Todesschweigen - Stefan S. Kassner - E-Book
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Todesschweigen E-Book

Stefan S. Kassner

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Beschreibung

Ein grausamer Frauenmörder und der Täter ist noch immer auf freiem Fuß …
Der hochspannende und fesselnde Thriller von Stefan S. Kassner

Als erfahrene Ermittlerin hat Vera Winter schon einiges gesehen. Doch als sie zum Tatort einer übel zugerichteten Frauenleiche gerufen wird, gerät selbst sie ins Schaudern. Die Leiche liegt in einem mit Rosenblättern bestreuten Bett in der Suite eines Nobelhotels und ihr fehlen die Lippen. Vera Winter steht vor lauter Rätseln. Bei ihren Ermittlungen stellt sich heraus, dass das Opfer ein großer Fan von Liebesromanen war. Doch wie hängt das mit der Inszenierung des Tatorts und dem Mord zusammen? Während die Kommissarin noch versucht, das herauszufinden, wird eine weitere Frauenleiche gefunden. Nun muss Winter alle Hebel in Bewegung setzen, um weitere Morde an unschuldigen Frauen zu verhindern und den grausam-literarischen Serienmörder zu fassen …

Erste Leser:innenstimmen
„Packender Krimi mit unerwarteten Wendungen – hat mich in Atem gehalten!“
„Kommissarin Vera Winter ist eine starke Protagonistin, die mit viel Geschick an den Fall rangeht und ermittelt.“
„Die Verbindung zwischen den Morden und den Liebesromanen ist ziemlich raffiniert und sorgt für zusätzliche Spannung!“
„Verstörender und gleichzeitig unterhaltsamer Thriller.“

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Seitenzahl: 313

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Über dieses E-Book

Als erfahrene Ermittlerin hat Vera Winter schon einiges gesehen. Doch als sie zum Tatort einer übel zugerichteten Frauenleiche gerufen wird, gerät selbst sie ins Schaudern. Die Leiche liegt in einem mit Rosenblättern bestreuten Bett in der Suite eines Nobelhotels und ihr fehlen die Lippen. Vera Winter steht vor lauter Rätseln. Bei ihren Ermittlungen stellt sich heraus, dass das Opfer ein großer Fan von Liebesromanen war. Doch wie hängt das mit der Inszenierung des Tatorts und dem Mord zusammen? Während die Kommissarin noch versucht, das herauszufinden, wird eine weitere Frauenleiche gefunden. Nun muss Winter alle Hebel in Bewegung setzen, um weitere Morde an unschuldigen Frauen zu verhindern und den grausam-literarischen Serienmörder zu fassen …

Impressum

Erstausgabe Juli 2023

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-793-9 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-402-6

Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © amber_85 stock.adobe.com: © Romain TALON, © WONGSAKORN shutterstock.com: © Goji, © worawut2524, © spaxiax Lektorat: Katrin Gönnewig

E-Book-Version 28.11.2023, 17:06:52.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Todesschweigen

Für meinen Vater

Je älter ich werde, desto mehr von dir erkenne ich in mir. Dies ist nicht nur Inspiration und Herausforderung, sondern auch das Wissen, dass du auf diese Art für mich weiterlebst.

Volk und Knecht und Überwinder, Sie gestehn, zu jeder Zeit: Höchstes Glück der Erdenkinder Sei nur die Persönlichkeit. Jedes Leben sei zu führen, Wenn man sich nicht selbst vermißt; Alles könne man verlieren, Wenn man bliebe, was man ist.Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)

1

Die Leidenschaft verleiht ihr Flügel und als sie diese ausbreitet, schwebt sie. Gleitet durch den Raum, trunken vor Vorfreude, die sich prickelnd in ihr ausbreitet.

Sie schleudert die Frau zu Boden. Vernimmt den dumpfen Laut, den der Aufschlag des Kopfes verursacht.

Endlich ist es so weit! So lange wartete sie, verzehrte sich danach, ihm nahe sein. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen in der Bar. Sie mit verlaufenem Make-up, da es draußen in Strömen gegossen hatte, er, wie immer, blendend aussehend in seinem dunklen Anzug, dem schiefen Grinsen und den stahlgrauen Augen, deren Blick in sie drang.

Die Frau röchelt, würgt. Dreht sich auf den Bauch, um dann, wie ein verendendes Insekt zu kriechen.

Überall sind Rosenblätter verstreut, auf dem Boden, dem Bett. Nur einmal erwähnte sie diese - zugegebenermaßen klischeebehaftete - Vorliebe Jannik gegenüber und er arrangierte den Raum ihren Vorstellungen entsprechend. In dem Zimmer mit den schwarzen Wänden und Möbeln, wirkten sie wie Küsse, mit denen er den Raum auf ihr Zusammentreffen vorbereitet hatte. Sie ließ sich mit ihm auf das Bett fallen.

Das Kriechen wird langsamer, verebbt schließlich vollends. Sie beugt sich zu der Frau hinunter, um sie auf den Rücken zu drehen.

Er ist über ihr. Der Griff seiner Hände, fordernd und zur selben Zeit liebkosend. Jede Berührung entflammt ihre Haut, schürt die Begierde.

Sie setzt sich auf die Brust der Frau, kämpft den Ekel nieder, der sich ihrer zu bemächtigen droht. Insbesondere dieser Bereich ist ein Sinnbild der Weiblichkeit und erst dann erträglich, wenn kein Atem ihn mehr hebt und senkt. Den zuckenden Körper drückt Sie zu Boden. Betrachtet das Gesicht, in dem sich die Augen angstvoll weiten, legt dann die Hände um den Hals, spürt den Adamsapfel, der sich gegen die Handflächen drückt.

Mit ausgebreiteten Armen empfängt sie seine Küsse, schmeckt seine Lippen, spürt die Wogen der Hitze, die sie durchfließen.

Der Mund öffnet und schließt sich, ohne dass sich ein Schrei der Kehle entringt. Die weit aufgerissenen Augen zucken hin und her. Sie spürt, wie die Auszulöschende sich unter ihr aufbäumt. Sie neigt sich vor und erhöht den Druck, bis etwas krachend nachgibt. Der Knorpel des brechenden Kehlkopfes.

Ihr blondes Haar fließt von ihrem Schopf über die dunklen Laken, rahmt ihr Gesicht ein. Eine goldene Corona, während ihrem leicht geöffneten Mund lustvolles Stöhnen entweicht.

Die Augen starren Sie entsetzt an, dann bricht der Blick und Sie weiß, dass es vollbracht ist. Die Existenz ist ausgelöscht und die Ausgelöschte bereit, hergerichtet zu werden. Zu einem Bild, das eine Botschaft übermittelt.

Sein Finger fährt sanft die Kontur ihrer Lippen entlang. „Ich bin verrückt nach deinen Rosenlippen“, sagt Jannik.

Sie hievt den Körper auf das Bett, breitet Arme und Beine aus, dann das das Gesicht umfließende, blonde Haar. Nimmt das Skalpell in die Hand und schneidet.

Ich bin verrückt nach deinen Rosenlippen, denkt Sie.

Sie ist ein Ästhet.

2

Der Schock fraß sich in ihre Eingeweide. Ignorierte den Verstand, der ihr nüchtern mitteilte, dass sie seit zwanzig Jahren Mordtatorte untersuchte. Dieser ist anders, wollte sie ihm entgegenschreien, während das Grauen ihren Blick lenkte, um das totenschädelartige Grinsen zu fixieren.

Der Täter hatte Rosenblätter auf dem Bett und dem Boden verstreut und Kerzen entzündet, die zum Teil immer noch brannten. Das Ganze wirkte wie eine Szenerie in einem kitschigen Liebesfilm. Oder war eine geplante Liebesnacht aus dem Ruder gelaufen? Hatten sich hier zwei Liebende getroffen, und die Situation war im Streit eskaliert?

Das erschien unwahrscheinlich, schon aufgrund eines weiteren, nicht unwesentlichen Details – das Lächeln, das ihre Aufmerksamkeit unbarmherzig auf sich lenkte: Der Leiche fehlten die Lippen. Der Täter hatte sie, möglicherweise mit einem Skalpell, aus dem Gesicht geschnitten, was ihr den grausamen Ausdruck eines immerwährenden Lächelns verlieh. Welcher Liebende würde der Angebeteten so etwas antun? Selbst in der größten Wut kam ein Verbrechen, wie jemanden im Affekt zu töten, zwar vor, aber diese Vorgehensweise hatte Zeit und einen Plan erfordert.

Vera wollte gerade zu Doktor Sputnik hinübergehen, um ihn nach seiner Einschätzung zu fragen, als ihr jemand auf die Schulter tippte. „Entschuldigung, Kommissarin Winter?“

Winter schätzte den jungen Beamten auf Anfang zwanzig. Unruhig sprang sein Blick zwischen ihr und der Leiche auf dem Bett in ihrem Rücken hin und her. Es wäre untertrieben gewesen zu sagen, der Mann sei angespannt.

„Was gibt es denn?“ Es kostete sie Mühe, nicht zu entnervt zu klingen. Dieser junge Kerl wirkte, als müsste er sich im nächsten Augenblick über die Kloschüssel beugen, um sein Frühstück an die Kanalisation zu übergeben und tat ihr im nächsten Augenblick leid.

„Da möchte jemand mit Ihnen sprechen. Sagt, es wäre wichtig.“

Vera sah an dem jungen Mann vorbei zum Wohnbereich der Suite, in dem ein Mann mittleren Alters, mit Bauchansatz und dunklem Maßanzug, stand, den zwei Beamte daran hinderten, in den Raum vorzudringen.

„Und mit wem haben wir es zu tun?“ Dieses Mal gelang es ihr nicht, den Ärger aus ihrem Tonfall herauszuhalten. Was lernten die Beamten denn heute auf der Polizeischule?

„Also, er ist …“ Der junge Beamte kratzte sich am Hinterkopf, während er seine Schuhe betrachtete. „Ich denke, er ist der Hoteldirektor.“

Vera seufzte. „Sie denken. Wir werden uns noch mal darüber unterhalten, welche Fragen Sie einer Person stellen müssen, vor allem zu ihrer Identität und der beruflichen Position.“ Sie ließ den jungen Mann stehen und ging zu dem Herrn im dunklen Anzug, der mit den beiden Beamten vor sich diskutierte.

Als er sie sah, richtete er das Wort an sie. „Sind Sie die zuständige Kommissarin?“

„Winter. Genau so ist es.“

Der Mann blickte irritiert drein.

„Winter ist mein Name, kein Hinweis auf die Jahreszeit.“

„Ach so.“ Kurz verzog er die Mundwinkel zu einem angedeuteten Lächeln. „Ernst Kieping, ich bin der Hoteldirektor.“ Vera beantwortete die Vorstellung mit einem knappen Nicken.

„Es ist absolut notwendig“, mit gestrecktem Zeigefinger dirigierte Kieping seine Worte, „dass nichts nach außen dringt. Einen derartigen Imageschaden können wir uns nicht leisten.“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden zu diesem Zeitpunkt die Presse noch nicht verständigen. Aber wir können natürlich keinen Einfluss darauf nehmen, sollte bereits etwas nach außen gedrungen sein.“ Kiepings Miene, die sich kurz aufgehellt hatte, verfinsterte wieder. „Sie sollten vor allem auf Ihr Personal einwirken. Die Presse wird eher von einem Ihrer Mitarbeiter informiert als von einem meiner Beamten.“

„Meine Angestellten sind loyal. Sie sollten da Ihre Erfahrungen nicht verallgemeinern.“ Kieping funkelte sie angriffslustig an, und Vera war klar, dass sie sich unklug ausgedrückt hatte. Sie hatte eine kurze Nacht gehabt und war von dem Anruf, dass es einen Mord gegeben hatte, aus dem Schlaf gerissen worden.

Dennoch schluckte sie den aufwallenden Ärger herunter, zwang ihre Mundwinkel nach oben und schaffte es sogar, einen freundlichen Ton anzuschlagen. „Dann verlässt keine Information diesen Raum, was derzeit auch in meinem Sinne ist. Derartige Meldungen sorgen für unnötige Panik und rufen selbst ernannte Kommissare auf den Plan. Wir ziehen also am selben Strang.“

Kiepings Lippen, die er zuvor zu einem blassroten Strich zusammengepresst hatte, entspannten sich und er nickte.

„Sie könnten uns weiterhelfen“, sagte Vera.

„Was kann ich für Sie tun?“

„Ich muss wissen, auf welchen Namen dieses Zimmer gebucht wurde, und möchte außerdem mit dem Angestellten sprechen, der die Buchung vorgenommen hat. Ebenso mit allen Personen, die gestern und heute im Hotel gearbeitet haben.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Sie würden unseren Ermittlungen einen unschätzbaren Dienst erweisen.“

„Selbstverständlich“, sagte Kieping und verließ das Zimmer.

Vera atmete hörbar aus. Sie hoffte, dass Kieping recht hatte und keiner seiner Angestellten Informationen vom Mord oder Tatort an die Presse trug. Einige Menschen sind sich nicht zu schade, für ein bisschen Aufmerksamkeit die Grundsätze von Moral und Ethik mit Füßen zu treten, dachte sie bitter.

„Können Sie mir schon etwas zu Todesursache und Todeszeit sagen?“, fragte sie Doktor Sputnik, der sich über die Leiche beugte und zu dem sie hinübergegangen war.

„Sie wurde erwürgt.“ Er wies auf die violetten Male am Hals der Leiche.

„Und das?“ Vera wies auf den Mund der Leiche. Sie hatte immer noch Schwierigkeiten, dieses groteske Lächeln zu verarbeiten, das im Grunde keines war. Wer kam auf solch eine Idee?

„Das geschah erst post mortem, würde ich sagen, genau weiß ich das allerdings erst nach der Obduktion.“

„Danke“, sagte Vera. Sie mochte Sputnik. Er hatte einen messerscharfen Verstand, auf den sie sich stets verlassen konnte, und vor allem machte er klare Aussagen, die ihr weiterhalfen.

Sie fuhr herum, als ihr erneut auf die Schulter getippt wurde. Wie sie das hasste! Dieses Mal würde ihr der junge Kerl nicht so davonkommen! „Lassen Sie das, verdammt noch mal!“, zischte sie und erntete einen entgeisterten Blick.

„Entschuldigung … ich wollte nur …“ Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.

„Wir haben einiges zu klären, aber das muss warten. Vorerst gilt Folgendes: Sie berühren mich nicht ungefragt, und Sie nehmen Aussagen und Personalien auf, bevor Sie mir einen Zeugen vorstellen. Haben Sie das verstanden?“

Der junge Polizist nickte. Kurz glaubte Vera, er würde in Tränen ausbrechen. Was war nur los mit den jungen Leuten heute? Diese Millennials waren mit den einfachsten Aufgaben überfordert, konnten mit Stress meist nicht umgehen. Wenn sie an ihre ersten Jahre dachte – das hätte von diesen Weicheiern keiner durchgehalten.

„Also, was ist los?“, fragte sie.

„Die Rezeptionisten sind da. Sowohl der, der die Buchung durchführte, als auch der von gestern Abend.“

Na, das ist doch schon mal was, dachte sie.

„Dann werde ich sie gleich befragen.“ Sie strebte umgehend in Richtung Zimmertür.

„Soll ich Ihnen nicht sagen, was ich schon erfahren habe?“, rief ihr der junge Polizist hinterher.

Vera blieb kurz in der Tür stehen und sah sich um. „Machen Sie sich keine Umstände, ich komme zurecht.“ Damit verließ sie die Suite.

3

„Und Sie können keine genaueren Angaben zu der Person machen, die das Zimmer gebucht hat?“

Die junge Frau zuckte mit den Achseln, während sie auf ihrem Kaugummi kaute, was Vera wahnsinnig machte. Wieder ein Grund, ihre Haltung gegen Millennials zu betonieren. Diese Anfang Zwanzigjährige namens Aila Kofke schien kein Gespür für Respekt oder Etikette zu haben. Sie gab Vera das Gefühl, froh sein zu können, dass Frau Kofke sich die Zeit für diese Unterredung nahm.

„Das ist immerhin drei Wochen her.“

„Ist es zutreffend, dass das Zimmer gleich bei Buchung bezahlt wurde.“

„Richtig, ja.“

„Und, ist das nicht ungewöhnlich? Dass jemand ein Zimmer so weit im Voraus bezahlt?“

„Na, irgendwie schon.“

Vera musste sich zurückhalten, um nicht über den Tisch zu springen und der dummen Gans mit den violetten Haaren den Hals umzudrehen. Durfte jemand mit so einer Optik überhaupt in einem Luxushotel arbeiten und das auch noch an der Rezeption?

„Wie lange arbeiten Sie denn hier schon?“

„Seit drei Monaten.“

Vera war fast froh, denn dann standen die Chancen nicht schlecht, dass Hoteldirektor Kieping bald hinter Frau Kofkes Inkompetenz käme und ihr den Laufpass gab. Irgendwie verursachte der Gedanke in ihr eine gewisse Freude, für die sie sich im selben Augenblick schämte.

„Also, Sie sagen, dass es ein Mann war?“

Aila Kofke nickte eifrig.

„Können Sie sein Alter schätzen?“

„Älter als Sie, würde ich sagen.“

„Genauer geht es nicht?“ Vera atmete tief durch.

Frau Kofke zuckte mit den Schultern. War hier irgendwo eine Kamera versteckt?

Das brachte sie auf eine Idee. „Ist die Rezeption kameraüberwacht?“

Wieder nickte Aila Kofke. „Es gibt eine Kamera.“

Das waren endlich mal gute Nachrichten. „Alles klar, Frau Kofke. Das reicht dann erst mal. Ich werde mich wieder bei Ihnen melden, wenn ich weitere Informationen benötige.“ Vera betete, dass dies nicht der Fall sein würde und die Kamera verwertbare Bilder lieferte, anhand derer die Person, die das Zimmer gebucht hatte, zu erkennen sein würde.

Aila Kofke verließ das Besprechungszimmer, das der Hotelmanager, Herr Warburg, der Kommissarin für die Befragung zur Verfügung gestellt hatte.

Kaum war die Tür geschlossen, klopfte es. Auf Veras Aufforderung trat ein junger Mann ein. Anders als Aila Kofke, wirkte er wie jemand, dem Vera den Posten an der Rezeption eines Nobelhotels durchaus zutraute.

„Würden Sie mir Ihren Namen nennen?“, fragte Vera.

„Noah. Noah Steffens.“

„Sie wissen, dass es um gestern Abend geht?“

Der junge Mann nickte, sah zu Boden.

„Sie hatten Dienst gestern?“

Wieder nickte er, während sein Blick fest auf den Boden geheftet blieb.

„Was ist los?“, fragte Vera.

Es schien ihn Kraft zu kosten, sie anzuschauen, als wären seine Augen mit Bleigewichten beschwert. „Hätte ich es verhindern können?“

Vera brauchte einen Moment, um die Frage zu begreifen, wollte etwas entgegnen, doch der Mitarbeiter holte bereits Luft und so beschloss sie, ihn weitersprechen zu lassen.

„Nachts ist selten etwas zu tun. Dennoch ist es uns verboten, das Handy mit an den Arbeitsplatz zu nehmen. Aber gestern …“, er brach ab, schluckte, „ich habe doch nicht geahnt, dass so etwas passieren würde. Wer ahnt denn schon so was?“

Sein leidender Blick berührte Vera. Etwas, das sich auch nach vielen Dienstjahren nicht abstellen ließ. Natürlich stellte sich eine gewisse Abgestumpftheit ein, wie beim Anblick einer Leiche, aber dennoch gab es immer wieder Momente, die diesen Schutzpanzer durchdrangen, den jeder von ihnen um sich legen musste, um diese Situationen zu verkraften.

„Natürlich ist es nicht Ihre Schuld.“ Vera verzog den Mund zur Andeutung eines versöhnlichen Lächelns. „Es ist aber wichtig, dass Sie mir alles erzählen, woran Sie sich erinnern. Jedes Detail könnte von Bedeutung sein.“

„Das ist es ja.“ Der junge Mann wandte den Kopf, als hätte sich eine Schlinge um seinen Hals gelegt. „Ich habe gar nichts bemerkt.“

Der kleine Funke Hoffnung, den sein anfängliches Auftreten in Vera entfacht hatte, erstarb. „Wie meinen Sie das, gar nichts bemerkt?“, fragte sie, obwohl sie sich die Antwort schon vorstellen konnte.

„Na ja. Gestern habe ich mein Handy mit am Arbeitsplatz gehabt. Obwohl es, wie ich schon sagte, verboten ist. Wissen Sie, unter der Woche ist meistens zwischen drei und fünf Uhr kaum etwas zu tun, und … na ja … es gab da diesen Typen, mit dem ich geschrieben habe.“

„Sie wollen mir also sagen, dass Sie gestern nur auf Ihr Handy gestarrt haben? Sie haben nicht einmal aufgeschaut, wenn jemand in die Lobby kam?“

„Das schon.“

„Dann müssen Sie doch jemanden gesehen haben.“

„So gegen vier kamen zwei Frauen, glaube ich.“

„Glauben Sie?“ Die Vorschusslorbeeren, die Vera dem Kerl verliehen hatte, waren absolut unbegründet. Er war keinen Deut besser als seine Kollegin Frau Kofke. Was hatte Kieping über seine Angestellten gesagt? Dass sie loyal seien? Es bedurfte einer großen Portion Loyalität, um diese zum Himmel schreiende Inkompetenz wettzumachen.

Vera atmete tief durch. Sie musste die Nerven bewahren, wenn sie irgendetwas aus diesen ‚Zeugen‘ herausbekommen wollte. „Also, zwei Frauen. So gegen vier?“

„Ich denke schon.“

„Okay. Ist Ihnen an diesen Frauen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?“

Der junge Mann dachte kurz nach. „Jetzt, da Sie es sagen. Ich dachte, dass die beiden zu tief ins Glas geschaut hatten. Zumindest eine von ihnen. Ich meine, dass die eine die andere gestützt hat.“

„Sie sind nicht hin und haben gefragt, ob alles in Ordnung ist?“

Der junge Mann riss die Augen auf. „Wir mischen uns niemals in die Angelegenheiten unserer Gäste ein!“ Das klang, als hätte Vera von ihm verlangt, jemandem einen Dämon auszutreiben.

„Gut.“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. Sei froh, dass du zumindest den bekommen hast!, dachte sie sarkastisch. Der war zwar etwas zu dünn, aber besser als nichts. „Könnte es sein, dass eine der Frauen diese Frau war?“ Sie legte ein Foto auf den Tisch. Darauf war das Opfer zu sehen.

Steffens rückte nervös auf dem Stuhl hin und her, während er das Foto betrachtete. Vera kannte dieses Verhalten, und ihr sank der Mut. So reagierten Zeugen, die sich nicht sicher waren, aber unbedingt helfen wollten. Diese Menschen neigten zu Falschaussagen, tragischerweise mit den besten Absichten und häufig, ohne sich dessen bewusst zu sein.

„Ich glaube schon“, antwortete Noah Steffens.

Vera überlegte, ob sie nachfragen sollte, ob er sich sicher sei. Ob er sich klarmache, was auf dem Spiel stand, wie wichtig seine Aussage sei. Aber was würde das bringen? Noch verunsicherter würde sich die Qualität seiner Erinnerungen mit Sicherheit nicht bessern. Vorerst war das wohl das Beste, was sie bekommen würde, und immerhin hatten sie noch die Bilder der Überwachungskamera. Die musste sie zumindest nicht befragen.

„Das reicht mir erst einmal. Aber halten Sie sich bitte bereit für weitere Befragungen.“

***

„Das kann doch unmöglich alles sein!“ Vera stierte angespannt auf den Bildschirm, konnte nicht glauben, was sie dort sah. Sie hatte so darauf gehofft, sich wahrscheinlich zu sehr darauf versteift, das wurde ihr jetzt bewusst. Ihr damaliger Chef, Oberkommissar Wagner, hatte die Suche nach Beweisen mit einem Fadenknäuel verglichen. Wobei nicht das Entdecken des Fadens an sich entscheidend war, um das Knäuel zu entwirren, sondern an welchem man zuerst zog. Zu schnell hatte sie sich auf die Bilder der Überwachungskamera verlassen und damit die katastrophalen Zeugenaussagen als nicht wichtig relativiert.

Das rächte sich nun, denn, wie sich herausstellte, gab es zwar eine Überwachungskamera, die aber auf die Rezeption gerichtet war und darüber hinaus nur einen Teil der Lobby erfasste. Die Fahrstühle zu den Zimmern sowie die hintere Eingangstür wurden, anders als die gegenüber der Rezeption, ebenso nicht von der Kamera erfasst. Der Täter hatte seine Hausaufgaben gemacht und deshalb bedacht, dass er sich außerhalb des Kamerabereiches bewegte, wenn er diese Tür nahm und direkt auf die Fahrstühle zuging.

Das Einzige, was man um vier Uhr acht sehen konnte, war, dass Noah Steffens kurz den Kopf hob, als er von seinem Smartphone aufsah, auf dem er tatsächlich fast ununterbrochen herumtippte. Das musste der Moment gewesen sein.

„Stoppen Sie mal hier.“ Vera trat näher an den Bildschirm heran, als könnte sie das sehen, was Noah Steffens gesehen oder eben nicht gesehen hatte. „Was siehst du?“, flüsterte sie, erhielt aber keine Antwort.

Es würde eine verflucht schwierige Jagd werden, das war ihr nun klar. Sie hoffte nur, dass es kein weiteres Opfer geben würde.

4

„Winter? In mein Büro.“

Vera hasste es, wenn ihr Chef sie ohne Vorwarnung zu sich rief und das stets so tat, als hätte sie nur darauf gewartet. Dass sie dafür eine andere Arbeit unterbrechen musste, war ihm anscheinend egal.

„Schließen Sie die Tür.“

Vera tat, wie ihr geheißen und blieb an der Tür stehen. Sie wollte ihrem Chef nicht den Eindruck vermitteln, es sich bequem machen zu können.

„Setzen Sie sich.“ Barmer wies auf die zwei Stühle vor seinem Schreibtisch.

Vera widerstrebte es, der Bitte nachzukommen. Wenn sie einmal saß, würde es ein längeres Gespräch geben. Das war meist so. Und danach stand ihr weder der Sinn noch hatte sie Zeit dafür.

„Was gibt es Neues in diesem Hotel-Fall?“, fragte Barmer und nahm einen Kuli von seinem Schreibtisch, den er zwischen den Fingern drehte.

„Wir haben ja gerade erst angefangen, Chef.“

Barmer machte eine wegwerfende Handbewegung. „Weiß ich doch. Aber ich will wissen, was Sie herausgefunden haben, ob es schon einen Verdächtigen gibt.“

Vera sog die Luft ein. Dass ihr Chef es derart eilig hatte mit dem Fall, konnte nur eines bedeuten. „Chef, wir tun, was wir können, aber, wie Sie wissen, haben wir knappe Personalressourcen und …“

„Sie sind doch meine beste Kommissarin, Frau Winter.“

Vera seufzte. Nun wird er wieder versuchen, mich mit Schmeicheleien zu umgarnen, dachte Vera. Darauf konnte sie verzichten. „Chef, ich habe einen Frischling vor die Nase gesetzt bekommen. Seien Sie mir nicht böse, aber ich bin unter diesen Umständen froh, auch nur einigermaßen meine Arbeit erledigen zu können.“

„Ich will offen mit Ihnen sein.“

Vera presste die Lippen zusammen. Am liebsten hätte sie entgegnet, dass sie schon wusste, was nun kam: dass irgendein hohes Tier ihrem Chef Druck machte, den Fall schnell zu lösen.

„Das Black-River-Hotel liegt dem Herrn Bürgermeister sehr am Herzen.“

Vera musste zwei Mal schlucken, damit eine biestige Bemerkung nicht den Weg über ihre Lippen nahm.

„Und es würde die Bürger beunruhigen, wenn in unserer Stadt ein Mörder sein Unwesen an einem derart öffentlichen Ort treiben könnte und damit davonkäme.“

„Natürlich, Chef.“ Veras Kiefermuskeln traten hervor, als sie versuchte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren. Selbstverständlich geht es Ihnen nur um die Bürger und nicht um Ihren Freund, den Herrn Bürgermeister, der um Wählerstimmen fürchtet, dachte Vera und schmeckte die Bitterkeit auf der Zunge. Sie vermutete außerdem, dass der Inhaber des Black River einen guten Draht zum Bürgermeister hatte. Womöglich ein engagierter Unterstützer, selbstverständlich uneigennützig.

„Sehr gut. Ich sehe, wir verstehen uns“, sagte ihr Chef, der Veras sarkastisches Grinsen falsch deutete.

Vera war froh, das Büro verlassen zu können. Doch das nächste Ärgernis stand bereits an ihrem Schreibtisch, in Person des jungen Beamten, der heute Morgen am Tatort durch Inkompetenz geglänzt hatte.

Denk daran, wie du dich am Anfang gefühlt hast, rief sie sich ins Gedächtnis. Der hagere Kerl mit den weißblonden Haaren trat von einem Bein auf das andere und Vera beschloss, dass es an der Zeit war, ihm eine zweite Chance zu geben. „Was haben Sie für mich?“, fragte sie, wobei sie sich um einen freundlichen Tonfall bemühte.

„Das Opfer konnte identifiziert werden.“

„Sehr gut. Um wen handelt es sich?“

„Einen Augenblick.“ Mit zittrigen Fingern schlug er eine Akte auf. „Sie heißt Luisa Bosner.“

„Okay, danke.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen, nahm die Akte und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. „Ich verschaffe mir zunächst einen Überblick und melde mich dann bei Ihnen.“ Sie las die Beschriftung des Aktendeckels. Dort wurde vermerkt, wer die Akte angelegt hatte. Peters stand dort in ordentlicher Schrift. „Herr Kollege Peters.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über das Gesicht des jungen Mannes. „In Ordnung, dann störe ich Sie nicht weiter.“ Er verließ Veras Büro.

Sie schlug die Akte auf und überflog die Aufzeichnungen, nahm dann die Tatortfotos in die Hand und betrachtete eines nach dem anderen. So abschreckend die Art war, wie der Täter die Leiche zugerichtet hatte, das Arrangement drum herum stand im krassen Kontrast dazu. Wie war das zu erklären? Der tiefe Hass, der eine derartige Gewalt erst hervorbrechen zu lassen vermochte und dann dieses kitschig romantische Arrangement.

Eines war klar: Dies war nicht die Tat eines Mannes, der unvermittelt ausgeflippt war und seine Liebschaft umgebracht hatte. Eine derartige Inszenierung erforderte Vorbereitung. Eine, höchstwahrscheinlich von langer Hand, geplante Tat.

Vera sah sich die Bilder noch mal genauer an. Dann nahm sie den Hörer ihres Telefons in die Hand und wählte per Kurzwahltaste Lindas Nummer.

„Was kann ich für dich tun, Frau Kommissarin?“ Linda klang fröhlich wie immer.

„Kannst du mich bitte mit dem neuen Kollegen Peters verbinden?“

„Aber klar doch.“

Sie wartete einen kurzen Augenblick.

„Peters?“ Die Aufregung war dem jungen Mann anzuhören.

„Winter hier. Können Sie bitte noch mal in mein Büro kommen?“ Sei freundlich!, schärfte sie sich ein. „Keine Sorge, es geht nur um einen Auftrag. Ich habe die Akte bereits durchgesehen. Gute Arbeit.“

„Danke.“ Jetzt war es Erleichterung, die aus dem Hörer drang. „Ich bin sofort da.“

Kurze Zeit später klopfte es an der Tür, und Vera bat Peters herein. „Herr Peters. Wir hatten einen schwierigen Start. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, sich am Anfang zurechtzufinden. Und dann gleich in solch einen Fall eingebunden zu sein – um es kurz zu machen, ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen.“

„Ich habe mich auch dämlich angestellt. Und Sie haben viel um die Ohren.“

„Dennoch war es nicht richtig.“

„Vielen Dank. Ich weiß das zu schätzen und hoffe, dass ich schnell dazulerne, um Sie unterstützen zu können.“

„Damit wir diesem Ziel näher kommen, habe ich eine Aufgabe für Sie.“

Peters nickte eifrig, es war offensichtlich, dass er sich alle Mühe gab, diesmal einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Vera deutete auf die Tatortfotos. „Rufen Sie alle Blumenläden in der Umgebung an und fragen Sie, wo in den vergangenen zwei Tagen Rosen verkauft wurden. In den Geschäften, die Kerzen verkaufen, fahren sie am besten vorbei. Fragen Sie vorher in der Spurensicherung nach, ob die Kerzen freigegeben sind, dann können Sie die vorzeigen, erhöht sicherlich die Chancen.“

Peters nickte. „Ich werde mich gleich darum kümmern.“

„Gut. Melden Sie sich bei mir, sobald Sie Neuigkeiten haben.“

Peters bejahte und verließ Veras Büro. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl nach hinten und seufzte. Die Chance, dass Peters etwas Substanzielles herausfinden konnte, war gering. Was nicht an ihm lag, sondern an dem, was er untersuchten sollte. Blumen und insbesondere Rosen wurden sicherlich hundert-, wenn nicht tausendfach täglich in der Stadt verkauft, und Kerzen waren ebenfalls keine Besonderheit. Aber welche andere Spur hatte sie schon, der sie folgen konnte?

5

„Na, mein Süßer? Was hast du denn den Tag über getrieben?“

Migosch strich Vera schnurrend um die Beine. Es mochte Menschen geben, die es albern fanden, wenn man mit Tieren sprach, aber Vera musste zugeben, dass die Unterhaltungen mit Migosch interessanter waren als die mit ebenjenen Menschen, die sich daran störten.

Sie streifte ihre Schuhe ab und hängte ihre Jacke an einen der Haken im Flur. Vom Flur gelangte sie ins Wohnzimmer. Am liebsten hätte sie sich einfach auf das Sofa fallen lassen und die Glotze eingeschaltet, aber Migosch wartete auf sein Futter, und ihr Magen knurrte ebenfalls.

Sie öffnete eine Dose mit Katzenfutter und gab den Inhalt in Migoschs Napf. „Hier, mein Schöner.“ Migosch vertilgte begeistert sein Futter. Vera sah ihm dabei zu und wünschte sich, ihr Essen wäre auch so schnell zubereitet. Im Büro hatte sie zwei belegte Brötchen gegessen, ihre einzige Mahlzeit heute. Sie musste sich unbedingt besser und regelmäßiger ernähren. Das befand sie nicht zum ersten Mal. Aber wie sollte sie das bewerkstelligen neben Arbeit, Haushalt und Migosch?

Der Kater sah sie an und miaute, als hätte er ihre Gedanken gehört, und Vera bezweifelte nicht, dass das zutraf. Sie war sicherlich nicht abergläubisch, aber dass Tiere, insbesondere Katzen, einen sechsten Sinn hatten, fand sie nicht abwegig, hatte sie doch oft genug Situationen erlebt, die diese These untermauerten.

„Keine Sorge, mein Süßer. Für dich werde ich mir immer die Zeit nehmen. Versprochen.“ Sie fuhr durch Migoschs dichtes, pechschwarzes Fell und genoss das Gefühl ebenso wie der Kater, der schnurrend die Augen geschlossen hatte.

Als ihr Handy in der Hosentasche läutete, zuckte Vera zusammen. Dadurch erschreckte sie wiederum Migosch, der fauchte und aus der Küche rannte. Mit einem Seufzer sah Vera auf das Display. Es war Morris, ihr Liebhaber.

Vera schaltete das Handy auf lautlos. Ihr war heute nicht nach Gesellschaft. Sie wollte nur eine Kleinigkeit essen und dann mit einem Glas Wein aufs Sofa und irgendetwas Belangloses im Fernsehen schauen.

Sie schob eine Tiefkühlpizza in den Ofen, die guten Essensvorsätze mussten bis morgen warten, und insgeheim wusste sie, dass denen morgen kein anderes Schicksal beschieden war.

Gegen die Arbeitsplatte der Küche gelehnt blieb sie neben dem Ofen stehen. In Gedanken war sie immer noch bei dem Fall. Ihr ehemaliger Ausbilder Stammer hatte ihr eingeschärft, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen, im Zweifelsfall lieber länger im Revier zu bleiben, um offene Punkte noch zu klären. Der Gedanke an ihn schmerzte sie, denn er war fast ein Ersatzvater für sie gewesen. Doch seit er eine neue Lebensgefährtin hatte, die aus, für sie, unerklärlichen Gründen eifersüchtig auf Vera war, bestand kein Kontakt mehr.

Gerne hätte sie seinen Rat zum aktuellen Fall gehört. Aber sie konnte sich unmöglich nach einem Jahr bei ihm melden und um seine Einschätzung bitten.

Sie warf einen Blick in den Backofen und stellte zufrieden fest, dass der Teig allmählich braun wurde. Noch eine, maximal zwei Minuten, entschied Vera und hatte wieder den Tatort vor Augen. Dieses Arrangement. Der Mörder hatte damit eine Botschaft übermitteln wollen, aber welche sollte das sein?

Vera hielt sich selbst zwar nicht für eine Romantikerin, aber eine derartige Inszenierung wäre selbst für ihre Freundin Gina zu dick aufgetragen. Und das, obwohl Gina Filme sah und Bücher las, in denen es um Liebe und Leidenschaft ging. Film und Realität waren etwas anderes. Oder?

Sie beschloss, Gina auf das Thema anzusprechen. Selbstverständlich, ohne den Fall zu nennen. Sie konnte es als generelles Interesse deklarieren.

Angenommen, das Opfer war eine Frau gewesen, für die derart plump zur Schau gestellte Romantik etwas war, wonach sie suchte?

Vera bemerkte zu spät den Geruch, der ihr in die Nase drang.

„Scheiße!“ Sie riss die Backofentür auf, doch es war zu spät. Ihre Pizza war zu etwas geworden, das in einem Kamin kaum noch aufgefallen wäre.

Vera seufzte, öffnete den Hängeschrank, nahm ein Weinglas heraus und füllte es bis zum Anschlag mit Sauvignon Blanc, von dem sie noch eine angebrochene Flasche im Kühlschrank hatte. Dann fiel das Essen eben aus, und sie würde die Kalorien in flüssiger Form zu sich nehmen.

Sie warf sich aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein. Das Programm fungierte aber bestenfalls als Hintergrundkulisse. Sie nahm einen Schluck Wein und sah Bastian Pastewka zu, der in der gleichnamigen Serie irgendeine Dummheit anstellte.

Migosch sprang leichtfüßig auf die Sitzfläche und rollte sich zu ihren Füßen ein. Vera kraulte ihn hinter den Ohren, dachte an Rosen und Kerzen und wie sie das alles weiterbringen sollte.

6

„Und das sind alle Läden, die Rosen verkaufen?“, fragte Vera.

Peters nickte und streckte ihr ein weiteres Blatt Papier entgegen. „Das sind Läden mit Kerzen, die welche dieses Typs verkauft haben.“

Vera betrachtete die Listen. Schon auf den ersten Blick waren das zu viele Läden, die sie alle befragen mussten, um dann, im besten Fall, halbwegs verwertbare Informationen zu bekommen. Sosehr es ihr widerstrebte, die einzige Spur aufzugeben, sie musste zugeben, dass sie zu nichts führen würde, außer Zeit- und Personalaufwand. Sie besann sich ihres Vorsatzes. Schließlich konnte Peters nichts dafür und hatte gute Arbeit geleistet. „Ich danke Ihnen“, sagte sie.

Peters kratzte sich am Ellenbogen. „Es sind zu viele, oder?“

„Leider ja. Es würde Tage dauern, die alle abzuklappern und aus den Informationen jemanden zu extrahieren, der als Täter infrage käme.“

„Vielleicht …“ Peters brach ab, als hätte er etwas Falsches gesagt.

Vera sah ihn aufmunternd an.

„Es könnte sein, dass es nichts ist, aber die Verkäuferin des Geschäftes in der Beilstraße berichtete von einem Kunden, der Kerzen kaufte und ihr seltsam vorkam.“

Vera wollte schon entgegnen, dass das gar nichts bedeutete. Da sie aber zurzeit keine bessere Spur hatte, nickte sie. „In Ordnung. Fahren Sie hin und befragen Sie sie. Vielleicht bekommen Sie etwas heraus, das uns weiterbringt.“

Ein zartes Lächeln erhellte Peters’ Gesicht. „Das erledige ich umgehend, Kommissarin Winter.“ Er blieb einen Augenblick unschlüssig stehen, und Vera hatte die absurde Vorstellung, er würde gleich die Hacken zusammenschlagen und ihr salutieren, stattdessen zuckten seine Mundwinkel kurz nach oben, dann verließ er ihr Büro.

Vera nahm die Akte in die Hand, blätterte durch die spärlichen Informationen und betrachtete die Bilder. Was entging ihr? Es musste irgendeine Spur geben, der sie folgen konnte, und die sie bislang übersehen hatte.

Sie wählte die Nummer der Rechtsmedizin. Nach zweimaligem Klingeln wurde abgenommen. „Frau Kommissarin. Sie möchten sicherlich mehr zu unserer Dauer-Grinserin wissen.“

Vera benötigte einen Moment, bevor sie begriff, worauf Sputnik hinauswollte. Sie würde sich wohl nie an diese merkwürdige Art des Humors gewöhnen, sofern man es überhaupt als solchen bezeichnen konnte. Vera mutmaßte, dass ein Beruf wie der des Rechtsmediziners diesen zweifelhaften Umgang mit in der Regel unnatürlichen Todesfällen erforderte. Es war das eine, sich mit Mord und Verbrechen zu befassen, aber einer Leiche, die so zugerichtet war, nahe zu kommen, sie aufzuschneiden?

„Hallo? Frau Winter?“

„Äh, ja. Exakt. Was haben Sie herausgefunden?“

„Wie ich Ihnen schon am Tatort sagte, die Dame wurde erdrosselt, mit den Händen. Dafür sprechen die Würgemale und Einblutungen in die Bindehäute der Augen.“

„Und die Lippen?“

„Die wurden erst nach dem Tod entfernt.“

„Was ist mit dem toxikologischen Befund?“

„Moment.“ Sie hörte, dass Sputnik auf seiner Tastatur tippte. „Da haben wir’s. Gammahydroxybuttersäure.“

„K.-o.-Tropfen?“

„Wird in der Laiensprache so bezeichnet. Oder auch als Liquid-Ecstasy.“

„Hätte das sie nicht völlig ausgeknockt?“ Vera musste daran denken, dass der Rezeptionsmitarbeiter im Hotel das Opfer zwar als betrunken bezeichnet und davon gesprochen hatte, dass sie gestützt werden musste, aber das sprach nicht für eine Bewusstlosigkeit.

„Wie Paracelsus schon sagte, macht die Dosis das Gift, Frau Kommissarin. Gammahydroxybuttersäure ist ein Narkosemittel, wobei ein Bewusstseinsverlust erst ab einer gewissen Dosis auftritt.“

„Eine geringere Menge hätte dann eine Wirkung, als wäre jemand betrunken?“

„Durchaus.“

Vera dachte einen Augenblick nach, was ihr zu K.-o.-Tropfen einfiel. „In ein Getränk gemischt, würde man sie nicht bemerken?“

„Die Flüssigkeit ist farb- und geruchslos und hat einen seifigen Geschmack, der aber in einem Getränk mit starkem Eigengeschmack, wie beispielsweise Cola, gut überdeckt werden kann.“

Was für ein unheilvolles Gift, dachte Vera. Es erklärte, warum der Mörder sein Opfer ohne größere Gegenwehr überwältigen konnte. „War die Familie der Verstorbenen schon da, um die Leiche zu identifizieren?“

„Noch nicht.“

Das war ungewöhnlich. Normalerweise reagierte die Familie sofort, wenn sie erfuhr, dass einem Familienmitglied etwas zugestoßen war. „Danke“, sagte Vera.

„Nicht dafür.“

„Halten Sie mich auf dem Laufenden, bitte?“

„Sobald sie die Lippen aufmacht, erfahren Sie es als Erste.“

Vera beendete das Gespräch. Sie war nicht in der Stimmung für derartige Witze. Das war sie wohl nie.

Sie wählte die Nummer der Telefonzentrale. „Linda?“, fragte sie, sobald ihr Anruf angenommen wurde.

„Hey, Vera. Was kann ich für dich tun?“

Vera mochte Linda. Obwohl – oder gerade weil – sich ihre Bekanntschaft auf die Arbeit beschränkte. „Die Familie des Opfers“, sie blätterte in der Akte, um den Namen zu finden, „Luisa Bosner, sie hat die Leiche noch nicht identifiziert.“

„Wir haben sie auch noch nicht erreicht.“

„Wieso das?“

„Sie sind im Urlaub. Auf einer dieser Arktis-Expeditionskreuzfahrten. Wir haben zwar die Reederei kontaktiert, wollten aber die Information so nicht weitergeben. Haben nur darum gebeten, dass die Eltern sich schnellstmöglich melden.“

„Okay.“

„Das kann aber noch ein paar Tage dauern, da sich das Schiff an einer Stelle befindet, an der sich die Kontaktaufnahme schwierig gestaltet.“

„Verstehe.“ Vera fragte sich, ob in diesem Fall irgendetwas komplikationslos lief.

„Aber eventuell hätte ich eine Alternative?“

„Ja?“

„Ich wollte dich nicht direkt zu Anfang damit behelligen, ich weiß ja, wie viel du immer zu tun hast.“

Vera wurde es warm ums Herz. Wieso hatte jemand wie Linda so viel Verständnis für sie und ihre Situation, während ihre Ex-Partner die vermissen ließen?

„Uns hat schon mehrfach eine Frau angerufen.“ Ein Rascheln ertönte, als Linda nach etwas kramte. „Angela Berk. Sie hat Luisa Bosner als vermisst gemeldet, da die zu einem Treffen mit ihr nicht aufgetaucht und auch nicht erreichbar sei.“

„Eine Freundin?“

„Scheint so. Und jemand, der sich wirklich Gedanken macht. Sie hat, wie gesagt, schon mehrmals angerufen.“

Vera nickte. „Kannst du mir die Nummer geben?“

„Klar.“

Vera notierte die Telefonnummer, verabschiedete sich von Linda und wählte.

„Berk?“

„Guten Tag. Mein Name ist Winter. Kommissarin Winter.“

„Endlich rufen Sie zurück.“ Die Erleichterung war der jungen Frau anzuhören. „Geht es um Luisa? Geht es ihr gut?“

„Frau Berk, wäre es möglich, dass Sie zu mir aufs Revier kommen?“

„Bitte sagen Sie mir, dass es Luisa gut geht.“

„Frau Berk, es wäre besser, das persönlich zu besprechen.“

„Also ist ihr was passiert?“ Ein Schluchzen, dann: „Ich hatte gleich so ein komisches Gefühl, als sie mir von dem neuen Kerl erzählte.“

„Neuer Kerl?“ Veras Herz pochte laut in ihrer Brust. Endlich eine Information, die eine Spur sein könnte.

„Luisa hat mir vor wenigen Wochen von ihm erzählt. Einem Jannik.“

Vera befeuchtete ihre Lippen. „Frau Berk, wann können Sie herkommen?“

„Wenn Sie wollen, jetzt gleich.“

„Das wäre prima.“

Vera verabschiedete sich von Frau Berk und legte auf. Linda hatte recht, die Dame wirkte besorgt und wie eine enge Freundin, sicherlich konnte sie sogar mehr Informationen liefern als die Eltern.

Luisa Bosner hatte also jemanden kennengelernt. War dieser Unbekannte der Killer? Falls ja, stellte sich die Frage, ob er sie ausgesucht hatte oder ob es sich um ein zufälliges Opfer handelte. Die Art, wie der Tatort hergerichtet wurde, ließ im Grunde nur die erste Möglichkeit zu. Es handelte sich um einen Täter, der wusste, was er tat, der planvoll vorging.