Tödliche Nachbarschaft - Viveca Sten - E-Book
SONDERANGEBOT

Tödliche Nachbarschaft E-Book

Viveca Sten

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gefahr für Sandhamn durch einen neuen Nachbarn Als Nora mit ihrer kleinen Tochter auf Sandhamn Urlaub macht, steht die Inselwelt Kopf, denn keiner will die Baupläne des zwielichtigen Investors Carsten Jonsson akzeptieren. Doch wie weit werden die Bewohner der Insel gehen, um ihre Idylle zu retten? Es gibt ungeschriebene Gesetze auf der Schäreninsel Sandhamn. Dass der Investor Carsten Jonsson ein großes Strandgrundstück kauft, um dort ein luxuriöses Sommerhaus zu bauen, ist den Sandhamnern ein Dorn im Auge. Doch wer würde so weit gehen, den Hausbau durch kleine inszenierte Unfälle zu verhindern? Handelt es sich um Zufall oder Sabotage? Um seine Nachbarn milde zu stimmen, lädt Jonsson, der in zweifelhafte Risikogeschäfte in Russland verwickelt ist, die Bewohner der Insel zu einer pompösen Einweihungsfeier ein. Was als versöhnliche Geste gedacht war, endet in einer Katastrophe, und Thomas Andreasson muss auf Sandhamn die Ermittlungen aufnehmen. Er ist seit nunmehr zwanzig Jahren Polizist und gar nicht sicher, ob er diesen Job noch lange ausüben will. Und nun steht er vor seinem schwersten Fall. Der siebte Roman der Sandhamn-Reihe enthält alles, was die vielen, vielen Fans von Viveca Sten so lieben: atemlose Spannung, eine bedrohte Sommeridylle – und Thomas Andreasson.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 549

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Viveca Sten

Tödliche Nachbarschaft

Ein Fall für Thomas Andreasson

Roman

Aus dem Schwedischen von Dagmar Lendt

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Viveca Sten

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Karten zum Buch

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Kapitel 77

Kapitel 78

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Kapitel 85

Kapitel 86

Kapitel 87

Kapitel 88

Kapitel 89

Kapitel 90

Kapitel 91

Kapitel 92

Kapitel 93

Kapitel 94

Kapitel 95

Kapitel 96

Kapitel 97

Kapitel 98

Danksagung der Autorin

Leseprobe »Verschwiegen«

Inhaltsverzeichnis

Für Lennart, meinen Liebsten

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

»Fatty, Fatty, Fatty.«

Er lag auf der Seite, ohne sich zu rühren oder zu protestieren. Wenn er versuchte, sich zu wehren, machte er es nur noch schlimmer.

Lass die Pause vorbei sein, betete er. Lass es klingeln.

Der Anführer der Gang, der König des Schulhofs, versetzte ihm einen harten Tritt. Der Stiefel traf ihn genau am Steißbein. Der Schmerz ließ ihn zusammenzucken, aber er schaffte es gerade noch, sich einen Aufschrei zu verbeißen.

Es würde nur schlimmer, wenn er zeigte, dass es wehtat.

Seine Nase war verstopft von zurückgehaltenen Tränen und Schnodder, aber er durfte nicht nachgeben und anfangen zu heulen, das wäre das Schlimmste, was er tun konnte.

Es klingelte. Endlich. Die Rufe verstummten.

Er wartete eine Minute, dann öffnete er die Augen und blickte sich um. Er war allein auf dem Schulhof. Als er sich die Nase abwischte, die schon angeschwollen war, war an seiner Hand Blut.

Die Klingel schrillte noch einmal.

Ein Stich fuhr ihm durch den Rücken, als er aufstand. Er wusste, dass er einen Eintrag ins Klassenbuch kassieren würde, wenn er zu spät kam, aber er wagte nicht hineinzugehen, bevor die anderen in ihren Bänken saßen.

Das kriegen sie wieder, flüsterte er vor sich hin. Denen werde ich es zeigen.

Die Worte hallten in ihm nach.

»Fatty, Fatty, Fatty.«

Inhaltsverzeichnis

Montag, 29. April 2013

Kapitel 1

Maria Svedin wartete in der geräumigen Diele, während Celia Jonsson ihrem Sohn Oliver dabei half, die Jacke seiner dunkelblauen Schuluniform anzuziehen. Maria trat von einem Bein aufs andere. Sollte sie Olivers Schultasche holen, die noch in seinem Zimmer war? Man wusste nie so genau, was Celia wollte.

Celia knöpfte den obersten blanken Knopf von Olivers Jacke zu und strich ihm eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe sie sich aufrichtete.

»Maria«, sagte sie in ihrem gebrochenen Schwedisch. »Kannst du Oliver zur Schule bringen, ich habe heute anderes zu tun. Du kannst Carstens Wagen nehmen, er ist zu Fuß ins Büro gegangen.«

Die Frage überraschte Maria. Sonst brachte Celia ihren Sohn morgens zur Schule, aber man merkte ihr an, dass sie gestresst war, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und ihr Mund war ein schmaler Strich.

Gestern Abend hatte Maria laute Stimmen gehört. Obwohl die Wohnung groß war und ihr Zimmer weit entfernt vom Elternschlafzimmer lag, hatte sie die aufgebrachten Worte nicht überhören können, die durch die Wände drangen. Es hatte sich angehört, als ob sie über den Sommerurlaub stritten, Carstens Pläne für ein Ferienhaus in Schweden.

»Maria?«, sagte Celia wieder.

Maria nickte und ging zur Eingangstür. Ein Aufzug führte direkt in die Wohnung der Familie. Sie drückte den Aufzugknopf mehrere Male, um Celia zu zeigen, dass sie unterwegs war.

Am liebsten hätte sie Oliver nicht zur Schule gefahren, der Linksverkehr in London war immer noch ungewohnt, und die Verkehrskreisel machten sie nervös.

Celia bemerkte ihr Zögern nicht. Oder vielleicht war es ihr egal.

»Fahr schon mal das Auto aus der Garage, ich komme mit Oliver in ein paar Minuten hinunter«, fuhr Celia fort. »Ich soll nur seine neuen Handschuhe holen.«

Das heißt »will holen«, nicht »soll holen«, dachte Maria, aber sie korrigierte Celia nicht.

Maria zog ihre Jacke an und wandte sich zur Tür.

»Hurry up, Oliver«, rief Celia aus. »You mustn’t be late for school. You know what daddy will say.«

Es klickte am Eingang, der Aufzug war da.

»Ich geh dann«, sagte Maria.

 

Die Lampen gingen normalerweise automatisch an, sobald jemand die Garage betrat, aber als Maria aus dem Aufzug stieg, passierte nichts. Kurz darauf verschwand das Licht hinter ihrem Rücken, als sich die Aufzugtüren automatisch schlossen. Sie drehte sich um und wollte den Knopf drücken, damit die Türen sich wieder öffneten, aber der Aufzug war schon weg.

Maria machte einen Schritt vorwärts und stampfte auf den grauen Betonfußboden, damit die Beleuchtung anspringen sollte, aber es blieb dunkel. War der Strom ausgefallen? Nein, dann hätte der Aufzug auch nicht funktioniert. Mit der Automatik musste etwas nicht in Ordnung sein, aber sie hatte keine Ahnung, wo der Lichtschalter war oder was sie tun konnte, um ihn in der stockdunklen Garage zu finden.

Carstens Auto stand um die Ecke, ganz hinten in der letzten Reihe, ungefähr fünfzig Meter entfernt. Maria suchte in der Jackentasche nach ihrem Handy, um die Taschenlampe einzuschalten, aber ihre Finger trafen nur auf ein Päckchen Kaugummi und einige Pence. Sie musste es oben in der Wohnung gelassen haben.

Sie bewegte sich rückwärts, bis sie die Aufzugtüren an ihren Schultern spürte und wusste, dass sie sich wieder auf dem kleinen Absatz befand.

Ein Glück, dass der schimmernde Lichtfleck verriet, wo der Aufzugknopf war. Sie drückte fest zu, als könnte das den Aufzug veranlassen, schneller zurückzukommen und sie wieder nach oben zu bringen.

Jetzt komm schon.

Was war das? Ein leises Geräusch hinter ihr ließ sie zusammenzucken.

Es war so kurz gewesen, dass sie nicht sicher war, ob sie sich verhört hatte, aber der Eindruck eines metallischen Tons hielt sich in ihrem Ohr. Als wäre ein Werkzeug zu Boden gefallen, vielleicht ein Schraubenschlüssel oder ein Hammer.

Maria drehte sich um, versuchte ins Dunkel zu spähen, dem Geräusch nachzulauschen, das sie gerade gehört hatte.

Es war von der anderen Seite gekommen, dort, wo Carstens Wagen stand.

War noch jemand in der Tiefgarage?

»Hallo?«

Sie hielt den Atem an. Spürte, wie es in ihrer Brust zu hämmern begann, obwohl sie ganz still stand.

»Hallo?«, rief sie wieder, zaghafter diesmal.

Ein schwacher, öliger Hauch wehte vorbei, so flüchtig, dass sie ihn kaum wahrnahm.

Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit, und sie konnte verschiedene Formen und Umrisse ausmachen. Autos teurer Fabrikate, aufgereiht in ihren Parkbuchten. Es wäre nicht schwer, sich hinter einem davon zu verstecken.

Maria versuchte, sich zu sammeln, aber ihr Herz klopfte so laut, und sie atmete viel zu schnell. Celia wartete auf sie. Sie musste den Wagen holen, sonst würde Oliver zu spät zur Schule kommen.

Sie atmete tief durch und umklammerte den Autoschlüssel in ihrer Jackentasche.

Es war nicht sehr weit bis zu Carstens Auto, sie müsste es schaffen, sich im Dunkeln dorthin vorzutasten. Der Pullover unter ihrer dicken Jacke war am Ausschnitt feucht.

Sie biss die Zähne zusammen, machte zögernd einen Schritt nach vorn, und dann noch einen.

Der Landrover stand ganz hinten, sie war schon fast dort. Sie hielt den Autoschlüssel fest umklammert, spürte, wie sich Erleichterung in ihr ausbreitete.

Es roch jetzt nach Benzin, oder bildete sie sich das ein?

Maria drehte den Kopf, versuchte herauszufinden, ob sie allein in der Tiefgarage war.

»Hallo?«, rief sie wieder, obwohl der Instinkt ihr riet, leise zu sein, nicht zu verraten, dass sie hier war.

Da hörte sie das Geräusch wieder. Irgendetwas tropfte langsam auf den Boden.

Dann gab es eine Stichflamme, und die Welt explodierte in einem Feuerball.

Inhaltsverzeichnis

Dienstag, 30. April

Kapitel 2

Julia ließ Noras Hand los, als sie den Sammelplatz vor Sandhamns Värdshus erreichten. Dort standen bereits etwa hundert Menschen und warteten darauf, dass der Fackelzug sich in Bewegung setzte. Nora kannte die meisten und winkte ein paar Nachbarn zu, die zusammenstanden und sich unterhielten.

Es war ein schöner Abend, wenn auch nicht besonders mild. Die Kälte des ungewöhnlich langen und harten Winters wollte nicht recht weichen. Schon im November war der Schnee gekommen, und die Eisdecke hatte sich bis Mitte April gehalten, es war der längste Winter in Stockholm seit über hundert Jahren. Monatelang waren die Kais und Anleger bis zum Grund eingefroren, und es war bitterkalt gewesen.

Aus den Augenwinkeln sah Nora, dass Adam und Simon jeder eine Fackel erhalten hatten, die sie hoch in die Luft reckten.

»Ich will auch so eine, Mama.«

Julia zog an ihrem Arm, und Nora beugte sich zu ihr hinunter. Julias blonde Haare waren zu zwei kleinen Rattenschwänzen geflochten, die hinter ihren Ohren hervorschauten. Die blauen Augen waren voller Erwartung.

»Du bist noch zu klein, um eine brennende Fackel zu tragen, Mäuschen«, sagte sie und wusste, was nun kam. »Da musst du warten, bis du so groß bist wie deine Brüder.«

Julia presste enttäuscht die Lippen zusammen und sah auf einmal Jonas unglaublich ähnlich. Sie hatten dieselbe schmale Oberlippe, die beinahe ganz verschwand, wenn der Frust überhandnahm. Julias Gesichtsausdruck wechselte zwischen Wut und Weinen, die Oberlippe kam zurück und zitterte empört.

»Ich will aber!«, schrie sie und schlug Nora auf den Arm.

»Julia!«, sagte Nora. »So etwas macht man nicht.«

Adam hielt Nora seine Fackel hin.

»Du kannst auf meinen Schultern reiten, wenn du willst, Julia.«

Im Nu hatte er Julia hochgehoben und sich auf die Schultern gesetzt. Jetzt strahlte sie, die Katastrophe war abgewendet. Adam ging hinüber zu ein paar Freunden, um mit ihnen zu reden, während Julia wie ein kleiner Sack Kartoffeln über seinem Kopf hing.

Nora betrachtete ihr ältestes und ihr jüngstes Kind und spürte eine so starke Liebe in sich, dass ihre Augen feucht wurden, obwohl sie mitten in der Menschenmenge stand.

Geliebte Kinder. Geliebte Julia.

Jetzt hatte sie auch noch eine Tochter bekommen und war Mutter von drei Kindern.

Jonas kam zu ihr und unterbrach ihre Gedanken.

»Sind sie nicht süß zusammen?«, sagte er mit einem Kopfnicken zu Adam und Julia.

Nora lehnte sich an ihn.

»Er kommt mir manchmal schon so erwachsen vor«, sagte sie.

Adam hatte bald sein zweites Jahr auf dem Gymnasium hinter sich. Aus dem patzigen Teenager war ein fürsorglicher junger Mann geworden.

»Das zeigt, dass auch für Simon noch Hoffnung besteht«, fügte sie hinzu.

»Es wäre nicht das Schlechteste.«

Hatte Jonas Simon so satt? Das sah ihm nicht ähnlich, aber Simon stellte die Geduld aller wirklich auf eine harte Probe. Der fröhliche kleine Sonnenschein hatte sich ohne Vorwarnung in einen mürrischen Dreizehnjährigen verwandelt, der die meiste Zeit vor dem Fernseher verbrachte.

Im letzten Winter hatte Nora gleichzeitig mit Julias Dreijahres-Trotzphase und Simons Muffigkeit zurechtkommen müssen. Keins von beiden war einfach gewesen, und so manches Mal hatte sie sich gefragt, ob sie zu alt war, um mit großen und kleinen Kindern fertigzuwerden.

»Müsste es nicht bald losgehen?«, fragte Jonas und blickte zur Vorsitzenden von Sandhamns Vänner, dem Verein, der die Veranstaltung auf der Insel organisierte.

Die Vorsitzende hielt ein Megafon in der Hand und schien sich bereit zu machen.

Als Jonas den Kopf drehte, stießen seine Haare am Kragen auf. Sie waren immer noch makellos braun. Nur ich müsste mal wieder färben, dachte Nora und wurde einmal mehr an den Altersunterschied zwischen ihr und Jonas erinnert. In diesem Jahr wurde er neununddreißig und sie selbst sechsundvierzig.

Die Vereinsvorsitzende stimmte ein Lied an, und der Fackelzug setzte sich langsam in Bewegung, vorbei am Café Strindbergsgården und hinein in den alten Teil des Dorfes. Ziel war Fläskberget, der Strand an der Nordseite der Insel, auf dem das Walpurgisfeuer entzündet werden sollte, um die Ankunft des Frühlings zu feiern.

Nora hielt immer noch Adams Fackel in der Hand. Sie reckte sie hoch in die Luft, damit sie nichts und niemanden damit gefährdete. Eigentlich war es Wahnsinn, einen Fackelzug durch die engen Gassen zwischen den jahrhundertealten Holzhäusern zu machen. Es brauchte nicht viel, um das alles in Brand zu setzen. Das einzige Löschfahrzeug auf der Insel würde nicht viel ausrichten können.

Aber Tradition war Tradition.

Als sie Fläskberget erreichten, brannte das Feuer schon, genährt von den Fackeln, die die Teilnehmer hineinwarfen. Orangegelbe Flammen schlugen in den blauen Abendhimmel. In der Ferne glitt eine weiße Waxholmfähre über das spiegelglatte Wasser.

In der glasklaren, kühlen Luft waren alle Konturen messerscharf.

»Zeit, dass wir den Frühling zusammen mit einem Lied begrüßen«, rief ein älterer Mann, der das Megafon übernommen hatte.

Nora hielt in der Menschenmenge Ausschau nach Simon und entdeckte ihn auf der anderen Seite des Feuers zusammen mit seinen Kumpels. Sie winkte, aber er sah sie nicht. Adam kam herüber und stellte sich zu ihr und Jonas, immer noch mit Julia auf den Schultern.

Das Feuer knackte laut, und plötzlich sprühte ein Funkenregen aufs Wasser. In der dunkelblauen Dämmerung sah es aus wie ein Schwarm Glühwürmchen im Sinkflug.

Julia streckte die Arme nach Nora aus, sie wollte herunter. Nora fing sie auf und wurde zur Belohnung fest gedrückt.

Sie spürte die Wärme des kleinen Körpers, sog den Duft der feinen blonden Haare ein.

Geliebte Julia, dachte sie wieder.

 

Julia hing in Jonas’ Armen, mit müden Augen und dem Daumen im Mund.

»Lass uns nach Hause gehen«, sagte Jonas halblaut zu Nora und warf einen Blick hinauf zur Brand’schen Villa, die nur wenige Hundert Meter entfernt wie eine Leuchtboje oben auf dem Kvarnberget stand.

In der hereinbrechenden Dämmerung schimmerte es warm aus den Fenstern im Erdgeschoss, sie hatten einige Lampen angelassen.

»Gehst du schon mal vor?«, fragte Nora. »Ich will nur eben sehen, wo Simon ist, und fragen, was er heute Abend noch vorhat.«

Es war eine Weile her, seit sie Simon zuletzt gesehen hatte. Vor dem Abendessen hatte er mit entschlossener Miene neue Ausgangszeiten gefordert: unter der Woche bis Mitternacht und am Wochenende bis eins.

Nora hatte empört abgelehnt. Mitternacht war für einen Dreizehnjährigen viel zu spät, und ein Uhr kam erst recht nicht infrage. Aber Simon hatte gekämpft. Alle seine Freunde durften so lange wegbleiben, warum sollte er der Einzige sein, der so früh nach Hause musste?

Nora versuchte, ihren Sohn im Schein des herabgebrannten Feuers zu entdecken, das inzwischen wenig mehr als ein großer Gluthaufen war. Einzelne verkohlte Stöcke ragten heraus und zeigten wie Finger auf sie.

Simon war nirgends zu sehen, aber ein Stück entfernt stand Eva Lenander. Sie war die Mutter von Fabian, Simons bestem Freund auf der Insel. Eva wartete geduldig darauf, dass Marco, der schwarze Pudel der Familie, sein Geschäft am Waldrand beendete. In der Hand hielt sie eine Plastiktüte.

»Hast du die Jungs gesehen?«, rief Nora und ging auf sie zu.

Eva schüttelte den Kopf.

»Die sind anscheinend schon weg. Fabian sagte, dass sie rüber zu Richardsons wollten.«

Nora kannte die Familie, sie hatten auch einen Sohn in Simons Alter und wohnten unterhalb der Kapelle, nur wenige Minuten von der Brand’schen Villa entfernt.

»Na ja«, sagte sie. »Dann weiß ich wenigstens, wo er ist.«

Sie seufzte leicht und strich die Haare zurück, die der Wind ihr ins Gesicht blies.

»Es hätte nicht geschadet, wenn Simon mir vorher Bescheid gesagt hätte.«

Eva lachte, ihr Grübchen auf der linken Wange wurde zu einer tiefen Falte.

»Glaubst du, Fabian hätte mir was gesagt, wenn ich ihn nicht erwischt hätte, kurz bevor sie losgezogen sind? Im Moment kriegt man aus dem Jungen keine zwei vernünftigen Worte heraus, alles, was ich zu hören bekomme, ist genervtes Gebrummel.«

Nora lächelte. Wie beruhigend, dass sie nicht die einzige Teenagermutter war, die fand, dass ihr Sohn sich seltsam benahm.

»Hast du übrigens schon das Neueste gehört?«, fragte Eva erwartungsvoll.

Im Winter hatte sie sich die Haare kurz schneiden lassen, der Lockenkopf stand ihr, er betonte ihre Augen und lenkte von den runden Pausbacken ab.

Nora grub in ihrem Gedächtnis, hatte sie etwas verpasst? In diesem Frühjahr waren sie noch nicht oft auf Sandhamn gewesen, da Simon an den meisten Wochenenden Fußballtraining gehabt hatte.

»Auf Fyrudden wird gebaut«, sagte Eva. »Rate mal, wie viel der neue Käufer hingeblättert hat.«

Nora hatte gar nicht gewusst, dass der große Strandabschnitt an der Südwestseite der Insel zum Verkauf stand.

»Keine Ahnung, aber du weißt es, nehme ich an?« Jetzt brach ihre Neugier doch ungewollt durch, obwohl sie sich eigentlich gegen Tratsch und Klatsch wehrte.

Eva hielt beide Hände hoch und spreizte die Finger.

»Mal zwei«, sagte sie und wartete gespannt auf Noras Reaktion.

»Zwanzig Millionen?«, entfuhr es Nora. »Du machst Witze, oder? Das ist ja Wahnsinn.«

»Habe ich jedenfalls gehört. Aus einer sicheren Quelle.«

»Wer bezahlt denn so viel Geld für ein Grundstück?«

»Wie die Familie heißt, weiß ich nicht, nur, dass es Auslandsschweden sein sollen.«

Das war ja klar, dachte Nora.

»Sie wohnen in London, wenn ich es richtig verstanden habe. Anscheinend haben sie schon im Herbst mit der Planung angefangen, da soll wohl eine riesige Villa hin, die wird bestimmt auch nicht billig. Sie soll noch in diesem Sommer fertig sein, habe ich läuten hören.«

Nora blickte zu den ehemaligen Bootsschuppen unterhalb des Kvarnberget. Sie erinnerten an die Zeit, als die einheimischen Inselbewohner vom Fischfang lebten und die Schuppen dazu dienten, Netze und Gerätschaften aufzubewahren. Inzwischen waren die meisten zu Gästehäusern oder Saunen umgebaut. Eine Entwicklung, die viele Schäreninseln durchmachten, aber trotzdem fand Nora es bedrückend.

»Dann ist die alte Frau Sjöberg nun wohl gestorben«, sagte sie.

Jahrelang hatte niemand auf Fyrudden gewohnt. Die Witwe, der das Strandstück ursprünglich gehörte, hatte die letzten zehn Jahre in einem Pflegeheim gelebt, und das Wohnhaus war langsam verfallen. Ida Sjöberg musste fast hundert geworden sein.

»Ja«, sagte Eva. »Ich glaube, schon im vorletzten Winter, denn der Verkauf muss damals schon über die Bühne gegangen sein, aber ich habe erst jetzt davon gehört. Sie hatte ja selbst keine Kinder, also sind es ihre Nichten und Neffen, die das große Geld einstreichen.«

Marcos Gebell unterbrach sie, er hatte genug herumgeschnüffelt und zog an der Leine.

Nora warf einen Blick auf die Uhr.

»Du, ich muss los«, sagte sie. »Jonas ist bestimmt schon zu Hause und wundert sich, wo ich bleibe.«

Sie umarmte die Freundin flüchtig.

»Einen schönen Abend noch. Falls du meinen Sohn sehen solltest, richte ihm bitte aus, dass er um elf zu Hause sein soll.«

Es war inzwischen dunkel geworden, nur im Westen zeigte ein zartrosa Schimmer, wo die Sonne untergegangen war. Der Himmel war sternenklar und übersät von feinem Glitzern. Nora fröstelte, während sie den Strandweg entlangging, der zur Brand’schen Villa führte.

Fyrudden war also verkauft. Einmal hatte es ja so kommen müssen. Das Grundstück war riesig, wahrscheinlich eines der größten auf der Insel, und die Lage an der Südseite war fantastisch. Ein großer Teil des Strandes gehörte auch dazu. Es war natürlich sehr viel Geld wert, trotzdem fand sie die Summe überhöht.

Zu Lebzeiten der alten Besitzer wäre niemand auf die Idee gekommen, das Grundstück einzuzäunen. Es war eine Selbstverständlichkeit, die alte Tradition zu wahren, dass alle Strände Sandhamns frei begehbar sein sollten.

Was würde jetzt daraus werden?

Menschen, die bereit waren, so viel Geld zu bezahlen, waren selten gewillt, auf alte Sitten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen. Das hatte sich in den letzten Jahren gezeigt, als viele alte Häuser auf der Insel verkauft worden waren.

Würde man immer noch am Strand spazieren gehen und die schöne Aussicht genießen können? Wer wusste schon, auf welche Ideen die neuen Bewohner kamen, wenn sie sich erst auf Sandhamn niedergelassen hatten?

So viel stand jedenfalls fest, dachte Nora. Wenn sie ihr Privatleben mit Bretterwänden und Zäunen abschirmen wollten, würde es auf der Insel einen Aufstand geben.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 3

Thomas Andreasson rüttelte Pernilla sanft an der Schulter. Sie war auf dem Sofa eingeschlafen, mit dem Kopf auf der breiten Armlehne. Ihr Mund stand halb offen, aber sie schnarchte nicht, stattdessen stieß sie ab und zu kleine Schnaufer aus.

»Pernilla?«, sagte er und streichelte sie wieder. »Willst du nicht lieber ins Bett gehen, statt die Nacht vor dem Fernseher auf dem Sofa zu verbringen?«

Pernilla öffnete langsam die Augen.

»Es ist fast halb zwölf«, sagte Thomas. »Du schläfst schon seit Stunden.«

»Wie ist der Film ausgegangen?« Pernilla gähnte und raufte sich die zerzausten roten Haare.

»Wie immer natürlich. Die Guten haben gesiegt, und die Bösen haben ihre verdiente Strafe bekommen. Völlig wirklichkeitsfremd.«

Es sollte ein Scherz sein, aber er hörte selbst, wie verbittert das klang. Pernilla setzte sich auf und strich ihm über die Wange.

»Empfindest du das so?«

Sie ließ die Hand an seiner Wange ruhen. Thomas wusste, dass sie sich seit ein paar Monaten Sorgen um ihn machte.

Er zuckte die Schultern. Die Worte waren ihm so herausgerutscht, unbeabsichtigt, und er hatte keine Lust, darüber zu reden, jedenfalls nicht um diese Uhrzeit.

»Na gut, dann lass uns schlafen gehen«, sagte Pernilla, gähnte noch einmal herzhaft und stand auf.

»Ich bin nicht müde. Geh nur, ich komme bald nach.«

»Bleib nicht mehr so lange auf.«

Pernilla öffnete die Tür zu Elins Zimmer und warf einen Blick hinein. Thomas wusste, dass sie tief und fest schlief. Er hatte schon mehrmals nach ihr geschaut.

Diese ewige Unruhe, dass in der Nacht etwas passieren könnte. Sie würde nie vorbeigehen.

Thomas trat ans Küchenfenster. Durch die Scheibe sah er die Umrisse des Bootsstegs, die Schatten der kleinen Laternen ganz am Ende der Nock, das Wasser, das wie ein blanker Deckel über der Tiefe lag.

Es war eine stille Walpurgisnacht gewesen. Nora hatte gefragt, ob sie nach Sandhamn kommen und mit ihnen feiern wollten, aber sie hatten beschlossen, auf Harö zu bleiben und Thomas’ Eltern Gesellschaft zu leisten. Nach einem frühen Abendessen waren sie in ihr eigenes Haus zurückgekehrt.

Endlich liegt Frühling in der Luft, dachte er.

Bald würde alles grün werden, und der Flieder würde blühen. Wie üblich würden sie den Sommer über auf Harö wohnen und wahrscheinlich den Urlaub mit ein paar aufgesparten Elternzeitwochen verlängern, damit Elin einen schönen langen Sommer im Schärengarten verbringen konnte. Thomas’ Eltern wollten schon im Mai kommen, immer bereit, Babysitter zu spielen, falls es nötig wäre.

Eigentlich müsste es ihm gut gehen, jetzt, wo der lange, kalte Winter endlich vorbei war.

Stattdessen war er niedergeschlagen und antriebslos.

Thomas nahm ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank. Mit der Flasche in der Hand ging er zurück zum Sofa, griff nach der Fernbedienung und zappte sich durch die Kanäle. Schließlich blieb er bei einem alten Actionfilm hängen, den er schon etliche Male gesehen hatte.

Er hatte keinen Grund, sich zu beklagen. Er war glücklich mit Pernilla und zutiefst dankbar, dass sie nach der Scheidung vor acht Jahren wieder zueinandergefunden hatten. Dass sie Elin bekommen hatten, war ein Wunder, in vielerlei Hinsicht.

Manchmal, wenn er seine Tochter im Arm hielt, konnte er es kaum fassen, dass sie ihm geschenkt worden war.

Trotzdem saß er hier und grübelte. Warum konnte er nicht … glücklich sein?

In diesem Jahr wurde er sechsundvierzig, noch vier Jahre bis zu seinem Fünfzigsten, viele Jahre bis zur Pensionierung. Würde er es noch so lange durchhalten, Kriminalkommissar zu sein?

Die Vorstellung, immer und immer wieder mit allen Ausprägungen menschlicher Dummheit und Bosheit konfrontiert zu werden, war manchmal quälend, manchmal nahezu unerträglich. Verzweifelte Angehörige und Verbrechensopfer, die betreut werden mussten, zynische Anwälte, die unverschämte Forderungen stellten.

Das Bier schmeckte nicht. Thomas schaltete den Fernseher aus und holte seine Jacke. Er musste an die frische Luft, den Kopf von allen Gedanken freibekommen, die in ihm mahlten.

Es war schön, die Lunge mit kühler Meeresluft zu füllen. Thomas atmete ein paarmal tief durch und ging hinunter zum Steg.

Eine dünne Schicht Tau hatte sich auf die geölten Bohlen gelegt. Auf der anderen Seite der Fahrrinne lagen Storö und Hagede Brygga versunken im Dunkel. Im Winter konnte man zu Fuß übers Eis dorthin gehen.

Noch vor wenigen Wochen hatten Eiszapfen an den Dächern gehangen. In den Felsspalten hielt sich hartnäckig der Schnee. Sein Aluminiumboot, ein Buster, hatte er noch gar nicht wieder zu Wasser gelassen. In diesem Jahr war alles verspätet.

Du hast keinen Grund, dich zu beklagen, sagte er sich wieder und steckte die Hände in die Jackentaschen.

Seine frühere Partnerin im Dienst, Margit Grankvist, hatte ihn zum Gruppenleiter gemacht, als sie vor ein paar Jahren zur Chefin des Ermittlungsdezernats befördert worden war. Für ihn hatte das eine Gehaltszulage und zusätzliche Verwaltungsaufgaben bedeutet, leider ohne dass Ersteres eine Kompensation für Letzteres gewesen wäre.

Die Zusammenarbeit mit Margit stand auf stabilen Füßen und war geprägt von gegenseitigem Vertrauen. Sie ließ ihm viel Freiheit und vertraute auf sein Urteilsvermögen. Trotzdem waren die letzten Monate eine große Belastung gewesen, mit mehreren schwierigen Fällen, während gleichzeitig eine nie versiegende Flut von immer neuen Direktiven zu Einsparmaßnahmen bewältigt werden musste.

Etwas rumorte in ihm, und er hatte Schwierigkeiten, morgens aufzustehen, wenn der Wecker klingelte.

Muss das so sein?, fragte er sich manchmal, wenn er zum Dienst fuhr und nicht wusste, woher er die Kraft nehmen sollte, um den Tag durchzustehen.

Thomas drehte sich um und schaute zum Haus.

Hinter den weißen Fenstern schliefen seine Tochter und seine Lebensgefährtin. Die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben.

Ich bin ein Glückspilz, dachte er, ohne Freude dabei zu empfinden.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 4

Zu dumm, dass er den Anruf aus Russland verpasst hatte. Carsten Jonsson starrte auf sein Handy und bemerkte, dass er es lautlos gestellt hatte. Er musste vergessen haben, die Stummschaltung nach dem Termin in der Bank aufzuheben, aber für einen Rückruf war es jetzt zu spät. Er hatte in einer Bar ein paar Gläser getrunken, und es ging schon auf Mitternacht zu. Der Rückruf musste bis morgen warten.

Mit dem Telefon in der Hand ging er in die Bibliothek und goss sich einen kleinen Whisky ein. The Dalmore, seine Lieblingsmarke. Den hatte er sich verdient. Bei der Bank war alles gut gelaufen, die Prognosen waren auf dem besten Weg, sich zu erfüllen, und im Oktober würde er den Kredit zurückzahlen, genau wie vereinbart.

Carsten sank in den gesteppten Ledersessel vor dem breiten Panoramafenster. Als er nach Hause ging, hatte es aufgehört zu regnen, jetzt waren die Wolken aufgerissen und ließen auf einen sonnigen neuen Tag hoffen. Das wurde auch höchste Zeit, im April hatte es fast jeden Tag geregnet.

In der Wohnung war es vollkommen still, Celia und die Kinder schliefen um diese Zeit längst. Das Kindermädchen auch. Marianne? Nein, Maria hieß sie wohl. Es fiel ihm schwer, sich all die Namen zu merken, diese Mädchen blieben meist nicht sehr lange.

Aber Maria war aus anderem Holz geschnitzt. Sie hatte sich nach dem Unfall in der Tiefgarage schnell erholt.

Der Unfall.

Carsten kaute auf dem Wort. Der Wagen war völlig zerstört worden, nur durch Zufall hatte es keine Verletzten gegeben. Laut Versicherungsgutachten war ein ungewöhnlicher technischer Defekt schuld daran, dass sich der Benzintank selbst entzündet hatte. Dafür konnte man niemanden haftbar machen.

Er strich mit den Fingerspitzen über die lederne Armlehne.

Für den russischen Aktienposten gab es mehrere Interessenten. Und es hatte andere Geschäfte gegeben, bei denen es rau zugegangen war.

Was sollte er tun, wenn es kein Unfall gewesen war?

So ein Theater wie bei United Oil würde er nicht noch einmal mitmachen. Die Nächte, in denen er nicht wusste, wie er das durchstehen sollte, die Tage, an denen er morgens einen Extrakick brauchte, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Alles, was danach passiert war.

Er war jetzt ein anderer. Er hatte schon seit Jahren nichts mehr nehmen müssen, obwohl er sicherheitshalber immer ein Tütchen dabeihatte.

Das Glas war leer. Carsten stand auf und schenkte sich nach.

Hoffentlich hatte die Versicherung recht und die Explosion hatte nichts mit seinen Geschäften zu tun.

Maria schien sich jedenfalls wieder erholt zu haben, und sie kam gut mit Oliver und Sarah zurecht. Carsten kontrollierte ab und zu, ob sie sich daran hielt, ausschließlich Schwedisch mit den beiden zu sprechen. Die Kinder mussten die Sprache ihrer Vorväter beherrschen. Sie sollten ihre Wurzeln kennen, und wie hätten sie sich sonst mit ihrer schwedischen Großmutter unterhalten sollen?

Deshalb hatte er das Grundstück auf Sandhamn gekauft, redete er sich ein, obwohl er es besser wusste. Das Bild seines Vaters erschien vor seinem geistigen Auge, aber er verdrängte es schnell wieder.

Viele Verhandlungsrunden waren nötig gewesen, bis er den Zuschlag für das große Gelände bekam, aber am Ende hatte das Geld gesiegt.

Wie immer.

Das Gerede der Erben, an einen Ortsansässigen verkaufen oder ein Naturreservat einrichten zu wollen, war sehr schnell verstummt, als ihnen aufgegangen war, wie groß der Geldbeutel war, der da vor ihrer Nase baumelte.

Bei der Unterzeichnung des Kaufvertrags beim Notar hatte er die Gier in ihren Augen gesehen, wie sie schon überlegten, was sie sich nun alles würden leisten können.

Der nachtblaue Himmel vor dem Fenster wurde von Lichtstrahlen erhellt. London glitzerte vor seinen Augen.

In früheren Jahren hatte er in New York gewohnt und als Wertpapier- und Valutahändler für eine der größten amerikanischen Investmentbanken gearbeitet. Da hatte er noch keine eigenen Investmentgeschäfte getätigt. Aber er hatte sich in den USA nie so heimisch gefühlt wie hier in London.

Carsten strich sich übers Haar und überlegte, welches Automodell er sich zulegen sollte, wenn der russische Deal über die Bühne gegangen war. Er sollte sich einen neuen Sportwagen gönnen. Wenn er den bis zum nächsten Frühjahr haben wollte, war es höchste Zeit, sich auf die Warteliste setzen zu lassen.

Noch nie hatte er so viel für eine einzige Investition riskiert. Aber das Set-up war brillant, und er hatte sofort begriffen, dass dies eine einzigartige Möglichkeit war, irrsinnig viel Geld zu verdienen.

Das hatte er Anatolij Goldfarb, seinem alten Kollegen aus der Zeit bei der New Yorker Bank, zu verdanken. Nach ein paar Jahren hatte Anatolij sich von einer neu gegründeten russischen Investmentbank, die mit enormen Bonusprämien warb, zurück nach Moskau locken lassen. Aber sie waren in Kontakt geblieben, und es hatte sich gelohnt.

Carsten schüttelte das Glas, sodass die Eiswürfel klirrten.

Russland war instabil. Ihm waren die Risiken bekannt, die das Geschäftemachen in der ehemaligen Sowjetrepublik mit sich brachte, die Notwendigkeit, Schlüsselpersonen zu schmieren und bedeutende Summen an »Provision« zu zahlen.

Aber mit Anatolij an seiner Seite bestand keine Gefahr. Er würde seinem alten Freund zwar nie hundertprozentig trauen, aber er hatte volles Vertrauen in dessen Willen, Geld zu verdienen.

Die Investition in das russische Technologieunternehmen hatte zwei Jahre zuvor mit einem Telefonat zwischen ihm und Anatolij begonnen. Der frühere Kollege hatte gefragt, ob Carsten Interesse habe, in ein Unternehmen zu investieren, das großes, nein, irrsinnig großes Potenzial habe.

Wie so oft, ganz gleich ob in den USA, in Schweden oder Russland, ging es um ein paar clevere junge Softwareingenieure, die auf eine glänzende Geschäftsidee gekommen waren.

Zehn, fünfzehn Jahre zuvor war es bei Investitionen in Russland um Gas und Öl gegangen. Das war zu der Zeit, als die russischen Staatsbetriebe für Kleckerbeträge verramscht worden waren. An vorderster Front hatten die alten KGB-Leute gestanden, diejenigen, die anschließend die neue Oberschicht bildeten: die unvorstellbar reichen Oligarchen.

Heute war es das Internet, um das sich alles drehte, es bot ein atemberaubendes Potenzial in einem Land mit einhundertvierzig Millionen Einwohnern, in dem es globalen Internetgrößen wie Google und Facebook nicht gelungen war, eine ähnliche Vormachtstellung zu erringen wie im Rest der Welt.

Noch in derselben Woche, in der Anatolij ihn angerufen hatte, war Carsten nach Moskau geflogen. Mehrere Tage lang hatte er in Besprechungen mit Sergej und Roman gesessen, den beiden Gründern, die schon als Studenten an der Universität begonnen hatten, an ihrer Geschäftsidee zu feilen.

Er hatte den Geschäftsplan auf Herz und Nieren abgeklopft, die anderen Mitglieder der Firmenleitung kennengelernt, kritisch alle Kalkulationen unter die Lupe genommen und war am Ende überzeugt gewesen. Sergej und Roman waren zweifellos wiz kids, junge, smarte Typen, die mit Computern zaubern konnten.

Carsten wusste da bereits, dass russische Programmierer zu den besten der Welt gezählt wurden, bei internationalen Programmierwettbewerben belegten sie regelmäßig Spitzenplätze. Aber hier fand er etwas noch Wichtigeres: eine innere Triebkraft, einen Hunger, den er von sich selbst kannte. Sergej und Roman wollten ihren Teil vom Kuchen, diesem unfassbaren Überfluss, zu dem nur die ganz Reichen in Russland Zugang hatten. Vor allem Sergej sabberte geradezu vor Eifer, als der Börsengang ins Gespräch kam.

Außerdem hatten sie die GZ3 auf ihrer Seite, die russische Bank war ein Investor mit gutem Renommee. Sie hielt derzeit fünfundzwanzig Prozent der Aktien und bürgte für eine erfolgreiche Börseneinführung.

Carsten stand auf und schenkte sich zum dritten Mal nach.

Die Geschäftsidee von Sergej und Roman bestand darin, eine sichere Bezahlmöglichkeit für den Onlinehandel aufzubauen, der mittlerweile auch in Russland immer mehr zunahm. Sichere Zahlungen übers Internet waren für die Russen ein großes Problem. In den letzten Jahren hatten sich viele Online-Versandfirmen gegründet, aber die Kunden verhielten sich abwartend; die Angst, betrogen zu werden, war immer noch weitverbreitet.

Aber mit der Lösung, die KiberPayentwickelt hatte, waren alle Probleme gelöst. Die Käufer konnten sich bei ihren Bestellungen ganz sicher fühlen, der Händler erhielt sein Geld erst, wenn die Ware beim Kunden angekommen war.

Außerdem war die technische Umsetzung für Mobiltelefone optimiert, und das war der eigentliche Schlüssel zum Erfolg.

KiberPay hatte ein Bezahlsystem geschaffen, das zugänglich für all die Russen war, die immer noch keine Kreditkarte, aber dafür ein Handy besaßen. Damit würde KiberPays Bezahlsystem den russischen Markt revolutionieren, vielleicht sogar andere Märkte, zum Beispiel in Afrika.

Dass die MobilApp gleichzeitig eine Reihe persönlicher Daten sammelte, wie etwa private Telefonnummern und Kundenpräferenzen, war das Sahnehäubchen obendrauf. Carsten konnte sich schon das Potenzial der Nutzerdatenbank ausmalen, die in der Folge entstand. Die Möglichkeiten, diese Daten zu verkaufen und weiter zu vermarkten, waren schier unendlich.

Er sog den satten Duft aus dem Glas ein.

Nach der ersten Begegnung hatte er nicht lange gebraucht, um sich zu entscheiden. Er stand vor einer außerordentlichen Möglichkeit, einer Investition, die die Größe des Fonds auf einen Schlag verdoppeln konnte.

Mit Anatolijs Hilfe organisierte Carsten die ganzen notwendigen Dinge rund um seine Investition, einschließlich der russischen Formalbedingungen, die erfüllt werden mussten, da es sich um eine ausländische Investition handelte. Seine eigenen Anwälte sorgten für die Einrichtung einer zweckdienlichen Struktur in Form einer Holdinggesellschaft auf Guernsey, die garantierte, dass die Gewinne nach und nach mit minimalen Steuerverlusten abgeschöpft werden konnten.

In den vergangenen zwei Jahren hatte das russische Unternehmen alle Prognosen erfüllt oder sogar übertroffen, und alles war nach Plan verlaufen. Jedes Mal, wenn er die Wertentwicklung kalkulierte, war er wieder aufs Neue überrascht, wie positiv sich alles darstellte, wie groß der Zustrom an Kunden war, wie die Einkünfte immer mehr stiegen.

Im September würden sie das Unternehmen an die Börse bringen, dann würde er eine enorme Rendite einstreichen.

Deshalb hatte er seine Risikobereitschaft erhöht, als Anatolij sich im Januar gemeldet und ihm ein weiteres Aktienpaket angeboten hatte. Einer der ursprünglichen Investoren musste kurzfristig seine Schuldenlast verringern, ob Carsten interessiert sei, noch ein paar Prozent mehr an dem Unternehmen zu kaufen?

Er brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden, nicht zuletzt, weil viele andere inzwischen das Potenzial von KiberPay witterten.

Bereits wenige Wochen darauf hatte er weitere Anteile an KiberPay erworben. Diesmal kaufte er die Aktien privat, auf eigene Rechnung. Das war zwar gegen alle Regeln, aber das kümmerte ihn nicht. Er nahm einen Kredit auf und brachte seinen gesamten Besitz als Sicherheit ein, aber er wusste, dass es eine todsichere Investition war. Den Kredit musste er erst im Oktober zurückzahlen, nach dem Börsengang blieb also genug Zeit.

Der Gewinn aus seinem eigenen Aktienpaket würde ihm Unabhängigkeit verschaffen, die Freiheit, für den Rest seines Lebens zu tun, wonach ihm der Sinn stand. Ein privates Darlehen von zwölf Millionen Dollar war zwar atemberaubend viel, aber er wusste, das hier war die Chance seines Lebens.

Auf der Chelsea Bridge tauchten die Scheinwerfer eines einsamen Autos auf. Es fuhr langsam, hatte offenbar keine Eile. Die hatte er auch nicht. Im Herbst würde er reicher sein, als er es sich jemals hätte träumen lassen.

Dann brauchte er Celias Geld nicht mehr.

Inhaltsverzeichnis

Donnerstag, 30. Mai

Kapitel 5

Nora grüßte den Pförtner an der Rezeption in der Hantverkargatan, wo die Behörde zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, EBM, ihren Sitz hatte, zog ihren Hausausweis durch den Kartenleser, der die Glastür öffnete, und dachte nicht zum ersten Mal, dass sie auf dem Foto aussah wie ein Sträfling.

Die Sonne schien durchs Fenster herein, als sie ihr Büro im ersten Stock betrat. Vor ihr lag ein ruhiger Vormittag, auf ihrem Terminkalender standen keine Besprechungen, und zum Gericht musste sie erst am nächsten Tag.

Sie hatte kaum ihre schwarze Aktentasche abgestellt, als es an der halb offenen Tür klopfte. Åke Sandelin, Chefankläger und Leiter der Ersten Abteilung für Wirtschaftsdelikte, stand in der Tür, die Brille in der Hand.

»Guten Morgen«, sagte er. »Haben Sie eine Minute Zeit?«

Sein kariertes Hemd war bis zum Hals zugeknöpft. Keine Krawatte, also hatte er heute auch keinen Termin bei Gericht. Aber seine gepflegten schwarzen Schuhe waren auf Hochglanz poliert, und Nora warf einen beschämten Blick auf ihre ziemlich betagten Loafers.

Sie zeigte auf einen Besucherstuhl. Ihr Zimmer war nicht groß, aber es reichte für einen Schreibtisch, zwei Stühle und einen kleinen Ablagetisch aus hellem Holz.

»Bitte«, sagte sie.

Åke setzte sich und schlug die Beine übereinander.

»Wie lange sind Sie jetzt bei uns?«, fragte er mit seiner ungewöhnlich tiefen Stimme.

»Mal überlegen. Ich bin im August 2010 gekommen, gleich nach meiner Elternzeit.«

Julia war gerade ein Jahr alt, als Nora die Stelle als Sonderanklägerin bei der Behörde zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität erhalten hatte. Im Frühjahr vor Julias Geburt war sie von der Bank, für die sie zehn Jahre gearbeitet hatte, »auf eigenen Wunsch freigestellt« worden, wie es im Aufhebungsvertrag hieß.

Gegen eine anständige Abfindung und ein hervorragendes Zeugnis war sie in aller Stille gegangen, ohne ihren Vorgesetzten wegen sexueller Belästigung anzuzeigen.

Hatte sie richtig gehandelt? Das würde sie nie erfahren. Aber sie hatte keinen Prozess vor dem Arbeitsgericht gewollt, sondern stattdessen eine finanzielle Wiedergutmachung akzeptiert. Das Gehalt, das ihr weitergezahlt worden war, hatte sie bis zu Julias Geburt über Wasser gehalten.

»Gefällt es Ihnen bei uns?«, fragte Åke.

Nora zuckte zusammen, sie war in Gedanken bei den Sorgen gewesen, die sie damals gehabt hatte.

»Ja, mehr als ich dachte«, sagte sie. »Es kommt mir vor, als würde ich tatsächlich dazu beizutragen, die Gesellschaft ein bisschen besser zu machen.«

Sie war, in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, eine Gesetzeshüterin, so banal es auch klang.

»Es ist ein gutes Gefühl, eine Arbeit zu tun, die wirklich etwas bedeutet«, fuhr sie fort. »Und nicht die ganze Kraft und Energie darauf zu verwenden, dass etwas in einem Quartalsbericht gut aussieht. Mir gefällt, dass es hier nicht um Konsum geht, dass wir nicht zu denen gehören, die Shampoos oder Lippenstifte verkaufen.«

In Åkes Augen blitzte es wiedererkennend auf. Er versteht mich, dachte Nora, denn er empfindet genauso. Es ist wichtig, an das zu glauben, was man tut. Warum hatte ich das bei der Bank vergessen?

Die letzten Wochen an ihrem alten Arbeitsplatz waren schwer gewesen. Die Geschäftsleitung hatte versucht, sie zu zwingen, grünes Licht für eine dubiose Transaktion zu geben. Als sie sich weigerte, war sie erst kaltgestellt und dann schikaniert worden.

Eine Weile danach wurde der Skandal publik, als einer ihrer Juristenkollegen die Mauschelei entdeckte und beschloss, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nora erinnerte sich gut an die Schlagzeilen und den Wirbel in den Medien. Sowohl ihr bisheriger Chef als auch der geschäftsführende Vorstand hatten auf beschämende Weise ihren Hut nehmen müssen.

Aber zu dem Zeitpunkt hatte sie der Bank bereits den Rücken gekehrt.

»Ich möchte Ihnen sagen, dass wir mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden sind«, sagte Åke. »Ihr beruflicher Hintergrund qualifiziert Sie hervorragend für Ihre Tätigkeit bei der EBM.«

Er unterbrach sich und setzte seine Hornbrille auf. Seine Pupillen vergrößerten sich und machten seinen Blick intensiv, schwarz und durchdringend. Vermutlich war das kein Nachteil, wenn er seine Plädoyers bei Gericht hielt.

Aber jetzt lächelte er strahlend und beugte sich vor. Automatisch tat Nora dasselbe.

»Uns ist eine zusätzliche Staatsanwaltsstelle für die Erste Wirtschaftsabteilung bewilligt worden. Hätten Sie Interesse?«

Staatsanwältin? Das wäre eine Chance, tatsächlich etwas zu bewirken. Ihr wurde innerlich ganz warm.

»Ich möchte sehr gern weiterhin hier arbeiten. Auf jeden Fall, ich meine, unbedingt.«

»Schön.« Åke lehnte sich zufrieden zurück. »Wir werden eine Ausnahmegenehmigung des Generalstaatsanwalts brauchen. Und die Besetzungskommission hat natürlich auch noch ein Wort mitzureden. Aber ich sehe da keine Probleme.«

Ich muss Jonas anrufen, dachte sie. Eine Flasche Wein kaufen, und dann feiern wir. Er muss erst Samstag wieder fliegen, ein kleiner Schwips heute Abend wird schon nicht schaden, auch wenn er übermorgen wieder im Cockpit sitzt.

»Ansonsten gilt das übliche Verfahren«, fuhr Åke fort. »Wir dachten an eine Bewerbungsfrist von zwei Wochen, das würde rein formal einen Dienstantritt zum ersten Juli bedeuten.«

Åke lächelte wieder und erhob sich, das Gespräch war beendet.

»Danke für Ihr Vertrauen«, sagte Nora und machte heimlich ein paar kleine Tanzschritte.

 

Nora schlug die Akte mit den Unterlagen des Falles zu, der morgen vor Gericht verhandelt werden würde, ein Kleinunternehmer, der seine Gewerbe- und Umsatzsteuern nicht abgeführt hatte. Sie hatte sich gut eingelesen und war darauf vorbereitet, auf eine Verurteilung zu plädieren.

Sie stellte den Ordner in den Aktenschrank und blickte auf die Uhr. Jonas würde sie in einer halben Stunde abholen, kurz nach sechs.

»Heute Abend gehen wir aus und feiern«, hatte er sofort gesagt, als Nora ihm die Neuigkeit erzählte. »Die Jungs können auf Julia aufpassen.«

Nora starrte in ihren Computer. Es hatte keinen Sinn, so kurz vor Feierabend noch etwas Neues anzufangen. Stattdessen rief sie die Webseite von Dagens Nyheter auf und scrollte durch die Schlagzeilen. Bei einem Artikel über reiche Auslandsschweden hielt sie inne. Sofort fiel ihr wieder die protzige Villa ein, die derzeit auf Sandhamn gebaut wurde.

Was hatte Eva noch gleich über den Käufer von Fyrudden gesagt?

Nora griff nach der Maus. Sie wollte nicht neugierig sein, aber sie konnte es nicht lassen, nach Fyrudden & Sandhamn zu suchen.

Rasch füllte sich der Bildschirm mit einer Reihe von Schlagzeilen. Jetzt sah sie, dass eine Aktiengesellschaft als offizieller Käufer dahinterstand. Das war an sich nicht ungewöhnlich, im Ausland lebende Schweden legten ihr Vermögen oftmals in Firmen an, um die Steuerpflicht zu umgehen.

Diese Firmengründung war allerdings recht fantasielos, was den Namen betraf, die Käuferfirma hieß ganz schlicht Fyrudden AB. Nora fand schließlich den Namen der Person, die hinter dem Kauf stand. Carsten Jonsson, das klang nach einem dänischen Vornamen.

Die Erklärung dafür fand sie im Melderegister. Sie schämte sich ein bisschen, dass sie Carsten Jonsson hier gesucht hatte. Aber aus purer Neugier las sie doch weiter.

Carsten Jonssons Mutter war in Kopenhagen geboren, sein deutlich älterer Vater stammte aus Rimbo, nördlich von Stockholm. Der Vater war Schiffskapitän gewesen und hatte zuletzt beim Zoll gearbeitet. Die Mutter, Kirsten, lebte noch, der Vater war Ende der Neunziger gestorben.

Lars Carsten Jonsson, geboren 1975. Dann musste er jetzt achtunddreißig sein. Nach dem Abitur in Vallentuna hatte er in Stockholm Betriebswirtschaft studiert und war anschließend für ein Masterstudium nach New York gegangen.

Sie konnte keine weiteren Informationen über Jonssons Zeit in Schweden finden, bis er als neuer Eigentümer von Fyrudden auftauchte. Dafür entdeckte sie nach einigem Suchen im Internet, was er in der Zwischenzeit so gemacht hatte.

Nach seinem Studium war Carsten Jonsson in New York geblieben und hatte bei Morgan Stanley angefangen, der großen Investmentbank. Einige Jahre später war er nach Europa zurückgekehrt, hatte sich in London niedergelassen und bei einer kleineren Investmentbank gearbeitet.

Aber dort war er jetzt nicht mehr.

Vielleicht hatte er einen Fonds gegründet und führte jetzt seine eigenen Investmentgeschäfte, überlegte Nora. Das war eine normale Entwicklung bei Risikoinvestoren. Die Behörde zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität beobachtete die Wege des Risikokapitals fast genauso aufmerksam, wie es die Steuerbehörde tat.

Das Erfolgsrezept für Risikoinvestoren war geradezu lächerlich standardisiert. Zuerst verschaffte man sich eine solide betriebswirtschaftliche Ausbildung, dann folgten ein paar harte Jahre bei einer großen Bank in New York oder London. Nach einer Weile begann man mit Investitionen auf eigene Rechnung, oft zusammen mit einigen Kompagnons. Alles mit dem Ziel, richtig, richtig reich zu werden.

Prinzessin Madeleine, die jüngste Tochter des Königs, würde demnächst einen Mann mit einem solchen Werdegang heiraten.

Nora beschloss, sich Jonssons Mutter etwas genauer anzusehen, um herauszufinden, woher das Geld kam.

Nach den Steuererklärungen der Mutter zu urteilen, war Jonsson nicht gerade in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen. Vallentuna nördlich von Stockholm war keine Gemeinde, die Reiche anlockte, und die Mutter bezog nur eine gewöhnliche Volksrente. Der Vater hatte offenbar auch keine Reichtümer hinterlassen. Jonsson musste im Ausland also gut verdient haben, sonst hätte er es sich kaum leisten können, Fyrudden zu kaufen.

Die Summe, die Eva erwähnt hatte, war schwindelerregend hoch. Was das große Haus wohl erst kosten mochte? In den letzten Wochen waren Baustoffe angeliefert worden, Tag und Nacht. Jedes Mal, wenn sie auf die Insel kam, hörte sie neue Klagen.

Nora suchte weiter im Netz und stieß schließlich auf ein Foto. Das musste bei der englischen Galapremiere eines James-Bond-Films aufgenommen worden sein, im Hintergrund waren eine Pappfigur von Daniel Craig und der Filmtitel in riesigen schwarzen Buchstaben zu erkennen.

Auf dem Foto entsprach Carsten Jonsson so gar nicht ihren Erwartungen. Er trug einen gut sitzenden schwarzen Smoking, war braun gebrannt und durchtrainiert, mit etwas zu langen blonden Haaren, die ihm in die Stirn fielen. Seine Körperhaltung hatte etwas Ungeduldiges, als habe er einen wichtigen Termin und kaum Zeit, für den Fotografen stillzustehen.

Jonssons Begleiterin war eine Frau mit welligen dunklen Haaren. Sie trug ein lila Seidenkleid und war sehr schlank, fast mager. Seine Frau? Schwer zu sagen, aber an ihrer linken Hand funkelte ein großer Brillantring, und die Art, wie sie sich bei Carsten eingehakt hatte, wirkte ganz selbstverständlich.

Sie waren ein schönes Paar. Aber auf Sandhamn konnte Nora sich die beiden nur schwer vorstellen, dort waren eher Jeans und verblichene Shorts die Regel.

Nora scrollte die Seite hinunter, fand aber keine weiteren Bilder.

Na ja, ein medienscheuer Risikoinvestor war vielleicht gar nicht so ungewöhnlich in den heutigen Zeiten, in denen die Presse sich mit Vorliebe auf Leute wie ihn stürzte.

Sie wandte den Blick vom Bildschirm ab. Jetzt wusste sie schon einiges über den neuen Nachbarn auf Sandhamn, wesentlich mehr als den Klatsch, den Eva ihr erzählt hatte. Musste sie sich schämen, weil sie so viel Zeit damit verbracht hatte, dem neuen Eigentümer von Fyrudden nachzuschnüffeln? Vielleicht, aber andererseits fand sie es wichtig zu wissen, was für ein Mensch sich hinter dem Käufer verbarg, schon wegen des ganzen Geredes auf der Insel.

Außerdem hatte sie nicht in irgendwelchen geheimen Registern gesucht. Alles, was sie herausgefunden hatte, stand entweder im Internet oder war als öffentlich klassifiziert, frei zugänglich für jedermann.

Trotzdem schämte sie sich ein klein wenig, als sie sich ausloggte und von ihrem Stuhl aufstand. So als hätte sie bei den Nachbarn heimlich durchs Schlafzimmerfenster gespäht.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 6

Thomas gähnte gerade herzhaft, als Margit Grankvist den Kopf zur Tür hereinsteckte.

»Bist du beschäftigt?«, fragte sie und wedelte mit einer Handvoll Papiere. »Jetzt sind die da oben endgültig durchgedreht. Manchmal steht es mir wirklich bis hier …«

Margit strich sich die kurzen Haare zurück, die von deutlichen grauen Strähnen durchzogen waren, warf die Ausdrucke auf Thomas’ Schreibtisch und zog sich einen Stuhl heran. Am Deckblatt erkannte er, dass es eine Mitteilung der Polizeiverwaltung war. In der Regel bedeutete das nichts Gutes.

Margits Gesichtsausdruck bestätigte seinen Verdacht.

»Was ist passiert?«, fragte er und las die Überschrift: Methoden zur Effektivitätssteigerung in der Polizeiarbeit.

»Sie wollen uns einen Effektivitätsberater schicken, der uns bei der Arbeit beobachtet, um …« Margit unterbrach sich und blätterte zur ersten Seite, damit sie den Wortlaut vorlesen konnte. »… um Vergleichszahlen für die Entwicklung von Methoden in der landesweiten Polizeiarbeit zu gewinnen, die zum Ziel haben, auf optimale und kosteneffektive Weise eine hinreichende Personalverteilung und Kompetenzversorgung sicherzustellen.«

Sie legte den Papierstapel hin und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.

»Manchmal wünschte ich, der Alte wäre noch hier, dann müsste ich mich nicht mit diesem Mist herumärgern.«

»Soweit ich weiß, hat dich keiner gezwungen, seine Stelle zu übernehmen, als er in Pension ging.«

Thomas merkte sofort, dass er Margits Laune mit seinen Worten nicht heben würde. Im Übrigen war er nicht sicher, ob der alte Chef des Ermittlungsdezernats, bekannt für sein cholerisches Temperament, die Anweisungen von oben so viel besser aufgenommen hätte.

»Welchen Schaden kann so ein Berater schon anrichten«, schickte er eilig hinterher, um seiner Bemerkung die Spitze zu nehmen.

»Wer soll das Vergnügen haben, sich um den Heini zu kümmern, wenn er kommt, was meinst du?«, fragte Margit, als hätte sie seinen Kommentar nicht gehört.

Offenbar dachte sie dabei an Thomas.

Bloß das nicht. Thomas hätte beinahe »Aram Gorgis« gesagt, der seit Margits Beförderung sein Dienstpartner war, aber Aram würde sich auch schön bedanken.

»Kalle ist doch ein diplomatischer Mensch«, sagte er stattdessen. »Kann er dem Typen nicht das Händchen halten?«

»Kalle ist gar keine schlechte Idee«, sagte Margit gedehnt.

Für Thomas war Kalle Lidwall immer noch der junge Kriminalobermeister, obwohl er längst Kommissar und inzwischen auch schon sechsunddreißig war und seit vielen Jahren im Team. Vielleicht lag es an der zurückhaltenden Art des Kollegen, Kalle war keiner, der sich gern in den Vordergrund spielte. Aber er war schon lange kein Anfänger mehr, auch wenn er mit seiner Stoppelfrisur aussah wie ein junger Küstenjäger.

»Außerdem kennt er sich bestens mit Computern aus und kann schnell alle Zahlen zusammenstellen, die gebraucht werden«, fügte Thomas hinzu, um Kalles Qualifikation noch einmal hervorzuheben.

Margit schien mit dem Vorschlag zufrieden, ihre Anspannung ließ etwas nach.

»Ach übrigens, rate mal, wen ich neulich in der Zeitung entdeckt habe«, sagte sie.

»Wen denn?«, fragte Thomas und achtete darauf, nicht ironisch zu klingen.

»Erik Blom. Da war ein langer Bericht über diese Securityfirma, in der er jetzt arbeitet, Eagle Security. Sie haben irgendeinen großen Vertrag mit der Stadt Stockholm an Land gezogen. Erik ist jetzt Sicherheitschef der Abteilung, die sich um den öffentlichen Sektor kümmert.«

Thomas hätte nicht sagen können, ob Margit beeindruckt oder amüsiert war.

»Der Job scheint ihm zu gefallen«, fuhr sie fort. »Er hatte noch mehr Gel als sonst im Haar, und seine Uhr muss ein Vermögen gekostet haben.«

Erik war immer jemand gewesen, der durchs Leben surfte, cooler als die meisten. Nicht, dass er ein schlechter Polizist gewesen wäre, im Gegenteil, aber er war ein Typ, der das Leben liebte.

Ihre Assistentin Karin Ek hatte damals betrübt erklärt, das Ermittlungsdezernat werde nach Eriks Ausscheiden nie mehr dasselbe sein. Aber Thomas wusste genau, warum der Kollege gekündigt hatte. Vor ein paar Jahren war seine einzige Schwester an Krebs gestorben. Knapp einen Monat nach der Beerdigung war Erik eines späten Abends, als sie beide Überstunden gemacht hatten, in Thomas’ Büro gekommen.

»Das Leben ist so kurz«, hatte er gesagt, als er von seinem Entschluss erzählte. »Ich habe es satt, für ein armseliges Gehalt mein Leben zu riskieren und um jede Zulage von ein paar Hundert Kronen kämpfen zu müssen. Ich will anständig verdienen, will reisen und mir eine schöne Wohnung leisten können.«

Thomas war das leichte Zittern in seiner Stimme nicht entgangen, die Trauer, die darunter lag.

»Sieh dir doch an, wie es Mimi ergangen ist«, hatte Erik leise gesagt. »Du weißt nie, was hinter der nächsten Ecke auf dich wartet.«

Margit griff sich den Papierstapel und stand auf.

»Gut, dann machen wir es so. Kalle wird den Babysitter für diesen Beratermenschen spielen.«

Sie verschwand durch die Tür, und Thomas starrte auf seinen Computerbildschirm. Eriks Worte klangen in ihm nach. Vielleicht war Erik der Klügere von ihnen beiden?

Das Leben warkurz und unvorhersehbar.

Thomas’ Gesicht spiegelte sich im Monitor.

Sein Haar war immer noch überwiegend blond und auch nicht dünner geworden, wie bei so vielen anderen Kollegen. Er lebte gesund, trainierte regelmäßig und war körperlich fit. Aber seine Schläfen wurden schon grau, genau wie die Bartstoppeln, wenn er sich morgens rasierte. Die Falten auf der Stirn wurden tiefer.

Ich bin erst sechsundvierzig, dachte er und wunderte sich über seine eigene Formulierung. Bald bist du fünfzig, flüsterte eine Stimme.

»Ich will noch was vom Leben haben«, hatte Erik damals gesagt.

Das will ich auch.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 7

Die Tür fiel hinter Sarah und Maria ins Schloss. Celia hatte Maria gebeten, Sarah mitzunehmen, wenn sie Oliver von der Schule abholte. Sie habe Kopfschmerzen, hatte sie gesagt, obwohl sie dem Kindermädchen keine Rechenschaft schuldig war.

Maria verstand sich gut mit den Kindern, fast zu gut.

In ein paar Jahren würde Oliver aufs Internat kommen, und eigentlich sollte sie die Zeit genießen, die ihr mit ihm blieb. Aber sie konnte nicht, sie hielt Olivers Geplapper und seine dauernden Fragen nicht aus, wenn all ihre Gedanken um Carsten kreisten und die Art, wie er sie behandelte.

Olivers flehender Gesichtsausdruck, wenn er ihre Aufmerksamkeit suchte, war zu viel für sie. Besser, Maria kümmerte sich um ihn. So blieb es ihr wenigstens erspart, ihn zu enttäuschen.

Celia ging ins Schlafzimmer und zog die schweren dunklen Samtvorhänge zu, sodass der Raum zu einer Höhle wurde. Dann holte sie eine Sobril aus dem Bad. Sie wusste, dass sie es lieber lassen sollte, aber sie tat es trotzdem. Nicht, dass sie tablettensüchtig war, sie brauchte nur etwas, um den Schmerz für eine Weile zu betäuben.

Celia legte sich aufs Bett und zog die weiche Decke bis unters Kinn. Sie hatte sie bei Harrods gekauft, feinster Cashmere. Sie passte perfekt zu den anderen Farben im Schlafzimmer, Champagner und Bordeaux.

Die Gedanken an das Ferienhaus in Schweden lasteten auf ihr. Carstens neues Projekt auf Sandhamn.

Sandhamn. Der Name rief keine positiven Assoziationen in ihr wach.

Sie hätten eine Villa in Südfrankreich kaufen können, wie so viele ihrer Freunde, aber Carsten hatte nicht auf sie gehört und stattdessen wahnsinnig viel Geld in diese kleine Insel in der Ostsee gesteckt. Sie hatte die Summe im Kaufvertrag gesehen, den er in einer Schreibtischschublade versteckte, und sie in Pfund umgerechnet. Als sie begriff, wie viel Geld das war, hätte sie fast der Schlag getroffen.

Carsten hatte ihr nicht einmal eine vernünftige Erklärung gegeben, nur dass die Kinder sich in Schweden aufhalten und die schwedische Sprache lernen sollten. Aber um das zu erreichen, hätte es auch viele andere Möglichkeiten gegeben.

Sie hatte Bilder vom Rohbau gesehen, das neue Haus lag einsam und isoliert an einem Sandstrand mit dichtem Kiefernwald auf der Rückseite. Es gab keine unmittelbaren Nachbarn, und der Ort selbst lag Kilometer weit entfernt. Nicht einmal Autos gab es auf der Insel, nur Fahrräder.

Sie war vom ersten Moment an dagegen gewesen, aber Carsten hatte einfach gemacht, was er wollte. Genau wie immer.

Celia schluckte und wünschte, sie hätte die doppelte Dosis genommen. Dann hätten die schlimmen Gedanken sich nicht in ihren Kopf geschlichen, so wie jetzt.

Sie hatte alles getan, worum er sie gebeten hatte, sogar Schwedisch hatte sie ihm zuliebe gelernt. Trotzdem war alles nicht genug. Celia wusste, dass er andere Frauen hatte, so dumm war sie nicht, dass sie nicht begriffen hätte, was los war, wenn Carsten zu seinen Geschäftsessen ging und spät in der Nacht mit fremdem Parfüm am Jackenrevers nach Hause kam.

Einmal hatte sie sich heimlich testen lassen, aus Angst, er könnte sich irgendwas eingefangen und sie angesteckt haben. Das war so demütigend gewesen, ihr wurde immer noch übel, wenn sie daran dachte.

Sie rollte sich unter der Decke zusammen.

Im letzten halben Jahr war Carsten ungewöhnlich oft in Russland gewesen, aber was genau er dort machte, wollte er ihr nicht erzählen. Es ging um Investitionen, damit musste sie sich zufriedengeben.

Aber Celia befürchtete, dass er dort eine Affäre hatte. Es gab viele Gerüchte über schöne Russinnen, die es nur darauf anlegten, sich von reichen Männern aus dem Westen aushalten zu lassen.

Je öfter Carsten nachts aufblieb und telefonierte, desto besorgter wurde sie.

Sie hatte sogar schon daran gedacht, mit ihrem Vater darüber zu reden, um zu hören, ob er etwas von Carstens angeblichen russischen Geschäften wusste. Aber wenn Carsten dahinterkäme, würde er ausrasten vor Wut. Und es gab ohnehin schon genug Spannungen zwischen ihrem Mann und ihrem Vater.

Einst hatte sie geglaubt, das Kapital, das ihr Vater auf ihre Bitte hin in Carstens Fonds gesteckt hatte, würde das Fundament ihrer Ehe bilden.

Stattdessen hatte es für tiefe Risse in ihrer Beziehung gesorgt.

Carsten war finanziell abhängig von ihrer Familie, und sie wusste, wie sehr er das hasste.

Celia merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie war nie ernsthaft in einen Mann verliebt gewesen, bis Carsten auf dieser Hochzeitsfeier in ihr Leben getreten war. Sie hatten die ganze Nacht durchgetanzt, und sie hatte sofort gewusst, dass er der Richtige war.

Danach hatte er deutlich gezeigt, dass er bereit war, um sie zu kämpfen, obwohl ihre Eltern skeptisch waren und sie inständig baten, es mit der Romanze langsam angehen zu lassen.

»Ich gebe dich nie wieder her«, hatte Carsten gesagt, als sie ihm gestehen musste, wie die Dinge lagen.

Sein Antrag war unerwartet gekommen, aber für sie war er dadurch nur noch attraktiver geworden.

Als sie schließlich Hand in Hand vor dem Altar standen, war sie überzeugt, dass ihre Eltern sich geirrt hatten. Es war der glücklichste Tag in ihrem Leben gewesen.

Sie wollte nicht daran denken, dass Mama und Papa die ganze Zeit recht gehabt hatten.

Sie hatten sie davor gewarnt, einen Mann zu heiraten, der nicht aus ihren Kreisen kam, und sich Sorgen gemacht, dass Carsten mehr an Celias Geld und ihren Verbindungen interessiert war als an Celia.

Sie konnte unmöglich zugeben, wie schlecht es zwischen ihnen stand. Sie musste die Zähne zusammenbeißen und versuchen, ihre Ehe zu retten.

Eine Träne lief ihr über die Wange.

Vielleicht war Sandhamn genau das, was sie brauchten, vielleicht konnte ein Sommer dort sie einander wieder näherbringen, die Familie kitten.

Sie wollte so gern, dass Carsten sie wieder ansah, wie er es früher getan hatte.

Und dass die Kinder zu ihr gelaufen kamen, anstatt zu Maria.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 8

»Hallo, ich bin zu Hause.«

Pernilla schlug die Tür mit leichtem Knall zu.

Sie klingt ja so fröhlich, dachte Thomas verwundert, ehe er dem Abwasch den Rücken kehrte und aus der Küche trat. Elin und er hatten schon gegessen, da Pernilla noch einen späten Termin hatte.

»Hallo Liebling«, sagte er und drückte ihr einen schnellen Kuss auf den Mund. »Hast du Hunger? Es ist noch ein bisschen Gulaschsuppe übrig.«

»Lieber ein Glas Wein. Du glaubst nicht, was mir heute passiert ist.«

Sie strahlte übers ganze Gesicht.

»Man hat mir einen supertollen Job angeboten. Deshalb komme ich auch erst so spät. Ich dachte, es wäre ein normales Meeting bei einem großen Kunden, aber wie sich herausstellte, wollen sie mich haben. Ich soll das Branding für ganz Skandinavien verantwortlich leiten. Sie geben mir ein eigenes Team, ein tolles Gehalt und einen Dienstwagen!«

Thomas stand immer noch da mit dem Geschirrtuch in der Hand. Er zog Pernilla an sich und umarmte sie fest.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er. »Das ist wirklich ein Grund zum Feiern, da machen wir natürlich eine Flasche Wein auf.«

Elin kam angelaufen, und Pernilla hob sie auf den Arm. Elin drückte die Nase an Mamas Hals, wie sie es immer tat. Ihre blonden Haare waren im Nacken ein bisschen zerzaust.

»Hallo Spatz, weißt du was? Mama freut sich ganz riesig!«

Thomas ging in die Küche.

»Rot oder weiß?«, rief er über die Schulter zurück.

»Ist mir egal. Was haben wir denn im Haus?«