Tödliche Brieffreundschaft - Bernd Küpperbusch - E-Book

Tödliche Brieffreundschaft E-Book

Bernd Küpperbusch

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Beschreibung

DDR, 1960er-Jahre. Weshalb endet der Briefwechsel mit seiner norwegischen Brieffreundin so abrupt? Warum konnten die Briefe bis dahin überhaupt unbehelligt die Kontrollen der Staatssicherheit passieren? Nach der Wende beginnt er mit Nachforschungen in traumhafter norwegischer Landschaft. Aber die Umstände um die Person seiner Brieffreundin werden immer mysteriöser: Niemand kannte sie, sie scheint nicht existiert zu haben. Kurz vor seinem Eintreffen im hohen Norden geschehen Morde, die Licht ins Dunkel seiner Nachforschungen hätten bringen können. Mithilfe eines charismatischen Kommissars und des norwegischen Geheimdienstes kommt eine verzwickte Spionage-Geschichte ans Licht, die bis ins Dritte Reich zurückreicht und verblüffende technische Innovationen offenbart. Nebenbei erfährt er große Unterstützung aus der Bevölkerung und findet Freunde fürs Leben. Politische Geheimnisse, die sechs Dekaden umspannen, vereint mit großen Gefühlen – Spannung pur.

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Bernd Küpperbusch

Tödliche Brieffreundschaft

Roman

Dieses Buch ist bei der Deutschen Nationalbibliothek registriert. Die bibliografischen Daten können online angesehen werden:

http://dnb.d-nb.de

Der Autor

Bernd Küpperbusch, geboren 1950 in Halle an der Saale, der Stadt, in der er Kindheit und Jugend verlebte. Im Anschluss an das Abitur nach Magdeburg gezogen, wo er an der Technischen Hochschule studierte. Arbeitete dann in verschiedenen Führungspositionen im Bereich der Energiewirtschaft und im Anlagenbau. Ist heute beratend für weltweit agierende Unternehmen auf diesem Gebiet tätig.

Als Gegenpol zur sachlich nüchternen Berufstätigkeit hat er sich stets mit dem literarischen Genre befasst. Einem größeren Leserkreis sind dabei besonders seine Reisereportagen speziell aus den USA und Chile bekannt.

Impressum

© 2016 KellnerVerlag, Bremen • Boston

St.-Pauli-Deich 3 • 28199 BremenTel. 04 21 - 77 8 66 • Fax 04 21 - 70 40 58

[email protected] • www.kellnerverlag.de

Lektorat: Sebastian Liedtke & Manuel Dotzauer

Satz: Sebastian Liedtke

Umschlag: Jens Vogelsang, Aachenunter Verwendung eines Fotos von Reimund Rose sowie eines von Wandersmann, www.pixelio.de

Vignetten: Reimund Rose (Titel) und Rainer Sturm (Seitenzahlen), www.pixelio.de

ISBN 978-3-95651-098-4

Mange Takk ...

gebührt meinen norwegischen Freunden und Helfern, die mir nicht nur bei den Recherchen in der Einsamkeit der wilden Bergwelt hilfreich zur Seite standen, sondern mich auch großartig dabei unterstützten, Türen zu öffnen, die ansonsten ziemlich fest verschlossen sind …

Vielen Dank ...

auch denen, die mir in Deutschland halfen, so manche Unterlagen ausfindig zu machen, ohne die es diese Geschichte nicht gegeben hätte …

Sollten Übereinstimmungen im Buch zu lebenden oder verstorbenen Personen und deren Handlungen, zu Institutionen, Einrichtungen oder Unternehmen auftreten, wären diese von rein zufälliger Natur.

Kapitel 1. Schlüssel zu revolutionärer Technologie

Firmensitz eines Energiekonzerns in Oslo, Norwegen – 2002

Als Lasse Brendboe die Tür des gläsernen Fahrstuhlliftes verlassen hatte und sich auf den Weg zum Büro seines Vorstandsvorsitzenden machte, traf er im Flur auf einen ehemaligen Kollegen, für den der Ruhestand bereits in greifbarer Nähe lag.

»Na, Lasse, alles klar? Man hört und sieht ja kaum noch was von dir. Dabei haben wir alle gedacht, dass du hier eine steile Karriere machst.«

»Danke der Nachfrage, Olav. Mir geht es trotzdem gut, und du weißt ja, mit den Karrieren ist das ein weites Feld. Für den einen ist es eine ganz großartige Stellung, wenn er morgens mit schickem Anzug und Seidenschlips sein geräumiges Büro betritt und über drei Mitarbeiter herrschen darf. Und der andere fühlt sich eben wohler, wenn er seine Ideen auch mal im Blaumann entwickeln kann.«

»Na, dann gehörst du wohl eher zur zweiten Sorte von Karrieristen, wenn ich so auf deine abgewetzten Jeans schaue«, lachte der Fast-Rentner. »Dann grüß mal deinen alten Herrn herzlich von mir. Ich wollte schon lange mal wieder bei ihm vorbeischauen, wenn ich da oben bei ihm bin. Aber wie so vieles liegen bleibt, ist auch dieses Vorhaben immer wieder in die nähere Zukunft verschoben worden. Na ja, als Pensionär habe ich dann endlich die Zeit, mal wieder zu ihm zu fahren.«

»Da wird er sich sehr freuen. Er ist übrigens topfit, und wenn du hochfährst, schau nicht nur einfach vorbei, Olav. Klingle bei ihm, und gehe auch ins Haus hinein, das wird seine Freude mit Sicherheit verstärken!«

»Alter Spinner! Immer noch darauf aus, alte Leute zu veralbern.«

»Aber, Olav, ich sehe hier doch keine ›alten Leute‹! Und wenn du meinen Vater Steinar triffst, dann hüte dich, solcherlei Bemerkungen zu machen, wenn du nicht darauf verzichten willst, ein kaltes Bier angeboten zu bekommen!«

»Na ja, dann ist er wohl ganz der Alte geblieben«, lachte Olav und verabschiedete sich von Lasse.

Dieser schmunzelte leicht in sich hinein. Was würde Olav wohl zu seiner Karriere sagen, wenn er wüsste, was er da oben im Norden so machte und warum man ihn kaum hier in seinem Büro in der Konzernzentrale antreffen konnte?

Die Sekretärin seines direkten Vorgesetzten erwartete ihn schon ungeduldig. »Lasse, wo bleiben Sie denn? Er hat schon zweimal nach ihnen gefragt und wollte Sie schon persönlich aus Ihrem Büro abholen.«

»Also, das wäre wirklich zu viel der Ehre für mich. Aber Spaß beiseite, wir hatten kein Treffen für heute mit ihm vereinbart. Und ich hatte einen enorm wichtigen Termin zu erledigen, weswegen ich eigentlich nur hierher nach Oslo gekommen bin. Ich habe mich mit zwei Physikern der Universität getroffen, von denen ich dringende Unterstützung für die Lösung eines technischen Problems bei uns oben auf der Baustelle brauche. Und wenn es da zu Verzögerungen kommt …« Er liebte es, Sätze einfach unvollendet im Dunklen verschwinden zu lassen, um so eine besonders wichtige inhaltliche Bedeutung zu unterstellen.

»Ja, ich weiß, Lasse«, lachte die Sekretärin, »aber vergessen Sie nicht, wer der Boss ist.« Dabei öffnete sie die Tür zu einem großen, stilvoll eingerichteten Büro mit einem herrlichen Blick auf den Fjord. »Herr Brendboe ist da.«

Der Vorstandsvorsitzende unterbrach das Gespräch mit einem Mann, der mit lässig übereinandergeschlagenen Beinen am Konferenztisch saß und gerade an einem Espresso schlürfte.

»Kommen Sie herein, Lasse. Wir warten schon sehnsüchtig auf Sie und wollten schon fast die Hoffnung aufgeben, Sie heute noch zu sehen.«

Trotz dieser etwas bissig klingenden Begrüßung merkte Lasse sofort, dass es keine ernst gemeinte Kritik war, sondern nur Ausdruck davon, dass man sein Erscheinen offensichtlich mit einiger Dringlichkeit erwartet hatte. Das erstaunte ihn zwar einerseits, weil er sich gar nicht vorstellen konnte, was denn da so dringend war, zumal er in schöner Regelmäßigkeit die Chefetage über alles Wichtige informierte, was auf der Baustelle so passierte. Und irgendwelche speziellen Probleme oder Schwierigkeiten gab es im Augenblick nicht. Andererseits beruhigte ihn das Auftreten seines direkten Vorgesetzten auch wieder. Es war ihm nämlich durchaus bekannt, dass sein Chef im Bedarfsfall auch recht unangenehm werden konnte. Selbst manches Vorstandsmitglied war schon selbstbewusst lächelnd in dieses schöne Büro eingetreten, um wenige Minuten später zerknirscht als neuernannter Regionalleiter in die tiefste Provinz abreisen zu dürfen. Ein solches Ungemach schien Lasse Brendboe aber nicht zu drohen, zumal er seinen Arbeitsplatz in der nordischen Provinz ohnehin unter keinen Umständen freiwillig mit einem ständigen Aufenthalt in seinem noch so schönen Büro hier in der Zentrale eintauschen würde.

»Lasse, ich möchte Ihnen Bjørn Ole Soederstroem vorstellen. Er leitet nicht nur eine wichtige Abteilung in der Politiets Sikkerhetstjeneste, die sich speziell damit befasst, sicherzustellen, dass keine für unser Land oder unsere Unternehmen bedeutsame Entwicklungen in Hände gelangen, in die sie nicht gehören. Bjørn Ole ist auch ein langjähriger und guter persönlicher Freund von mir.«

Dann wandte er sich an den Gast und stellte ihm seinen Mitarbeiter vor. »Das ist Lasse Brendboe, dem wir nicht nur das Projekt an sich, sondern auch den heutigen Entwicklungsstand verdanken.«

Dass dieser Besucher nicht nur wichtig zu sein schien, sondern natürlich auch ein persönlicher Freund von seinem Chef war, wunderte Lasse überhaupt nicht. Es war allgemein bekannt, dass der Vorstandsvorsitzende unendlich viele wichtige Leute kannte, und im Wesentlichen waren die alle auch seine persönlichen Freunde. Wie eine Spinne hatte er ein Netz gewoben, das wohl in jeden Winkel des ganzen Landes reichen dürfte und so manche unternehmerische Entscheidung wesentlich befördert hatte. Dieses Wissen behielt Lasse jedoch klugerweise still in seinem Inneren verborgen, räusperte sich aber dennoch, um anzuzeigen, dass er dazu etwas zu sagen wünschte.

»Um das gleich mal richtigzustellen: Mir allein ist dieser Bearbeitungsstand wahrlich nicht zu verdanken. Sie sollten schon dazu sagen, dass wir ein paar Hundert Leute sind, die da oben rumwerkeln. Aber wahrscheinlich wissen Sie das sowieso, Herr Soederstroem. Denn wenn ich das richtig verstehe, sind Sie wohl sowas wie ein James Bond, obwohl ich Sie ehrlich gesagt zuerst für einen Steuerprüfer gehalten habe.«

Lasses schnoddrige Erwiderung auf die Vorstellung des Gastes zeigte seine innere Unsicherheit, wie er mit dieser Gesprächseröffnung umgehen und was der eigentliche Grund für dieses überraschende Zusammentreffen sein sollte.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass unser Lasse Brendboe einen sehr eigenen Humor pflegt und du wohl einige Zeit benötigen wirst, den auch zu verstehen?«, lächelte der Vorsitzende milde. »Doch nun zur Sache, warum wir Sie hergebeten haben. Wie läuft es bei Ihnen da oben, Lasse?«

»Ich kann nicht klagen! Wir liegen gut im Zeitplan, und alle bereits fertiggestellten Module arbeiten wie von uns erwartet durchgängig perfekt. Natürlich haben wir auch noch dieses und jenes Problem zu lösen. Das ist übrigens der Grund für meine Verspätung, die ich nochmals zu entschuldigen bitte.«

Eigentlich sah Lasse ja keinen Grund, sich für sein Zuspätkommen zu entschuldigen. Aber er dachte auch an die mahnenden Worte der Sekretärin bei seinem Eintreffen und daran, dass er seinen Chef ganz gewiss nicht verärgern sollte. Außerdem verwirrte ihn diese Gesprächsrunde, und er wollte etwas Zeit gewinnen, sich besser darauf einzustellen. Deshalb holte er etwas weiter aus und begann seine technischen Erklärungen. »Ich habe heute an der Universität mit zwei Experten von der Fakultät für Physik zu tun gehabt, da wir zurzeit mit Schwierigkeiten bei den magnetischen Übertragungsmechanismen kämpfen. Aber ich bin sicher, dass wir auch das bald lösen werden. Außerdem …«

Hier unterbrach ihn sein Chef. »Lasse, wir wollen jetzt keine technischen Details hören. Ehrlich gesagt, verstehen wir davon wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte. Da verlassen wir uns doch voll und ganz auf Sie … und natürlich auf Ihre Leute«, ergänzte er sofort in Anlehnung an die Bemerkung seines Projektleiters von vor wenigen Minuten.

»Sie wissen sicher, dass der Aufsichtsrat mein Mandat als Vorstandsvorsitzenden vor einem Monat um weitere fünf Jahre verlängert hat.«

Lasse nickte kurz, um anzuzeigen, dass er natürlich, wie jeder andere im Konzern auch, bereits darüber informiert war.

»Sie sollten wissen, dass ich mir diese Entscheidung wirklich nicht ganz leicht gemacht habe und ich lange überlegen musste, ob ich mir dass in meinem Alter noch antun sollte.«

Brendboe wusste, dass sein oberster Chef das offizielle Rentenalter bereits vor zwei Jahren erreicht hatte. Auch hatte er ein Berufsleben zelebriert, das im Ergebnis mehr als faszinierend war. Immer im gleichen Unternehmen tätig, hatte er sich mit Fleiß, Beharrlichkeit, Glück und einer guten Portion kräftiger Ellenbogenstöße von einer kleinen Instandsetzungswerkstatt im Offshore-Bereich an der Küste bis an die Spitze des Konzerns gearbeitet. Dass dieser Konzern heute in der Weltliga internationaler Energiemultis einen bemerkenswerten Platz einnahm, war zu großen Teilen sein persönlicher Verdienst und wurde nicht nur von den Aktionären, sondern auch von Aufsichtsrat und vielerlei politischen Gremien ununterbrochen gewürdigt. Sah man den begnadeten Rhetoriker auf Veranstaltungen, in Talkrunden oder bei sonstigen Auftritten in den Medien, würde man kaum glauben, dass dieser sportlich-schlanke Mann mit seiner liebenswürdigen Ausstrahlung den Konzern mit harter Hand dirigierte wie ein Virtuose am Pult der Osloer Philharmonie. Dass er sich aber noch einmal der Wahl gestellt hatte, war für viele dann doch überraschend gewesen – für Lasse eigentlich nicht.

Brendboe konzentrierte sich wieder auf die Worte seines Chefs.

»Wir setzen alle Hoffnungen auf dieses wahnsinnige Projekt, und jeder von uns in diesem Raum weiß, dass es ein großes Glück war, überhaupt ein solches Vorhaben starten zu können. Übrigens auch Glück für Sie, Lasse. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele hochbegabte Ingenieure jeden Tag von Tür zu Tür laufen und ihre sicher hervorragenden Ideen jemandem zur Vermarktung anbieten, ohne dass sich jemals eine von diesen Türen öffnen wird?«

»Ich habe davon gehört …«, knirschte Lasse zwischen seinen Zähnen hervor.

»Sie, Lasse, verfügen – natürlich gemeinsam mit Ihren Leuten – über fast 60 Prozent unseres gesamten Forschungsetats für dieses Projekt. Wie viel haben Sie bisher an finanziellen Mitteln eingesetzt?«

»Genaue Zahlen habe ich jetzt nicht zur Hand, aber so ungefähr 18 Milliarden Kronen.«

»18 Milliarden Kronen …« Der Vorsitzende lächelte wieder milde und blickte zu seinem noch immer schweigsamen Gast, »nicht eben wenig, Bjørn Ole, nicht wahr?«

Soederstroem verzog keine Miene und sah zu Lasse.

»Wann glauben Sie, Brendboe, ist Ihr Projekt abgeschlossen und marktreif?«

»Wie geplant, in 42 Monaten!«

Die Augen des Vorstandsvorsitzenden strahlten. »In 42 Monaten verfügen wir über eine Technologie, die den gesamten Energiemarkt umkrempeln und revolutionieren wird – und unser Konzern wird die unumstrittene Nummer eins unter allen Unternehmen dieser Welt sein. Und das Ganze passiert – das wollen wir nun besonders hervorheben – unter dem Aspekt, dass wir ökologische Maßstäbe setzen werden und Kriterien erfüllen, die weltweit zu einer Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen führen, die man heute nicht für möglich hält! Und nur wir halten dafür den Schlüssel in der Hand. Da möchte ich wahrlich nicht am Fjordufer sitzen und Fische angeln, das will ich noch an meinem Schreibtisch zu verantworten haben.«

Die drei Männer sahen sich schweigend an, und keiner wollte diese Stimmung durch unbedachte Worte stören. Nur der Vorsitzende fuhr nach einer ganzen Weile des Schweigens fort. »Ihr wisst ja, wie die Wettbewerbshüter darauf bedacht sind, Monopolstellungen zu verhindern und zu bekämpfen. Und diese Leute haben völlig Recht: Monopole sind schlecht! Es sei denn, man hat selbst eines!«

Er schüttete sich aus vor Lachen, wurde dann aber sofort wieder ernst. »Jetzt wisst Ihr, warum ich meinen Vertrag noch mal verlängert habe. Ich will dieses Ziel unbedingt erreichen und den Konzern damit in eine noch nie dagewesene Zukunft führen. Und deshalb, Lasse, gibt es Ihrerseits aktuell nicht doch noch irgendwelche Problemstellungen, die unsere Zielfunktion gefährden?«

Brendboe ließ sich einige Zeit, ehe er antwortete. »Nicht ganz einfache Frage. Trotzdem einfache Antwort: Aus heutiger und aus technischer Sicht – nein!«

»Diese Antwort, mein Lieber, gefällt mir in zweierlei Hinsicht. Zum einen haben wir offensichtlich den technischen Ablauf – ohne jede Frage zuerst wegen Ihrer Leistungen – bestens im Griff. Zum anderen verweisen Sie zu Recht darauf, dass es einen weiteren wichtigen Aspekt gibt, den wir mit allen Mitteln absichern müssen. Unser Erfolg steht und fällt damit, dass dieses Projekt nicht mit dem kleinsten Detail bekannt werden darf, bevor wir das wollen!«

Brendboe schaute durch die großen Panoramafenster hinunter zum Fjord, ehe er seinem Chef erwiderte, dass das ja bisher bestens funktioniert habe. »Immerhin arbeiten wir schon eine ganz Weile an dem Projekt, ohne dass jemand unbefugt davon erfahren hat.«

»Und genauso soll es auch bleiben!«, mischte sich nun erstmalig Soederstroem aktiv in das Gespräch ein. »Sie dürfen nicht vergessen, dass es hier auch um nationale Interessen geht, die weit bis in das nächste Jahrhundert reichen werden. Es geht um Arbeitsplätze, es geht um Steueraufkommen, letztlich geht es darum, wie wir hier unsere Zukunft gestalten werden.«

»Und deshalb, Lasse«, meldete sich der Konzernchef zu Wort, »werden Sie ab sofort eng mit Herrn Soederstroem und seinen Leuten zusammenarbeiten. Das ist kein Wunsch oder eine Bitte von mir. Betrachten Sie das als Weisung, und sorgen Sie für eine entsprechende Umsetzung. Wenn Sie keine weiteren Fragen dazu haben, wäre das für heute alles. Grüßen Sie Ihren Vater herzlich von mir!«

Diese Sätze mit dem fast abrupt wirkenden Gesprächsende ließen an Klarheit und deutlicher Festlegung nichts an Interpretationsspielraum zu, so dass Brendboe nur kurz nickte und sich erhob, um leicht irritiert ob dieser Entwicklung den Raum zu verlassen. Soederstroem verabschiedete sich mit einem festen Händedruck von Lasse.

»War vielleicht ein bisschen überraschend für Sie, trotzdem freue ich mich auf unsere Zusammenarbeit. Und ich denke, wir werden gut miteinander klarkommen, obwohl Sie in mir mehr den Finanzbeamten vermutet haben. Glauben Sie mir, von dem trennt mich wahrscheinlich genauso viel, wie das vermutlich bei Ihnen der Fall ist – nämlich schlicht und einfach der ewige Streit um die Steuererklärung.«

Als Lasse Brendboe nachdenklich den Gang zum Fahrstuhl entlanglief, war er sich sicher, dass die Zusammenarbeit mit diesem Geheimdienstmann nicht ganz einfach für ihn würde. Aber der schien zumindest Humor zu haben, wie er bei der Verabschiedung zu erkennen gegeben hatte. Und in der Konsequenz war es für Lasse zukünftig vielleicht sogar einfacher, wenn er sich ausschließlich auf seine technischen Problemstellungen konzentrierte und es diesem Soederstroem überlassen konnte, all diese Sicherheitsfragen zu bearbeiten.

Als er im Taxi zum Flugplatz saß, schien ihm die Situation wesentlich freundlicher, als er sie im ersten Moment im Chefbüro empfunden hatte. Er sah Soederstroem nicht mehr als seinen persönlichen Aufpasser, wie er es im ersten Moment des Gespräches empfunden hatte, sondern als jemanden, der die von ihm ohnehin nicht sonderlich geliebte Arbeit im Sicherheitsbereich zukünftig verantworten musste.

Kapitel 2. »… was Sie mit aller Gewalt geheim-halten wollen!«

Zentrale des Nachrichtendienstes PST

Soederstroem hatte keine Zeit mit seinen Vorbereitungen verloren. Nur wenige Stunden nachdem er die Zentrale des Energieriesen verlassen hatte, waren etwa 20 seiner Mitarbeiter im abhörsicheren Besprechungszimmer versammelt. Alle gehörten der höchsten Sicherheitsstufe an, die es in dem Bereich überhaupt gab, und kamen aus den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen. Dass diese Besprechung wohl eine überproportional hohe Wichtigkeit haben musste, konnten sie schon daran erkennen, dass Leute anwesend waren, die eigentlich sehr selten in solcherlei Veranstaltungen zu sehen waren.

»Ich habe euch hergebeten, um euch mitzuteilen, dass ihr ab sofort von allen anderen Arbeitsaufgaben, mit denen ihr euch befasst, entbunden seid.« Soederstroem wartete einige Sekunden, bevor er weitersprach, wusste er doch, dass diese Information bei den meisten der Anwesenden nicht nur Überraschung hervorrufen würde, sondern mit einiger Sicherheit auch Unbehagen bereiten dürfte. Immerhin waren einige der Spezialisten mit Aufgaben befasst, die man nicht so ohne weiteres auf andere Mitarbeiter übertragen oder einfach liegen lassen konnte. Andererseits wusste er, dass niemand auch nur im Ansatz seine Festlegung in Frage stellen würde.

Jedem im Hause war klar, dass man Soederstroems Vorgaben einfach nur auszuführen hatte. Er duldete weder Widerspruch oder Nachfragen, noch interessierten ihn Hinweise seiner Unterstellten. Er sah sich als den unumstrittenen Kapitän im Team, der die Pässe spielte; alle anderen hatten zu rennen und diese Vorlagen erfolgreich zu verwerten. Wer sich dagegen auflehnte, war gnadenlos auf der Ersatzbank gelandet oder letztlich ganz schnell auf der Transferliste angekommen. Nicht nur seine große Erfahrung in diesem geheimdienstlichen Spiel, vor allem auch sein Instinkt und das Gespür für ungemein kritische Situationen hatten ihm nicht nur seine Position an sich eingebracht. Auch der immer sichere Erfolg seines Handelns war im Hause legendär und machte ihn zu einem unangreifbaren Mythos.

Trotzdem hatte Soederstroem beschlossen, diesmal seine Mitarbeiter tiefer in die Gesamtproblematik einzuweihen, als er das üblicherweise für notwendig hielt. Und so berichtete er im weiteren Verlauf der Beratung tatsächlich darüber, welches Projekt in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit gehören würde, ohne natürlich ins Detail zu gehen.

Wieder wartete er einige Sekunden, als er diesen Vortrag beendet hatte, und blickte in die Runde der versammelten Experten. Ungläubiges Staunen und verwunderte Fragen erfüllten den Raum.

»Bjørn, das ist doch nicht dein Ernst. Das ist doch überhaupt nicht möglich«, erwiderte ein Mann mittleren Alters.

»Glaube mir, mein Freund, nichts ist uns ernster im Augenblick. Du kannst versichert sein: Wenn es nicht möglich wäre, würden wir bestimmt nicht hier sitzen.«

Soederstroem wusste sofort, dass es richtig gewesen war, die Leute zumindest soweit in das Projekt blicken zu lassen, dass sie erkannten, welch überragende Bedeutung es hatte. Damit hatte er sofort die innere Spannung bei ihnen erreicht, die fortan notwendig sein würde, um die von ihm geplanten Aktivitäten erfolgreich umzusetzen.

Entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten griff er deshalb auch nicht ein, als seine Mitarbeiter noch immer ungläubig über das soeben Gehörte diskutierten. »Wie sind die bloß darauf gekommen, man ist richtig fassungslos«, konnte sich einer der IT-Spezialisten noch immer nicht beruhigen.

Soederstroem lächelte zwar, als er ihm antwortete, aber die Mitarbeiter erkannten schon am Tonfall der Stimme, dass er diese Fragestunde nunmehr beenden wollte. »Das entzieht sich ehrlich gesagt meiner Kenntnis, und es ist auch kein Problem, was unsere Arbeit in irgendeiner Form tangiert. Es sind ja oftmals die einfachen Gedanken und Ideen, die sich zum Schluss als genial erweisen, so dass man sich fragt, warum man nicht selbst darauf gekommen ist. Aber noch mal: Darüber müssen wir uns keine Gedanken machen! Wir werden jetzt auch das Staunen und Wundern einstellen und uns wieder unseren Aufgaben widmen.«

Für die anwesenden Mitarbeiter war sofort erkennbar, dass Soederstroem wieder in seinem bekannten Arbeitsmodus angekommen war und dass es nun nur noch galt, seine Festlegungen diskussionslos entgegenzunehmen.

»Unsere Aufgabe wird es sein, alles – und ich betone es noch mal: alles – zu tun, um dieses Projekt vor jeglichem Bekanntwerden zu schützen! Das ist unsere Profession und stellt uns nicht vor unbekannte oder unlösbare Probleme. Ich sage es mal ganz spaßig: Wenn irgendwo in den Bergen ein neuer Schimmelkäse hergestellt werden soll und wir die Aufgabe hätten, diesen Käse erst dann bekannt werden zu lassen, wenn er in der Theke liegt, dann machen wir das. Und dabei interessiert uns weder, ob der tatsächlich schmeckt, wie viel Milch mit welcher Fettstufe verwendet wurde oder wie attraktiv die Bäuerin ist, die diese Milch gerührt hat. Wenn aber ein Fremder unbefugt auf die Alm schleicht oder ein Server irgendwo auf dieser Welt klammheimlich das Rezept vom Laptop der Bäuerin mausen will, dann sind wir da und werden das verhindern. Und nichts anderes machen wir jetzt mit diesem Energieprojekt.«

Soederstroem schmunzelte, als er weiterredete. »Zugegebenermaßen ist der Aufwand bei diesem Fall um ein Vielfaches größer. Und natürlich wäre auch der Schaden höher, wenn wir bei diesem Projekt versagen würden. Aber das werden wir natürlich nicht.«

Soederstroem unterbrach seine Ansprache und sah in der versammelten Runde, dass seine Worte offensichtlich den von ihm gewünschten Eindruck gemacht hatten. »Kommen wir also zu den ersten Arbeitsschritten, die wir umgehend einleiten werden. Zuerst kann ich euch sagen, dass die bisherige Sicherstellung der Geheimhaltung des Projektes ausschließlich mit konzerneigenen Kapazitäten realisiert worden ist. Mein Eindruck ist, dass dies sehr professionell und wohl auch erfolgreich gemacht wurde. Das werden wir aber noch detailliert überprüfen müssen. Insgesamt verantwortlich ist der Technikvorstand Lasse Brendboe, der sich ausschließlich darum kümmert.«

Die Raumbeleuchtung verlosch, und an die Wand wurde ein Bild von Lasse projiziert.

»Er ist der geistige Vater des Projekts, und auch die Realisierung der Aufgabe obliegt seiner Regie. Ein ausgesprochen fähiger Kopf, der aber eigentlich nur die technischen Abläufe als sein Aufgabengebiet ansieht. Alle sonstigen Problemstellungen, eben auch die Fragen der absoluten Geheimhaltung, sind für ihn ungeliebte Notwendigkeiten. Unabhängig davon, dass ich bislang keinen Mangel in seinen bisherigen Entscheidungen auf diesem Gebiet sehen kann, war dies der Hauptgrund, nunmehr uns federführend einzubinden. Ich habe ihn kurz persönlich kennen gelernt, er wirkt ausgesprochen kompetent. Aufgrund seiner Arbeit hat er im Konzern verständlicherweise einen fast unantastbaren Status. Aber ich habe auch gespürt, dass sich seine Freude, uns nunmehr als neue Kollegen auf seiner Baustelle begrüßen zu können, in ziemlich engen Grenzen gehalten hat. Ich werde den Kontakt zu Brendboe persönlich halten. Das heißt, niemand von euch wird in seiner Nähe auftauchen. Wenn ihr also konkrete Fragen an ihn haben solltet, geht das nur über mich. Haben wir uns da verstanden?«

Niemand der Versammelten antwortete auf diese Frage, nur vereinzelt wurde genickt. Jeder wusste, dass Soederstroem auch nicht ernsthaft auf diese Festlegung eine Erwiderung erwartet hatte – es war seine Art, gewisse Akzente zu setzen, wenn es darum ging, klarzumachen, wer das Sagen hatte.

Lasse Brendboes Bild an der Wand wurde abgelöst durch das des Vorstandsvorsitzenden Ion Mortensen. Soederstroem erklärte den Anwesenden einiges zu dessen Funktion und wie er mit dem Projekt befasst war. Diese Erklärungen waren fast unnötig, denn alle kannten den Mann aus jeden verfügbaren Medien. Es verging wohl keine Woche, ohne dass er irgendwo irgendwelche Kommentare abgab.

»Der Chef des Konzerns ist über alle unsere zukünftigen Aktivitäten informiert, und wir erhalten selbstverständlich alle erforderliche Unterstützung. Einige von euch werden in der Konzernzentrale als Mitarbeiter im IT-Bereich eingesetzt. Doch dazu später. Ihr zwei«, Soederstroem blickte in Richtung zweier Mitarbeiterinnen, »geht in den Bereich des Personalchefs. Der ist zwar nicht über unsere Arbeit informiert, ihr erhaltet aber alle Kompetenzen, die erforderlich sind. Ich will über jeden, der mit diesem Projekt befasst ist, egal an welcher Stelle er arbeitet, alles wissen. Und was ihr nicht im Unternehmen findet, tragt ihr anderweitig zusammen. Und ich will das eigentlich hier nicht besonders betonen, weil es selbstverständlich ist: Natürlich lückenlos! Ich kann heute nicht sagen, um wie viele Personen es sich genau handelt, die in dieses Projekt involviert sind, aber einige Hundert sind es wohl schon. Wenn ihr es also nicht allein schafft, alle betroffenen Mitarbeiter, und das auch möglichst schnell und allumfassend, zu überprüfen, dann sagt mir Bescheid, dann bekommt ihr zusätzliche Unterstützung.«

Eine der beiden angesprochenen Damen meldete per Handzeichen zu Wort. »Wie weit sollen wir den Kreis der zu untersuchenden Mitarbeiter ziehen?«

Soederstroem reagierte leicht ungehalten. »Was ist das für eine Frage, Anett? Ich glaube, ich habe unmissverständlich gesagt, alle, die mit dem Projekt befasst sind, werden überprüft!«

»Na ja, nur im Prinzip sind ja auch der Vorstandsvorsitzende und Lasse Brendboe mit diesem Projekt befasst.«

»Na, dann musst du sie auch überprüfen, Anett. Ist das so schwer zu verstehen?!«

Während Soederstroem ziemlich böse Blicke in Richtung der Frau abschoss, flüsterte diese ganz leise ihrer Nachbarin zu, dass sie schon ein paar Probleme damit hatte, dies zu verstehen. Aus gutem Grund verzichtete sie allerdings darauf, ihre Bedenken lauthals zu artikulieren.

»So, nachdem das nun auch geklärt ist, komme ich zur nächsten sofort in Angriff zu nehmenden Maßnahme.«

Soederstroem war nicht im Geringsten anzumerken, inwieweit ihn der vorangegangene Disput verärgert hatte. Im Gegenteil! Freundlich lächelnd beauftragte er die anwesenden IT-Experten, bereits am nächsten Tag ihre neuen Arbeitsplätze sowohl in der Konzernzentrale als auch auf der Baustelle einzunehmen und sofort damit zu beginnen, alle notwendigen Sicherheitschecks durchzuführen.

»Mich interessiert vor allem, ob außer den inzwischen schon permanent gewordenen Spähattacken von Freund und Feind zielgerichtet von irgendjemand nach diesem Projekt gesucht wird. Wäre es so, wissen wir verbindlich, dass die Geheimhaltung nicht geklappt hat. Finden wir nichts, freuen wir uns zwar, aber dann geht es auch sofort damit los, alles auf den Prüfstand zu stellen. Ihr habt alle Freiheiten, notwendige Gegenmaßnahmen aufzubauen. Auch für euch gilt wie für unsere beiden Damen im Personalbereich: Reichen die jetzt vorgesehen Kapazitäten, sowohl personell, aber auch seitens der von euch benötigten Technik, nicht aus, gebt mir sofort ein Signal. Ihr erhaltet dann alle notwendigen Ergänzungen.«

Soederstroem blickte in die Runde und schwieg erneut. Er wusste, dass seine Botschaft bei diesen Mitarbeitern angekommen war und dass er sich felsenfest darauf verlassen konnte, dass die Maschine anlaufen würde, sobald sie die Besprechung verließen. Aber spätestens morgen, da war er sich absolut sicher, würde diese Maschine bereits hochtourig laufen.

»Gibt es im Augenblick noch irgendwelche Fragen, Leute?«

Nur ein Mitarbeiter aus der IT meldete sich noch einmal. Er war der Jüngste im Raum und noch nicht allzu lange in diesem Team. Erst vor zwei Jahren war er in die Abteilung gekommen. Obwohl er über keinerlei Abschlüsse auf seinem Gebiet verfügte, wurde er immer dann hinzugezogen, wenn es galt, eigentlich unlösbare IT-Probleme zu lösen. Er war noch nie daran gescheitert, und selbst ganz erfahrene Spezialisten konnten sich meist nicht erklären, wie der Bursche das wohl wieder gemacht hatte.

»Herr Soederstroem, diese ganzen technischen Lösungen, die die Jungs da oben so entwickelt oder erfunden haben … die haben sie doch sicher patentrechtlich schützen lassen. Wieso dann dieser gewaltige Aufwand? Müsste doch eigentlich sicher sein, oder sehe ich da etwas verkehrt?«

Der Angesprochene wollte eigentlich schnell los, war doch fürs Erste alles besprochen und veranlasst. Und gerade diese Frage passte ihm nun ganz und gar nicht! Aber irgendwie musste er wohl auch darauf schnell eine gute Antwort geben, wenn er verhindern wollte, dass sich daraus etwa eine Diskussion entwickelte.

»Im Prinzip haben Sie gar nicht so Unrecht, junger Freund. Nur bedenken Sie, was passieren kann, wenn jedermann Zugang zu technischem Gedankengut hat und sich dann nicht an die Spielregeln hält. Wenn sich jemand gar nicht darum schert, was andere für Rechte haben, wenn es nur dem eigenen Vorteil dient. Muss ich Ihnen wirklich die Regionen auf dieser Welt nennen, in denen es aber sowas von egal ist, wenn man sich frei weg bedienen kann? Und wenn sich dann die Rechtsmaschinerie in Bewegung setzt und alles juristisch geklärt hat, dann könnte das Projekt schon in Vergessenheit geraten sein. Und aller finanzieller Aufwand und alle Arbeit wäre für den, der dies alles getragen hat, schlichtweg für die Katz! Sicher werden alle Entwicklungen und Erfindungen durch den Konzern patentrechtlich geschützt, aber sie jetzt offenzulegen, würde bedeuten, dass man alle Konstruktionszeichnungen öffentlich auf dem Marktplatz aushängen oder, Ihrem Genre gemäß, ins Netz stellen könnte. Und jeder kann sich dann kostenfrei bedienen. Sie werden mir Recht geben, dass das so nicht gehen kann! Natürlich kommt der Moment, wo abgeschlossenes Projekt und Patente gemeinsam ihre entsprechende Bedeutung erlangen. Aber bis dahin müssen wir sehr, sehr wachsam sein. Ich hoffe, ich habe Ihnen Ihre Frage zufriedenstellend beantwortet.«

Soederstroem konnte wohl davon ausgehen, nickte der Fragesteller ihm doch zu und erhob sich dann gemeinsam mit den anderen, um den Besprechungsraum zu verlassen. Auch der Chef dieser Mannschaft verließ schnell den Raum, denn er wollte heute noch nach Tromsø fliegen. Er war zufrieden, dass alles so reibungslos organisiert werden konnte. Die nächsten Tage würden ihm zeigen, wo noch nachjustiert werden musste oder wo neue Schwierigkeiten auftauchen konnten. Wie schnell das gehen konnte, hatte er eben erlebt, als ihn der junge Mitarbeiter mit einem unangenehmen Thema konfrontiert hatte.

Und so eilig er es auch hatte, so rief er doch noch einmal dieses »IT-Wunderkind« zurück, das ihn soeben leicht in Verlegenheit gebracht hatte. Er wollte ihn zu einem speziellen Problem befragen, was wohl in den nächsten Tagen ziemlich im Mittelpunkt aller ihrer Arbeiten liegen würde. Er kannte seinen Mitarbeiter natürlich oberflächlich, hatte aber bisher mit ihm direkt nicht zu tun gehabt. Außer ein paar belanglosen Worten, wenn sie sich zufällig über den Weg gelaufen waren, gab es keine intensiveren Kontakte.

»Anders, wenn ich Sie kurz aufhalten darf …«

»Kein Problem. Sie sind der Chef!«

»Es wird nicht lange dauern, aber ich bin ehrlich gesagt an dieser Stelle richtig verunsichert. Ich will von Ihnen auch um Gottes Willen jetzt keine Lösung hören, aber nachdem Sie nun in etwa wissen, worum es geht … Wie schätzen Sie die Situation ein, können wir verhindern, dass diese Unterlagen wie und von wem auch immer gestohlen werden können? Man sagt Ihnen ja nach, dass Sie der größte Experte sein sollen, den es auf diesem Gebiet gibt.«

Soederstroem blickte den jungen Mann fragend an. Es war ihm gar nicht so recht, dass er als ganz erfahrener Organisator von Abwehraufgaben überraschend wenig Kenntnis davon hatte, was in dieser virtuellen Welt passieren konnte und möglich war. Seine Entscheidungen dazu beruhten darum ausschließlich darauf, was seine Mitarbeiter ihm vorgaben, ohne dass er deren Sinn oder die Notwendigkeit allumfassend bewerten konnte. Dies machte ihn erkennbar unsicher, vor allem aber unzufrieden, weil diese Situation für ihn ungewohnt war. Er wusste immer, welche Entscheidungen aus seiner Sicht die notwendigen und richtigen waren, und konnte sie auch immer vor sich und den Gremien des Dienstes begründen. Hier musste er sich aber eingestehen, dass es genau dieses Gebiet der Informationstechnologie mit ihren für ihn unerklärlichen und unüberschaubaren Facetten war, die ihn einfach überforderten.

Anders merkte, dass sein oberster Chef etwas verunsichert wirkte. Deshalb antwortete er nicht sofort und direkt auf die Frage, sondern dankte erst einmal höflich für dessen Einschätzung, er sei der beste Mitarbeiter in der zuständigen Abteilung.

»Ich leide echt nicht an Minderwertigkeitskomplexen, Chef. Und ich bin mir auch bewusst, dass ich diesen Job drauf habe. Aber glauben Sie mir, gäbe es auf diesem Gebiet Olympische Spiele, dann würde ich nicht mal zum näheren Favoritenkreis zählen. Medaillen würden ganz andere holen, Leute aus Gegenden, das würden Sie gar nicht glauben.«

Soederstroem lächelte und bat seinen Kollegen, er solle sein Licht doch nicht so unter den Scheffel stellen. »Da habe ich aber ganz andere und sehr erstaunliche Dinge über Ihre Fähigkeiten gehört.«

Anders ging nicht darauf ein und beantwortete nun die eingangs gestellte Frage. »Chef, es ist in der virtuellen Welt so wie in der richtigen: Nichts ist sicher! Sie können sich anstrengen, wie sie wollen – es wird immer ein Restrisiko geben. Es wird immer einer kommen und das, was Sie mit sensationellem Aufwand gesichert haben, mit noch sensationelleren Programmen aufspüren und klauen. Und wir werden dagegen auch wieder aufrüsten und gegenhalten. Eine Endlosspirale, die irgendwo in der Unendlichkeit zusammenfinden und ihr Ende finden wird. Sie sehen, das ist nur akademisch zu bewerten.«

Soederstroem war nicht allzu glücklich über diesen Ausblick, den ihm sein junger Mitarbeiter gegeben hatte. »Wäre es dann nicht besser, wir verzichten auf den gesamten Computerkram, machen wie vor 100 Jahren Blaupausen und verstecken alles im Tresor, den wir von einem Kommando Elitesoldaten bewachen lassen …?«

»Klar, eine durchaus sinnvolle Alternative«, lachte Anders. »Wenn Sie von A nach B kommen wollen und Angst haben, dass Ihr Auto auf der Fahrt dorthin verunglückt, laufen Sie doch lieber fernab der Straße durch den Wald. Sie brauchen dann zwar tausendmal so lange, und irgendwo kann Ihnen natürlich auch ein Baum auf den Kopf fallen. Dann haben Sie in der Sache selbst auch nicht so viel gekonnt, oder? Und deshalb wette ich mit Ihnen, dass irgendwann einer kommen wird, der heimlich in Ihren Safe steigt und alle Ihre schönen Blaupausen mitnimmt.«

Da sich Soederstroem bei einem solchen Szenario in seinem Element fühlte, war er sich sicher, dass es für jeden schwieriger sein würde, in »seinen« von einem Kommando Elitesoldaten bewachten Safe einzudringen als in irgendeinen anonym dahinwerkelnden Computer. Diese Überlegung behielt er aber im Augenblick doch für sich.

Anders hatte gewartet, bis sich sein Chef offensichtlich mit seinem bildlichen Vergleich abschließend beschäftigt hatte. Der stellte aber überraschend eine Frage, die mit der bisherigen Diskussion offensichtlich nichts gemein hatte.

»Haben die IT-Experten des Konzerns die Sache im Griff?«

»Chef, wie soll ich Ihnen das jetzt beantworten? Wir fangen doch gerade erst mal mit unserer Arbeit an. Ich bin absolut überzeugt davon, dass die Leute dort exzellente Könner sind und über alle universitären Ausbildungen verfügen, um ihre Arbeit dort perfekt zu organisieren. Aber zu Ihrer eingangs gemachten Lobhudelei zu meiner Person: Geben Sie mir zwei Stunden, und ich bin sicher, Ihnen all das schenken zu können, was Sie mit aller Gewalt geheim halten wollen!«

Soederstroem blickte fassungslos auf seinen Gesprächspartner. »Das meinen Sie doch nicht im Ernst, Anders! Das ist doch einer Ihrer berühmt-berüchtigten Späße.«

»Verlassen Sie sich drauf, das ist keiner. Aber«, und hier lächelte Anders, »machen Sie sich jetzt erst mal keine allzu großen Sorgen. Offensichtlich weiß nirgendwo jemand etwas von diesem Projekt. Das ist im Moment der beste Schutz, den wir haben können. Wüssten wir nicht, dass der Osterhase bunte Eier bringt, würden wir nicht zielgerichtet danach suchen, oder? Und solange nur allgemeine Ausspähaktivitäten erkennbar sind – lasst die Jungs doch im Nebel stochern. Wir werden noch viel mehr Nebel fabrizieren, werden sofort alle wichtigen Computer der Ingenieure vom Internet trennen und noch jede Menge mehr. Aber, Chef, lassen Sie uns doch erst einmal richtig anfangen.«

»Fangen Sie an, Anders, und das so schnell wie möglich. Ich will über jeden einzelnen Klick informiert werden, klar?«

»Aye, aye, Captain! Verlassen Sie sich darauf.« Anders verschwand schnell aus dem Raum.

Soederstroem begriff, dass er soeben mit einem sehr ungewöhnlichen Burschen gesprochen hatte, den er von nun an nicht nur am Rande irgendwelcher zufälligen Begegnungen wahrnehmen würde. Und er begriff, dass seine Gedanken ab jetzt sehr sorgenvoll um das kreisen würden, was er da soeben von diesem jungen Dachs gehört hatte.

Kapitel 3. Unerwarteter Fund

Geheimauftrag der 3. Gebirgsdivision der Wehrmacht nördlich von Narvik, Norwegen – April 1940

Die Männer rasteten zum ersten Mal, seit sie den Marsch begonnen hatten. Obwohl alle körperlich in allerbester Verfassung waren, war es ihnen enorm schwergefallen, bis hierher durchzuhalten. Die Seereise von Bremerhaven hier hoch in den Norden hatte ihnen physisch und psychisch alles abverlangt. Der Zerstörer, der sie aufgenommen hatte, war in der stürmischen See dermaßen hin- und hergeworfen worden, dass diejenigen, deren Füße noch niemals zuvor die Planken eines Schiffes betreten hatten, glaubten, diese tobenden Wasser und die dadurch bei wirklich allen auftretenden Symptome einer schrecklichen Übelkeit würden ihr Ende bedeuten, bevor sie überhaupt das Einsatzgebiet erreicht hatten. Selbst erfahrene Matrosen an Bord hatten ihnen bestätigt, dass dieses Wetter schon in eine der schlimmsten Kategorien der hier oben um diese Jahreszeit durchaus üblichen Frühjahrsstürme eingeordnet werden musste.

Ihr Einsatzbefehl, den sie erst erfahren hatten, als sie schon die Wesermündung verlassen hatten, stellte die Einheit vor die Aufgabe, unter Umgehung der erwarteten Eroberungsschlacht bei Narvik einen Verbindungsweg nach Finnland zu erkunden, um hier zukünftiges Zusammenwirken der Wehrmachtseinheiten mit den Truppen des Generals Oiva Willamo sicherzustellen. Da es in den Kommandozentralen der Planungsstrategen kein ausreichendes Aufklärungsmaterial über die dortige Region gab und das Gelände als ausgesprochen schwierig eingeschätzt wurde, hatte man die Männer aus einer Gebirgsjägerdivision für diese Aufgabe ausgewählt – einfach weil sie zu den erfahrensten und am besten für eine solche Maßnahme ausgebildeten Soldaten gehörten.

Und so war es ihnen auch tatsächlich gelungen, nachdem sie die Grausamkeiten der maritimen Überfahrt endlich überstanden hatten und an Land abgesetzt worden waren, dass sie, ohne auf einen einzigen Gegner zu treffen, das Kampfgebiet großräumig umgehen konnten. Der Schlachtenlärm war zwar auch noch zu hören, als sie – immer entlang eines Fjordes marschierend – bereits die höheren Berge erreicht hatten und mit ihrem Aufstieg begannen. Aber sie selbst mussten, so wie es der Befehl vorgegeben hatte, tatsächlich nicht einen einzigen Schuss abgeben.

Viele pausenlos bergan steigende Kilometer später waren sie nur noch von der Stille einer faszinierenden Bergwelt umgeben. Man hatte im Vorfeld der Operation im April zwar darauf hingewiesen, dass auf diesem Marsch auch noch mit Schnee gerechnet werden musste. Aber dass sich eine solche Menge vor ihnen auftürmte, das war dann bei den Stabsplanern wohl doch nicht in einem derartigen Umfang vorgesehen gewesen. Die geforderten Marschgeschwindigkeiten waren pure Illusion, und dies nicht nur wegen der übermäßigen Schneeberge.

Auch die Navigation im Gelände und damit verbundene Umwege erforderten einen weitaus höheren Zeitaufwand als geplant. So war es unumgänglich, dass öfter als vorgesehen biwakiert werden musste. Nachtmärsche hatten sich als unverantwortlich riskant in diesem Gelände herausgestellt. Allerdings war die Einheit nicht darauf eingerichtet, einen längeren als den geplanten Zeitraum in diesen Bergen zu verbringen. Um hohes Marschtempo zu sichern, waren die Gebirgsjäger nur mit leichten Waffen, zugehöriger Munition sowie dem allernötigsten Proviant ausgerüstet. Hochgebirgstaugliche Zeltbahnen, Kletterutensilien sowie die üblichen persönlichen Gebrauchsgegenstände komplettierten schon die ganze Ausrüstung.

Unter diesen Umständen waren sie ziemlich froh, als sie am vierten Tag ihres Aufklärungsmarsches zum nächtlichen Biwakieren den Eingang zu einem Stollen fanden, der ihnen ausreichenden Schutz vor der Kälte der Nacht und den immer wieder aufkommenden Schneeschauern bot, die ein eisiger Wind aus dem Norden herunterwehte.

Am nächsten Morgen erkundeten sie nähere Einzelheiten zu ihrem Schutzquartier der Nacht. Am Abend zuvor war dazu keine Gelegenheit mehr gewesen. Zum einen hatte die aufkommende Dunkelheit dies verhindert, zum anderen hatten sie nach mehreren Dutzend Marschkilometern durch das schwierige Gelände keinerlei Lust und Interesse mehr an weiteren Erkundungsabenteuern. Umso überraschter standen die Soldaten nun in einem unterirdischen Gewirr von gut begehbaren Gängen und Stollen, die sich an ihren jeweiligen Enden zu regelrecht geräumigen Kammern ausweiteten. Da man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen konnte, dass in dieser unwirtlichen Gegend Menschenhände dieses unterirdische Gebilde geschaffen hatten, war es wohl Mutter Natur gewesen, die mit ihren erosiven Kräften, getragen von Wasser, Eis und Kälte, in einem kosmisch langen Zeitraum diese Stätte hier oben konstruiert und gestaltet hatte. Alle waren fasziniert von dem Wirken solcherlei Naturkräften, denn in dieses eisenharte Gestein ein solch regelrecht strukturiertes Höhlensystem einzuschlagen, wäre wohl dem menschlichen Wesen nur unter allergrößten Schwierigkeiten gelungen. Wenn er es überhaupt soweit geschafft hätte.

Sie kartierten ihre Entdeckung sorgfältig in den mitgeführten Unterlagen. Mehr konnte aus Zeitmangel zu diesem Zeitpunkt nicht untersucht werden, denn sie hatten einen enorm wichtigen Auftrag zu erfüllen. Nicht umsonst galten sie als Elitetruppe, und genauso wollten sie sich auch verhalten. Also verschlossen sie den Eingang akkurat und setzten ihren Marsch fort, natürlich nicht ohne eine entsprechende Information über ihre Entdeckung an den Führungsstab zu übermitteln.

Auch wenn man dort aktuell ganz andere Sorgen hatte, weil sich die militärische Lage beim Kampf um Narvik noch immer schwierig gestaltete, wurde diese Meldung doch für so interessant eingestuft, dass sie direkt weiter nach Berlin gegeben wurde. Dass man auch hier mit Interesse registrierte, was die kleine Aufklärungseinheit da in der norwegischen Wildnis zufällig aufgespürt hatte, zeigte sich spätestens daran, dass, als im folgenden Sommer die Eroberung des Landes als abgeschlossen galt, eine hochrangige Delegation von Wehrmacht und SS unter dem Siegel höchster Geheimhaltung diesen Landstrich aufsuchte. Die Gebirgsjägereinheit, die auf ihrem Marsch nach Finnland dieses Höhlensystem zufällig entdeckt hatte, wurde mit der logistischen Führung und Sicherung der Aktion betraut.

Nur wenige Wochen danach waren Bauspezialisten, die vom Bunkerbau Mussolinis aus Italien abgezogen worden waren, damit befasst, alle notwendigen baulichen Voraussetzungen zur Nutzbarmachung des unterirdischen Systems zu schaffen. Wie erwartet, waren diese Aufwendungen aufgrund der vorgefundenen Ausgangssituation gering und konnten schnell abgeschlossen werden.