Tödlicher Zufall - Kate Frey - E-Book
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Tödlicher Zufall E-Book

Kate Frey

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Beschreibung

Biene & Blume – Superheldinnen der besonderen Art
Ein locker-leichter Frauenkrimi voller Freundschaft, Liebe und Humor

Treppenstürze können tödlich enden. Der Mann, vor dem Anja und Sabine stehen, ist der nicht mehr lebende Beweis dafür. Verdammt! Hatten die beiden jungen Frauen mit dem Einbruch in die Wohnung von Sabines Exfreund nicht schon genug Stress? Hätte der Tote doch bloß nicht seiner Ehefrau lauthals gedroht, sie umzubringen. Hätte Anja doch bloß nicht ihren Fuß vorgestreckt. Aber jetzt ist das Kind in den Brunnen und der Mann die Treppe heruntergefallen. Und bevor sich die beiden versehen, werden sie von Sabines ehemaliger Nachbarin erpresst und sollen deren Enkel helfen, der angeblich unschuldig im Gefängnis sitzt. Als sich Biene und Blume auf Spurensuche begeben, von einem sexy Nachbar abgelenkt werden und auf einmal auch die serbische Mafia mitmischt, ist das Chaos perfekt …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienen Romans Todsicher unschuldig.

Erste Leser:innenstimmen
„Die Autorin überzeugt mit einem lustig-leichten, spannenden und mitreißenden Schreibstil!“
„Nachdem ich einmal angefangen hatte zu lesen, konnte ich gar nicht mehr aufhören.“
„Dieser Cosy Krimi bietet die perfekte Mischung aus lustig und spannend!“
„Die Geschichte wird getragen von ihren witzigen und sympathischen Charakteren.“
„Die witzigen Wortgefechte und die skurrile Komik haben mir den Tag versüßt.“

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Seitenzahl: 373

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Über dieses E-Book

Treppenstürze können tödlich enden. Der Mann, vor dem Anja und Sabine stehen, ist der nicht mehr lebende Beweis dafür. Verdammt! Hatten die beiden jungen Frauen mit dem Einbruch in die Wohnung von Sabines Exfreund nicht schon genug Stress? Hätte der Tote doch bloß nicht seiner Ehefrau lauthals gedroht, sie umzubringen. Hätte Anja doch bloß nicht ihren Fuß vorgestreckt. Aber jetzt ist das Kind in den Brunnen und der Mann die Treppe heruntergefallen. Und bevor sich die beiden versehen, werden sie von Sabines ehemaliger Nachbarin erpresst und sollen deren Enkel helfen, der angeblich unschuldig im Gefängnis sitzt. Als sich Biene und Blume auf Spurensuche begeben, von einem sexy Nachbar abgelenkt werden und auf einmal auch die serbische Mafia mitmischt, ist das Chaos perfekt …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienen Romans Todsicher unschuldig.

Impressum

Erstausgabe Oktober 2021

Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-171-5 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-280-4

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2020 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Todsicher unschuldig (ISBN: 978368170268).

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: ©Maman Suryaman, ©Anabela88, ©Maxger, ©ankudi, ©FARBAI, ©Vector Tradition, ©stockvit Lektorat: Janina Klinck

E-Book-Version 25.10.2022, 16:51:36.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Tödlicher Zufall

Für Kristina und Ilona – meine Schwestern im Geiste.

Prolog

Kennen Sie das? Es gibt Tage, an denen man schon im Bad bereut, aufgestanden zu sein, obwohl man nicht genau sagen kann, warum.

Trotzdem bewegt man sich. Schleicht durch die Wohnung mit einem Becher Kaffee in der Hand und der Überlegung im Hirn, was man mit einem Tag anfangen soll, an dem man mal wieder keiner lohnabhängigen Tätigkeit nachgeht.

Dann klingelt das Telefon, und dieser Anruf, dieses eine Mal abheben, macht alles noch schlimmer.

Mein Name ist Anja Blume und ich stecke gerade knietief in einem Schlamassel, für den ich gar nichts kann. Ich meine, ich wollte nur einer Freundin helfen. Ganz unschuldig, wenn auch nicht legal. Aber das hier, das war wirklich nicht geplant.

01

Augen zu und durch

15. Juli – 19:38 Uhr – Vorderhaus – Treppe

»Was denkst du, ist er tot?«

»Nein, er hält nur die Luft an, um uns Angst einzujagen«, erwiderte Biene auf meine zugegeben ziemlich dämliche Frage. Biene ist meine Frisörin und diejenige, die mich in diese Situation gebracht hatte.

Ich hockte gerade vor meinem ersten Toten, dessen ehemals rosige Gesichtsfarbe mittlerweile in leichten Blauschattierungen vor einem kalkweißen Hintergrund changierte. Der Kopf lag unnatürlich schräg zum restlichen Körper. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass er irgendwie anfing zu müffeln.

»Was sollen wir jetzt machen?« Ich versuchte aufzustehen. Mein Blut rauschte wie ein Sturzbach in meine Füße. Mir wurde schwarz vor Augen und ich konnte mich gerade noch am Geländer festhalten, was mich davor bewahrte, auf die Leiche zu kippen.

Biene griff mir von hinten unter die Arme und fragte besorgt: »Geht’s?«

»Ja, geht schon. Danke.«

»Du kotzt jetzt aber nicht hier hin«, warnte sie mich.

Wütend drehte ich mich um und erwiderte genervter als ich eigentlich wollte: »Wenn hier eine ständig kotzt, dann bist das ja wohl du, oder?«

»Hey!« Biene zeigte mir abwehrend ihre Handflächen. »Ich kann nichts dafür. Das ist so, wenn man schwanger ist.« Ihr Blick glitt an mir vorbei und blieb an dem Toten hängen. »Obwohl ich mich frage, warum es Morgenübelkeit heißt, wenn ich den ganzen Tag über der Kloschüssel hängen könnte«, meinte sie. Dann schaute sie mich direkt an und sagte: »So wie der Kerl aussieht, wäre er sowieso bald gestorben. Verbuchen wir das Ganze einfach unter Jeden-Tag-eine-gute-Tat.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte ich und hoffte gleichzeitig, Biene würde eine plausible Entschuldigung für das finden, was hier geschehen war.

»Schau ihn dir doch mal an.« Schwungvoll löste Biene den Haargummi, der ihren Pferdeschwanz zusammengehalten hatte, und ihre dunkelbraunen Locken verteilten sich über ihre Schultern.

Skeptisch warf ich einen Blick hinter mich. Okay! Da hing ein ausgeleierter Bierbauch aus einer fleckigen Jogginghose, und das, obwohl das Feinripp-Oberhemd sein Bestes gab, ihn zu verdecken. Schweißflecken, die von den Achseln bis zur Hüfte reichten, gilbten das Weiß ein und der Halsausschnitt des Hemdes war so ausgefranst, dass er praktisch nicht mehr vorhanden war. Der Rest war mit undefinierbaren blau-grünlichen Flecken übersät.

Seine Haare hatten sich, bis auf einen kleinen Kranz, schon vor Jahren aus dem Staub gemacht und durch das aufgedunsene Gesicht zogen sich feine Äderchen. Es sah aus wie der U-Bahn-Netzplan einer europäischen Großstadt. Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand waren an der Innenseite vergilbt und die Handfläche mit milchigen Schwielen überzogen.

Magenbrei schob sich meine Speiseröhre empor. Ich schluckte schwer und drehte den Kopf weg.

»Wenn er von außen schon so aussieht, dann möchte ich nicht wissen, wie es um seine inneren Werte bestellt ist. Er wäre bestimmt demnächst an Leberzirrhose oder Lungenversagen eingegangen.« Seelenruhig band sich Biene wieder die Haare zu einem Pferdeschwanz.

»Du meinst, wir haben ihm einen Gefallen getan?!«, flüsterte ich schon fast überzeugt. Ich war auf dem besten Weg, meine Fassung wiederzuerlangen.

»Wir?« Biene hob zugleich ihre rechte Augenbraue und ihre Stimme. »Du hast ihm ein Bein gestellt. Nicht ich!«

Und schon war das bisschen Fassung wieder weg. Stattdessen stieg Wut in mir auf. »Kein Grund, gleich hysterisch zu werden. Darf ich dich außerdem daran erinnern, dass du mich angerufen hast? Ich sollte dir bei einem Einbruch helfen!«

Biene, bürgerlich Sabine Leimer, hatte seit zwei Jahren mit Richard, einem Studenten der Jurisprudenz, zusammengelebt, als sie unerwartet schwanger wurde. Niemand hatte ihr gesagt, dass Johanniskraut die Wirkung der Pille aufhob. Aber als wäre das nicht schon kompliziert genug, hatte der Dreckskerl sie auch noch vor die Tür gesetzt. Zitat: „Ich lass mir doch nicht mein Leben von einer tumben Frisöse versauen!“ Zitat Ende.

Das war jetzt genau vier Stunden her und der Beginn des verrücktesten Trips meines Lebens.

15. Juli – 15:38 Uhr – Jugendstilhaus – Innenstadt

Ich kniete vor der Wohnungstür, blinzelte ins Schlüsselloch und überlegte, welches Werkzeug ich brauchte, um möglichst geräuschlos das Türschloss zu knacken. Im Treppenhaus herrschte Grabesstille. Das einzige Geräusch kam von Bienes linkem Schuh, der leise quietschte, immer wenn sie ihr Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte.

In Zeitlupe führte ich den Spanner in den Zylinder ein, um den Kern des Schlosses auf Spannung zu bringen. Das war wichtig, denn sonst konnte ich das Schloss nach dem Entsperren mit dem Haken nicht drehen.

»Mach schon! Geht das nicht schneller?«, grummelte Biene, und ihr Schuh quietschte immer lauter, während sie aufgeregt hin- und herschaukelte. »Mann, wenn du weiter so trödelst, wird uns noch jemand erwischen.«

»Wenn du wieder so meckerst, hört dich garantiert jemand«, brummte ich zurück und schob den Haken mit seiner abgeflachten Seite vorsichtig neben den Spanner. Ich hielt die Luft an, drückte die drei Stifte herunter und drehte das Schloss in einer fließenden Bewegung: Klick!

Die Tür sprang auf.

»Tja, gelernt ist gelernt!«, rief ich triumphierend und wies Biene den Weg in den Flur der Wohnung, die wir in den kommenden Minuten ausräumen würden. Hinter mir schloss ich die Tür wieder.

Wie es der Zufall wollte, hatte ich vor ein paar Monaten für einen Freund gearbeitet, der seinen Schlüsseldienst zu legalisieren plante und jemanden fürs Büro brauchte. In meinen Pausen spielte ich ein wenig an den Modellen der Türschlösser herum, die im Schauraum ausgestellt waren. Ich lernte schnell, wie man sie knackte und wieder abschloss. Punkt vier des kleinen Einmaleins für Einbrecher: abschließen nicht vergessen, wenn man den Tatort wieder verlässt, sonst fliegt man schnell auf.

Ich stellte mich beim Umgang mit Schlössern ganz geschickt an und dankte im Stillen meinem Professor für Konservierung und Restaurierung von Gemälden und gefassten Skulpturen, dass er mich in seinen Kurs zwangsverpflichtet hatte. Das praktische Seminar schulte ungemein in Geduld und akribischer Feinarbeit. Obwohl ich damals nicht hatte einsehen wollen, dass dieser Kurs für den Abschluss einer studierten Kunsthistorikerin entscheidend war. Aber was wusste ich schon!

Natürlich hätte ich meinen Ex-Chef bitten können, uns zu helfen, aber ich wollte ihn da nicht mit reinziehen.

»Wenn ich mal richtig Geld habe«, meinte ich stolz über meine Leistung, »dann besorge ich mir eine Packpistole oder einen Schlagschlüssel und dann geht so was hier schneller.« Ich verstaute meine Schließhilfen in einem kleinen Etui.

»Mach das«, antwortete Sabine, während sie voran ins Wohnzimmer schritt. »Los, komm. Wir müssen uns beeilen«, rief sie mir über die Schulter zu. Dann wies sie wie ein Feldherr auf die Gegenstände, die wir aus der Wohnung schaffen mussten. »Das geht mit und das und das und das auch!«

Eine Couch, zwei Sessel, ein Tisch, die Espressomaschine und diverser Kleinkram wie Vasen, Kissen, Decken oder Lampen. Biene, in voller Fahrt, warf alles in Kisten.

Ich nickte, wagte nicht, zu widersprechen, und versuchte mir alles einzuprägen. Im Kopf überschlug ich, wie wir die Sachen in dem kleinen weißen Transporter unterbringen sollten, den ich mir von einer Freundin geliehen hatte.

Zum Glück habe ich in meinen diversen Aushilfsjobs eine Menge Tetris gespielt, dachte ich.

Wir brachten erst die Kisten in den Transporter, der verkehrswidrig vor der Haustür geparkt stand, dann stülpte ich mir einen schweren Klubsessel wie einen Helm auf den Kopf. So trug ich die drei Sessel allein hinunter, während Biene noch ein paar kleinere Sachen zusammenpackte. Den Nierentisch und die Couch hievten wir danach gemeinsam in den Kleintransporter.

Schnaufend schleppten wir uns gerade wieder die Stufen hinauf, als über unseren Köpfen der dritte Weltkrieg ausbrach.

»Du dämliche Schlampe. Mach, dass du wegkommst, oder ich breche dir jeden Knochen im Leib. Wenn du mir noch einmal mein Bier wegsäufst, dann kannst du dein blaues Wunder erleben. Warte nur, bis ich dich kriege …« Ein aufgeschwemmter, feister Mann beugte sich über das Geländer ein Stockwerk höher und brüllte einer völlig aufgelösten Frau hinterher. »Bleib stehen oder du wirst es bereuen!«

Doch die Angebrüllte dachte gar nicht daran und hetzte die Stufen an uns vorbei. Als Nächstes hörten wir, wie der Mann die Stufen hinunterpolterte und drückten uns gegen die Wand. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Sabine fasste meine Hand.

Und ohne dass ich wusste wie, hob sich exakt in dem Moment, in dem der Nachbar uns passierte, mein rechter Fuß leicht in die Höhe.

Der Mann schnellte vor wie ein ziemlich fetter Skispringer in der Sekunde, in der er sich vom Schanzentisch löst. Instinktiv hob er seine Arme, um den Sturz abzufangen, doch er überschlug sich seitlich und schlitterte mit dem Kopf voran gegen den Mauervorsprung der Fensternische. Ein Geräusch, als zertrete man einen morschen Ast, hallte uns entgegen.

Von einer Sekunde auf die andere war es totenstill im Hausflur. Der leblose Körper rutschte weiter und blieb auf den Stufen unter uns liegen. Der Kopf ruhte auf dem Treppenabsatz. Der Rumpf und die Beine lagen eigentümlich verdreht auf den Stufen.

15. Juli – 19:40 Uhr – immer noch Vorderhaus – Treppe

»Wir sollten fertig werden und sehen, dass wir hier wegkommen,« befahl Biene und wies mit ihrem rechten Zeigefinger auf die Leiche. »Für den können wir eh nichts mehr tun.«

»Wir müssen die Polizei rufen«, wandte ich eher halbherzig ein. Aber immerhin wollte ich irgendwie das Richtige tun. Oder zumindest das, was ich dafür hielt.

Biene schaute mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, und zwitscherte mit spöttischer Stimme: »Na, da bin ich ja mal gespannt, wie du ihnen das verklickern willst.« Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und wies mit einem Kopfnicken auf die sündhaft teure Espressomaschine, die noch vor der Wohnungstür ihres Ex-Freundes stand.

»Okaaayyy«, überlegte ich laut. »Das dürfte schwierig werden. Aber wir könnten doch einfach abschließen, das Teil ins Auto stellen und dann die Polizei anrufen.«

»Nee, klar. Und wenn Richard einen Einbruch anzeigt und er rein zufällig erfährt, dass wir beide hier waren und einen Toten gemeldet haben, kann er natürlich nicht eins und eins zusammenzählen, weil ihn was – ein behindertes X-Chromosom – davon abhält?«, rief Sabine, und ihre blauen Augen funkelten mich aufgebracht an.

»Ich versteh ja, dass du sauer bist«, wandte ich ein. »Aber kannst du dich nicht doch irgendwie mit Richard einigen?«

»Wie stellst du dir das bitte vor?« Erregt ruderte sie mit den Armen durch die Luft. »Ich habe keine Belege, Quittungen oder sonst etwas, die beweisen können, dass ich die Espressomaschine gekauft habe. Das hat Richard immer gemacht. Ich hab ihm das Geld cash gegeben, weil er meinte, er kenne jemanden, der ihm das Zeug billiger besorgt.«

»Und die Möbel deiner Oma, die wir runtergetragen haben? Der Nierentisch und die Cocktailsessel, was ist mit denen?«, wollte ich wissen.

Sabine zuckte die Schultern und antwortete: »Da behauptet er einfach, die hätte ich ihm geschenkt.«

Ich wollte schon einwenden, dass er das doch nicht tun könne, als mir einfiel, dass er es doch konnte. Wem würde man wohl eher glauben: einem Jurastudenten im achten Semester oder einer tätowierten Haarkünstlerin, deren gutes Herz man leicht mit Dummheit verwechseln konnte?

Mit einem Mal schlug Bienes Trotz in Hilflosigkeit um, so als wäre ihr plötzlich klar geworden, wie aussichtslos ihre Lage war: schwanger, Single, obdachlos.

Ich atmete die staubige Luft des jahrzehntealten Treppenhauses ein, warf einen Blick auf den Toten und streckte meinen Rücken durch. »Na, dann los. Du schaffst noch den Karton ins Auto. Ich schließe die Tür ab und trage die Espressomaschine runter und dann machen wir, dass wir hier wegkommen. Und du ziehst erst einmal zu mir!«, bestimmte ich mit fester Stimme.

Biene lief die Treppe nach unten und balancierte den Karton mit ihren privaten Unterlagen umständlich vor ihrem üppigen Busen. Ich verschloss die Tür. Glücklicherweise hatte sich Richard für eine sehr billige Austauschvariante seines Schlosses entschieden. Noch eine Sicherheitsstufe niedriger und man hätte das Teil mit einem altmodischen Dietrich öffnen können.

Konzentriert auf meine Arbeit nahm ich meine Umgebung kaum wahr und fuhr erschreckt zusammen, als ein gellender Schrei durchs Treppenhaus hallte. Ich machte auf dem Absatz kehrt und sah die Frau, die vor Kurzem in Todesangst vor dem Dicken geflohen war, die Treppe heraufkommen.

»Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott«, kreischte sie in immer höherer Tonlage. Dabei blickte sie mich aufgelöst und gleichzeitig irritiert an. »Was ist passiert? Ist er tot? Warum steht er nicht auf? Wieso liegt er so verbogen da? Und wo ist sein linker Hausschuh?«

Ich starrte die Frau an. Sie trug ein schlampiges Nachthemd, ihre kurzen, scheinbar selbstgeschnittenen Haare standen ihr wirr vom Kopf ab. Unter ihrem rechten Auge verblühte ein blaugrünes Veilchen.

Wo war sie nur in der Zwischenzeit geblieben?

»Ich hab mich im Keller versteckt, wie immer, wenn er einen seiner Ausraster hat«, antwortete sie auf meine stumme Frage. »Was ist passiert?«

»Na ja«, erwiderte Biene. »Ich nehme mal an, er hat sich das Genick gebrochen. Aber ich bin kein Fachmann.« Sie zuckte entschuldigend die Schultern. Sie hatte den Karton abgestellt und hockte neben dem Ex-Ehemann der Frau, als wollte sie ihn wie eine professionelle Kriminaltechnikerin untersuchen.

Zögernd trat ich neben die Frau und die Leiche ihres Ehemannes. »Ich dachte, er wollte Sie umbringen«, antwortete ich tonlos.

»Tja,« meinte die Frau achselzuckend. »Da kann man wohl nichts mehr machen.« Sie schaute Biene direkt in die Augen. »Sie sind die Sabine aus dem vierten Stock, nicht wahr? Sie haben doch mit dem Kotzbrocken zusammengelebt, der alles besser weiß und ständig mit irgendwelchen Paragrafen um sich schmeißt. Haben Sie den Kerl endlich abserviert?« Sie sah interessiert auf die Espressomaschine. »Gratuliere! Hätte ich auch schon vor Jahren machen sollen. Hab nie den Absprung geschafft«, meinte die Frau und suchte wohl für sich selbst eine Entschuldigung. »Aber wo hätte ich auch hingesollt? Hab keine Familie oder Freunde. Und solche Kerle wissen genau, wie man Menschen isoliert und abhängig macht.« Sie schaute auf die Leiche. »Aber das hat sich ja jetzt erledigt.« Dann legte sie Sabine ihre Hand auf den Arm. »Nehmen Sie alles aus der Wohnung mit, was Sie wollen. Ich halte dicht. Ehrensache!«

»Wir sollten die Polizei rufen«, hörte ich mich sagen.

»Die Polizei?«, echote die Witwe und trat dicht an mich heran. Ihr Gesicht war das einer alten Frau, obwohl sie nicht älter als fünfzig sein konnte. Ihr Atem roch nach Kaffee und Kohlsuppe und ein leichter Dunst von Alkohol und Zigaretten hing in ihren Haaren.

»Ich … ich meine, es war ein Unfall. Wir können der Polizei doch sagen, dass es ein Unfall war«, stotterte ich und sah Biene hilfesuchend an. Doch die zuckte nur mit den Schultern. Ihr war wohl mittlerweile alles egal. Würde sie das Baby eben im Knast zur Welt bringen. Da hatte es wenigstens ein Dach über dem Kopf.

Aber was war mit meinem Dach! Ich hatte gerade geputzt und vier Bewerbungen geschrieben, von denen garantiert eine einen gut bezahlten Job bringen würde, mit dem ich endlich mal was in die Rentenkasse einzahlen konnte. Ich hatte ein Leben – das sich gerade in Luft aufzulösen drohte.

Ach, komm schon, mahnte mich meine innere Stimme. Was für ein Leben soll das sein? Du behältst keinen Job länger als ein paar Wochen. Sieh es ein, keiner braucht eine studierte Kunsthistorikerin, wenn die Kommunen sämtliche Gelder für Museen, Galerien oder anderen kulturhistorischen Quatsch streichen. Du hättest besser BWL studieren sollen. Doch brauchte die Welt wirklich einen weiteren Bergwerksleiter?

Humor hin oder her: Ich wollte nicht ins Gefängnis!

»Also gut«, sagte die Frau. »Ich rufe die Polizei. Aber erst müssen Sie hier verschwinden«, befahl sie uns beiden. »Ich hab Sie nicht gesehen. Machen Sie schnell.« Dann sah sie noch einmal auf den Toten. »Zum Glück hat er sich nur nass gemacht und nicht alles vollgeblutet. Ich hätte die Schweinerei nur ungern weggewischt. Holzboden ist da ganz schwierig, wissen sie?«

Mir blieb die Sprache weg.

»Was wollen Sie sagen, was passiert ist?«, wollte Biene wissen.

»Die Wahrheit«, erwiderte die Frau achselzuckend. »Er wollte mich totschlagen. Ich bin in den Keller geflohen und als ich wieder nach oben kam, lag er da.«

02

Nur keine Panik

15. Juli – 20:44 Uhr – Uferstraße, Ecke Martin-Opitz-Straße

Biene und ich bretterten über das unebene Kopfsteinpflaster, und ich gab mir alle Mühe, das flatternde Lenkrad nicht loszulassen. Oder waren es meine Hände, die so zitterten?

In den vergangenen Jahrhunderten war hier bestimmt so mancher Mörder entlang geheizt: zu Fuß, zu Pferd oder motorisiert.

Glücklicherweise hielt sich der Verkehr momentan in Grenzen. Ich ging auf Nummer sicher und fuhr mit dem weißen fensterlosen Transporter durch alle möglichen und unmöglichen Querstraßen. Mittlerweile hatten wir die halbe Stadt durchquert.

Niemand folgte uns.

Aber wer sollte das auch? Wenn die Frau ihr Versprechen hielt, dann untersuchte die Polizei gerade einen Unfall. Und genau genommen war es auch einer!

»Es war ein Unfall«, betete ich vor mich hin.

»Wenn du das noch ein einziges Mal sagst, dann spring ich aus dem Wagen«, schrie Biene mich plötzlich an. Auch sie zitterte. Wir waren nervlich am Limit.

Eine Stunde später bogen wir in die Straße ein, in der das Haus stand, das meine Wohnung beherbergte. Ich hatte sie für eine anständige Summe gekauft, bevor die Immobilienpreise vor sechs Jahren begonnen hatten, in exorbitante Höhen zu schießen.

Ich parkte den Wagen auf dem Hof und löschte die Scheinwerfer. Die Sonne war bereits untergegangen und so trug ich im Zwielicht der kleinen Laterne über dem Eingang Sabines Koffer ins Haus. Im dritten Stock öffnete ich die rechte von drei Türen.

Dunkle Stille umfing uns. Biene tastete hinter mir nach dem Lichtschalter, während ich den schmalen Flur hinunter ins Wohnzimmer schlurfte.

Mit einem dumpfen Plopp fiel der Koffer auf die Holzdielen und ich in den einzigen Sessel, der in dem Zimmer stand. »Du kannst dir einen Stuhl aus der Küche holen, ich hab nicht viele Möbel.«

»Das sieht man«, sagte Biene und ging in die Küche, die kurz vor dem Wohnzimmer rechts abging.

Davor befand sich das Bad. Mein größter Luxus, denn Dusche und Badewanne waren getrennt. Für die Toilette gab es einen extra Raum, direkt vor dem Bad. Bei mir gingen alle Zimmer rechts ab.

Die Tür vor der Toilette führte in mein Schlafzimmer, das halb so groß war wie das Wohnzimmer. Eine Matratze auf ein paar Europaletten diente mir als Bett, und für meine Klamotten reichte der Schrankkoffer, den ich vor einem halben Jahr auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Wenn es mir richtig schlecht ging, bildete ich mir gern ein, dass ich Marlene Dietrich wäre. Immer auf dem Sprung in eine andere Weltstadt.

Direkt am Eingang gab es noch eine Tür. Dahinter befand sich ein kleiner Raum, kaum größer als eine Abstellkammer, der völlig leer war.

»Du bist ziemlich übersichtlich eingerichtet«, rief Biene aus der Küche. »Aber wenigstens ist dein Kühlschrank voll. Ich hab Hunger, mein Blutzucker braucht dringend einen Push. Soll ich dir was mitbringen?«

Statt einer Antwort stemmte ich mich aus dem Sessel und schlurfte zu ihr. »Lass die Tür nicht so lange auf. Meine Stromrechnung ist schon hoch genug. Und Geld wächst leider nicht an Bäumen.« Ich nahm eine Tüte Milch aus der Kühlschranktür, schob Biene zur Seite und machte den Kühlschrank wieder zu. In der Spüle stand noch die Tasse, aus der ich heute Morgen Kaffee getrunken hatte, bevor …

»Gibst du mir bitte einen Teller aus dem Schrank?« Biene setzte sich auf einen der wackligen Klappstühle vor dem Tisch, der in seinem ersten Leben eine Kabeltrommel gewesen war und mich immer an eine überdimensionale Garnrolle erinnerte.

Aus dem Hängeschrank über dem Spülbecken nahm ich einen Teller und zwei Tassen. Ich goss Milch in die Tassen, stellte alles auf den Tisch und setzte mich Biene gegenüber.

»Was sollen wir jetzt machen?«

»Keine Ahnung. Aber wenn ich mir ein Brot schmieren will, brauche ich ein Messer.« Biene stand auf. »Wo hast du dein Besteck?«

»Im Schubfach vom Hängeschrank.« Ich nippte an meiner kalten Milch.

Biene setzte sich wieder zu mir. »Tut mir leid, dass ich dich angerufen habe. Aber ich wusste einfach nicht mehr weiter. Du warst die Einzige, die ich bitten konnte. Außerdem hast du mal erzählt, dass du dich mit Schlössern auskennst. Konnte ja keiner ahnen, dass so etwas dabei rauskommt.«

Ich seufzte. Was sollte ich dazu sagen. Wenn man nur in die Zukunft sehen könnte – tja, was dann?

»Entschuldigung akzeptiert«, sagte ich lächelnd.

»Die Polizei dürfte den Fall schon aufgenommen haben, und wahrscheinlich liegt der Kerl jetzt im Leichenschauhaus.« Biene biss herzhaft in ihr Wurstbrot und spülte mit Milch nach. »Würde mich interessieren, ob die überhaupt so große Kühlfächer haben, dass der Kerl da reinpasst. Oder meinst du, sie können ihn reinquetschen?«

»Igitt! Ekelst du dich vor gar nichts?« Ich schüttelte mich bei dem Gedanken daran.

»Doch schon! Aber … es würde mich nur einfach interessieren«, murmelte Biene.

»Glaubst du, seine Frau hat den Beamten irgendwas von uns erzählt?«

»Herrgott, Anja!« Biene warf hilflos die Arme in die Luft. »Woher soll ich das wissen? Wir können nur spekulieren. Sie hat versprochen, es nicht zu tun. Aber ich weiß nicht, was sie machen wird, falls die Bullen sie genauer befragen oder an den anderen Wohnungstüren klingeln, um an Informationen zu kommen. Und das werden sie garantiert tun.«

Wir zuckten erschreckt zusammen und sahen einander an. »Richard!«, riefen wir wie aus einem Mund.

»Oh, verdammt!« Biene haute mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wenn die ihn befragen, dann sind wir dran. Er wird sich garantiert denken, dass ich ihn beklaut habe, schließlich haben wir ja nur meine Sachen mitgehen lassen.«

»Ja, aber«, stotterte ich. »Was, wenn er uns an die Polizei verrät?«

Biene bemerkte meine Anspannung und versuchte mich zu beruhigen: »Ich denke nicht, dass er uns verpfeifen würde. Er ist nicht blöd.«

Mein erleichtertes Seufzen schwang durch den Raum.

»Aber«, betonte Biene, »er würde sein Wissen, oder das, was er sich in seinem kranken Hirn zusammenreimt, als Druckmittel gegen mich einsetzen und mich bis an mein Lebensende erpressen! Die Alimente für das Baby kann ich vergessen. Du ahnst ja nicht, wie nachtragend und rachsüchtig dieser miese Drecksack ist.«

Ich wusste es. Es gab immer ein Aber. Resignierend sank ich tiefer in meinen Stuhl, als mir plötzlich ein Gedanke kam. »Woher will er aber wissen, wann wir in seine Wohnung eingebrochen sind?«, raunte ich ihr selbstsicher zu. »Du hast gesagt, dass er für ein paar Tage zu seinen Eltern gefahren ist. Er hat ja schließlich kein Zeitschloss, das ihm anzeigt, wann wir bei ihm aufgetaucht sind. Wir hätten genauso gut gestern oder vorgestern bei ihm einbrechen können. Und wenn er noch eine Woche länger bei seinen Eltern bleibt, dann ist die Polizei mit ihren Befragungen im Haus längst durch.«

Biene stand auf und lief in den Flur: »Wo steht dein Telefon? Ich ruf bei seinen Eltern an und frage, wann Richard wieder in der Wohnung sein wird«, schlug Biene vor.

»Es steht auf dem Wandbrett im Flur. Aber was machst du, wenn er selbst rangeht?«

»Dann lege ich einfach auf. Oder hast du Anruferkennung?«

Hatte ich nicht. Meine Leitung war noch analog, weil mein Serviceanbieter sich eine Umstellung ganz schön was kosten ließ. Außerdem hatte ich kein Internet.

Ich lief Biene hinterher. Mein Wohnungsflur war schmaler als ein Handtuch, dafür aber ewig lang. Sperrige Möbel hatten hier keinen Platz. Irgendwann war ein Freund auf die Idee gekommen, einfach ein Brett als Ablage an die Wand zu bohren. Und darauf befanden sich nun das Telefon mit Kabel, eine silberne Schlüsselschale und ein kleiner, mit braunen kleinen Bärchen verzierter Geschenkkarton für Kleinkram wie Zettel, Kaugummis, Sicherheitsnadeln, Knöpfe, Büroklammern, Quittungen, Kieselsteine …

Ich bemerkte, wie Bienes Hand zitterte, als sie den Hörer nahm. »Gib her«, forderte ich sie mit festerer Stimme auf, als ich mir zugetraut hatte. »Ich rede mit denen. Deine Stimme kennen sie, und es ist besser, wenn so wenig Spuren wie möglich zu uns führen.«

Sie wählte die Nummer und überreichte mir beim ersten Klingeln den Hörer. Ich nickte ihr zu, und sie nahm aufgeregt meine Hand. Wie zwei kleine Mädchen standen wir nebeneinander und warteten auf das, was geschehen würde.

»Hier bei Bremer. Was kann ich für Sie tun?«, hörte ich die affektiert nasale Stimme eines Mannes. Biene, die ihr Ohr ganz dicht an die Muschel des Telefonhörers hielt, raunte mir stumm das Wort Butler zu.

Nicht zu fassen, mit was für Kerlen sich Biene abgab, dachte ich und verdrehte meine Augen Richtung Schädeldecke.

»Guten Tag, mein Name ist, äh …!« Du meine Güte, jetzt fiel mir kein Name ein. Ich wurde fahrig und mein Blick raste durch den Flur. »M-M-Mocca. Mein Name ist Mocca, Daniela Mocca. Mit zwei C in der Mitte«, sprudelte es aus mir heraus. Meine Stimme war erstaunlich fest und genauso arrogant wie die des Butlers.

Biene grinste und hielt den Daumen nach oben, denn auch sie hatte die Serviette mit der Werbung für ein Caféhaus gesehen, die auf dem Sideboard lag.

»Ich hätte gern die Dame des Hauses gesprochen. Es geht um die Änderung ihres … ihres Nerzmantels.« Jetzt wurde ich richtig mutig. Wenn ich etwas gut konnte, dann lügen, dass sich die Balken bogen.

Lügen, vor allem glaubhaftes Lügen, war eine Kunst. Und wer sie nicht ausgezeichnet beherrschte, konnte schnell in Teufels Küche geraten.

»Einen Augenblick bitte, ich werde die gnädige Frau informieren.«

»Du meine Güte«, raunte ich Biene zu, während ich mit meiner Hand die Sprechmuschel abdeckte. »Ich dachte, solche Typen wären längst ausgestorben.«»Gestorben? Wie bitte? Wer ist gestorben?« Mist, die Dame des Hauses hatte mitgehört. »Hier ist Frau Bremer. Mit wem spreche ich?«, dröhnte mir eine herrische Stimme entgegen. Ich sah die dazugehörige Frau direkt vor mir. Sportlich ausgemergelte Figur mit einer Lederhaut vom vielen Golfspielen im Millbrook Resort in Neuseeland. Mäusegesicht und wasserstoffblonde Haare in einem Doris-Day-Topfschnitt.

»Mein Name ist Mocca, Daniela Mocca,« wiederholte ich. »Ich rufe wegen der Umarbeitung ihres Nerzmantels an. Leider können wir ihn nicht termingerecht fertigstellen, da unser Hausschneider plötzlich verstorben ist.« Ich versuchte meine Stimme an den arroganten Ton der Hausherrin anzugleichen und hatte scheinbar Erfolg damit.

»Du meine Güte, Jean-Pierre ist tot?«

»Ja, leider«, antwortete ich tief bewegt und schickte ein schnelles Gebet zum Himmel, dass ja kein Jean-Pierre auf der Welt in diesem Moment tot umkippte. Ich wollte nicht noch einen Mann auf dem Gewissen haben. Mit erfundenen Toten konnte ich dagegen sehr gut leben. »Wir müssen Sie bitten, ihren Mantel wieder abzuholen, da wir uns nicht in der Lage sehen, das Geschäft weiterzuführen. Es ist derzeit unmöglich, einen Ersatz für Jean-Pierre zu finden.«

»Oh, das verstehe ich. Jean-Pierre ist nicht zu ersetzen.«

»Ja, ja, so ist es«, stimmte ich ihr zu und schlug dann einen geschäftlichen Ton an. »Vielleicht wäre es Ihnen oder Ihrem Herrn Gemahl möglich, den Mantel in der kommenden Woche abzuholen? Ich möchte ihn ungern einem Dienstboten übergeben.« Ich legte gerade so viel Abschätzung in das Wort Dienstbote, dass ich mich nicht übergeben musste, und fügte verschwörerisch hinzu: »Wenn gnädige Frau verstehen.«

»Ich weiß Ihre Sorge sehr zu schätzen, meine Liebe. Nur leider reisen mein Mann und ich morgen nach Mauritius. Aber mein Sohn wird seinen Aufenthalt hier sicher noch ein paar Tage verlängern können und den Mantel am Dienstag bei Ihnen abholen«, bestimmte die Dame des Hauses.

Ich versicherte ihr, dass diese Lösung perfekt wäre, bedankte mich knapp und legte so gemächlich wie möglich auf.

Biene lag kichernd auf dem Boden und ich plumpste neben sie.

»Oh, Anja.« Biene hielt sich die Seiten vor Lachen. »Ich hab noch niemanden so lügen hören.«

»Das hat geklappt.« Grinsend klatschten wir uns in High-Five-Manier ab. »Richard wird mindestens noch sechs Tage weg sein. Du meine Güte, ich kann es noch gar nicht fassen.«

Unser Lachen kippte ins Hysterische. Für einen kurzen Moment fühlte ich mich befreit.

»Woher wusstest du das mit dem Nerzmantel?«

»Ich wusste es gar nicht«, sagte ich achselzuckend. »Das war einfach nur geraten. Aus dem Bauch heraus.«

»Den Bauch solltest du dir teuer versichern lassen«, meinte Biene und lachte schallend.

Wir hatten Zeit gewonnen. Mehr nicht. Die Kuh war noch nicht vom Eis.

Biene und ich aßen unsere Brote auf, lachten noch lange über den gelungenen Telefonstreich und kuschelten uns spät in der Nacht auf die Kingsize-Matratze. Sekunden später waren wir beide in einen tiefen Schlaf gesunken. Ich hatte völlig vergessen, wie kräftezehrend emotionale Aufregung sein konnte.

03

Morgenstund hat Gold im Mund

16. Juli – 06:00 Uhr – Wühlischstraße – Hinterhaus – Dritter Stock

Das enervierende Piepsen eines Weckers nistete sich in meinem Gehirn ein. Nur konnte ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, überhaupt einen Wecker zu besitzen …

Sekunden später verstummte das Geräusch und mir fiel ein: Biene war seit gestern Abend meine Untermieterin und sie musste pünktlich aufstehen, um zur Arbeit zu kommen. Sie hatte Arbeit!

Nun war ich wach und das bedeutete, dass ich das Denken nicht mehr abstellen konnte. Keine Chance, noch einmal einzuschlafen und all das zu verdrängen, was gestern geschehen war. Wie ging doch gleich der Spruch: Wenn du in der Grube sitzt – hör auf zu graben!

Also öffnete ich die Augen und starrte an die stuckverzierte Decke meines Schlafzimmers. Irgendwann schob ich meine Füße in die roten Puschen und schlurfte in Richtung Toilette. Sabine stand nebenan unter der Dusche. Ich konnte das Wasser laufen hören.

Mein Kinn in die Hände gestützt hockte ich auf der Kloschüssel und schaute in den engen Raum. Ob ich wohl den Rest meines Lebens in einer Gefängniszelle von zwei mal fünf Metern verbringen könnte?

Mein Magen zog sich zusammen. Mir wurde eiskalt.

Ich konnte es nicht!

Ich wollte nicht!

Panisch sprang ich auf, zog die Klospülung und wusch mir schnell die Hände. Ich musste irgendetwas tun. Bewegung lenkte mich vom Denken ab, also ging ich in die Küche und stellte den Wasserkocher an.

»Für mich nur Kaffee«, rief Biene aus meinem Schlafzimmer, wo sie sich gerade anzog.

»Du musst richtig frühstücken«, wandte ich ein. »Du bist schwanger.«

»Ich kann aber um die Uhrzeit noch nichts essen. Außerdem kotze ich das sowieso gleich wieder aus. Ich verspreche dir, ich esse was, sobald ich mir sicher sein kann, dass es auch drinbleibt.«

»Dann setz dich wenigstens noch eine Minute her und trinke den Kaffee in Ruhe.«

»Du meine Güte, du klingst wie meine Mutter.«

»Und du solltest langsam lernen, wie das geht«, erwiderte ich. »Du weißt doch, früh übt sich. Und viel Zeit bleibt dir ja nicht mehr.«

»Hör bloß auf damit«, winkte Biene ab und knurrte leicht gereizt. »Und verschone mich mit diesem Hundert-gute-Ratschläge-wie-Sie-eine-gute-Mutter-werden-Gedöns.«

Ich wusste, es war ein heikles Thema für Sabine. Ihre eigene Mutter war in dem Jahr, in dem Biene ihre Lehre angefangen hatte, verschwunden. Auf und davon mit ihrem Liebhaber. Monate später kam eine Postkarte aus Santiago. Danach kam nichts mehr. Bienes Vater war laut Geburtsurkunde unbekannt.

»Ich hab heute die Frühschicht im Salon. Wenn alles glattgeht, bin ich um vier wieder hier, und dann können wir ja den Wagen ausräumen und die Möbel verteilen.«

»Du wirst dich schonen. Es hat schon gereicht, dass du die Sachen gestern mit runtergetragen hast«, hielt ich dagegen. »Ich bin gerade mal in der zwölften Woche …«

»… also in der kritischsten Phase«, murmelte ich in meine Kaffeetasse und versuchte den Rest des Satzes wie eine feststellende Frage klingen zu lassen: »Das heißt also, du willst das Baby behalten?«

Biene schaute mich lange an, bevor sie mir antwortete. »Ja«, sagte sie dann mit fester Stimme. »Ich weiß nicht, worauf ich mich einlasse. Ich weiß nicht, was passieren wird. Und ich weiß nicht, ob ich die richtige Entscheidung treffe. Aber das Baby hat eine Chance verdient.«

Die Wanduhr im Wohnzimmer, ein Erbstück von meiner Großmutter, schlug einmal. Es war halb sieben.

»Ich muss los.« Biene stand auf. In der Wohnungstür drehte sie sich noch einmal um. »Bis heute Abend!« Dann fiel die Tür ins Schloss.

Stille breitete sich in meiner Wohnung aus, und ich fühlte mich plötzlich einsam. Ein Gefühl, das ich bisher erfolgreich ignoriert hatte. In diesem Moment fasste ich für mich einen Entschluss. Ich würde Biene bitten, bei mir einzuziehen. Wir konnten wie in einer WG zusammenleben und dem Kind eine Familie sein. Eine Familie bestand nicht immer aus Blutsverwandten. Warum auch? Die meisten konnten sich nicht einmal leiden. Warum sollte ich den beiden, und auch mir, nicht helfen? Worauf wartete ich? Leben klopfte nicht an die Tür. Leben musste man sich schaffen!

Entschlossen, meine Idee in die Tat umzusetzen, stand ich auf, zog mich an und ging hinunter in den Hof.

16. Juli – 06:44 Uhr – Wühlischstraße – Hinterhof

Das Haus, in dem meine Wohnung lag, war Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut worden. Eine Zeit, in der Mietskasernen in der Stadt wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Mein Block bestand aus einem Vorderhaus, das sich zusammen mit anderen in die Frontansicht der Straße einreihte. Ein hoher Gang, so breit, dass ein mit Kohlen beladener Pferdewagen hindurchpasste, führte in den Hof des Hauses und zum ersten Hinterhaus, hinter dem wieder ein Hof lag und dahinter wieder ein Haus, vier Stockwerke hoch wie seine Vorgänger. Allerdings verdienten die Stockwerke hier noch ihren Namen. Nicht wie diese niedrigen Wohnungen in den Neubaugebieten. Die waren was für Weicheier. Nein, ein Stockwerk hier bedeutete zwei geteilte Treppeneinheiten, die eine Wohnungshöhe von knapp drei Metern zwanzig verbanden.

Die Sonne erhellte langsam den Tag.

Ich schaute mich in meinem kleinen Hof um, dessen Begrenzung zu dem Nachbargrundstück aus einer mannshohen Backsteinmauer bestand, die nur noch von Efeu zusammengehalten wurde. Ansonsten gab es im Hof eine Rasenfläche mit einem Grillplatz und mehreren kleinen Beeten, die von meinen Nachbarn mit Paprika-, Tomaten- und allerlei anderen Nutzpflanzen kultiviert wurden. Und das schon, bevor Urban Gardening in Mode gekommen war.

In der Mitte erhob eine stattliche Kastanie ihr Haupt. Sie war eine der wenigen, die es in der Stadt noch gab. Die meisten ihrer Artgenossinnen waren vor ein paar Jahren durch eine Krankheit so stark geschädigt worden, dass sie gefällt worden waren.

Da es hier keine Garagen oder Parkplätze gab, verließen sich die meisten Mieter auf die öffentlichen Verkehrsmittel oder das Fahrrad. Deshalb störte es auch niemanden, dass der Kleintransporter hier über Nacht stehen geblieben war.

»Na dann mal los!« Ich klatschte in die Hände und öffnete die hinteren Türen des Wagens. Als Erstes schnappte ich mir eine Kiste, in der hauptsächlich Bienes Unterlagen, Urkunden und Steuerzeug waren, und machte mich auf den Weg. Im zweiten Stock bereute ich meine Aktion das erste Mal, dabei hatte ich noch vier Kartons, einige Möbelstücke und ein Stockwerk vor mir.

Zu faul, die Kiste abzustellen, zirkelte ich den Schlüssel ins Schloss und schwor mir, die Tür nachher nur angelehnt zu lassen. Ich stellte meine Last in den kleinen leeren Raum und lief direkt wieder nach unten.

Dort angekommen entledigte ich mich meiner Jacke. Entweder war ich nicht gut trainiert oder der Tag heute würde ein sehr heißer werden. In diesem Viertel reichten im Sommer ein paar Sonnenstrahlen, um die Höfe in glühende Öfen zu verwandeln. Heiße Luft hatte kaum die Chance abzuziehen und machte das nächtliche Schlafen oft unerträglich, auch wenn man jedes Fenster aufriss. Denn dann hörte man seine Nachbarn bei jeder nur denkbaren Tätigkeit.

Ich kroch auf die Ladefläche des Wagens und versuchte das Gewicht der Kisten zu schätzen.

»Hey, junge Frau, du sollst doch nicht so schwer heben«, hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir. Erschreckt fuhr ich hoch und schlug mir den Kopf an der Decke des Transporters an.

»Hoppla, Süße. Ich wollte dich nicht erschrecken.«

Es war Sadik, mein Nachbar. Er wohnte in der mittleren Wohnung auf meiner Etage. Insgesamt waren wir dort zu dritt. Frau Nebel, eine alte Dame, die links neben der Treppe wohnte, war gerade in Reha.

»Musst du dich immer so anschleichen?« Theatralisch schlug ich mir die Hand aufs Herz, heimlich aber doch froh darüber, dass es Sadik war. Meine Nerven waren leicht angenagt.

»Ich hab mich nicht angeschlichen.« Sadik tat empört. »Ich muss den Mädels keinen Schrecken einjagen, um ihren Herzschlag zu beschleunigen.«

Das konnte ich nur unterschreiben. Vor mir stand ein Mann von ein Meter vierundneunzig Körperhöhe und einem Gewicht von über den Daumen gepeilten fünfundachtzig Kilo. Man sah ihm an, dass er regelmäßig Badminton spielte und auch sonst keine sich bietende Gelegenheit für Partnersportarten ausließ. Sein gewinnendes Lächeln strahlte bis in seine haselnussbraunen Augen, die in seinem kantigen Gesicht von dunkelbraunen Haaren eingerahmt wurden.

Sadiks Hand näherte sich meinem Gesicht, nahm eine meiner roten Locken zwischen Zeige- und Mittelfinger und schob sie mir hinter das linke Ohr. Dabei streifte sein Daumen meine Wange, und mein Herz setzte für einen Schlag aus.

Ja, ich gebe es zu, ich stand auf Sadik. Aber ich stand nicht auf seinen Verschleiß an Frauen.

»Wie ich sehe, hast du dir endlich ein paar Möbel zugelegt.« Sadik schob mich zur Seite und schaute in den Transporter.

»Nein.« Ich setzte mich auf die Ladefläche. »Eine Freundin zieht bei mir ein.«

»Eine, die ich kenne?«

»Ich denke nicht. Sie passt nicht in dein Beuteschema.« Oh Schreck, hatte ich das gerade laut gesagt?

»Wow!« Sadik grinste mich leicht verkniffen an. »Das saß. Nur mal so aus Interesse: Was ist denn mein Beuteschema?«

»Groß, blond, zwei dicke Gehirne«, spottete ich, mit den Händen meine kleinen Brüste um vier Körbchen vergrößernd.

Sadik lachte herzhaft.

Ich lächelte und schaute ihm einen Moment zu tief in die Augen.

Er räusperte sich verlegen und meinte: »Komm. Ich helfe dir, die Sachen nach oben zu tragen. Die Möbel schaffst du niemals allein.«

Ich nickte dankend.

Wir packten beide an und hatten Bienes Sachen eine Stunde später in meiner Wohnung geparkt. Sadik verabschiedete sich kurz angebunden und verschwand in seine Wohnung.

Ich schloss meine Tür hinter mir und lehnte mich erschöpft dagegen.

Das zwischen Sadik und mir war eine seltsame Sache. Wir waren mehr als nur Nachbarn, die sich ab und zu über den Weg liefen und »Hallo« sagten. Aber was dieses Mehr war, konnte ich auch nicht richtig sagen. Wir spielten Spielchen, neckten uns mit Worten und Gesten, waren Ersatzpartner, wenn man zu peinlichen Pärchentreffen eingeladen war oder einfach nur jemanden suchte, um nicht allein ins Kino oder in die Kneipe gehen zu müssen.

Erschwerend kam hinzu, dass wir nach einer seiner Partys gemeinsam in seinem Bett aufgewacht waren. Nackt! Aber ich konnte mich beim besten Willen an nichts erinnern, und er behauptete das Gleiche von sich. Peinlich verklemmt hatte ich mich angezogen und war aus seiner Wohnung gestürmt. Wir haben nie wieder ein Wort darüber verloren.

»Verdammt, verdammt, verdammt«, brummte ich, und eine Welle des Selbstmitleids schlug über mir zusammen. Ich war dreiundzwanzig Jahre alt, hatte einen ausgezeichneten Abschluss als Kunsthistorikerin und bekam mein Leben einfach nicht auf die Reihe. Alle meine Bewerbungen kamen retour. Bei einigen machte man sich noch nicht einmal die Mühe, ein formelles Ablehnungsschreiben beizulegen. Ich bekam einfach unkommentiert meine Unterlagen zurück.

Zugegeben, meine Berufserfahrung ließ zu wünschen übrig, aber wie bitte sollte ich Erfahrungen sammeln, wenn man mich nicht einstellte? Nicht einmal meinen Job als Kartenverkäuferin im Museum für Moderne Kunst hatte ich so lange behalten, dass ich Arbeitslosengeld I hätte beantragen können. Budgetkürzungen im Haushalt der Stadt trafen immer zuerst Kunst und Kultur. Um leben zu können, nahm ich jeden Job an, den ich kriegen konnte. Zurzeit putzte ich mit ein paar anderen Frauen gelegentlich in Wohnungen einer Genossenschaft, die neu vermietet werden sollten. Entweder waren die ehemaligen Mieter verstorben oder anderweitig nicht wieder aufgetaucht.

Ich hatte keine Karriere, ich hatte keinen Freund.

Aber ich konnte gut einbrechen!

Und ich hatte jemanden umgebracht!

Und ich ließ es wie einen Unfall aussehen!

Und wenn das nun das Einzige war, was ich gut konnte?

»Gott, nicht auszudenken!«, rief ich laut, stemmte mich von der Tür weg und lief schnurstracks ins Wohnzimmer.

Sadik und ich hatten die Möbel und Kisten nur schnell hineingestellt. Nun war es an mir, Ordnung in das Chaos zu bringen.

Vorsichtig schob ich den Tisch mit seiner dunkelgrün marmorierten Platte in die Mitte des Raumes und notierte in meinem Hirn, dass ich später noch Filz kaufen musste, damit die neuen Sachen meine Holzdielen nicht zerkratzten. Dann platzierte ich die drei Sessel darum, stellte mich in den Türrahmen und überblickte das Ensemble: zu eng!

Ich schob den alten rot karierten Ohrensessel meines Vaters vor eines der beiden Sprossenfenster und stellte den Regenschirmständer mit den zwei Gehstöcken mit Elfenbeinköpfen – einem Löwen und einem Alligator – hinter die Zimmertür.

Schon besser. Aber die beiden mit weißer Patina überzogenen Buffetschränke wären an der langen Wand besser aufgehoben. Doch obwohl unter die Füße der Schränke schon Filzplatten geklebt waren, gelang es mir nicht, sie vom Platz zu bewegen. Die vielen Bücher darin waren einfach zu schwer. Ja sicher, ich hätte sie ausräumen können. Aber ich hatte nicht die geringste Lust dazu.

Lieber verdrückte ich schnell im Stehen ein Butterbrot, goss ein Glas Milch nach und sprang unter die Dusche.

Erfrischt schnappte ich mir meine Handtasche, klimperte mit dem Schlüssel und machte mich auf, den Transporter zu meiner Freundin zurückzubringen.

16. Juli – 12:29 Uhr – Boxhagener Platz

Vorsichtig zirkelte ich durch die engen Straßen, die zum gleichen Zeitpunkt gebaut worden waren wie die Häuser, die sie säumten. Damals waren vermutlich nicht mehr als drei bis vier Droschken pro Tag hier entlanggefahren. Man hatte mehr Platz zum Wohnen als zum Fortbewegen gebraucht. Heute, wo jede Familie ein, zwei oder sogar drei Autos besaß, die unbedingt am Straßenrand geparkt werden mussten, blieb nur noch eine schmale Fahrbahn übrig. So eng, dass oft nicht mal mehr zwei Wagen aneinander vorbeikamen.

Mein rechter Fuß zuckte ständig zwischen Bremse und Gaspedal hin und her, während ich über das Kopfsteinpflaster hüpfte. Die Luft im Wagen war aufgeheizt. Das Thermometer am Armaturenbrett zeigte achtunddreißig Grad. Ich überfuhr den Schatten eines alten Baumes, kurbelte das Fenster herunter und surfte mit meiner linken Hand leicht über den Fahrtwind.

Die ersten Schulkinder waren auf dem Weg nach Hause. Kreischend und lachend sprangen sie auf den Bürgersteigen mit viel zu großen Schulranzen auf ihren Rücken von Steinplatte zu Steinplatte. Sie hielten ihre Nasen in die Sonne und freuten sich einfach darüber, da zu sein. Verschwendeten keinen Gedanken daran, wie sie mal ihren Lebensunterhalt würden verdienen müssen. Nicht an die unzähligen Erwachsenen, die in ihren Büros oder am Fließband schwitzten.

Bevor ich wieder in Selbstmitleid versinken konnte, kam ich bei Lydias Haus an. Ich parkte den Wagen in zweiter Reihe und ignorierte das sofort einsetzende Hupkonzert. Mit meinem ganzen Körper stemmte ich mich gegen die schwere Holztür der Hofzufahrt, bis die beiden Flügel krachend gegen die Wände schlugen. Leise rieselte Putz auf den Boden. Das tiefe Loch in der Hauswand auf Höhe der Klinke zeigte, dass die Methode öfter angewandt wurde. Das Hupkonzert schwoll zu einem Orkan an.