Tödlicher Beifall - Marsali Taylor - E-Book

Tödlicher Beifall E-Book

Marsali Taylor

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Beschreibung

Wenn der letzte Vorhang fällt.

Bei einer glanzvollen Operngala im Château Savigny in Frankreich genießt Cass Lynch den Erfolg ihrer Mutter, der gefeierten Sängerin Eugénie. Dabei an ihrer Seite: Detective Inspector Gavin Macrae.
Doch als auf den Shetlandinseln ein alter Wikingerschatz entdeckt wird und Cass in ihre Heimat zurückkehrt, mischen sich Glanz und Gefahr. Inmitten von Eifersucht, Rivalität und dunklen Geheimnissen scheint jemand bereit, über Leichen zu gehen, um einen Schatz – oder die Wahrheit – zu bewahren ...


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Seitenzahl: 487

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Wenn der letzte Vorhang fällt.

Bei einer glanzvollen Operngala im Château Savigny in Frankreich genießt Cass Lynch den Erfolg ihrer Mutter, der gefeierten Sängerin Eugénie. Dabei an ihrer Seite: Detective Inspector Gavin Macrae.Doch als auf den Shetlandinseln ein alter Wikingerschatz entdeckt wird und Cass in ihre Heimat zurückkehrt, mischen sich Glanz und Gefahr. Inmitten von Eifersucht, Rivalität und dunklen Geheimnissen scheint jemand bereit, über Leichen zu gehen, um einen Schatz – oder die Wahrheit – zu bewahren ...

Über Marsali Taylor

Marsali Taylor wurde in der Nähe von Edinburgh geboren. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren Katzen und zwei Shetlandponys an der Westküste der Shetland-Inseln.Sie war Sprach- und Theaterlehrerin und Touristenführerin, spielt Theater, schreibt für die Zeitschrift Shetland Life, gibt Segelkurse oder ist mit ihrem Segelboot unterwegs. Im Aufbau Taschenbuch Verlag erschien bisher ihr Roman „Mörderische Brandung“.Mehr Informationen zur Autorin unter www.marsalitaylor.co.uk.

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Marsali Taylor

Tödlicher Beifall

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Danksagungen

Samstag, 21., und Sonntag, 22. März

KAPITEL 1

Montag, 23. März

KAPITEL 2

KAPITEL 3

Donnerstag, 26. März

KAPITEL 4

Freitag, 27. März

KAPITEL 5

KAPITEL 6

Freitag, 27. März (Fortsetzung)

KAPITEL 7

KAPITEL 8

Samstag, 28. März

KAPITEL 9

KAPITEL 10

Samstag, 28. März (Fortsetzung)

KAPITEL 11

KAPITEL 12

Samstag, 28. März (Fortsetzung)

KAPITEL 13

KAPITEL 14

Samstag, 28. März (Fortsetzung)

KAPITEL 15

KAPITEL 16

Samstag, 28. März (Fortsetzung)

KAPITEL 17

KAPITEL 18

Sonntag, 29. März – Palmsonntag

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

Sonntag, 29. März (Fortsetzung)

KAPITEL 22

KAPITEL 23

Sonntag, 29. März (Fortsetzung)

KAPITEL 24

Impressum

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Ich widme dieses Buch

Ava Bea Emmery,

die so verwegen und entschlossen ist wie Cass

und die denselben Sinn für Stil und Eleganz hat wie Maman.

In Liebe, Granny.

Danksagungen

Belmont House, in dem der Großteil dieses Buches spielt, ist ein realer Ort. Dank der Gastfreundschaft von Karen von der Belmont Stiftung haben wir mit unserer Schreibergruppe zwei phänomenale Wochenenden dort verbracht, und so wie immer hatte ich mit Beth, Claire, Debbie, Doug, June, Marjolein, Nat, Peter, Roger sowie Vaila jede Menge Spaß. Die dort entstandene Wastside Noir-Anthologie gibt es bei Amazon. Daneben danke ich Val Turner, die mich Viking Unst sowie die Unterlagen zum 17. Wikingerkongress durchlesen und so jede Menge über Shetland in den damaligen Zeiten lernen lassen hat. Da Val mir nachdrücklich versicherte, dass man sich schon an allen in dem Buch erwähnten Orten gründlich umgesehen hat, entspringt der dort verborgene Schatz nur meiner Fantasie. Zieht also bitte nicht mit Schaufeln los und grabt die Gegend um.

Wahrscheinlich hätte sich Maman bei meinem Gesang die Ohren zugehalten, doch ich spiele schon seit Jahren Theater, auch wenn Izzy, Barry, Bob, Debbie, Doug, Hilary, James, John, Jonathon, Margaret, Robert, Wendy sowie alle anderen, die je mit mir zusammen auf der Bühne standen, selbstverständlich nicht als Vorlagen für die Personen, die bei mir Theater spielen, gedient haben. Ich danke euch für all den Spaß, den wir im Lauf der Jahre hatten, sowie Izzy dafür, dass sie mich ermutigt, Schmuck und Kleider, die Maman gefallen würden, anzuziehen.

Ich danke auch Teresa Chris, meiner unglaublichen Agentin, für den Mut, den sie mir zugesprochen hat, meiner Lektorin Penny Hunter, Rebecca, Bethan sowie dem Designerteam bei Accent Press für all die harte Arbeit, die von ihrer Seite in das Buch geflossen ist.

Dies ist das erste Buch von mir, das gleich in einer hohen Auflage erscheinen wird. Ich danke sämtlichen lokalen Museen und Geschäften und vor allem Karen Baxter und dem Personal des wundervollen Shetland Times Bookshop, die mich bisher durch den Verkauf von Abrufbüchern unterstützt haben.

Es geht in diesem Buch um eine Reihe Guddocks, was in Shetland Rätsel heißt. Da ich bestimmte Lösungen haben wollte, habe ich mir beinahe alle Rätsel selbst ausgedacht, bedanke mich jedoch bei Beth für die Verbesserungen, die sie vorgenommen hat.

Karten von Shetland und den äußeren Shetlandinseln Yell und Ust

Samstag, 21., und Sonntag, 22. März

Hotel Château Savigny, nahe Poitiers

Nächste Tiden im fünfzig Meilen entfernten La Rochelle,

bedeutungslos für eine Frau in einem Abendkleid.

Ein Shetland Guddock

Deep ida darkest eart’ I bide

Set dere by hauns lang turned ta bane

Yet haul me up ta light and fin’

A blaze o’ gold and precious stane.

Ich warte tief in dunkler Erd’,

von Händen, die schon lange nur noch Knochen sind, versteckt,

darauf, dass jemand mich ans Licht holt und entdeckt

des Goldes Glanz und des Geschmeides großen Wert.

KAPITEL 1

Der letzte helle Ton verklang, und es gab einen Augenblick der Stille, aber dann ertönte tosender Applaus. Zu meiner Rechten strahlte Dad und klatschte sich die Hände wund, und links von mir nahm ich den Glanz in Gavins Augen wahr, als Maman und der Rest des Trupps sich dreimal vor dem Publikum verbeugten, ehe endgültig der Vorhang fiel. Der Lärm verebbte, und die Damen in den eleganten Abendroben und die Herren mit den weißen Fliegen gingen unter beifälligem Murmeln in das große Esszimmer, in dem es nach der Vorstellung Champagner und erlesene, kleine Häppchen gab.

Ich hatte mir für diese Gala eins der Kleider meiner Mutter ausgeliehen, eine schulterfreie Kreation aus dunkelgrünem Satin mit einem langen, weit schwingenden Rock. Von all dem Stoff hätte ich mir problemlos einen neuen Spinnaker für die Chalida nähen lassen können, und die Menge an Gewebe rund um meine Beine und der tiefe Ausschnitt zwangen mir eine kerzengerade Haltung auf. Bevor ich mich von meinem Platz erheben konnte, bot mir Gavin lächelnd seinen Arm. Dankbar stützte ich mich darauf ab, schob meine Füße in die Schuhe mit den hohen Absätzen, stand auf und machte einen ersten, unsicheren Schritt. Wahrscheinlich hatte man den Damen zur Zeit von Königin Victoria von klein auf beigebracht, mit solcher Kleidung umzugehen.

»Du siehst bezaubernd aus«, versuchte Gavin mich zu trösten, doch ich schüttelte genervt den Kopf.

»Das liegt nur an dem Kleid. Ich werde nie verstehen, wie Maman in solchen Sachen auch nur einen Ton rausbringt.« Ich umklammerte den Rock mit beiden Händen, schob mich durch die enge Stuhlreihe und lenkte Gavin durch die große Eingangshalle dorthin, wo uns eine herrliche kühle Brise durch die offene Terrassentür entgegenblies. Wir hatten die Terrasse ganz für uns, da keiner von den anderen sich den Schampus und die Kanapees hätte entgehen lassen wollen. Dankbar lehnte ich mich an den breiten Türsturz an und sog die frische Luft in meine Lunge ein.

Hier draußen war es herrlich still. Der dunkle Himmel war mit Sternen übersät, und man hörte nur das Plätschern eines Brunnens, der mitten in der Einfahrt stand. Wir befanden uns hier in einem Märchenschloss aus weißem Stein mit Stuckverzierungen oberhalb der Fenster und der Türen. Das Dach aus grauem Schiefer war mit hohen, spitzen Giebelfenstern geschmückt. Links und rechts der Haustür und an jeder Ecke befand sich ein überdachter Turm. Automatisch spitzte ich die Ohren, um zu ergründen, ob womöglich irgendwo das Summen eines Spinnrades zu hören war. Auf der breiten Treppe brannten Fackeln, in den eingetopften Büschen, die die Einfahrt schmückten, waren Lichterketten aufgehängt, und unterhalb der Balustrade glitzerte der See. Das Anwesen war wunderschön, doch nichts daran war echt. Anfang des vergangenen Jahrhunderts hatte jemand sich hier einen Traum erfüllt, inzwischen aber hatte eine Investorengruppe ein Hotel der Luxusklasse daraus gemacht, und zur Eröffnung hatten Maman und die Truppe heute Abend eine halbszenische Darbietung von Hippolyte et Aricie aufgeführt.

Für eine Oper war die Handlung überraschend schlicht. Theseus (Bass) besiegt erst seine Feinde und verlangt danach, dass Aricia (Sopran, Maman), das letzte Mitglied ihres Königshauses, als Priesterin ihr Leben der Göttin Diana weiht. Aricia aber liebt den Sohn von Theseus, Hippolytus (Tenor), und beide singen im Tempel der Diana ein berührendes Liebesduett. Als Phaedra, Theseus’ zweite Frau, mit der Zeremonie beginnt, erhebt Aricia lautstarken Protest, weil sie nicht Priesterin der Göttin werden will, und unter wogenden Klavierakkorden taucht Diana (Sopran) auf und weist die unwillige Priesterin zurück. Dann kommt ein Bote (Theseus, allerdings in einem anderen Umhang) und erklärt, dass Theseus in die Unterwelt gereist ist, um dort seinen Freund zu retten (was von einem Fünf-Personen-Trupp schwer aufzuführen ist und deshalb nur berichtet wird). In dem Glauben, dass er tot ist, gesteht Phaedra Hippolytus ihre Liebe, doch der weist sie zurück, und gleichzeitig taucht Theseus wieder auf. Als echter Gentleman erzählt ihm Hippolytus nicht, was wirklich vorgefallen ist, aber Phaedras Vertraute Oenone (Diana ohne Kopfschmuck) tut, als hätte Hippolytus sich an Phaedra rangemacht, woraufhin Theseus Neptuns Rache (ebenfalls ein Teil des Stücks, das ausgelassen wird) heraufbeschwört. Im letzten Akt singen Hippolytus und Aricia in Dianas Hain ein weiteres anrührendes Duett, als dort mit einem Mal ein Ungeheuer aus dem Meer (der Klavierbegleiter, der die fehlenden Bühneneffekte wettmacht) dort erscheint und Hippolytus angeblich verschlingt. Aricia wird ohnmächtig, und dann taucht Phaedra wieder auf. Inzwischen hat sie Theseus gegenüber alles zugegeben, bringt sich um, und Theseus hört von Neptun (auf der Bühne nicht zu sehen), dass Hippolytus zwar noch lebt, er seinen Sohn jedoch nicht wiedersehen wird, und tritt mit einer letzten wehmütigen Arie von der Bühne ab. Dann führt Diana Aricia und Hippolytus abermals zusammen, und verglichen mit den meisten anderen alten griechischen Geschichten geht die Sache überraschend glücklich aus.

»Ich fand es anfangs etwas seltsam, dass die beiden Älteren die jungen Liebenden dargestellt haben«, sagte Gavin. »Aber als deine Mutter gesungen hat, war das mit einem Mal total egal. Sie sah dabei sogar wie siebzehn aus.«

»Irgendwann zeige ich dir ein Bild von ihr, auf dem sie wirklich siebzehn ist. Sie sah fantastisch aus mit all dem sanft gewellten Haar, das ihr bis auf den Rücken fiel.«

»Genau wie deins im Augenblick.«

Nach einem Blick auf meinen gewohnten Flechtzopf hatte Mamans Garderobiere unter leisen Flüchen meine Haare ausgebürstet, sie mit kleinen, strassbesetzten Sternen hochgesteckt und mich davor gewarnt, den Kopf zu schütteln, damit meine kunstvolle Frisur nicht auseinanderfiel.

Gavin trat einen Schritt zurück und blickte mich bewundernd an. »Du siehst wie eine dieser Frauen in den edwardianischen Gemälden aus. Ein Straußenfedernfächer ist das Einzige, was dir noch fehlt.«

Tatsächlich hatte man mir einen Fächer angeboten, und im heißen Ballsaal hatte es mir leidgetan, dass ich das Ding nicht hatte haben wollen. »Und du siehst wie ein Highland-Stammesfürst in einem viktorianischen Gemälde aus.«

Sein scharlachrot karierter Kilt und Rosshaar-Sporran hatten bei den anwesenden Damen für Bewunderung gesorgt. Darüber trug er seine schwarze Jacke mit dem sorgsam angenähten Silberknopf, den einer seiner Vorfahren von Bonnie Prince Charlie geschenkt bekommen hatte, und in seinem Strumpf den Dolch mit einem gelben Cairngorm-Stein im Griff.

»Die Stammesfürsten damals trugen ein Barett mit einer Adlerfeder, aber diese Ehre wurde uns als jüngsten Söhnen von jüngsten Söhnen nie zuteil.« Er machte eine höfliche Verbeugung, bot mir seine Hand und fragte: »Darf ich um den nächsten Walzer bitten, Mademoiselle?«

»Wir sind verrückt«, gab ich zurück, aber das Märchenschloss und all die grüne Seide riefen eine bisher unentdeckte romantische Seite in mir wach. Lächelnd nahm ich seine Hand und ging mit ihm hinunter in den Hof. Dort legte er den Arm um meine Taille, und wir tanzten im Dreivierteltakt durchs Wechselspiel aus Schatten und dem Licht, das durch die Fenster fiel. Der Rock meines Kleides schwang seidig weich um meine Beine, und für einen kurzen Augenblick gab es nur uns. Dann hörten wir durchs Fenster den Applaus der Gäste, als die Sängerinnen und Sänger kamen, blieben stehen und sahen Maman am Arm von Hippolyte sowie Phaedra, die am Arm von Theseus und Diana/Oenone, die am Arm des künstlerischen Leiters hing. »Wir gehen besser langsam wieder rein, bevor Maman sich fragt, wo wir geblieben sind.«

Er nahm mich noch ein wenig fester in den Arm, und als er seinen Mund auf meine Lippen presste, spürte ich die Wärme seines Körpers durch den Baumwollstoff seines Hemdes und durch die dünne Seide meines Oberteils. Mein Herz fing an zu rasen, und ich merkte, dass auch Gavins Atem schneller ging. Dann murmelte er dicht an meinem Haar: »Ich habe mich gefragt, ob du mich nicht vor deiner Abreise nach Norwegen noch kurz in Inverness besuchen kommen willst.«

»Dort gibt es keine Eltern und auch keine Masten«, überlegte ich, und Gavin schob mich etwas von sich weg, sah mich fragend an.

»Ich wohne dort in einer Wohnung, und die hat tatsächlich keinen Mast.«

Ich spürte, wie mir eine heiße Röte in die Wangen stieg. »Der Mast schwankt jedes Mal, wenn sich das Boot bewegt.« Das hieß, dass Sex auf einem Boot im Hafen fast ein öffentliches Schauspiel war.

Im Mondlicht sah ich, dass auch Gavin rot geworden war. »In meiner Wohnung steht ein sehr bequemes, viereckiges Bett.«

In der Vorpiek der Chalida gab es zwar eine Doppelkoje, aber die war wie ein V geformt und bot für zwei eher wenig Platz.

»Oder wir treffen uns zwischen zwei Törns in Norwegen«, schlug ich ihm möglichst nüchtern vor. In weniger als vierzehn Tagen würde ich zu meiner Fahrt als dritter Maat/Navigatorin auf meinem Lieblingsgroßsegler, der norwegischen, rahgetakelten Sørlandet, aufbrechen, und so wie immer, wenn ich daran dachte, konnte ich es kaum erwarten, dass es endlich so weit war.

»Du bist schon auf dem Weg zum Meer. Sobald du an dein Schiff denkst, kann ich deutlich spüren, dass du dich von mir entfernst.«

»Wenn du sie siehst, wirst du erkennen, dass sie eine echte Schönheit ist.« Doch Gavin hatte recht, denn in Gedanken lagen meine Hände bereits um das meterbreite Steuerrad, die weißen Segel bauschten sich im Wind, die Wellen brachen sich am Bug des Schiffs, und rund um mich herum war nichts zu sehen als der Himmel und das Meer.

»Lass mich nicht hier zurück«, bat Gavin mich in ernstem Ton. Ich wusste, dass er damit meinte, dass ich ihn gedanklich mitnehmen, anrufen, ihm Textnachrichten schreiben und ihm Briefe schicken sollte, doch auch wenn ich das natürlich wollte, wusste ich, wie groß der Abstand wäre, wenn ich in der Welt an Bord des Schiffs, umgeben von dem grenzenlosen Meer und Himmel, leben würde, wo der Rhythmus ein ganz anderer war als der an Land.

Ich legte eine Hand an sein Gesicht. »Ich werde zwar an Bord nicht immer an dich denken können, aber ich verspreche dir, wenn Land in Sicht kommt, rufe ich als Erstes bei dir an.«

Wir küssten uns noch mal und gingen zurück ins gut geheizte Haus. »Maman! Du warst grandios.«

Mit einem eleganten Achselzucken tat sie mein Lob ab, das Leuchten ihrer dunklen, durch die Mascara betonten Augen aber zeigte, dass auch sie mit sich zufrieden war. Die Sängerinnen und Sänger waren noch immer kostümiert. In Aricias bodenlanger, weißer Tunika mit den mit kleinen goldenen Perlen besetzten, vor der Brust gekreuzten Bändern sah sie aus wie die Figur auf einem Schwarz-Weiß-Foto, das ich einmal gesehen hatte, auch wenn ich nicht hätte sagen können, wann und wo. Die Kette, Ohrringe, Armreife und ihre über einem goldenen Fransenstirnband aufgetürmten Haare, die ihr auf die Schultern fielen, rundeten das Outfit ab.

»Auf jeden Fall haben die Tournee und auch Vincents Hotel mit diesem Abend einen guten Start. Du kennst doch sicher noch Vincent Fournier«, stellte sie mir den Mann zu ihrer Linken vor. »Er stammt aus Shetland und war ein Kollege deines Dads in dessen Anfangszeiten bei BP.«

Tatsächlich konnte ich mich vage daran erinnern, dass er während meiner Kindheit ab und zu bei uns zu Gast gewesen war. Er musste zwischenzeitlich Anfang sechzig sein und wirkte mit der Sonnenbräune, mit den dunklen Haaren und den breiten Brauen, die die eisblauen, schwerlidrigen Augen noch betonten, wie ein alternder James Dean. Und er versprühte immer noch dasselbe Übermaß an Charme, das mir schon damals an ihm aufgefallen war.

»Cass! Wie schön, dass wir uns einmal wiedersehen, vor allem, da du zu einer wunderschönen jungen Frau herangewachsen bist«, erklärte er, obwohl die Narbe von der alten Schusswunde, die meine rechte Wange in zwei Hälften teilte, nicht zu übersehen war. »Du hast die gleichen wundervollen Wangenknochen und das gleiche wunderbare Haar wie deine Frau Mama. Was machst du heutzutage so?«

Er zog mich zum Getränketisch, bot mir ein Glas Champagner an und konzentrierte sich genau bemessene fünf Minuten lang allein auf mich, bevor er sich entschuldigte und zu der platinblonden Schönheit trat, die ein Stück weiter stand.

»Julie! Was für eine Freude, Sie zu sehen. Sie sehen mal wieder rundherum bezaubernd aus, und es ist wirklich nett, dass Sie gekommen sind. Was machen Sie denn so?«

Mit einem müden Lächeln nahm ich einen Schluck aus meinem Glas und fragte mich, ob wohl Maman jemals auf seinen Charme hereingefallen war. Ich wusste nicht genau, wo ich den Mann auf einem Schiff einsetzen würde, aber er war wie geschaffen fürs Bezirzen von Sponsoren und für die Organisation von allem, was an Land geschehen musste, wenn ein Schiff im Hafen lag. Er wirkte völlig heimisch zwischen all den Opernsängern und der reichen Klientel, für die dieses Hotel eröffnet worden war. Ich sah mich um und war erleichtert, weil ich selbst nur eine kleine Segeljacht besaß. Wahrscheinlich hatte Vincent für die Restaurierung dieses Hauses ein Vermögen hingelegt. Die stuckverzierten Simse und der steinerne Kamin waren frisch gestrichen, an der Decke spendete ein halbes Dutzend neuer, auf antik getrimmter Lüster funkelndes, doch warmes Licht. Links und rechts der Fenster waren opulente Vorhänge aus dunkelrotem Samt drapiert, und die Kordeln mit den dicken Quasten, die sie dort zusammenhielten, sahen wie aus Gold gesponnen aus. Natürlich wurden heute Abend passend zum Ambiente neben Schampus Räucherlachs und Kaviar auf Blätterteig serviert, doch so, wie Vincent gerade einen Unternehmer, der mit Spiegelsonnenbrille vor ihm stand, umgarnte, würde er den Einsatz sicher bald wieder heraushaben.

»Ist er ein Opernfreund?«, griff Gavin die Gedanken, die mir durch den Kopf gegangen waren auf, und mir fiel ein, dass ich im Augenblick den teuren Schaumwein dieses Mannes trank.

»Ich schätze, schon. Er und Maman sind schon seit einer Ewigkeit befreundet, und jetzt hat er diese Auftritte in Schottland für den Trupp organisiert.« Ich sah dorthin, wo er noch immer seinen Gästen Honig ums Maul schmierte. »Aber natürlich ist das auch eine fantastische Publicity für sein Hotel.«

Wie hatte er laut meiner Mutter die Tournee noch mal organisiert? Er hatte nach der Zeit in Sullom Voe beim National Trust for Scotland angefangen – ja, genau –, und als Maman davon gesprochen hatte, auf Tournee zu gehen, hatte er Kontakt zu seinen früheren Kollegen aufgenommen und sie überredet, ihre eleganten Herrenhäuser für den Trupp zu öffnen, weil das eine wunderbare Werbung war. Die Werbekosten hatten sie geteilt, Broschüren mit einem Bild der Truppe über Aufnahmen der Landsitze gedruckt und sogar einen Werbespot im Fernsehen gebracht. Man hörte Maman darin singen, und es hatte funktioniert, denn die Tournee war ausverkauft, und es gab lange Wartelisten selbst für abgelegene Auftrittsorte wie das Castle Fraser oder Haddo House, vierzig Minuten außerhalb von Aberdeen, Cawdor Castle in Inverness-shire und Broughton House, das in der linken unteren Ecke Schottlands lag und einen Blick über den Solway bis nach England bot.

Wobei natürlich auch ein bisschen Glück im Spiel gewesen war. Die junge Mezzosopranistin, die Maman vor zwei Jahren in der Planungsphase für die Phaedra vorgeschlagen hatte, war inzwischen so berühmt geworden, dass man ihr Gesicht in allen Zeitungen sah. Sie hieß Kamilla Lange und war eine hübsche Frau mit süßen Grübchen in den Wangen und riesigen, von dichten schwarzen Wimpern eingerahmten blauen Augen. Ein diamantbesetzter Clip hielt ihr sanft gewelltes, blondes Haar zusammen, das wie ein Fischschwarm ständig in Bewegung war. Sie blickte einen an, wenn sie mit einem sprach, und plötzlich lächelte sie über ihre Schulter hinweg jemand anderen an. Und alles an ihr glitzerte: ihr Haar, die Ohrringe und die Pailletten auf der scharlachroten Tunika, die vorne tief und auf dem Rücken sehr tief ausgeschnitten war. Aus der Nähe sah ich, dass die Tunika mit hautfarbenen Einsätzen versehen war, doch aus der Ferne wirkte sie verwegen sexy, so als bräuchte man nur eine Nadel aus dem Stoff herauszuziehen, damit er ihr auf die sandalenbewehrten Füße fiel.

»Sie kommt aus einem Dorf in Österreich«, hatte mir Maman erzählt. »Auf halber Strecke zwischen Wien und Graz, doch sie war fest entschlossen, groß herauszukommen.« Mit einem wehmütigen Lächeln hatte sie hinzugefügt: »Sie ist beinah so ehrgeizig wie ich, und ihre Karriere ist ihr Leben, Schatz. So läuft es eben heutzutage in der Welt. Als ich noch jung war, hat es ausgereicht, sehr gut zu singen, aber die jungen Sängerinnen heute müssen auf den Covern ihrer Alben auch noch möglichst sexy sein, andauernd Party machen, für Schlagzeilen sorgen und bei Twitter und Facebook und allen diesen anderen Sachen sein, was mir zum Glück erspart geblieben ist, weil man inzwischen sehr berühmt sein muss, damit die Leute einen auf der Bühne sehen wollen. Ich hoffe nur, den Fans, die Karten für die Aufführungen haben, ist bewusst, dass Hippolyte et Aricie eine ernsthafte Oper ist.«

Jetzt schob Kamilla ihren Arm durch den des jungen Amerikaners, der den Theseus sang, und drückte jemandem ihr Smartphone in die Hand. Sie spitzte die Lippen und bedachte ihn mit einem einladenden Blick, sein Lächeln aber blieb mechanisch, und er nahm sie auch nicht in den Arm. Dann war das Bild im Kasten, und sie stellte es sofort für ihre Follower ins Netz. Theseus nutzte die Gelegenheit, um zu verschwinden, und an seiner Stelle tauchte Hippolytus bei ihr auf. Im Grunde war es etwas seltsam, dass die beiden Älteren, Maman und dieser Adrien Moreau, die jungen Liebenden in dieser Oper sangen, und das ältere Paar von den Jüngeren dargestellt wurde.

»Schliemann. Helena von Troja«, sagte plötzlich Gavin dicht an meinem Ohr und wies mit dem Kinn auf meine Mutter und den goldenen Kopfschmuck, den sie auf den dunklen Haaren trug. Dabei fiel mir das alte Sepiafoto wieder ein. Es zeigte Schliemanns Frau mit dem von ihm gefundenen Schmuck.

»Natürlich! Klar. Jetzt weiß ich, warum dieses Zeug mir so bekannt vorkam. Es ist eine Kopie des Schmucks, den er gefunden hat.«

»Falls es den echten Schmuck jemals gegeben hat«, schränkte mein Polizist vorsorglich ein. »Denn schließlich heißt es, dass er ihn gefunden hat, als alle anderen gerade in der Mittagspause waren, bevor er ihn dann heimlich aus dem Land geschmuggelt hat.«

»Hat er das nicht getan, weil alles, was er dort gefunden hat, als Eigentum der türkischen Regierung galt?«

»Kann sein, nur legen Archäologen für gewöhnlich allergrößten Wert auf eine eingehende Überprüfung und Dokumentierung jedes Funds. Glaubst du, der Kopfschmuck deiner Mutter ist aus echtem Gold? Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass sie sich mit einer billigen Kopie begnügt.«

»Vielleicht haben sie sich ja den Originalschmuck irgendwo bei einem Museum ausgeliehen.«

»Dazu müsste sie schon ausgezeichnete Beziehungen in den Kreml haben«, stellte Gavin schnaubend fest. »Denn nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie das Zeug nach Russland transportiert.«

»Ich frage mich, woher du solche Sachen weißt.«

»In ruhigen Nachtschichten schalte ich meistens den Geschichtskanal im Fernsehen an.«

Dann tauchte Maman, dieses Mal mit Theseus, wieder bei uns auf. »Cassandre, darf ich dir Caleb vorstellen? Caleb, meine Tochter Cassandre.«

Mit diesen Worten stellte sie ihn bei uns ab, war wieder weg, und er bedachte mich mit einem durchdringenden, beinah ehrfürchtigen Blick und beugte sich über die Hand, die ich ihm hatte reichen wollen. »Mademoiselle Cassandre. Enchanté.«

Verdammt, ich wurde wieder rot. Ich war so etwas einfach nicht gewohnt. Normalerweise lief ich in robustem, leuchtend rotem Gore-Tex mit dreifachen Nähten und mit Klettverschlüssen an den Ärmelenden statt in schulterfreien Abendroben und mit kleinen Glitzersternen in den Haaren rum. Da er seinem Akzent nach aus den Staaten kam, sprach ich ihn kurzerhand auf Englisch an.

»Es freut mich ebenfalls«, gab ich zurück. »Ich heiße Cass, und das hier ist Gavin Macrae.«

Er nickte Gavin höflich zu und wandte sich dann abermals an mich. »Ihr Englisch ist perfekt.«

»Das liegt daran, dass ich zweisprachig aufgewachsen bin.« Ich war auch deshalb so verlegen, weil der Theseus von Maman mit seinem zerzausten braunen Haar, seinem Dreitagebart, den grünen Augen unter waagerechten Brauen und der geraden Nase über fein geschwungenen Lippen einfach toll aussah. Statt eines Brustpanzers und einer Tunika hätte er einen Frack und Breeches tragen und in einer Regency-Romanze Herzen brechen sollen. Doch leider sang er Bass, weshalb er nur für Ärzte-, Anwalts- und gelegentliche Götterrollen geeignet war. Er war fast 1,80 m groß und muskulös, und wenn er sang, hätten die Töne, die der breiten Brust entstiegen, bei Windstärke zehn problemlos bis zur Marsstenge hinaufgereicht. Auch seine Sprechstimme war laut und in beengten Räumen sicher ziemlich anstrengend. »Wo kommen Sie her?«

»Ich stamme ursprünglich aus Kanada, aber meine Familie ist nach Portland umgezogen, als ich noch ein kleiner Junge war. Nun lebe ich vorübergehend in Paris – und meine Güte, ich bin erst seit einer Woche weg und habe jetzt schon Heimweh nach der Stadt. Waren Sie schon mal im Frühling in Paris? Das ist dort meine absolute Lieblingsjahreszeit.« Mit einem Seitenblick auf Maman fügte er hinzu: »Nach meiner Ankunft hat mir Ihre Mutter erst einmal die ganze Stadt gezeigt. Das war ebenfalls im Frühling, und in meinem ganzen Leben hatte ich noch nie etwas so Prachtvolles gesehen. Im Augenblick blühen rund um Notre-Dame die Kirschbäume, und es ist so, als hätte sich die ganze Innenstadt für eine Hochzeit rausgeputzt.« Er lenkte seinen Blick zurück auf mich. »Ich wusste nicht, dass Eugénie eine so große Tochter hat. Ich finde, dafür wirkt sie viel zu jung, aber Sie sind bestimmt schon zwanzig oder einundzwanzig, stimmt’s?«

Ich war schon dreißig, doch da ich Maman diesen Abend nicht verderben wollte, setzte ich ein ausweichendes Lächeln auf.

»Aber Sie leben nicht in Frankreich.«

»Nein, ich lebe schon seit Jahren auf einer Jacht, die momentan in Shetland liegt.«

»Damit Sie uns auf der Tournee begleiten können?«

Ich schüttelte den Kopf. »Bis ich dort mit dem College fertig bin.«

Aus welchem Grund auch immer wich er bei den Worten einen Schritt zurück und fragte überrascht: »Sie leben dort?«

»Ich bin dort aufgewachsen«, gab ich zu. »Mein Dad war in der Anfangszeit des Terminals in Sullom Voe als Ölarbeiter dort.«

Er hatte einen ausdruckslosen Blick, doch seine Kiefer mahlten angestrengt, bevor er sich zusammenriss.

»Tja nun … Nicht schlecht. Und was studieren Sie?«

»Ich mache mein nautisches Wachoffizierspatent, und in zwei Wochen gehe ich auf Fahrt.«

»Heißt das, dass Sie bei der Marine sind?«

Ich schüttelte erneut den Kopf. »Es ist ein kommerzielles Segelschiff und nimmt auch zahlende Passagiere mit.«

»Wenn Sie aus Shetland kommen, kennen Sie doch sicher alle Leute dort.«

»Wohl kaum, denn schließlich leben um die 22.000 Menschen dort. Aber die meisten Leute, die in Brae und der Umgebung leben, kenne ich.«

Bei diesen Worten blitzten seine grünen Augen auf, bevor er sie zusammenkniff. Dann aber war sein Lächeln wieder da, und er erklärte enthusiastisch: »Ich freue mich schon sehr auf diesen Teil unserer Tournee, denn auch wenn ich die Inseln bisher nur von Fotos kenne, bin ich sicher, dass es eine wunderschöne Gegend ist.«

»Das ist sie wirklich«, stimmte ich ihm zu. »Der Frühling fängt zwar jetzt erst an, doch bis Sie dort sind, werden überall die Krokusse und sicher auch die ersten Osterglocken blühen.«

»In Paris blühen sie schon jetzt entlang der Seine und auf den Rasenflächen in den Parks«, griff er begeistert meine Worte auf, bevor er das Gesicht verzog. »Wohingegen es in Portland, Oregon, die ganze Zeit am Regnen ist. Waren Sie schon mal dort?«

»Ich war noch nie in Oregon.«

»Wir sind die Rosen-, Bier- und Kaffeestadt, und nicht umsonst ist unser Motto: ›Sorgt dafür, dass Portland seltsam bleibt.‹«

Ich wusste bisher nur, dass Opernsänger, die in einer dauerhaften Atmosphäre übertriebener Dramatik lebten, seltsam waren, aber Städte?

»Inwiefern?«

»Wir haben zum Beispiel eine Voodoo-Donut-Bäckerei und eine Elvis-Kirche, die rund um die Uhr geöffnet ist.«

»Okay, das klingt ein bisschen seltsam«, gab ich zu.

»Und während meiner Highschool-Zeit hat unser Stadtrat einstimmig beschlossen, dass er mit der landesweiten Antiterrorismus-Task-Force nichts zu schaffen haben will, weil die dem FBI, der CIA, der Polizei und der Regierung die Befugnis gibt, uns alle auszuspionieren, und unsere bürgerlichen Freiheiten beschränkt.«

Ich fand, dass das durchaus sympathisch klang, vor allem, da die Regierung Großbritanniens gerade ein Gesetz in Vorbereitung hatte, demnach jeder, der das Land verlassen wollte, seine Reisepläne und den Zielort vor Beginn der Reise offenlegen sollte, obwohl man beim Segeln oft aufgrund des Windes ganz woanders ankam als geplant.

Noch einmal blickte Caleb mich bewundernd an, küsste mir abermals die Hand und lächelte mich an. »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich langsam weiter meine Runde drehen muss. All diese Leute unterstützen uns, das heißt, dass ich als Künstler ihnen gegenüber möglichst nett sein muss.«

Ich sah ihm hinterher, als er sich lächelnd durch die Menge schob, und fragte Gavin: »Das Gespräch war ziemlich seltsam, findest du nicht auch?«

»Vielleicht hat er ja selbst eine Verbindung irgendwo in Shetland, von der niemand etwas wissen soll«, schlug Gavin vor und griff nach dem Programmheft, das auf einem Stuhl in seiner Nähe lag. »Hier steht der Name Caleb Portland, aber um was über ihn herauszufinden, müssten wir erst einmal wissen, wie er richtig heißt.«

»Wart’s ab. Vielleicht ist er in Wahrheit ja ein Anderson, ein Georgeson oder Tait, und mein Freund Magnie war mit seinem Opa in der Schule oder so.«

*

Sonntag, 22. März

Am nächsten Morgen kletterte ich hinter Gavin in den alten Citroën meines Vetters, der uns netterweise an den Bahnhof brachte, denn auch wenn wir gerne länger in Poitiers geblieben wären, musste Gavin Montag zum Gericht, und mir standen die letzten Collegetage und die Abschlussprüfungen bevor. Ich quetschte mich nach vorn zu den Tüten voller Hundefutter, die dort vor den fressgierigen Tieren sicher waren, und Gavin teilte sich die Rückbank mit zwei Käfigen aus Drahtgeflecht, denn Thierry wusste nicht, wann er vielleicht auf den Gedanken kam, irgendwo ein paar Kaninchen oder Hühner zu erstehen.

Wir kamen vor den anderen am Bahnhof an, und nach uns tauchten der Klavierbegleiter und der künstlerische Leiter auf. Der künstlerische Leiter war mir unbekannt, doch Charles begleitete Maman bei ihren Soloauftritten, weshalb wir uns schon häufiger begegnet waren. Er war ein untersetzter Mann mit großen braunen Augen wie ein Spaniel, einem herabhängenden Schnurrbart und einem erschöpften Blick. Nach ihnen tauchte Caleb Portland auf, an dessen rotem Rucksack neben Wanderstiefeln eine Wasserflasche hing, und dann die Sopranistin, die Oenone und Diana sang.

Noch eine Viertelstunde bis zur Abfahrt unseres Zugs.

Der Tenor Hippolytus und Kamilla fuhren zusammen in einem Taxi vor, was ihr nicht zu gefallen schien, weil sie den tadellos geschminkten Mund verzog, bevor ihr Blick auf die Reporter fiel. Umgehend setzte sie ein breites Lächeln auf, posierte mit den ihr von Hippolytus überreichten Blumen und erklärte auf Französisch, wie sehr es ihr in Poitiers gefallen habe und dass sie gern wiederkommen würde, falls sich die Gelegenheit dazu ergab. Aber hallo, dachte ich und überlegte, wie Maman den Auftritt übertrumpfen wollte. Dabei fiel mir auf, wie der Tenor Kamillas riesengroßen pinkfarbenen Koffer und das farblich darauf abgestimmte Bordcase aus dem Taxi zerrte. Kamilla zeigte ihm erneut die kalte Schulter, als sie merkte, dass die Journalistenmeute zwischenzeitlich Ausschau nach den anderen Sängerinnen und Sängern hielt. Er sah sich suchend um, als wäre ihm Kamilla ebenfalls egal, und als er uns entdeckte, kam er auf uns zu.

Aus der Nähe wirkte Adrien Moreau erheblich älter als auf seinem Foto im Programmheft oder wenn er auf der Bühne stand und sang. Als Hippolytus trug er dichtes, blondes Kunsthaar auf dem Kopf, doch seine eigenen, dunklen Haare wurden an den Schläfen langsam dünner, und anders als Maman ging er mittlerweile sichtbar auf die fünfzig zu. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er auch den Kampf um seinen flachen Bauch verlor, und wenn er seinen Bart nicht jeden Tag rasieren würde, wiese der im Gegensatz zu seinen noch dunklen Brauen inzwischen sicher ein paar erste graue Haare auf. Trotzdem hatte er die selbstzufriedene Aura eines Mannes, dem bewusst war, dass begnadete Tenöre selten und ihm deshalb weiterhin die besten Rollen sicher waren.

»Cassandre! Ich hatte gestern Abend auf der Party keine Chance, mit dir zu reden«, sagte er und küsste mich so enthusiastisch auf die Wangen, als ob wir beide alte Freunde wären. »Aber Eugénie hat mir schon alles über ihre Tochter, die als Seglerin die Weltmeere bereist, erzählt.« Dann schüttelte er Gavins Hand, sagte auf Englisch: »Angenehm«, wandte sich abermals an mich und wollte auf Französisch von mir wissen: »Wie hat dir die Show gefallen?«

Als schmollender Teenie hatte ich es meiner Mutter nicht verzeihen können, dass ich von ihr aus meiner Heimat Shetland gegen meinen Willen nach Frankreich umgesiedelt worden war, und mich geweigert, bei den lächerlichen Spielchen mitzumachen, die bei Leuten von der Oper an der Tagesordnung waren, doch gestern Abend hatte ich mich tadellos benommen, und das würde ich auch weiter tun. »Sie war phänomenal«, erklärte ich ihm, froh, dass ich im Augenblick Französisch sprach, weil in der Sprache alles, was man sagte, irgendwie begeistert klang. »Vor allem die Liebesduette waren einfach exquisit. Und diese Szene, in der Phaedra Ihnen ihre Liebe eingesteht und Sie dafür bereit waren, auf die Königskrone zu verzichten, hätte man dramatischer nicht spielen können.«

»Ich finde auch, dass das sehr gut gelaufen ist, obwohl ich vorher wegen meiner hohen Töne leicht in Sorge war.« Er griff sich an den Hals. »Denn weißt du, gerade jetzt im Frühling, fängt man sich mit Leichtigkeit eine Erkältung ein.«

»O nein, Sie haben perfekt gesungen. Sie und Maman zusammen –« Nun fiel mir nichts mehr ein, und hilflos ruderte ich mit den Händen durch die Luft.

»Sah sie nicht wieder einmal prachtvoll aus?« Er blitzte mich aus seinen dunklen Augen an. »Mein Vater hat den Schmuck für sie auf Grundlage von Schliemanns Fund kreiert.«

»Er sah fantastisch aus«, stimmte ich zu.

»Meine Familie hat eine besondere Verbindung zu dem Schmuck. Mein eigener Urgroßvater war ein Freund von Schliemann und hat deshalb selbst gesehen, wie dessen Frau Sophia ihn getragen hat.«

Ich nickte, und um weitere Ausführungen zu vermeiden, fragte ich: »Freuen Sie sich schon auf die Tournee?«

»Ah, Schottland«, wandte er sich wieder Gavin zu. »Meine Familie hatte dort einmal ein Haus.« Bei diesen Worten fiel mir wieder ein, dass er trotz seiner russisch-grüblerischen Attraktivität und des französisch inspirierten Namens ursprünglich aus England kam. »Wir waren immer im September, wenn die Highland Games stattgefunden haben, dort. Die Landschaft da ist einfach großartig. Ich freue mich schon sehr darauf, sie endlich wieder mal zu sehen.«

»Sie ist tatsächlich wunderschön«, pflichtete ich ihm bei und blickte auf die Uhr. Noch zehn Minuten bis zur Abfahrt unseres Zugs. »Vielleicht sollten wir allmählich …«

Mit einem Nicken wandte er sich wieder seinen Koffern zu, und leise sagte ich zu Gavin: »Ich mag es auch nicht, dass der größte Teil von Schottland nicht den Schotten selbst gehört, doch erst bei der Erwähnung dieses Hauses ist mir wieder eingefallen, dass er ursprünglich aus England kommt.«

»Das war mir sofort klar. So gut geschnittene Anzüge tragen nur Engländer aus gutem Haus.« Er sah dorthin, wo Adrien stand, und wirkte etwas nachdenklich, als er die Golftasche des Sängers sah. »Ich hatte bisher kaum Kontakt zu Opernsängern und hätte sie mir selbstbewusster vorgestellt.«

»Sie leben irgendwie in einer anderen Welt.« Ich dachte kurz darüber nach. Auf See war man erfolgreich, wenn man im gewünschten Hafen angekommen war, doch diese Menschen brauchten mehr. »Sie müssen immer wieder hören, wie wunderbar sie waren.« Ich hatte mir ein Jahr lang die Konzerte meiner Mutter angehört, bis ich an meinem sechzehnten Geburtstag weggelaufen und zur See gegangen war. »Und die Tenöre sind noch schlimmer als die anderen.«

»Ich freue mich unglaublich, dass es jetzt nach Shetland geht«, erklärte mir die junge, schwarzhaarige Frau, die als Sopran die kleinen Rollen, das hieß, die Diana und Phaedras Vertraute Oenone, sang. Sie hieß Bryony Blake, war ungefähr so alt wie ich und hatte ihrer Art zu sprechen nach den Großteil ihrer Kindheit mit Ballettstunden, im Pferdestall und Zeltlagern der Pfadfinder verbracht. Sie hatte ein ovales, einzig durch ein etwas spitzes Kinn durchbrochenes Gesicht, schräge Katzenaugen unter tadellos gezupften Brauen, und ihre makellose, milchig weiße Haut wurde durch ihren leuchtend pinkfarbenen Lippenstift betont. Sie trug ein Künstlerinnenoutfit, das aus einer kurzen, altmodischen Jacke über einem knöchellangen Rock aus flaschengrünem Samt bestand, doch anders als Maman umgab sie trotz des ausgefallenen Outfits nicht die Aura eines Stars. Ich wusste nicht genau, woran es lag, aber die Sachen wirkten weniger wie Chelsea als wie Secondhandgeschäft.

»Waren Sie schon mal dort?«

Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich habe mir die Shetland Diaries von Simon King und all die Krimiserien, die dort spielen, im Fernsehen angeguckt. Sie sind unglaublich spannend, und irgendwie kommt einem dort alles furchtbar düster vor.«

»Inzwischen ist dort Frühling, und die Tage werden länger«, widersprach ich ihr. An manchen Tagen spürte man sogar schon eine leichte Wärme, auch wenn ich auf der Chalida weiter meine Thermos-Segelsachen trug und Kater vorsichtshalber noch sein dickes Winterfell behielt.

»Und auch die Landschaft sah im Fernsehen fantastisch aus. Stimmt es, dass die Fischerei noch immer wichtiger ist als das viele Öl, das dort gefördert wird?«

Ich nickte, denn tatsächlich brachten uns die Hochseefischerei, die Renkenkutter, Lachs- und Muschelfarmen dreimal mehr ein als der Terminal in Sullom Voe.

»Ich liebe Fisch und will ihn, wenn wir dort sind, unbedingt probieren. Gibt es dort gute Restaurants?«

»Auf jeden Fall. Wissen Sie schon, wohin’s auf Unst zum Essen gehen wird?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich singe einfach, wenn mir Per das Zeichen dazu gibt. Der Rest ist mir egal.«

Ich hatte mir die Unterlagen meiner Mutter mit den Daten, den Hotels und Reisezeiten angesehen. Natürlich hatte jedes Mitglied ihrer Truppe die bekommen, aber offensichtlich fand Bryony, einer echten Bohemienne seien solche Dinge schnurz. »Ich bin mir sicher, dass man Sie die typischen Gerichte unserer Inseln kosten lassen wird. Auch unser Lamm schmeckt wunderbar.«

Sieben Minuten noch. Der künstlerische Leiter blickte auf die Uhr, und Charles machte eine beschwichtigende Geste, als ein langer schwarzer Bentley vor dem Bahnhofseingang hielt und meine Mutter völlig ungerührt mit einem deutlich größeren Blumenstrauß, als ihn Kamilla in den Armen hielt, dem Fonds entstieg. Sie war hier in Poitiers im Heimvorteil, verteilte Wangenküsse an die Journalisten, die sie schon seit Jahren kannte, überreichte ihren Blumenstrauß dem Mann mit Kamera für dessen Frau, die offenkundig gerade aus dem Krankenhaus gekommen war, und wünschte, ohne auf die Zeit zu achten, auch im Bahnhofsinneren den Leuten einen guten Tag. Dann führte Dad die Prozession zum Bahnsteig an, und Maman tauchte genau in dem Augenblick auf, in dem der TGV dort hielt. Ohne ihr Gespräch mit dem Tenor zu unterbrechen, ging sie genau zu der Stelle, an der unser Wagen stehen geblieben war. »Aber, Adrien, du spielst doch gar kein Golf!«

»Meine liebe Eugénie, du hast mich noch nicht spielen sehen. Das ist was völlig anderes. Und ich kann ja wohl unmöglich nach Schottland fahren, ohne Golf zu spielen. Vor allem, da uns einer unserer Auftritte ganz in die Nähe von St Andrews führt.« Er überließ Maman den Vortritt, hievte seine Golftasche in den Waggon und folgte ihr. »Unsere Plätze sind …«

Auch Gavin winkte mich vor sich in den Waggon. Als wir Platz genommen hatten, bot Kamilla uns ein wunderbares Schauspiel, als sie merkte, dass sie nicht in Fahrtrichtung und obendrein noch neben Adrien saß. Sie bestand darauf, den Platz zu wechseln, weil ihr übel würde, wenn sie rückwärtsfahren müsste. Daraufhin überließ Bryony ihr achselzuckend ihren Sitzplatz, und Caleb blickte grimmig aus dem Fenster, während sie begann, die Blumen, eine Wasserflasche und diverse Zeitschriften um sich herum zu arrangieren. Unter der Überschrift »KAMILLA: das Geheimnis meiner Schönheit« prangte auf dem Titelblatt des Magazins, das ganz zuoberst lag, ihr eigenes lächelndes Gesicht, und als Bryony dieses Bild mit einem säuerlichen Blick bedachte, konnte ich das durchaus nachvollziehen. Als blonde Schönheit und mit Glück hatte Kamilla es mit Mitte zwanzig schon geschafft, während Bryony noch mit um die dreißig weiter nur die Nebenrollen sang. Maman reichte meinem Vater ihren weißen Wollmantel und ihren schwarzen Hut und glitt auf ihren Sitz. Als sie weder die Nummer überprüfte noch den Rock von ihrem schwarzen Reisekleid glatt strich, raunte mir Gavin zu: »Ein solches Maß an Stil ist harte Arbeit, und wahrscheinlich hat sich deine Mutter schon im Vorhinein die Nummer des Waggons und ihres Sitzes eingeprägt und deshalb einen derart glamourösen Auftritt hingelegt.« Er lenkte seinen Blick auf Adrien und dessen Golftasche und schien zu überlegen, welche Schläger wohl darin enthalten waren.

»Aber du spielst doch gar kein Golf«, murmelte ich.

»Ach nein?«

»Zumindest stehen bei euch im Haus nirgendwo irgendwelche Golfschläger herum.«

»Weil meine Golfsachen in meiner Wohnung sind. Ich bin im Golf Club Inverness«, erklärte er mir lächelnd, gab aber unumwunden zu: »Auch wenn ich ein eher schlechter Golfer bin.«

Als er noch einmal auf die Tasche und dann nachdenklich auf Adrian blickte, fragte ich: »Was geht dir gerade durch den Kopf?«

»Wenn ich raten müsste, würde ich behaupten, dass in dieser Tasche nur ein Minimum an Schlägern und daneben ein Metalldetektor sind.«

»Ein was?«

»Unter der schwarzen Haube«, klärte Gavin mich mit einem Nicken auf. »Es ist zu groß, um etwas anderes zu sein.«

»Aber warum sollte er so etwas mit auf die Tournee nehmen wollen?«

Das fanden wir am Flughafen heraus, wo auf den Titelseiten von verschiedenen Zeitungen unter einem Bild von etwas Goldenem, das in der Erde blitzte, stand: »Wikingerschatz in Shetland ausgehoben! Der Fund ist archäologisch sehr bedeutsam und wahrscheinlich Hunderttausende von Euro wert!«

*

Deep ida darkest eart’ I bide

Sete dere by hauns lang turned ta bane

Yet haul me up ta light and fin’

A blaze o’ gold and precious stane.

Ich warte tief in dunkler Erd’,

von Händen, die schon lange nur noch Knochen sind, versteckt,

darauf, dass jemand mich ans Licht holt und entdeckt

des Goldes Glanz und des Geschmeides großen Wert.

… ein Schatz

Montag, 23. März

Gezeiten in Scalloway, UT

Niedrigwasser

04:44

0,4 m

Hochwasser

11:08

1,7 m

Niedrigwasser

17:10

0,4 m

Hochwasser

23:34

1,6 m

Sonnenaufgang

06:01

Mondaufgang

07:14

Sonnenuntergang

18:22

Monduntergang

23:10

Sichelmond

What I wis, I amna,

What I am, you ken na,

Dem at loved me, think o’ me;

Yet dem at see me shrink fae me.

Ich bin nicht mehr, was ich mal war,

und dessen, was ich bin, bist du dir nicht gewahr.

Die mich geliebt, im Herzen mich bewahren,

doch die mich sehen, vor Schreck zusammenfahren.

KAPITEL 2

Natürlich wusste mein Freund Magnie ganz genau Bescheid. »Es sind zwei Schätze«, sagte er, als er mich die fünf Meilen von Lerwick, bis wohin ich mit dem Bus vom Flughafen gekommen war, nach Scalloway im Westen Shetlands fuhr, wo ich die Chalida hatte liegen lassen.

Mit seinen Ende sechzig hatte er inzwischen graue Locken, aber immer noch das rosige Gesicht des Seemanns, der er über fünfzig Jahre lang gewesen war, seit er mit vierzehn Teil der Crew auf einem der letzten Walfänger, die es zu der Zeit noch im Südatlantik gab, geworden war. Danach war er auf kleineren Booten rausgefahren, bis er in Pension gegangen und Leiter unseres Jugendsegelclubs geworden war. Er trug seinen besten Strickpullover, um mich abzuholen, den noch seine Mutter für ihn angefertigt hatte. Und wie nicht anders zu erwarten war, hatte sie dafür das uralte Fair-Isle-Muster (in diesem Fall in Weiß auf blauem Grund) gewählt.

»Und wo haben sie sie gefunden?«, fragte ich.

»Auf Unst. Es ist der erste Schatz, auf den sie seit den Funden von St Ninian 1958 dort gestoßen sind. Und damals haben sie das Zeug direkt nach Edinburgh gebracht, wo es noch heute liegt.« Er schnaubte auf. »Mit Ausnahme der kurzen Zeit, als er uns großmütig für die Eröffnung unseres Museums ›ausgeliehen‹ worden ist.«

Ich hatte die Kopien des Schatzes von St Ninian – emaillierte Silberschalen und Gürtelschnallen – gesehen. »Aber war der damalige Schatz nicht von den Pikten, die die Sachen vor den Wikingern versteckt hatten?«

»Genauso war’s, Mädchen. Aber die neuen Funde stammen tatsächlich von den Wikingern. Armreife und Ringe, Broschen, Klammern, diese Silberbarren, die sie als Geld verwendet haben, und dazu noch ein Beutel voller echter Goldmünzen. Die Leute im Museum sind vollkommen aus dem Häuschen.«

»Was ich durchaus nachvollziehen kann.«

Sein Wagen ratterte den Hügel, wo der Golfplatz lag, hinunter, über die knapp eine Meile breite Landenge, die Nordsee und Atlantik trennte, um die Kurve, und dann dehnte sich der Westen vor uns aus: die grauen Dächer Scalloways und über ihnen die Ruine der von Patrick Stewart 1600 dort erbauten Burg, der roten Steinversion des Märchenschlosses, in dem Maman aufgetreten war. Das Meer dahinter und der Himmel waren blau, und auch wenn auf den Hügeln noch das winterliche Braun vorherrschte, konnte man am Rand der Straße schon den ersten bläulich-grünen Schimmer neuen Grases sehen, und in den Gärten vor den Häusern in der Main Street waren bereits die weißen und die violetten Krokusse erblüht.

»Ich habe deinen Kater auf das Boot gesetzt und schon einmal den Motor angeschmissen«, wandte Magnie sich jetzt wichtigeren Dingen als irgendwelchen alten Schätzen zu. Er hatte Kater übers Wochenende bei sich aufgenommen, was, da er selbst zwei Katzen hatte, alles andere als selbstverständlich war.

»Und wie ist er mit deinem Tigger und mit Siam klargekommen?«

»Sie haben sich derart gefetzt, dass ich ihn in den Schuppen sperren musste, damit er nicht abhaut und versucht, nach Scalloway zurückzukehren. Aber jetzt sitzt er warm und sicher auf dem Boot und wartet dort auf dich.«

Dann hatten wir den Jachthafen erreicht, der für mich günstig direkt unterhalb des North Atlantic Fisheries Colleges lag, wo ich seit August studierte. Beim Aussteigen entdeckte ich beim Torpfosten den grauen Schatten meines vierbeinigen Freunds und rief: »He, Kater, ich bin wieder da!«

Er richtete sich auf, reckte den Schwanz steil in die Luft, und als er auf mich zugetrottet kam, ließ ich mich auf die Knie fallen und streichelte sein seidig weiches Fell. Inzwischen war das rappeldürre Kätzchen, das ich vor neun Monaten gerettet hatte, eine wahre Schönheit. Die strahlend weißen Pfoten hoben sich von seinem grauen Fell mit den hellgrauen Streifen und dem buschig-dichten Schwanz mit seiner hellen Unterseite ab. Am Ende stand ich wieder auf, öffnete das Tor und winkte Magnie, der an seinem Wagen stand, an mir vorbei. »Komm doch noch mit auf eine Tasse Tee und erzähl mir den neuesten Klatsch.«

»Ach, Mädchen, du warst doch nur übers Wochenende weg. In dieser kurzen Zeit ist kaum etwas passiert.«

»Und was ist mit dem Schatz?« Ich ging an Bord, blieb kurz im Cockpit stehen und atmete die frische Salzluft ein, bevor ich die drei Stufen vor dem Motor nahm. Endlich daheim.

Mit ihren nur acht Metern war meine Chalida im Vergleich zu anderen modernen Seebooten eher klein, aber erstaunlich zäh, weshalb ich schon mit ihr vom Mittelmeer nach Norwegen und dann hierher gesegelt war. Und nächste Woche würden wir, wenn es das Wetter zuließ, auf dem Weg nach Kristiansand sein. Das golddurchzogene braune Holz der Schotten und der Schlingerleisten schimmerte im gelben Licht der Lampe, die ich angezündet hatte, und sogar das weiße Fiberglas des Daches wirkte plötzlich warm. Die Kabine meines Schätzchens war zwei Meter breit mit einem Mittelgang. Backbord fanden sich der Kartentisch, die Spüle und ein zweiflammiger Gaskocher. Das marineblau bezogene, lange Sofa gegenüber wurde von dem kleinen Tisch, den ich auf See zusammenklappte, unterteilt. Hinter dem ersten Schott befanden sich der Hängeschrank und meine Pump-Toilette, und hinter der zweiten die spitze Vorpiek mit der v-förmigen Koje und der Ankerkette, die zur Ankerklüse auf dem Vordeck lief.

Ich setzte Wasser auf, stellte die Dose mit den Keksen auf den Tisch und sagte: »Los, erzähl mir alles ganz genau.«

Mein alter Freund nahm in der Ecke Platz. »Tja nun, es war Keith Sandison, der auf den ersten Schatz gestoßen ist. Ich glaube nicht, dass du ihn kennst. Er ist ein entfernter Vetter mütterlicherseits und zwar nicht so alt wie ich, aber auf jeden Fall auch nicht so jung wie du.« Er legte eine kurze Pause ein und dachte nach. »Er hat mit dem Fischen angefangen, als ich zum dritten Mal in Südgeorgien war, das heißt, er müsste um die sechzig sein.«

Ich stellte ihm den Becher mit dem Tee hin, der eine ordentliche Mahagonifarbe wie der Tee von seiner Mutter hatte, und nahm mit meinem eigenen Becher auf der warmen Motorraumabdeckung Platz. Kater sprang auf meinen Schoß, drehte sich einmal um sich selbst und legte sich dann schnurrend hin.

»Danke.« Magnie trank den ersten Schluck von seinem Tee, nahm sich ein Ingwerplätzchen, brach es mit dem Ellenbogen in drei Teile und fuhr fort. »Also, Keith hat einen kleinen Bauernhof oberhalb von Underhoull – und auf dem Acker, der dazugehört, hat er den ersten Schatz entdeckt. Er hat von irgendwem diesen Metalldetektor zu Weihnachten gekriegt, ist damit seine Felder abgegangen, und dann hat dieses Ding mit einem Mal total verrücktgespielt. Also ist er noch mal mit ’nem Spaten hin, hat angefangen zu graben, und in weniger als dreißig Zentimeter Tiefe hat er diesen Topf entdeckt. Okay, er wusste, dass er dort nicht hätte weitergraben sollen, aber er war so wild darauf, herauszufinden, was er da entdeckt hatte, dass er den Topf ausgebuddelt, ihn in ein Stück Sackleinen gewickelt und mit heimgenommen hat, um ihn sich dort genauer anzusehen.«

Ein seltenes Grinsen huschte über sein Gesicht. »Er hat den Topf, so dreckig, wie er war, zu Hause auf den Küchentisch gestellt, und Maggie, seine Frau, hat sich total darüber aufgeregt. Aber er hat gesagt, dass sie die Klappe halten soll, die Erde von dem Topf gewischt, ihn aufgemacht und den in Tücher eingehüllten Schatz entdeckt. Goldringe und Silber, Broschen, Armreife und dazu noch ein wundervoll gearbeitetes Kreuz.« Er sah sich um, als wollte er sich vergewissern, dass wir keine Lauscher hatten, und fuhr mit gedämpfter Stimme fort. »Dann hat sich seine Frau die schönsten Sachen ausgesucht und sie behalten, ohne den Archäologen etwas davon zu erzählen. Und auch den Lederbeutel mit den ganzen Gold- und Silbermünzen hat sie nicht mehr rausgerückt.«

»Ach was.«

»Keith hat Fotos von dem ganzen anderen Zeug gemacht und die Archäologin angerufen, die sofort gekommen ist, um sich die Sachen anzusehen. Val Turner, von der hast du sicher schon mal was gehört. Sie wollten diese Angelegenheit in aller Stille regeln, aber Maggie hat natürlich ihrer Nachbarin etwas davon erzählt, und als die Sache dann auf Unst die Runde machte, haben diese beiden Jungs beschlossen, dass sie auch einmal ihr Glück versuchen sollten, haben mit einem Metalldetektor ein paar Felder rund um Belmont abgesucht und einen etwas kleineren, aber trotzdem noch sehr schönen Schatz aus Münzen, Broschen und verschiedenen Armreifen entdeckt. Sie sind damit direkt zur Shetland Times und haben dort auch den Fund von Keith erwähnt. Danach haben die Archäologen all die Sachen eingesackt. Natürlich war er deshalb wütend, doch jeder Narr hätte ihm sagen können, dass er diese Sachen nicht behalten darf.« Nach einem weiteren Schluck aus seinem Becher fügte er hinzu: »Und ohne Zweifel werden sie in Edinburgh jetzt wieder sagen, dass ein solcher Schatz dem ganzen Land gehört und ihn dort ins Museum bringen, statt ihn bei uns zu zeigen, wo er ursprünglich vergraben war. Was Keith beinah noch schlimmer findet, als dass er ihn nicht behalten darf.«

»Aber er wird doch sicherlich entschädigt, oder nicht?«

»Er will kein Geld, denn er verdient als Fischer gut genug. Er wollte, dass der Schatz in Shetland bleibt. Und dann fingen die Zeitungen auch noch von einem neuen Gotland an – du weißt schon, weil dort jede Menge alter Schätze ausgegraben worden sind.« Er schüttelte den Kopf. »Auf alle Fälle ist auf Unst seither die Hölle los. Und dabei hatten sie die ganzen alten Siedlungen von den Wikingern dort gerade erst entdeckt. Du kannst dich doch bestimmt noch dran erinnern, dass vor ein paar Jahren dort überall gegraben worden ist.«

Jetzt schüttelte ich meinerseits den Kopf. »Ich war damals in Norwegen.«

»Das stimmt. Auf alle Fälle gab es vor fünf Jahren dieses Wikinger-auf-Unst-Projekt, und dabei haben sie ganz Unst nach Spuren abgesucht.«

»Wahrscheinlich wurden auf den Grundstücken der meisten alten Häuser später Bauernhäuser oder so gebaut.«

Mein Kumpel nickte zustimmend, denn schließlich stand sein eigenes Häuschen auf den Fundamenten eines Wikingergebäudes, das aus Steinen eines alten Rundturms aus der Piktenzeit errichtet worden war. »Sie haben eine ganze Reihe möglicher Behausungen der Wikinger entdeckt und ein paar Stellen ausgesucht, an denen dann gegraben worden ist, wie beispielsweise in Belmont, unweit der alten Lund-Kirche, in Underhoull und ganz im Osten in Hamar.«

Der Name sagte mir etwas. »Keen o’Hamar. Das ist doch diese Mondlandschaft. Dorthin haben wir mal einen Schulausflug gemacht.«

»Dort war früher mal der Meeresgrund. Genau. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass dort das erste Haus gestanden hat. Ich habe mich freiwillig zu den Ausgrabungen in Underhoull gemeldet, weil dort die Familie meiner Mutter herkommt, und nachdem wir dort zwei Sommer lang gebuddelt hatten, haben sie alle ihre schlauen Abhandlungen dazu geschrieben, und die Leute, die die Ausgrabungen geleitet haben, haben auf einer Konferenz die Dinge, die sie rausgefunden haben, präsentiert. Ich war das ganze Wochenende dort, und Mädchen, es war wirklich furchtbar interessant. Anscheinend kamen die Wikinger zuerst nach Unst, und zwar schon 730, und sie konnten dank der Funde sogar sagen, woher sie gekommen sind und was sie alles im Gepäck hatten.«

Ich dachte an die Golftasche von Adrien Moreau und lenkte unsere Unterhaltung wieder auf die Gegenwart. »Und jetzt rennen lauter Leute mit Metalldetektoren an den Fundstellen herum?«

»Mit diesen Dingern und mit Spaten, ja genau. Die Detektoren reagieren auf Nägel und auf Gold. Natürlich haben sie die Fundstellen inzwischen gründlich abgesucht, aber bei all den alten Sachen, die bisher nicht ausgegraben wurden, richten diese Schatzsucher wahrscheinlich schlimme Schäden an. Deswegen haben ein paar von uns beschlossen, dort zu patrouillieren und zu versuchen, diese Leute davon abzubringen, die alten Schätze zu zerstören.« Er warf mir einen Seitenblick aus seinen kieselgrünen Augen zu und fragte mich: »Fährst du nach Unst, um dir den Auftritt deiner Mutter anzusehen?«

Ich nickte. »Die Gezeiten sind echt lausig, deshalb segle ich am Mittwochnachmittag an Eshaness vorbei nach Hamnavoe und von dort am Donnerstag nach Unst. Die Aufführung in Belmont House ist Freitagabend. Meinst du, ich könnte dort am Fähranleger festmachen?«

»Nur, wenn es dir nichts ausmacht, von halb sieben in der früh bis halb elf abends aus dem Weg zu fahren. Für eine Jacht und für die Fähre reicht der Platz dort nämlich ganz bestimmt nicht aus.«

Ich runzelte die Stirn. »Kann ich dann vielleicht in der Bucht vor Anker gehen?«

Mit einem entschiedenen Kopfschütteln erklärte Magnie mir: »Die ist total verdreckt und ungeschützt. Am besten ankerst du in Lunda Wick. Die Bucht hat einen Sandstrand, liegt geschützt und ist vor allem wunderschön.«

Ich griff nach meinem Shetlandführer des Clyde Cruising Club. Die Karte zeigte eine Bucht mit einem Doppelstrand und einer breiten Öffnung Richtung Westen, die mir eine freie Einfahrt bot. Von dort aus wären es vier Meilen und zu Fuß über die Hügel sicherlich noch weniger bis Belmont House.

»Sieht gut aus«, meinte ich.

»Wenn du dort ankern würdest, könntest du vielleicht ein Auge auf die Fundstelle in der Gegend haben, für den Fall, dass irgendjemand dort nach Schätzen sucht. Natürlich sollst du nicht Patrouille laufen, sondern einfach nur vom Cockpit aus ein bisschen nach dem Rechten sehen. Mit Nachtwachen kennst du dich schließlich aus.«

»Das kann ich gerne tun, und wenn ich was Verdächtiges bemerke, rufe ich dich an.«

»Tu das, Mädchen. Ich bin in Belmont bei einem alten Freund aus meinen Walfangzeiten, und wenn’s Ärger gibt, sind wir in fünf Minuten da.« Er schüttelte den Kopf. »Obwohl die Fundstellen inzwischen ziemlich gut geschützt sein sollen, denn nach allem, was ich höre, hat man in den Hügeln jetzt schon häufiger den Geist von einem Wikinger gesehen.«

»Ach ja?«, hakte ich skeptisch nach.

»Du weißt, was Shakespeare sagt, und du willst mir doch nicht erzählen, dass du nicht an Geister glaubst.«

Ich dachte an die Nachtwache, in der das Mondlicht auf ein Geisterschiff gefallen war. Die Segel waren von der langen Fahrt auf rauer See zerfetzt gewesen, und der Anblick hatte sich mir unauslöschlich eingeprägt. »O nein, das sage ich ganz sicher nicht. Ich finde nur, dass dieser Geist euch gerade sehr gelegen kommt und dass es doch bestimmt in jedem Haus auf Unst von Up Helly Aa noch Wikingerkostüme gibt.« Nach einer nachdenklichen Pause fragte ich: »Wer sagt denn, dass er diesen Geist gesehen hat?«

»Zum Beispiel Keith. Er hat gesagt, als er mit Graben angefangen hat, hätte er plötzlich diesen kalten Windstoß im Genick gespürt –«

»Im März weht ziemlich oft ein kalter Wind.«

»Ach, sei doch still. Dann hat er aufgeblickt und die Gestalt mit einem Helm mit Hörnern oben auf dem Hügel stehen sehen.«

»Ganz bestimmt war es kein Geist, weil auf den Helmen der echten Wikinger gar keine Hörner waren. Das weiß ich aus der Schule. Und nicht einmal die Helme der Berserker hatten Hörner. Unsere Lehrerin hat uns damals die Bilder von den Lewis-Schachfiguren gezeigt.«

Mit einem Seufzer stellte Magnie fest: »Ich frage mich, warum es in der Schule heute keinen Platz mehr für romantische Geschichten gibt.«

»Wie dem auch sei – ich helfe gern«, erklärte ich. »Wobei ich jetzt erst mal für meine Prüfungen lernen muss.«

»Die schaffst du doch mit links.« Magnie stand auf, wusch seinen Becher ab, ging Richtung Luke und blieb noch einmal stehen. »Um wie viel Uhr willst du Donnerstag denn los? Ich würde vielleicht gerne mitfahren. Zwei zusätzliche Hände schaden sicher nicht.«

»Das wäre schön«, gab ich zurück. »Sagen wir, so gegen neun? Und noch mal danke, dass du Kater bei dir aufgenommen hast.«

»Schon gut.« Er hob die Hand, bevor er in der Dunkelheit verschwand.

*