Todesfrauen - Jan Beinßen - E-Book

Todesfrauen E-Book

Jan Beinßen

3,9

Beschreibung

Nürnberg, 1993. Antiquitätenhändlerin Gabriele Doberstein erhält ein vielversprechendes Angebot: Der serbische Taxifahrer Vladi berichtet von einer Gemäldesammlung, die in den Wirren des Jugoslawienkonflikts ihren Besitzer verloren hat und nun wieder auf dem Markt ist. Gabriele wittert ein schnelles und risikoarmes Geschäft. Sie beschließt, Vladis Naivität auszunutzen, sich die wertvollen Bilder anzueignen und ihn mit einem Almosen abzuspeisen. Gabriele und ihre Freundin Sina Rubov müssen für die Übergabe der Gemälde auf den Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz fahren. Viel zu spät bemerken die beiden Frauen, dass sie in eine Falle geraten sind …

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Jan Beinßen

Todesfrauen

Kriminalroman

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© 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

1

Nürnberg, im Spätsommer 1993

Der Mercedes, der vor ihrem Antiquitätengeschäft in der Pirckheimerstraße stand, war ihr ein Dorn im Auge. Er trug die gleiche beige Lackierung wie alle Taxen, aber er sah heruntergekommen aus, war schmutzbespritzt und hatte sogar den Stern auf dem Kühler eingebüßt. Kurzum ein Schandfleck, der ausgerechnet bei Gabriele Doberstein vor der Tür parkte und womöglich die Kundschaft abschreckte!

Auch der Fahrer machte einen verlotterten Eindruck: Der junge Mann war für Gabrieles Geschmack viel zu leger gekleidet: ausgelatschte Turnschuhe, abgewetzte Jeans und ausgebeulte Lederjacke. Sein schwarzes Haar war fransig, Wangen und Kinn seit mindestens drei Tagen unrasiert.

Dass Gabriele sowohl den Mercedes vor ihrem Laden als auch den Chauffeur in ihrer Teeküche duldete, hatte zwei Gründe: Zum einen war Vladi ein Charmeur. Seine blassblauen Augen, die einen starken Kontrast zu seinem Haar und dem dunklen Teint bildeten, strahlten verschmitzte Intelligenz aus und schmeichelten Gabriele ebenso, wie es Vladis Worte taten. Dass er es nahezu perfekt verstand, eine Dame reiferen Jahrgangs zu umgarnen, war jedoch der schwächere der beiden Gründe, denn Gabriele war inzwischen erfahren genug, um die Männerwelt zu durchschauen und sich nicht auf simples Kokettieren einzulassen.

Als wesentlich schwergewichtiger erwies sich der zweite Grund, den Vladi aufgetischt hatte wie ein Mehr-Gänge-Menü in einem erlesenen Restaurant – und in gewisser Weise war die Nachricht für Gabriele ähnlich köstlich wie ein delikates Essen und regte ihren Appetit an. Allerdings nicht auf Delikatessen aus der Küche, sondern auf Kunst.

Vladi war ein flüchtiger Bekannter, der Gabriele und ihre beste Freundin Sina Rubov ab und zu in seinem Taxi gefahren hatte. Sie wussten, dass er gegen einen kleinen Aufpreis auch Touren unternahm, die zu fragwürdigen Zielen führten, und selbst vor einer Verfolgungsfahrt nicht zurückscheute. So hatte Gabriele seine Visitenkarte aufbewahrt und ihn hin und wieder angerufen, wenn sie mal einen Deal mit Antiquitäten plante, der nicht ganz legal war oder aus steuertechnischen Gründen nachts und heimlich erfolgen musste. Vladi zeigte sich stets als zuverlässig und verschwiegen. Und er war schnell zur Stelle, wenn man ihn rief.

Heute Abend aber hatte Gabriele ihn nicht gerufen. Er war völlig überraschend kurz vor Geschäftsschluss aufgetaucht, hatte um ein Gespräch gebeten und sich von ihr in den hinteren Teil des Ladens führen lassen, wo Gabriele ein kleines Rückzugsrefugium eingerichtet hatte, das durch einen Vorhang vom Verkaufsraum getrennt blieb.

Nun saß er ihr gegenüber und holte weit aus. »Ich habe immer noch die besten Verbindungen ins ganze Land«, brüstete er sich, wobei Gabriele ahnen konnte, dass er mit dem Land nicht seine neue Heimat, sondern das im Zerfall begriffene Jugoslawien meinte. »Trotz des Krieges bin ich jeden Urlaub dort. Meine Verwandten in Belgrad erklären mich für verrückt, weil ich mitten durchs Kriegsgebiet fahre, um sie zu besuchen. Aber ich sage denen: Es ist immer noch mein Land, und ich lasse mich in meiner Bewegungsfreiheit nicht durch territoriale Konflikte beschneiden.« Er lächelte wie ein spitzbübisches Kind, als er Dinge erzählte, die Gabriele später noch schwer im Magen liegen würden: »Meine letzte Tour habe ich in Zagreb gestartet. Von dort aus ging’s durch entvölkerte Landstriche der Posavina, über neue Pseudogrenzen hinweg, vorbei an Ruinen, Minenfeldern und Friedhöfen nach Bosnien.«

»War das nicht sehr gefährlich für Sie?«, fragte Gabriele, wobei ihr bewusst wurde, wie wenig greifbar und transparent der ganze Balkankonflikt für sie war, obwohl man doch Tag für Tag in den Nachrichten darüber informiert wurde. Die einzige klare und deutliche Botschaft, die sie aus Zeitungen und Fernsehen aufgeschnappt hatte, bestand darin, dass die Serben in den Augen der Weltöffentlichkeit die Rolle der Bösen in diesem Krieg spielten und die anderen Volksgruppen und ethnischen Minderheiten ihre Opfer darstellten. Vladi war Serbe – gehörte er damit automatisch zu den Bösen?

»Ich muss mich natürlich vorsehen und darf niemandem auf die Nase binden, wer ich bin und woher ich stamme. Aber woran – außer an meinen Papieren – sollten es die Leute denn merken?« Er sah sie mit seinem entwaffnend ehrlichen Blick an und grinste. »Wenn ich unterwegs bin und ein Wirtshaus finde, das noch nicht zerbombt oder zerschossen ist, setze ich mich hinein und bestelle mein Leibgericht, einen Lammbraten. Der heißt auf serbisch jagnjetina und auf kroatisch janjetina. Daran zeigt sich doch, wie marginal der Unterschied zwischen unseren Kulturen ist. Jugoslawien ist ein ineinandergreifendes Gefüge, das man nicht mit Gewalt auseinanderreißen sollte. Hier, bei euch im Westen, wird aber leider viel zu sehr gegen eine Volksgruppe polemisiert, nämlich meine.«

»Zugegeben: Die Serben genießen zurzeit nicht den besten Ruf«, sagte Gabriele und bemühte sich, nicht an ethnische Säuberungen und Massenerschießungen zu denken, um ja keine Grundsatzdiskussion mit dem Taxifahrer anzufangen. Denn Gabrieles Rolle bestand nicht aus der einer Weltverbesserin, sondern aus der einer Geschäftsfrau. Wenn es sein musste, sogar einer knallharten Geschäftsfrau! »Kommen wir zurück auf den Punkt«, kürzte sie Vladis Schilderungen seiner Exkursionen durchs Kriegsgebiet ab. »Sie sind bei Ihrer letzten Reise auf eine Quelle gestoßen, ist das richtig? Auf eine Quelle, aus der es Gemälde sprudelt, die auf den internationalen Listen der verschollenen Kunstwerke stehen?« Es fiel ihr schwer, ihre Neugierde länger zu zügeln. »Können Sie konkreter werden? Ein Beispiel nennen?«

Vladi seufzte. »Mir würde es leichter fallen, wenn wir das aufgesetzte Siezen lassen könnten. Bei konspirativen Verhandlungen muss man sich einfach duzen! Das ist das Minimum einer Vertrauensbasis.«

»Einverstanden«, sagte Gabriele ungeduldig. »Ich bin Gabi.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.

Vladi schlug ein, hielt die Hand fest und drückte Gabriele im gleichen Moment einen Kuss auf die Wange. »Und das ist die zweite vertrauensbildende Maßnahme«, erklärte er lächelnd, als sie ihn überrascht ansah.

Dann, endlich, rückte er mit der eigentlichen Botschaft heraus: Er berichtete von einer Fahrt in eine schwer kriegsgeschädigte Stadt, die er vor Abschluss des Deals jedoch nicht namentlich nennen wollte. Er beschrieb, wie er durch Zufall auf eine Gruppe serbischer Deserteure, bosnischer Landser und albanischer Grenzgänger gestoßen war, die in den Besitz eines Containers mit brisanter Fracht gelangt waren.

»Es handelt sich um einen Überseecontainer, der jetzt in einer Scheune steht«, führte Vladi aus. »Er befand sich auf dem Weg an die Küste, von wo aus ihn sein rechtmäßiger Eigentümer außer Landes schaffen lassen wollte – obwohl von rechtmäßig wohl nicht die Rede sein kann, weil dieser Eigentümer selbst ein Verbrecher und der Inhalt samt und sonders zusammengestohlen worden war. Wie dem auch sei: Dieser bunte Haufen von Haudegen konnte die Ladung aufbringen und vorläufig unterstellen. Nun wollen die Männer ihre Beute zu Geld machen. Aber die meisten Bilder, die sich in dem Container stapeln, stehen auf internationalen Kunstfahndungslisten und sind für den Laien damit so gut wie unverkäuflich.« Er strahlte sie aus seinen hellblauen Augen an. »Damit kommst du ins Spiel!«

Gabriele ließ sich von seinem Lächeln trotz ihrer inneren Begeisterung nicht anstecken. Sie dachte an frühere Jugoslawienurlaube und an die heißen Sommer dort unten. Sehr sachlich fragte sie: »Zunächst das Wichtigste: Ist der Container klimatisiert?«

Vladi nickte eifrig. »Ja. Sie haben einen Generator angeschlossen, um die Anlage am Laufen zu halten. Und sie sind keine Vandalen. Alles ist noch immer fachgerecht verpackt und verstaut. Ich habe mich selbst davon überzeugt.«

»Also gut.« Gabriele setzte ihre Lesebrille auf und stützte anschließend ihr Kinn auf ihre gefalteten Hände. »Dann zeig mir doch mal die Liste mit den Namen der Bilder. Vielleicht kann ich das ein oder andere weitervermitteln.«

»Gern«, sagte Vladi und zog einen sorgsam gefalteten Bogen Papier aus seiner Lederjacke.

2

Eine knappe Stunde später saß Gabriele mit vor Aufregung hochrotem Kopf am Telefon und wartete ungeduldig, dass sich Sina Rubov melden würde. Vladi war mit dem Versprechen gegangen, sich schon bald mit weiteren Details und Kontaktdaten zu seinen Mittelsleuten zu melden. Nun brannte Gabriele darauf, die Neuigkeiten ihrer besten Freundin und Partnerin bei heiklen Geschäften wie diesen mitzuteilen.

Doch das junge Ding ließ sich Zeit! War sie etwa gar nicht zu Hause, sondern joggen oder bei ihrem dämlichen Aerobickurs, den sie neulich begonnen hatte? Gabriele war nahe dran, den Hörer auf die Gabel zu schmeißen, als das Freizeichen mit einem Klick unterbrochen wurde und die Stimme einer verschlafenen Sina erklang: »Pronto?«, meldete sie sich auf Italienisch, was wohl cool klingen sollte.

»Ich bin’s, Kleines«, rief Gabriele in den Apparat. »Ich habe Arbeit für dich! Ich benötige dringend ein Dossier über den Balkankonflikt. Jedes Detail kann wichtig sein. Vor allem brauche ich verlässliche Informationen über die Sicherheitslage für Reisende aus dem Ausland.«

Zunächst herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann sagte Sina recht flapsig: »Gabi, du schlägst schon wieder deinen Kommandeurstonfall an, der gefällt mir gar nicht. Wenn du was von mir willst, sag es vernünftig und wenigstens mit einer winzigen Prise Freundlichkeit.«

»Also gut.« Gabriele seufzte. »Das Ganze noch mal netter: Liebe Sina …«

»Stopp!«, fuhr die andere dazwischen. »Nicht am Telefon. Ich will zumindest eine Tasse Kaffee von dir haben und ein paar von deinen leckeren Erdnusskeksen, wenn du mich schon wieder ausnutzen willst.«

Wenig später kündigte die Türklingel Sinas Erscheinen an. Die junge Frau mit dem kastanienbraunen Kurzhaarschnitt war sportlich gekleidet, trug Bluejeans, Kapuzen-Sweatshirt und Freizeitschuhe. Sie grüßte flötend und schlenderte auf ihre Freundin zu, die sich in der hinteren Ecke des Ausstellungsraums über ein größeres Exponat beugte.

Sina kam näher und hielt Gabriele die aktuelle Ausgabe der Nürnberger Nachrichten unter die Nase. »Hast du schon gelesen?«, fragte sie. »Wir kriegen hohen Besuch. Der amerikanische Vizepräsident Al Gore kommt nach Nürnberg! Das ist doch endlich mal ’ne richtig große Sache für dieses verschlafene Nest, was?«

Gabriele antwortete nicht, sondern konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Erst jetzt richtete Sina ihre Aufmerksamkeit auf das Ausstellungsstück und erkannte eine lebensgroße Figur des Gekreuzigten, die auf zwei nüchternen Blöcken ruhte. Es handelte sich um eine ausgesprochen gelungene Jesus-Darstellung. Sinas Hand war versucht, über das glatte, dunkelbraun getönte Lindenholz zu streichen, um Adern, Muskeln, Gelenke und Sehnen nachzufahren, den kühnen Schwung des Lendentuches zu erspüren. Atemberaubend schön erschien ihr der gotisch schlanke Körper, der sanft zur Seite geneigte Kopf, die über die Schulter fließenden Haarlocken. Das altmodische Wort Ehrfurcht fiel ihr ein.

Die Jesus-Figur kam Sina vage bekannt vor. Sie überlegte, wo sie sie schon einmal gesehen und bewundert hatte. Sie stellte sie sich aufgehängt an einem schweren Holzkreuz vor – und dann fiel es ihr ein!

Überrascht und erschreckt zugleich sah sie ihre Freundin an. »Das ist doch nicht etwa der Gekreuzigte von St. Lorenz? Das Meisterwerk von Veit Stoß?« Da Gabriele nicht sofort antwortete, malte sich Sina die schlimmsten Szenarien aus: »Wie bist du da rangekommen? Hast du ihn stehlen lassen? Willst du ihn auf dem Balkan absetzen und brauchst dafür meine Hilfe? Dieses Glanzstück der Nürnberger Kunstgeschichte an irgendwelche kunstverliebten Warlords verscherbeln?«

Gabriele wartete, bis ihre Freundin genügend Dampf abgelassen hatte. Dann krümmte sie den rechten Zeigefinger und klopfte gegen den Kopf des hölzernen Jesus. »Für was hältst du mich? Das hier ist eine Kopie oder besser gesagt ein Plagiat. Ist irgendwann im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden und hing in einer Privatkapelle. Ich habe das gute Stück günstig erworben, aber Reichtümer kann ich mir durch den Verkauf kaum erwarten – schon gar nicht auf dem Balkan.«

Sinas Wangen färbten sich rosa. »Oh … – Ich dachte …« Sie rieb sich verlegen die Nase. »Entschuldige, Gabi.«

Das tat diese sogar sehr gern, denn durch den Dämpfer, den Sina soeben erfahren hatte, war sie nun viel gefügiger und offener für Gabrieles Wünsche. Sie setzten sich ins Hinterzimmer, tranken Kaffee und knusperten Erdnusskekse. Gabriele wiederholte ihre Bitte, die sie bereits am Telefon geäußert hatte.

Sina hob etwas ratlos die Schultern. »Ich kenne mich mit diesem Krieg nicht besonders gut aus und weiß nur, dass er schon viele, viele Hundert Tote gekostet hat. Auch ohne mich in die Materie zu vertiefen, kann ich dir sagen, dass du dir einen Badeurlaub in Split zurzeit besser verkneifen solltest. Und Ćevapčići isst du sicherer beim Balkangrill in der Bayreuther Straße.« Sina nippte am Kaffee und schlug vor: »Vielleicht erklärst du mir erst mal, worum es eigentlich geht?«

Gabriele erkannte ihr Versäumnis, das ihr in blinder Euphorie unterlaufen war, und erzählte Sina in aller Ausführlichkeit vom unerwarteten und gleichwohl vielversprechenden Besuch des Taxifahrers.

Sina hörte sich die ganze Geschichte geduldig und ohne Zwischenfragen an und stieß einen Pfiff aus. »Wow!«, äußerte sie spontan. »Das klingt wirklich nach einem lohnenden Geschäft. Würde ein schönes Sümmchen in unsere klammen Kassen spülen. – Die Sache hat nur leider einige Haken.«

»Und die wären?«, fragte Gabriele und klang barscher, als sie wollte.

»Haken Nummer eins: Wie es aussieht, müssen wir nach Jugoslawien reisen, um an die Bilder zu gelangen. Und ich habe ja schon gesagt, dass …«

»… dass frau ihr Ćevapčići lieber in Deutschland essen soll«, vollendete Gabriele den Satz. »Und der zweite Haken?«

»Der zweite, dritte und vierte Haken ist derjenige, dass die ganze Angelegenheit völlig illegal ist, von Anfang bis Ende kriminell!«

Gabriele schluckte diesen Vorwurf wacker herunter und sagte mit gezügelter Ungeduld: »Das ist Auslegungssache. Es mag sein, dass sich während der Odyssee, die diese hochwertigen und schützenswerten Exponate der Kunstgeschichte überstehen mussten, andere die Hände schmutzig gemacht haben. Wir aber tun das nicht! Wir sind lediglich Händler, die die Vorgeschichte nicht unbedingt kennen müssen.«

»Aber, Gabi!« Hatte Sina bis eben noch eine Prise Humor in der Stimme gehabt, fehlte dieser nun völlig. »Du willst mit Verbrechern ins Geschäft kommen, womöglich sogar mit Kriegsverbrechern? Das ist absolut unredlich, ja, schändlich! Das ist kein großer Unterschied zu dem, was ich dir vorhin in Bezug auf den Gekreuzigten unterstellen wollte. Und komm mir ja nicht mit dem hehren Ziel, die Bilder uneigennützig retten und einem Museum übergeben zu wollen!«

Gabriele sah ihre Chance und griff diesen Gedanken auf: »Warum denn nicht? Ausschließen möchte ich diese Möglichkeit keinesfalls. Ein Museum könnte sogar ein sehr guter Abnehmer sein. Gegen eine gewisse Vermittlungsentschädigung, versteht sich.«

»Du bist und bleibst unmöglich«, meinte Sina und biss kräftig in einen Erdnusskeks. Sie brauchte eine Weile, bis sie bereit dafür war, eine weitere Frage an ihre ausgefuchste Freundin zu richten: »Was genau sind das für Bilder? Wenn sie so viel Geld einbringen sollen, wie du angedeutet hast, müssen ja bekannte Namen darunter sein.«

Gabriele schmunzelte zufrieden. Nun hatte Sina also doch angebissen. Jetzt galt es, die Angel anzuziehen und ihr Opfer nicht mehr vom Haken zu lassen.

3

Sie entschied sich für eine Baumwollbluse und einen marineblauen mittellangen Rock. Bluse und Rock saßen weit genug, um ihre Taille zu verbergen, die sie für unerträglich dick hielt. Eine ungewöhnlich lange Zeit verbrachte sie vor dem Spiegel. Denn sie wollte demjenigen gefallen, der sie heute Abend zum Essen ausführen würde.

Er war ein Bekannter, dem sie vor einem Jahr das erste Mal begegnet war und der sich seither als hartnäckiger, jedoch niemals aufdringlicher Verehrer erwiesen hatte. Ihr erstes Zusammentreffen, eine polizeiliche Ermittlung, hatte noch unter keinen guten Vorzeichen gestanden. Doch die Sache von damals, die Affäre um die Nürnberger Hotelakademie, die als bürgerliche Fassade für eine groß angelegte Goldschieberei diente, war ausgestanden und ohne negative Folgen für sie geblieben.

»Ich muss noch einmal sagen, dass Sie heute Abend großartig aussehen!« Eduard Diehl, Chef der Nürnberger Kriminalpolizei, war Mitte 50. Er war mittelgroß, kräftig gebaut, hatte grau durchsetztes Haar und einen dicht gewachsenen Vollbart. Buschige Augenbrauen spannten sich über zwei dunkle, intelligent blitzende Augen. Er strahlte Gutmütigkeit aus, wirkte gleichzeitig aber auch entscheidungsfreudig und von einem großen Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen geprägt.

»Ach, hören Sie auf«, tat Gabriele sein Kompliment ab. Sie spürte, wie sie rot anlief. Sie hatte einfach nur versucht, das Beste aus sich zu machen, ihre eher dünnen Lippen voller wirken lassen und die Rundlichkeit ihrer Wangen mit Puder überspielt. Sie wusste, dass sie nicht hässlich war. Ihre großen Augen hatten eine schöne smaragdgrüne Farbe und ihr naturgelocktes Haar kam heute, da sie es mal nicht streng zurückgesteckt hatte, besonders vorteilhaft zur Geltung. Wenn sie nur ein paar Pfunde an Taille und Hüfte verlieren würde, wäre sie schon eher geneigt, Diehls Komplimenten Glauben zu schenken. Wie auch immer: Auf jeden Fall war es lange her, dass ihr jemand auf eine so charmante Weise den Hof gemacht hatte. Sie lächelte und stieß mit Diehl an. Der Abend nahm einen guten Anlauf.

So blieb es auch. Gabriele war von Diehls auf angenehme Art einnehmenden Wesen sehr angetan. Nur zu gern ließ sie sich auf ihn ein, hörte ihm zu und erzählte selbst einiges von sich und ihrem Leben, wenn auch nicht zu viel. Dabei ließen sie es sich schmecken und sprachen dem guten Wein zu. Nach einer halben Stunde wechselten sie zum Du.

Bald war Gabriele beschwipst und gleichzeitig voller kribbelnder Erregung. Das machte sie unsicher und zauberte kleinste Schweißperlen auf ihre Stirn. Als sie ihre Handtasche von der Stuhllehne nahm, um nach einem Taschentuch zu suchen, entglitt sie ihr. Die Tasche fiel herunter, schnappte auf und verteilte ihren Inhalt über den Boden.

Sofort sprang Diehl, ganz Gentleman, auf und half ihr dabei, die Geldbörse, den Lippenstift, Kugelschreiber und Pillendöschen einzusammeln. Leider fiel ihr zu spät auf, dass auch eine kopierte Buchseite aus einem Kunstführer darunter war, die Diehl ebenfalls bemerkte und neugierig anhob. »Ich darf doch?«, fragte er und breitete das Blatt auf dem Tisch aus.

Gabriele zwang sich zu einem Lächeln. Was sollte sie denn anderes tun, als das Folgende einfach geschehen zu lassen? Wenn sie sich nicht verplapperte, würde der Kommissar keinen Verdacht schöpfen.

»Korrigiere mich, wenn ich Unrecht habe«, sagte Diehl, ohne den Blick von dem Bild zu lassen. »Wenn ich mich nicht täusche, ist das die Handschrift von Jean-Baptiste Siméon Chardin.« Nun sah er Gabriele fragend an. Ohne eine Spur von Misstrauen.

»Ja, Kompliment, du hast richtig getippt. Es ist eine Vorarbeit oder Studie zu seinem berühmten Werk ›Der Rochen‹ von 1726«, sagte sie und bemühte sich, unaufgeregt zu klingen.

»Der hängt im Louvre in Paris«, wusste Diehl. Gabriele nickte, worauf Diehl seine Konzentration wieder auf die Farbkopie richtete. Er beugte sich sehr nahe über das Werk und begann damit, Einzelheiten des Stilllebens zu beschreiben: »Eine Arbeitsplatte in einer Küche, ein wenig schmuddelig, gleichzeitig aber birgt es diverse Köstlichkeiten. Siehst du dort die Austern? Sie liegen scheinbar achtlos neben zwei ausgeweideten Fischen, aber ihre zarte perlmuttglänzende Farbe kehrt das Besondere heraus.«

Gabriele folgte Diehls Blick und fragte sich, ob er sein Kunstinteresse nur vorgab, um ihr zu schmeicheln, oder ob sich wahre Leidenschaft dahinter verbarg. Der Polizist Diehl, ein Wesensverwandter? Jedenfalls wollte sie sein Interesse nicht unkommentiert lassen und stieg darauf ein, indem sie den Philosophen Denis Diderot zitierte, der als Bewunderer von Chardins Werken galt: »Oh, Chardin! Du zerreibst kein Weiß, Rot oder Schwarz auf deiner Palette, sondern das eigentliche Wesen der Gegenstände. Mit der Spitze deines Pinsels fährst du in die Luft und in das Licht und bannst sie selbst auf die Leinwand.«

Diehl sah sie voll der Anerkennung an. Seine Augen leuchteten. Dann suchte er nach Worten, um das nächste bemerkenswerte Detail zu beschreiben. Er wählte das einzig lebende Geschöpf auf dem eigentümlich düsteren Gemälde: »Eine Katze, die lauert. Der Schwanz ist aufgestellt, und sie macht einen Buckel. Der Glanz ihrer Augen steht im Gegensatz zum glasigen Blick des Fisches. Sie beobachtet ihn und schickt sich an, sich auf ihn zu stürzen. Ob es ihr gelingt? Der Stapel Austern, auf dem sie ihr Gleichgewicht hält, wird wohl gleich zusammenstürzen und mit ihm die vom Maler so schön zu einer Pyramide aufgeschichteten Gegenstände.«

»Sehr sauber beobachtet«, lobte Gabriele ihn. »Nicht schlecht für einen Kunstlaien.«

»Saubere Beobachtung gehört auch in meinem Job dazu. Wenn ich einen Tatort inspiziere, gehe ich nicht wesentlich anders vor als bei der Analyse dieses Bildes.« Noch einmal widmete er sich dem Werk und meinte: »Die Speisen auf dem Tisch sehen appetitlich aus. Vor allem der Fisch wirkt fangfrisch. Der Rochen erscheint mir allerdings etwas Furcht einflößend.«

Gabriele freute sich über diese Feststellung, denn sie wusste: »Chardin soll dieses Bild sehr schnell gemalt haben, sodass er den frischen Rochen am nächsten Tag noch essen konnte.«

»Bemerkenswert. Ich bräuchte für ein Gemälde mit einer solchen Detailfülle eine Ewigkeit. Und selbst dann würde es nicht viel anders aussehen als eine Kinderzeichnung.«

Gabriele lächelte Diehl versonnen an. Ihr gefiel sein Humor. Es war angenehm, diesen freundlichen, gebildeten Brummbär an der Seite zu haben.

Doch dann besann sie sich auf ihre Pläne, ihre Mission und an die Tatsache, dass sie ihr Vertrauen in dieser Angelegenheit auf keinen Fall einem Polizisten schenken durfte. Sie steckte das Bild eilends weg und ging auf Distanz.

4

»Was hältst du von Vladi? Was für ein Mensch ist er?«

»Schwer zu sagen, Kleines. Ich kenne ihn ja auch kaum besser als du. Er hat uns ein paar Mal chauffiert, ja, und da wirkte er recht sympathisch. Aber was er für ein Mensch ist? Keine Ahnung! Ich kann seine Einstellungen ganz schwer einschätzen. In dem kurzen Gespräch, das wir neulich führten, schwärmte er vom intakten Jugoslawien seiner Kindheit in den Grenzen vor 1989. Er scheint auch gegen die Gewalt zu sein, mit der der Vielvölkerstaat von seinen Landsleuten künstlich zusammengehalten werden soll. Dieser innere Zwiespalt sollte uns beiden eigentlich egal sein, denn wir wollen uns ja nicht in die Angelegenheiten seiner Heimat einmischen, sondern bloß ein Geschäft mit ihm und seinen Leuten abwickeln.«

Die beiden Frauen saßen wieder im Hinterzimmer von Gabrieles Laden, brüteten über zwei Bechern Kaffee und haderten mit sich und den Optionen, die ihnen blieben, wenn sie diese Sache durchziehen wollten. Da es mittlerweile galt, eine konkrete Entscheidung zu treffen: Vladi hatte sich gemeldet und um ein Treffen gebeten. Er deutete an, gewisse Unterlagen vorzeigen und bei dieser Gelegenheit Kontaktpersonen in seiner Heimat benennen zu können. Der von ihm vorgeschlagene Treffpunkt war eine Videothek im Stadtteil Gostenhof, wo er neben seinen Taxifahrten gelegentlich jobbte. Nicht die beste Gegend, wie Gabriele meinte.

»Und?« Sina sah ihre Freundin aus großen braunen Augen an. »Was tun wir? Gehen wir hin?«

Gabriele erwiderte ihren Blick, schüttelte dann ganz entschieden ihren Kopf, um gleich darauf mit einer heimtückischen Miene zu nicken.

»Was denn nun?«, fragte Sina entsprechend verwirrt. »Ja oder nein?«

»Ja und nein!«, sagte Gabriele und erklärte: »Wir werden Vladi wiedersehen. Doch ab jetzt spielen wir nach meinen Regeln: Ich habe keine Lust, mich in eine schmierige Videothek zu begeben. Ich lege einen anderen Treffpunkt fest. Der ist ebenso konspirativ, aber wesentlich niveauvoller.«

Wenn in diesen Tagen in Bayreuth der Vorhang für Lohengrin aufgezogen wurde, war auch das nahe Bamberg bereit, die Gäste der Nachbarstadt zu unterhalten. Denn zu deren beliebtesten Aktivitäten in der opernfreien Zeit gehörten Stippvisiten in die traumhaft schöne Weltkulturerbestadt. Besonders findig wussten das die ortsansässigen Antiquitätenhändler zu nutzen, die parallel zum akustischen Großereignis zur Augenweide luden: den Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen. Rund um die Karolinen­straße, mitten in der Altstadt, lagen die Geschäfte der 15 Teilnehmer in einem Umkreis von nur 500 Metern. Dorthin lockten sie durch das Glück der Wagner-Musik entspannte Kunstverständige: Konnte man doch im eigenen Laden weit mehr Bilder, Möbel und Objekte zeigen als in anonymen Messezellen und dabei demonstrieren, wo persönlicher Stil und individuelle Schwerpunkte zu Hause waren. Und der größte Heimvorteil entstand durch die Einbettung in die unvergleichliche Atmosphäre der alten Gassen am Fuß des Dombergs.

Gabrieles Ziel lag im Zentrum der elitären Antiquitäten-Show. Ihr alter Bekannter und erfolgreicher Mitbewerber Alfons Hümmer hatte sich über die Ankündigung ihres Besuchs gefreut und sich – ohne viele Fragen zu stellen – bereit erklärt, sie in seinen Räumlichkeiten für eine Weile allein und ungestört gewähren zu lassen. Hümmer spannte den Bogen weit. Angefangen mit Schneegemälden vom Kitzbühel-Maler Alfons Walde, die sich ein Stelldichein mit süddeutschem Klassizismus in Gestalt eines Aufsatzsekretärs gaben, den Mohrenfiguren und zarte Por­trätmedaillons verzierten. Seine Galerie feierte bereits 40-jähriges Bestehen, und im Laufe der Zeit hatte sich Hümmer die eine oder andere Filiale gegönnt, über die er – in fränkischer Bescheidenheit – aber nicht viele Worte verlor.

Das Haupthaus, das Gabriele als idealen Treffpunkt mit Vladi ausgewählt hatte, beherbergte spätgotische Skulpturen, denen man im gotischen Kellergewölbe ein adäquates Ambiente geschaffen hatte. Sina bewunderte den Heiligen Bavo, der als Falkner im frechen kurzen Rock daherkam und dezent mit einem Preisschild über sage und schreibe 65.000 Mark ausgezeichnet war.

Während Sina angesichts dieser Summe beinahe schockiert war, nickte ihr Gabriele bloß jovial zu und verwies sie auf das eigentliche Highlight der Ausstellung: vier prachtvolle Szenen aus Leben, Sterben und Auferstehen Christi, gemalt um 1490 in der Landshuter Werkstatt des Sigmund Gleismüller. Ein Preisschild fehlte, jedoch deutete Gabriele die unglaubliche Summe von einer halben Million Mark an.

»Wenn wir einige von denen besäßen, könnten wir uns diesen Jugoslawien-Mist sparen«, flüsterte Sina.

»Besitzen wir aber nicht. Leider«, lautete die ebenso lapidare wie wahre Antwort ihrer Freundin.

Als Vladi die abgetretenen Stufen in den Keller hinunterkam, mit schlurfenden Schritten und ungezwungenem Lächeln auf den Lippen, war ihm nicht anzumerken, dass ihn der Wechsel des Treffpunkts eventuell gestört haben könnte. Im Gegenteil! Voller Inbrunst und geradezu dankbar für Gabrieles Vorschlag schilderte er den Frauen, dass er mit seinem Taxi viel zu früh in Bamberg angekommen sei und die Zeit für einen lohnenden Stadtbummel genutzt habe: »Ich konnte mich kaum vom Blick auf den Fluss und die buckligen Häuser an den Ufern losreißen, und das Tor im Alten Brückenrathaus ist echt stark. Dann kam ich noch bei einer Silberschmiede vorbei, wo sie gerade dabei sind, eine Kopie der Krone Kaiser Heinrichs II. zu basteln. Echt cool, diese Fingerfertigkeit.« Vladi sah Gabriele und Sina erwartungsfroh an, als er andeutete: »Dieser Heinrich spielt in der Bamberger Geschichte keine unbedeutende Rolle, wie ich mir habe sagen lassen.«

Gabriele fasste diese Bemerkung als Test auf und ging selbstbewusst darauf ein: »Heinrich II. hat 1007 das Bistum Bamberg gegründet. Ich bin ein Fan der Geschichte, vor allem der fränkischen – aber im Augenblick interessiert mich die Gegenwart mehr: Wie sieht unser Plan aus? Was hast du uns mitgebracht, Vladi?«

Vladi ließ seine Hand in seiner abgetragenen Lederjacke verschwinden und holte einen großformatigen Umschlag hervor. Er schaute sich in dem Gewölbe um und vergewisserte sich, dass sie unter sich waren. Dann öffnete er das Kuvert und zog eine Mappe mit Klarsichthüllen heraus. Sie enthielt Dossiers und Ausschnitte von Landkarten. »Hier drin ist alles enthalten, was ihr wissen müsst.« Er deutete auf die topografische Darstellung einer bosnischen Region in unmittelbarer Grenznähe zum serbischen Kernstaat. »Der Treffpunkt liegt genau hier bei der roten Markierung. Für euren Transfer vom Flughafen in Belgrad ist gesorgt. Bei eurem ersten Kontakt kommt ihr mit diesen beiden Mittelsmännern zusammen.« Nun zog er zwei der Dossiers heraus, die Namen, einige dürftige biografische Daten sowie zwei schlecht kopierte Passbilder enthielten. Gabriele las die Namen Miroslav Bogdanović und Dragan Selimović und erkannte auf den Fotos zwei grimmig blickende Männer, die wenig vertrauenserweckend wirkten.

Vladi, der ihre Skepsis offenbar spürte, ließ seinen Charme sprühen: »Keine Sorge, Mädels, die sind längst nicht so übel, wie sie aussehen. Dragan ist ein Vetter von mir und Miroslav ist die Sanftmut in Person.« Er lächelte schelmisch. »Für den Fall, dass ihr immer noch Bedenken habt, stößt Yelina dazu.« Er unterbreitete ihnen ein weiteres Dossier. Diesmal war eine junge Frau mit langen, rötlich blonden Haaren abgebildet. »Die Schwester eines guten Freundes. Ein aufgewecktes Kind. Sie spricht fließend deutsch und wird für euch übersetzen.«

Gabi betrachtete das Foto der jungen Frau eingehend. Dann sah sie auch die anderen Dossiers noch einmal, diesmal wohlwollender an. Sie kam zu dem Schluss, dass der erste Eindruck womöglich von Vorurteilen geprägt und falsch war. Ja, dachte sie, während sie sich die rudimentären Erläuterungen über ihre Kontaktpersonen durchlas, bei näherer Betrachtung wirkte das Trio gar nicht mal so unsympathisch. Die Männer zwar etwas robust und das Mädchen eine Spur zu kokett, aber ansonsten konnte man nicht wirklich etwas aussetzen. Nicht zu vergessen, dass Vladi ja quasi für sie bürgte.

Auch Sina befasste sich eingehend mit den zweifelhaften Dokumenten, die ihr vor die Nase gehalten wurden, kam jedoch zu einem anderen Schluss: Die abgebildeten Personen waren ihr von Grund auf zuwider: eine falsche Schlange mit nuttigem Make-up, flankiert von zwei südländischen Gangstern, wie sie im Buche standen. Finstere Gestalten, denen sie nicht im Dunkeln begegnen wollte und schon gar nicht mitten in einem Kriegsgebiet in Jugoslawien. Sie schüttelte es bei der Vorstellung, sich diesen dubiosen Figuren anvertrauen zu müssen.

»Wie genau soll der Deal ablaufen?«, erkundigte sich Gabriele mit geschäftsmäßigem Ton. »Du erwartest von uns hoffentlich nicht, dass wir mit einem Koffer voller Geld dort unten aufkreuzen.«

Vladi verlor das ewige Lächeln aus seinem Gesicht und sah Gabriele bestürzt an: »Doch, natürlich! Nur Bares ist Wahres.« Kurz darauf entlarvte er seine Entrüstung als Scherz, denn lachend stellte er richtig: »Niemand erwartet von euch, dass ihr schon beim ersten Mal etwas zahlt. Das Ganze läuft folgendermaßen ab: Ihr reist an den vereinbarten Treffpunkt, kommt mit Yelina und den Jungs zusammen, dürft sämtliche zum Verkauf stehenden Werke in Augenschein nehmen und sogar eines mit nach Hause nehmen. Wir werden es rahmenlos ins Futteral eines Koffers einnähen, damit ihr bei der Rückreise keine Probleme mit dem deutschen Zoll bekommt. Daheim könnt ihr es in aller Ruhe untersuchen und die Echtheit überprüfen. Erst später kommt das Geld ins Spiel, und auch nur, wenn ihr von der Sache absolut überzeugt seid.« Er strahlte sie an: »Na, wie klingt das? Deal?« Er streckte seine rechte Hand aus.

»Deal!«, rief Gabriele euphorisch und schlug ein.

»Kein Deal!«, meinte dagegen Sina. Demonstrativ trennte sie die Hände von Vladi und ihrer Freundin. »Das ist doch eine völlig windige Angelegenheit! Mensch, Gabi, wo bleibt dein gesunder Menschenverstand?«

Vladi schaute sie enttäuscht, Gabriele gereizt an. Streng sagte sie: »Was uns Vladi vorschlägt, ist ein äußerst faires Geschäft. Wir gehen keinerlei Risiko ein, können jederzeit aussteigen und bekommen sogar ein Muster, das wir untersuchen dürfen. Was will man mehr, Kleines?«

»Nenn mich nicht Kleines. Schon gar nicht vor einem Fremden«, ereiferte sich die Jüngere.

»Vladi ist kein Fremder.« Gabi bemühte sich darum, in Vladis Gegenwart freundlich und besonnen aufzutreten. Schließlich stritt man sich nicht vor Geschäftspartnern. »Er ist ein …«

Weiter kam sie nicht, denn Sina unterbrach: »Ein Taxifahrer, der uns ab und zu von A nach B chauffiert hat und der nett plaudern kann. Ansonsten wissen wir nichts von ihm. Überhaupt nichts!«

»Das können wir nachholen. Wir haben ab jetzt die Gelegenheit, Vladi näher kennenzulernen. Ich bin sicher, dass wir dabei keine bösen Überraschungen erleben werden.«

»Weil du keine bösen Überraschungen erleben willst, Gabi! Ich sehe doch schon wieder die Dollarzeichen in deinen Augen. Du hast einzig und allein diesen Deal im Sinn und scherst dich nicht um mögliche Gefahren oder Hinterhalte.«

»Hinterhalte? Ist das nicht etwas übertrieben?« Der Einwand kam von Vladi, der auf Abstand gegangen war und etwas verloren zwischen zwei hüfthohen Skulpturen stand. »Wir wollen doch nur etwas verkaufen.«

»Dann biete deine Sachen offiziell und mit Mehrwertsteuer an. Ich habe keine Lust, wegen Hehlerei und Steuerhinterziehung in den Knast zu wandern«, machte Sina ihrem Unmut Luft. »Vor allen Dingen habe ich absolut keinen Bock auf diesen Trip nach Jugoslawien.«

»Aber Sinalein, sei nicht so bockig«, sagte Gabriele mit aufgesetzter Sanftmut. »Betrachte es als Urlaubsreise …«

»… die mit einer Kugel im Kopf endet? Nein, danke!«

»Jetzt wirst du kindisch.«

»Lieber kindisch als tot.«

»Es ist nur ein Geschäft, Sina. Wir sind nicht die einzigen, die aus den besonderen Bedingungen, die in Krisengebieten herrschen, Kapital schlagen wollen. Da mischen auch die Big Player der Branche mit. Wir können froh sein, wenn mal wir Kleinen vorgezogen werden und für unsereins nicht nur die Brosamen übrig bleiben.«

»Ein Geschäft, sagst du? Dann sollte es auf einer soliden Basis stehen. Dieses Geschäft hat für meinen Geschmack viel zu viele unsichere Variablen. Ich traue weder unseren Geschäftspartnern noch den Umständen, unter denen dieses Geschäft abgewickelt werden soll.«

Gabriele konnte sich nicht länger beherrschen. Sie trat Sina auf den Fuß. Nicht allzu fest, aber so, dass sie es spüren musste. Eindringlich sagte sie: »Ich bin diejenige, der der Laden gehört. Deswegen bestimme ich auch, wo es langgeht.«

»Aber ich bin nicht deine Angestellte. Und deswegen kannst du mich mal kreuzweise.«

Das war zu viel. Gabriele wusste nicht, wie sie der sturen Verweigerungshaltung ihrer Freundin noch Herr werden konnte. Ebenso wenig wusste sie, wie sie eine Aktion wie diese ohne die Findigkeit und die technische Finesse Sinas ausführen sollte. Die bittere Wahrheit hieß: entweder mit Sina oder gar nicht.

Mit hängenden Schultern wandte Gabriele sich dem still im Hintergrund wartenden Vladi zu. »Du hörst selbst. Es sieht schlecht aus mit unserer Tour in deine Heimat.«

»Vielleicht habe ich euch ein wenig überrumpelt«, mutmaßte Vladi mit wenig glücklichem Ausdruck. »Ihr könnt ja mal alles sacken lassen und es euch in aller Ruhe überlegen.«

»Da gibt es nichts zu überlegen«, sagte Sina entschieden. »Ich mache nicht mit. Dabei bleibt’s.«

»Dann vielleicht die Chefin allein …«, setzte Vladi wenig überzeugend an.

»Nein.« Gabriele schüttelte traurig den Kopf. Daraufhin sagte sie etwas, das Sina gerade in dieser Situation sehr freute: »Weißt du, Vladi, Sina und ich bilden ein Team. Entweder wir steigen gemeinsam ein, oder wir lassen es bleiben. So läuft es und nicht anders.«

»Ja, wenn das so ist …« Vladi machte einen gequälten Eindruck. »Ich kann dieses Angebot natürlich nicht unbegrenzt aufrechterhalten. Es gibt andere Händler, die sich die Finger danach lecken würden.«

»Dann nimm die anderen Händler«, ließ sich Sina nicht von ihrem Entschluss abbringen.

Zwischen Vladi und den Frauen ging es noch eine Weile hin und her, bis sich ihre Wege trennten.

Gabriele fühlte sich mies. Wie eine Verliererin. Sie hatte es bildlich vor Augen, wie ihr die entgangenen Geldscheine durch die Finger glitten.

Sina war trotz ihres vermeintlichen Erfolges gegenüber Gabi ebenso unwohl zumute. Sie war ihrer Freundin ordentlich in die Parade gefahren und hatte sich dagegen gewehrt, erneut gegen ihren Willen eingespannt zu werden und sich unabsehbaren Gefahren auszusetzen. Aber war ihre Reaktion wirklich angebracht gewesen? War Vladi nicht doch bloß ein harmloser Pendler zwischen den Welten, der versuchte, das Beste für sich und seine Freunde in einer vom Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Heimat herauszuholen?

5

Mehr oder weniger wortlos fuhren sie über den Frankenschnellweg zurück nach Nürnberg. Erst als sie die Stadtgrenze passierten, wurde Gabriele mitteilsamer: »Soll ich dich zu Hause absetzen oder kommst du noch mit auf einen Schlummertrunk zu mir?«

»Wieso Schlummertrunk? Es ist doch noch gar nicht so spät?«, wunderte sich Sina.

»Aber wenn wir mit unserer Aussprache fertig sind, wird es spät sein.«

Bei einer Flasche Portwein und gewürfeltem Gouda setzten sie sich in Gabrieles Wohnung zusammen, doch ihr Krach ging munter weiter. Wie es Sina nicht anders erwartet hatte, ging es Gabriele in erster Linie tatsächlich nur ums Geld: »Ist dir in deiner kaufmännischen Unbefangenheit und Naivität überhaupt nicht aufgefallen, dass wir Vladi und Konsorten über den Tisch ziehen könnten? Ich habe mir die Lebensläufe der Mittelsleute durchgelesen. Die haben allesamt keinerlei Ahnung vom wirklichen Wert der Gemälde. Wir könnten sie mit Almosen abspeisen und einen Riesengewinn einfahren. Das sind Laien, Sina! Blutige Anfänger!«

»Gutes Stichwort«, konterte Sina. »Denn ich glaube, wir beiden würden uns eine blutige Nase holen, wenn wir darauf eingestiegen wären. – Aber lass uns diesen Streit nicht weiter in die Länge ziehen.«

Das hatte Gabriele auch nicht vor. Im Gegenteil: Jetzt würde sie sich der beruhigenden Wirkung des Alkohols hingeben und den Verlust tapfer verschmerzen. Sie musste einsehen, dass sie in diesem Spiel ohne Sina keine guten Karten haben würde. Aber wie hieß es doch so schön: Pech im Spiel, Glück in der Liebe. Bei diesem Gedanken kam ihr Eduard Diehl in den Sinn, ihre neue Flamme.

»Was guckst du denn mit einem Mal so verträumt?«, wollte Sina gern wissen.

»Ach.« Gabriele schreckte auf. »Das ist dir aufgefallen?«

»Na klar. Ich sehe doch, wenn meine Freundin etwas bewegt. Ist es etwa immer noch dieser olle Kommissar?« Sina kicherte.

»Mach dich nicht lustig! Er ist topfit für seinen Jahrgang. Und, ja, ich habe wirklich etwas für ihn übrig.« Gabriele beugte sich über den Tisch und kam Sina sehr nahe, als sie fragte. »Findest du das albern, wenn ich mich in meinem Alter an einen Mann ranschmeiße?«

»Überhaupt nicht! Erstens bist du nicht alt, und wenn, wäre das auch egal. Hauptsache, du verspürst noch das verräterische Herzklopfen, wenn du deinen Liebling triffst oder an ihn denkst. Das ist es, was zählt! Die Lebensjahre sind zweitrangig.«

»Meinst du, dass es mit Eduard etwas werden könnte?« Gabriele war sich unsicher. Immerhin lag ihre letzte Affäre mit einem – noch dazu verheirateten – Mann mehr als zehn Jahre zurück.

»Ja! Unbedingt! Wenn du es willst, wird es eine wunderbare Erfahrung werden. Vielleicht entwickelt sich daraus sogar eine feste Partnerschaft.«

»Wie deine mit Klaus«, sagte Gabriele viel zu voreilig und bereute es im selben Moment.

Sina zuckte zusammen. »Ich hoffe, bei dir läuft es besser«, sagte sie ernst.

»Wie geht’s ihm denn so? Was macht er?«, beeilte sich Gabriele zu fragen, um ihren Lapsus zu überspielen.

»Aus dem Knast ist er raus. Man konnte ihm keine Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Gruppierung nachweisen. Aber unser Kontakt liegt seitdem – wie du weißt – auf Eis. Ich kann dir deine Fragen also nicht beantworten.«

»Ja, ja, ich dachte nur. Hätte ja sein können, dass er sich mal gemeldet hat.«

»Nein. Hat er nicht. Und ich bin froh darüber. Die Ära Klaus ist ein für allemal abgeschlossen.«

Bei der Aufarbeitung ihrer Liebesbeziehungen gingen die Frauen gerade in die Tiefe, als sie durch das Klingeln des Telefons gestört wurden. Es war Vladi. Er hatte zu seiner ungezwungenen Selbstsicherheit zurückgefunden und verkündete voller Optimismus, dass der Auftakt des geplanten Deals vorerst auch ohne eine Jugoslawienreise stattfinden könnte. Ein erster Kontakt sei in Deutschland möglich. Ob die Frauen noch Interesse hätten?

Abermals tendierte Gabriele dazu, sofort und spontan zuzusagen. Doch es gelang ihr, sich zu beherrschen. Sie bat Vladi um etwas Geduld, legte die Hand auf die Sprechmuschel und schilderte Sina die veränderte Sachlage.

Diese lauschte aufmerksam, nickte verhalten und signalisierte damit vorsichtig ihre Zustimmung. Nach wie vor wurde sie von Zweifeln geplagt. Aber für Gabriele reichte ihr Nicken aus, um Vladi grünes Licht zu geben: »Bei einem Treffen in Deutschland sind wir auf alle Fälle dabei!«, posaunte sie hinaus. Anschließend hörte sie sich an, wie Vladis neuer Vorschlag konkret aussah. Mit einem wohligen Lächeln legte sie auf.

Sina goss sich den letzten Schluck aus der Portweinflasche ein, als sie – sich dem Schicksal ergebend – fragte: »Und?«

Gabriele wirkte sehr zufrieden. »Er hat noch mal mit seinem Chef gesprochen, der uns beide unbedingt mit im Boot haben will.«

»Ich bin davon ausgegangen, dass Vladi selbst der Chef ist. Zumindest derjenige, der die Sache für seine Partner in Jugoslawien schaukelt.«

»Nein, Vladi ist wohl bloß ein Handlanger. Der eigentliche Drahtzieher wollte wohl lieber im Hintergrund bleiben. Aber nun muss er aus seiner Deckung kommen, um uns persönlich zu überzeugen.«

»Wo steckt denn der Big Boss? Nicht in Belgrad?«

»Nein, in Nürnberg. Er ist kein Jugoslawe, hat aber offenbar gute Beziehungen ins Ausland.«

»Warum holt er die Bilder dann nicht selbst und verhökert sie auf eigene Kappe?«

»Wahrscheinlich, weil das nicht sein vertrautes Geschäftsfeld ist und ihm die notwendigen Kontakte meiner Branche fehlen.« Gabriele zwinkerte ihrer Freundin zu. »Aber frag ihn doch selbst. Wir können ihn morgen Nachmittag treffen. Mitten in der Stadt, unter Menschen. Da kann nichts passieren.«

Sina ließ die Informationen auf sich wirken, suchte nach dem Haken an der Sache, fand ihn jedoch nicht. Seufzend hob sie ihr inzwischen leeres Glas und ließ es gegen das von Gabriele klirren. »Na, dann: Ein Prosit auf unseren neuen Job!«

Ende der Leseprobe