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Die Polizisten Huber und Weiss müssen den Mord an der Keramikerin Alina Locca aufklären. Im Schlepptau haben sie immer den Aspiranten Bruno Glätzli, der sie immer wieder an den Rand der Verzweiflung bringt. Ein unglaublicher Lebensstil von Alina Locca kommt ans Tageslicht, was diesen Fall immer verwirrender macht. Gelingt es dem Trio, trotz des Schalks des Aspiranten diesen Fall zu lösen?
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Seitenzahl: 210
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Adriana Mandione
Tod einer Keramikerin
Roman
Adriana Mandione
Impressum
Texte:
Adriana Mandione
Umschlag und Coverdesign:
Florin Sayer-Gabor
www.100covers4you.com
Bilder Adobe Stock:
Yuliia, YY apartment, NikhomTreeVector
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Handwerksmärkte und Kunstausstellungen finden wieder statt. Die Hersteller und Künstler präsentieren ihre handgefertigten Waren, die verkauft werden wollen. Dazu werden von Wochenende für Wochenende in immer einer anderen Stadt die Stände aufgebaut und nach zwei anstrengenden Tagen wieder mühselig abgebaut.
Lena liebt solche Märkte und Ausstellungen. Mit ihrem Hang zu schönen Dingen gibt es kaum ein Marktwochenende, an dem sie mit leeren Händen nach Hause geht.
An einem schönen Herbstwochenende verabredet sie sich mit ihrer Freundin Samantha. Gemeinsam wollen sie einen Kunst- und Handwerksmarkt in Aarau besuchen. Solche Tage werden für die Freundinnen stets zu einem Erlebnis. Mit viel Lachen, Genuss und auch etwas Lästern lassen sie solche Tage immer zu einem Highlight in ihrem doch schon etwas älteren Single-Leben werden.
An solch einem Markt lernen sie Alina Locca kennen. Eine Keramikerin, die ihre hergestellten Töpfe, Tassen und einiges mehr, zum Verkauf anbietet. Alinas Preise sind horrend. Nichts für kleine Geldbeutel. Doch Lena findet Gefallen an Alinas Produkten. Als Single mit einem relativ guten Einkommen hat sie es auch nicht nötig, so sehr auf das Geld achten zu müssen. Was gefällt, wird gekauft.
Nach dem ersten Kennenlernen auf dem Markt und dem Besuch bei Alina im Atelier begann für Lena die Zeit, in der sie Alina begann zu unterstützen. Finanziell!
Denn Alina hat ihr von ihrem Privatleben erzählt und auch davon, dass sie mit dem, was sie macht, nicht so viel verdient, um damit ihren Lebensunterhalt allein bestreiten zu können. Immer wieder muss sie ihr Partner unterstützen.
Irgendwann begann die gutmütige und manchmal vielleicht sehr leichtgläubige Lena auch, Geld für die Ateliermiete und für andere Dinge an Alina zu überweisen.
Diese Gutmütigkeit dauert so lange, bis Lena dahinterkommt, dass sie von Alina schamlos ausgenutzt und belogen wurde.
Denn Alinas Bescheidenheit ist nur vorgespielt und so falsch, wie ein gefälschter Geldschein. Ihre unschuldige Art und scheinheilige Freundlichkeit sind lediglich ein Mittel zum Zweck. Alina spielt ein falsches Spiel, um an das Geld anderer Leute zu kommen. Und wahrscheinlich, spielt sie dieses Spiel nicht nur mit Lena.
Als in einem Waldstück am Stadtrand Alinas lebloser Körper aufgefunden wird ist schnell klar, dass die junge Keramikerin einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel.
Bei den Ermittlungen stösst die Polizei auf Alinas falsche Machenschaften. Und auf viele Männerbekanntschaften.
Was wurde Alina zum Verhängnis? Die falschen Machenschaften oder eine ihrer Männerbekanntschaft?
Je länger die Ermittlungen der Polizei andauern, umso verwirrender wird der Fall. Wie konnte sie nur alle so täuschen? In einem Ausmass, das jegliches Vorstellungsvermögen übersteigt?
Es scheint, als führte sie ein Doppelleben.
Als unschuldige Keramikerin und als skrupellose Betrügerin.
„Hör mal. Am Samstag ist in Aarau ein Markt. Weisst du, Kunsthandwerk und so. Ich möchte hingehen. Hast du Lust mitzukommen?“ – ruft Lena fragend von der Küche ins Wohnzimmer rüber, wo ihre Freundin Samantha sitzt und auf den Kaffee wartet. Doch von Samantha kommt keine Antwort. Vertieft sitzt diese über einer Frauenzeitschrift und versucht verbissen das Kreuzworträtsel zu lösen, so dass sie Lenas Worte nicht wahrnimmt.
„Und? Wie sieht es aus? Kommst du am Samstag nun mit oder nicht?“, fragt Lena noch einmal und stellt währenddessen den Kaffee auf den Tisch.
„Wohin?“ Samantha legt die Zeitschrift zur Seite und nimmt ihre Lesebrille von der Nase. Lena wiederholt ihre Frage erneut und hofft, endlich eine Antwort zu bekommen.
„Ja, klar doch“ – erwidert sie – „dann machen wir uns wieder einmal einen richtig schönen Tag. Das ist doch eine prima Idee. Da freue ich mich richtig drauf.“
Die Freundschaft der zwei Frauen hält bereits seit der Schulzeit. Mittlerweile sind beide in den Fünfzigern, beide geschieden und stehen inmitten der Blüte ihres Lebens. Häufig treffen sie sich sonntags bei Lena zum Kaffee. Und fast immer rundet ein ausgiebiger Spaziergang diese Nachmittage ab. Die Zeit nutzen sie intensiv, um sich auszutauschen und nicht zuletzt auch, um manchmal etwas zu lästern. Ein regelmässiges Thema ist in letzter Zeit der Ruhestand geworden, auf den sie, in gewisser Weise gemeinsam, langsam zusteuern. Lena möchte auf keinen Fall bis zum ‚bitteren Ende‘ arbeiten. Ihr Ziel ist es, vorzeitig in den Ruhestand gehen zu können. Samantha hingegen, die immer sehr klar und mit einer strengen Linie unterwegs ist befürchtet, dass sie selbst, sich das aus finanzieller Hinsicht nicht so gut leisten kann wie ihre Freundin. Oder sich das zumindest nicht so früh leisten kann, wie Lena. Trotzdem setzt auch sie alles daran, um den Ruhestand etwas früher geniessen zu können.
Im Wetterbericht wurde das Wetter für heute etwas schöner angepriesen, als es nun tatsächlich ist. Es ist windig. Sehr windig und der Blick zum Himmel lässt es ungewiss sein, ob es noch zu regnen beginnen wird oder nicht. Doch dies tut Lenas Tatendrang keinen Abbruch. Sie ist nicht der Typ Mensch, der nur zu Hause rumsitzt. Und das Wetter kann sein, wie es will. Das kann ihr gar nichts anhaben. Bewegung braucht sie immer etwas.
„Gehen wir noch etwas spazieren?“ – fragt sie plötzlich. Samantha nickt und steht sofort an der Garderobe, um ihren Mantel zu nehmen. Es scheint, als habe sie förmlich darauf gewartet, endlich raus gehen zu können.
Lena ist in einem schönen Quartier in Zürich zu Hause, das auch wunderbare Gelegenheiten für ausgiebige Spaziergänge bietet. Unweit ist ein schönes Waldstück, das sie gerne nutzt, um zur Ruhe zu kommen. Auch an den sonntäglichen Treffen gehen die zwei Freundinnen gerne in dieses Waldstück hoch. Doch heute schlendern sie nur durch die Strassen und meiden den Wald. Es ist zu stürmisch, um sich im Wald aufzuhalten. Wild wirbeln die von den Bäumen gefallenen Blätter in der Luft umher oder fegen über die Strassen. Kreuz und quer, auf und ab, zeigen sie einen fröhlichen Blättertanz.
„Schau mal…“ sagt Lena, während sie mit dem Ellenbogen an Samantha stupst, „diese zwei da drüben. Ach muss die Liebe schön sein. Ich frage mich, ob das Mädchen nicht doch kalt hat. Das Röckchen ist doch etwas sehr kurz. Findest du nicht auch?“, dabei lacht Lena laut. Im Wissen, dass Samantha sowas gar nicht lustig findet. Auf der anderen Strassenseite ist ein junges Paar. Heftig knutschend. Die junge Frau in einem Minirock der das Wort ‚Mini‘ wirklich verdient hat. Denn mehr ‚Mini‘ geht kaum noch.
„Mein Gott. Hoffentlich fangen die nicht noch an, es auf der Strasse zu treiben. Das macht man doch nicht so in der Öffentlichkeit. Meine Güte… die sind aber wild,“ findet Samantha, die sehr konservativ ist und sich dementsprechend über diese Szenerie empört. Im Gegensatz zu Lena, kann sie sich gar nicht darüber amüsieren. Sie findet es schrecklich, wie man sich auf der Strasse, in der Öffentlichkeit, so verhalten kann.
„Aua“ – schreit Samantha plötzlich. Lena, die sich immer noch köstlich über das junge Paar amüsiert, hat sich ab diesem Schrei sichtlich erschrocken. Samantha liegt auf dem Boden und hält sich den linken Knöchel.
„Aua, Aua… so ein Mist. Ich habe diese Bordsteinkante nicht gesehen. Aua!“
Fürsorglich beugt sich Lena zu ihrer Freundin hinunter und begutachtet den Knöchel.
„Oje, das sieht nicht gut aus. Ich glaube wir müssen ins Krankenhaus. Was ziehst du auch immer solche Schuhe mit so hohen Absätzen an in denen du kaum gehen kannst! Dieses Thema hatten wir doch auch schon einige Male. Ach, Samantha. Komm ich helfe dir hoch. Wir gehen erst zu mir und dann schauen wir weiter. Ok?“ Samantha nickt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und mit Lenas Hilfe verlässt sie die ungemütliche Position auf dem Boden.
Zurück in Lenas Wohnzimmer, wird Samantha liebevoll von ihrer Freundin verarztet.
“Sollen wir nicht doch lieber ins Krankenhaus fahren?“
„Nein, nein. Das ist schon nicht so schlimm. Ich warte jetzt ab, wie es bis morgen ist. Sonst kann ich morgen immer noch zum Arzt gehen. Ich danke dir.“
Auf diesen Schreck braucht Samantha noch einen Kaffee mit einem kleinen ‚Gigs‘ (Schnaps) dazu, bevor sie nach Hause geht. So ein Schnäpschen hilft auch die Schmerzen etwas zu lindern. Lena holt den Kaffee und den Schnaps aus der Küche. Beim Eintreten in das Wohnzimmer mit dem Tablett in der Hand kann es die lebenslustige Frau, die manchmal einen etwas eigenartigen Humor pflegt, nicht mehr zurückhalten und lacht.
„Also ich hätte nie gedacht, dass dich zwei so wild knutschende Teenager so umhauen können.“
Immerhin bringt sie Samantha damit auch zum Lachen, obwohl ihr Knöchel wirklich ziemlich schmerzt.
Den Markt vom kommenden Wochenende im Kopf, geht Samantha am nächsten Tag doch noch zum Arzt. Denn sie will unbedingt mit Lena nach Aarau und einen schönen Tag verbringen. Zumal sie ja jedesmal auch quasi als Aufsicht dient, weil Lena sonst das Geld mit beiden Händen nur so zum Fenster raus schmeissen würde. Manchmal – und gerade an solchen Märkten und Ausstellungen – braucht Lena wirklich jemand, der ein Auge auf sie hat.
Endlich ist Freitag und damit eine weitere Arbeitswoche vorbei. Was für ein Stress! Tag für Tag!
Lena lässt sich auf das Sofa fallen und ihr Blick richtet sich starr zur Wand. Müde von dieser Woche. Müde von all den Problemen fragt sie sich, wie lange sie das wohl noch machen wird und vor allem auch kann. Und wieder denkt sie sich, dass es doch im Leben noch mehr geben muss als dieser ständige Alltagsstress. Als Assistentin der Geschäftsleitung eines grossen Modekonzerns, ist sie ständig auf Trab und immer in Hektik. Oft bleibt kaum Zeit um fünf Minuten in Ruhe durchatmen zu können. Dazu kommen die jungen Arbeitskolleginnen, die ihr den Job streitig machen. So artet fast jeder Tag in einem gnadenlosen Kampf, um im Job überleben zu können aus, den es bis zum Abend hin, zu gewinnen gilt. Tag für Tag. Immer das gleiche. Der Gedanke, den Job zu kündigen, hat Lena irgendwann aufgegeben. In ihrem Alter findet man nicht mehr so leicht eine neue Arbeit. Schon gar nicht, mit dem Gehalt, das sie jetzt hat. Und wenn man doch etwas Neues findet, gibt es keine Garantie, dass es am neuen Ort klappt. Und wenn nicht? Was dann? Also - ist das für sie keine Option mehr. Stattdessen heisst es einfach, die letzten Jahre noch Durchbeissen und so gut wie möglich hinter sich zu bringen. Dazu die Freizeit so gut wie möglich mit schönen Dingen und lieben Freunden geniessen. Das macht alles etwas einfacher.
Sie greift nach der Fernbedienung des Fernsehens und drückt ganz automatisch auf einen Knopf.
„Und morgen können wir uns auf einen schönen und sonnigen Herbsttag freuen“, tönt es aus der Flimmerkiste, was Lena zu verstehen gibt, dass sie die Nachrichten schon wieder verpasst hat. Mit einem Lächeln verabschiedet sich die Wetterfee von den Zuschauern. Das Zeichen für Lena, wieder auf den Knopf zu drücken und das Gerät auszuschalten. Die Nachrichten und das Wetter sind so ziemlich das Einzige, was sie regelmässig schaut. Ansonsten ist das Fernsehprogramm eher eine Zumutung.
Und plötzlich huscht ein Lächeln über Lenas Gesicht. Was will man mehr als einfach nur schönes Wetter an einem freien Tag, an dem man etwas unternehmen will. Sofort spürt sie die Vorfreude auf den nächsten Tag und ruft gleich Samantha an.
„Hast du den Wetterbericht gehört? Morgen soll prima Wetter sein. Wir haben Glück. Sag mal, wie geht es eigentlich deinem Knöchel? Kannst du morgen überhaupt mitkommen?“
Erst jetzt wird Lena bewusst, dass sie sich die ganze Woche über nicht bei Samantha erkundigte, wie es ihr geht. Weil sie die ganze Woche über Tag für Tag erst spät abends nach Hause kam. Samantha wiederum wusste, was Lena für eine Woche vor sich hatte und wollte sie nicht mit ihren Banalitäten belasten. Deshalb und weil sie selber auch eine sehr strenge Woche hatte, beliess sie es dabei, bis zum Wochenende zu warten, um Lena vom Arztbesuch zu erzählen.
Wäre es etwas Schlimmes gewesen, hätte sie Lena früher informiert.
„Ja, ja. Ich kann mitkommen. Ich hätte dir doch sonst Bescheid gegeben. Ich war am Montag noch beim Arzt, um sicher zu gehen, dass es nichts Schlimmes ist. Der Knöchel tut noch ein wenig weh, aber es ist wirklich schon viel besser. Und ich freue mich riesig auf Morgen.“
Sie vereinbaren, sich um zehn Uhr, wie immer bei der grossen Uhr am Zürcher Hauptbahnhof zu treffen. Ein sehr beliebter Treffpunkt bei Reisenden aus aller Welt.
Lenas Freude ist gross. Sie liebt solche Ausflugstage. Lassen sie doch die ganzen Alltagssorgen für einen Moment vergessen. Glücklich auch darüber, dass ihre Freundin sie begleiten kann und sie nicht allein gehen muss. Denn das wäre bei Weitem nicht dasselbe.
Am Frühstückstisch erinnert ein Blick zum Handy Lena daran, dass sie Samantha noch eine SMS senden muss, um sie an den Treffpunkt und die vereinbarte Zeit zu erinnern. Das macht sie immer. Ausnahmslos!
„Ach, sie ist ja manchmal so vergesslich, die gute Samantha“, plaudert sie zwischen zwei Bissen Brot fast lautlos vor sich hin. Dabei schreibt sie die Kurznachricht und sendet diese an ihre Freundin.
Leise vor sich hin summend, ist Samantha im Bad und macht sich bereit für diesen Tag, auf den auch sie schon die ganze Woche sehnsüchtig gewartet hat.
Bevor sie aus dem Haus geht und das Handy in der Tasche verschwinden lässt, liest sie die Kurznachricht von Lena und schmunzelt.
„Oje – manchmal habe ich das Gefühl, die gute Lena glaubt, dass ich vergesslich bin. Ich weiss doch, wo und wann wir uns treffen.“
Aber das tut Samanthas guter Laune keinen Abbruch. Im Gegenteil. Manchmal geniesst sie sogar Lenas Fürsorge etwas. Abgesehen davon, wie wertvoll sie es findet, wie sie beide aufeinander achten. Kopfschüttelnd und lächelnd lässt sie das Handy in der Tasche verschwinden.
Die Tür fällt hinter ihr ins Schloss. Beschwingt, aber immer noch humpelnd macht sich Samantha auf den Weg zum Bahnhof. Lena wartet bereits am vereinbarten Treffpunkt. Wie immer war sie viel zu früh. Doch dies gibt ihr immer genügend Zeit, um noch zwei Becher Kaffee zu holen, mit denen in den Händen sie nun dasteht und nach Samantha Ausschau haltet. Ohne Kaffee läuft bei ihnen nichts. Genau betrachtet, sind sie zwei Kaffeejunkies. Plötzlich steht Samantha vor Lena, die sie gar nicht gesehen hat. Küsschen links und Küsschen rechts mit einem kurzen „Hey“, begrüssen sich Lena und Samantha wie zwei Teenager.
Just in diesem Moment fährt der Zug ein, der sie nach Aarau bringen soll. Lena, die bei jedem Ausflug so aufgeregt ist, als würde sie eine mehrmonatige Überseereise antreten, will sofort zum Zug eilen.
„Wir haben doch genügend Zeit und keinen Grund zur Eile. Komm mal etwas runter. Er fährt doch erst in knapp fünfzehn Minuten.“ – hält Samantha ihre Begleitung zurück.
„Du hast ja recht. Ach, ich bin doch so aufgeregt und neugierig auf den Markt. Hoffentlich hat es viele schöne Dinge dort.“
Wieder einmal kann es Lena kaum erwarten, am Ziel anzukommen.
Endlich sitzen sie im Zug. Lena öffnet ihre Tasche und holt zwei Brötchen raus.
„Hier. Eines für dich und eines für mich. Wie immer.“ – sagt sie lächelnd zu Samantha, während sie es ihr entgegenhält. Es ist über all die Jahre eine Tradition geworden, dass Lena zwei Brötchen mitnimmt, wenn sie zusammen weg gehen. Diese werden jeweils und ohne Ausnahme bei Abfahrt des Zuges gegessen. Egal, wie kurz oder wie lange die Fahrt sein wird. Das spielt keine Rolle!
Die Freundinnen sind gut gelaunt und freuen sich auf den gemeinsamen Tag. Sie geniessen die kurze Bahnfahrt,
Der Markt – oder wie Samantha jeweils zu sagen pflegt – die Ausstellung, ist bereits eröffnet, als sie in Aarau ankommen. Es hat noch nicht so eine grosse Menschenmenge wie Lena erst befürchtet hat. So bleibt das Gedränge an den Ständen noch aus und bietet Gelegenheit, sich in Ruhe umsehen und an einzelnen Ständen etwas verweilen zu können.
Gemächlich ziehen sie von Stand zu Stand. Viele schöne und bezaubernde Dinge werden angeboten. Plötzlich wird Lena hastig. Sie hat einen Stand entdeckt, der ihr Interesse weckt. Ein Stand an dem sie Keramik sichtet. Sie packt Samantha an der Hand und zieht sie einfach mit.
„Was ist denn los? Aua, mein Knöchel tut doch immer noch weh. Aua!“, ruft Samantha etwas erschrocken.
„Schau mal. Diese Töpfe. Findest du sie nicht auch schön?“ Lena hat schon einen Topf in der Hand und hält ihn ihrer Freundin aufdringlich und unangenehm unter die Nase. Doch Samantha betrachtet nur das Preisschild und bei dieser Ansicht stockt ihr fast der Atem.
„Ja, schön. Es ist wirklich schön. Aber hast du den Preis gesehen? Entschuldige, Lena. Aber dieser Preis ist in keiner Weise gerechtfertigt. Selbst, dass es von Hand gemacht ist, rechtfertigt einen solchen Preis nicht. Das ist reiner Wucher, Lena. Das ist ein absoluter Wucherpreis!“
Doch Lena schaut grosszügig über den Preis hinweg und lässt sich von der Keramikerin in ein Gespräch verwickeln. Für Samantha ist bereits die Art dieser Frau ein Gräuel. Denn nur zu gut kennt sie solche Menschen, die sich so überfreundlich, scheinheilig und übertrieben bescheiden geben. Sie hat gelernt, sich von solchen Leuten fernzuhalten und grossen Abstand von ihnen zu nehmen. Auch Lena hat ihre Erfahrungen mit solchen Leuten gemacht.
Eigentlich! Man möchte meinen, es sind genügend Erfahrungen, die sie bereits in ihrem Leben einiges gelehrt haben sollten. Doch sie fällt immer wieder auf diese Sorte Mensch rein. Immer und immer wieder!
Samantha kann es nicht fassen und möchte Lena am liebsten von diesem Stand wegzerren. Aber es nützt auch nichts, dass sie ihre Freundin immer am Ärmel zupft. Diese ist bereits in das Gespräch vertieft, bei dem sich die Keramikerin als Alina Locca vorstellte. Nach einer ganzen Weile versichert Lena, einmal im Atelier bei Alina vorbeizuschauen. Dabei kauft sie noch einen Topf zu einem unsagbar hohen Preis, was Samantha beinahe zur Weissglut treibt. Obwohl sie solche Aktionen von Lena nur zu gut kennt. Nachdem sie nun viel Zeit am Stand von Alina verbrachten, haben sie nun wirklich Hunger bekommen und gehen erst einmal etwas essen.
Gut genährt und etwas ausgeruht schlendern sie nach dem Essen weiter über den Markt und erfreuen sich an vielen schönen Dingen. Dabei amüsieren sie sich auch immer wieder über die einen oder anderen Stände, bei denen sie nun wirklich, nie im Leben, etwas ergattern würden.
Lena macht sich keine Gedanken über das Geld, das sie ausgibt. Schliesslich arbeitet sie und muss es ja für irgendetwas ausgeben können. Ihre Freundin Samantha hingegen tickt in dieser Angelegenheit etwas anders. Sie legt alles, was sie kann zur Seite um früher in Rente gehen zu können. Es kommt nicht in Frage, dass sie für irgendetwas so hohe Preise bezahlt. Zumal sie es noch nicht einmal als gerechtfertigt betrachtet. Und dass ihre Freundin schon wieder auf so eine Person reinfällt, erfreut sie nun wirklich nicht. Sie kann nicht verstehen, wie eine so intelligente Frau wie Lena auf solche Leute reinfallen kann und ihnen regelmässig auf den Leim geht. Das ist für sie so unverständlich wie gleichermassen auch nicht nachvollziehbar.
So beschliesst Samantha, diese Sache etwas im Auge zu behalten und Lena zu stoppen, bevor sie irgendwann noch finanziell ruiniert ist. Zwar ist sie alt genug und reichlich Geld hat sie auch. Aber es hat in solchen Situationen noch nie geschadet, dass sie die Angelegenheit im Auge behält. Und geholfen hat das Lena auch schon das eine oder andere Mal.
Etwa vier Wochen vergehen, bis Alina im Atelier von Lena Besuch bekommt. Bei einem Kaffee erzählt Alina viel von ihrem Privatleben. Aber auch über die Geschäftsgänge, welche nicht so ertragreich sind wie sie sein sollten, um gut davon leben zu können. Allerdings lebt sie mit ihrem Partner Erich zusammen, der sie unterstützt. Und wenn sie mal ihren Anteil der Miete nicht bezahlen kann, dann bezahlt Erich die ganze Miete allein.
„Ja, weisst du“, sagt Alina, „Erich glaubt nicht daran, dass ich irgendwann von meiner Keramik gut leben kann. Aber immerhin unterstützt er mich. Das ist doch auch etwas.“
Lena lächelt. Es kommt ihr doch irgendwie eigenartig vor, dass Alina so viel aus ihrem Privatleben und sogar Beträge von ihren Umsätzen preisgibt. Obwohl sie sich erst das zweite Mal sehen, sich das erste Mal so richtig unterhalten und dabei wirklich nicht die Rede davon sein kann, dass sie sich wirklich gut kennen.
Etwas verwirrt, von all den Informationen, die sie von Alina bekommen hat, fährt Lena nach Hause. Am Abend will sie Samantha anrufen und ihr vom heutigen Tag erzählen.
„Na du? Geht es dir gut?“ – begrüsst Lena den kleinen Nachbarsjunge Louis im Treppenhaus, als sie nach Hause kommt und in die Wohnung hoch geht. Ein süsser Kerl, der fünfjährige, den es manchmal nicht in der Wohnung hält und sich dann ins Treppenhaus raus schleicht. Er beobachtet gut, wer die Treppen hoch und runter geht.
So hat er sich schon in seinem zarten Alter bei den Hausbewohnern den Titel ‚Treppenhaussheriff‘ erarbeitet.
„Hallo Samantha. Hier ist Lena. Wie geht es dir?“ – tönt es bei Samantha aus dem Handy. Lena erzählt ihr ausführlich vom Besuch in Alinas Atelier. Fast schon mit einer gehörigen Portion Mitleid gibt sie ihr weiter, wie wenig Alina mit ihren Arbeiten einnimmt und fragt, wie sie davon leben soll.
„Aber immerhin unterstützt sie ihr Partner noch“, meint sie.
Samantha glaubt im falschen Film zu sein. Sie kann kaum glauben, was sie da von Lena hört. Und vor allem in was für einer Gefühlsduselei sie spricht.
„Hör mal, Lena. Was ist das denn für eine Selbständigkeit, wenn sie nach so vielen Jahren immer noch unterstützt werden muss? Das ist doch eine Pseudo-Selbständigkeit. Also wirklich! Und wenn sie nicht davon leben kann, dann soll sie doch nebenbei noch irgendwo arbeiten gehen. Da muss sie sich halt irgendwo eine Arbeit suchen und sich etwas Geld dazuverdienen. Tja, aber wenn sie irgendwo angestellt ist, kann sie halt nicht machen, was sie will. Aber ganz viele andere Leute überleben das auch. Wie du und ich, nur so als Beispiel, genannt. Nein, nein Lena. Ich sage es dir im Guten – lass die Finger von dieser Frau! Irgendetwas stimmt mit der nicht!“
„Ja, ich weiss, Samantha. Du hast ja recht. Ich denke auch, dass sie sicher noch andere Möglichkeiten hätte, um ein regelmässiges Einkommen zu haben. Aber eigentlich stört mich etwas anderes viel mehr.“
So setzt sie Samantha davon in Kenntnis, dass ihr Alina erzählte, was das Material und was so dazu gehört kostet. Von Alina selbst weiss sie, wieviel davon sie für gewisse Arbeiten benötigt. Lena kann rechnen, wie sie will. Sie kommt schlichtweg nicht auf eine Rechtfertigung für diese Preise, die Alina hat. Samantha fällt ein Stein vom Herzen, dass Lena endlich dahintergekommen ist. Schon seit dem Markt in Aarau, war diese Keramikerin Samantha äusserst suspekt und unsympathisch und kam ihr in einer extrem falschen Art rüber. Samantha kann die Freude darüber, dass sie recht hat, nicht verbergen.
„Das habe ich doch schon die ganze Zeit gesagt, Lena. Also manchmal frage ich mich schon, warum du nie auf mich hören willst,“ äussert sie sich. Vielmehr, um sich selbst noch eine Bestätigung zu geben. Doch am allermeisten findet sie es eine Frechheit, wie Alina die Leute ausnimmt. Das kann man bei den Preisen, die sie hat, gar nicht anders ausdrücken, findet sie. Was für ein Mensch! Das ist doch fürchterlich!
Doch Lena wollen einfach einige Dinge, die ihr Alina erzählte, nicht aus dem Kopf gehen. Erklären, kann sie sich das selbst auch nicht. Vielleicht hat es mit der Art zu tun, mit der Alina auftritt. Eine sehr naive und kindliche Art.
Trotz allen Ungereimtheiten und Bedenken, beginnt Lena, Alina zu unterstützen. Nicht nur damit, dass sie immer wieder etwas bei ihr erwirbt oder in Auftrag gibt. Nein! Als wäre das nicht genug, überweist sie ihr auch immer wieder Geld für die Ateliermiete oder Anschaffungen, welche aus Alinas Sicht notwendig sind und bei denen Lena gar nicht beurteilen kann, ob diese Notwendigkeit wirklich gegeben ist.
So vergeht die Zeit. Zeit, in der Alina viel Geld von Lena bekommt. In ihrer Gutmütigkeit hat Lena nie hinterfragt, ob Alina das Geld wirklich für diese Sachen einsetzt, für die es eigentlich überwiesen wurde und bestimmt war. Sie hat ihr einfach vertraut und ist immer davon ausgegangen, dass alles mit rechten Dingen zugeht und seine Richtigkeit hat.
Doch mittlerweile ist sie etwas misstrauisch geworden.
Alina gibt ihr keine Rückmeldungen mehr, wenn sie von Lena Geld erhalten hat, wie sie das zu Beginn tat. In der letzten Zeit sind nach einer Überweisung stets zwei bis drei Tage vergangen, bis sich Alina gemeldet hat. Und seit der letzten Überweisung, hat Lena überhaupt nichts von ihr gehört. Dabei war dies ein sehr grosser Betrag, um den sie von Alina gebeten wurde. Angeblich für Anschaffungen für einen Hinterraum des Ateliers, welche sehr dringend und wichtig seien, damit sie diesen Raum für irgendeine zusätzliche Arbeit benützen könne. Das ist eigenartig und Lenas Vertrauen ist mittlerweile auf dem Nullpunkt angekommen.