Tödlicher Wein - Ulf König - E-Book

Tödlicher Wein E-Book

Ulf König

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Beschreibung

In dem spannenden Roman wird der Leser an einige sehr interessante Tauchplätze entführt. Er kann nicht nur tiefe Einblicke in die Welt unter Wasser erhalten sondern auch eine überaus spannende Handlung verfolgen. Ein unbedeutender Artikel über einige Flaschen Wein führt Björn, einen jungen schwedischen Studenten, nach Deutschland. Während der Suche nach dem Wein stellt er fest, dass es um mehr geht, als um die Flaschen, die 1945 in Norddeutschland verschwanden. Welches Interesse sollte eine zu allem entschlossene Gruppe Nazis oder ein brutaler Pate an ein paar alten Flaschen haben? Und warum sucht das LKA einen Mörder, wenn es keine Leichen vorzuweisen hat? Zusammen mit zwei ehemaligen Beamten des LKA versucht Björn sein Leben zu retten. Aber dazu muss er erst einmal wissen, worum es geht. Der Roman führt die Leser von Schweden, nach Südfrankreich, Hemmoor in Norddeutschland, Hamburg, Wilhelmshaven, zum Walchensee und dem Toplitzsee in Österreich.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 286

Veröffentlichungsjahr: 2017

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2. Auflage

978-3-7439-7156-1 (Paperback)

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978-3-7439-7158-5 (e-Book)

© 2017 Ulf König

Verlag und Druck:

tredition GmbH

Halenreie 40-44

22359 Hamburg

Die nachfolgenden Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Personen

Björn, schwedischer Student der eigentlich nur surfen möchte

Jacques, Björns Tauchlehrer

Uwe Müller, Student

Klaus, Kellner

Ben und Kaus, technische Zeichner

Max, LKA-Beamter O.K. und Sporttaucher

Lara, LKA-Beamtin und Sporttaucher

Bicher, ehemaliger Mitarbeiter eines Zementwerks Sascha möchte Reporter werden. Er beschäftigt sich mit den falschen Themen

Mark, jung-Nazi Sperling Deckname - bis 1945 in der Gestapo (Werner Huskamp) Phönix, Deckname - Nazi und enger Vertrauter des Führers (Hans Heinrich Engler)

Metha, eine Nachbarin

Joachim Feldmann, ein Projektleiter im Dritten Reich (verstorben)

Benno Fuhrmann, Sohn von Joachim Feldmann - lebt unter falschem Namen

Gregor, Nazi

Arne, Nazi

Peters, Kripo Hemmoor

Schröder, Polizei Hemmoor

-1

Urlaub

Die ersten Sonnenstrahlen, die durch den immer dünner werdenden Nebel auf die Wasseroberfläche trafen, ließen die Silhouette der Kirche gespenstisch erscheinen. Es war noch früh, sehr früh als Maximilian, den seine Freunde kurz Max nannten, und Lara die kleine rote Boje im See erreichten.

Es war kein natürlicher See. Ein See, der inmitten einer kleinen, vor einigen Jahren fast schon vergessenen norddeutschen Stadt lag, um kurz darauf in fast magischer Weise jährlich tausende von Tauchern aus aller Welt anzulocken. Diese Taucher waren es, die die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf erweckten und sie weit über die Landesgrenzen hinaus als “Eldorado für Taucher” bekannt machten. Mit den Tauchern kam die Presse. Nichts - zumindest fast nichts geschah auf dem Gelände, über das nicht irgendwann einmal berichtet wurde. So entstanden Gerüchte. Gerüchte über die Entstehung des Sees, über die Firma, die eine Grube ausgehoben hat und über den Wassereinbruch, der zur Entstehung des Sees führte. Kaum ein Gerücht, kaum eine Halbwahrheit blieb von der Presse unbeachtet und wurde, angereichert mit Vermutungen, zu umfassenden Berichten. Ein solcher Bericht war es, der die nachfolgenden Ereignisse auslöste. Eben jener Bericht, den weder Max noch Lara gelesen hatten, sollte ihr Leben nachhaltig verändern.

DIVE-MAGAZIN 03 ... Es sind schon über einhundert Jahre vergangen seit eine schlichte, zweispännige Kutsche die norddeutsche Tiefebene befuhr. Der Reisende war ein ausgesprochener Liebhaber des roten, fruchtigen, halbtrockenen Weins. Eines Weins, den der Reisende vor der Fahrt in viel zu großen Mengen genossen hatte. Wäre der Wein nicht so vorzüglich gewesen, gäbe es den See wahrscheinlich nicht, denn es warder Wein der dazu führte, dass der Kutscher an einem Busch halten musste. Der Busch unterschied sich nicht im Geringsten von allen anderen Büschen, die den Weg auf beiden Seiten säumten. Es war ein kleiner Busch mit vielen Blättern, der dem Reisenden einen guten Sichtschutz bot, als er seine Blase entleerte. Der kleine Strahl, der überwiegend aus Wasser bestand, schäumte als er auf den Boden traf. Dieser weiße Schaum war es, der den Reisenden dazu bewog, Bodenproben in einen alten Kartoffelsack zu füllen, um sie später untersuchen zu können. Es war Kreide, die, wie sich später herausstellte, von einem großen Salzstock an die Erdoberfläche gedrückt darauf wartete, im Tagebau gefördert zu werden...

Im Folgenden wurde die weitere Entwicklung der Firma und der Grube beschrieben, die fast hundert Jahre später den See bilden sollte.

Die Firma hatte fast zweitausend Mitarbeiter und war zu weltweitem Ruhm aufgestiegen. Der Sockel von “Miss Liberty” wurde genau wie verschiedene Staudämme, Brücken und Häuser aus dem Zement gefertigt, der in jener kleinen Stadt, - damals noch ein Dorf produziert wurde. Immer wieder kam es zu Besuchen wichtiger Vertreter von Regierungen und Firmen, denen aus alter Tradition die erlesensten Weine angeboten wurden...

In den Weltkriegen, besonders aber im Zweiten Weltkrieg, wurden Truppen auf dem Gelände stationiert, die für den Schutz wichtiger Industrieanlagen abgestellt, ihren Dienst verrichteten. Sie hofften, so dem harten Fronteinsatz zu entgehen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde ein Teil der Firma zerstört und die Arbeiter in alle Himmelsrichtungen versprengt. Vor dem Einmarsch der Alliierten wurden die Waffen und ein Teil der Munition einfach auf dem Gelände vergraben und vergessen...

Die Firma erlebte nach dem 2. Weltkrieg viele Höhen und Tiefen bis sie dann Mitte der 80er Jahre stillgelegt wurde. Ein kleines Unternehmen zertrümmerte die Gebäude am Kreidesee und schob die Reste in den See, um einen kurzen, schmalen Uferabschnitt an der B73 vor dem Abrutschen zu sichern.

Dieser Bericht erschien im DIVE MAGAZIN und war für eine kostenlos erscheinende Vereinszeitschrift, die in einer winzigen Auflage gedruckt und verteilt wurde, ungewöhnlich lang. Der Bericht umfasste fünfzehn Seiten, von denen sich allein fünf mit der Firma zur Zeit des zweiten Weltkriegs befassten. Es wurde von Bunkern auf dem Gelände berichtet und Namen genannt, die vom Autor frei erfunden wurden, jedoch den Anschein erweckten, sie seien echt und sehr gute recherchiert. Die Namen hatte der Autor aus Geschichtsbüchern abgeschrieben und mit Namen verglichen, die heute noch in der Gegend üblich waren. Diese Methode der Namenfindung war nicht der einzige Fehler, der dazu führte, dass ein altes Fass auf dem Grund der Nordsee langsam vor sich hin rostete, um irgendwann den Betonblock in seinem Innern freizugeben. Einen Block, der für viele Lebewesen ein kleines Riff bilden sollte, welches kleinen Fischen und Krebsen Schutz bot. Es wurde nie geklärt, warum der Artikel gedruckt wurde. Zumal er nichts mit den eigentlichen Bereichen Vereinsleben und Tauchen zu tun hatte. Ebenso rätselhaft war die Auswahl der Themenschwerpunkte. Alle späteren Versuche den Autor zu fragen, woher er die Informationen bezog, scheiterten an der Tatsache, dass er untergetaucht und selbst für die besten Detektive unauffindbar war. Um den Autor zu finden, hätte man ein großes, graues Fass suchen müssen, das dreißig Meilen vor der Küste auf dem Grund der Nordsee stand. Es war durch die Wucht des Aufpralls zur Hälfte im weichen Sand versunken und versandete immer weiter durch die unterschiedlichen kalten, trüben Strömungen. Hätte jemand das Fass gefunden, geborgen und anschließend den fest verschweißten Deckel entfernt, müsste der Beton aufgebrochen werden, der es vollständig zu füllen schien. Dabei wäre derkleine leicht untersetzte Körper eines Mannes gefunden worden, der vollständig bekleidet mit Jeans, Turnschuhen und einer Bomberjacke unbeweglich unter Luftabschluss, zusammengekrümmt im Fass lag. Es war nicht der Luftmangel, der den Mann tötete sondern ein nicht zu übersehender Einschuss im Genick. Eine genauere Untersuchung hätte ergeben, dass es sich um eine Kugel aus einer Glock 26 handelte, die schon bei einer Serie brutaler Raubüberfällen verwendet worden war. Ein Artikel über einen See und eine Firma in Norddeutschland war Saschas erster und letzter Artikel.

Einige Monate zuvor

Björn, ein gebürtiger Schwede, wollte schon seit Tagen zurück in Göteborg sein. Er wohnte dort allein in einer kleinen Studentenbude nahe der Chalmers University of Technology. Auch wenn sie von innen einen schlampigen Eindruck machte, war die Lage vorzüglich. Der Weg zur Universität war in kurzer Zeit zu bewältigen. Abends bestand die Möglichkeit eine Joggingbahn in einem schönen Park zu nutzen und die Verkehrsanbindung war, wie nicht überall in Schweden üblich, sehr gut. Der Fußmarsch bis zur Bushaltestelle dauerte nur wenige Minuten und drei Minuten mehr bis zur Haltestelle des Airport-Busses bei “Korsvägen.” Im Vergleich zu den Geldmitteln, die Björns Eltern monatlich zur Finanzierung seines Studiums und der Wohnung überweisen mussten, waren die Mittel für die Europareise lediglich Peanuts. Sie war als Ausgleich für die vielen Stunden gedacht, in denen Björn allein auf seiner Bude hockte, um sein Studium in kürzester Zeit voranzubringen. Nicht nur die kurze Studienzeit, sondern auch der hervorragende Abschluss veranlasste die Eltern dazu, ihrem Sohn die Reise zu ermöglichen, bevor er die harte Probezeit in einer größeren schwedischen Firma antrat, um sein eigenes Geld zu verdienen.

12. April

Björns erste Etappe führte nach Hyeres, fünfundzwanzig km vor den Toren Toulons. Seit er als kleiner Junge einen Reiseführer über Südfrankreich gelesen hatte, wollte er dort surfen lernen. Warum ausgerechnet dort, konnte er selber nicht erklären. Aber es war egal, er war jetzt schließlich dort. “Wie lange benötigen Sie den Jeep”, fragte der freundlich lächelnde Inhaber der kleinen, fast schon heruntergekommen wirkenden, Autovermietung. Ein Blick nach draußen ließ Björn zögern. Was sollte er während der vier Wochen machen, bei dem Wetter. Kaum Wind, Regen und kaltes Wasser entsprachen nicht seinen Vorstellungen eines schönen Surf-Urlaubs. “Zunächst eine Woche.”

Der Mietvertrag wurde unterzeichnet. Björn behielt sich jedoch die Option vor, den Wagen auch über die gesamten vier Wochen behalten zu können. Der Vorteil reicher Eltern lag in der Möglichkeit mit der Partner-Card der Bank über relativ große Geldmittel zu verfügen. Als er den Zündschlüssel des Cherokee drehte und der 3,7 L V6 Motor den Wagen beben ließ, begann es zu regnen. “Mist”, war das einzige was Björn sagte, bevor er das Radio aufdrehte und langsam durch die verwinkelten Gassen zum Strand fuhr. Der Parkplatz lag direkt am Stand, so dass er im Wagen sitzen bleiben konnte, um seinen Blick über das Mittelmeer streifen zu lassen. Hier war er also, im immer sonnigen, warmen Südfrankreich. Das Gebläse, ohne dessen Hilfe die Scheiben sofort beschlugen, summte kaum hörbar vor sich hin. Die Scheibenwischer waren auf Intervall gestellt, und Björns Blick fiel im Wechsel zwischen ungetrübter Sicht und dem Wasser, das direkt hinter dem Scheibenwischer in Sturzbächen über die Scheibe lief, auf einen kleinen Kutter. Waren es Pressluftflaschen, die an Deck festgezurrt im Regen standen? Ohne lange nachzudenken ließ Björn den 155 KW seines Motors freien Lauf, um der Küste zu folgen. Er raste aufgrund des stärker werdenden Regens, fast blind durch die mäßig ausgebauten Straßen.

Es dauerte noch dreißig Minuten bis er den Kutter erneut sah, der fest vertäut an der Mole lag. Zwanzig Männer und Frauen, so schätzte er, schleppten hastig Ihre Tauchgeräte durch den Regen zu zwei alten, eher klapprig wirkenden VW Bullis. Es dauerte noch eine viertel Stunde bis alles verstaut war und die Bullis voll besetzt mit hoher Geschwindigkeit vom Parkplatz fuhren. Da sich weder die beiden Fahrer noch die Fahrgäste umsahen, fiel niemandem der silber-graue Cherokee auf, der ihnen folgte. Auf der Halbinsel Giens endete die Fahrt vor einem Campingplatz mit angeschlossener Tauchbasis. Der Cherokee verstummte vor der Einfahrt zur Basis. Soll ich oder soll ich nicht? kann ich das Tauchen überhaupt im Urlaub lernen - und was ist mit meinem Traum vom Surfen? Eine halbe Stunde überlegte Björn ob er einfach aussteigen und sich zum Tauchkurs anmelden oder bei solchen Mistwetter zurückfahren und surfen sollte.

Eine halbe Stunde, die zu einer Entscheidung führte, welche sein Leben nachhaltig änderte. Hätte Björn zu dem Zeitpunkt bereits gewusst, wie sich sein wohl behütetes, abseits aller Gefahren verlaufendes Leben ändern sollte, wäre er - ohne lange zu überlegen - nach Hause gefahren und hätte den Urlaub in Vimmerby oder sonst wo in Schweden verbracht. “Hallo, wer organisiert diese Basis”, rief Björn, nachdem er seinen Wagen verlassen und die Strecke zu der einzig befestigten Hütte über einen holprigen Schlackeweg zurückgelegt hatte.

Obwohl er dreimal mit zunehmender Lautstärke rief und zum Schluss fast schrie, erfolgte keine Reaktion. Das laute Rattern eines schweren Gerätes übertönte seine Stimme. Er verließ die Hütte und ging rechts an ihr vorbei, dem Lärm entgegen. Dort standen sie, die Flaschen, ein Kompressor, der aussah als hätte er schon sehr viele Flaschen gefüllt, und Jacques. Jacques war ein kleiner untersetzter Mann, der durch seinen ungepflegten Vollbart und die fettigen, strähnigen Haare wie ein Gangster aus der Provence wirkte. Der Eindruck täuschte. Er war ein symphatischer Tauchlehrer, der jeden Schüler einzeln ausbildete und sehr viel Zeit mit ihnen verbrachte. Jacques war einer der wenigen Tauchlehrer, dem nicht egal war, wie es seinen Schützlingen nach der Ausbildung erging. “Hi, wo kann ich den Chef finden?”, rief Björn gegen das hämmernde Geräusch des Kompressors an. “Einen Moment noch!” Es dauerte noch fast eine Stunde bis Jacques den Kompressor abschaltete, um sich dem Neuankömmling zu widmen. “Was gibt’s?” “Kann ich hier das Tauchen lernen?” “Hier wimmelt es von Tauchschülern, jeder Tauchlehrer hat mindestens zwei mehr, als gut ist, aber trotzdem hast Du Glück.” “Warum?” fragte Björn in der festen Überzeugung, den Urlaub doch surfend zu verbringen. “Ich habe im Gegensatz zu den anderen immer nur einen Schüler. Meiner ist gerade fertig, und wenn Du möchtest, kannst Du bei mir lernen.” Sie verabredeten sich für den nächsten Tag um neun Uhr.

Um nicht jeden Tag so weit fahren zu müssen, suchte Björn sich eine Pension in der Nähe der Basis. Auf dem Campingplatz an der Basis, die fast ausschließlich von den Tauchschülern und ausgebildeten Tauchern frequentiert wurde, waren noch Plätze frei, aber bei dem Wetter... Es lag sicherlich am Wetter. Obwohl die Pensionen um diese Jahreszeit fast immer voll ausgebucht waren, fand er schon nach 40 Minuten ein schönes Zimmer. “Gut - die Formalitäten der Anmeldung hätten wir. Herr Müller wird Ihnen das Zimmer zeigen.”

Weder der Name noch die Erscheinung Müllers passte in diese Gegend. Er war ein junger kräftiger Mann, in dem man eher einen Studenten als einen Pagen vermuten würde. Müller bemerkte Björns Blicke. “Ich jobbe hier, um meinen Tauchurlaub zu finanzieren”, sagte er als sie das Zimmer erreichten. “Sie tauchen, - ist die Basis da unten gut? - Ich habe mich zum Tauchkurs angemeldet.” “Ach, ein Anfänger. Die großen Gruppen da unten, ich würde lieber woanders hingehen, acht bis zehn Taucher pro Gruppe sind einfach zu viel.” “Ich lerne bei Jacques.” “Das ist was anderes, Jacques war früher bei den Kampftauchern. Jetzt ist er selbständig. Er gibt nur Einzelunterricht. Ich muss jetzt weiter arbeiten, aber wir können uns heute Abend in der Bar am Ende der Straße treffen. Da treffen sich viele Taucher von der Basis und wir können ein Bier oder einen Wein zusammen trinken.”

Im Gehen rief Müller noch: “Übrigens ich heiße Uwe, Taucher duzen sich in der Regel”! “Björn, also dann bis heute Abend.” Draußen begann es wieder zu regnen, das letzte Mal für die Zeit, die er noch in Südfrankreich verbringen sollte. Als er die Kneipentür öffnete, schlug ihm warme, stickige Luft entgegen, und er konnte durch den Qualm kaum etwas erkennen. Die Musik war laut und bei weitem nicht sein Geschmack. Björn überlegte, ob er nicht umkehren und am nächsten Tag mit Uwe sprechen sollte. Als er sich abwandte, um die Tür von außen zu schließen, hörte er Uwe rufen” Komm, setz’ Dich zu uns!” Sie saßen zu dritt am Tisch und Björn setzte sich dazu.

“Hallo Uwe.” “Hallo! Klaus und Ben kommen aus Deutschland, genauer gesagt aus Norddeutschland. Sie tauchen immer in so ‘nem Baggerloch und wollten mal was anderes sehen” stellte Uwe seine Tischnachbarn vor. “Hallo.” “Du bist heute angekommen, um hier Tauchen zu lernen? Das hat zumindest Uwe vorhin erzählt”, fragte Ben, um das Gespräch zu eröffnen. “Ja, aber eher zufällig.” Björn erzählte von dem Reiseführer, in dem das Wetter beschrieben wurde, der Enttäuschung die er erlebte, als er ankam, dem Kutter und seinem spontanen Entschluss, die Urlaubsplanung zu ändern und hier zu bleiben. “Und Ihr, seid ihr oft hier?” “Nein, das erste Mal.” “Wir üben ein wenig das Wracktauchen”, fuhr Klaus fort. “Ideale Gegend dafür. Leider ist die Hälfte der Zeit um. In zwei Wochen müssen wir nach Hause zurück.”

Björn nickte nachdenklich. “Wo kann man in Deutschland tauchen? Ich dachte, dort gibt’s nur trübe Seen und strömende Flüsse.” “Da sind einige Möglichkeiten”, entgegnete Klaus. “In der Ostsee ist viel zu sehen. Leider benötigt man für jeden Tauchgang ein Boot - die Uferbereiche sind einfach zu flach. Der Bodensee, der Walchensee und andere Gebirgsseen haben gute Sichtweiten, Fische und Bewuchs, aber sie sind tief und leider sehr weit weg. Die ostdeutschen Seen und die mitteldeutschen Talsperren sind nicht so prall, jedoch relativ schnell zu erreichen. “Und die norddeutschen Seen”, fiel ihm Ben ins Wort.

“Da sind viele kleine mit schlechter Sicht und wenig Bewuchs sowie die beiden großen. Der Banter See in Wilhelmshaven und der Kreidesee in Hemmoor. Beide sind künstlich. Der Banter See ist ein alter Hafen mit einer Docksenkgrube bis zwanzig Meter Tiefe. Er wurde vor längerer Zeit durch den Groden-Damm abgetrennt und bildet heute den See. Der Kreidesee ist eine vollgelaufene Grube mit sehr klarem Wasser.” “Sind noch ’ne Menge Dinge drin”, ergänzte Klaus. Sie saßen noch eine ganze Weile beieinander, tranken Wein, redeten über das Wetter, Tauchen, den Urlaub und vor allem vom Kreidesee.

Ben und Klaus schwärmten bei jeder Gelegenheit von dem klaren Wasser, den Tauchobjekten und allem anderen. “Ich muss mich ausruhen. Um neun Uhr treffe ich mich mit Jacques und da möchte ich fit sein - wir können uns ja morgen Abend wieder treffen”, sagte Björn, während er aufstand und auf die Tür zusteuerte. “Bis morgen”, riefen ihm beide nach. Es war ein anstrengender Tag gewesen und Björn schlief schnell ein.

Fast hätte er verschlafen und erreichte mit Mühe um kurz nach neun Uhr die Tauchschule. “Hi”, rief er Jacques schon von weitem zu. “Hi, ich dachte, du kommst nicht mehr. - Wollen wir gleich anfangen?” Björn folgte Jacques in einen kleinen Raum, der eher einer Gerümpelkammer glich als einem Schulungsraum. Jacques räumte einen Tisch ab und legte nacheinander die einzelnen Teile einer Taucherausrüstung auf den Tisch. Björn war etwas enttäuscht. Er hatte erwartet, gleich ins Wasser zu dürfen und musste am Abend feststellen, dass er dem Wasser noch nicht einmal nahe gekommen war. Björn lernte zuerst alles Wichtige theoretisch und im Trockenen. Er lernte, Atemregler anzuschrauben, die Ausrüstung anzulegen, das Füllen einer Pressluftflasche und den Umgang mit sonstigen Ausrüstungsgegenständen. Mittags kaufte er sich ein Baguette und trank Volvic. So verlor er nur wenig Zeit und konnte schon eine Stunde später wieder den Ausführungen von Jacques folgen. Am Nachmittag standen Tauchmedizin und Physik auf dem Programm. Besonderen Wert legte Jacques auf die Themen Dekompressionsunfälle, Barotraumen, Notfall-Maßnahmen und Tauchgangs-Profile. “Bei den Dekompressionsunfällen oder kurz Deko-Unfällen kommt es zur Blasenbildung im Körper eines Tauchers, wenn er zu schnell austaucht. Das führt immer zu Schädigungen. In den schwersten Fällen zum Tod, oft zu Lähmungen und fast immer zu Spätschäden, die zum Teil erst Jahre später Auswirkungen haben”, erklärte Jacques seinem aufmerksamen Schüler.

Vier Tage dauerte die theoretische Ausbildung bereits, in denen Björn immer wieder erstaunt feststellen musste, wie vielfältig die Tauchtheorie sein konnte. Abends traf er sich mit Ben und Klaus in der kleinen Bar. Es war schon fast zwanzig Uhr, als Björn entlassen wurde. “Bis Morgen”, rief Jacques ihm nach. Bis kurz nach neun hatte Björn sich ausgeruht und schlenderte dann die Straße entlang zur Bar in der Ben und Klaus warteten. “Hallo Björn”, rief Ben ihm zu, als er durch die Tür in den verqualmten Raum trat, “wir dachten schon, Du kommst nicht mehr.” Uwe fehlte an diesem Abend am Tisch. Er musste noch arbeiten. Klaus strahlte Björn an, “schau mal was ich mitgebracht habe - von unserem Verein.” Er gab Björn das DIVE MAGAZIN 03. “Hier ist es zu dunkel und vor allem zu laut um zu lesen, - kann ich es nachher mitnehmen?” “Natürlich, ich habe noch ein Exemplar, du kannst das Magazin behalten.” Sie redeten noch bis halb zwölf über den Tag und darüber, was der nächste wohl bringen würde bis sie sich zum Schlafen zurückzogen. Obwohl Björn die Fenster weit geöffnet hatte, war es warm, viel zu warm. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere. Es war bereits weit nach Mitternacht, als er den Versuch einzuschlafen aufgab und nach dem DIVE MAGAZIN 03 suchte.

Es lag mit der Rückseite nach oben auf dem kleinen runden Tisch. Die großflächig dargestellte Tiefenkarte des Sees, in der verschiedene Tauchobjekte eingezeichnet waren, fiel sofort ins Auge. Fast eine halbe Stunde lang beschäftigte sich Björn mit der Karte. Er malte sich aus, wie es sei durch den Rüttler zu tauchen, die Betonbomben zu sehen, Autos, Wohnwagen und andere Tauchobjekte zu finden oder einfach nur über die Steilhänge in die Tiefe zu gleiten.

Das Heft schien interessant zu sein, das DIVE MAGAZIN 03, und Björn begann zu lesen. Über den Inhalt war er maßlos enttäuscht. Eine halbe Seite Text über den See und vier Seiten Klatsch und Tratsch aus dem Verein. Da es nur langsam kühler wurde, die Temperaturen jedoch noch Werte hatten, bei denen ans Schlafen nicht zu denken war, las Björn weiter. Er las von dem Wein, der zur Firmengründung führte, dem Aufschwung und Niedergang der Firma. “Was hatten diese Seiten mit dem Tauchen zu tun”, waren seine letzten Überlegungen bevor das Magazin seinen Händen entglitt und er um acht Uhr vom schrillen Ton seines Weckers in einer Tiefschlaf-Phase unterbrochen wurde. Während der nächsten Tage verbrachte Björn die meiste Zeit im oder genauer gesagt unter Wasser. Er lernte richtig abzutauchen, zu tarieren, aufzutauchen und übte das Verhalten in Notfällen.

Die Zeiten zwischen den Tauchgängen nutzte er, um in ABC-Ausrüstung zu trainieren. Zur ABC-Ausrüstung gehören Maske, Flossen, Schnorchel und in kalten Gewässern ein Tauchanzug. Es war bereits der fünfte Tag der Tauchpraxis, als Jacques ihn mittags bat mit ihm essen zu gehen. “Du hast bereits mehr gelernt als du bei vielen andern Tauchschulen in vergleichbarer Zeit lernen würdest”, begann er. “Du bist sehr geschickt, aber noch lange nicht fertig. Sicherlich kannst du zusammen mit erfahrenen Partnern unfallfrei Tauchen, dir fehlt jedoch die Übung. Es gibt nichts Wichtigeres als Übung, Übung und nochmals Übung.” “Was ist eigentlich los, Jacques? Du klingst heute so anders als sonst, - so endgültig”, fiel ihm Björn ins Wort. “Die Tauchpraxis muss Dir jemand anders zeigen.” “Fehlt Dir was, bist Du krank?” “Nein nicht mir, meinem Vater. Ich muss zurück nach Grenoble und ihm helfen - es tut mir Leid um deinen Urlaub.” “Das ist schlimm, wann fährst du?” “Morgen - sehr früh.” Sie unterhielten sich noch eine Stunde, bis Jacques aufstand und sich der Tür zuwandte: “Mach’s gut,- und schönen Urlaub noch. Vielleicht treffen wir uns in einem anderen Urlaub wieder, zum Tauchen!” “Mach’s besser, und grüß deinen Vater von mir!”

Am Nachmittag schloss Björn sich spontan einer Expedition zu den Seegurkenfeldern an. “Hallo - ihr kommt auch mit?” rief Björn überrascht als er Klaus und Ben beim Einladen der Ausrüstung bemerkte. “Wir können ja nicht nur in Wracks tauchen, man muss ja auch mal was für die Kultur tun,” scherzte Klaus. Sie unterhielten sich während der vierzig minütigen Fahrt über das Tauchen, Jacques und den nachfolgenden Tauchgang. Ein merkwürdiger Tauchplatz, dachte Björn, als sie von der gut ausgebauten Straße nach links abbogen und der Bulli holpernd durch den Wald fuhr. Er konnte nicht feststellen, ob sie sich noch auf einem Weg befanden oder direkt über den holperigen Waldboden fuhren, um bei der nächsten Kurve unweigerlich ins Meer zu stürzen.

Der Parkplatz, an dem der Fahrer den Bulli hielt, lag nahe am Wasser im Schatten hoher Bäume. “Ob da drüben Autoschieber tätig sind”, fragte Ben als er beim Anlegen der Ausrüstung das kleine, halb verfallene Haus bemerkte. Die anderen sahen hinüber und wunderten sich nicht nur über die einsame Lage sondern auch über die vielen Autos, die in allen möglichen und unmöglichen Zustandsformen darauf warteten, ausgeschlachtet und zu einigen wenigen, fahrtüchtigen Exemplaren montiert zu werden. Nachdem die drei Männer ihre Ausrüstung angelegt und sorgfältig kontrolliert hatten, gingen sie zum Wasser hinunter. “Hier sollen wir tauchen?” war Björns erster Kommentar, als er die hohen Wellen sah, die auf das Ufer schlugen.

“Jetzt sind wir hier - los, lass uns reingehen”, entgegnete Klaus und versuchte, rückwärts ins Wasser zu gelangen. Die anderen folgten ihm mit gemischten Gefühlen. Es war nicht einfach, so dass sie immer wieder von den brechenden Wellen umgerissen wurden und schon vor dem Tauchen bedauerten, hier hergekommen zu sein. Unter Wasser wurde es kaum besser. Auch wenn die Sichtweite sehr gut war, worüber sich die drei wegen des Seegangs wunderten, war das Tauchen fast unmöglich. Sie konnten sich bei einem Seegang mit bis zu zwei Meter hohen Wellen kaum auf die Seegurken konzentrieren, da die Wassertiefe im Mittel kaum mehr als vier Meter betrug. Die Wellen wirkten in dieser geringen Tiefe bis zum Grund. Die drei waren Spielbälle der Naturgewalten, welche die Taucher gnadenlos an die Oberfläche rissen um sie kurz darauf unter Wasser gegen einen der vielen Felsen zu drücken. Der Tauchgang dauerte erst zwanzig Minuten, als sich die drei per Handzeichen einigten, den Tauchgang zu beenden. Nach dem beschwerlichen Rückweg durch die tosende Brandung erreichten sie den Bulli und ließen sich erschöpft auf den Waldboden fallen, der federnd unter ihrem Gewicht nachgab.

“Keine Gurken, aber blaue Flecken”, brach Klaus die Stille. “Gurken gehören ins Glas und nicht auf die Karte für Tauchgänge”, sinnierte Ben weiter. Nachdem sie noch eine Weile auf dem Boden gelegen hatten, standen sie auf und begannen, ihre Ausrüstung fachgerecht im Bulli zu verladen. “Wo taucht ihr Morgen?” fragte Björn, der sich nach neuen Tauchpartnern umsehen musste und hoffte, mit den beiden weitertauchen zu können.

“An der LE DONATOR, aber da kannst Du nicht mit - zu tief”, murmelte Ben vor sich hin. “Ich war am vierten Praxistag auf dreiundvierzig Meter und am fünften sogar auf sechsundvierzig Meter” entgegnete Björn nicht ohne Stolz. “Verrückt, so tief sollte man erst nach vielen Tauchgängen und einer langen Praxis gehen, - verrückt.” Sie fuhren zurück zur Basis und verabredeten sich um zwanzig Uhr in der Bar. “Was ist eigentlich die LE DONATOR”, fragte Björn die beiden nachdem sie sich in der Bar ausgiebig über den letzten vergurkten Tauchgang unterhalten hatten. “Auch wenn Du sie jetzt noch nicht sehen wirst” begann Ben “ist sie ein Wrack. Sie steht aufrecht und frei in fünfzig Meter Tiefe auf flachem Sand.” “Das Deck ist nur vierzig Meter tief”, ergänzte Klaus, der bisher nur wenig zu sagen hatte. “Sie lief 1945 auf eine Mine und ist relativ gut erhalten.” Nach dem Stichwort LE DONATOR sprachen die drei während des ganzen Abends nur noch über das Wracktauchen und die Gefahren, irgendwo hängen zu bleiben, sich zu verirren oder von der Strömung abgetrieben zu werden. Es war fast schon Mitternacht als Ben und Klaus bezahlten. “Bis morgen Abend, da machen wir noch richtig einen drauf.” “Gibt’s was zu feiern”, wollte Björn wissen. “Die DONATOR soll unser Abschiedstauchgang werden, wir fahren übermorgen zurück.” Björn fühlte sich als wäre er vom Blitz getroffen worden. Er hatte gehofft, noch oft mit den beiden tauchen zu können, bevor sie zurück fahren würden. Er hatte noch etwas mehr als zwei Wochen Zeit und kannte sonst niemanden. Die meisten Tauchurlauber bildeten Zweier- oder

Dreiergruppen, die unter sich blieben und keinen gesteigerten Wert darauf legten, mit Fremden zu tauchen. Am nächsten Morgen hatte Björn bereits die Sachen im Bulli verstaut und saß auf der hinteren Bank, als Ben und Klaus begannen, ihre Ausrüstung zu verladen. “Was soll das werden, bist Du verrückt?”, wunderte sich Ben als er auf den Rücksitz sah. “Es war nicht leicht, den Basisleiter zu überzeugen aber wie ihr seht.” “Du musst wissen was du tust, aber sag bloß keinem, dass wir uns kennen.”

Es war ein sonniger Tag, an dem die drei zusammen mit sechzehn weiteren Tauchern in See stachen, um an der LE DONATOR zu tauchen. Es war ein kleiner Kutter, der an der Mole vor sich hinschaukelte, um die Gruppe später rauszufahren. Die prüften noch mal gründlich ihre Ausrüstung, bevor sie auf dem Vorderdeck fest verzurrt wurde. Es war eine ruhige Fahrt, zumindest bis der Kutter den Schutz des Landes verließ und den stetig größer werdenden Wellen ungeschützt ausgesetzt war. Drei Stunden dauerte die schauklige Fahrt, auf der eine junge Taucherin und zwei bärig wirkende Taucher seekrank wurden und nicht von der Reeling wegkamen. Für die drei war der Tag gelaufen. Sie wussten nach dem ersten Erbrechen, dass sie nicht ins Wasser springen würden, sondern auf dem schaukelnden Kutter warten müssten bis die andern ihren Tauchgang beenden würden, um danach unverrichteter Dinge zurückzufahren. Es war bereits Mittag, als der Kapitän rief: “Da vorn ist es, beim Schlauchboot!” Es war ein großes ZODIAK, das über der LE DONATOR zu ankern schien als es von dem Kutter umrundet wurde. Der Kapitän umrundete es wie ein Raubfisch, der jeden Moment zuschlagen könnte, um dem kleinen Boot den Garaus zu machen. “Das ist unser Wrack”, grölte der Käpt’n zum Bootsführer des Schlauchbootes hinüber. “Ich hab Taucher unten auf drei Meter, die machen gerade DEKO”, kam die Antwort vom Schlauchboot. “Sie zu, dass ihr wegkommt” lautete die letzte Warnung des Kapitäns, bevor er den Kurs änderte und das Schlauchboot rammte. Eine hundertachzig-Grad-Wende später beschleunigte der Kutter erneut, um mit direktem Kurs in Richtung des Schlauchbootes zu fahren. Als der Käpt’n die Bemühungen auf dem Schlauchboot sah, den Anker einzuholen, drehte er ab und wartete, bis das kleine Boot eine Viertelmeile Abstand gewonnen hatte, um in sicherem Abstand auf die Taucher zu warten. Der Kutter beschleunigte erneut und warf den Anker mitten in die Blasen, die aus den Atemreglern der aufsteigenden Taucher perlten. Wie durch ein Wunder wurde niemand durch den mit großer Wucht herabfallenden Anker verletzt. Die inzwischen an der Oberfläche angelangten Taucher verwendeten Schimpfworte, die keiner aus der Gruppe zuvor gehört hatte und drohten mit Fäusten in Richtung Kutter.

Es war für Björn nicht einfach, sich auf dem stark schlingernden Deck auszurüsten. Als er sich kurz umsah, stellte er fest, dass es den anderen Tauchern nicht besser erging als ihm selbst. Immer wieder stürzte jemand hin und versuchte sich laut fluchend so schnell wie möglich aufzurichten, um den Rest der Ausrüstung anzulegen. Die Bootsbesatzung stand teilnahmslos daneben und amüsierte sich vorzüglich. Sie wurden schließlich nicht dafür bezahlt um für die, in ihren Augen verrückten Taucher, das Kindermädchen zu spielen. Sie unternahmen nicht den geringsten Versuch, auch nur einen Taucher oder Taucherin vor den schmerzhaften Stürzen zu schützen oder ihnen anschließend wieder auf die Beine zu helfen. Nach dem obligatorischen Ausrüstungscheck sprang ein Taucher nach dem anderen in die über zwei Meter hohen Wellen. Vor dem Sprung hatten sie vereinbart, in sechs Metern Tiefe zu warten, bis alle Taucher die Marke erreicht hätten, bevor sie nach dem Geben des O.K. Zeichens weiter abtauchen wollten. Üblicherweise, so hatte Björn gelernt, wurde an der Oberfläche gewartet.

Da die Taucher an der Oberfläche mit Sicherheit von den Wellen gegen den Kutter geschleudert worden wären, einigten sie sich auf die sechs Meter Marke. Es war Björns erster Tauchgang von einem Kutter aus. Er war es gewohnt, vom Ufer aus rückwärts ins Wasser zugehen oder sich sanft vom Schlauchboot in die Fluten gleiten zu lassen, aber vom Kutter. Er stand an der Reling und zögerte. War es die richtige Entscheidung, hier zu sein oder sollte er schon beim Sprung ins Wasser verunglücken.

Viele nicht sonderlich ermutigende Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er sich mit einem heftigen Ruck vom Boot abstieß. Er hätte sich mehr auf die Wellen konzentrieren sollen, als er absprang. Während die geübten Taucher in einen heran rollenden Wellenberg sprangen, danach so schnell wie möglich abtauchten, um dann in sechs Metern Tiefe zu warten, ob alle Taucher ankamen, erwischte Björn ein Wellental. Er hatte das Gefühl, unendlich lange, unendlich tief zu fallen, um dann in einer Explosion zu zerreißen, als er nach dem vier Meter Sturz auf die Wasseroberfläche aufschlug.

Lebte er noch, trieb er an der Oberfläche oder befand er sich bereits unter Wasser? Er hatte sich noch nicht erholt und war in großem Maße desorientiert als er das Boot auf sich zukommen sah. Es war nicht das Boot, sondern vielmehr eine Welle, die ihn mit der ganzen Kraft der See gegen die Bordwand schleuderte. Es gelang ihm gerade noch, die Beine nach vorne zu stemmen, um den Stoß abzufangen und dann im Moment des Aufpralls die Reißleine am Jackett zu ziehen. Pfeifend und gurgelnd entleerte sich sein Jackett und er sackte schnell in die Tiefe, wobei er durch die Schmerzen in den Ohren an den vergessenen Druckausgleich erinnert wurde. Er drückte mit Daumen und Zeigefinger gegen den Nasenerker und presste die Luft gegen die verschlossene Nase, bis es in den Ohren knackte als der Druckausgleich hergestellt war. Anschließend sah er sich um und fand kurze Zeit später die anderen Taucher, die bereits auf ihn warteten als er, immer noch benommen, den Treffpunkt erreichte und das O.K.-Zeichen gab.

Sie hatten vereinbart, dass Ben und Klaus zusammen mit Björn ein Tauchteam bildeten. Die drei ließen sich gemeinsam in die Tiefe gleiten und merkten schnell, dass das Wasser hier unten ruhig war. Sollte es nach dem stürmischen Einstieg doch ein gemütlicher Tauchgang werden? Da lag sie, die LE DONATOR. Als die drei die zwölf Meter Marke passierten, war Björn wieder ruhig. Er konzentrierte sich auf die Umgebung und nicht mehr so sehr auf seine Ausrüstung. Alles gelogen dachte er, als die LE DONATOR, stolz den Meeresgrund überragend, allen Widrigkeiten der Meere trotzend auftauchte.

Er hatte den Eindruck, als schien sie auf zwanzig bis dreißig Meter Tiefe zu liegen so dass er sich erschreckte, als er später am Heck den Tiefenmesser ablas, und die Nadel eine Tauchtiefe von fünfzig Meter anzeigte. Der Anker hatte so genau getroffen, dass nicht wenige Taucher der Gruppe bestürzt waren, als sie sahen, wie er auf den Aufbauten lag, welche er mit ungeheurer Wucht getroffen haben musste. So wurde sie also zerstört, die einst so stolze LE DONATOR.

Die drei glitten über den Aufbauten entlang, um dann über den sandigen Grund das Wrack zu umrunden. Während des Tauchgangs herrschte nur eine schwache Strömung, die an anderen Tagen oft sehr viel stärker war. Nur so ließen sich die Unterschiede auf beiden Seiten des Wracks erklären. Während sich auf der einen Seite kaum ein Fisch befand, pulsierte auf der andern Seite das Leben. Die verschiedensten Fischarten hatten hier ihre Heimat gefunden und schwammen hektisch an den Tauchern vorbei um zu fressen oder gefressen zu werden. Es blieb nur wenig Zeit, um die Fische in dieser Tiefe zu beobachten. Die drei stiegen schon nach wenigen Minuten bis zu den Aufbauten auf um kurz danach vom Wrack verschluckt zu werden. Obwohl Björn das erste Mal unter Wasser in geschlossenen Räumen verbrachte, fühlte er sich gut. Er genoss den bizarren Anblick der von Sand und anderen Sedimenten überzogenen Inneneinrichtung.

Er war von den Lichtstrahlen, die durch die Öffnungen in das Innere des Wracks fluteten um über die Sedimente zu tanzen so fasziniert, dass er vergaß, auf sein Finimeter zu achten. Ein Finimeter zeigt dem Taucher, welcher Druck in seiner Pressluftflasche vorhanden ist. Er zuckte zusammen, als Klaus ihn unvermittelt anstieß, damit sie gemeinsam den Rückweg antreten konnten. Es waren nur noch achtzig bar in der Flasche, als Björn beim Verlassen des Wracks auf sein Finimeter sah. Dieser Druck beunruhigte ihn, als er an die Dekostops auf sechs Meter und drei Meter dachte. Nachdem er Klaus und Ben sein Finimeter vor die Nase gehalten hatte begannen sie sofort und vor allem ohne Umwege, mit dem Aufstieg bis zur sechs Meter Marke. Dort verbrachten sie einige Minuten um in drei Meter Tiefe fünfzehn Minuten auszuharren.