Tod und Teufel - Frank Schätzing - E-Book

Tod und Teufel E-Book

Frank Schätzing

4,5

Beschreibung

Köln im September 1260: Jeder steht gegen jeden. Erzbischof und Bürger versuchen, einander mit allen legalen und illegalen Mitteln in die Knie zu zwingen. Jacop der Fuchs, Dieb und Herumtreiber, zeigt an den erzbischöflichen Äpfeln indes mehr Interesse als an der hohen Politik. Was ihm nicht gut bekommt: In den Ästen eines Apfelbaumes sitzend, wird er Zeuge, wie ein höllenschwarzer Schatten den Dombaumeister vom Gerüst in die Tiefe stößt. Er hat den Mord als einziger gesehen. Aber der Schatten hat auch ihn gesehen. Er heftet sich an Jacops Spuren und bringt jeden um, den Jacop einweiht. Als Jacop begreift, daß der Sturz vom Dom nur Auftakt einer unerhörten Intrige war, ist es fast schon zu spät.

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Frank Schätzing, Jahrgang 57, Studium der Kommunikationswissenschaften, beschäftigt sich mit Werbung, Chaostheorie und Zukunftsforschung. 1995 erschien im Emons Verlag sein Roman »Tod und Teufel«, der vom Start weg ein Bestseller wurde. Weitere Publikationen: »Lautlos« (2001), »Mordshunger« (1996), »Keine Angst« (Kurzkrimis, 1997), »Die dunkle Seite« (1997), »Tod und Teufel« (Das Hörbuch, 1999), »Keine Angst« (Das Hörbuch, 2001). Frank Schätzing lebt in Köln.

www.frank-schaetzing.com

Falls zwischen den Personen im Buch und solchen, die im heutigen Köln lieben und leben, irgendwelche Ähnlichkeiten auftreten sollten, wäre das reiner Zufall. Keineswegs zufällig sind hingegen die Ähnlichkeiten mit bekannten und weniger bekannten Zeitgenossen des 13. Jahrhunderts. Mehr als die Hälfte des Agierenden spielt sich selbst.

Im Anhang finden Sie eine Erläuterung der Namen, Begriffe und Zitate sowie Auszüge aus einem Gespräch zwischen Hejo Emons und Frank Schätzing und Daten zur Baugeschichte des Kölner Domes von Arnold Wolff.

© 1995 Hermann-Josef Emons Verlag überarbeitete Ausgabe Alle Rechte vorbehalten Mit freundlicher Genehmigung des Wilhelm Goldmann Verlags, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: Intevi Werbeagentur, Köln unter Verwendung eines Gemäldes von Sandro Botticelli Lektorat: Stefanie Rahnfeld eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-054-4 Köln Krimi Originalausgabe

Für Jürgen,

Die Sprache ist nicht der Schleier des Wirklichen, sondern sein Ausdruck.

Prolog

Der Wolf stand auf der Anhöhe und fixierte den goldbeschienenen Ring der großen Mauer.

Sein Atem ging gleichmäßig. Die mächtigen Flanken zitterten leicht. Er war den ganzen Tag gelaufen, von der Gegend um Jülichs Burgen herab über das Hügelland bis hierher, wo das Dickicht endete und den Blick freigab auf die entfernt liegende Stadt. Trotzdem fühlte er sich weder erschöpft noch müde. Während der Feuerball der Sonne hinter ihm den Horizont berührte, warf er den Kopf in den Nacken und erkundete witternd seine Umgebung.

Die Eindrücke waren übermächtig. Er roch das Wasser vom Fluss, den Schlamm an den Ufern, das faulige Holz der Schiffsrümpfe. Er sog die Melange der Ausdünstungen in sich hinein, in der sich Tierisches mit Menschlichem und Menschgemachtem mischte, parfümierte Weine und Fäkalien, Weihrauch, Torf und Fleisch, das Salz verschwitzter Leiber und der Duft teurer Pelze, Blut, Honig, Kräuter, reifes Obst, Aussatz und Schimmel. Er roch Liebe und Angst, Furcht, Schwäche, Hass und Macht. Alles dort unten sprach eine eigene, duftende Sprache, erzählte ihm vom Leben hinter den steinernen Wällen und vom Tod.

Er drehte den Kopf.

Stille. Nur das Flüstern der Wälder ringsum.

Reglos wartete er, bis das Gold von der Mauer gewichen war und nur noch auf den Zinnen der Torburgen schimmerte. Eine kurze Weile, und es würde ganz verlöschen und den Tag der Erinnerungslosigkeit preisgeben. Die Nacht käme, um das Tal mit neuen, dumpfen Farben zu überziehen, bis auch diese den Schatten weichen und das Glühen seiner Augen die einzigen Lichter sein würden.

Die Zeit war nahe, da die Wölfe Einzug in die Träume der Menschen hielten. Die Zeit des Wandels und der Jagd.

Mit geschmeidigen Bewegungen lief der Wolf die Anhöhe hinunter und tauchte ein ins hohe, trockene Gras. Wenig später war er darin verschwunden.

Vereinzelt begannen die Vögel wieder zu singen.

10. September

Ante portas

»Ich finde, es ist kalt.«

»Ihr findet immer, es ist kalt. Ihr seid weiß Gott eine erbarmungswürdige Memme.«

Heinrich zog den Mantel enger um seine Schultern und funkelte den Reiter neben ihm zornig an.

»Das meint Ihr nicht so, Mathias. Ihr meint nicht, was Ihr sagt. Es ist kalt.«

Mathias zuckte die Achseln. »Verzeiht. Dann ist es eben kalt.«

»Ihr versteht mich nicht. Mir ist kalt im Herzen.« Heinrichs Hände beschrieben eine theatralische Geste. »Dass wir zu solchen Mitteln greifen müssen! Nichts liegt mir ferner als die Sprache der Gewalt, so wahr der barmherzige Gott mein Zeuge ist, jedoch –«

»Er ist nicht Euer Zeuge«, unterbrach ihn Mathias.

»Was?«

»Warum sollte Gott seine kostbare Zeit auf Euer Zetern und Jammern verschwenden? Es wundert mich, dass Ihr überhaupt aufs Pferd gefunden habt um diese Stunde.«

»Mit Verlaub, Ihr werdet unverschämt«, zischte Heinrich. »Zollt mir gefälligst ein bisschen Respekt.«

»Ich zolle jedem den Respekt, den er verdient.« Mathias lenkte sein Pferd um einen gestürzten Ochsenkarren herum, der unvermittelt aus der Dunkelheit vor ihnen aufgetaucht war. Die Sicht nahm rapide ab. Den ganzen Tag über hatte die Sonne geschienen, aber es war September, und abends wurde es jetzt schneller kalt und dunkel. Dann stiegen Nebel empor und verwandelten die Welt in ein düsteres Rätsel. Kölns Stadtmauer lag inzwischen mehr als einen halben Kilometer hinter ihnen, und sie hatten lediglich die Fackeln. Mathias wusste, dass Heinrich sich vor Angst fast in die Hosen machte, und das erfüllte ihn mit einer grimmigen Belustigung. Heinrich hatte seine Vorzüge, aber Mut gehörte nicht dazu. Er trieb sein Pferd zu größerer Eile und beschloss, ihn zu ignorieren.

Im Allgemeinen fiel es niemandem ein, um diese Zeit die Stadt zu verlassen, es sei denn, man warf ihn hinaus. Die Gegend war unsicher. Überall trieben sich Banden von Strolchen und Tagedieben herum, ungeachtet des Landfriedens, den der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden im Einklang mit den geistlichen und weltlichen Fürsten der umliegenden Gebiete ausgerufen hatte. Das war 1259 gewesen, nicht mal ein Jahr zuvor. Es gab ein Papier darüber, schwer von Siegeln. Glaubte man dem Wisch, konnten Wanderer und Kaufleute nun das Rheinland durchqueren, ohne von Raubrittern und anderen Wegelagerern ausgeplündert und umgebracht zu werden. Aber was tagsüber einigermaßen funktionierte, vor allem, wenn es darum ging, die Kaufleute für das magere Schutzversprechen zur Kasse zu bitten, verlor nach Sonnenuntergang jede Gültigkeit. Erst kürzlich hatte man den Körper eines Mädchens gefunden, draußen auf dem Feld und nur wenige Schritte von der Friesenpforte entfernt. Sie lag auf dem Gelände eines Pachthofs, vergewaltigt und erdrosselt. Ihre Eltern waren angesehene Leute, eine Dynastie von Waffenschmieden, seit Generationen wohnhaft Unter Helmschläger gegenüber dem erzbischöflichen Palast. Es hieß, der Leibhaftige habe die Kleine mit einem Zauber hinausgelockt. Andere wollten den Bauern aufs Rad geflochten sehen, in dessen Feld sie den Leichnam gefunden hatten. Dabei ging es weniger um die Schuld des Bauern; aber was hatte eine anständige Bürgertochter tot auf seinem Grund und Boden zu liegen! Zumal sich kein Christenmensch erklären konnte, was sie so spät dort draußen gesucht hatte. Hörte man allerdings genauer hin, wusste plötzlich jeder, dass sie sich mit Spielleuten herumgetrieben hatte und noch schlimmerem Pack, Fetthändlern aus der Schmiergasse und Gesindel, das man besser gar nicht erst in die Stadt ließ. Also doch selber schuld. Wer glaubte schon dem Landfrieden.

»Wartet!«

Heinrich war weit hinter ihm. Mathias stellte fest, dass er dem Vollblut zu sehr die Zügel gelassen hatte, und ließ es in ein gemächliches Schritttempo zurückfallen, bis sein Begleiter wieder neben ihm ritt. Sie hatten jetzt mehrere Höfe zwischen sich und die Stadt gebracht und den Hag erreicht. Der Mond erhellte die Gegend nur schwach.

»Sollte er hier nicht irgendwo warten?« Heinrichs Stimme zitterte fast so sehr wie er selber.

»Nein.« Mathias spähte zwischen den ersten Baumreihen des Hags hindurch. Der Weg verlor sich in völligem Schwarz. »Wir müssen bis zur Lichtung. Hört, Heinrich, seid Ihr sicher, dass Ihr nicht umkehren möchtet?«

»Was denn, alleine?« Heinrich biss sich verlegen auf die Lippen, aber es war raus. Kurz besiegte der Zorn seine Feigheit. »Ständig versucht Ihr mich zu provozieren«, schimpfte er laut. »Als ob ich umkehrte! Als ob mir ein solcher Gedanke überhaupt käme, hier im Finstern mit Euch eingebildetem Pfau an meiner Seite, der das Maul zu weit aufreißt –«

Mathias zügelte sein Pferd, langte herüber und packte Heinrich an der Schulter.

»Betreffs des Mauls, da solltet Ihr das Eure vielleicht halten. Wäre ich derjenige, den wir treffen wollen, und ich hörte Euch lamentieren, würde ich mit Kopfschmerzen das Weite suchen.«

Der andere starrte ihn wütend und beschämt an. Dann riss er sich los und ritt geduckt unter den Bäumen durch. Mathias folgte ihm. Die Äste warfen im Licht der Fackeln tanzende Schatten. Nach wenigen Minuten erreichten sie die Lichtung und ließen die Pferde halten. Der Wind rauschte durchs Holz, sonst war nichts zu hören als ein monotoner Uhu irgendwo über ihnen.

Sie warteten schweigend.

Nach einer Weile begann Heinrich unruhig in seinem Sattel hin- und herzurutschen.

»Und wenn er nicht kommt?«

»Er wird kommen.«

»Was macht Euch da so sicher? Solche Leute taugen nichts. Sie sind heute hier und morgen da.«

»Er wird kommen. Wilhelm von Jülich hat ihn empfohlen, also wird er kommen.«

»Der Graf von Jülich wusste nicht das Geringste über ihn.«

»Es ist nicht von Bedeutung, was man über solche Leute weiß, nur, was sie tun. Er hat Wilhelm gute Dienste geleistet.«

»Ich hasse es aber, nichts über andere zu wissen.«

»Warum? Es ist bequemer so.«

»Trotzdem. Wir sollten vielleicht umkehren und das Ganze noch einmal durchdenken.«

»Und was wollt Ihr dann erzählen? Wie Ihr Euer Pferd durchnässt habt vor Angst?«

»Dafür werdet Ihr Euch entschuldigen!«

»Schweigt endlich.«

»Ich bin nicht so alt geworden, um mir von Euch den Mund verbieten zu lassen.«

»Vergesst nicht, ich bin drei Jahre älter«, spottete Mathias. »Und der Ältere ist immer weiser als der Jüngere. Da ich mich persönlich nicht für weise halte, könnt Ihr ungefähr ermessen, wo Ihr steht. Und jetzt Ruhe.«

Bevor Heinrich etwas entgegnen konnte, war Mathias abgestiegen und hatte sich ins Gras gesetzt. Heinrich beobachtete nervös den Scherenschnitt der Kiefern um sie herum und spähte nach dem Mond. Er verbarg sich hinter Schlieren. Hier und da wurde die Wolkendecke von ein paar Sternen unterbrochen. Diese Nacht gefiel ihm nicht. Genau genommen gefiel ihm keine Nacht, sofern er sie nicht im eigenen Bett verbrachte oder in den Armen einer Kurtisane.

Missmutig schaute er hinter sich und kniff die Augen zusammen, um sich zu vergewissern, dass niemand ihnen gefolgt war.

Ein Schatten huschte unter den Bäumen hindurch.

Heinrich fuhr der Schreck so sehr in die Glieder, dass er an sich halten musste, um seinem Pferd nicht die Fersen zu geben. Seine Kehle war plötzlich unangenehm trocken.

»Mathias –«

»Was?«

»Da ist etwas.«

Mathias war im Nu auf den Beinen und spähte in dieselbe Richtung.

»Ich kann nichts erkennen.«

»Aber es war da.«

»Hm. Vielleicht hat Euch der tiefe Wunsch nach Kampf und Heldentaten einen Feind sehen lassen. Manchmal sollen hier auch Hexen –«

»Macht jetzt keine Witze. Da, seht!«

Im Dunkeln tauchten zwei schwach glimmende gelbe Punkte auf und kamen langsam näher. Etwas hob sich kaum wahrnehmbar gegen das dunkle Unterholz ab, noch schwärzer als schwarz, drehte einen massigen Schädel.

Es beobachtete sie.

»Der Teufel«, entsetzte sich Heinrich. Seine Rechte tastete fahrig nach dem Schwertgriff und verfehlte ihn.

»Unsinn.« Mathias hielt die Fackel vor sich und trat einen Schritt auf den Waldrand zu.

»Seid Ihr von Sinnen? Kommt zurück, um Gottes willen.«

Mathias ging in die Hocke, um besser sehen zu können. Die Punkte verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren.

»Ein Wolf«, konstatierte er.

»Ein Wolf?« Heinrich schnappte nach Luft. »Was tun Wölfe so nah bei der Stadt?«

»Sie kommen, um zu jagen«, sagte jemand.

Beide fuhren herum. Dort, wo Mathias gesessen hatte, stand ein hoch gewachsener Mann. Üppiges blondes Haar fiel über seine Schultern und lockte sich fast bis zur Taille. Sein Umhang war schwarz wie die Nacht. Keiner hatte ihn herantreten hören.

Mathias kniff die Augen zusammen.

»Urquhart, vermute ich?«

Der Blonde neigte leicht den Kopf.

Heinrich saß wie zur Salzsäule erstarrt auf seinem Pferd und begaffte den Ankömmling mit offenem Mund. Mathias sah geringschätzig zu ihm hoch.

»Ihr könnt jetzt absteigen, edler Herr und Ritter, reich an Jahren und Todesmut«, höhnte er.

Ein Zucken ging durch Heinrichs Gesichtszüge. Er schloss mit einem Klacken die Kiefer und rutschte mehr aus dem Sattel, als dass er stieg.

»Setzen wir uns«, schlug Mathias vor.

Sie ließen sich ein Stück von den Pferden entfernt nieder. Heinrich fand die Sprache wieder, straffte sich und setzte eine würdige Miene auf.

»Wir hörten Euch nicht kommen«, sagte er nörgelig.

»Natürlich nicht.« Urquhart entblößte zwei makellose Reihen weißschimmernder Zähne. »Ihr hattet genug mit Eurem Wolf zu tun. Wölfe sind schnell zur Stelle, wenn man sie ruft, war Euch das nicht bekannt?«

»Wovon redet Ihr?«, fragte Mathias mit einem Stirnrunzeln. »Niemand ist so verrückt, Wölfe herbeizurufen.«

Urquhart lächelte unergründlich.

»Ihr habt vermutlich Recht. Am Ende war es nur ein Hund, der Euch mehr fürchtete als Ihr ihn. Falls Euch das beruhigt«, fügte er höflich an Heinrich gewandt hinzu.

Heinrich starrte zu Boden und begann, Grashalme auszurupfen.

»Wo ist Euer Pferd?«, forschte Mathias.

»In Reichweite«, sagte Urquhart. »Ich werde es in der Stadt nicht brauchen.«

»Täuscht Euch nicht. Köln ist größer als die meisten Städte.«

»Und ich bin schneller als die meisten Pferde.«

Mathias betrachtete ihn abschätzend. »Soll mir recht sein. Der Graf von Jülich hat mit Euch über den Preis gesprochen?«

Urquhart nickte. »Wilhelm erwähnte tausend Silbermark. Ich halte das für angemessen.«

»Wir erhöhen unser Angebot«, sagte Mathias. »Eure Aufgabe hat sich erweitert. Doppelte Arbeit.«

»Gut. Dreifacher Lohn.«

»Das halte ich für unangemessen.«

»Und ich halte mangelnde Präzisierung für unangemessen. Wir feilschen hier nicht um Handelswaren. Dreifacher Lohn.«

»Seid Ihr das überhaupt wert?«, fragte Heinrich scharf.

Urquhart sah ihn eine Weile an. Seine Mundwinkel zuckten in milder Belustigung. Dann hob er die buschigen Brauen.

»Ja.«

»Also gut«, nickte Mathias. »Dreifacher Lohn.«

»Was?«, begehrte Heinrich auf. »Aber Ihr habt doch eben noch selber –«

»Es bleibt dabei. Besprechen wir die Einzelheiten.«

»Ganz wie Ihr wünscht«, sagte Urquhart.

Kultiviert und höflich, dachte Mathias. Ein seltsamer Bursche. Leise begann er, auf Urquhart einzureden. Sein Gegenüber hörte reglos zu und nickte verschiedene Male.

»Habt Ihr noch Fragen?«, schloss Mathias.

»Nein.«

»Gut.« Mathias stand auf und klopfte sich Gras und Erde von den Kleidern. Er brachte eine Schriftrolle aus seinem Mantel zum Vorschein und reichte sie dem Blonden. »Hier ist ein Empfehlungsschreiben vom Abt der minderen Brüder versus St. Kolumba. Macht Euch nicht die Mühe einer frommen Visite, niemand erwartet Euch dort. Ich glaube zwar nicht, dass man Euch kontrolliert, aber angesichts der Referenzen wird Euch keine Stadtwache den Zugang verwehren.«

Urquhart pfiff leise durch die Zähne. »Ich brauche kein Papier, um reinzukommen. Trotzdem, wie habt Ihr den Abt dazu bringen können, sein Siegel in Euren Dienst zu geben?«

Mathias lachte selbstzufrieden. »Unser gemeinsamer Freund Wilhelm von Jülich ist stolzer Besitzer eines Hofes Unter Spornmacher. Das ist um die Ecke gespuckt, und der Abt der minderen Brüder schuldet ihm verschiedene Gefallen. Wilhelm hat ihm ein paar Kostbarkeiten für die Sakristei überantwortet, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

»Ich dachte, die Minoriten seien nach dem Willen des barmherzigen Gottes arm und mittellos.«

»Ja, und darum gehört alles auf ihrem Grund und Boden einzig dem Herrn. Aber solange der’s nicht abholt, muss es ja verwaltet werden.«

»Oder gegessen?«

»Und getrunken.«

»Wollt Ihr endlich ein Ende machen?«, zeterte Heinrich gedämpft. »Die Porta hanonis wird Schlag zehn geschlossen. Nichts reizt mich weniger, als die Nacht vor den Toren zu verbringen.«

»Schon gut.« Mathias betrachtete Urquhart. »Entwickelt Euren Plan. Wir treffen uns morgen Abend an St. Ursula um die fünfte Stunde, um alles Weitere zu besprechen. Ich nehme an, Ihr wisst bis dahin für Eure Sicherheit zu sorgen.«

»Macht Euch keine Gedanken«, lächelte Urquhart. Er reckte die Glieder und sah zum Mond auf, der scheu zwischen den Wolken hervorlugte. »Ihr solltet reiten, Eure Zeit wird knapp.«

»Ich sehe Euch ohne Waffen.«

»Wie ich bereits sagte, macht Euch keine Gedanken. Ich pflege meine Waffen zu benutzen, nicht öffentlich auszustellen. Aber sie liegen bereit.« Er zwinkerte Mathias zu. »Ich führe sogar Vellum und Feder mit.«

»Das sind keine Waffen«, bemerkte Mathias.

»Doch. Das geschriebene Wort kann sehr wohl eine Waffe sein. Alles kann eine Waffe sein, wenn man es entsprechend einzusetzen weiß.«

»Ihr werdet’s wohl wissen.«

»Sicher. Reitet.«

Heinrich wandte sich missmutig ab und stapfte hinüber zu den Pferden. Mathias ging ihm nach. Als er sich noch einmal umdrehte, war Urquhart wie vom Erdboden verschluckt.

»Habt Ihr seine Augen gesehen?«, wisperte Heinrich.

»Was?«

»Urquharts Augen!«

Mathias versuchte, seine Gedanken zu sammeln. »Was ist mit seinen Augen?«

»Sie sind tot.«

Mathias starrte auf die Stelle, an der Urquhart zuletzt gestanden hatte. »Ihr träumt, Heinrich.«

»Augen wie von einem Toten. Er macht mir angst.«

»Mir nicht. Reiten wir.«

Sie ließen die Pferde ausgreifen, so schnell es die Dunkelheit und das Wurzelgewirr im Hag erlaubten. Als sie freies Feld erreichten, schlugen sie den Tieren die Fersen in die Seiten und erreichten die Porta rund zehn Minuten später. Langsam schlossen sich die Torflügel hinter ihnen, als sie in den Schutz der großen Mauer entkamen.

Die Nacht hatte wieder einmal gewonnen.

11. September

Forum feni

Jacop der Fuchs schlenderte über die Märkte und stellte sein Mittagessen zusammen.

Den Beinamen hatte er nicht von ungefähr. Für gewöhnlich leuchtete sein Kopf wie ein Burgfeuer. Klein und schlank von Statur, wäre er niemandem weiter aufgefallen, wenn nicht dieser unbändige Schopf roter Haare nach allen Himmelsrichtungen gegriffen hätte. Jede der drahtigen Strähnen schien einem eigenen Verlauf zu folgen, dessen Hauptmerkmal darin bestand, dass sie ihn mit keiner anderen teilen wollte. Das Ganze als Haartracht zu bezeichnen, war mehr als abwegig. Trotzdem, oder gerade deshalb, übte es auf Frauen den seltsamen Zwang aus, hineinzugreifen und daran herumzuzerren, mit den Fingern hindurchzufahren, als gelte es einen Wettstreit zu gewinnen, wer dem Gestrüpp zumindest ansatzweise so etwas wie Disziplin beizubringen vermochte. Bis jetzt hatte noch keine gewonnen, wofür Jacop seinem Schöpfer laut dankte und ein ums andere Mal für reichlich Unordnung auf der Kopfhaut sorgte. Das Interesse war entsprechend unvermindert groß, und wer sich einmal in der roten Hecke verfangen hatte, lief Gefahr, im hellblauen Wasser seiner Augen endgültig allen Boden unter den Füßen zu verlieren.

Heute allerdings, angeknurrt von seinem Magen, zog Jacop es vor, sich mit einem alten Fetzen zu bedecken, der nicht mal in seinen besten Zeiten den Namen Kapuze verdient hatte, und den Wunsch nach weiblicher Gesellschaft hintanzustellen. Kurzfristig wenigstens.

Der Geruch teuren holländischen Käses stieg ihm in die Nase. Schnell drängte er sich zwischen den geschäftigen Ständen hindurch und versuchte, ihn zu ignorieren. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Mittagssonne die oberste Schicht des Anschnitts schmolz, so dass sie von einem fetten Glanz überzogen war. Welcher Teufel auch immer den Duft geradewegs zu ihm herüberlenkte, auf dem Käsemarkt war augenblicklich zu viel los für einen schnellen Griff.

Der Gemüsemarkt gegenüber bot da schon bessere Möglichkeiten. Überhaupt war die nördliche Seite des Forum Fenn geeigneter, ohne Geld einzukaufen, weil sich hier die unterschiedlichsten Fluchtmöglichkeiten auftaten. Man konnte zwischen den Haufen der Kohlenhändler und dem Salzmarkt, wo das Forum in die Passage zum Alter Markt mündete, in tausend Gassen verschwinden, etwa zwischen den Häusern der Hosenmacher und der Brothalle hindurch, dann hoch zu den Hühnerständen und in die Judengasse. Andere Möglichkeiten boten sich zum Rhein hin. Die Salzgasse oder besser noch die Lintgasse, wo sie draußen Körbe und Seile aus Lindenbast flochten und die Fischverkäufer vor der Ecke Buttermarkt ihre offenen Buden hatten. Weiter zum Ufer hin lagen die Salmenbänke. Hier, im Schatten der mächtigen Klosterkirche Groß St. Martin, begann der eigentliche Fischmarkt und Köln nach Hering, Wels und Aal zu stinken, so dass die Verfolger spätestens an dieser Stelle umkehrten, die ehrwürdigen Brüder der Martinskirche arg bedauerten und Gott den Herrn gnädig priesen, dass sie ihre Waren nicht am Rheinufer feilbieten mussten.

Aber Jacop wollte keinen Fisch. Er hasste den Geruch, den Anblick, einfach alles daran. Nur Lebensgefahr konnte ihn so weit bringen, über den Fischmarkt zu laufen.

Er drängte sich zwischen Gruppen schnatternder Mägde und Schwestern von der heiligen Jungfrau hindurch, die lautstark um die Kürbispreise feilschten, übertönt vom melodischen Lärm der Ausrufer, rempelte einen reichgekleideten Kaufmann an und stolperte, Entschuldigungen brabbelnd, gegen einen Stand mit Möhren und Bleichsellerie. Das Manöver trug ihm drei Schimpfnamen ein, darunter erstaunlicherweise einen, mit dem man ihn in der Vergangenheit noch nicht bedacht hatte, sowie ein paar schöne, glatte Karotten, prall vor Saft. Schon mal nicht schlecht.

Er sah sich um und überlegte. Er konnte einen Abstecher zu den Apfelkisten der Bauern vom Alter Markt unternehmen. Das war der sichere Weg. Ein paar Stücke reifes Obst, die Möhren. Hunger und Durst gestillt.

Aber es war einer dieser Tage – Jacop wollte mehr. Und dieses Mehr lag leider auf der weniger sicheren Seite des Forums, im Süden, bezeichnenderweise dort, wo die Zahl der Geistlichen unter den Marktgängern zunahm. An den Fleischbänken.

Die Fleischbänke –

Dort war erst letzte Woche einer zum wiederholten Male erwischt worden. Sie hatten ihm etwas vorschnell die rechte Hand abgehackt und ihn tröstend darauf hingewiesen, jetzt habe er Fleisch. Im Nachhinein stellte die Kölner Gerichtsbarkeit klar, es habe sich hierbei um einen keineswegs gebilligten Akt der Selbstjustiz gehandelt, aber davon wuchs die Hand auch nicht mehr an. Und letzten Endes: selber schuld! Fleisch war nun mal kein Essen für die Armen.

Und doch, hatte nicht der Dekan von St. Cäcilien erst kürzlich erklärt, unter den Armen sei nur der mit Gott, der seine Armut ehrlich trage? War Jacop also gottlos? Und konnte man einem Gottlosen vorwerfen, dass er der Versuchung des Fleisches nicht zu widerstehen vermochte? So, wie ihn das Fleisch versuchte, war die Versuchung des heiligen Johannes jedenfalls ein Dreck dagegen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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