Tod eines Schmetterlings - Henning Jason - E-Book

Tod eines Schmetterlings E-Book

Henning Jason

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

In den Rheinauen bei Oestrich-Winkel, wird ein verschnürtes Bündel angeschwemmt, welches sich im Ufergeäst einer kleinen Insel verfangen hat. Beim Bergen des Bündels, macht die Wasserschutzpolizei einen schrecklichen Fund. Eine Leiche. Eine unbekleidete junge Frau. Eingewickelt in eine Kunststoffplane und verschnürt . Das beauftragte Ermittlerteam der Wiebadener Kriminalpolizei hat keine Anhaltspunkte. Erkenntnisse erhoffen sie sich von der KTU. Die gebildete SOKO steht vor einem Rätsel. Wer ist die Tote? Nach einem Aufruf in der Presse, meldet sich ein Zeuge, der unerklärliche Beobachtungen gemacht hat. Dann geht ein anonymer Anruf bei der Wiesbadener Polizeizentrale ein: Suche Sie in Frankfurter Cocktail Bars .....

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Seitenzahl: 343

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Die Geschichte dieses Kriminalromans ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit den handelnden Personen wären daher rein zufällig.

Kurzbiographie

Henning Jason (Pseudonym) hat lange Jahre in Afrika gelebt und viele Länder auf dem Erdball bereist.

Er lebt seit einigen Jahren in seinem Haus in der Nähe von Wiesbaden.

Er war zwei mal verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Von seinen Afrikareisen stellte er Fotos in einer kleinen Galerie aus.

In früheren Jahren wurden von ihm bereits Reise- und Erlebnisberichte in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Seit einiger Zeit, hat er seine Liebe zum Schreiben wieder entdeckt.

Seine Erstveröffentlichung 2021 : „Kuss einer Schlange“ ist ein autobiographischer Erotik Roman.

Henning Jason

Tod eines Schmetterlings

Kriminalroman

© 2022 Henning Jason

Autor: Jason, Henning

Umschlaggestaltung/Illustration: Henning Jason /

Landau-webdesign / tredition GmbH

Lektorat/Korrektorat: Koch Dr.phil., Silke

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-347-67614-5

ISBN: 978-3-347-67619-0

ISBN: 978-3-347-67620-6

Verlag & Druck:

tredition GmbH

Halenreihe 40-44

22359 Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jeder Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Menschen sind schon seltsam.Wenn sie die Wahl haben,zwischen gut und schlecht,entscheiden sie sich meistens für das Schlechte.

Kapitel 1

Bernd und Anja sitzen sich in der Nachmittagssonne gegenüber und stoßen mit einem Glas Wein an.

Der „Schloss Vollrads - Riesling, feinherb“ funkelt goldgelb im Glas, wenn sich das Sonnenlicht darin bricht.

Es ist ein angenehmer Sommertag. Über den blauen Himmel ziehen vereinzelt weiße Wölkchen.

Das etwas trübe, grünliche Wasser des Schlossteichs platscht leicht an die bemoosten Umgrenzungsmauern. Wer genauer hinschaut, kann einige der alten Karpfen sehen, die mit müdem Flossenschlag gemächlich hin und her schwimmen und sich im dichten Schilf an den Rändern wegducken. Ein paar buntgefiederte Enten wetteifern miteinander und heben mit lautem Flügelschlag ab, um dann wenig später wieder geräuschvoll zu landen.

Der hohe gemauerte Wohnturm des Schlosses, zu dem eine schmale Brücke führt, spiegelt sich im Wasser.

Nicht nur die beiden genießen die wärmenden Sonnenstrahlen und den köstlichen Wein, auch viele andere Gäste erfreuen sich an der gelösten Stimmung im Schlosshof und in den angrenzenden Gärten.

Das Schloss Vollrads ist ein sehr beliebtes Ausflugsziel im Rheingau. Nur wenige Kilometer von Wiesbaden und Mainz, und auch nur etwa vierzig Kilometer von Frankfurt entfernt, liegt das Schloss etwas verborgen in einem Tal, umgeben von Weinbergen und Mischwäldern. Die Entfernung zum Rhein beträgt etwa zwei Kilometer.

Ursprünglich im dreizehnten Jahrhundert erbaut, benannt nach einem Ritter Vollradus, ist von der alten Bausubstanz nichts mehr erhalten. Der achteckige Wohnturm stammt aus dem vierzehnten Jahrhundert. Errichtet von der Familie Greiffenclau, den Erben des Ritters Vollradus in Winkel“. In späteren Jahrhunderten wurde das Schloss immer wieder umgebaut und erweitert.

Im Jahr 1935 wurde ein Nachkomme, Richard Graf Matuschka-Greiffenclau, Schlossherr. Dessen Sohn, Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau, übernahm den hochverschuldeten Besitz 1975, konnte diesen jedoch nicht halten und nahm sich auf Grund dessen das Leben.

Heute befindet sich das Schloss im Besitz der ehemaligen Hausbank, die das Anwesen erfolgreich sanierte und dem Publikum zugänglich machte.

Auf dem angrenzenden Parkplatz reihen sich Nobelkarossen aneinander und scheinen sich mit ihren PS-Stärken überbieten zu wollen.

Fast alle Tische im Schlosshof sind besetzt.

Bernd und Anja waren zu Fuß die etwa zwei Kilometer von Bernds Haus durch die Weinberge gelaufen.

Sie folgten dem Pfingstbach ein kurzes Stück, überquerten diesen über einen Holzsteg auf die andere Seite, vorbei am ehemaligen Kloster Gottesthal, welches heute ein Wohnhaus ist und sich im Privatbesitz befindet.

Der Weg führt weiter durch unterschiedlichste Weinlagen, die oftmals mit kleinen Schildern gekennzeichnet sind wie „Oestricher Gottesthal“, „Klosterberg Spätburgunder“ oder „Winkler Edelmann“.

Die Rebzeilen bieten zu jeder Jahreszeit interessante Einblicke in das Wachsen des Weins. In den Wintermonaten mit dem Rückschnitt, bei dem traditionell nur zwei Ranken an den Spalieren gezogen und die alten Triebe entfernt werden. Zur Pflege der ersten kleinen Triebe in Frühjahr wird jede zweite Zeile gepflügt für das ökologische Gleichgewicht. An den Rändern werden oftmals Rosen oder Wicken gepflanzt. Diese dienen als Frühwarnsystem, da sie von den gleichen Schädlingen befallen werden, nur eher sichtbar. In früheren Jahren spritzte man chemische Abwehrstoffe, teilweise sogar mit Hubschraubern. Dafür wurden die Weinberge mit weißroten Bändern abgesperrt. Heute wird der Wein beinahe ausschließlich biologisch bearbeitet. Der Sommer bringt den kräftige Wuchs der Blätter und dann die vollen Trauben kurz vor der Lese im Herbst. Die teils verklärten Bilder der Vergangenheit, in denen lächelnde Helfer die Trauben abschnitten und die gefüllten Kiepen in den Trichter der Anhänger leerten, existieren nicht mehr. Heute wird mit großen Erntemaschinen gearbeitet, die mit einer speziellen Rütteltechnik die Trauben abernten.

Auf ihrem Weg treffen Bernd und Anja auf eine Gruppe, die am Rand eines Weinbergs steht und kleine Probiergläser in den Händen hält. Ein Winzer zeigt der Gruppe unterschiedliche Weinlagen und erläutert, wie die Trauben verarbeitet werden. Aus einem mitgeführten Handwagen schenkt er jeweils Proben in die Gläser, damit nicht nur Augen und Ohren, sondern auch die Gaumen erfreut werden.

Bernd grüßt den ihm bekannten Winzer und erklärt Anja, dass man solche Proben in den Weinbergen, seit einigen Jahren buchen kann, was für die Besucher immer ein besonderes Erlebnis bedeutet.

Von den etwas erhöhten Wegen hat man einen herrlichen Blick auf das Rheintal und die andere Rheinseite.

Deutlich zu sehen der historische, hölzerne Verladekran von 1745, der in vergangenen Jahren aufwendig restauriert wurde, die Kirchen von Oestrich und Mittelheim, die Fähre nach Ingelheim und die Winkeler Bucht mit dem kleinen Yachthafen und den mitten im Strom liegenden, unter Naturschutz stehenden kleinen Inseln.

„Lass und zurückgehen. Ich bringe noch schnell die Weingläser zur Rückgabe, ist schließlich Pfand drauf“, lächelt Bernd.

Sie schlendern aus dem Schlossgarten heraus, entlang der Weinrebenzeilen und vorbei an einem kleinen Waldstück welches sich den Hang entlang hochzieht. Sie plaudern entspannt, biegen nach links ab um einen anderen Rückweg zu nehmen. Dann rechts in einen kurzen, leicht ansteigenden Hohlweg.

Mit eiligem Schritt und schnell atmend überholt sie ein Mann mittleren Alters. Die beiden wundern sich etwas, als er dann nur ein bis zwei Meter vor ihnen, an einer Böschung, hinter einer dichten Brombeerhecke verschwindet. Sie hören eine Frauenstimme, können aber nicht verstehen, was sie sagt, achten auch nicht weiter darauf.

Verdutzt und mit leichtem Kopfschütteln wegen des eigenartigen Verhaltens des Mannes, gehen sie den Weg weiter hinauf bis zu einer Sitzbank.

Sie nehmen Platz, halten sich an den Händen und bewundern den Ausblick auf den Rhein, auf dem die späte Nachmittagssonne silbrig flimmert.

Ein Glücksgefühl überkommt Bernd, dass er in dieser wunderschönen Landschaft wohnt.

Auf einer Anhöhe ist deutlich Schloss Johannisberg zu erkennen und etwas im Hintergrund, Richtung Wald, die Burg Schwarzenstein. Heute ein Hotel mit gehobener Gastronomie.

Dann ein lauter Knall unweit von ihnen. „Was war das?“ fragt Anja. „Ein Schuss“, erklärte Bernd ihr. „Ich war ja ,Bürger in Uniform', ist zwar schon lange her, aber ich weiß noch ganz genau wie sich ein Schuss anhört.“

Verwundert schauen sie in die Richtung, aus der der Knall kam. Durch den Hang mit dem angrenzenden Wäldchen gab es ein leichtes Echo, sodass der Bereich aus dem sie den Schuss hören, nicht genau zu lokalisieren ist.

Aufmerksam beobachten sie die vor ihnen liegende Umgebung, ohne dass sie etwas Auffälliges bemerken.

„Komm, gehen wir weiter“, meint Bernd.

„Mir ist etwas unheimlich“, antwortete Anja.

Nach wenigen Metern kommt von oberhalb ein Auto auf dem schmalen Weinbergsweg entlang gefahren. Sie gehen etwas zur Seite, um Platz zu machen. Das Fahrzeug nähert sich und fährt sehr langsam an ihnen vorbei. Es ist ein dunkelgraues oder anthrazitfarbenes älteres Auto. Vielleicht ein Opel oder ein Ford, mittlerer Kategorie. Am Lenkrad sitzt ein Mann mit dunkler Sonnenbrille, der interessiert durch das offene Fenster auf der Beifahrerseite zu ihnen herüberschaut.

Nach etwa fünfzig Meter stoppt das Auto und fährt rückwärts zwischen zwei Rebzeilen und bleibt so stehen, dass die Front noch zu sehen ist.

Die Beiden sind jetzt etwas verunsichert und entschließen sich gleich in den nächsten, schmalen Weinbergsweg abzubiegen. Sie gehen nun forsch in Richtung Bernds Haus. Sie überqueren eine Seitenstraße, auf der kurz hinter ihnen erneut das dunkle Auto vorbei fährt.

Anja bekommt es nun mit der Angst zu tun und will heimrennen. Bernd meint: „Wenn du dich so auffällig verhältst und da ist vielleicht etwas nicht in Ordnung, dann fallen wir erst richtig auf. Also, geh ganz normal weiter und renne nicht.“ Sie erreichten den schmalen Zugang zu seinem Haus. Kurz bevor Bernd die Haustür aufschließt, fährt das dunkle Fahrzeug abermals hinter ihnen auf der Straße vorbei.

Nun macht auch er sich so langsam Sorgen. „Was hat das Verhalten des Fahrers zu bedeuten und was war das für ein Schuss? Besteht da ein Zusammenhang oder sind das nur Hirngespinste?“

Drinnen angekommen beobachteten sie vom oberen Stockwerk aus die Straße, ohne dass sie das Auto noch einmal bemerken. Den ganzen Abend sind sie noch immer etwas unruhig. Über die Nacht wird ihr Gefühl dann besser und am nächsten Tag sind die seltsamen Vorgänge fast vergessen.

Einige Tage später

Bernd Senner sitzt am Esstisch mit Blick in den Garten. Er hat eine köstlich duftende Tasse Kaffee und ein Brötchen mit Orangenmarmelade vor sich stehen. Sein Frühstücksritual. Fast immer das gleiche. Auf alle Fälle immer Kaffee, ohne „seine“ Tasse genossen zu haben, geht er nicht aus dem Haus.

Er schlürft etwas am Tassenrand, der Kaffee ist noch immer recht heiß, und beißt genussvoll in sein Brötchen.

Die Tageszeitung hat er kurz vorher ins Haus geholt. Er schlägt wie immer zuerst die Sportseiten auf. Interessiert überfliegt er die ihm bekannten Ergebnisse und lenkte seinen Blick auf die Berichte über die regionalen Fußballvereine.

Die nächsten Seiten, die er ansieht, sind den lokalen Ereignissen gewidmet. Auf der ersten Innenseite fällt ihm dann eine Überschrift auf: „Tote am Rheinufer angeschwemmt“.

Nur halb interessiert ließt er weiter: „Eine Frauenleiche wurde an einer Insel der Winkler Aue, bei Rheinkilometer 520, gegenüber der Winkler Bucht angeschwemmt“.

Die kleine Insel liegt im Naturschutzgebiet und das Betreten ist untersagt. Im Laufe der Jahre hat sich ein Weichholzwald gebildet, der verschiedenen Vogelarten Schutz bietet.

„Die Leiche war in eine Plastikfolie eingewickelt und hatte sich wohl in den Zweigen des niedrigen Buschwerks verfangen. Entdeckt wurde sie von der Wasserschutzpolizei während einer regelmäßigen Kontrollfahrt. Näheres kann im Augenblick noch nicht gesagt werden“.

Bernd verweilt noch etwas bei dem Artikel und blättert dann weiter zur Weltpolitik.

Er frühstückt während der Woche fast immer allein. Anja und er sind zwar seit einigen Jahren ein Paar, aber sie wohnt weiterhin in Frankfurt, wo sie auch arbeitet. Die tägliche Fahrt zu ihrem Arbeitsplatz, mit nervtötenden Staus, wäre ihr auf die Dauer zu mühsam, meint sie. Daher kommt sie fast immer an den Wochenenden. Bernd scherzt oft bei diesbezüglichen Nachfragen von Freunden: „Wir haben getrennte Schlafzimmer. Anja in Frankfurt und ich hier.“

„Irgendwann ziehe ich zu dir“, meint sie, „wenn der Autoverkehr nicht mehr so stark ist.“

„Also nie“, denkt Bernd, „der Verkehr nimmt ja fast täglich zu.“

Er hat sich damit arrangiert, weil sie sich sehr gut verstehen und harmonieren, wenn sie zusammen sind. Er weiß, sie will unabhängig bleiben, also schluckt er diese Kröte.

Anja arbeitet bei einer Kosmetikfirma im Vertrieb und Marketing. Oftmals auch als Hostess bei Messen. Das macht ihr besonders Spaß. Bei den Gespräche mit Interessenten und anderen Ausstellern blüht sie richtig auf. Bernd weiß das, hatte er sie doch schon selbst als Messebesucher erlebt.

Amüsiert nahm er ihre Flirts und Turteleien zur Kenntnis.

Er erinnert sich noch gut, wie sie sich kennengelernt hatten. Auf eine Co-Präsentation, zu der er mit eingeladen war, stellte Anja Artikel ihres Kosmetikunternehmens vor, direkt neben dem Bereich seiner Versicherungsagentur. Ihre freundliche und professionelle Art hatte es ihm sofort angetan. Während der zwei Messetage lächelte sie ihn immer wieder mal an und plauderte mit ihm. Am letzten Abend verabschiedete sie sich: „Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder.“ Nach ein paar Tagen entschließt sich Bernd in ihrem Unternehmen anzurufen. Ihren Namen hatte er sich anhand des Schildes an ihrer Jacke eingeprägt.

Fast zwei Jahre lang versuchte er immer wieder sich mit ihr zu verabreden. Vergeblich. Sie hatte immer irgendwelche Ausflüchte. Also gab er auf.

Irgendwann nach längerer Zeit nahm er in der Nähe seines Wohnortes an einer Schulung teil. Zum Abschluss traf er sich noch mit Kollegen zu einem Drink an der Hotelbar.

In Begleitung zweier Männer betrat Anja die Bar und eilte sofort auf ihn zu, als sie ihn bemerkte, drückte freudig seine Hände und stellte die Männer vor: „Kollegen von mir.“

Bernd unterhielt sich angeregt mit ihr und vergaß dabei fast seine Kollegen, die sein Verhalten mit einem Schmunzeln quittierten.

Anja wandte sich ihm wieder zu: „Du hast doch einmal vorgeschlagen, dass wir zusammen wandern gehen können. Wie wäre es an diesem Wochenende?“

Bernd schaute sie ganz verdutzt an: „Ja, eine gute Idee.“

„Gib mir doch noch einmal deine Telefonnummer. Ich rufe dich morgen an.“ Anja legte ihm ganz vertraut die Hand auf seine Schulter und verließ die Bar.

Neugierig fragten seine Kollegen: „Charmant, woher kennst du sie?“ „Von einer gemeinsamen Veranstaltung“, antwortet er knapp.

Auf dem Heimweg dachte er über das seltsame Verhalten von Anja nach. „Ob sie mich verwechselt hat? Wir waren doch nicht per Du. Mal sehen. Wahrscheinlich wird sie gar nicht anrufen.“

Er täuschte sich. Sie rief ihn tatsächlich an und am Sonntag machten sie ungeplant eine Wanderung von etwa drei Stunden. Anja erwähnte mit keiner Silbe, warum sie sich in der Vergangenheit nicht gemeldet hat. Sie verhielt sich so, als ob sie langjährige Freunde wären. Kurz bevor sie in ihr Auto stieg um heimzufahren, gab sie ihm einen Kuss. „Ich melde mich.“ Eine gute Woche später rief sie ihn abends an: „Ich habe ein Problem. Meine Schwester ist mit einem Busunternehmen in der französischen Schweiz. Beim Aussteigen aus dem Bus ist sie über ein loses Brett gestolpert und hat sich einen komplizierten Bruch des linken Ellenbogens zugezogen. Sie ist bereits operiert worden und der Arm ist eingegipst. Da sie die Reise nicht mehr fortsetzen kann, muss ich sie abholen. Das sind pro Strecke fast eintausend Kilometer. Das werde ich allein nicht schaffen. Würdest du mich begleiten? Ich weiß, es ist viel verlangt, aber ich kenne sonst niemand, dem ich das zutraue.“ Bernd sitzt verstört auf seinem Sofa und fragt: „Wann willst du denn los fahren?“

„Heute Nacht gegen drei Uhr, dann sind wir mittags dort.“ Bernd schaut auf die Uhr, es war schon nach zehn.

„Ich schlage vor, wir schlafen jetzt noch etwas und dann hole ich dich ab“, beendete Anja das Gespräch.

Wie geplant fahren sie in die Schweiz, holten die Schwester ab, die ihnen äußerst dankbar war und machten sich gleich wieder auf den Rückweg. Jetzt fuhr Bernd das Auto und die beiden Frauen schliefen fast die gesamte Fahrt.

Kurz vor Frankfurt übergaben sie Anjas Schwester ihrer Familie, die geduldig gewartet hatte. Sie wurden noch zu einem Teller Suppe genötigt und fuhren dann zum Haus von Bernd.

Beide waren fast vierundzwanzig Stunden unterwegs und todmüde. „Ich schlage vor, du bleibst heute Nacht bei mir und fährst erst morgen nach Haus“, meinte Bernd. Anja tappte hinter ihm her ins Haus.

„Ich mache dir das Bett im Gästezimmer zurecht.“

Anja schaut ihn an und schüttelt den Kopf: „Nee, alleine schlafen kann ich auch zu Hause.“

So wurden sie ein Paar!

Anja hat eine fast erwachsene Tochter, die schon beinahe ihr eigenes Leben führt. Die meiste Zeit verbringt sie während ihres Studiums bei ihrem Freund und arbeitet abends in einer Bar hinter der Theke.

Anja war nie verheiratet. Ist ihr zu spießig.

Die Tochter ist das Resultat einer kurzen Messeaffäre. Zu dem leiblichen Vater haben weder Mutter noch Tochter Kontakt. Anja ist Stolz darauf, es auch allein geschafft zu haben, ohne von einem Mann abhängig zu sein.

Bernd Senner ist geschieden und alleiniger Inhaber seiner Agentur mit zwei jungen Mitarbeiterinnen. Zu der etwas Älteren hat er ein besonders enges Verhältnis.

Sie sagt immer: „Du bist mein Ersatzpapa“. Ihre Eltern sind geschieden und haben mit ihren neuen Partnern gemeinsame Kinder, so dass man sie im Laufe der Jahre einfach „vergessen“ hat, was sie natürlich sehr schmerzt. Manchmal sucht sie an Bernds Schulter Trost, was ihm schmeichelt.

Ihre oftmals spontanen Urlaube verbringen Bernd und Anja hauptsächlich im Lande. Sie unternehmen intensive, tagelange Wanderungen, bei denen sie manchmal die Hotels vorab buchen. Gelegentlich nutzen sie dabei auch einen zur Verfügung gestellten Gepäcktransport.

Sie sind beide überzeugt, zu Fuß komme man den Menschen, der Flora und Fauna ganz nah.

Sie genießen die Natur und freuen sich immer auf das abschließende Abendessen bei einem Glas Wein.

Kapitel 2

Kommissar Franz Weller, ein leicht verknittert und mürrisch wirkender Endvierziger, dessen dünnes Haar an den Schläfen schon leicht ergraut ist, arbeitet bereits seit Jahren in der Wiesbadener Mordkommission.

Durch die langjährige Tätigkeit hat er viele Kontakte zu anderen Dienststellen und zu Informanten. Er vertraut immer auf sein Bauchgefühl, obwohl er vergeblich versucht, den Bauchansatz unter seinen weiten Pullis zu verbergen. Seit seiner Scheidung, die einige Zeit zurückliegt, lebt er allein in einer Zweizimmerwohnung in der Innenstadt. Das ist äußerst praktisch für ihn, so kann er die kurze Distanz zum Kommissariat zu Fuß zurücklegen, da er auch kein Auto mehr besitzt.

Ihm gegenüber sitzt sein Kollege, Kommissar Markus Schubert, Ende Zwanzig, 190 cm groß und sportlich.

Er legt großen Wert auf sein Äußeres, trotz seiner etwas wilden schwarzen Locken, die eine südländische Abstammung vermuten lassen. Schubert ist bei allen sehr beliebt, nicht nur bei den Kolleginnen, weil er sich immer offen für Fragen und Einwände zeigt. Bereits in jungen Jahren bildete er sich intensiv bei Schulungen und Lehrgängen in der modernen Kriminalwissenschaft weiter.

So ist er eine gute Ergänzung zu seinem Gegenüber, der mehr Kriminalist der alten Schule ist. Markus Schubert ist mit einer zwei Jahre älteren Journalistin verheiratet, mit der er zwei Kinder im Alter von drei und vier Jahren hat. Sie wohnen etwas außerhalb der Stadt in einem kleinen, gepflegten Einfamilienhaus.

Das Familienleben ist für ihn das Wichtigste, auch wenn dieses manchmal hinten anstehen muss, wenn er ganz in seiner Arbeit aufgeht, wie bei diesem besonderen Fall.

Beide Kommissare sind über die vorliegenden Berichte des Leichenfundes im Rhein bei Winkel gebeugt.

Zunächst gehen sie die bekannten Einzelheiten durch.

Die Frau war unbekleidet und in eine Plastikfolie gewickelt. Sie war mit einer Kordel wie ein Paket verschnürt. Am Ende der Kordel befand sich eine größere Schlaufe. Die Verknotungen wiesen keine besonderen Merkmale auf. Es waren einfache Knoten, wie sie von jedermann gemacht werden können.

Der Leichnam der Frau befindet sich noch in der Rechtsmedizin und wird dort obduziert.

Ergebnisse sollten noch ein bis zwei Tage auf sich warten lassen.

Die Plastikfolie sowie die Kordel hatten sie zur Untersuchung in die Fachabteilung der KTU gegeben.

Recht schnell gab es von dort erste Erkenntnisse.

Die Plastikfolie könnte fast aus jedem Baumarkt stammen, war jedoch bereits älter und des Öfteren benutzt worden.

Die deutliche Knick- und Knitterstellen deuteten darauf hin. Folien in dieser Größe und Stärke werden oftmals auf Baustellen verwendet zum Schutz gegen Staubentwicklung.

Die Kordel war aus Kunststoff mit einem Durchmesser von etwa einem halben Zentimeter und insgesamt ca. drei Meter Länge.

Die Schlaufe am Ende der Schnur erklärten die Kommissare sich so: „Wahrscheinlich war daran ein großer Stein oder ähnliches befestigt, der sicherstellen sollte, dass die Ermordete untergeht.“

„Ja, durch die starke Strömung und durch die Tatsache, dass sich das Kunststoffseil nicht vollsaugen konnte, hatte sich der Stein wohl gelöst. Die eingewickelte Tote wurde abgetrieben und blieb so im Geäst der Uferbüsche an der Insel hängen“, erklärte Markus Schubert.

Die Vermutungen ergaben nichts, was irgendwie bei der Aufklärung des Mordes helfen konnte.

Sie mussten auf die Ergebnisse der Untersuchung der Leiche warten.

Von der Rechtsmedizin erhielten sie dann zwei Tage später eine Fülle von Information. Einige davon gaben ihnen Rätsel auf.

Die Frau war etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt, 1,75m groß und blond. Ihre Haare waren wohl mit einer stumpfen Schere gekürzt worden. Sie hatte etwa zehn Tage im Wasser gelegen und war bereits tot, als man sie im Wasser „entsorgen“ wollte.

Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass sie erschossen worden war. Der Schuss war seitlich, schräg in den Kopf abgefeuert worden, aus geringer Entfernung. Der Einschusskanal lief von unten leicht nach oben. Entweder war der Täter kleiner oder die Frau stand etwas erhöht als sie ermordet wurde.

Das Besondere daran: Die Kugel war im Kopf direkt hinter der Stirnplatte stecken geblieben und nicht auf der anderen Seite ausgetreten.

Ballistiker hatten die Patrone untersucht und erklärt, dass es ich dabei um .22 lfb Kleinkaliber Munition handelt, wie sie zum Beispiel bei Glock, Walther und Beretta Pistolen verwendet wird.

Ein vielleicht wichtiger Anhaltspunkt.

Der Körper der jungen Frau wies keine besonderen Merkmale auf, außer einer kleinen Wunde oberhalb des rechten Knöchels, etwa drei cm im Durchmesser. Eine Abschürfung der Haut oder Ähnliches. Sonst war sie unverletzt. Der Wunde am Knöchel schenkten sie zunächst keiner größeren Beachtung.

Nach Besprechungen mit Oberstaatsanwalt Dr. Detlev von Rosenstrauch wird beschlossen sich über die Medien an die Bevölkerung zu wenden: „Kennt jemand diese Frau“?

Von Rosenstrauch ist ein typischer Karrierist.

Groß gewachsen, asketisch wirkend mit einem militärisch kurzen Haarschnitt. Die randlose Nickelbrille verstärkt seinen eindringlichen Blick. Seine „Wertschätzung“ teilt sich in Ablehnung, da sehr unnahbar, und Bewunderung wegen seines steilen Aufstiegs. Über sein Privatleben weiß man so gut wie nichts. Nur, dass er mit einer Adeligen verheiratet ist und in einer großen Stadtvilla wohnt.

Von Rosenstrauch hält nichts von „Bauchgefühlen“ und Vermutungen. Für ihn zählen ausschließlich Fakten.

Die Polizeibeamten sind der Staatsanwaltschaft direkt unterstellt. In früheren Jahren haben sich Staatsanwälte unmittelbar in die Untersuchungen von Straftaten eingeschaltet.

Heute ist die Polizeiarbeit so speziell und anspruchsvoll, dass die Staatsanwälte sich nicht mehr bei den Ermittlungen einschalten und auch nur noch äußerst selten an Tatorten erscheinen. Sie verlassen sich da ganz auf die qualifizierten Polizisten. So hält es auch von Rosenstrauch.

An die Presseorgane wird, neben einem aufbereiteten Foto vom Gesicht der Getöteten, nur die zusätzliche Information der Schusswunde weitergeleitet.

Einige Tage danach

Auf der Titelseite seiner Tageszeitung sieht Bernd das Foto der Toten, die am Ufer der kleinen Rheininsel angeschwemmt wurde und den Aufruf: „Kennt jemand diese Frau?“

Er überfliegt beim Frühstück den nebenstehenden Artikel und den Aufruf an die Bevölkerung, sich bei der Polizei zu melden, falls jemanden in den vergangenen Wochen etwas Besonderes aufgefallen wäre.

Er entnimmt dem Artikel, dass die Frau wohl erschossen worden war, bevor man sie im Wasser versenkt hatte.

Ihm kommt nun der Vorfall beim Schloss Vollrads wieder in den Sinn. „Das Verhalten des Mannes war schon recht seltsam“, denkt er, „der Schuss und dann auch noch das auffällige Auto.“

„Soll ich die Beobachtungen der Polizei mitteilen? Ich weiß nicht so recht, die halten mich bestimmt für einen Spinner.“ Vor einiger Zeit hatte er nicht so gute Erfahrungen mit der örtlichen Polizei gemacht. Während einer Fahrradtour in der Umgebung hatte er im Straßengraben eine totes Wildschwein entdeckt. Nach etwa vier Stunden, kurz bevor er zu Haus war, radelte er zur nächsten Polizeidienststelle und meldete die tote Wildsau.

Zunächst wurden umständlich seine Personalien aufgenommen und er wurde nach den genauen Örtlichkeiten befragt. „Woher wissen Sie, dass die Sau tot war?“, fragte der Beamte ihn. „Ich habe sie aus der Nähe betrachtet, sie hat sich nicht mehr bewegt und auch nicht geatmet.“ „Wann war das?“, fragte ihn der Polizist. „So gegen elf Uhr am Vormittag“, erwiderte Bernd. „Was? Und da kommen Sie erst jetzt? Warum haben Sie das nicht gleich gemeldet?“ „Ich habe Ihnen doch gesagt, ich war mit meinem Fahrrad unterwegs“, erwiderte Bernd erneut und war jetzt ob der Befragungen sauer.

„Also, ich hab die tote Sau gemeldet, machen Sie jetzt daraus was Sie wollen. Ich gehe jetzt.“ Er verließ die Polizeistation und fuhr nach Hause.

„Ich werde mich auf alle Fälle nie mehr bei der Polizei melden“, beschloss er.

„Anstatt sich um die tote Wildsau zu kümmern, hat er mich blöd angeraunzt.“

„Nun ist natürlich ein totes Wildschwein im Straßengraben etwas anderes als eine ermordete Frau“, sagte er zu sich. „Ich werde mit Anja reden. Obwohl lieber nicht, sie macht sich sonst eventuell zu viele Gedanken und bekommt Angst.“

Bernd beschließt noch eine Nacht drüber zu schlafen.

Am nächsten Tag

„Hier Polizeidienststelle Wiesbaden“.

„Guten Morgen, mein Name ist Bernd Senner. Ich melde mich betreffend der Frauenleiche im Rhein und wegen des Aufrufs in der Zeitung“.

Bernd muss kurz seine Personalien durchgeben und seine Telefonnummer, dann wird er durchgestellt.

„Weller“, meldete sich eine etwas unwirsche Stimme, „was können Sie mir sagen?“.

Bernd schildert in wenigen Worten die Beobachtungen. „Ich weiß nicht, ob es da überhaupt einen Zusammenhang gibt“, äußert er etwas kleinlaut.

„Das entscheiden wir. Würden Sie bitte zu uns in die Dienststelle kommen? Wir nehmen dann Ihre Aussage auf. Wann können Sie hier sein?“, fragt Franz Weller.

„Am Nachmittag um zwei Uhr würde es mir am besten passen“, erwidert Bernd.

„Abgemacht. Wissen Sie, wie Sie zu uns kommen?“

„Ja, ich kenne das Gebäude.“

„Beim Empfang fragen Sie nach mir, ich hole Sie dann dort ab. Bis später.“

Pünktlich meldet sich Bernd Senner am Eingang. Er muss seinen Personalausweis einem Beamten hinter einer Glasscheibe zeigen, gelangt dann durch die Sicherheitskontrolle in den Innenbereich, wo er nach wenigen Minuten abgeholt wird. Eine uniformierte junge Polizeibeamtin führt in ins Kommissariat zu den bereits wartenden Weller und Schubert.

„Folgen Sie uns doch bitte in unser Besprechungszimmer“, fordert Schubert ihn auf.

Bernd hat registriert, dass die Kommissare ganz normal gekleidet sind. Nichts von umgehängten Pistolenhalfter oder Ähnlichem, was man immer in den Filmen vorgemacht bekommt. Das hatte er sich aber schon so gedacht. „Wieder so ein Unsinn, der aus Amerika kommt“, urteilt er für sich.

Das kleine Besprechungszimmer mit Blick auf eine Parkanlage mit Kastanienbäumen ist nur mit dem Notwendigsten ausgestattet. Ein zentraler rechteckiger Tisch mit vier einfachen Stühlen. Auf einem Sideboard stehen Gläser und eine Karaffe mit Wasser.

Die Polizisten setzen sich nebeneinander und bitten ihn gegenüber Platz zu nehmen. „Ich mache mir während des Gesprächs ein paar Notizen, wenn Sie einverstanden sind“, erklärt Schubert.

Bernd Senner schildert den beiden, seine und Anjas Beobachtungen sehr detailliert und erklärt auch, warum Anja nicht dabei ist. „Ich will sie nicht verängstigen. Außerdem wäre sie wohl sowieso keine große Hilfe, da sie keinerlei Orientierungssinn hat. Wenn wir zum Beispiel im Urlaub sind, läuft sie in den Hotels immer in die falsche Richtung, wenn sie unser Zimmer aufsuchen möchte. Und das auch noch nach einer ganzen Woche.“

„Ja, die Bedenken können wir gut verstehen“, meinte Schubert.

„War der Mann, der an Ihnen vorbeigelaufen ist, der selbe wie der im Auto?“

„Nein, ganz bestimmt nicht“, stellte Bernd dar. „Der Mann war Mitte dreißig, Anfang vierzig, mittelgroß, schlank, hatte gewellte braune Haare, glaube ich. Bekleidet war er mit einer hellgrauen Windjacke die er offen trug. Sonst kann ich nichts weiter sagen. Von dem anderen Mann im Auto habe ich ja nur Kopf und die Schulter gesehen. Wegen der Sonnenbrille auch nicht so richtig sein Gesicht. Er wirkte unrasiert und nicht sehr gepflegt. Das ist alles, an was ich mich erinnern kann.“

„Würden Sie einen der beiden wiedererkennen?“, fragt Schubert.

„Ganz sicher nicht, dafür waren die Begegnungen zu kurz und zu oberflächlich“, verneint Bernd Senner.

„Wir können jetzt nicht beurteilen, ob da irgendein Zusammenhang zwischen Ihren Beobachtungen und dem Mord besteht. Wir werden uns morgen Vormittag die Örtlichkeiten ansehen. Ist es ihnen möglich dabei zu sein?“.

„Da ich selbständig bin, kann ich das einrichten“, willigte Bernd Senner ein.

„Wir haben ja Ihre Telefonnummer und Anschrift. Wir geben Ihnen Bescheid und holen Sie von zu Haus ab, dann können Sie uns den genauen Ort zeigen. Einverstanden? Danke, dass Sie sich gemeldet haben. Unsere Kollegin wird Sie wieder hinausbegleiten. Bis morgen.“

Auf dem Parkplatz vor dem Schloss Vollrads steigen sie aus dem zivilen Dienstfahrzeug aus.

Die beiden Kommissare hatten Bernd Senner wie besprochen abgeholt und ihm erklärt, wie sie nun vorgehen werden.

„Wir laufen vom Parkplatz des Schlosses zu der Stelle, wo Sie der Mann überholt hat. Genau so wie Sie vor einigen Tagen, so können wir uns ein besseres Bild von der Umgebung machen“.

Sie erreichen den Hohlweg und Bernd Senner zeigt ihnen genau die Stelle, an der der Mann hinter den Büschen verschwunden ist. „Wir versuchen das jetzt nachzuspielen. Wir beide, Kommissar Weller und ich, gehen jetzt so entlang, wie Sie mit Ihrer Partnerin. Sie gehen dann an uns vorbei, so wie der Mann, der Sie überholt hatte“.

Gemeinsam stehen sie danach hinter den Büschen und die beiden Polizisten schauen sich um, ohne dass ihnen etwas Besonderes auffällt.

„Es ist ja nun schon einige Zeit her und in der Zwischenzeit hat es auch mehrmals geregnet, so dass keinerlei Spuren mehr zu sehen sind“, meint Weller.

„Um sicher zu gehen, dass wir nichts übersehen, rufe ich die Spurensicherung an, die sollen jemand herschicken. Sie beide können wie besprochen, den von ihnen eingeschlagenen Rückweg machen, dann haben wir ein komplettes Bild des Ablaufs“.

Markus Schubert und Bernd Senner begeben sich auf den Rückweg den Bernd und Anja an dem Sonntag eingeschlagen hatten. Er muss die Strecke noch einmal detailliert schildern und zeigen, wo sie gesessen haben, als der Schuss zu hören war und wo das unbekannte Fahrzeug gehalten hatte. Trotz intensiver Überlegungen kann sich Bernd Senner an kein Detail des Nummernschildes erinnern.

Er ist beeindruckt, wie genau der junge Kommissar die Abläufe abfragt. Bernd Senner hat das Gefühl, ernst genommen zu werden.

„Ich werde jetzt wieder zurücklaufen, vielleicht fällt mir noch etwas auf. Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie doch bitte bei uns an.“

„Herr Schubert, ich habe da noch eine große Bitte. Ich möchte nicht, dass meine Beobachtungen irgendwie öffentlich gemacht werden. Ich hätte dann doch große Bedenken wegen meiner Sicherheit und die meiner Partnerin.“

„Da machen Sie sich mal keinen Kopf. Nichts, was wir heute unternommen haben und was Sie gestern ausgesagt haben, verlässt unser Kommissariat. Wir würden dadurch ja nur unsere Ermittlungen erschweren.“

Der Kollege von der SpuSi ist zwischenzeitlich eingetroffen. Auf Grund der Tatsache, dass der mögliche Vorfall schon einige Zeit zurückliegt, verzichtet er auf die weiße Schutzkleidung. Das Gebüsch und die unmittelbare Umgebung hat er intensiv abgesucht. Auch sein geschulter Blick kann nichts entdecken, was irgendwie weiterhelfen würde.

Zum Abschluss setzt er noch den Metalldetektor ein. Ein Pieps fördert nur einen Kronkorken zu Tage. Dann einen weiteren. Ganz nah am Buschwerk ein erneutes Piepsen. Und tatsächlich - er findet eine Patronenhülse. Sie war etwas tiefer im Erdreich, so als ob jemand darauf getreten wäre.

Weller zeigt sich doch recht überrascht, hatte er doch mit diesem Fund nicht gerechnet. Der Experte der SpuSi: „Die Hülse stammt sehr sicher von einem Kleinkaliber, wohl .22 lfb. Genaueres können wir erst unter dem Mikroskop feststellen.

Also doch. Nun hatten sie wohl einen eindeutigen Hinweis, dass die Ereignisse zusammengehören.

Nur wie, das bleibt ungeklärt.

„Lass uns doch einmal in den Schlosshof gehen“, schlägt Weller vor: „Vielleicht treffen wir jemanden an.“

Im hinteren Teil des Hofes sehen sie einen Mann auf einem Gabelstapler sitzen. „Wer kann uns Auskunft geben, was den Gutsausschank betrifft?“ fragen sie ihn.

Der Mann schaut sie etwas skeptisch an, gibt dann zögernd Antwort. „Der Chef ist in der Vinothek, da vorne links neben dem Teich.“

Sie treten ein und bewundern die große Auswahl an Weinflaschen, die dezent angeleuchtet werden. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, werden sie von einem Mann mittleren Alters freundlich gefragt.

Sie stellen sich vor. „Wir ermitteln in einem Tötungsdelikt. Wir möchten wissen, wer an dem Sonntag vor knapp zwei Wochen, also am 23. August, im Gutshof Standdienst hatte.“

„Oh, das ist einfach. Jens hat immer Dienst. Er studiert in Geisenheim Weinwirtschaft und verbringt jede mögliche Minute hier bei uns. Er ist drüben in der Kelterhalle, ich gehe ihn holen.“

Nach wenigen Minuten kehrt er mit einem jungen Mann zurück. Sie erklären auch ihm ihre Anwesenheit und schildern den Hintergrund ihrer Fragen. Sie zeigen ihm das Foto der Toten. „Nein, ich kann wirklich nicht sagen, ob ich die Frau schon einmal gesehen habe. Wissen Sie, an den Wochenenden ist immer so viel los, da achte ich nicht auf einzelne Personen.“

„Können Sie sich eventuell an etwas erinnern, was Ihnen aufgefallen ist?“

„Ja, jetzt wo Sie es erwähnen, fällt mir doch etwas ein. Ich habe ein Paar bemerkt. Sie war eine auffallend schöne blonde Frau, etwa Anfang zwanzig. Er war so um die vierzig und etwas kleiner als sie, normal angezogen mit einer unauffälligen Jacke, nicht so wie manche „Rolex-Typen“ die hier mit jungen Frauen auflaufen. Entschuldigen Sie meine offene Wortwahl. Bei diesem Paar war es etwas anders. Er geleite sie an einen Tisch und kam dann zum Stand um zwei Gläser Wein zu holen. Er wurde von einem Kollegen bedient und ging dann zurück zu ihr. Die beiden saßen genau in meinem Blickfeld daher habe ich immer wieder hingesehen. Sie redeten wenig miteinander. Die junge Frau schien mir etwas verunsichert, griff des Öfteren nach seiner Hand. Ich gebe zu, ich war etwas neidisch. Dann schienen sie zu streiten. Sie stand plötzlich auf und ging forsch in Richtung unserer Toilettenanlagen. So vermutete ich zumindest. Er saß noch eine Weile allein an seinem Platz und war dann auch verschwunden, ohne dass ich es bemerkt habe. Die halbvollen Weingläser standen noch auf dem Tisch.

Ich schüttelte den Kopf, hatte den Vorfall aber auch gleich wieder vergessen.“

„Würden Sie die beiden wiedererkennen?“, fragt Schubert.

„Auch wenn mir die hübsche junge Frau aufgefallen war, mit Bestimmtheit nicht.“

„Wir danken Ihnen für die detaillierte Schilderung ihrer Beobachtungen, falls wir Sie noch einmal benötigen, melden wir uns.“

Mit den Erkenntnissen fahren sie zurück zu ihrer Dienststelle. Die erneute ballistische Untersuchung bestätigte ihre Vermutungen. Patrone und Hülse gehören zweifelsfrei zusammen, nämlich zu einem Kleinkaliber .22 lfb. Z.

Das ist Munition, welche oftmals von Sportschützen verwendet wird. Die Durchschlagskraft ist vermindert und sie ist leiser, auf was das „Z“ hinweist.

Sie informieren Oberstaatsanwalt von Rosenstrauch über den Stand der Ermittlungen und die neuen Erkenntnisse.

„Wir bilden jetzt eine Ermittlungsgruppe“, beschließt von Rosenstrauch. „Arbeitstitel: Schloss“.

„Sie haben meine volle Unterstützung. Bleiben Sie dran!“

Am gleichen Abend

„Hast du schon etwas gegessen?“, fragt die Frau von Markus Schubert ihn, als er spät am Abend zur Haustür reinkommt.

„Nein, noch nicht. Wir hatten keine Zeit. Dieser besondere Fall beschäftigt uns doch sehr.“ „Es ist noch etwas vom Mittagessen übrig, ich mache es dir schnell warm“, bietet sie ihm an.

„Keine Eile, ich bin ziemlich kaputt, werde mir erst einmal ein Glas Wein einschenken. Möchtest du auch ein Glas?“, fragte er seine Frau. „Nein danke, ich schaue noch einmal kurz zu den Kindern rein, danach bringe ich dir dann dein Essen und setze mich zu dir.“

Als sie sich kennengelernt hatten, arbeitete Markus Schubert noch im Drogendezernat. Sie hatte kurz vorher ihr Journalismus-Studium abgeschlossen und war bei einer örtlichen Tageszeitung angestellt. Wegen der Kinder arbeitet sie nun nicht mehr Vollzeit, nur noch manchmal von zu Hause aus, an kleinen Berichten für den Lokalteil der Zeitung. Wie ihm geht ihr das Familienleben über alles, auch wenn Freundinnen von ihr dafür kaum Verständnis zeigen. „Immer nur zu Haus sein, das wäre mir einfach zu wenig“, ist der allgemeine Tenor. Sie nimmt die leichte Kritik hin, weil sie beide es so wollen und sie es noch dazu gerne macht.

Sie hatten gleich am Anfang ihrer Ehe vereinbart zu Haus nicht über ihre Berufe zu sprechen und hielten sich auch strikt daran. Sie wollte nicht, dass er sich mit ihren Problemen konfrontiert sieht und er wollte nicht über die Fälle reden, da er Einzelheiten sowieso nicht diskutieren hätte können.

So blieb es bei den oberflächlichen Informationen. Beide finden das gut.

„So hier ist dein Essen“. Sie stellt ihm einen Teller mit dampfenden Nudelauflauf hin, den er etwas abwesend verschlingt. „So schlimm?“, fragte sie. „Nein, nicht wirklich. Es beschäftigt mich halt sehr.“

„Ach übrigens, morgen werde ich nicht zum Bowling spielen gehen. Dazu bin ich zu sehr angespannt. Ich werfe die Kugel sonst bestimmt auf die Nebenbahn“, erklärt er schmunzelnd.

„Ich komme dann nach Dienstschluss heim. Gebe dir noch Bescheid. Dann kann ich die Kinder auch mal wieder ins Bett bringen. Freue mich schon drauf.“

Die Abteilung des Dezernats geht gemeinsam jeden zweiten Donnerstagabend um sieben Uhr zum Bowling spielen. Sie haben dafür eine Bahn reserviert. Jeder der will, kann daran teilnehmen, je nachdem wie es die Dienstpläne zulassen. Schubert ist ein guter Bowler und hat fast immer die höchste Punktzahl von allen Mitspielern. Die meisten Kollegen haben ihn daher gerne in ihrer Mannschaft. Sie spielen in zwei Gruppen gegeneinander und die Verlierer müssen eine Runde ausgeben. Obwohl er sehr ehrgeizig ist und immer gewinnen will, genießt er doch das ungezwungene Verhältnis zu den anderen. Es schmeichele ihm, ohne arrogant zu sein, wenn er gefeiert wird. Eine junge Kollegin, Ina Wagner, schlank, schwarzhaarig mit strahlend blauen Augen, die als Sachbearbeiterin im Dezernat arbeitet, himmelt ihn an, und das nicht nur wegen seines guten Bowlingspiels. Er reagiert nicht weiter darauf, registriert jedoch schmunzelnd, wenn sie ihn nach einem gelungenen Wurf begeistert abklatscht.

„Komm las uns schlafen gehen“. schlägt seine Frau vor. „Ich werde im Bett noch ein paar Seiten lesen“.

Nachdem sie beide im Bad waren, liegt er ausgestreckt im Bett und sie sitzt halb.

“Ist es spannend, was du gerade liest“?

Sie lacht. „Nein, das Buch wäre nichts für dich, ist eine romantische Schnulze“. Die letzten Worte bekommt er nur noch im Halbschlaf mit.

Kapitel 3

Das Telefon klingelt und der diensthabende Polizist meldet sich: „Polizeidienststelle Wiesbaden.“

„Hallo, wegen Tote im Rhein. Suchen sie in Frankfurter Cocktailbars.“ Danach wurde das Telefonat sofort beendet.

Der Beamte macht sich Notizen, damit er ja kein Detail vergisst. Die Stimme klang etwas dumpf, so als ob die Sprechmuschel abgedeckt worden war. Die Männerstimme hatte einen deutlichen osteuropäischen Akzent.

Gespräche, die in der Zentrale ankommen, werden automatisch aufgezeichnet, trotzdem war es ihm wichtig, Notizen zu machen. Er informiert sofort das zuständige Kommissariat „Ermittlungsgruppe Schloss“ und leitet die Suche nach dem Anschluss ein, von dem der Anruf kam. Er hatte keine Anschlussnummer im Display sehen können.

Die beiden Kommissare treffen nur wenig später ein, um selbst die Aufzeichnung des Gesprächs anzuhören. Zwischenzeitlich war schon herausgefunden worden, dass das Telefonat von einem öffentlichen Fernsprecher vom Flughafen Frankfurt geführt wurde.

„Da gibt es ja Überwachungskameras, vielleicht finden wir darüber Hinweise“, meint Weller, „wir haben ja die genaue Uhrzeit.“

„Oh je, das kann dauern. Ich werde unsere zuständige Abteilung damit beauftragen“, machte Schubert wenig Hoffnung.

Recht schnell jedoch, wurde die Position des öffentlichen Telefons ermittelt. Terminal 1, Bereich Abflug, im Gang zwischen B und C, kurz vor einem Cafe und neben einer großen Toilettenanlagen. Gegenüber den Toiletten befindet sich der Aufgang zum Skytrain, der die Verbindung zum Terminal 2 herstellt.

Bei Sichtung der Aufnahmen zeigt die Überwachungskamera den Beamten am Flughafen, dass betreffende Telefon nur noch im Randbereich. Genau um die Uhrzeit des Anrufs ist ein Mann zu sehen. Er trägt blaue Sneaker, dunkelblaue Jeans, eine weite, lange, fast farblose Jacke und ein dunkelblaues oder schwarzes Basecap.

Er hat keine Tasche oder ähnliches bei sich. Da er die wenigen Sekunden des Anrufs, mit dem Rücken zur Kamera steht, ist sein Gesicht nicht zu sehen, auch nicht als er sich entfernt, da er sich nicht umdreht. Entweder Zufall oder er wusste genau, wo die Kamera installiert ist.

Die telefonisch durchgegebenen Informationen beinhalten nichts, was Aufschlüsse für die weiteren Ermittlungen der Sonderkommission gebracht hätte.

Oberstaatsanwalt von Rosenstrauch entscheidet: „Wir lassen eine Isothopenanalyse vom Opfer machen. Das ist zwar kostspielig und ich muss es genehmigen lassen, aber ohne noch ihre Identität zu kennen, wissen wir dann wenigstens, wo die junge Frau gelebt hat. Ich beantrage das. Vielleicht bringt das neue Erkenntnisse.“

„Hier haben wir die Ergebnisse der Isothopenanalyse. Ich habe sie soeben zugeschickt bekommen. Toll wie schnell die Spezialisten gearbeitet haben“, platzt von Rosenstrauch am nächsten Tag ins Büro von Weller und Schubert.

„Wie wir auf Grund des Anrufers vermuten konnten, stammt sie eindeutig aus Osteuropa. Es gibt deutliche Anzeichen betreffend der Ernährung und der Lebensumständen.

„Was haben wir also“ fragt Weller und fasst zusammen.

„Die Tote war zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt. Blond.

Aus Osteuropa.

Erschossen aus nächster Nähe in den Weinbergen. Versenkt im Rhein und nach etwa zehn Tagen entdeckt.

In feste Plastikfolie eingewickelt und mit einer Kunststoffschnur umwickelt.

Oberhalb des rechten Knöchels eine Verletzung. Vielleicht eine Schürfwunde.“

„Wir haben einen, oder zwei Zeugen, die rätselhafte Vorgänge beobachtet haben.

Einen anonymen Anrufer mit dem Hinweis: Cocktailbars Frankfurt.

Niemand weiter hat sich auf die Berichte in den Tageszeitungen gemeldet.

Niemand hat eine junge Frau als vermisst gemeldet.“

„Da wir den Hinweis .Cocktailbars Frankfurt` bekommen haben, bitten wir die dortigen Kollegen um Unterstützung, vielleicht liegt da etwas vor, was uns weiterhelfen könnte. Ich werde das Notwendige veranlassen“, sagte Oberstaatsanwalt von Rosenstrauch.

„Hallo, hier spricht Kurt Stenzel, Mordkommission Frankfurt. Wir haben euer Ersuchen erhalten wegen der unbekannten Toten im Rhein. Da dachte ich mir, ruf doch gleich bei deinem alten Kollegen Weller an, so können wir den Wissensstand auf dem kleinen Dienstweg abgleichen.“

Kurt Stenzel und Franz Weller kennen sich seit Jahren und haben in dieser Zeit schon bei mehreren Fällen zusammengearbeitet. Kennengelernt hatten sie sich auf einer Schulung und sich auch danach öfter bei Weiterbildungsseminaren getroffen. Obwohl sie vom Lebensstil völlig unterschiedlich waren, verstanden sie sich von Anfang an.