Wendys Geheimnis - Friederike von Buchner - E-Book

Wendys Geheimnis E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. Auf sehr spezielle, romantische Weise findet Toni, der Hüttenwirt seine große Liebe in einer bezaubernden Frau, die aus einer völlig anderen Umgebung stammt als der markante Mann der Berge. Sie lernt durch ihn Schönheit und Idylle seiner Heimat kennen und lieben. Gemeinsam eröffnen die beiden allen Besuchern die Werte und Besonderheiten ihres Lebens auf der Alm. Romantik, Beschaulichkeit, dramatische Spannung und feinsinnige Gespräche: Das ist die Welt von Toni, dem Hüttenwirt, der sich niemand entziehen kann. Pfarrer Heiner Zandler begrüßte die Mutter Oberin persönlich an der Haustür. »Grüß Gott, Justina! Komm herein! Meine Haushälterin hat den Abendbrottisch im Esszimmer gedeckt.« »Grüß Gott, Heiner! Mei, ich bin doch kein Staatsbesuch«, lachte sie. Die beiden kannten sich schon sehr lange, schon seit damals, als sie an der Universität studierten, sie Jura und er Theologie. Erst Jahre später ging Justina in den Orden und übernahm schon bald nach ihrem ewigen Gelübde die Leitung. Ihr Ordensname erinnerte an ihre Ausbildung und ihre Tätigkeit als Juristin draußen in der Welt, wie sie oft schmunzelnd betonte. Sie gingen ins Esszimmer. Zandler schloss die Tür. Helene Träutlein hatte eine Brotzeit gerichtet. Pfarrer Zandler sprach das Tischgebet. Während sie aßen, unterhielten sie sich über allgemeine Themen. »Den Kaffee trinken wir drüben in meinem Studierzimmer«, sagte Zandler. »Dann sprechen wir über die Sache.« Sie gingen hinüber. Auf dem Tisch stand unter einer dicken, altmodischen Wärmehaube eine Kaffeekanne.

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Toni der Hüttenwirt Extra – 21 –

Wendys Geheimnis

Die letzte Hürde auf dem Weg ins Glück?

Friederike von Buchner

Pfarrer Heiner Zandler begrüßte die Mutter Oberin persönlich an der Haustür. »Grüß Gott, Justina! Komm herein! Meine Haushälterin hat den Abendbrottisch im Esszimmer gedeckt.«

»Grüß Gott, Heiner! Mei, ich bin doch kein Staatsbesuch«, lachte sie.

Die beiden kannten sich schon sehr lange, schon seit damals, als sie an der Universität studierten, sie Jura und er Theologie. Erst Jahre später ging Justina in den Orden und übernahm schon bald nach ihrem ewigen Gelübde die Leitung. Ihr Ordensname erinnerte an ihre Ausbildung und ihre Tätigkeit als Juristin draußen in der Welt, wie sie oft schmunzelnd betonte.

Sie gingen ins Esszimmer. Zandler schloss die Tür. Helene Träutlein hatte eine Brotzeit gerichtet.

Pfarrer Zandler sprach das Tischgebet. Während sie aßen, unterhielten sie sich über allgemeine Themen.

»Den Kaffee trinken wir drüben in meinem Studierzimmer«, sagte Zandler. »Dann sprechen wir über die Sache.«

Sie gingen hinüber.

Auf dem Tisch stand unter einer dicken, altmodischen Wärmehaube eine Kaffeekanne.

Zandler schenkte ein. »Also, fangen wir an. Ich gestehe dir, dein Anruf von heute Morgen ist mir sehr nachgegangen. Den ganzen Tag musste ich daran denken. Ich war sehr überrascht, dass der kleine Emil sich so verändert hat. Ich war davon überzeugt, dass es keine Schwierigkeiten gäbe, beziehungsweise Emil keine mache. Er mochte doch Laura über alles.«

Justina lächelte. »Ich war auch überrascht, Heiner. Aber solche Eifersuchtsreaktionen habe ich bei Kindern und Jugendlichen nicht selten erlebt. Kinder regieren oft mit Eifersucht, wenn sich Mutter oder Vater in einen neuen Partner verlieben. Emil war von Anfang an in Laura vernarrt, kann man sagen. Insofern dachte ich, er wäre höchsterfreut, wenn sein Vater sich ihr zuwendet. Die Schwierigkeit ist in diesem Fall, dass Emil noch zu jung ist. Man kann nicht wirklich mit ihm über die Liebe im Allgemeinen sprechen und wie es zwischen Mann und Frau so ist. Wäre Emil älter, wäre es vielleicht einfacher. Ich habe aber auch erlebt, dass ältere Kinder sich aus Egoismus gegen jede vernünftige Erklärung sträuben.«

»Ja«, sagte Zandler, »wenn Emil älter wäre, hätte sein Vater sicher schon mit ihm über seine verstorbene Mutter gesprochen und ihn über die Liebe zwischen Mann und Frau aufgeklärt. Ich dachte, es sei Emils innigster Wunsch, dass sie eine Familie werden. Dass er jetzt so reagiert, tut mir in der Seele weh.«

Justina nickte. Sie trank einen Schluck Kaffee. »Es ist sehr betrüblich, Heiner. Dabei gab Emil im Kindergarten Laura als seine Mama aus.«

»Und er wurde nicht korrigiert?«, fragte Pfarrer Zandler.

»Nein«, antwortete Justina. »Die Leiterin seiner Spielgruppe überging es zuerst und fragte mich dann um Rat.«

»Da gibt es keine leichte Entscheidung, Justina. Emil hat gelogen und müsste zur Rechenschaft gezogen werden. Denn man kann einem Kind schlecht durchgehen lassen, dass es die Unwahrheit sagt. Demgegenüber steht, dass man sich scheut, eine Kinderseele zu verletzen. Es ist nicht leicht für einen kleinen Buben, keine Mutter zu haben, wenn alle anderen Kinder seiner Gruppe sich glücklich schätzen können, ihre Mutter zu haben. Eine Mutter zu haben bedeutet, zu wissen, wo man sich immer hinflüchten kann, wer Trost und Beistand gewährt und in deren Armen man sich geborgen fühlen kann.«

»Das hast du schön gesagt, Heiner. So sollte es sein. Es entspricht dem Mutterideal. Aber leider ist es nicht immer so. Ich bedauere jedes Kind, dem diese Geborgenheit nicht zuteilwird. Und davon gibt es immer mehr Kinder. Bei Emil ist es besonders tragisch, da seine Mutter ihn von Anfang an abgelehnt hatte. Er bekam nicht einmal als Kleinkind in den Armen seiner Mutter dieses Gefühl vermittelt. Sicher hat sein Vater alles getan, was er konnte. Es ist gut, wenn Väter und Söhne sich gut verstehen. Aber kein Vater kann die Mutter ersetzen. Ich halte Harald Schlosser für einen vorbildlichen Vater.«

»Ich denke auch, dass er ein sehr guter Vater ist. Er wird schockiert sein, wenn er erfährt, was Emil geäußert hat. Vorausgesetzt, er weiß es nicht längst.«

»So ist es«, stimmte ihm Justina zu. »Wir müssen behutsam vorgehen, Heiner. Alles, was Emil betrifft, geht Harald Schlosser sehr nah. Er will, dass es seinem Buben gutgeht. Dafür ist ihm keine Mühe zu viel und kein Opfer zu groß.«

»Dabei kann er auch über das Ziel hinausschießen«, sagte Pfarrer Zandler nachdenklich.

»Ja, das ist gut möglich. Es könnte dazu kommen, dass er die Arbeit hier in Waldkogel niederlegt und zurück nach München geht. Er ist noch in der Probezeit und hat gerade erst mit der Arbeit angefangen. Er kann jederzeit, ohne Angaben von Gründen, das Arbeitsverhältnis kündigen.«

»Justina, das würde Fellbacher sehr treffen. Und er wäre nicht der Einzige. Dann ginge die Sucherei nach einer leitenden Führungskraft für die Gemeindehelferinnen von vorne los. Du weißt, wie schwierig es war, jemanden für die Stelle zu finden.«

»Stimmt, Heiner! Der Gedanke war mir auch sofort gekommen. Denn ich schätze Harald Schlosser so ein, dass er persönlich immer zurücksteht, wenn es um Emil geht.«

»Ja, das würde er. Aber das ist falsch, Justina. Emil muss lernen, dass es nicht immer nach seinem Kopf gehen kann. Kinder sollte man nur bis zu einer gewissen Grenze verwöhnen und sie ihren Kopf durchsetzen lassen, nicht darüber hinaus. Kinder benötigen Grenzen«, sagte Zandler.

Justina lächelte.

»So ist es, sonst erzieht man sie zu Egoisten. Okay, niemand strebt bewusst an, seinen Nachwuchs zu Egoisten zu erziehen. Aber ein ständiges Nachgeben hat genau diesen Effekt.«

»Eltern, die nachgeben, meinen, sie bewiesen damit, wie sehr sie ihre Kinder lieben.«

»Und tun genau das Falsche, Heiner. Dieses Thema wird auf Elternabenden immer heiß diskutiert.« Justina lachte. »Heiner, da geht es richtig zur Sache. Wir Ordensschwestern stehen dabei meistens irgendwann im Mittelpunkt. Wenn den Eltern keine Argumente mehr einfallen, werden sie sehr persönlich und oft auch grob. Dann sagen sie, wir hätten keine Ahnung, da wir­ kinderlos seien. Wir könnten nur theoretisch argumentieren. Das sei schön und gut, aber fern jeder Wirklichkeit. Denn die sähe anders aus.«

Zandler lachte. »Diese Argumente kenne ich auch. Ich höre sie, wenn ich versuche, bei Eheproblemen zu helfen. Damit müssen wir leben, Justina.«

Sie sahen sich an und schwiegen.

Zandler schenkte Kaffee nach. Sie gaben Zucker und Milch in den Kaffee und rührten um. »Wir sollten uns absprechen, wie wir Schlosser die Sache nahebringen, Justina.«

»Genau, Heiner! Ich habe mir schon eine Strategie ausgedacht«, erwiderte Justina.

»Und die ist?«

»Du fragst zuerst, wie er sich eingelebt hat und wie ihm die Arbeit gefällt. Dann fragst du nach dem kleinen Emil. Wir müssen ihm nicht auf die Nase binden, dass ich extra wegen Emil hier bin. Es ist eben Zufall, dass ich gerade mal hier bin. Wenn Schlosser nichts weiß, werden wir es erfahren. Dann rücke ich mit meinen Beobachtungen heraus und füge vorsichtig meine Bedenken hinzu. Wir spielen die ganze Sache herunter. Obwohl sie sehr ernst ist«, sagte Justina.

»Gute Idee und eine ausgezeichnete Strategie!«

»Hast du am Telefon eine Andeutung gemacht?«

»Nein, Justina«, antwortete Pfarrer Zandler. »Ich habe ihn nur auf einen Kaffee oder ein Bier eingeladen und habe angedeutet, dass ich gern erfahren wolle, wie er sich eingelebt habe.«

»Das ist doch ganz normal, Heiner, dass sich der Pfarrer darum kümmert.«

»Das stimmt, er war nicht verwundert. Er sagte, er würde nach der Arbeit kommen. Es könnte zwanzig Uhr werden oder etwas später. Durch die Grippewelle gäbe es viel zu tun.« Zandler schaute auf die Wanduhr. Es ging auf acht Uhr abends zu. »Ich denke, er kommt bald.«

Justina nippte an ihrem Kaffee. »Heiner, wir sollten in der Lage sein, ihm einen Rat geben zu können, wie er damit umgehen sollte. Ich will nicht, dass er Waldkogel wieder verlässt. Die Gefahr ist durchaus gegeben, denke ich.«

»Leider, leider, ist es so. Dabei ist Harald Schlosser in Laura verliebt. Ich hatte mich sehr gefreut, als ich davon erfuhr. Außerdem sieht man ihnen an, wie sehr sie sich zugetan sind. Da hat es mächtig geknistert, gleich von Anfang an.«

»Ich weiß, deshalb hatten wir doch die Sache eingefädelt, dass Emil endlich erfährt, dass seine Mutter verstorben ist. Deshalb kann Harald jetzt seinem Herzen folgen. Das tut er wohl auch, nach dem, was Emil erzählt hat.«

»Justina, niemand konnte ahnen, dass der kleine Emil plötzlich so eifersüchtig reagiert. Welchen Rat geben wir Schlosser?«

»Er soll mit Emil reden und mehr Zeit mit ihm verbringen. Harald und Laura sollen viel gemeinsam mit Emil unternehmen. Sie sollen versuchen, ihm die Erfahrung zu vermitteln, dass es schön ist, wenn Laura dazugehört. Es wäre am besten, wenn Emil selbst klar würde, dass es gut für ihn ist, wenn Laura und sein Papa sich lieben. Er muss erkennen, dass Laura keine Konkurrenz für ihn ist, dass er seinen Papa nicht an Laura verloren, sondern eine Mama gewonnen hat. Aber sie müssen Geduld aufbringen.«

»Das Ganze muss ohne Zwang erfolgen«, ergänzte Zandler. »Das wird eine schwierige Aufgabe.«

»Das wird es zweifellos, Heiner. Wichtig dabei ist, dass Harald nicht ständig Emil um Zustimmung bittet.«

»Das ist verständlich. Sonst verschanzt sich Emil und blockt ab.«

»Genauso ist es, Heiner.«

Harald Schlosser rief an. Helene Träutlein nahm das Gespräch an und informierte Pfarrer Zandler, dass er sich verspäten werde.

*

Es klingelte an der Haustür. Helene Träutlein machte auf.

»Das wird Schlosser sein«, sagte Zandler. Er stand auf und öffnete Tür des Studierzimmers. Er blieb im Türrahmen stehen und lächelte Harald Schlosser zu, der ihm entgegenkam.

»Grüß Gott, Herr Pfarrer!«, sagte Harald. »Leider konnte ich nicht früher kommen. Es war schon spät, als ich von der letzten Hausbetreuung zurückkam und dann musste ich noch den heutigen Schreibkram erledigen.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Mir ist die Zeit nicht lang geworden. Ich habe nämlich Besuch bekommen, Oberin Justina. Wir haben gemeinsam zu Abend gegessen und uns gut unterhalten. Sie ist noch hier. Ich hoffe, es macht dir nichts aus.«

»Im Gegenteil, ich freue mich, sie zu sehen.«

»Komm rein! Was magst du trinken? Willst du einen Kaffee oder lieber ein Bier?«

»Ich nehme ein Bier.«

»Träutlein, bringe bitte drei Bier!«, rief Pfarrer Zandler laut.

Oberin Justina begrüßte Harald Schlosser herzlich.

Helene Träutlein brachte drei Flaschen Bier und Gläser. Sie stellte das Tablett auf den Tisch, verließ den Raum und schloss diskret die Tür.

Zandler schenkte ein. »So, dann stoßen wir an. Auf was wollen wir trinken?«

Justina und Harald sahen sich an.

»Gut, dann trinken wir auf unser schönes Waldkogel. Das ist nie falsch«, sagte Zandler.

Sie prosteten sich zu und tranken.

»Das tut gut, vielen Dank für die Einladung!«, sagte Harald.

»Mei, das gehört zu meinen Pflichten. Da sich das Rathaus und das Pfarrhaus gegenüberliegen, ist mir nicht verborgen geblieben, wie spät du dich jeden Tag auf den Heimweg machst. Normalerweise schaue ich am späten Nachmittag oder am frühen Abend bei meinen Schäfchen nach dem Rechten, wenn sie berufstätig sind. Bei dir müsste ich einen Besuch um Mitternacht machen. Da dachte ich, es ist besser, ich lade dich ins Pfarrhaus ein. Dann hast du auch einen Grund, mal früher Schluss zu machen.«

Harald lachte. »Nun, ganz so früh ist es nicht mehr. Ich hoffe, die Grippewelle ist bald vorbei. Doktor Martin Engler hat mir Hoffnung gemacht, dass es nicht mehr lange dauert. Es stecken sich nicht mehr so viele an.«

»Pech, dass gerade jetzt die Sommergrippe ausgebrochen ist, wo du doch erst die Stelle übernommen hast. Es wäre für dich angenehmer gewesen, wenn es etwas ruhiger gewesen wäre. Beim Antritt einer neuen Stelle braucht es immer eine Weile, bis Routine einkehrt.«

»So ist es«, erwiderte Harald Schlosser. »Es stürmte von allen Seiten gewaltig auf mich ein. Aber irgendwie war es auch schön.«

»So, dann willst du sagen, dass es dir gut gelungen ist, dich hier durchzufinden?«, erkundigte sich die Oberin.

»Ich denke, ja. Wie allerdings die Patienten darüber denken, kann ich natürlich nicht sagen«, erwiderte Schlosser.

Zandler schmunzelte. »Sei mal nicht so bescheiden, Harald! Sie haben dir bestimmt zu verstehen gegeben, wie angetan sie von dir sind. Also – ich höre nur Gutes über dich.«

»Schön zu hören! Meine Mitarbeiterinnen unterstützen mich sehr. Es ist doch eine große Umstellung, Dienst auf einem Dorf zu machen. Die alten Leute betreiben oft noch ein bisserl Landwirtschaft. Da werden von mir Dinge verlangt, die ich im Krankenhaus nie zu machen hatte. Es ist einfacher für mich, eine Infusion anzulegen, als eine Kuh zu melken.«

»Das ist doch normal. Das wirst du auch noch lernen«, tröstete ihn Zandler.

»Ja, das werde ich. Ich habe die Arbeit fürs Erste so eingeteilt, dass ich die schwierigere medizinische Versorgung übernehme. Die Mitarbeiterinnen erledigen den Rest an Hilfeleistungen«, erklärte Harald. »Ich bin eben ein Stadtmensch und habe bisher nur im Krankenhaus gearbeitet. Aber ich finde mich jeden Tag mehr in den Ablauf auf einem Hof hinein. Die meisten älteren Herrschaften sind mit der Landwirtschaft, gelinde gesagt, etwas überfordert. Eigentlich müsste ich ihnen raten, sie aufzugeben. Aber das können sie nicht. Sie hängen dran. Sie hatten immer Vieh und waren Selbstversorger. Nähme man ihnen das weg, hätte das keine guten Auswirkungen. Ihr Herz hängt daran. Einer sagte es so trefflich, er wisse nicht, wie er sonst den Tag herumbringen sollte. So habe er eine Aufgabe. Er müsse die Hühner und die Hasen versorgen, den Garten gießen, pflegen und ernten. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, wie sie sich für diese Tätigkeiten abmühen müssen. Aber würden sie diese Aufgaben nicht mehr haben, würden sie noch mehr leiden. Einen anderen Lebensinhalt haben sie nicht. Es entstünde eine große Leere. Sie würden sich nutzlos und überflüssig fühlen.«

»Das hast du schön zusammengefasst, Harald«, lobte ihn Pfarrer Zandler anerkennend. »Genauso ist es. ›Wer rastet, der rostet‹ und noch schlimmer. Du hast die richtige Einstellung. Oft brauchen sie nur ein wenig Hilfe.«

»Das denke ich auch. Wenn diese Grippewelle vorbei ist, werde ich mich mehr um die Alten kümmern können, besonders um diejenigen, die still vor sich hin leiden und zu stolz sind, um Hilfe zu bitten.«

»Und wie hast du dich ganz persönlich hier in Waldkogel eingelebt?«, fragte Zandler schließlich.

Harald lächelte. Er trank einen Schluck Bier. »Die Arbeit ist im Augenblick etwas viel. Deshalb bin ich glücklich, dass ich so viel Unterstützung von den Weißgerbers erhalte. Und Laura nimmt mir die Sorge und die Versorgung von Emil ab, wenn ich zu wenig Zeit habe. Unsere Wohngemeinschaft hat sich als sehr schöne Sache entwickelt.«

»Das freut mich zu hören«, sagte Zandler. »Emil hing ja, vom ersten Augenblick an, an Laura.«

»So war es. Ich bin sehr glücklich darüber. In München hatte ich eine Nachbarin, die mir bei der Betreuung und der Versorgung von Emil half. Aber sie war eher eine Großmutter. Mit Laura ist es völlig anders. Emil kann sehr lebhaft sein und ist immer voller Ideen und Tatendrang«, erklärte Harald. »Ich denke, er hat sich gut eingelebt. Im Kindergarten gefällt es ihm gut. Jedenfalls erzählt mir davon. Leider habe ich jetzt wenig Zeit. Aber das wird sich hoffentlich bald ändern. Ich gehe morgens aus dem Haus, wenn er noch schläft, und komme abends oft erst gegen Mitternacht zurück. Ich sehe ihn viel zu wenig. Aber Laura hält mich auf dem Laufenden. Im Augenblick ist ihm seine Geburtstagsfeier wichtig.«

Pfarrer Zandler und Oberin Justina warfen sich heimlich Blicke zu.

»Dann läuft alles richtig rund bei dir?«, fragte Zandler.