Eindrücken zu misstrauen.“

„Führt dich dein Weg nach Mekka?“, fragte sie und klang dabei höflicher, ja, behutsamer, als ich sie je bisher erlebt hatte.

„Ich weiß Bescheid“, entgegnete er bitter. „Du brauchst nicht weiter darum herumzureden, Tochter der Ateïbeh. Der Statthalter hat ein Telegramm nach Kairo schicken lassen. Der ‚Vater des Säbels‘ ist nicht mehr, und da du selbst davon weißt, so muss ich glauben, dass er schließlich doch den Ateïbeh zum Opfer fiel. War es wenigstens ein ehrenhafter Kampf, in dem er starb?“

„Es musste ein Kämpfer aus dem Land der Franken kommen, um ihn besiegen“, sagte Amscha. „Dieser Effendi hier!“

Hätte die Nacht nicht unsere Gesichter verborgen, so wäre mein verblüfftes Starren in Amschas Richtung dem ‚Sohn der Feder‘ zweifellos sofort aufgefallen. Ich konnte mir gleich mehrere Gründe für diese Lüge denken; sollte Ben Rischa auf einen Zweikampf bestehen, so würde dies den neuen Gatten ihrer Tochter nicht in Gefahr bringen, und da ich keine Familie hatte und nicht zu den Ateïbeh gehörte, würde ganz gleich vom Ausgang jede Blutfehde hier enden. Aber es musste ihr doch klar sein, wie leicht eine solche Lüge in sich zerfallen könnte. Jeder der Ateïbeh hier wäre in der Lage, Ben Rischa eines Besseren zu belehren, selbst wenn ich nicht protestierte.

„Abu Seïf hat ihn gefangen genommen, und der Effendi befreite sich durch den Zweikampf, den er ihm anbot“, fuhr Amscha fort, und mir wurde bewusst, dass sie dem Wortlaut nach bisher nicht gelogen hatte. Es stimmte, ich hatte mich auf diese Weise aus der Gefangenschaft bei dem Piraten befreit. Danach hatte Abu Seïf mich sogar dazu bewegen wollen, öfter mit ihm zu fechten, um die europäische Art des Zweikampfs zu lernen, nachdem ich ihn zum ersten Mal besiegt hatte. Natürlich erweckte Amscha durch die Auslassung mehrerer Gegebenheiten den Eindruck, Abu Seïf sei von meiner Hand gestorben, doch direkt hatte sie das nicht gesagt.

„Ist das wahr?“, fragte Ben Rischa rau.

„Ich war Gefangener deines Bruders, ehe mich ein Zweikampf mit ihm befreite“, erwiderte ich ruhig und hoffte sehr, er würde mich nicht direkt fragen, ob ich Abu Seïf getötet hatte. Es gibt gewiss Lagen, in denen eine Lüge der Wahrheit vorzuziehen ist, doch ehe ich mich selbst zu einer solchen verpflichtete, wollte ich erforschen, ob ich recht vermutete, was Amschas Beweggründe betraf. Gleichzeitig behielt ich seine Hände im Auge und machte mich bereit, die Fackel fallen zu lassen, die ich in der Hand hielt, falls er mich angreifen sollte. Ben Rischa hob seine Arme, doch legte er seine Handflächen auf sein Gesicht, statt nach seinen Waffen zu greifen.

„Wehe, mein Bruder“, klagte er.

Amscha schwieg, und auch ich hütete mich, ein weiteres Wort zu sagen. Diesen Toten zu preisen, wäre unmöglich, ohne zu lügen, aber nur ein Schurke weidet sich an dem Schmerz eines anderen für seine Verwandten.

Schließlich ließ Ben Rischa die Hände sinken und schaute zu mir. „Warst du bereits Gast der Ateïbeh, als mein Bruder dich gefangen nahm?“, fragte er, was ich verneinte. „Dann“, meinte er, „hat mir Allah immerhin erspart, selbst einen Teil der Schuld zu tragen. Preis sei ihm und Dank!“

Mit diesen rätselhaften Worten verschwand er in Richtung der Zelte, und als ich sicher war, dass seine Schritte verhallt waren, wandte ich mich an Amscha. Da sie bereits Anstalten machte, ebenfalls in den inneren Bereich des Lagers zurückzukehren, packte ich sie am Arm.

„Du schuldest mir noch eine Erklärung“, sagte ich nachdrücklich. „Was hat es mit jenem Mann auf sich? Ist es Halefs oder sein Leben, dass du retten willst? Warum hat er mich gerade nicht angegriffen?“

Amscha zögerte. Dann bat sie:

„Was ich dir berichte, Effendi, muss geheim bleiben. Selbst meinem Vater und meiner Tochter habe ich es nie erzählt, und auch du musst versprechen, dieses Geheimnis zu wahren, denn es ist nicht nur das meinige.“

Ich versprach es und habe mein Wort gehalten; diese Geschichte wird nicht einen Teil meiner Reiseerzählungen bilden, sondern erst nach meinem Tod veröffentlicht werden.

„Jamal“, so begann Amscha, „wuchs zwar an der Seite Abu Seïfs auf, doch war er, als sein Bruder mich raubte, noch ein Knabe, vielleicht ein Jahr jünger als ich. Sein Sinn war noch nicht verhärtet wie der aller Älteren des Stamms der Dscheheïne. Abu Seïf hatte erwartet, dass ich mich ihm fügte und mich mit meinem Schicksal abfände, doch als dies nicht geschah, schlug er mich, immer wieder. Gleichzeitig traute er niemandem, selbst seinen eigenen Leuten nicht, was mich betraf, und so trug er seinem Bruder auf, mich zu bewachen, wenn er abwesend war. Als der mich immer wieder blutig fand, trat Mitleid in das Herz des Knaben. Er versuchte mich zu trösten. Ich spie ihm sein Mitleid zurück ins Gesicht und sagte ihm, er sei nicht weniger schuld an dem, was mir geschah, als sein Bruder, wenn er es zuließ. Dann gab mir Allah meine Tochter, und während ich sie im Leib trug, hörte ich auf Jamal, der mich beschwor, nicht gleichzeitig mit meinem Leben das meines Kindes aufs Spiel zu setzen. Dies waren die einzigen Monate, in denen ich Abu Seïf nicht verfluchte, wenn er sich mir näherte. Gleichzeitig fasste ich einen neuen Plan. Wenn das Kind erst auf der Welt war, dann musste ich fliehen, oder es würde wie Jamal von Abu Seïf zu seinem Werkzeug gemacht werden. Aber ganz ohne Hilfe wäre es mir wohl nicht gelungen, nicht mit einem Säugling in meinen Armen. Es war Jamal, der mir half. Ich sagte ihm, dass ich Hanneh und mich umbringen würde, wenn er es nicht täte, denn ein Leben in der Gewalt Abu Seïfs sei schlimmer als der Tod. Er wusste, dass es mir ernst war, und der Knabe, der er damals war, hatte mir sein Herz geschenkt; doch zerrissen wurde es zwischen seinem Bruder und mir. Effendi, er ließ mich gehen, und weil er es tat, schwor ich mir, auch sein Leben zu retten, wenn ich je dazu in der Lage sein sollte. Wüsste mein Vater, wer er ist, wäre es um ihn geschehen. Du musst ihn weiter glauben lassen, dass du es warst, der seinen Bruder tötete, denn du bist anders als wir. Deine Seele giert nicht nach dem Tod eines Feindes, den du besiegtest. Selbst, wenn er dich doch noch zum Kampf fordert, wird er leben, denn du musst nicht töten, um zu gewinnen.“

Bewegt von ihrer Geschichte, wie ich war, konnte ich nicht umhin, sie darauf aufmerksam zu machen, dass ein einziges Gespräch über Abu Seïf mit einem der Ateïbeh genügen konnte, um Ben Rischa die Täuschung durchschauen zu lassen.

„Er wird heute und morgen früh nicht über seinen Bruder sprechen wollen“, erklärte sie zuversichtlich. „Und danach trennen sich unsere Wege. Selbst in Mekka wird man ihm nichts anderes erzählen, denn der Statthalter, verflucht sei sein Name, weiß doch auch nur, dass Abu Seïf dich an den heiligen Pilgerstätten erkannt und in die Wüste verfolgt hat.“

Damit hatte sie wohl nicht Unrecht, aber mir schien, dass sie noch einen weiteren Beweggrund hatte, und weil sie mich einmal in diese Angelegenheit hineingezogen hatte, hielt ich mich auch für berechtigt, mehr zu erfahren.

„Wenn Abu Seïf durch dich gestorben wäre“, sagte ich langsam, „oder durch einen anderen Ateïbeh, dann würde sich Ben Rischa mitschuldig am Tod seines Bruders fühlen, weil er dich damals gehen ließ. Nicht Allah erspart ihm das, du willst es. Ist es nicht so?“

Sie wandte sich ab von mir, und im Licht meiner Fackel wirkte sie jünger, als sie erwiderte:

„Es ist, wie du sagst.“

Nun glaubte ich auch den Rest zu erraten. Damals hatte wohl nicht nur der Knabe Jamal, sondern auch das Mädchen Amscha ihr Herz verschenkt. Doch selbst, wenn ich mich hierin irrte und Amscha sich nur einem Mann verpflichtet fühlte, der ihr einst zur Freiheit verhalf, so wollte ich gerne dazu beitragen, Frieden statt erneutes Blutvergießen zwischen den Familien zu stiften. Allerdings verändert sich der Mensch, solange er lebt. Der junge Jamal mochte damals im Herzen kein Räuber, kein Pirat gewesen sein; aber wer konnte wissen, ob der gereifte Ben Rischa sich nicht verpflichtet fühlte, das Gewerbe seines Bruders aufzunehmen, als sein legitimer Erbe? Vielleicht befand er sich deswegen auf dem Weg nach Mekka?

Ich gab dies Amscha zu bedenken.

„Das kannst du so wenig wissen wie ich“, entgegnete sie. „Doch wenn Jamal nach Kairo ging, um dort zu studieren, statt an der Seite seines Bruders zu bleiben, so sagt das schon viel. Und ist es etwa an dir, einen Mann für Taten zu richten, die er noch nicht begangen hat?“

Es war die Art von Frage, die ich selbst schon mehr als einmal anderen gestellt hatte, und ein wenig irritierte es mich, dass ich sie nun ausgerechnet von einer Tochter der Wüste hörte.

„Das ist es nicht“, sagte ich und hoffte, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

*

Gewöhnlich schliefen Halef und ich in einem Zelt, doch derzeit war das unmöglich, und so befand sich niemand in meiner Nähe, als ich bemerkte, dass jemand in mein Zelt eindringen wollte. Ich stellte mich schlafend, als eine Stimme an mein Ohr drang:

„Bewege dich nicht, Franke.“

Es war die Stimme Ben Rischas, fast wie ich es erwartet hatte. Das fahle Licht, das durch die Ritzen des Zeltes drang, sagte mir, dass der Morgen wohl gerade anbrach. Ben Rischa hatte sich neben mich gekauert, mit einem Dolch, der auf mich wies. Er konnte nicht ahnen, dass ich meine Pistole unter der Decke auf ihn gerichtet hatte.

„Nun, Schreiber der Nemsi“, sagte er, „berichte mir noch einmal, wie mein Bruder starb.“

Ich hätte ihn wohl überwältigen, ja, nach seinem Eindringen sogar sofort erschießen können. Doch das wahre Antlitz eines Mannes zeigt sich dem, über den er Macht zu haben glaubt, und so ließ ich ihn vorerst gewähren.

„In einem ehrenhaften Kampf“, gab ich leise zurück, „durch die Hand eines Mannes, den er selbst gefangen nahm und dem er ein ähnliches Schicksal bereiten wollte.“ Dass dieser ehemalige Gefangene Abu Seïfs Halef und nicht ich selbst gewesen war, ließ ich aus. „Dein Bruder hat seinen Tod durch sein Leben gewählt. Willst du wirklich die gleiche Wahl treffen?“

„Jede Wahl, die ich je traf, sollte Gutes schaffen und schaffte doch nur Verlust“, gab er heftig zurück. „Warum sollte es nun anders sein?“

Bisher hatte er kaum seinem Bruder geglichen, doch nun, da sich seine Gesichtszüge in Kummer und Zorn verzerrten, sah ich erstmals eine Ähnlichkeit.

„Das kann ich nicht glauben“, antwortete ich ihm. „Zwar kenne ich dich kaum, Ben Rischa, doch wenn du die Feder gewählt hast und das Wissen der Bücher, so war das meiner Ansicht nach ein großer Gewinn, denn auch ich traf die gleiche Entscheidung. Auch habe ich Amscha Bint Malek von keinem Mann außer ihrem Vater mit mehr Achtung und Zuneigung sprechen hören, bis ich sie gestern dich grüßen sah. Ihr gesamter Stamm bewundert, ja fürchtet diese Frau; ihr jedoch muss an dir etwas liegen. Wie dir das gelang, das weiß ich nicht, doch scheint es mir keine geringe Leistung.“

Damit war ich so deutlich geworden, wie ich nur konnte, ohne zu verraten, dass ich wusste, wie er Amscha geholfen hatte.

Zwei, drei Herzschläge lang hörte ich nur seine Atemzüge. Dann fragte er abrupt:

„Ist sie glücklich?“

Das war eine Frage, die zu beantworten ich mir nicht anmaßen wollte.

„Sie ist frei“, entgegnete ich stattdessen, „und froh über diese Freiheit, die sie mit ihrer Tochter teilt.“

„Hanneh“, sagte er abrupt. „Sie muss nun zur Frau herangewachsen sein.“

„In der Tat, und zur schönsten Blume der Ateïbeh. Vor Kurzem erst hat der Stamm ihre Hochzeit gefeiert. Wäre sie nicht bei den ihren aufgewachsen, so glaube ich kaum, dass ihr das Leben dieses Glück beschieden hätte.“

Erneut schwieg er, und ich fragte mich, ob er sich daran erinnerte, wie sein Bruder Amscha mit Gewalt genommen und immer wieder geschlagen hatte.

Die Klinge verschwand, und ich konnte mich entspannen.

„Allah hilf mir“, seufzte Ben Rischa, „aber ich kann es nicht anders wünschen.“

„Dann bist du wahrlich der Mann, für den Amscha dich hält“, murmelte ich.

*

Jamal Ben Rischa verließ den Regenwasserplatz von Hoa keine Stunde später und verzichtete auf ein gemeinsames Frühstück mit den Ateïbeh. Amscha, die in der Nacht wohl ebenfalls nicht geschlafen hatte, musste gehört haben, wie ich ihn zu den Kamelen begleitete, denn sie eilte uns nach und holte uns rasch ein. Die beiden sahen einander stumm an, und ich musste daran denken, wie Halef mir oft versichert hatte, keine Augen seien so sprechend wie die der Frauen der Beni Arab, die oft nur durch ihre Blicke reden konnten.

Dann sagte Amscha leise:

„Friede sei mit dir jetzt und allezeit, Jamal, der mir ein Freund in der Hölle war.“

Er legte eine Hand auf die Brust und verbeugte sich vor ihr.

„Und mit dir“, entgegnete er, „Amscha, kühnstes der Geschöpfe Allahs.“

So nahmen sie voneinander Abschied. Lange noch standen wir da und schauten dem Reisenden nach, der von einer Gestalt zu einem winzigen Punkt am Horizont wurde und schließlich in der Röte der aufgehenden Sonne verschwand.

*

Jahre vergingen, in denen ich nichts mehr von Ben Rischa hörte. Die Ateïbeh waren vom Stamm der Haddedihn aufgenommen und so von ihrem Status als Ausgestoßene befreit worden, Hanneh hatte Amscha bereits den ersten Enkel geschenkt, der nach mir den Namen Kara trug, als mein Weg mich wieder einmal in den Orient führte und Halef mir bei unserer Wiedervereinigung Außergewöhnliches zu berichten wusste.

„Sihdi“, sagte er, „denke dir, Amscha hat uns verlassen.“

Ich glaubte zunächst, sie sei gestorben, und war bestürzt.

„Nein, nein“, protestierte der Kleine, als er merkte, wie ich ihn verstanden hatte, „es geht ihr gut. Doch es ist kein halbes Jahr her, da tauchte ein Reisender aus Kairo bei uns Haddedihn auf. Gleich dir schreibt er Bücher und plante eine Reise um die Welt, um diese in der Sprache der Araber für uns zu beschreiben. Das Seltsamste jedoch war, dass er Amscha kannte – und sie darum bat, ihn zu begleiten! Sihdi, du weisst, dass ich nichts als Hochachtung vor der Mutter meiner angebeteten Hanneh habe, doch ich meine, sie muss wohl in die Jahre gekommen sein, welche die Frauen ein wenig verrückt sein lassen, denn sie willigte tatsächlich ein. Hanneh behauptet, ihre Mutter habe schon immer davon geträumt, einmal fremde Länder kennenzulernen, und jetzt, wo sie sich keine Sorgen mehr um Hanneh machen müsse, da fühle sie sich wohl frei dazu. Aber einfach so mit einem Mann fortzugehen, den keiner ihrer Angehörigen kennt, das hat uns doch entsetzt.“

„Nun“, meinte ich, „du hast das Herz deiner Hanneh auch binnen weniger Tage erobert, und kein einziges Mitglied ihrer Familie hat dich vorher gekannt.“

„Aber, Sihdi, das ist doch etwas ganz anderes.“

„Sag mir, nannte sich jener Reisende vielleicht Ben Rischa?“

„So ist es, Sihdi. Einige von unseren Stammesmitgliedern behaupten, wir seien ihm schon einmal kurz begegnet, damals, als wir von Mekka in die Wüste Ad-Dahna reisten, aber ganz ehrlich, damals hatte ich andere Dinge im Kopf. Du jedoch vergisst nichts und weißt alles, und so wundert es mich nicht, dass du dich an ihn erinnerst. Meinst du denn, dass er die Großmutter meines Kara gut behandelt?“

„Ich meine vor allem, dass Amscha niemals bei einem Mann bleiben würde, der dies nicht tut, Halef, und das weißt du so gut wie ich. Aber ja. Ich glaube, die beiden haben zumindest die Chance, glücklich zu werden. Und auf mehr können wir Menschen nicht hoffen.“

1 Karl Mays Gesammelte Werke Band 1, „Durch die Wüste“, Kapitel 11

Monika Niehaus

Die Notoperation

„Wie lange werden wir wohl noch bis zur Oase brauchen, Mr. Kara?“

Wir waren zu dritt unterwegs und befanden uns in der Libyschen Wüste auf dem Weg von Tripolis nach al-Dschauf, der größten und wichtigsten der Kufra-Oasen. Da die Ausläufer des Tibesti-Gebirges bis in diesen Bereich der Wüste reichen, erstreckte sich vor uns ein Labyrinth aus Sand und Steinen.

Mein Diener und Freund Hadschi Halef Omar und ich hatten in der Karawanserei von Sebha Dr. Brian Davenport getroffen, der sich als Arzt vorgestellt hatte und als Weltenbummler unterwegs war. Im Gespräch mit ihm hatten wir entdeckt, dass wir einen gemeinsamen Bekannten hatten, Sir David Lindsay. Beide kannten sich aus dem Travellers Club in London. Ihn wollte der Doktor in al-Dschauf treffen, und da wir uns auf Anhieb gut verstanden, fragte er, ob er sich uns wohl anschließen dürfe, statt mit einer langsamen Karawane zu reisen. Für einen Einzelnen war die Durchquerung dieses Teils der Wüste zu gefährlich, für drei gut bewaffnete Männer war es etwas anders.

Ich hatte zugestimmt und so befanden wir uns inzwischen nur noch vier bis fünf Tagesritte von unserem Ziel entfernt. Davenport, ein kleiner, rundlicher Mann Anfang 60, hatte sich als guter Reisegefährte erwiesen. Obwohl Bonvivant, klagte er weder über die Beschwernisse der Reise noch über die karge Kost, sprach passabel Arabisch und war kein übler Reiter. Zudem wusste er so manche Schnurre aus seinem medizinischen Alltag zu erzählen, die uns am Lagerfeuer die Zeit vertrieb.

Es war schon spät am Nachmittag. Die Abendsonne tauchte die Dünen in glühende Rottöne und wir näherten uns einer Schlucht, in der wir die Nacht verbringen wollten, als Dr. Davenport sein Reitdromedar zügelte.

„Menschen – ich rieche Rauch.“

Der Doktor hatte ein feines Näschen, nicht nur für Wein, das hatte ich schon zuvor festgestellt.

Wir befanden uns auf dem Stammesgebiet der Abu Suleiman, die allgemein als Strauchdiebe galten.

„Waffen unauffällig griffbereit halten“, ordnete ich an und ritt unserer kleinen Gruppe in die Schlucht voraus.

Am Feuer saßen sechs Gestalten, die wenig vertrauenserweckend wirkten; ihre Dromedare waren dürr, ihre Gewänder fleckig und abgetragen, nur ihre Waffen waren blank. Wir grüßten, wie es Brauch war, und es folgte das übliche Frage- und Antwortspiel nach Woher und Wohin. Sie musterten unsere Reitdromedare und die Ausrüstung mit Kennerblick und luden uns ein, bei ihnen zu lagern und mit ihnen zu Abend zu essen.

„Dawud holt gerade mehr Brennholz“, meinte der Sprecher der Gruppe und wies auf einen schwarzen Jungen in einem kurzen blauen Kaftan, der kaum zehn Jahre alt sein mochte und mit einer Holzlast heranwankte, die viel zu schwer für ihn schien.

Wir lehnten die Einladung dankend ab und machten uns wieder auf den Weg. Im Vorüberreiten warf der Doktor dem Jungen eine Süßigkeit zu, die er ‚für den kleinen Hunger zwischendurch‘ immer in der Satteltasche trug. Als ich mich am Talausgang nochmals umwandte, sah ich, wie der Junge schüchtern die Hand zum Gruß hob. Der Kleine dauerte mich, aber Sklaverei war im Osmanischen Reich noch immer weit verbreitet.

Wir lagerten etwa eine Stunde später unter einem Felsüberhang und hatten gerade ein kaltes Mahl aus Fladenbrot und Datteln beendet, als der Doktor den Kopf hob und schnüffelte.

„Was ist?“, erkundigte sich Halef.

„Riecht Ihr nichts?“

Halef schnüffelte ebenfalls. „Das sind die Dromedare …“

„Nein, das ist der feine Hautgout von ungewaschenem Mensch!“

„Wenn Ihr damit sagen wollt …“, fuhr Halef auf.

In diesen Augenblick rief ein Vogel.

„Still!“ Ich griff nach meiner Büchse. „Ihr habt Recht, Davenport, da ist etwas …“

„Und das erkennt Ihr an einem Vogelruf?“, wunderte sich der Arzt.

„Ein Wüstenbussard, der in der Nacht ruft, ist höchst ungewöhnlich. Bleibt hier und bewacht das Gepäck, und wenn Euch jemand frech kommt, schießt ihm ins Knie!“

Ich winkte Halef zu, einen Bogen zu schlagen, sodass wir uns unseren Dromedaren aus zwei Richtungen näherten. Auf diese Weise konnten wir die etwaigen Angreifer zwischen uns nehmen, und auch wenn sie in der Überzahl sein sollten, machte mir das bei unseren überlegenen Waffen keine Angst.

Sobald wir uns näher an die Tiere angeschlichen hatten, erkannte ich mehrere schemenhafte Gestalten, die sich an unseren Dromedaren zu schaffen machten. Vermutlich die Strauchdiebe aus der Schlucht. Sie mussten uns in einigem Abstand gefolgt sein, und da wir kein Lagerfeuer angezündet hatten, dachten sie wohl, wir schliefen schon.

Ich hätte die Banditen gern noch ein wenig beobachtet, um sicherzugehen, wie viele es tatsächlich waren, aber ich hatte meine Rechnung ohne den Doktor gemacht. Die Zeit war ihm wohl zu lange geworden, und so kam er, um nach dem Rechten zu sehen. Und was er sah, erboste ihn.

Mit einer Behändigkeit, die man ihm kaum zugetraut hätte, stürzte er sich auf einen der Strauchdiebe, der gerade damit beschäftigt war, die Fußfesseln von des Doktors Dromedar zu durchtrennen.

„Das könnte dir so passen, du Schuft!“

Der Bandit hob sein Messer, um den Angreifer abzuwehren, doch Halef sprang blitzschnell aus seiner Deckung und trat es ihm aus der Hand. Die übrigen Banditen, die mit den anderen Dromedaren beschäftig waren, eilten ihrem Spießgesellen zu Hilfe, und ich hörte den Doktor schreien. Da bei diesem Gerangel in der Finsternis Freund und Feind kaum zu unterscheiden waren, gab ich ein paar Warnschüsse in die Luft ab. Das genügte, um das feige Gesindel in die Flucht zu schlagen; sie rannten, so schnell sie ihre Füße trugen, dorthin zurück, wo sie wohl ihre eigenen Dromedare gelassen hatten. Wenig später hörten wir Geräusche eines eiligen Aufbruchs, dann wurde es wieder still.

Schon wollte ich den Doktor tadeln, dass er sich unnötig in Gefahr gebracht hatte, als ich sah, dass er sein rechtes Handgelenk mit der Linken umklammerte.

„Hat der Bandit Euch verletzt?“, fragte ich erschrocken.

„Als sein Messer davonflog, hat er mich gebissen, damit ich ihn loslasse.“ Davenport zeigte mir seine Rechte, über deren Rücken sich ein Halbkreis von Zahnmalen zog. „Der Kerl muss einen prächtigen Kauapparat haben. Ich fürchte, das ist eine üble Quetschung, und glaube kaum, dass der Kerl viel von Zähneputzen hält. Ich werd’s bepinseln.“

Am Morgen nach dem misslungenen Überfall brachen wir zeitig auf, überbrückten die schlimmste Mittagshitze im Schatten eines Felsens und machten uns nachmittags wieder auf den Weg. Dabei folgten wir den Spuren der Strauchdiebe – jedenfalls waren es sechs Dromedare. Sie schienen es eilig zu haben, vor uns in der Oase anzukommen, wo wir sie hätten festnehmen lassen können.

So ließen wir die karge Landschaft an uns vorüberziehen und hingen, getragen vom Schaukeln der Dromedarrücken, unseren Gedanken nach, bis Halef, der Ohren wie ein Luchs hatte, plötzlich sein Dromedar zügelte, den Kopf hob und lauschte.

Jetzt hörte auch ich ein leises Wimmern. Es schien aus dem Eingang einer Höhle direkt vor uns zu kommen. Halef glitt von seinem Reittier, spähte vorsichtig ins Innere der Höhle und winkte uns heran. Und dann sahen wir das wimmernde blaue Bündel, das sich neben dem Eingang am Boden krümmte.

Der Doktor hatte sich bereits neben dem Kind niedergekauert.

„Das ist doch der Kleine, den wir in der Schlucht getroffen haben, bei diesen Strauchdieben. My God, sie haben ihn einfach hier zurückgelassen, wie ein Stück Abfall!“

„Wohl, weil er ihre Flucht behinderte!“ Ich beugte mich über ihn. „Und sie ihm nicht mehr trauten.“ Ich sprach ihn an: „Du hast die Dromedare der Banditen bewacht, nicht wahr? Und hast uns mit dem Vogelruf gewarnt?“

„Ihr – gut“, flüsterte der Kleine stockend. „Sie – schlechte Menschen.“

Der Arzt legte ihm die linke, unverletzte Hand auf die Stirn. Sie glühte.

„Ich muss ihn genauer untersuchen. Können wir nicht unser Lager gleich hier aufschlagen?“

Ich sah mich um. Die Sonne stand schon tief und die Höhle war für ein Lager bestens geeignet, weshalb auch die Banditen hier genächtigt hatten.

„Eine gute Idee, Dr. Davenport!“, stimmte ich daher zu.

Halef hatte bereits begonnen, die Dromedare abzusatteln, und bereitete ein Deckenlager für den Kleinen, auf das er ihn bettete.

„Du heißt Dawud, nicht wahr? Wo tut’s denn weh?“, wollte der Arzt wissen.

„Hier!“, flüsterte der Junge und legte seine Hand auf den Bauch rechts des Nabels. Der Arzt tastete ihn vorsichtig ab, stand auf und winkte mich zu sich.

„Hohe Temperatur, harter verspannter Unterbauch, Loslassschmerz rechts des Nabels, ich fürchte, der Kleine hat eine Appendizitis – eine Blinddarmentzündung, laienhaft gesagt“, fügte er hinzu, als er meinen fragenden Blick sah. „Ich gebe ihm jetzt erst mal eine Morphinspritze gegen die Schmerzen. Aber er muss sofort operiert werden.“

„Wir werden uns beeilen, ihn in die Oase zu bringen“, versicherte ich ihm. „Aber mindestens zwei bis drei Tage werden wir wohl noch brauchen.“

Der Arzt schüttelte den Kopf. „Wenn ich ‚sofort‘ sage, dann meine ich sofort, Mr. Kara. Meines Erachtens steht sein Appendix kurz vorm Durchbruch – so etwas kann sehr schnell gehen, innerhalb von 24 Stunden. Platzt der Wurmfortsatz und gelangen Bakterien in den Bauchraum, dann droht eine Blutvergiftung. Und die würde er wohl kaum überleben.“

„Eine Operation hier, mitten im Nirgendwo? Wie stellen Sie sich das vor, Dr. Davenport?“ Ich runzelte die Stirn.

„Oh, ich denke, wir haben alles Nötige hier“, entgegnete er freundlich lächelnd. „Wir haben Wasser, und zum Glück habe ich ja meine Arztasche immer dabei.“

„Aber Eure Hand, Dr. Davenport“, erinnerte ich ihn vorsichtig. „Ihr könnt so unmöglich operieren!“

„Da habt Ihr allerdings Recht!“ Er hob seine Hand und betrachtete sie traurig. Die blaurote Verfärbung ging zwar schon wieder zurück, aber die Finger waren noch immer deutlich angeschwollen und er konnte sie kaum krümmen. „Das wird nicht gehen. Nun, dann müssen wir’s eben anders machen. Ich werde Euch anleiten.“

Mit seiner gesunden Linken öffnete er seine schwarze Ledertasche und begann darin zu kramen.

Ich starrte ihn fassungslos an.

„Ihr werdet was?“

„Euch anleiten. Ich habe langjährige Erfahrung, und Ihr seid ein geschickter Mann mit dem Messer, Mr. Kara.“

Ich trat einen Schritt zurück und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ihr meint, ich soll dieses Kind … nein, Ihr fantasiert, das ist völlig unmöglich!“

„O Sidhi, ich bin mir sicher, dass du das kannst!“, rief Halef begeistert und wandte sich dem Jungen zu. „Hab keine Angst, mein Sidhi ist auch als Hekim ein Meister, er hat sogar schon Zähne gezogen. Er wird dich heilen.“

In diesem Augenblick hätte ich meinen treuen Diener erwürgen können.

„Effendi, rette mich!“, bat der Kleine in seinem gutturalen Arabisch, und seine dunklen Augen blickten flehend. „Ich vertraue dir.“

Dr. Davenport hatte inzwischen seine Arzttasche geöffnet und das Operationsbesteck – eine Reihe von Skalpellen, Spreizern, Pinzetten, Schere, Nadel und Nähmaterial – auf einem Mulltuch ausgebreitet.

„Das sollte reichen; eine Säge werden wir bei einer so einfachen Operation nicht brauchen.“ Er lächelte mir ermutigend zu. „Mr. Halef“, wandte er sich dann in seiner höflichen Weise an Halef, „würdet Ihr wohl genügend Wasser aufsetzen, um Geräte und Hände zu sterilisieren?“

„Sterilisieren?“ Halef runzelte die Stirn. „Ach, Ihr meint, diese kleinen, unsichtbaren bösen Dschinns abtöten, die sich in Wunden einnisten? Mein Sidhi hat mir davon erzählt.“

Er ergriff unseren Aluminiumkochtopf, scheuerte ihn kräftig mit Sand aus, füllte ihn bis zum Rand mit Wasser und stellte ihn auf den Gaskocher. Der Arzt hatte inzwischen ein abgegriffenes Anatomiebuch aus den unergründlichen Tiefen seiner Tasche gezogen und aufgeschlagen.

„Seht her, Mr. Kara. So verläuft der Dickdarm, das ist der Blinddarm, und hier hängt der Wurmfortsatz, dem es gleich an den Kragen geht …“

Ich schluckte nur und sagte nichts.

Sobald das Wasser kochte, gab Dr. Davenport ein paar Tropfen seines Antiseptikums hinzu, ließ die Operations-instrumente einige Minuten köcheln, fische sie dann mit einem Haken heraus und breitete sie auf dem Tuch aus.

„Nun Eure Hände, Mr. Kara, so heiß wie möglich!“, wies der Arzt mich an.

Ich gehorchte.

„Wäre es nicht besser, wenn der Doktor seine Linke ebenfalls waschen würde, falls du eine weitere Hand brauchst, Sidhi?“, warf Halef ein.

„Blimey, gute Idee!“ Dr. Davenport machte sich ebenfalls ans Waschen.

Inzwischen war die Sonne untergegangen. Halef hatte eine unserer Petroleumlampen auf Hochdruck gebracht und so erhellte nun strahlendes Licht die improvisierte Operationsstätte. Dr. Davenport schlug den Kaftan des Jungen zurück, sodass dessen Unterleib nun bloßlag.

„Zum Glück noch kaum Haare da unten, wir werden ums Rasieren herumkommen“, grinste er und begann, den Unterbauch des Jungen mit Alkohol zu desinfizieren. „Ich werde den jungen Mann gleich ins Reich der Träume schicken, und dann müsst Ihr die Narkose übernehmen, Mr. Halef.“

Halefs Augen weiteten sich, aber er nickte nur.

Der Arzt legte ein Baumwolltuch über Mund und Nase des Jungen und lächelte ihm zu.

„Keine Angst, mein Lieber, nur tief atmen und einschlafen – und wenn du wieder aufwachst, ist alles vorbei.“ Er öffnete eine braune Glasflasche und der süßliche Duft von Chloroform drang in meine Nase.

Nur wenige Atemzüge und der Kleine schloss die Augen.

„Vier bis sechs Tropfen pro Minute, achtet auf seinen Atem“, wies der Arzt Halef an, der stumm nickte und die Chloroformflasche übernahm.

„Seid Ihr bereit, Mr. Kara?“

Ich kniete mich an die linke Seite des Jungen. Der Doktor hockte sich neben mich und reichte mir ein Skalpell.

„Stellt Euch hier auf der linken Seite eine Linie zwischen Beckenkamm und Nabel vor; etwa auf einem Drittel dieser Linie macht Ihr einen rund 10 Zentimeter langen Einschnitt.“

Das Skalpell lag in meiner Hand, als ob es Tonnen wöge. Mein Herz pochte, und obwohl es deutlich kühler geworden war, standen Schweißperlen auf meiner Stirn. Ich hatte schon Männer verletzt, gar getötet, sei es mit der Faust, dem Messer oder der Kugel, aber das war in der Hitze des Gefechts geschehen und etwas ganz anderes, als einen wehrlosen Menschen, noch dazu ein Kind, aufzuschneiden.

„Ich kann das nicht, Doktor“, flüsterte ich.

„Ich weiß, wie Ihr Euch fühlt, wie ich mich bei meiner ersten OP gefühlt habe, trotz all meiner Ausbildung. Ich hatte einfach nur eine Scheißangst.“ Dr. Davenport war ins Englische verfallen, das Halef nicht verstand. „Aber wenn wir den Versuch nicht wagen, werden wir morgen ein Grab für Dawud ausheben müssen.“ Er sah mir direkt in die Augen und seine dicken Brillengläser funkelten. „Ihr seid die einzige Chance dieses Menschenkindes. Ich werde Euch Schritt für Schritt durch die Operation führen, und Eure Hände werden sein wie die meinen! Nur Mut!“

Der alte Arzt hatte Recht. Es wäre nicht Vorsicht, sondern Feigheit gewesen, es nicht wenigstens zu versuchen. Ich holte tief Luft, nahm all meine Willenskraft zusammen und setzte die Klinge an. Fast ohne Widerstand durchtrennte das Skalpell die Bauchdecke, zunächst die Haut, dann das gelblichweiße Fettgewebe und schließlich zwei Schichten rosafarbener Muskulatur. Als das hellrote Blut spritzte, wollte ich instinktiv zurückweichen, doch der Moment der Schwäche ging vorüber.

Davenport hielt Gefäßklammern bereit, um die Blutungen rund um den Einschnitt zu stoppen, und tupfte die Umgebung sauber. Seine ruhige Stimme führte mich, ließ mich den Einschnitt auseinanderziehen, das Bauchfell öffnen, mit den Fingern in der Bauchhöhle nach dem Appendix suchen, ihn herausziehen, hochrot entzündet und geschwollen. Ich hatte längst alle eigenen Gedanken ausgeschaltet, arbeitete wie ein Automat, dessen Hände nicht ihm, sondern dem Mann mit der ruhigen Stimme gehörten. Und diese Hände banden den entzündeten Wurmfortsatz ab, trennten ihn vom Blinddarm und versenkten den Stumpf in der Höhlung.

Einen Moment Verschnaufpause, die verkrampften Glieder strecken, dann reichte mir der Doktor die bereits eingefädelte Rundnadel.

Als ich danach greifen wollte, sah ich zu meiner Bestürzung, dass meine Hände zitterten wie Espenlaub.

„Meine Hände …“, stotterte ich. „Ich werde ihn verletzen.“

„Typisch für die erste Naht! Das vergeht nach den ersten Stichen“, versicherte mir mein Mentor ungerührt und drückte mir die Nadel in die Hand. „Bald habt Ihr’s geschafft, Mr. Kara! Ihr könnt jetzt nicht schlappmachen.“

Ich biss die Zähne zusammen und nickte stumm. Und dann nähte ich zusammen, was zusammen gehörte: Bauchfell, zwei Schichten Muskulatur und schließlich den Einschnitt in der Haut. Als ich endlich den Faden durchtrennt und mit Pflaster eine Lage Verbandmull über der Wunde befestigt hatte, stand ich mühsam auf, ging zum Höhlenausgang und starrte in die Nacht. Ich war in Schweiß gebadet und fühlte mich ausgelaugt wie nach einem harten Ringkampf.

Ich weiß nicht, wie lange ich so vor der Höhle gestanden habe, als sich Dr. Davenport mit breitem Grinsen zu mir gesellte.

„Euer Umgang mit Nadel und Faden ist noch verbesserungsfähig, Mr. Kara, aber die Nähte werden halten. Und für das Skalpell habt Ihr wirklich Talent.“ Er warf dem schlafenden Jungen einen Blick zu. „Ich habe ihm noch eine Morphinspritze gegeben, damit er nach dem Aufwachen keine Schmerzen hat. Sein Puls ist kräftig, seine Atmung ruhig – er wird es packen!“ Und an Halef gewandt, der neben uns getreten war: „Auch die Narkose war wirklich professionell!“

Der Kleine breitete die Arme aus und grinste breit.

„O Sidhi, ich wusste ja, dass wir es schaffen! Hättest du dich nicht für die Schriftstellerei entschieden, wärest du sicher ein berühmter Hekim geworden – und ich dein getreuer Assistent.“ Er gähnte laut. „Ich glaube, ich habe selbst einiges von diesen betäubenden Dämpfen eingeatmet … Wenn du mich also nicht mehr brauchst, sehe ich nochmal nach den Dromedaren und rolle mich dann ein.“

„Schlaf nur, mein guter Halef, du hast dir deine Nachtruhe wirklich verdient“, beschied ich ihn.

„Und das gilt auch für Euch, Mr. Kara“, meinte der alte Arzt. „Ich bleibe noch einen Augenblick bei unserem Patienten sitzen.“ Seine Stimme klang müde, und zum ersten Mal seit dem Eingriff sah ich ihn bewusst an. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah völlig erschöpft aus, und ich begriff, was für eine Verantwortung und mentale Anstrengung es für ihn gewesen sein musste, mich durch die Operation zu leiten.

„Ihr könnt Euch ruhig ebenfalls hinlegen, Doktor. Ich werde noch eine Weile bei Dawud bleiben, ich bin sowieso noch viel zu aufgewühlt zum Schlafen.“

Dass er nicht widersprach, zeigte, wie müde er war. Im Vorbeigehen legte er mir eine Hand auf die Schulter.

„Ich glaube, Ihr habt heute einen Eurer schwersten Kämpfe gekämpft, Mr. Kara. Und ihn gewonnen. Bravourös gewonnen!“

Bald hörte ich aus der Höhle nur noch das leise rhythmische Schnarchen meiner Gefährten. Von dort, wo die Dromedare angepflockt waren, drangen ab und zu Wiederkäugeräusche zu mir herüber, sonst war alles still. Ich ließ mich neben Dawuds Lager nieder und blickte zum Sternenhimmel empor, so majestätisch, wie es ihn nur über der Wüste gibt.

Wie klein der Mensch doch war …

Ich weiß nicht, wie lang ich so saß und schaute, als mich eine leichte Bewegung den Kopf wenden ließ. Dawud hatte die Augen geöffnet und sein Blick war klar.

„Danke, Effendi!“

Ich drückte seine Hand.

„Dank Dr. Davenport.“

„Gleich morgen früh“, versprach er. Und während sich seine Lider wieder senkten, fügte er schlaftrunken hinzu: „Vielleicht kann der Hekim ja einen Diener brauchen …“

„Vielleicht.“ Ich schob seine Hand wieder unter die Decke.

Und dann fielen auch mir irgendwann die Augen zu.

Bianca M. Riescher

Der Geisterberg

1. Im Fezzan

Nach unseren schrecklichen Erlebnissen auf dem Schott Dscherid und der erfolglosen Jagd nach dem Mörder Hamd el Amasat1 waren wir über Tripolis weitergezogen, um durch die große Wüste nach Ägypten zu gelangen.

Da ich vor ein paar Jahren mit meinem Freund Sir Emery Bothwell schon einmal die Sahara durchstreift hatte und einige der Karawanenwege kannte, traute ich mir durchaus zu, nicht auf dem direkten Weg nach Misr, wie die Araber Ägypten nennen, sondern über eine südliche Route nach Murzuk und weiter zu den Kufrah-Oasen zu reisen.

Wir konnten uns ohnehin auf unserer Reise an den Nil Zeit lassen, da wir keinerlei Verpflichtung hatten, an einem bestimmten Tag an einem vorgegebenen Ort einzutreffen. So zog ich also mit Hadschi Halef Omar an meiner Seite, der weniger ein Diener war als vielmehr ein treuer und mutiger Reisegefährte, Richtung Süden in den Fezzan.

Unser Weg führte uns immer südlicher in die Sahara, bis wir in die Gegend von Murzuk gelangten, die ich schon von der Jagd nach der Gum2 kannte,3 aber immer noch weit nördlich von Ghat, das unser nächstes Ziel war.

Aus den Reiseberichten des berühmten Afrikaforschers Heinrich Barth war zu entnehmen, dass es in der nördlich von Ghat gelegenen Felsformation namens Idinen, die bei den Arabern auch Kasr al-Dschinnun4 oder auch Dschebel al-Dschinnun5 genannt wird, Felszeichnungen geben sollte. Diese Ritzungen und Malereien wollte ich suchen, da sich Barths Beschreibung mit den Erzählungen eines alten Dalil-u-Kafilati6 deckte, der mir davon berichtet hatte.

Bei meinen Reisen jenseits des Großen Teichs in Amerika waren mir öfters Felsmalereien der dortigen Ureinwohner aufgefallen, von denen mir mein Blutsbruder Winnetou zu berichten wusste, dass sie vielen Generationen von Vorvätern bekannt waren, mithin also wohl schon lange vor Ankunft des Weißen Mannes auf Felsen angebracht wurden. Sollte es solche Felsenkunst auch in der Sahara geben, wollte ich sie mir unbedingt betrachten und mit den mir vertrauten Malereien aus Amerika vergleichen. Wer weiß, welche Geheimnisse der frühen Menschen sie enthüllten, die diese Region bewohnten, als sie noch keine Wüste war.

Ein Umstand, der mich zuversichtlich stimmte, hier ältere Hinterlassenschaften zu finden als Ruinen aus der Zeit der Römer. Denn im Gegensatz zu dem Kasr, das Emery Bothwell und ich auf der Jagd nach dem Hedschahn-Bei entdeckten und das ich den Römer zugeschrieben hatte, handelte es sich bei dem Kasr al-Dschinnun um ein natürliches Felsmassiv.

Die Sonne brannte trotz der fortgeschrittenen Tageszeit noch immer heiß vom Firmament, und ich verspürte nicht die geringste Lust, mich zu unterhalten, sodass wir den Nachmittag über weitgehend schweigend durch das flache Gelände, welches nur ab und an von einzelnen Sandflächen unterbrochen wurde, gezogen waren.

Mittlerweile waren wir von Ubari aus in westlicher Richtung bis zu einer kleinen Quelle weitergeritten und schwenkten nun nach Süden um. Parallel zu unserer Linken umgingen wir so eine steil anstrebende Hochebene, der schlanke Felstürme vorgelagert waren, die sich wie knotige Finger aus der wabernden Hitze der Ebene emporreckten.

Allerdings schien Halef nicht länger schweigen zu können oder zu wollen, wie ich bemerkte. Eine ganze Weile schon rutschte er auf dem Sattel seines hochbeinigen Meharis herum und schnitt ein ums andere Mal ein verdrießliches Gesicht, bevor er mit den Händen wedelte, als wollte er einen Schwarm Fliegen verscheuchen.

Amüsiert über die Beweglichkeit seiner Gesichtszüge und auch neugierig, was ihm diese Unbehaglichkeit bereitet haben mochte, verlangsamte ich den Schritt meines Dromedars und zeigte einladend auf das Gebirge, das sich in einiger Entfernung am Horizont langsam aus der Ebene erhob.

„Wenn ich mich nicht irre, nähern wir uns dem Kasr al-Dschinnun“, meinte ich unverfänglich und wie ich schon ahnte, ergriff Halef sofort die Gelegenheit, um seinen Unmut zu äußern.

„Sihdi, bist du sicher, hier al-Nuqush al-Sachria7 zu finden? Du weißt, dass ich aus Djanet stamme, das auf der anderen Seite des Gebirgszugs liegt. Zwar mag es solche Inschriften, wie du sie suchst, in den Schluchten des Tassili n’Ajjer geben, aber sicherlich nicht in diesen Felsen, die von Allah verlassen und vergessen sind.“

„Wie kommst du darauf, dass diese Felsen von Gott verlassen sein sollen?“

„Sonst würde kein Dschinn auf dem Gipfel des Berges hausen.“

„Das ist reiner Aberglauben, mein guter Halef.“

„Das sagst du, weil du aus Almanya stammst, wo es keine Geister in den Bergen gibt.“

„Auch in Almanya gibt es durchaus Sagen, die von geisterhaften Erscheinungen auf Bergen berichten, wie zum Beispiel dem Brockengespenst. Dafür gibt es aber ganz einfache Erklärungen, da es sich nur um eine optische Erscheinung aufgrund von Schattenwurf auf eine Nebelwand handelt.“

„Das mag für falsche Nebelgespenster in Almanya gelten. Doch in al-Sahra-al-kubra triffst du überall auf echte Geister. Jeder Targi und jeder Radschul-arabi wird dir meine Worte bestätigen.“

„Und woher wollen sie das so genau wissen? Der Forschungsreisende Heinrich Barth, der diese Berge beschrieben hat, konnte hier keine Geister entdecken.“

„Ja, ich habe Geschichten über diesen berühmten Almani gehört. Der Neffe des Großonkels meines Vetters hatte ihn begleitet und ihn gewarnt, sich nicht dem Kasr al-Dschinnun zu nähern. Er hat aber nicht auf seine Begleiter gehört. Der Almani wagte sich in das Felslabyrinth, verirrte sich und wäre fast verdurstet, wenn ein Targi und die Gnade Allahs ihn nicht gerettet hätten.“

„Das passiert durchaus in der Wüste, dass der Reisende vom Weg abkommt und Gefahr läuft zu verdursten. Und wenn ein Targi meinen Landsmann mit Allahs Hilfe retten konnte, scheinen diese Berge doch nicht so ganz von Allah verlassen und vergessen zu sein.“

„Ich höre aus deinen Worten, dass du mich und die Dschinnun nicht ernst nimmst. Aber das war kein Zufall. Das war das Werk der Berggeister.“

„Vor denen du sicherlich keine Angst haben musst, Halef. Außerdem werden wir sowieso erst morgen bei hellichtem Tag am Kasr ankommen. Zudem sind wir reichlich mit Vorräten und Wasser versehen.“ Während wir uns unterhielten, näherte sich im Westen die Sonne immer weiter der Horizontlinie. „Aber in einer Stunde geht die Sonne unter, und wir sollten uns besser ein Lager für die Nacht suchen, ehe wir uns vor nicht vorhandenen Geistern fürchten.“

„Angst? Sihdi, du weißt, dass ich mich vor keinem Menschen fürchte, aber mit den Dschinnun ist nicht zu spaßen.“

„Mir machen weniger die Geister zu schaffen als vielmehr die Lebenden.“

Ich hielt mein Mehari an und betrachtete aufmerksam zahlreiche Spuren, die unseren Weg kreuzten und sich in der tief stehenden Sonne deutlich abzeichneten. Auf der sandigen Fläche traten Fußstapfen von Kamelen und Menschen durch den Schattenwurf merklich hervor. Natürlich mussten wir untersuchen, wer vor uns hier entlanggekommen war, denn es bestand in dieser Weltgegend durchaus die Gefahr, abends quicklebendig sein Haupt zur Ruhe zu legen und am anderen Morgen nicht mehr aufzuwachen, weil Räuber einem Wasser, Reittiere und nicht selten auch das Leben entwendeten. Es war deshalb immer angeraten, keine der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen eines Abenteuerreisenden zu vernachlässigen und stattdessen nachzuforschen. Nicht zuletzt, weil ich mit einem Blick sah, dass die Fährte noch frisch und nur eine Stunde alt war. Aber auch eine gute Gelegenheit, Halef ein wenig das Spurenlesen zu lehren.

Wir ließen unsere Reitkamele niederknien und stiegen ab, und ich wies Halef an, die Lastkamele ebenfalls zu sichern, damit sie nicht auf den Abdrücken herumtrampelten. „Halef, bleib hinter mir und achte darauf, die Fährte nicht zu verderben.“

Mit festem Blick auf den Boden gingen wir eine ganze Strecke zunächst Richtung Nordosten. Wer auch immer hier entlanggekommen war, ritt ausgezeichnete Kamele, wie ich an den Sohlenabdrücken erkannte. Ich machte Halef auf die Ränder aufmerksam, an denen das geschulte Auge das Alter einer Fährte ablesen konnte. Insgesamt zählte ich die Abdrücke von zehn Kamelen. Alles Reittiere.

„Siehst du, Halef, wie gleichmäßig und zielgerichtet die Stapfen in einer geraden Linie von Nord nach Süd verlaufen?“

„Ja, Sihdi. Vermutlich nur Arab oder Tuareg, die Verwandte besuchen wollen.“ Er wedelte mit der Hand gen Süden. „Wahrscheinlich wollen sie nach Ghat. Komm, Sihdi. Es wird bald dunkel und wir haben noch immer kein Lager eingerichtet. Wir haben nicht die Zeit, jedes Steinchen umzudrehen.“

Mein Bauchgefühl, das mich selten trog, war nicht so ganz von der Harmlosigkeit der Reiter überzeugt.

„Es ist niemals verkehrt, die notwendige Vorsicht walten zu lassen, Halef. Solange es hell genug ist, möchte ich diese Spuren untersuchen, die mir doch ungewöhnlich erscheinen.“

Halef seufzte ergeben und folgte mir weiter, nicht ohne trotzdem ein wenig zu murren.

„Überflüssiges Herumgelaufe.“

Nachdem wir der Fährte ungefähr fünf Minuten ostwärts gefolgt waren, aber keine Auffälligkeiten entdecken konnten, gingen wir zurück. Natürlich musste ich auch noch den südwestwärts führenden Teil untersuchen, obwohl die Sonne nun schon fast den Horizont erreicht hatte. In Kürze würde ich die Abdrücke nicht mehr erkennen können.

Um Zeit zu gewinnen, hieß ich Halef, unweit in der Mulde zwischen zwei sandigen Erhebungen das Lager aufzuschlagen. Was nicht lange dauerte, denn außer einem kleinen Lagerfeuer, das gedeckt durch die bewachsenen Sandhügel nicht weit zu sehen sein würde, und unsere Decken, brauchten wir für ein gemütliches Nachtlager nicht viel mehr. Während ich die Fährte jetzt alleine weiterlas, konnte Halef uns zudem einen erquickenden Tee zubereiten.

Ab und an endeten die Abdrücke, wenn die sandige Fläche in steinigen Untergrund überging. Dann wiesen nur Steinchen, die aus ihrer Lage gerückt worden waren, auf die Reiter hin.