Tödliche Gerechtigkeit - Thomas U. Tajsich - E-Book

Tödliche Gerechtigkeit E-Book

Thomas U. Tajsich

4,4

Beschreibung

In Washington herrscht Ausgangssperre, weil die Politiker einen Bürgeraufstand befürchten. Der Obdachlose Steve weiß nichts davon und entgeht nur knapp einer Verhaftung. Auf seiner Suche nach einem Versteck lernt er eine junge Journalistin kennen, deren Auto einen Motorschaden hat. Kurz nachdem sie vom FBI abgeholt wird, ist sie tot. Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Peter Mormerin findet eine Speicherkarte mit verschlüsselten Dateien. In dem Versuch, mehr über Herkunft und Besitzer der Chipkarte herauszufinden, wendet er sich an ein Hackerforum im Internet. Eine der Dateien ist offenbar eine Todesliste, denn einige der darin genannten Personen – allesamt hochrangige Manager internationaler Konzerne – wurden bereits grausam ermordet. Als sein Chatpartner ihm auch noch mitteilt, er sei in Gefahr und könne seinen Hals nur noch durch eine Flucht nach vorn aus der Schlinge ziehen, fliegt Peter widerstrebend nach Washington. Dort lernt er die Drahtzieher eines ominösen Bündnisses kennen, die ihn auf ihre Seite bringen wollen. und um Unterstützung bitten, denn die ermordeten Manager standen allesamt auf ihrer Beobachtungsliste, was sie extrem verdächtig macht. Vorsitzender des Bündnisses ist der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, und der bricht kurz darauf bei einer geheimen Pressekonferenz nach den ersten Worten zusammen. Geschickt werden die unterschiedlichen Handlungsstränge miteinander verwoben, und Peter taucht immer tiefer in die Jagd nach dem Mörder ein - bis er selbst zum Gejagten wird.

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Tödliche

Gerechtigkeit

Thomas U. Tajsich

Die Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, Organisationen oder Ereignissen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.

Redaktion: Brigitte Caspary

Umschlagfotos: Weißes Haus: Ruth Gorgosch

Strick: iStockphoto, mipan

Dollarnoten: iStockphoto, Luke Daniek

Dom: Stadt Regensburg, Peter Ferstl

Covergestaltung: Druckerei Walch GmbH

Satz: Röser Media GmbH & Co. KG

Druck und Bindung: GGP Media GmbH

1. Auflage 2012

© 2012 Krimiwelt Verlag

ein Imprint des Sportwelt Verlags®

Am Wasserstein 3

D-91282 Betzenstein

[email protected]

www.krimiwelt-verlag.de

Bestellungen bitte an:

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Tel.: 0049-(0)89-613871-0

Fax: 0049-(0)89-613871-20

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Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks sowie der photomechanischen und elektronischen Wiedergabe.

Printausgabe ISBN 978-3-941297-15-9

eBook ISBN 978-3-941297-16-6

www.krimiwelt-verlag.de

„Die aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.“

Marx; Engels, Kom.Manifest, MEW 4, 463. 1848.

Der Brief

Ihr Narren,

bezeichnet euch als Bürger des Informationszeitalters. Eure Nachfahren werden wissen, dass ihr in der Epoche des ‚Absurden Kapitalismus‘ gelebt habt. Ethische Grundsätze wie Moral und Gerechtigkeit habt ihr ebenso wie den Erhalt der Natur rücksichtslos der Gewinnmaximierung geopfert. Korruption zieht sich wie ein roter Faden durch die Führungsebenen aller Länder und unterscheidet sich allein durch die Höhe des Preises.

Ihr seid im Besitz von Technologien, die mehr zerstören können, als ihr jemals begriffen habt, und die Tatsache, dass eure Kinder in einer künstlichen Atmosphäre und mittels synthetischer Nahrungsmittel leben werden, ist das Resultat eures begrenzten Horizonts.

Eure Politiker kämpfen einzig und allein um persönlichen Reichtum gegen die Führer der Wirtschaft und haben dabei keine Scheu, das Ganze auf dem Rücken von euch Bürgern auszutragen. Sie haben vergessen, dass ihr euch ihrer Führung und ihrem Schutze anvertraut habt. Sie belügen euch schamlos und beuten euch auf subtilste Art und Weise aus.

Sie geben euch glänzende Autos und schöne Häuser. Die damit verbundenen Hypotheken ketten euch ein Leben lang an das System. Ihr zur Schau gestellter Reichtum vermittelt euch den Eindruck, jeder von euch könne den gleichen Wohlstand erreichen – solange ihr euch nur mit ganzem Herzen und all eurer Zeit dem System verschreibt.

Zugegebenermaßen sind die Methoden, mit denen sie für das Wachstum ihres eigenen Wohlstands sorgen, subtiler geworden, aber am Prinzip der Klassen hat sich über die Jahrhunderte hinweg nichts geändert.

Doch ihr Narren habt es nicht anders verdient, weil ihr bis heute nichts begriffen habt und die Dinge tatenlos geschehen lasst. Jedes Mal, wenn ihr in die Augen eurer Kinder seht, solltet ihr euch schämen und sie um Vergebung bitten!

Ein paar dieser ignoranten Verantwortlichen habe ich zur Rechenschaft gezogen, doch jetzt bin ich müde und fühle mich von euch allein gelassen. Deswegen überlasse ich euch künftig eurem Schicksal.

Fragt ihr euch eigentlich nie, wer letztlich über Recht und Unrecht entscheidet? Ich kenne eure naive Antwort. Aber glaubt ihr tatsächlich, diese biegsamen Worte des Gesetzes wissen im Nebel der verlorenen Moral noch, wo Gut endet und Böse beginnt?

Mit tödlicher Gerechtigkeit,

Der verkaufte Bürger

P.S.: Es ist längst an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

*************

Er steckte den Brief zurück in das Kuvert und klemmte ihn hinter die Sturmtür. Das Sirenengeheul klang jetzt ganz nah, und er wusste, dass die Zeit gekommen war. Er stieg in das Fahrzeug und startete den Motor. Obwohl die Nacht pechschwarz war, ließ er die Lichter ausgeschaltet und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Während das Fahrzeug die Einfahrt hinunter jagte, lachte er ein letztes Mal heiser auf.

Die Pressekonferenz

Joseph H. Warner hatte seinen Platz hinter dem Schreibtisch aus dunklem Schiffsholz bereits eingenommen, als die Schar von Reportern endlich leiser wurde. Nun stand er auf, um, wie die Anwesenden dachten, das offizielle Statement des Weißen Hauses zu verlesen. Dabei umklammerten seine zitternden Hände den Rand des geschichtsträchtigen Resolute Desk. Sein Gesicht war bleich, seine Augen hatten dunkle Ränder, und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Eine Zeit lang starrte er in die Runde, dann schweifte sein Blick über ihre Köpfe hinweg zur Decke. Er musste sich konzentrieren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ungeduldig ergriff einer der Reporter das Wort und fragte mit unüberhörbar provozierendem Unterton: „Was ist hier los? Ist die Ernsthaftigkeit der Situation es immer noch nicht wert, dass sich der Präsident selbst herbemüht?“ Doch die mahnenden Blicke der Sicherheitskräfte ließen den Mann wieder verstummen.

Die Erklärung des Weißen Hauses war ebenso gewissenhaft wie berechnend aufbereitet worden. Vier Männer und Frauen aus dem Medienteam des Präsidenten hatten letzte Nacht etliche Stunden damit verbracht, den Text zwar aufklärend, aber vor allem öffentlichkeitsverträglich zu verfassen. Die Anwesenden wussten dies natürlich, denn sie gehörten einem auserwählten Kreis an. Unter Insidern wurden sie auch die White-House-Getreuen genannt. Ihre Aufgabe war es, den Lesern die Version der Wahrheit zu präsentieren, die den regierenden Präsidenten stets ins rechte Licht rückte. Egal wie falsch sein eingeschlagener Weg sein mochte – es galt, diesen als den einzig richtigen darzustellen. Sie waren die Gehirnwäscher der Nation. Im Gegenzug genossen sie das Privileg, Antworten auf Fragen zu erhalten, die den ‚normalen‘ Reportern vorenthalten blieben.

Das heutige Treffen sollte ursprünglich der Präsident selbst halten, doch kurzfristig hatte er zugestimmt, dass Joseph H. Warner dies übernahm. Ein in der momentanen Situation riskantes Unterfangen, aber es bot die Aussicht, alle parteiinternen Rangeleien endgültig vom Tisch zu schaffen. Natürlich waren die üblichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden. Denn auch wenn das gemeine Volk nicht wusste, dass diese Art von Pressekonferenz minutiös arrangiert und abgestimmt war, ließ sich dennoch nie ganz ausschließen, dass die eine oder andere Information ungeschönt nach außen dringen würde.

Anders als die öffentlichen Pressekonferenzen fand die heutige im Oval Office des Weißen Hauses statt.

Diesen Name verdankte der Raum seiner Form. Er war allerdings nicht immer im Westflügel gewesen. Präsident Roosevelt hatte sich seinerzeit aus verschiedenen Gründen an der zentralen Lage gestört und ihn deshalb im Jahr 1934 an die südöstliche Ecke des Westflügels verlegen lassen. Der Vorteil der ovalen Form bestand darin, dass sich alle Beteiligten in die Augen sehen konnten, der Raum dabei dennoch ein Kopfende besaß, an dem sich der Präsident postieren konnte.

Das war aber nicht der Grund, warum Warner auf diesem Raum als Veranstaltungsort bestanden hatte. Das Oval Office galt als Synonym der Präsidentschaft und zugleich als Zentrum der Macht. Mehrere Präsidenten hatten hier historisch wichtige Gespräche geführt oder Ansprachen an die Nation gehalten. Mit fast elf Metern Länge und neun Metern Durchmesser war es nicht der größte Raum im Weißen Haus, aber durchaus ausreichend für Pressekonferenzen dieser Größenordnung. Die drei Panoramafenster boten einen freien Ausblick auf die Grünanlagen des Weißen Hauses, die zu dieser Jahreszeit einen tristen Anblick boten.

„Meine sehr geehrten Damen und Herren.“ Als er das Wort ergriff, war Joes Stimme leise und zittrig wie die einer alten Frau. Ein Raunen ging durch den Raum, denn die Reporter hatten bereits bemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

„Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist …“ In diesem Augenblick ächzte er, den leeren Blick ins Nichts gerichtet. Dann nahm er einen neuen Anlauf, seine Ansprache zu beginnen: „Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist ein Lügner und Verräter!“

Kaum hatte er die Worte gesprochen, glitt seine Hand von der Kante des Schreibtisches und griff in die Luft. Offenbar hatte er seine gesamte Kraft zusammengenommen, um den Zuhörern diesen Satz entgegenzuwerfen. Nun war das Ziel erreicht, und die Schwäche übermannte ihn. Er atmete laut und hörbar unregelmäßig. Es klang fast wie ein Röcheln. Er machte einen Schritt zurück, und für ein paar Sekunden sah es aus, als könne er sein Taumeln ausbalancieren. Seine Hand schien auf der Suche nach Halt den Tisch erneut greifen zu wollen, fuchtelte aber nur wild durch die Luft. Dann verlor er endgültig das Gleichgewicht, stürzte und schlug dumpf zu Boden. Niemand hatte reagiert, zu überrascht waren alle gewesen. Selbst die verdutzten Reporter verstummten kurzfristig. Den meisten stand der Mund vor Schreck offen. Doch dieser Zustand war nur von kurzer Dauer. Wenige Sekunden später herrschte Chaos: Wildes Stimmengewirr – ähnlich dem Lärm in einer Bahnhofshalle – dröhnte durch den Raum, und einige Reporter sprangen von ihren Stühlen auf in Richtung des Gestürzten, um einen neugierigen Blick auf den zuckenden Körper zu erhaschen. Allerdings wurden sie sofort vom Sicherheitsdienst gestoppt.

Zwei Männer, vermutlich FBI-Mitarbeiter, hatten sich vor dem viel zu schnell atmenden Körper postiert. Vier weitere Sicherheitskräfte waren inzwischen in den Raum gestürzt und knieten über dem Vizepräsidenten am Boden. Als sie sein Jackett öffneten, wurde das darunter liegende weiße Hemd sichtbar. Es war schweißnass. Obwohl den meisten Anwesenden die Sicht versperrt war, drängten sie dennoch so nahe wie möglich an das Zentrum des Geschehens heran.

Dann eilten noch mehr Sicherheitsleute herbei, rückten noch enger zusammen und verwehrten nun jegliche Blicke auf den Körper. Kameras waren bei diesen Veranstaltungen verboten, und folglich blieb auch das übliche Blitzlichtgewitter aus. Dinge, die offiziell nicht existierten, durften natürlich auch nicht fotografiert werden.

Einer der Anwesenden hatte allerdings genug gesehen und kehrte der Szene zutiefst bestürzt den Rücken. Die wahren Gründe für diesen Vorfall würde man ohnehin weder heute noch morgen aus dem Radio erfahren. Höchstwahrscheinlich würde überhaupt niemals etwas davon an die Öffentlichkeit gelangen. Länger hier zu bleiben, wäre zu gefährlich. Nachdem Joseph H. Warner seine schützende Hand offensichtlich nicht mehr über ihn halten konnte, war es in erster Linie wichtig, sich von feindlichem Terrain zurückzuziehen.

„Shit“, murmelte er, während er zur Tür blickte. In diesem Augenblick packte ihn auch schon eine Hand und zog ihn mit nach draußen. Die beiden Männer nutzten die Verwirrung und verschwanden in Deckung der aufgebracht hin und her rennenden Reporter. Gerade als sie den Raum verließen, hörten sie noch eine Stimme kreischen: „Mein Gott … so tut doch etwas! Er … der Vizepräsident hat aufgehört zu atmen!“

Kein Tag wie jeder andere

Zwei Jahre zuvor. Eigentlich hätte es ein Tag wie jeder andere sein können. In den Straßen regierte noch die Ruhe der gerade vergangenen Nacht, und die Sonne blinzelte verschlafen über die Dächer. Sie war heute um 6:02 Uhr aufgegangen, hatte sich ihren Weg durch eine dichte Wolkendecke gebahnt und nunmehr diesen Tag eingeleitet. Einen Tag, an dem sich die Menschen – wie üblich von ihren Weckern aus den Träumen gerissen – unter Murren aus den Betten quälen würden und anschließend im Badezimmer ihren täglichen Ritualen wie Rasieren und Zähneputzen nachgehen sollten. Wenig später würden sie schnell einen Schluck Kaffee hinunterschütten und sich auf den Weg zur Arbeit machen.

Draußen war Vogelgezwitscher vom nahe gelegenen Park zu hören. Dort, wo ein anderer Teil der Gesellschaft seine Nacht verbracht hatte. Normalerweise drehten sich die Obdachlosen zu dieser Zeit noch einmal auf ihren Parkbänken, um den Beginn ihres deprimierenden Alltags noch etwas hinauszuzögern.

Steve war Teil dieser Gesellschaft aus dem Park. Er hatte seine Nacht zwar nicht auf einer Parkbank verbracht, aber die alte Decke, die am Eingang einer Unterführung lag, war kaum luxuriöser. Das schrille Heulen einer Sirene zerriss die trügerische Idylle dieser Szene. Steve murrte und wälzte sich auf die andere Seite. Nur langsam bemerkte er, dass die Sirene nicht Teil eines Traums war, und erschrak. Er setzte sich auf und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Der Park schien sich um ihn zu drehen, denn nach dem ausgiebigen Alkoholgenuss am Vorabend kam sein Kreislauf nur mühsam auf Touren.

Letzte Nacht war er fast stündlich ohne erkennbaren Grund aufgewacht, und dementsprechend verkatert fühlte er sich jetzt. Obendrein war er unsanft aus dem Schlaf gerissen worden.

Während er noch gegen das Schwindelgefühl ankämpfte, drang eine barsche Aufforderung wie aus weiter Ferne an sein Ohr: „Hey Alter, was machst du hier? Warum bist du nicht im Obdachlosenasyl wie deine Kumpels?“

Ein dicker, kleiner Polizist marschierte quer über den Rasen des Parks auf ihn zu. Sein Partner, ein deutlich größerer, aber ebenso unförmig wirkender Typ, hielt den Gummiknüppel an seinem Gürtel mit der rechten Hand umklammert. Steve hievte sich auf die Knie und kniff die Augen zusammen. Sein Blick war noch etwas verschwommen, und er versuchte die beiden Gestalten zu mustern. Dabei konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit auf den Knüppel. Der Polizist hatte ihn inzwischen aus dem Gürtel gezogen und hielt ihn in seine Richtung. Es wirkte bedrohlich, wie der bullige Polizist geradewegs auf ihn zuschritt.

„Was ist los? Habe ich etwas getan?“, brachte Steve gerade noch hervor, bevor die Ordnungshüter sich über ihm aufbauten.

„Und ob, du hast hier nichts zu suchen!“

„Ich … ich … verstehe nicht.“

Steve blickte verwirrt von einem zum anderen. Normalerweise war er nicht der ängstliche Typ, aber angesichts des Knüppels und seiner Verfassung fühlte er sich im Moment wie das Kaninchen vor der Schlange.

„Für heute wurde eine Ausgangssperre verhängt, und jeder, der sich ohne explizite Sondergenehmigung auf der Straße oder öffentlichem Gelände aufhält, macht sich strafbar und wird verhaftet!“

Steve blickte die beiden abwechselnd mit ungläubigen Augen an, dann fiel sein Blick wieder auf den Knüppel. Dieser war noch immer in der Hand des Polizisten. Allerdings hatte der Polizist den Arm sinken lassen, und der Knüppel zeigte nun in Richtung Boden. Die Situation wirkte dadurch weit weniger bedrohlich, und schließlich antwortete Steve mit tonloser Stimme: „Davon wusste ich nichts.“

„Komm lass ihn, ich kenne den Penner von meiner Streife in der Gegend. Er hängt schon einige Monate hier rum und ist harmlos“, sagte der größere der beiden Polizisten.

Obwohl Steve sich über die Bezeichnung Penner ärgerte, atmete er erleichtert auf.

Da herrschte der Kleinere ihn an: „Mach dich vom Acker, und schau, dass du ins nächste Obdachlosenheim kommst, bevor ich es mir überlege!“

Jedes seiner Worte verriet die Verachtung, die er für Obdachlose empfand. Zu seinem Partner sagte er: „Keine Lust auf den Schreibkram. Komm, lass uns zurück zum Streifenwagen gehen.“

Der steckte den Knüppel in den Gürtel, und ohne Steve eines weiteren Blickes zu würdigen, drehten sich die beiden um und waren genauso plötzlich wieder verschwunden, wie sie gekommen waren.

„Verdammte Arschlöcher“, zischte Steve vor sich hin, als die Polizisten außer Sichtweite waren. „Ausgangssperre, so ein Quatsch … Die haben nichts anderes zu tun, als uns das Leben noch schwerer zu machen als es sowieso schon ist!“

Da er nun ohnehin wach war, konnte er seinen Tag auch wie üblich beginnen. Er wühlte in einer der Tüten, die sein ganzes Hab und Gut enthielten, und kramte eine Plastikflasche hervor. Er schloss die Augen, nahm einen tiefen Schluck und genoss, wie das lauwarme Wasser durch seinen Mund rann. Das ist das Problem mit billigem Fusel, dachte er, als die Flüssigkeit langsam seine Kehle hinab lief. Er schmeckt zwar gar nicht so viel schlechter als ein teurer Tropfen mit edlem Etikett, nur leider hat man am nächsten Morgen oft übelste Kopfschmerzen. Hinzu kommt dieses seltsam pelzige Gefühl im Mund. Möglicherweise, so dachte er weiter, liegt es aber weniger an der Qualität des Weins sondern einfach an der Quantität!

Auch wenn sein Leben in den letzten Jahren nicht gerade nach Wunsch verlaufen war, wehrte er sich – zumindest mittlerweile wieder – mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und einem Rest Stolz dagegen, dem Klischee eines obdachlosen Penners zu entsprechen.

Zu Beginn seiner Obdachlosigkeit hatte er alle Hoffnung verloren. Er hatte keinen Halt gefunden und mehr als einmal darüber nachgedacht, sich umzubringen. In der Zwischenzeit war es ihm aber gelungen, sein Kämpferherz wieder zu entdecken, und er hatte zumindest etwas Tritt gefasst. Nun versuchte er, ein den Umständen entsprechend geregeltes Leben zu führen. Jeden Morgen stand er zu einer ähnlichen Zeit auf wie seine berufstätigen Mitbürger, putzte sich die Zähne mit einer abgenutzten Zahnbürste, strich seine Haare glatt und zupfte und zog die abgetragene Kleidung so gut es ging zurecht.

Abends trank er allerdings noch immer aus der überdimensionalen Flasche mit dem Namen ‚Lebenslust‘ auf dem Etikett  – der blanke Hohn. Aber immerhin bescherte ihm dieses Zeug einen relativ ruhigen Schlaf, und unter der Einwirkung des Alkohols wirkte die Welt außerdem etwas rosiger. Obendrein konnte er daran nichts wirklich Verwerfliches sehen. Nichts, was ihn prinzipiell vom Rest der Einwohner dieser Stadt unterscheiden würde.

Viele von ihnen kamen abends ebenso ausgelaugt wie aufgekratzt aus ihren Büros nach Hause, und einer ihrer ersten Handgriffe galt der Wein- oder Bierflasche. Diese Menschen hatten nicht den sozialen Abstieg zu verkraften, den Steve bereits durchlebt hatte. Sie hatten ihre Jobs – wenn auch oft ungeliebt oder gar gehasst –, sie hatten ihre Apartments und Häuser, in die sie sich nach getaner Arbeit zurückziehen konnten. Vor allem aber hatten sie ein bequemes und warmes Bett in einem trockenen und warmen Zimmer, das ihnen Nacht für Nacht Geborgenheit und Erholung bot. Bei diesen Gedanken erinnerte er sich wieder an die Schmerzen im Lendenwirbelbereich. Er streckte seine Hüfte nach vorne und bog dabei den Rücken durch. Diese Bewegung dehnte die untere Rückenmuskulatur und brachte ihm zumindest kurzfristig etwas Erleichterung. Währenddessen sinnierte er weiter. Die Schlafstörungen, unter denen viele der normalen Bürger litten, so wie auch er damals, waren nicht Folge einer unbequemen Schlafstätte. Sie kamen von den Ängsten: Ängste vor Ereignissen, die Steve inzwischen durchlebt hatte und die deshalb ihren Schrecken für ihn verloren hatten.

Trotz all der offensichtlichen Vorzüge, die der Lebensstil dieser Menschen mit sich brachte, hatte Steve ihnen dennoch eines voraus: Sie litten jeden Tag ihres Lebens unter der Angst vor einer Situation, in der Steve sich bereits befand!

Allein diese Erkenntnis legitimierte es in seinen Augen, sich fast jeden Abend eine Dosis Schlafmittel in Form des Fusels zu genehmigen. Dieses Ritual stand für ihn nicht im Widerspruch zu dem Versprechen an sich selbst, niemals ganz aufzugeben und immer eine gewisse Portion Selbstdisziplin zu erhalten. Er hatte bereits all das durchlebt, vor dem sich seine Artgenossen in ihrem tiefsten Innern noch fürchteten. Das war es auch, was ihn sich souverän fühlen ließ in Augenblicken, in denen sie ihn mit Verachtung ansahen oder beschämt zur Seite blickten, wenn er ihren Weg kreuzte.

Er kramte seine Waschutensilien aus einer weiteren Tüte, goss etwas Wasser aus der Flasche in einen alten, abgegriffenen Plastikbecher, tauchte die Zahnbürste ein und putzte sich die Zähne. Letztlich kam es ihm nur darauf an, seinen Lebensstil vor sich selbst rechtfertigen zu können. Und zu seiner Philosophie gehörte auch, seinem Körper die ihm mögliche Hygiene zukommen zu lassen.

Nun stand er an einer Fußgängerampel und wartete auf grünes Licht. Inzwischen konnte er wieder klarer denken. Jetzt bemerkte er den kühlen Wind, der an diesem Herbsttag durch die Straßen von Washington D.C. fegte und genoss, wie er über seine Wangen strich. Dann blickte er auf, drehte sich einmal um die eigene Achse. Schlagartig fiel ihm auf, wie verändert die Stadt an diesem Morgen war.

Das grüne Männchen an der Fußgängerampel signalisierte ihm schon zum zweiten Mal, dass er die Straße überqueren könne. Aber er hätte auch bei Rot gefahrlos über die Straße gehen können. Weit und breit war kein Auto zu sehen, nicht einmal ein anderer Fußgänger. Und das war selbst zu frühester Morgenstunde höchst ungewöhnlich.

Steve musste an seine Begegnung mit den Polizisten denken. Ursprünglich war er der Meinung gewesen, sie hätten sich einen Spaß mit ihm erlaubt und wollten ihn einfach nur anpöbeln. Es schien den traurigen Alltag der Gesetzeshüter zu versüßen, wenn sie ihre schlechte Laune auf dem Rücken der Obdachlosen austrugen. Oft schon hatte er beobachtet, wie sie Seinesgleichen das Leben schwer machten, ohne dass der Betroffene etwas getan hatte. Glücklicherweise war er dieser Unsitte bisher noch nie zum Opfer gefallen, doch an diesem Morgen hatten sie ihn überrascht und etwas von einer Ausgangssperre gefaselt. Er hätte geschworen, dass sie ihn auf den Arm nehmen wollten, aber nun kamen ihm Zweifel. Welcher Tag war heute? Nach einer Weile kam er zu dem Schluss, dass es ein Dienstag sein musste, also ein Arbeitstag. Wenn auch nicht für ihn, so doch für viele andere Bewohner dieser Stadt.

Um sicher zu gehen, zog er den dünnen Taschenkalender, den er immer bei sich trug, aus der Innentasche seines Mantels hervor. In ihm war jeder durchlebte oder durchlittene Tag durchgestrichen und mit ein paar Notizen versehen. In der Tat war Montag, der 15. September, durchgestrichen, und da er dieses Zeremoniell noch nie vergessen hatte, war er sich sicher, dass Dienstag sein musste. Es war auch kein Feiertag eingezeichnet. Die Polizisten hatten also offenbar die Wahrheit gesagt. Gedankenverloren ließ er seine Plastiktragetasche zu Boden sinken und steckte den Kalender zurück in die Manteltasche. Dann ging er über die Straße zu einem Uhrengeschäft. Die Ampel zeigte mittlerweile das rote Männchen an, was er in diesem Moment aber nicht bemerkte. Allerdings spielte es mangels Autoverkehr heute ohnehin keine Rolle. Er rüttelte hektisch an der Tür des Ladens. Nichts. Sie war verschlossen. Unsicher blickte er durch das Schaufenster auf eine glitzernd goldene Luxusuhr der Marke Tag Heuer. Das Ziffernblatt zeigte 7:55 Uhr an. Um sicherzugehen, schaute er auch auf die Taschenuhren im Regal darunter. Das Ergebnis war überall das gleiche. Es war 7:55 Uhr!

Nun wurde er nervös. Er stand frei auf offener Straße, und die Besatzung jedes zufällig vorbeikommenden Streifenwagens könnte ihn bereits von weitem sehen. Womöglich würde er wegen Missachtens der Ausgangssperre verhaftet. Er blickte hinüber zu seinen Habseligkeiten und lief los. Beinahe über seine eigenen Beine stolpernd hastete er zu den Sachen, um sie aufzusammeln und schnellstmöglich in der herbstlich bunten Vegetation des Parks unterzutauchen. Bereits nach wenigen Metern war er völlig außer Atem, was ihn daran erinnerte, dass fast zwei Jahre vergangen waren, seit er das letzte Mal durch den Park gejoggt oder irgendeiner anderen Art von sportlicher Aktivität nachgegangen war. In Anbetracht der zahllosen Glimmstängel, die er in der Zwischenzeit geraucht hatte, forderte ihm selbst diese kurze Strecke höchste Anstrengung ab.

Inzwischen hatte er das Rauchen allerdings aufgegeben. Die Methode, die viele seiner Gleichgesinnten praktizierten, nämlich alte weggeworfene Stumpen aufzurauchen, fand er widerlich, und neue Zigaretten konnte er sich nicht mehr leisten. Besser gesagt, er hatte sich eines Tages zwischen Alkohol und Zigaretten entscheiden müssen, und die Wahl war auf den Fuselwein gefallen.

Mit weichen Knien und einigen Schweißperlen auf der Stirn war er wieder am Eingang des Parks angekommen. Er ließ sich auf die nächste Parkbank hinter einem großen Rhododendron fallen. Die Blätter des immergrünen Strauches boten einen hervorragenden Sichtschutz. Während er dort saß und nach Atem rang, ließ er sich die Situation noch einmal durch den Kopf gehen. Dass die Polizisten die Wahrheit gesagt hatten, stand nunmehr außer Frage. Allerdings wunderte er sich jetzt über den Grund für die Ausgangssperre.

Jeden Morgen seit knapp zwei Jahren ging er diese Straße entlang, und selbst an Wochenenden war sie belebt gewesen mit Joggern, Spaziergängern oder Leuten, die sich zum Kaffeeklatsch trafen. Die Bürgersteige waren tagsüber stets überfüllt, auf der Straße reihten sich Taxen und andere Autos in Kolonnen eng aneinander. An den Wochentagen bahnten sich die Berufstätigen mit hektischen Schritten ihren Weg durch die Menge und fluchten bisweilen, wenn ihnen bewusst wurde, dass sie gerade ihre S-Bahn verpasst hatten.

Durch die Blätter des Rhododendrons sah er zu den Geschäftsgebäuden mit ihren schier endlosen Glasflächen auf der anderen Straßenseite. Langsam stand er auf und ließ seinen Blick auf und ab wandern. Vielleicht regte sich wenigstens dort drüben etwas, und er könnte ein Lebenszeichen ausmachen? Ohne seine geschützte Position zu verlassen, versuchte er zu erkennen, was hinter den Fenstern vorging. Doch das Glas war verspiegelt, und nirgendwo brannte Licht. Steve wartete noch einige Minuten in der Hoffnung, ein Lebenszeichen zu entdecken. Aber es war weder etwas zu sehen noch zu hören. Nach einer Weile fühlte er sich mutterseelenallein, und je länger er vergeblich nach anderen Menschen Ausschau hielt, desto größer wurde der Kloß in seinem Hals und desto unangenehmer die Leere in seiner Magengegend.

Gerade als er sich völlig verlassen vorkam, schreckte ihn ein hustendes, unregelmäßiges Klopfen auf, das kurz darauf verstummte. Es klang wie der Motor eines Autos, und als Steve den Kopf in Richtung dieses Geräuschs drehte, sah er durch die Zweige tatsächlich ein paar hundert Meter entfernt einen alten Buick LeSabre stotternd die Straße entlangrollen. Das ausgeblichene, einst mattrot lackierte Fahrzeug wurde immer langsamer und blieb nach weiteren hundert Metern mitten auf der Fahrspur endgültig stehen. Mit einem letzten Keuchen des Motors signalisierte das Gefährt, seinen Dienst für heute beendet zu haben. Neugierig beäugte Steve die merkwürdige Szene aus der Sicherheit seines Verstecks.

Die Tür der Fahrerseite öffnete sich, und eine Frau stieg aus. Sichtlich verärgert stapfte sie um ihr Auto. Sie schien etwa Mitte dreißig, hatte mittellange dunkelblonde Haare, war schlank und elegant gekleidet. Allerdings passte ihre Wortwahl bei dem folgenden Selbstgespräch ganz und gar nicht zu ihrer äußeren Erscheinung.

„Scheint wirklich sauer zu sein, die Gute“, murmelte Steve leicht belustigt, während er in Betracht zog, sein Versteck aufzugeben und ihr Hilfe anzubieten. Seine Beherrschung hatte er wiedergefunden, und es freute ihn innerlich, dass auch sein Humor zurückgekehrt war. Die Frau hatte zwischenzeitlich ihr Mobiltelefon aus der Handtasche gefingert, wild darauf herumgetippt und es kurz ans Ohr gehalten. Letztlich war aber wohl keine Verbindung zustande gekommen, denn nun feuerte sie es fluchend zurück in ihre Tasche. Steve entschied sich, aus seinem Versteck hervorzukommen und ging auf sie zu. Als sie zum ersten Mal aufblickte, wich sie erschrocken einen Schritt zurück und rief: „Was wollen Sie hier?“

Die Frau hatte die Worte zwar laut und sichtlich wütend gerufen, aber Steve war das Zittern in ihrer Stimme nicht entgangen. Ein deutliches Signal, dass die Frau sich nicht annähernd so selbstsicher fühlte wie sie zu erscheinen versuchte. Im Gegenteil, dachte Steve, sie hat sichtlich Mühe, ihre Fassung zu bewahren. Wortlos ging er weiter in ihre Richtung. Er hatte nicht vor, eine Konversation über diese Distanz zu führen. Als sie sah, dass Steve stetig näher kam, stakste sie ein paar Schritte zurück und fauchte: „Bleiben Sie, wo Sie sind, oder …!“

Steve hatte den Abstand nun auf eine für ihn akzeptable Gesprächsdistanz verkürzt und blickte sie unvermittelt an: „Keine Angst, Lady! Mein Name ist Steve, und ich wüsste nur gerne, was heute hier in der Stadt los ist. Außerdem machen Sie den Eindruck, als könnten Sie etwas Hilfe gebrauchen!“

„Nein danke, ich habe gerade den Abschleppdienst angerufen, und der wird jede Minute hier sein!“, entgegnete die Frau eine Spur zu schnell.

„Hat aber nicht so ausgesehen, als ob Sie mit jemandem gesprochen hätten“, sagte Steve und setzte ein Lächeln auf, um die Situation etwas zu entspannen. „Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben!“

Ihm war klar, dass seine Worte eine Frau, die in einer menschenleeren Stadt allein unterwegs war, kaum überzeugen könnten. Außerdem erinnerte er sich an den Zustand seiner Kleidung.

„Passen Sie auf“, setzte er den Versuch fort, seine einzig sichtbare Mitbürgerin zu beruhigen, „ich verstehe, dass Sie etwas verängstigt sind. Wie wäre es, wenn ich hier an diesem Fleck bleibe, und Sie machen es sich dort, wo Sie gerade sind, gemütlich? In der Zwischenzeit könnten Sie mir erzählen, was heute eigentlich los ist, während wir gemeinsam auf den Abschleppdienst warten.“

Unsicher tippelte die Frau auf der Stelle, sah gehetzt von einer Seite zur anderen, um letztlich wieder auf Steve zu starren. Gut eine Minute verging, bevor sie antwortete: „Na gut, aber Sie bleiben dort drüben, wo Sie sind, und ich bleibe hier!“

„Kein Problem. Ich hoffe, Sie können damit leben, dass ich mich hier auf den Bordstein setze?“

Steves Stimme klang gelassen und ruhig. Die Frau nickte.

„Wie gesagt, mein Name ist Steve. Wollen Sie mir Ihren Namen auch verraten?“

„Kathy … ich meine, Miss Wirnstein. Was machen Sie hier eigentlich? Haben Sie die Anordnung gestern nicht mitbekommen?“

„Nein, habe ich nicht. Allerdings haben mir ein paar Polizisten heute Morgen was von einer Ausgangssperre erzählt. Nur leider kenne ich noch nicht den Grund dafür!“

„Es war doch in allen Zeitungen, im Radio und Fernsehen. Das kann doch selbst an Ihnen nicht vorbeigegangen sein!“

Obwohl Steve klar war, dass die meisten der ‚normalen Bürger‘ Seinesgleichen als minderwertig erachteten, hasste er es immer wieder aufs Neue, wenn er damit konfrontiert wurde. „Selbst an Ihnen …“, zischte er den letzten Satz leise vor sich hin. Es war offensichtlich, dass auch Kathy Wirnstein ihn nur als Menschen zweiter Klasse sah.

„Mein Fernsehgerät ist momentan leider in der Werkstatt“, sagte er mit beißendem Sarkasmus in der Stimme und dachte dabei daran, dass es noch gar nicht so lange her war, seit er das Lesen der Tageszeitung wieder zu einem täglichen Ritual gemacht hatte. Sein Stand der aktuellen Ereignisse lag allerdings in der Regel einen Tag zurück, denn er musste warten. Warten darauf, dass seine Mitbürger ihre Nachrichtenlektüre beendet hatten. Dann erst konnte er das achtlos weggeworfene Stück Papier aus einem Mülleimer, von einer Parkbank oder manchmal einfach vom Weg aufheben und selbst lesen. Meist war das noch am Tag des Erscheinens der Fall, aber auch wenn er eine tagesaktuelle Ausgabe am Spätnachmittag oder Abend fand, legte er diese zur Seite, um sie am nächsten Morgen zu lesen. Normalerweise war das kein Problem, denn was war für ihn in dieser Welt noch so wichtig, als dass er es umgehend erfahren müsste? Die Börsenkurse interessierten ihn definitiv nicht mehr, Diskussionen der Politiker über neue Steuern oder Gesetze waren meist schon am nächsten Tag überholt, am Wetter konnte er ohnehin nichts ändern, und die Ergebnisse der diversen Sportteams interessierten ihn nicht. Er hatte auch ein altes, kleines Kofferradio. Allerdings waren die Batterien vor ungefähr zwei Wochen leer geworden, und bisher hatte er noch keinen passenden Ersatz mit der notwendigen Restladung finden können.

„Hier in meiner Welt ist es nicht wie bei euch. Man geht nicht einfach in ein Geschäft und kauft, was man will oder braucht. In meiner Welt wird gewartet, bis sich die Gelegenheit ergibt. Manchmal kann das eine ganze Weile dauern“, sagte er bitter.

Nach diesen Worten schwiegen beide und starrten zu Boden.

Als Steve wieder aufblickte, sah er Miss Wirnstein durchdringend an. Dann fragte er: „Also, wollen Sie mir jetzt den Grund nennen oder weiterhin Bullshit an den Kopf werfen?“

Sein Tonfall hatte sich geändert: War er zuvor sarkastisch und unterkühlt gewesen, so sprach er jetzt sachlich und ruhig.

„Die Regierung hat gestern eine Ausgangssperre für die ganze Stadt verhängt, weil es Anzeichen für einen groß angelegten Bürgeraufstand gibt.“

Steve blickte sie ungläubig an und stammelte lediglich: „Wie … wieso denn das?“

„Na ja, die offizielle Version lautet natürlich etwas anders. Man spricht von der Gefahr eines groß angelegten Terroranschlags. Allerdings glaube ich nicht daran und habe aus verschiedenen Quellen die Sache mit dem Aufstand erfahren.“

Steve warf ihr einen skeptischen Blick zu, den sie allerdings ignorierte. Unbeeindruckt fuhr sie fort: „Die Bürger haben es einfach satt, dass man ihnen ständig neue Abgaben und höhere Steuern aufbrummt und gleichzeitig die Sozialleistungen kürzt, weil irgendwelche inkompetenten und korrupten Politiker das so entscheiden! Angeblich stehen größere Aufstände bevor. Zumindest wird das in gewissen Regierungskreisen befürchtet. Bisher weiß leider niemand etwas Genaues. Ich bin Reporterin bei einer Zeitung und habe eine Ausnahmegenehmigung erhalten, um in die Redaktion zu fahren. In der morgigen Ausgabe soll ein Interview mit einem Senator erscheinen, in dem er eine Einschätzung zur aktuellen Lage gibt.“

„Ist es endlich soweit?!“ Trotz der ungewöhnlichen Neuigkeiten schien Steve nicht sonderlich überrascht. Dennoch fragte er: „Was für ein Aufstand soll das denn sein, dass man eine ganze Stadt in den Ausnahmezustand versetzt? Da muss ja jemand etwas im ganz großen Stil geplant haben!“

Kathy schien ihre Angst allmählich zu verlieren, denn sie kam ein paar Schritte auf Steve zu. Er schloss daraus, dass sie unter normalen Umständen sicher eine kesse junge Frau war.

Fast schon forsch, ergriff sie erneut das Wort: „Sie sollten heute nicht auf der Straße sein. Egal, was hinter dieser Ausgangssperre steckt, es ist illegal, hier zu sein, und Sie können sich damit eine Menge Ärger einhandeln. Ich bin unterwegs schon von zwei Polizeistreifen aufgehalten worden.“

„Ich lebe hier! Wo soll ich sonst hin?“, entgegnete Steve.

„Es gibt doch spezielle Einrichtungen für Obdachlose, oder?“ Sie zögerte kurz, bevor sie fortfuhr. „Ich will Sie nicht wieder beleidigen, aber wäre das nicht die bessere Wahl, als illegal in der Öffentlichkeit geschnappt zu werden?“

Kathy war immer weiter auf Steve zugegangen und stand nun einige Meter entfernt vor ihrem LeSabre. Sie war nah genug, um Details an ihrem Gegenüber erkennen zu können und hatte keinen Zweifel mehr, dass es sich um einen Obdachlosen handelte. Allerdings schien irgendetwas an seinem Erscheinungsbild nicht schlüssig zu sein. Seine Kleidung war abgetragen und verschlissen, dennoch wirkte er nicht ungepflegt. Das Gesicht des Mannes zeigte die Spuren eines bewegten Lebens, eines Mannes, der die fünfzig noch nicht erreicht, sein vierzigstes Lebensjahr wohl aber schon seit einiger Zeit hinter sich gelassen hatte. Er war zwar nicht frisch rasiert, und der Drei-Tage-Bart wirkte etwas verwegen, aber nicht schlampig. Seine Haare standen im Nacken auf und erweckten den Eindruck, dass ein Friseurtermin nicht schaden könnte, dennoch waren sie weder speckig noch unordentlich. Außerdem hatte er eine klare und bedachte Aussprache, ohne einen gröberen Dialekt erkennen zu lassen. Auch seine Mimik und Gestik ließen erahnen, dass dieser Mann bereits bessere Zeiten gesehen hatte.

„Was haben Sie jetzt vor? Der Abschleppdienst wird ja dann heute wohl nicht mehr kommen?“

Steve hatte sie die ganze Zeit über genau beobachtet und hielt die Lage jetzt für stabil genug, um offen mit ihr sprechen zu können.

„Wieso … Wie kommen Sie denn darauf?“

„Sie brauchen mir nichts vorzuspielen. Wie gesagt, ich habe nicht vor, Sie in irgendeiner Weise zu bedrohen. Es war vorhin jedenfalls offensichtlich, dass Sie niemanden erreichen konnten.“

„Das stimmt“, gab sie nun mit leiser Stimme zu. Wie die meisten Menschen hatte auch sie eine Art sechsten Sinn und spürte, wann Gefahr im Verzug war. Von Steve, glaubte sie zu spüren, ging keine Gefahr aus.

Die Macht des Geldes

Geld regiert die Welt. Geld stinkt. Geld verdirbt den Charakter. Immer wieder Geld – dieses ach so notwendige und ihm doch so verhasste Tauschmittel, ohne das die globalisierte Handelswirtschaft kaum noch vorstellbar schien. Aber wäre eine Welt ohne Geld nicht deutlich besser? Gäbe es womöglich weniger Gewalt, weniger Umweltzerstörung, oder würden wir vielleicht sogar keine Kriege mehr führen? Könnte nicht zumindest dieses verdammte Konzept der Aktienwirtschaft abgeschafft werden, das zwangsläufig zu überbordender Inflation und letztlich dem Zusammenbruch der Währung führen wird?

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