Todesfluch - Kaya Meester - E-Book

Todesfluch E-Book

Kaya Meester

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Beschreibung

Der magisch begabte Kian fristet sein Dasein als Gefangener im Königreich Silvanos. Aufgrund seiner Begabung gilt er als Bedrohung für das Land, daher schickt der König regelmäßig Sucher aus, die Magier aufspüren und gefangen nehmen. Als die gefürchteten Sucher in das Dorf Waldbach eindringen, schwebt die junge Küchenmagd Alea in Gefahr, als Magierin enttarnt zu werden. Mithilfe eines Soldaten gelingt ihr jedoch die Flucht und sie schließt sich einem Widerstand an, der den König entmachten will. Doch der Armee des Königs sind die magisch Begabten und ihre Verbündeten hoffnungslos unterlegen. Sie brauchen mehr Magier, die sich dem König entgegenstellen - Magier wie Kian, dem eines Tages die Flucht gelingt und der nach Rache sinnt.

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Seitenzahl: 575

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Buch

Der magisch begabte Kian fristet sein Dasein als Gefangener im Königreich Silvanos. Aufgrund seiner Begabung gilt er als Bedrohung für das Land, daher schickt der König regelmäßig Sucher aus, die Magier aufspüren und gefangen nehmen. Als die gefürchteten Sucher in das Dorf Waldbach eindringen, schwebt die junge Küchenmagd Alea in Gefahr, als Magierin enttarnt zu werden. Mithilfe eines Soldaten gelingt ihr jedoch die Flucht und sie schließt sich einem Widerstand an, der den König entmachten will. Doch der Armee des Königs sind die magisch Begabten und ihre Verbündeten hoffnungslos unterlegen. Sie brauchen mehr Magier, die sich dem König entgegenstellen – Magier wie Kian, dem eines Tages die Flucht gelingt und der nach Rache sinnt.

Autorin

Schon seit sie acht Jahre alt ist, schreibt Janine Meester, die unter dem Pseudonym Kaya Meester Fantasyromane veröffentlicht, Geschichten und liebt unterhaltsame Literatur. Auch die Musik hat sie immer fasziniert, daher schloss sie neben dem Studium eine Gesangsausbildung ab. Zurzeit arbeitet sie in einer Agentur in der Weiterbildungsbranche und bildet sich zur Therapeutin weiter. Privat hat sie sich dem Schreiben von Romanen gewidmet, lebt mit ihrem Mann im Bergischen Land und reist gerne – am liebsten ans Meer.

Weitere Bücher der Autorin

»Bergische Nacht«, Kriminalroman, Emons Verlag (2022)

»Ein Wispern in der Nacht – Lucys 1. Fall«, Cosy Crime, BoD (2023)

Ein Buch über starke Frauen für zwei starke Mädchen. Lena und Emma – dieses Buch ist für euch.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Glossar

1.

Sie kommen! Alea warf die schwere Eichentür hinter sich zu, ihr Herz klopfte schneller. Bisher waren es nur Geschichten gewesen, die sie als Kind geängstigt hatten, doch nun war es keine Geschichte mehr, jetzt würde man sie holen. Kalte Luft war in die Stube gezogen, aber dennoch schwitzte sie. Ihre langen, dunklen Haare klebten ihr an der Stirn und sie strich die Strähnen mit zittrigen Fingern zurück. Ihr Blick wanderte über die abgenutzten Möbel zum Fenster. Branja lief über die schmale Straße, denn sie wollte zurück zum Haus ihrer Familie. Die gutmütige Köchin hatte sie vor den Soldaten gewarnt, die bald durch ihr Dorf reiten würden. Soldaten in den Farben des Königs.

Ich muss nur unauffällig bleiben, redete sie sich Mut zu. Niemand hier weiß, dass ich eine Magische bin! Doch sogar Branjas Wangen hatten vor Aufregung geglüht, dabei war sie sonst kaum aus der Ruhe zu bringen. Alea schüttelte den Kopf, als sie an ihre aufmunternd gemeinten Worte dachte, dass sie sich keine Sorgen machen solle, denn an Waldarbeitern und Küchenmägden seien die Sucher nicht interessiert. Doch Branja hatte keine Ahnung, wer sie wirklich war – niemand im Dorf wusste es.

Das Feuer im Kamin war fast erloschen. Es war an der Zeit, etwas Holz nachzulegen, doch sie stand wie gelähmt in der kühlen Stube. Konnte sie wirklich sicher sein, dass niemand im Dorf etwas ahnte? Warf man ihr diese seltsamen Blicke nur deshalb zu, weil sie in ihrem Alter keinen Ehemann hatte? Wie viel Zeit würde ihr noch bleiben, bis die Sucher durch die Straßen gingen?

Es war unsinnig, darüber nachzudenken, denn sie hatte keine Chance mehr, das Dorf unbemerkt zu verlassen. Vielmehr musste sie sich beruhigen, wenn sie nicht auffallen wollte. Sie griff nach dem Becher mit Kräutertee, den sie kurz zuvor gekocht hatte. Ihre Großmutter war eine Heilerin gewesen und hatte sie in die Geheimnisse der Heilkunst eingeweiht. Alea wusste, welche Kräuter und Pflanzen Schmerzen linderten, Blutungen stillten oder zur Ruhe verhalfen. Doch da Heiler oft magische Fähigkeiten hatten, hatte Naima sie gewarnt, dass Sucher bei ihnen zuerst an die Tür klopften. Wer über die Begabung verfügte, wurde von den Suchern mitgenommen und nie wieder gesehen.

Ihr wurde übel bei dem Gedanken und sie stellte den Tee zur Seite. Ihre Großmutter hatte sie damals in das Dorf Waldbach gebracht, auf der Flucht vor den Suchern. Sie waren aus der Palaststadt des Königreiches geflohen, in der Alea die ersten Jahre ihres Lebens aufgewachsen war. Zahlreiche Magier waren damals verschleppt worden und nun war auch Waldbach nicht mehr der sichere Ort, für den Naima ihn einst gehalten hatte.

Ein Hornsignal riss sie aus ihren Gedanken und sie eilte zum Fenster. Sie hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Ängstlich beobachtete sie, wie die anderen Dorfbewohner ihre Häuser verließen, dann griff sie nach ihrem Mantel. Wenn sie nicht auffallen wollte, musste sie sich ebenso verhalten wie ihre Nachbarn.

Vielleicht bin ich keine Magierin wie meine Eltern und Großmutter! Das war die einzige Hoffnung, die ihr jetzt noch blieb. Schließlich hatte sie nie das magische Fieber gehabt und sie beherrschte auch keinerlei magische Tricks, von denen Naima zuweilen erzählt hatte. Dennoch war ihre Großmutter überzeugt gewesen, dass auch Alea solche Fähigkeiten besaß. Sie hatte ihr einst gesagt, dass sie die magische Aura hätte. Diese besondere Aura der Magier, die begabte Sucher sehen konnten.

Benimm dich wie die anderen! Alea atmete noch einmal tief durch und schloss den Mantel fest um sich, dann ging sie hinaus. Sofort schlug ihr eine eisige Kälte entgegen. Alle waren froh gewesen, als der Schnee endlich nachgelassen hatte und zu schmelzen begann. Doch nun machte der Frost dem Dorf seit einigen Tagen erneut zu schaffen. Selbst der Silvansfluss würde zufrieren, wenn es nicht endlich wieder wärmer werden würde. Andererseits war die Kälte in diesem Moment ihr kleinstes Problem.

Unsicher lächelte sie ihren Nachbarn zu, die ihre beiden Kinder fest an sich drückten. Die junge Mutter nickte aufmunternd zurück und strich ihrem quengelnden Sohn beruhigend durchs Haar, während Alea ihren Blick auf die schmale Straße richtete. Aufmerksam beobachtete sie die fremden Männer und Frauen, die langsam den Weg entlang schritten. Es waren Soldaten in den gold-grünen Rüstungen des Königreiches, und obwohl sie keine Helme trugen, wirkten sie furchteinflößend. Ihre Hände hielten sie an ihren Schwertern, als würden sie jeden Moment erwarten, die Waffen ziehen zu müssen. Ernst blickten sie zu den Bewohnern, die frierend vor ihren Häusern standen. Als Todesfluch hatte Naima die Suche immer beschrieben, denn sie war überzeugt davon, dass der Tod das Schicksal war, das die Magier erwartete, wenn Sucher sie entdeckten.

Alea atmete schneller und hatte trotzdem das Gefühl, nicht genügend Luft zu bekommen, als die Soldaten stehenblieben und ihre Blicke in aller Ruhe über die Dorfbewohner schweifen ließen. Ob sie alle Aurenleser sind? Sie ballte die kalten Hände zu Fäusten. Auch Naima hatte Auren sehen können, sie selbst beherrschte es nicht. Doch sie stellte sich vor, wie sie nahezu silbern leuchtend vor ihrem kleinen Haus stand und jeden Moment ein Sucher kommen und sie ergreifen würde. Ihre Finger kribbelten plötzlich und sie zitterte am ganzen Körper. Sie sah zu Branja und deren Mann hinüber, neben ihnen standen ihre beiden fast erwachsenen Söhne. Alle hatten sie ihre Familie bei sich und ihr wurde bewusst, dass sie die Einzige war, die alleine vor ihrem Haus stand.

Naima, ich wünschte, du wärst hier! Ihr wurde ein bisschen schwindelig und sie griff schnell nach der Hauswand, um sich abzustützen. Doch bevor ihre Hand an den sicheren Halt stieß, wurde alles um sie herum schwarz.

2.

An das karge Essen und die Kälte hatte er sich längst gewöhnt, doch die Schmerzen machten ihm noch immer zu schaffen. Er würgte das letzte Stück des alten Brotes herunter und spülte mit viel Kräuterwasser nach. Sicherlich hatten sie wieder Götterkraut untergemischt, so wie jeden Tag. Nur so konnten sie sichergehen, dass er seine magischen Fähigkeiten nicht voll nutzen konnte. Er nicht und die anderen Gefangenen auch nicht. Es war lächerlich! Bei den anderen war das Götterkraut gar nicht nötig, denn ihre Fähigkeiten waren vermutlich viel zu schwach, um sich mithilfe ihrer Magie aus den Kerkern zu befreien. Stattdessen schwächte es sie so sehr, dass sie kaum in der Lage waren, die Risse im Palast aufzuhalten.

Egal, wie sie schufteten, sie konnten den Verfall des einst so prächtigen Gebäudes nicht verhindern, sondern nur hinauszögern. Vielleicht würde der Palast irgendwann über ihnen zusammenstürzen – und vielleicht wäre es das Beste, was ihnen passieren konnte!

Kian leckte sich über die trockenen Lippen. Er war noch immer hungrig, doch er wusste, dass er erst nach seiner Schicht wieder eine Mahlzeit bekommen würde. Bis dahin würde er sich gedulden müssen, auch wenn sein Magen vor Hunger schmerzte.

Seine Zellentür wurde aufgerissen und eine Magd huschte hinein. Wie jeden Tag warf sie ihm einen ängstlichen Blick zu und prüfte rasch, ob er das Kräuterwasser getrunken hatte. Als er es mal auf dem Boden verschüttet hatte, hatte einer der wachhabenden Soldaten ihn verprügelt.

»Mach hinne«, blaffte der Soldat das Mädchen an und klirrte ungeduldig mit den Zellenschlüsseln. »Und du!« Er starrte Kian an. »Los! An die Arbeit.«

Kian stand auf und ging mit geraden Schultern auf den Mann zu. Sie hatten ihn trotz allem nicht brechen können. Doch immer häufiger fragte er sich, wie lange er das alles noch aushalten wollte. Der Soldat schubste ihn grob nach vorn und schmiss die Zellentür zu.

Kian kannte den Weg, den er zu nehmen hatte. Die nächsten Stunden würde er im Kellergewölbe verbringen und die Risse in den Palastmauern weben. Als Weben bezeichneten es zumindest die Soldaten des Königs, die ihn dazu zwangen, seine Magie einzusetzen, um das Gebäude zu retten. Die Burg war vor vielen Jahrzehnten von mächtigen Magiern erschaffen worden, doch dann hatten König Silvans Vorfahren sie aus dem Land vertrieben. Daraufhin hatte es viele Jahre lang an Frauen und Männern gefehlt, welche die Magie regelmäßig erneuerten und die Stabilität des Palastes sicherstellten.

Schon als Kind hatte Kian Gerüchte darüber gehört, dass der Palast irgendwann einstürzen würde, weil magische Fähigkeiten geächtet waren und es an Magiern in dem Land fehlte. Inzwischen wusste er nur allzu gut, dass es sehr wohl Magier in der Palaststadt gab – als Gefangene des Königs, die gezwungen waren, ihre Begabung einzusetzen. Kian schnaufte verächtlich. Der in den Felsen erbaute Palast, einst von freien Magiern erschaffen und nun von versklavten Magiern am Leben erhalten. Welch eine Ironie!

Er arbeitete immer tagsüber, während andere Magier der Nachtschicht zugeteilt waren. Zumindest glaubte er, dass es so war, denn er hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Nur selten durfte er aus dem Verlies hinaus, sodass er fast nie Tageslicht zu sehen bekam. Lediglich dann, wenn Schäden an dem Palast so schwerwiegend waren, dass sie besser am Ort des Verfalls zu beheben waren, durften er oder andere Magier den Kerker verlassen.

Stundenlang seine Magie einzusetzen war anstrengend und irgendwann würde er wieder die üblichen Kopfschmerzen bekommen. Ein Soldat würde ihn zurück in seine Zelle bringen und eine der Mägde würde ihm Wasser und Brot geben. Wenn er Glück hatte, bekam er mal wieder etwas Fleisch oder Obst.

So ging es jeden Tag, weil die anderen Magier und er den Verfall des Gebäudes nicht aufhalten konnten. Weil sie zu schwach waren. Weil sie Götterkraut bekamen und weil dieser schwachköpfige König Silvan nicht wahrhaben wollte, dass nur wenige Magier mit hoher Begabung den ganzen Palast ohne große Mühen würden retten können. Doch anscheinend fürchtete Silvan die Macht der magisch Begabten zu sehr. Kian dachte darüber nach, was er alles bewirken könnte, hätte er das Götterkraut nicht im Blut.

Ob es ihm dann wirklich möglich wäre, zu fliehen – trotz all der Wachen? Ob er in der Lage wäre, im Ernstfall einen anderen Menschen zu töten, wenn er dadurch wieder in Freiheit würde leben können?

Er setzte sich auf die dunkelrote Decke an seinen gewohnten Platz und streckte sich. Das dünne Tuch war besser als nichts, doch die Kälte des Steinbodens konnte es nicht abhalten und sie kroch ihm sofort in die Beine. Er ignorierte das Gefühl und sein Blick schweifte zu einem jungen Magier, den er auf etwa fünfzehn Jahre schätzte. So alt war er gewesen, als man ihn verschleppt hatte. Die Suche hatte seine Eltern überrascht und so hatte er an dem Tag kein Götterkraut genommen, um seine magische Aura zu unterdrücken. Mithilfe seiner Magie die verräterische Aura zu verbergen, hatte er damals noch nicht beherrscht, doch er hatte es schnell lernen müssen. Hätten die Sucher bei der Folter gemerkt, wie stark seine Begabung wirklich war, hätten sie ihn sofort getötet und niemals weben lassen.

Doch immer häufiger ertappte er sich bei dem Gedanken, dass der Tod vielleicht besser gewesen wäre, denn dann würde er dieses Elend nicht länger ertragen müssen.

3.

Als sie wieder zu sich kam, sah sie blaue Augen und ein anzügliches Lächeln, das ihr nicht gefiel. Der Soldat, der sich über sie beugte, hatte einen stechenden Blick und kurze, blonde Haare. Es war ein ungewöhnlicher Anblick für sie. Die meisten Männer in Waldbach trugen ihre Haare lang und zu Zöpfen gebunden, die ihnen bis auf den Rücken fielen.

»Keno! Weg von ihr!«

Eine tiefe Stimme ließ Alea hochfahren und sie stieß mit ihrem Kopf fast an den des blonden Soldaten. Er zuckte zurück und stand auf.

»Wollte nur helfen«, brummte er und trat einen Schritt zur Seite. Bevor Alea sich aufrappeln konnte, griff eine Hand nach ihr und zog sie hoch. Der zweite Mann war groß und kräftig, auch seine dunklen Haare waren kurz geschnitten, und er musterte sie kritisch. Erschrocken wich sie seinem Blick aus und sah zu Branja. Die Köchin stand noch immer mit ihrer Familie auf der anderen Straßenseite und hielt die Hand vor den Mund geschlagen. Ihre beiden Söhne standen mit verschränkten Armen neben ihr und blickten trotzig in Richtung der Soldaten.

Alea hatte schreckliche Angst. Sie konnte ihr Blut in den Ohren rauschen hören und noch immer fühlte sie sich ein wenig benommen. Irgendjemand sagte etwas, die dunklen Augen musterten sie fragend.

»W ... was?« Ihre Stimme zitterte.

»Bist du krank?«, fragte der Soldat sie.

»Weiß nicht«, sagte sie nach kurzem Zögern. Sie war nicht krank, sie hatte nur furchtbare Angst, aber das konnte sie kaum zugeben. Schließlich waren die Männer Soldaten des Königs, oder noch schlimmer – Sucher. Der Dunkelhaarige hielt noch immer ihren Arm, als wolle er sie stützen, dann wandte er sich an den anderen Soldaten.

»Geh rüber, Keno. Mach auf der anderen Seite mit der Suche weiter.«

»Ich war zuerst hier!«, schnauzte der Blonde.

Die Augenbrauen des Dunkelhaarigen schossen in die Höhe. »Du widersprichst mir?« Die tiefe Stimme klang ganz ruhig, doch Alea sah die angespannten Muskeln an seinem Hals.

Sie wollte ihren Arm aus seinem Griff winden, doch er ließ sie nicht los, blickte sie stattdessen strafend an.

»Ach komm schon, Jeldrik«, meinte der Blonde in einem plötzlich versöhnlicheren Tonfall. »Ich mache das hier eben fertig und gehe dann rüber.«

»Du gehst jetzt rüber oder zurück ins Quartier. Deine Entscheidung!«

Der Mann, der offenbar den Namen Keno trug, starrte Jeldrik einen Moment wütend an, dann drehte er sich murmelnd um und ging in Richtung von Branjas Haus davon. Aleas Erleichterung, wenigstens einen der Soldaten los zu sein, hielt nur kurz, denn nun konzentrierte sich der zweite Soldat ganz auf sie.

»Wie heißt du?«

»Alea, Herr.« Sie hatte keine Ahnung, wie man einen Soldaten ansprach. Oder war er ein Ritter? Hieß es in den Geschichten nicht immer, dass nur Ritter aus dem Adel eine Rüstung trugen?

»Sieh mich an, Alea.«

Zögerlich blickte sie zu ihm hoch.

»Wer lebt noch hier außer dir?« Er schien durch sie hindurch auf die Tür zu starren.

»Niemand. Ich bin allein.«

Falls ihn das überraschte, ließ er es sich nicht anmerken. Seine dunklen Augen musterten sie ruhig. »Du wirst mich nun in dein Haus begleiten und mir einige Fragen beantworten.«

Sie nickte schweigend, denn sie wagte es nicht, ihm zu widersprechen. Offenbar war er es gewohnt, Befehle zu erteilen. Mit ihren vor Kälte fast tauben Füßen drehte sie sich langsam um und drückte die angelehnte Tür auf. Es gab nicht viel zu sehen in ihrem Haus. Eine mittelgroße Wohnstube mit einigen dunklen Holzmöbeln, die kleine Kochstelle war nur durch einen schweren Vorhang von der Stube abgetrennt. Ein weiterer Vorhang auf der rechten Seite führte in die Waschkammer und eine schmale Tür in den kleinen Schlafbereich, in dem ihre Großmutter bis zu ihrem Tod geschlafen hatte. Erst als Naima schon mehrere Wochen verstorben war, hatte Alea es gewagt, in ihrem Bett zu übernachten. Es hatte sich seltsam angefühlt, das Reich ihrer Großmutter zu übernehmen, und bis dahin hatte ihr die schmale Liege im Wohnraum immer gereicht.

Jeldrik sah sich um und ließ sie dann in der Wohnstube stehen, um in den Schlafraum zu gehen. Sie konnte sehen, dass er sogar unter das Bett blickte, bevor er wieder zu ihr zurückkehrte. Dort hob er den alten schäbigen Teppich an, für den Alea sich ein wenig schämte, auch wenn er sauber war. Der Soldat suchte wirklich gründlich, doch es gab keine geheimen Türen oder Räume. In diesem Haus befand sich nur eine Sache, die sie vor ihm verstecken musste: sich selbst.

»Bist du verwitwet?«

Alea atmete hörbar ein. Das war es, was die Männer dachten, warum die Frau mit den hübschen grünen Augen, den vollen Lippen und dem dichten, schwarzen Haar keinen Mann an ihrer Seite hatte.

»Nein.«

»Hm.« Nachdenklich blickte er sie an.

Ich kann keinen Mann lieben, denn er könnte mich verraten, dachte sie und wich seinem Blick aus.

»Deine Eltern?«

»Sind tot«, sagte sie schnell und nicht wissend, ob es wirklich stimmte. Vielleicht ahnte er das, denn nun kam er ihr so nahe, dass er nur noch eine Handbreit entfernt von ihr stand. Alea senkte den Blick, doch mit dem Zeigefinger hob er langsam ihr Kinn an, um ihr in die Augen zu sehen. Alea hatte das Gefühl, als würde er ihr tief in die Seele blicken und es fiel ihr schwer, sich nicht von ihm loszureißen.

Er weiß es! Ihre Knie wurden weich und sie hatte Mühe, seinem Blick standzuhalten. Sie versuchte, ruhiger zu atmen, denn sie wollte nicht wieder ohnmächtig werden. Doch dann ließ der Soldat ihr Kinn plötzlich los, drehte sich abrupt um, und verließ ohne ein weiteres Wort ihr Haus. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugeschlagen, stürzte Alea in den Waschraum und erbrach sich.

Sie hatte sich gerade den Mund ausgewaschen, als jemand an ihre Tür hämmerte. Die Angst schoss ihr sofort wieder in den Bauch, doch sie würgte nur, denn ihr Magen war leer. Sie atmete ein paar Mal ruhig ein und aus, dann näherte sie sich mit langsamen Schritten der Tür.

»Alea?«, hörte sie Branja rufen und erleichtert riss sie die Tür auf. Die Köchin zog sie in ihre kräftigen Arme.

»Meine Güte, mein armes Mädchen.« Branja strich ihr über das dunkle Haar und Alea hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken. Kritisch betrachtete Branja sie.

»Du bist ja furchtbar blass. Los, setz dich.« Branja legte einen Arm um sie und führte sie zu einem der Stühle, der in der Nähe des erloschenen Feuers stand. Kopfschüttelnd machte sie sich daran, den Kamin wieder anzuzünden.

»Ich habe mir solche Sorgen gemacht, als du plötzlich umgefallen bist.«

Alea lächelte gequält. »Da werden die Dorfbewohner vermutlich noch viele Wochen drüber tratschen.«

Branja lachte. »Ja! Und die jungen Männer werden sich ärgern, dass sie dir nicht rettend zur Seite eilen konnten.«

»Ich hatte furchtbare Angst«, gab Alea zu. Sie kam immer gut alleine zurecht, doch dieses Mal hätte sie gerne einen Retter an ihrer Seite gehabt.

»Wenn du gleich nicht alleine sein willst, geh rüber zu meinen Männern. Du bist immer willkommen bei uns, das weißt du.«

Alea warf einen Blick nach draußen. Es war bereits Nachmittag. »Ich komme gleich mit dir ins Wirtshaus«, entschied sie. »In der Küche dort wartet Arbeit auf mich.«

Branja musterte sie zweifelnd.

»Mir geht es gut. Ehrlich. Mir war nur ein bisschen schwindelig.«

Die Köchin des Wirtshauses schüttelte den Kopf. »Mein liebes Mädchen, dich stecke ich heute ins Bett oder du gehst rüber in mein Haus zu meinen Männern.«

»Aber ...«

Branja seufzte laut. Sie entfernte sich vom Kamin und kniete sich vor Alea, die noch immer auf dem Stuhl saß.

»Alea, die Soldaten werden heute nicht mehr weiterziehen. Es ist schon spät, also werden sie draußen vor dem Dorf ein Lager aufschlagen. Und einige von ihnen werden sich in unserem Wirtshaus betrinken, denn was anderes gibt es hier in Waldbach für sie nicht zu tun.«

»Umso mehr brauchst du meine Hilfe in der Küche!«

»Nein! Hübsche junge Mädchen wie du sind dort heute nicht sicher. Bleib hier, verschließe die Tür und die Fenster. Und wenn du Angst hast, geh zu meiner Familie rüber, hörst du?«

Alea nickte stumm. Der Gedanke daran, dass die Sucher über Nacht in ihrer Nähe waren, ließ ihren leeren Magen erneut rebellieren. Plötzlich klang es doch verlockend, sich einfach im Haus einzusperren und erst wieder vor die Tür zu gehen, wenn die Soldaten aus Waldbach verschwunden waren.

Selbst den dicken Zeltplanen gelang es nicht, die Kälte draußen zu halten. Jeldrik konnte sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt so viele Tage Frost zu dieser Jahreszeit im Süden erlebt hatte. Oder ob es das überhaupt schon mal gegeben hatte. Aber auch das passte zu den düsteren Voraussagen König Silvans. Er wetterte, dass sich Magier gegen ihn und sein Königreich verschworen hatten und geheime Bündnisse schmiedeten, um ihn zu stürzen. Den späten Frost würde er sicherlich mit irgendwelchen Luftmagischen erklären, die den Süden einfrieren wollten.

»Wir gehen uns ein bisschen wärmen«, hörte er plötzlich Kyras Stimme, noch während sie die Zeltplane beiseite schlug, um einzutreten. »Kommst du mit?«

»Nein, danke.«

»Komm schon!«, meinte Kyra und zwinkerte ihm fröhlich zu. »Das ist unsere letzte Nacht hier in den kalten Wäldern. Morgen gehts endlich zurück zum Palast.«

»Du hast es noch nicht gehört?« Jeldrik war überrascht, dass sich die Neuigkeiten nicht längst herumgesprochen hatten.

Kyras Augenbrauen zogen sich unheilvoll zusammen. »Was soll ich gehört haben?«

»Dass wir weiterziehen.«

»Meinst du etwa über die Grenzen des Waldes hinaus?«

Er nickte. »Befehl vom König. Ein Bote war gestern Abend im Lager.«

»So ein Dreck! Wir haben doch nicht einen einzigen Magier gefunden! Na ja, mal abgesehen von dem Kind, das gerade mal das Fieber hatte.«

»Und genau deshalb suchen wir weiter, um Magier zu finden. Außerdem ist König Silvan sicher, es gibt eine Verschwörung gegen ihn. Auch nach den Verschwörern halten wir die Augen offen.« Jeldrik wusste nur zu gut, dass neue Weber für den Palast nötig waren, doch in diese Geheimnisse war nicht jeder Soldat eingeweiht.

»Noch ein Grund mehr, sich jetzt die Birne wegzuhauen«, schloss Kyra und lachte. »Also los, alter Freund!« Auffordernd winkte sie ihn zu sich heran, doch Jeldrik wehrte ab.

»Ohne mich diesmal. Frag Keno.«

»Zu spät!« Kyra schlug die Plane zur Seite, um das Zelt zu verlassen. »Der ist schon längst unterwegs zum Saufen.«

Das hätte er sich denken können. Also wurde es auch für ihn höchste Zeit, sich auf den Weg zu machen.

Alea lag in ihrem Bett und summte die Kinderlieder, die sie von Naima gelernt hatte. Sie war eine wunderbare Großmutter gewesen. Manchmal ein bisschen streng, aber Alea hatte sich immer sicher bei ihr gefühlt und ihre Lieder hatten sie getröstet, wenn sie nachts von Albträumen aufgewacht war. Doch jetzt beruhigte sie nicht mal das. Es war schon tief in der Nacht, aber sie war viel zu aufgeregt, um wieder einzuschlafen. Jedes Geräusch ließ sie aufschrecken, und als sie zuvor kurz eingenickt war, hatte sie von Soldaten geträumt, die sie in ihr Haus drängten und ihr in die Augen sehen wollten. Aufgewühlt hatte sie sich noch einen heißen Kräutertee gemacht und mehrmals kontrolliert, ob alle Türen und Fenster geschlossen waren. Vielleicht sollte sie wirklich zu Branjas Familie gehen. Ihr Mann und die beiden Söhne waren immer nett zu ihr. Sie halfen ihr aus, wenn Reparaturen im Haus zu erledigen waren und brachten ihr Feuerholz. Doch vermutlich schliefen sie längst und sie wollte niemanden stören. Der Tag war für sie alle aufregend genug gewesen.

Sie versuchte an den bevorstehenden Frühling zu denken, der schon viel zu lange auf sich warten ließ. Es wurde Zeit, dass wieder alles blühte und sie in ihrem kleinen Garten Kräuter und Tomaten pflanzen konnte. Sie hatte nur noch einen bescheidenen Vorrat an getrockneten Kräutern und Früchten und benötigte Nachschub.

Schöneren Gedanken nachhängend, wäre sie fast wieder eingeschlafen, als sie ein Geräusch am Fenster hörte. Sofort saß sie aufrecht im Bett und ihr Herz schlug wild in ihrer Brust. Es war ein windstiller Tag und kein Wetter, das die alten Fenster knarzen lassen würde.

Das bildest du dir ein. Das ist nur die Aufregung! Aber da hörte sie es wieder. Lauter diesmal. Alea schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Sie verhedderte sich in ihrem langen Nachthemd und stolperte gegen das kleine Tischchen, das danebenstand. Verärgert über sich selbst und den Lärm, den sie verursacht hatte, unterdrückte sie ein Fluchen. Irgendjemand war draußen vor ihrem Haus!

Mit weichen Knien schlich sie in die Küche, in der sie ihre Messer aufbewahrte. Sie hatte sonst nichts, um sich zu verteidigen. Sie hatte keine Axt, wie die vielen Holzfäller im Dorf. Einen Dolch oder ein Schwert besaß sie schon gar nicht, also musste das Messer aus der Küche reichen. Es war besser, als überhaupt keine Waffe zu haben.

Mit feuchter Hand umklammerte sie den Griff des größten Messers, das sie auf die Schnelle im Dunkeln hatte finden können.

Das Mondlicht warf nur wenig Licht durch das kleine Fenster. Sie duckte sich und spähte vorsichtig hinaus in die Dunkelheit. Es war niemand zu sehen. Sie hörte auch nichts mehr. Vielleicht hatten ihre Nerven ihr doch nur einen Streich gespielt. Langsam schlich sie ein Stück zurück in Richtung des Vorhangs und schob den Stoff ein wenig zur Seite, um in die Wohnstube sehen zu können. Das Mondlicht warf unheimliche Schatten in das Zimmer, aber sonst war nichts zu sehen. Dennoch bewegte sie sich möglichst leise, als sie in die Stube schlich. Nichts! Keine Geräusche mehr, niemand war an der Tür oder an den Fenstern. Erleichtert ließ sie das Messer sinken und stützte sich auf einen der Holzstühle, die an dem alten Esstisch standen. Eine Holzdiele hinter ihr knarzte und sie drehte sich erschrocken um, prallte gegen etwas. Doch bevor sie schreien konnte, legte sich eine kalte Hand auf ihren Mund und erstickte jeden Laut.

Branja gefiel es nicht, wie die Soldaten in dem Wirtshaus sich benahmen. Selbst der Wirt Taro hatte ihr soeben zugeraunt, dass er sich wünschte, sie würden endlich gehen. Dabei verschafften ihm die trinkfreudigen und hungrigen Gäste den Gewinn seines Lebens. Andererseits brauchten sie auch alle seine Vorräte auf.

Rund zwanzig Männer und Frauen tranken in großen Mengen Bier und Wein und die meisten hatten zuvor eine üppige Mahlzeit bestellt.

Inzwischen wurden schmutzige Lieder gesungen und statt seiner Tochter ließ der Wirt nur noch seinen Sohn die Soldaten bedienen, die sich benahmen, als hätten sie jeglichen Anstand verloren.

»Marno wird dich später nach Hause bringen«, versprach er, als er kurz in die Küche schaute, und sein Ton machte deutlich, dass er keine Widerrede duldete. Doch tatsächlich war sie ihm dankbar für das Angebot. Obwohl es vor Soldaten wimmelte, war Waldbach in dieser Nacht ein gefährlicherer Ort als je zuvor.

Der Angreifer schob sie mühelos ein paar Schritte tiefer in die Wohnstube. Aleas Beine fühlten sich an, als würden sie jeden Moment nachgeben. Als ob der Mann das spüren würde, zog er sie ein Stückchen hoch.

»Keinen Mucks!«, raunte er ihr zu, doch ihre Kehle war sowieso wie zugeschnürt. Noch immer umklammerte ihre Hand das Messer, doch der Mann hielt sie so fest, dass sie den Arm nicht frei bewegen konnte. Kurz blieb er stehen, als würde er sich umsehen, dann schob er Alea in Richtung der Schlafstube. Ein erstickter Laut entrang ihr und sie versuchte, sich aus dem Griff freizustrampeln.

»Scht!«, machte er nur und lachte leise. »Vielleicht gefällt es dir ja.«

Sie schluchzte auf, dann versuchte sie, ihren Arm zu befreien, um mit dem Messer auf ihn einzustechen. Doch er schlug es ihr aus der Hand und drängte sie umso schneller nach nebenan.

»Heute Nacht gehörst du mir, Hübsche«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Und wenn du schreist, wirst du es bereuen.« Er ließ ihren Mund frei und drehte sie mit einem Ruck zu sich herum. Sein Blick musterte ihre Brüste, die sich unter dem Nachthemd deutlich abzeichneten. Die Ablenkung nutzend, trat sie ihm mit aller Kraft gegen sein Bein und versuchte, ihn zur Seite zu schubsen. Ein kurzer Schmerzenslaut drang aus seinem Mund, dann schlug er ihr ins Gesicht und drückte sie auf das schmale Bett. Noch bevor Alea wieder aufspringen konnte, hatte er sich auf sie gelegt und ihre Arme gepackt. Sie wollte schreien, doch er lag mit seinem ganzen Gewicht auf ihr, sodass nur ein erstickter Laut über ihre Lippen kam. Sofort legte er seine Hand wieder auf ihren Mund.

»Scht«, machte er. »Wäre doch schade, dir wehtun zu müssen.«

Sie schluchzte und versuchte wieder nach ihm zu treten, doch der schwere Mann rückte nicht ein bisschen von ihr ab. Sein Gesicht näherte sich ihrem. Sie kannte diesen stechenden Blick. Es war der blonde Soldat.

»Ich mag Temperament im Bett, aber wenn du mir zu viele Schwierigkeiten machst, wird es dir leidtun.«

Tränen liefen ihr über die Wangen, während Keno begann, ungeschickt an ihrem Nachtkleid zu zerren. Als er merkte, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen war, ihr den Stoff vom Leib zu reißen, zog er einen Dolch hervor. Alea bäumte sich auf, als sie die Klinge aufblitzen sah, und im selben Moment schoss dem Mann plötzlich ein Strahl Blut aus seinem Hals. Der Dolch fiel ihm aus der Hand, er sackte in sich zusammen und kippte neben das Bett.

Alea schrie, als das warme Blut über ihr Nachthemd lief. Sie wollte aus dem Bett raus, doch dazu hätte sie über die Leiche steigen müssen. So wich sie japsend zurück und presste sich an die Wand.

»Ruhig!«

Sie erkannte seine Stimme sofort. Alea blinzelte, um in dem schwachen Licht besser sehen zu können. Es war der Soldat, der sie befragt hatte, und der gerade den blutigen Dolch an seiner Hose abwischte. Dann legte er einen Finger auf seinen Mund und schüttelte langsam den Kopf.

Sie schwieg und wünschte sich, das alles wäre nur ein schrecklicher Traum.

Er kniete sich neben den anderen Mann und tastete an seinem Hals. »Dir wird nichts mehr passieren«, versprach er.

Doch sie empfand nichts als Panik und fühlte sich unfähig, sich zu bewegen, während er ihr Nachthemd musterte, das von Blut durchtränkt war.

»Zieh dich um«, befahl er und deutete auf seinen toten Kameraden. »Wir müssen hier weg!«

Alea drückte sich noch immer an die Wand und schüttelte den Kopf. Sie wollte einfach nur, dass dieser Mann den Toten mitnahm und aus ihrem Haus verschwand. So, als wäre nie etwas geschehen.

»Ich habe gerade einen Sucher getötet«, sagte er leise. »In deinem Haus. Wenn irgendjemand merkt, was hier vorgeht, töten sie uns beide.«

Es dauerte einen Moment, bis seine Worte zu ihr durchdrangen, dann erwachte sie aus ihrer Starre.

»Du brauchst warme Kleidung«, fügte er hinzu, dann ließ er sie allein. Mit einem leisen Keuchen stieg sie über den toten Angreifer und zog die oberste Schublade der Kommode auf. Hastig wühlte sie ein paar Sachen heraus, dann verließ sie das kleine Zimmer. Sie konnte diesen Raum keinen Moment länger ertragen.

»Danke Marno«, sagte Branja höflich und blickte den jungen Mann freundlich an. »Von hier aus kann ich alleine gehen.« Es waren nur noch wenige Schritte bis zu ihrem Haus und sie wusste, dass Marno noch immer im Wirtshaus gebraucht wurde. Die meisten Soldaten hatten dieses zwar verlassen und torkelten nun betrunken durch die Straßen, doch für den Wirt und seinen Sohn gab es viel aufzuräumen. Sie hätte gerne geholfen, doch Taro hatte sie nach Hause zu ihrer Familie geschickt.

»Jut jut«, sagte Marno und nickte kaum sichtbar unter der Kopfbedeckung, die er zum Schutz vor der Kälte tief ins Gesicht gezogen hatte. »Gute Nacht dann.«

»Gute Nacht«, rief Branja zurück und sah Marno hinterher, der sich mit schnellen Schritten auf den Weg zum Wirtshaus machte. Doch für Branja war die Nacht noch nicht vorbei. Sie wollte nach Alea sehen. Das arme Mädchen hatte heute einen solchen Schrecken erlebt.

Branja schüttelte sich. Sie hatte es ihr nicht sagen wollen, doch es hatte ihr Sorgen gemacht, dass Alea so alleine in ihrem Haus war. Man hörte viele Geschichten über die Soldaten des Königs und es waren keine guten. Die Köchin eilte über die schmale Straße. Als sie sah, dass die Eichentür zu Aleas Haus einen Spalt breit offenstand, stockte ihr der Atem. Niemals wäre Alea so unvorsichtig gewesen. Mit klopfendem Herzen schubste Branja die Tür so weit auf, dass sie hindurch gehen konnte.

»Alea?«, flüsterte sie und fasste allen Mut zusammen, um noch einen Schritt weiter in die ausgekühlte Stube zu gehen. »Alea?« Doch es kam keine Antwort. Langsam ging Branja tiefer in die Wohnstube und ihr Blick fiel auf ein Messer, das am Boden lag. Doch sonst war niemand zu sehen. Vielleicht sollte sie ihren Mann holen, doch die Sorge um die junge Frau trieb sie dazu, noch tiefer ins Haus zu gehen.

»Alea?« Branja wandte sich zu der Tür, die zum Schlafraum führte. Mit einem unguten Gefühl öffnete die Köchin die Tür und sah einen leblosen, blutigen Körper auf dem Boden liegen. Ihr Schrei hallte laut durch die kalte Nacht.

Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund. Sie wagte kaum zu atmen, während sie hoffte, dass niemand ihren Schrei gehört hatte. Wie hatte sie nur so dumm sein können! Noch immer waren Soldaten in den Straßen unterwegs, die meisten von ihnen betrunken und auf Ärger aus. Sie lauschte angestrengt in die Stille und holte erschrocken Luft, als sie eilige Schritte von schweren Stiefeln und aufgeregte Stimmen hörte. Sie hatte ihren Fund verraten. Bevor sie Gelegenheit hatte, aus dem Haus zu verschwinden, stürmten zwei Soldaten durch die offene Tür. Der Atem der Männer stank nach Bier und sie stießen Branja achtlos zur Seite, als sie den leblosen Mann am Boden sahen. Der Kleinere der beiden zog sofort sein Schwert und ging auf sie los.

»Was hast du getan?«, schrie er sie an und Branja wich voller Angst vor ihm zurück. Ihre Wangen wurden heiß, ihr Herz schien aus ihrer Brust springen zu wollen.

»Nichts! Ich ... ich ... wollte nur nach Alea sehen.«

»Hol Hauptmann Joris! Sofort! Sie hat Keno getötet!«, schnauzte der kleinere Soldat den anderen an, der sich mit schnellen Schritten entfernte. Noch immer hielt er sein Schwert drohend in ihre Richtung und Branja wagte es nicht, sich zu rühren. Bei den Göttern, sie hielten sie für eine Mörderin! Dabei hatte sie keine Ahnung, was hier passiert war. Wo war das arme Mädchen nur? Hatte Alea den Mann etwa getötet?

Fast war sie erleichtert, als weitere Soldaten in die Stube kamen. Der kleine Soldat war ihr unheimlich und er war eindeutig viel zu betrunken, als dass man ihm noch eine Waffe hätte anvertrauen sollen. Einer der Männer, die sich nun in die Stube drängten, war etwas älter als die anderen und deutlich stämmiger gebaut, mit breiten Schultern und einem kurzen Bart. Er stellte sich nicht vor, doch die anderen nannten ihn Hauptmann Joris.

Er begann sofort, sie mit Fragen zu löchern und starrte sie finster an, doch wenigstens roch er nicht, als wäre er in ein Bierfass gefallen. Ihren Mann und ihre Söhne ließ er nicht zu ihr. Branja konnte ihre Familie von draußen in der Kälte schimpfen hören. Vermutlich hatte sich im Dorf trotz der späten Stunde schon herumgesprochen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

»Hauptmann!«, mischte sich nun eine Soldatin ins Gespräch ein. »Nach dem, was die Frau sagt, kann dieses Mädchen ihn nicht getötet haben. Und sie selbst auch nicht.« Sie deutete auf Branja und kniete sich neben die Leiche. »Seht ihr?«

Der Hauptmann trat neben die Soldatin und ließ Branja einen Moment aus den Augen. Sie sprach ein stummes Gebet.

»Ein Schnitt, wie wir ihn nutzen, wenn wir schnell und unbemerkt töten wollen«, fuhr die Soldatin fort. »Sie hätte ihn nicht so überrumpeln können. Keno ist viel zu groß und kräftig.« Sie drehte den toten Körper ein wenig zur Seite. »Sonst scheint er keine Verletzungen zu haben.«

Der Hauptmann nickte und sah mit versteinerter Miene zu Branja. »Geh«, sagte er dann.

Branja verließ mit schnellen Schritten das Haus. Auf der Straße zog ihr Mann sie in seine Arme und eilte mit ihr hinüber zu ihrem sicheren Heim. Sie bekam nicht mehr mit, wie der Hauptmann ihnen nachdenklich hinterher sah.

»Es war also einer von uns«, murmelte dieser, als die nervöse Dorfbewohnerin außer Hörweite war.

»Dann suchen wir ... also ... nach einem ... von uns?«, fragte einer der Soldaten, der Mühe hatte, nicht zu lallen. Ein weiterer Soldat neben ihm verdrehte genervt die Augen.

»So sieht es wohl aus!« Joris warf einen letzten Blick auf die Leiche. »Kyra, du wirst vorerst das Kommando hier übernehmen.« Er musterte sie kritisch und rümpfte die Nase. Kyra war eine erfahrene Soldatin, doch auch sie umwehte ein leichter Hauch von Alkohol.

»Natürlich, Herr!«, sagte sie sofort.

»Ihr kommt mit mir«, sagte er dann zu zwei anderen Soldaten. »Wir werden versuchen, die Spuren der Frau und des Mörders aufzunehmen, solange sie noch frisch sind.«

»Sie könnte einen gewaltigen Vorsprung haben«, vermutete Kyra. »Vor allem, wenn ihr einer unserer Soldaten wirklich hilft.«

»Das werden wir sehen.«

»Hauptmann, ich werde euch begleiten«, meldete sich plötzlich eine weitere Stimme zu Wort.

»So? Werdet ihr das?« Joris musterte den großen, blonden Mann. Er stand noch nicht lange in den Diensten des Königs, doch er war aufgrund seines Mutes und den Leistungen im Schwertkampf aufgefallen und schließlich für die Suche eingeteilt worden.

Der Soldat grinste breit. »Bin vermutlich einer der wenigen, die heute Nacht noch geradeaus laufen können«, meinte er selbstsicher. »Und ein guter Spurenleser bin ich obendrein.«

»Wirklich? Ein guter Spurenleser. Hm. Den können wir allerdings brauchen heute Nacht«, gab Joris zu. Er sah durch das Fenster hinaus. Es hatte wieder angefangen zu schneien. »Gut, Kjell. Du kommst mit. Jarno! Du wirst uns dennoch begleiten. Hole Elras und die Pferde und beeile dich!«

Jarno blinzelte den Hauptmann verwirrt an. Er wirkte in diesem Moment mit der Aufgabe überfordert, doch sobald er wieder nüchtern war, würde er einen guten Spurenleser abgeben. Joris seufzte. Was für eine beschissene Nacht!

Selten zuvor hatte er solch eine erfolglose Suche erlebt und nun war einer ihrer Sucher tot. Wobei Keno nicht unbedingt zu den Begabtesten gehört hatte. Doch sie machten schwierige Zeiten durch und brauchten jede Unterstützung, die sie kriegen konnten.

»Kjell! Suche schon mal nach Spuren«, wies er den blonden Mann an. »Ich will wissen, welche Richtung sie genommen haben.«

»Schon erledigt, Hauptmann. Etwas vom Haus entfernt sind noch Spuren zu sehen, über die nicht alle anderen drüber gelatscht sind. Es sind zwei Personen, die sich von dem Haus hier entfernt haben. Sie sind in Richtung Fluss unterwegs.«

Joris mahlte mit den Zähnen. »Wir finden heraus, wer für diese Schweinerei hier verantwortlich ist! Und dann werden sie es büßen.«

4.

Er hatte erwartet, dass die junge Frau es nicht gewohnt war, solch lange Strecken zu laufen. Schon gar nicht bei dem Tempo, das er anschlug, und in dieser verdammten Kälte, die selbst durch die dickste Kleidung kroch. Doch sie hatten keine Wahl und sie beschwerte sich nicht. Auch Jeldrik wäre sein Pferd lieber gewesen, aber das hatte er im Zeltlager zurücklassen müssen.

Er hörte sie immer mal wieder leise schluchzen, während sie ihm durch den leichten Schneefall durch die Nacht folgte. Nichts war so gelaufen wie geplant! Er hatte sie sofort bei ihr gesehen, diese typische silberne Aura der Magischen. Sie war nur schwach gewesen, aber doch unverkennbar. Es wunderte ihn nicht, dass Keno, dieser Trottel, es nicht bemerkt hatte. Er hatte mal wieder nichts gesehen außer ihrem schönen Gesicht und den Rundungen eines weiblichen Körpers. Außerdem waren viele Magier in der Lage, ihre besondere Aura zu kontrollieren. Das machte es Suchern schwer, sie zu enttarnen. Allerdings war es Keno gelungen, den Jungen aus dem anderen Dorf zu entdecken.

Dass Keno ihm dort zuvorgekommen war, ärgerte ihn noch immer. Der Hauptmann verlor keine Zeit, wenn es darum ging, Magier an den König auszuliefern, und so hatte er für den Jungen nichts mehr tun können. Doch für die Frau hatte er noch Hoffnung, falls es ihm gelang, sie in Sicherheit zu bringen. Er konnte nur hoffen, dass ihnen niemand folgte. Sie waren sowieso im Nachteil, und wer auch immer ihre Fährte aufnehmen würde, hatte Pferde. Immerhin schneite es ein wenig, sodass der frische Schnee ihre Spuren verwischte. So war diese verdammte Kälte doch noch zu etwas gut.

Prüfend drehte er sich zu Alea um. Selbst in dem fahlen Mondlicht war ihr noch immer der Schrecken der Nacht anzusehen. Sie war blass und zitterte, vermutlich nicht nur vor Kälte. Aber das Schlimmste würde noch kommen – sie mussten den Fluss überqueren. Noch bot der Wald ihnen auf dieser Seite des Flusses Schutz, aber das würde sich ändern, sobald das Tageslicht anbrach. Falls sie das überhaupt noch erlebten und nicht vorher erfroren. Und sollten die Soldaten sie finden, würde es tödlich ausgehen, zumindest für ihn. Da die junge Frau aber trotz ihrer Aura bisher keinerlei magische Begabung zeigte, hatten die Soldaten auch für sie keine Verwendung. Konnte es sein, dass er sich geirrt hatte? War sie unbegabt, trotz der Aura, die sie umgab?

Eigentlich hatte er sie in der Nacht in ihrem Haus aufsuchen wollen, um in Ruhe mit ihr zu reden. Es war zu riskant gewesen, ihr schon bei der Befragung zu sagen, wer er wirklich war. Doch Kenos Tod hatte sie zu einer voreiligen Flucht getrieben. Ein toter Sucher ließ sich vermutlich nicht lange verbergen.

Er seufzte und zog sich die Kapuze noch tiefer ins Gesicht. Er hatte gleich gemerkt, dass Keno Interesse an ihr hatte und hätte ihn besser im Auge behalten müssen.

»Alea«, sprach er sie leise an und wartete, bis sie ihn anblickte. Dann deutete er nach vorn. »Wir müssen über den Fluss.«

Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

»Wir werden erfrieren«, flüsterte sie.

Er zeigte auf das Wasser, das im Mondlicht glitzerte. »Es sind nur wenige Schritte bis ans andere Ufer.«

Es war die einzige Stelle, an der sie bei diesem Wetter den Fluss überqueren konnten, ohne dabei zu erfrieren. Die Uferbereiche waren bereits vor Kälte gefroren und hier war das Gewässer deutlich schmaler als anderswo.

»Wir müssen nicht mal schwimmen«, versprach er. »Hier ist das Wasser nicht tief.«

Ihn noch immer ungläubig anstarrend, schüttelte sie den Kopf. »Woher wusstest du, dass ich eine Magische bin?«, fragte sie dann. Weiße Flocken lagen auf ihrem dichten schwarzen Haar und hingen ihr an den Wimpern.

»Deine Aura«, sagte er nur.

Sie nickte. Zumindest wusste sie, wovon er sprach. Für einen Moment schöpfte er neue Hoffnung. Vielleicht hatte er sich doch nicht geirrt und sie war eine Magierin. Aber warum hatte sie sich nicht mithilfe ihrer Magie gewehrt, als Keno sie angegriffen hatte? Er schüttelte die Gedanken ab. Sie halfen ihm gerade nicht weiter, damit würde er sich später befassen. Jetzt mussten sie erst mal so weit von Waldbach fort, wie es ihnen in dieser Nacht möglich war.

»Müssen wir wirklich da durch?«, fragte sie flüsternd und starrte auf das schimmernde Wasser.

»Hier ist die beste Stelle«, bestätigte er und begann, seine Stiefel auszuziehen und in einen Beutel zu stecken, bevor er seine Hose öffnete.

»Was tust du da?« Panisch wich sie ein paar Schritte vor ihm zurück.

»Ich ziehe mich aus. Das solltest du auch tun.«

»Niemals!« Sie trat noch einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf.

Trotz seiner eiskalten Füße im Schnee hielt Jeldrik in der Bewegung inne. »Wir werden erfrieren, wenn unsere Kleider nass werden.«

Sie starrte ihn an, als hätte er sich plötzlich in einen Drachen verwandelt. »Ich ziehe mich nicht aus!«

»Wenn wir alles zu einem Bündel schnüren, kann ich es über den Fluss tragen, ohne dass es nass wird«, erklärte er. »Das Wasser geht mir hier höchstens bis zur Brust. Wir können das Zeug drüben nicht trocknen.« Schon jetzt kroch die Kälte von seinen Füßen in seinen ganzen Körper und er zog sich rasch die Hose aus, die er in das Bündel stopfte. So leid es ihm tat, er konnte jetzt keine Rücksicht nehmen, wenn er wollte, dass sie diese Nacht überlebten.

»Ich gehe jetzt vor und ich drehe mich nicht zu dir um. Aber wir müssen dort rüber. Jetzt! Und wir brauchen unsere verdammte Kleidung trocken.«

Sie sah aus, als würde sie anfangen zu weinen.

»Es sei denn, du kannst sie wieder trocken zaubern, wenn wir drüben sind.« Hoffnungsvoll blickte er sie an, doch sie schüttelte heftig den Kopf.

»Wieso bist du eine Magische, wenn du nicht zaubern kannst?«, knurrte er mehr zu sich selbst als zu ihr, doch sie hatte ihn gehört.

»Weil Magier in diesem Land sterben, wenn sie ihre Fähigkeiten zeigen«, gab sie wütend zurück und zog ihre Stiefel aus, die sie ihm schwungvoll zuwarf. Jeldrik blickte rasch weg und packte ihre Schuhe in das Bündel. Die anderen Kleidungsstücke von ihr folgten schnell und er verstaute alles. Ohne sich noch mal zu ihr umzudrehen, trat er als Erster in den Fluss. Das gefrorene Wasser knackte unter seinem ersten Schritt und gab nach. Sein Herz schien einen Moment mit dem Schlagen aufzuhören, als sein Fuß in das eisige Nass sank. So schnell er konnte, watete er durch das Wasser, das ihm an der tiefsten Stelle tatsächlich nur bis zum Bauchnabel reichte.

Er kannte diese Gegend von früher, doch nie hätte er gedacht, dass ihm seine kindlichen Streifzüge irgendwann etwas anderes einbringen würden als den Ärger seiner Eltern. Hinter sich hörte er ein Keuchen, dennoch blickte er weiter nach vorn. Es klang nicht, als wäre sie in Not, und er hatte ihr versprochen, diskret zu sein. Dass sie beim Durchqueren des Flusses so viel Lärm machte, konnte er ihr kaum verübeln. Sie war kleiner als er und hatte noch mehr mit dem eisigen Wasser zu kämpfen. Auch ihm schmerzten Haut und Muskeln vor Kälte und jede Bewegung fiel ihm schwer, als er das andere Ufer betrat. Seine Arme und Beine fühlten sich wie betäubt an und wollten ihm kaum noch gehorchen. Mühsam schnürte er mit den kalten Fingern das Bündel auf und zog die trockene Kleidung daraus hervor. Dass auch Alea das andere Ufer erreicht hatte, hörte er an den klappernden Zähnen hinter sich. Er reichte der Frau ihre Sachen, ohne sich zu ihr umzudrehen, und spürte, wie sie hastig danach griff. Sie stöhnte leise, als sie sich anzog, und er fragte sich wieder, warum sie nicht instinktiv ihre Magie nutzte, um sich zu wärmen.

Arvid, einer der ältesten Magier, die er kannte, hatte ihm vor vielen Jahren erzählt, dass Magische nach dem Fieber ihre Fähigkeiten oft unbewusst nutzten. Das war nicht immer ungefährlich, solange sie nicht gelernt hatten, ihre Gabe zu beherrschen. In den Flusslanden gab es daher spezielle Schulen, die Magier lehrten mit ihren Kräften umzugehen. In Silvanos dagegen wagten Magier es nicht, sich zu erkennen zu geben. Vielleicht lernten sie daher, ihre Fähigkeiten zu unterdrücken.

»Bist du fertig?«, fragte er schließlich und drehte sich um, als Alea ein leises »Ja« flüsterte.

»Wir müssen weiter.« Er blickte in ihr erschöpftes Gesicht. Sie klapperte noch immer mit den Zähnen vor Kälte. »Schaffst du es?«

»Ja«, antwortete sie und Jeldrik führte sie weiter, um schnell wieder Zuflucht im Wald zu finden.

»Sie waren hier.« Kjell kniete auf dem Boden und untersuchte die Spuren im Schnee, die in dem Licht der Fackeln schwach sichtbar waren. Zwischendurch hatte er die Fährte verloren, doch dank der dicht stehenden Bäume hatte der Neuschnee nicht sämtliche Fußabdrücke verdeckt.

Dennoch kamen sie nur langsam voran. Um den beiden Flüchtenden besser folgen zu können, führte Kjell sein Pferd an den Zügeln und stapfte durch den Schnee, denn vom Rücken seines Pferdes aus hätte er in der Dunkelheit keinerlei Chance, irgendwelche Spuren zu entdecken. Der Hauptmann saß nun ebenfalls von seinem Pferd ab und hockte sich neben ihn. Er griff sich eine Handvoll Schnee und zerrieb ihn langsam in seiner Hand, bevor er sie zu einer Faust ballte.

»Wir werden sie kriegen!« Verbissen musterte er die Spuren.

Kjell schwieg. Es hatte nur drei Soldaten gegeben, die sie auf die Schnelle im Lager und im Dorf nicht hatten auffinden können. Aber von der Tiefe und Größe der Fußabdrücke war Jeldrik der Einzige, auf den sie passten. Was auch immer es mit der verschwundenen Frau auf sich hatte – es musste Jeldrik gewesen sein, der Keno auf dem Gewissen hatte.

»Sie werden den Fluss passieren«, vermutete Hauptmann Joris und stand wieder auf.

»Bei der Kälte?« Kjell schüttelte zweifelnd den Kopf und rieb sich die Hände, die trotz der Handschuhe kalt waren.

»Der Fluss ist in dieser Gegend nicht so tief und sie haben keine andere Wahl. Los! Weiter«, befahl Joris, während er wieder auf den Rücken seines Pferdes stieg. »Und denkt gefälligst daran: Das Weib brauchen wir erst mal lebend!«

»Hier werden wir schlafen.« Jeldrik blieb stehen und deutete auf eine kleine Höhle am Fuße der Felsen. Sie waren fast die ganze Nacht durchgelaufen, um im Dunkeln unbemerkt den Handelsweg zu passieren, der laut Jeldrik tagsüber von Soldaten kontrolliert wurde. Nun ragten die Medianberge vor ihnen auf. Westlich von ihnen war das Mediansdorf zu finden, das ganz in der Nähe des Gebirgspasses lag. Von diesem hatte Alea sogar in Waldbach schon gehört, weil zahlreiche Händler diesen Pass nutzten, um Waren von Silvanos in das benachbarte Königreich Flusslande zu transportieren.

Völlig entkräftet folgte sie ihm in Richtung der Höhle. Sie war viel zu müde, um die Lippen zu bewegen und ihm zu antworten.

»Warte.« Jeldrik gab ihr ein Zeichen stehen zu bleiben, dann zog er sein Schwert und betrat als Erster den dunklen Eingang. Der große Mann musste sich ducken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen.

»Ich will sichergehen, dass wir kein Tier aufscheuchen«, erklärte er und bewegte sich tiefer in die Höhle hinein.

Alea wartete und lauschte ängstlich auf jedes Geräusch.

»Es ist sicher«, meinte er kurze Zeit später und sie folgte ihm erleichtert in die muffig riechende Zuflucht.

»Wir können nicht riskieren, ein Feuer zu machen«, sagte er mit leichtem Bedauern in der Stimme. »Die Decken, die wir mitgenommen haben, müssen für die Nacht reichen.«

Sie nickte, setzte sich mit etwas Entfernung neben ihn, und wickelte eine der Decken um sich. Dennoch war es kühl und sie zog die Knie nah an ihren Körper. »Du kennst dich hier aus.«

»Bin in der Nähe aufgewachsen.«

»Du hast gesagt, du willst mich in die Flusslande bringen. Wie kommen wir denn dorthin?«

»Am besten über den Pass, auch wenn er von Silvans Soldaten kontrolliert wird. Aber es ist die schnellste Möglichkeit, um dich aus dem Land zu bringen.«

»Warum hilfst du mir?«, stellte sie ihm endlich die Frage, die ihr schon die ganze Zeit durch den Kopf ging. Dieser Mann kannte sie nicht und doch hatte er einen Kameraden getötet und versuchte nun, sie in Sicherheit zu bringen.

»Weil es nicht richtig ist, was mit Magiern in diesem Land passiert.«

Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. »Danke«, sagte sie und schämte sich ein bisschen, weil sie so weinerlich war. »Aber wie sollen wir über den Pass kommen, wenn dort Soldaten kontrollieren?«

»Wir werden einen Weg finden«, versprach er. »Auch Keno hat dich nicht als Magische erkannt, vielleicht haben wir Glück und fallen nicht auf. Es sind viele Händler auf der Strecke unterwegs. Sie können nicht jeden überprüfen, der den Weg nutzen möchte.«

»Und wenn wir es nicht über den Pass schaffen?«

»Dann müssen wir die Route übers Südmeer nehmen.«

Alea schwieg. Sie konnte es nicht fassen, dass ihre Welt so unerwartet durcheinandergeraten war. Sie mochte oft einsam gewesen sein in Waldbach, doch sie hatte sich dort immer sicher gefühlt. Sie hatte ein Dach über dem Kopf gehabt, eine gute Arbeit und Nachbarn, die sie mochten. Nun hatte sie nichts mehr, außer den Kleidern, die sie am Leib trug. Und einen Fremden an ihrer Seite, der versprochen hatte, sie in Sicherheit zu bringen. Doch was waren seine Worte wert? Sie blickte zu Jeldrik, der neben ihr saß und den Kopf an das kühle Gestein gelehnt hatte.

Stundenlang hatte er sie durch den Wald gescheucht und durch den eiskalten Fluss getrieben. Ihr war noch immer kalt und ihre Muskeln waren müde. Dennoch war sie ihm dankbar für das, was er für sie getan hatte. Sie sah Kenos Gesicht vor sich, als er keuchend auf ihr lag und die Hand auf den Mund presste. Sie schüttelte sich und zog die Decke noch enger um sich.

»War dieser andere Mann ein Freund von dir?«, fragte sie und fürchtete sich ein wenig vor seiner Antwort.

»Nein! Versuche zu schlafen. Ich halte Wache.«

Wie gerne sie das tun würde. Einfach die Augen schließen und alles um sich herum vergessen. Doch sobald sie es versuchte, sah sie Keno und seinen lüsternen Blick vor sich.

Du musst tapfer sein, sagte sie sich, doch es fiel ihr schwer. Sie saß mitten in der Nacht in dieser kalten Höhle und fror und hatte alles verloren, was sie lieb gewonnen hatte. Nun musste sie diesem Mann vertrauen, der ihr völlig fremd war, aber dennoch plante, sie in ein unbekanntes Land zu bringen, von dem sie nicht mehr wusste als den Namen.

5.

Kian sah neugierig zu dem Jungen, der von drei Soldaten durch das Gewölbe gestoßen wurde. Sie führten ihn zu dem Gang mit den Zellen, in die sie die Magier sperrten, wenn sie nicht weben mussten. Er war noch ein halbes Kind, jünger als er selbst damals. Kian schätzte ihn auf elf oder zwölf. Dem Jungen liefen Tränen über die schmutzigen Wangen und er wischte sie hastig weg, als er die anderen Magier bei ihrer Arbeit bemerkte. Seine blonden Locken hingen dem schmächtigen Jungen wirr ins Gesicht. Die Soldaten schien es nicht zu interessieren, dass es ein Kind war, das sie achtlos vor sich her stießen. Auch ihn würden sie foltern, um seine Fähigkeiten zu testen. Auch ihn würden sie töten, wenn seine Magie zu stark war.

Kian schloss für einen Moment die Augen. Wie gerne er jemanden zum Reden gehabt hätte. Doch es war nicht erlaubt, dass die Magischen beim Weben miteinander sprachen. Langsam atmete er aus und versuchte, die schlimmer werdenden Kopfschmerzen zu ignorieren. Er konnte dem Jungen nicht helfen. Solange er gezwungen war, das Götterkraut zu nehmen, war er machtlos gegen die vielen Soldaten, die Wache hielten. Die meisten von ihnen waren nicht die Hellsten, doch sie verstanden es, mit ihren Schwertern umzugehen.

Von den anderen Gefangenen hatte bisher niemand auf seine Gedankensprache reagiert. Vielleicht konnten sie es nicht, vielleicht wollten sie es nicht. Nicht mal bei einer der jüngeren Magierinnen hatte es funktioniert, obwohl sie früher manchmal zu ihm rüber geschaut und ihn mit ihren hübschen dunklen Augen angelächelt hatte. Irgendwann war ihr Lächeln erloschen und ihm war aufgefallen, dass sie schwanger war, doch ein Baby hatte er nie bei ihr gesehen. Nun saß sie nur noch wie eine Puppe auf ihrem Platz und webte. Der letzte Blickkontakt zu ihr schien eine Ewigkeit her zu sein. So ging es ihm mit den meisten anderen Magiern in diesem Gewölbe. Sie reagierten nicht auf ihn. Als wären sie nicht mehr sie selbst und würden nur noch darauf warten, sterben zu dürfen.

Jetzt blickte das Kind zu ihm und Kian winkte ihm zu, als er sich unbeobachtet fühlte. Der schmal gebaute Junge riss die Augen auf und stolperte über seine eigenen Füße. Ein zorniger Ausdruck huschte über sein Gesicht.

Einer, der noch nicht aufgegeben hat, schoss es Kian durch den Kopf und es war ein neuer Hoffnungsschimmer, der ihn trotz der Kopfschmerzen weiter weben ließ.

»Einen nur?«, schrie König Silvan.

»Ja, mein König.« Levin verbeugte sich so tief, dass ihm der Rücken wehtat. Er hätte Fischer werden sollen. So wie sein Vater und seines Vaters Vater. So wie alle Männer in seiner Familie vor ihm. Aber er hatte mit der Tradition gebrochen. Es hatte so viel verlockender geklungen, in den Diensten des Königs zu arbeiten und nicht auf einem stinkigen, alten Fischerboot. Levin hatte sein Ziel erreicht.

Doch nun war er es, der Silvan die schlechten Neuigkeiten überbringen musste. Es gab viele Gerüchte über den König und das, was in den Kerkern geschah. Er hatte keine Ahnung, was davon stimmte. Doch jeder wusste, dass der Herrscher alles andere war als ein nachsichtiger Mann. Jedes Mal, wenn er eine weitere schlechte Nachricht überlebt hatte, betete er voller Dankbarkeit zu den Göttern.

»Ein Magier im Welpenalter!« König Silvan schlug mit der Faust auf den Tisch, sein Kopf war rot angelaufen und zeigte fast dieselbe Farbe wie das rote Gewand, das er trug. Doch zu Levins Erleichterung richtete der König seinen stechenden Blick nun auf den Heerführer Bertan. Er trat so nah an den groß gewachsenen Mann heran, dass sich ihre Nasen fast berührten.

»Hat euer Hauptmann diese Suche nicht im Griff?« Speicheltropfen flogen durch die Luft, als der König seinen Heerführer anschrie.

»Mein König, ich bin sicher, dass ...«

»Schweigt!«, schnauzte der König ihn an und atmete tief ein. »Die Magier versagen und wir sollen dafür büßen!« Silvan nahm auf dem mit Edelsteinen verzierten Sessel Platz. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt und Levin fühlte sich zunehmend unwohl.

»Mein König«, wagte Nikas es, das Wort zu erheben, und betrachtete den König unsicher. Levin konnte ihm seine Angst nicht verdenken. Nikas wäre nicht der erste Berater, der eines Tages einfach verschwinden würde, weil er bei dem König in Ungnade gefallen war.

»Was? Hast du auch noch schlechte Nachrichten für mich?«

Der Berater räusperte sich und tupfte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. »Nein, mein König. Aber vielleicht gibt es andere Möglichkeiten, um den Verfall des Palastes aufzuhalten.«

»Ich höre!«

»Wir könnten die Dosis des Götterkrauts verringern.«

König Silvan sprang auf und schlug ein weiteres Mal mit der Faust auf den Tisch. »Seid ihr des Wahnsinns?«

»Nun, es wäre eine Möglichkeit, den Verfall zu bremsen, mein König. Bis wir mehr Magier gefunden haben, welche die Risse weben können.«

Silvan schnaubte verächtlich und Levin wünschte sich sehnlichst, den Raum mit der unheilvollen Stimmung endlich verlassen zu können.

»Allein im letzten Jahr haben wir drei Magische verloren. Fünf Magier sind derzeit zu krank, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden«, fuhr Nikas fort. »Diejenigen, die noch weben können, sind durch das Götterkraut geschwächt.«

»Die Magier bleiben nicht mehr in diesem Land«, gab auch der Heerführer zu bedenken. »Sie versuchen, sich vor uns zu verbergen oder sie fliehen. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass wir sie suchen und mitnehmen.«

»Was ist mit unseren Patrouillen an den Grenzen? Wozu stehen dort Wachen und Sucher?«

»Gelegentlich greifen wir Flüchtlinge am Pass auf, aber nicht zu vergessen die Meeresroute über die ...«

»Gelegentlich«? Silvan nahm einen Schluck des gekühlten, süßen Weins, der auf dem Tisch stand. »Verstärkt ab sofort die Kontrollen am Pass! Sucher sollen sich dort ausreichend bereithalten. Und lasst euch etwas einfallen wegen der Meeresrouten! Wenn Magier über diese Route fliehen, brauchen wir dort mehr Sucher!«

»Natürlich, mein König, aber wir haben zu wenige Sucher, um wirklich alle ...«

»Lasst euch was einfallen!«

»Natürlich, mein König«, meinte Bertan schnell, doch Levin konnte ihm ansehen, dass der breitschultrige Mann keine Idee hatte, wie er das anstellen sollte.

»Weniger Göttertrank also?«, nahm Silvan den Vorschlag seines Beraters plötzlich wieder auf.

»Es wäre eine Möglichkeit, mein König. Der Junge wurde schon in die Kerker gebracht. Er wird heute einem Test unterzogen. Wenn er nicht zu stark ist, kann er morgen mit dem Weben beginnen. Und wenn er zu stark ist ... nun ihr wisst ja, was das für Probleme bereitet.«