Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Tonia wird auf merkwürdigen Wegen von einer Organisation angeworben, die sich dem Klimaschutz verschrieben hat. Nicht nur mit legalen Mitteln. Aber friedlich. Tonia lässt sich zusammen mit ihrer Freundin Lisa auf das Abenteuer ein. Die Organistion zieht die Aufmerksamkeit eines Geheimdienstes auf sich. Jetzt müssen die beiden sich viel einfallen lassen. Und sie lernen, dass Zeit nicht nur das ist, wofür sie sie halten.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 507
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
„Was ist der Diskos von Phaistos?“, fragte Lisa.
„Das eine uralte gebrannte Tonscheibe, deren Sprache nie enträtselt wurde. Aber genaue Fakten müsste ich recherchieren.“, sagte Tonia.
London, Haus von Kevin, 21:45 Uhr Ortszeit
Bielefeldt; Haus von Tonia, 20:14 Uhr Ortszeit
Freitag; Bielefeld, Schule von Tonia, 12:45 Uhr Ortszeit
Samstag, Bielefeld, Haus von Tonia, 09:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, Haus von Tonia, 10:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, Bielefeld, Haus von Henning und Patrick, 15:00 Uhr
Sonntag, Bielefeld, Haus von Tonia, 16:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, London, Haus von Kevin, 19:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, Bielefeld, Haus von Tonia, 20:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, London, Haus von Kevin, 22:55 Uhr Ortszeit
Sonntag, Bielefeld, Haus von Henning, 23:55 Uhr Ortszeit
Sonntag, Bielefeld, Haus von Tonia, 23:56 Uhr Ortszeit
Sonntag, London, Haus von Kevin, 23:30 Uhr Ortszeit
Montag, Bielefeld, Schule von Tonia, 14:00 Uhr Ortszeit
Montag, London, Haus von Kevin, 16:00 Uhr Ortszeit
Montag, Bielefeld, Haus von Henning, 17:28 Uhr Ortszeit
Montag, Kinshasa, Hauptstadt des Kongo, 19:00 Uhr Ortszeit
Montag, London, Haus von Kevin, 22:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, Pflegeheim in Bielefeld, 17:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, Brasilia, Hauptstadt von Brasilien, 13:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, Bielefeld, Haus von Lisa, 19:00 Uhr Ortszeit
Mittwoch, New Delhi, Hauptstadt von Indien, 05:00 Uhr
Dienstag, Bielefeld, Haus von Tonia, 21:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, Bielefeld, Haus von Henning, 21:05 Uhr Ortszeit
Dienstag, Russland, Wladiwostok, 06:25 Uhr Ortszeit
Dienstag, Bielefeld, Haus von Tonia, 21:30 Uhr Ortszeit
Mittwoch, Bielefeld, Schule von Tonia, 11:30 Uhr Ortszeit
Mittwoch, London, Haus von Kevin, 23:00 Uhr Ortszeit
Mittwoch, Bielefeld, Haus von Tonia, 24:00 Uhr Ortszeit
Donnerstag, Bielefeld, Haus von Henning, 00:10 Uhr Ortszeit
Donnerstag, Bielefeld, Haus von Tonia 00:13 Uhr Ortszeit
Mittwoch, London, Haus von Kevin, 23:15 Uhr Ortszeit
Donnerstag, Bielefeld, Haus von Tonia, 00:20 Uhr Ortszeit
Donnerstag, Bielefeld, Haus von Henning, 19:45 Uhr Ortszeit
Donnerstag, London, Haus von Kevin, 17:00 Uhr Ortszeit
Freitag, Ulaanbaatar, Hauptstadt der Mongolei, 12:00 Uhr
Freitag, Kyoto, Hauptstadt von Japan, 10:00 Uhr Ortszeit
Freitag, Saigon, Stadt in Vietnam, 09:00 Uhr Ortszeit
Freitag, Bielefeldt, Schule von Tonia, 11:30 Uhr Ortszeit
Montag; London, Haus von Kevin, 17:00 Uhr Ortszeit
Montag, Griechenland, Insel Korfu, 18:30 Uhr Ortszeit
Montag, London, Haus von Kevin, 21:30 Uhr Ortszeit
Dienstag, Warschau, Hauptstadt von Polen, 07:00 Uhr
Dienstag, Bielefeld, Schule von Tonia 11:30 Uhr Ortszeit
Dienstag; Griechenland, Insel Korfu, 16:00 Uhr Ortszeit
Mittwoch; London, Bassett Road 89, 13:00 Uhr Ortszeit
Donnerstag, Marokko, 17:00 Uhr Ortszeit
Samstag, Bielefeld, Haus von Henning, 19:00 Uhr Ortszeit
Samstag, London, Haus von Kevin, 20:00 Uhr Ortszeit
Samstag, London, Wohnung von George Duncan/Data,20:02
Samstag, London, Wohnungstür von George Duncan 20:20
Samstag, Bielefeld, Haus von Tonia, 23:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, London, Wohnung von George Duncan 05:45 Uhr Ortszeit
Sonntag; Bielefeld, Haus von Tonia, 10:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, Bielefeldt, Haus von Henning, 11:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, London, Wohung von George Duncan, 12:00 Uhr
Sonntag, Bielefeld, Haus von Henning 17:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, London, Haus von Kevin, 20:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, Bielefeld, Haus von Henning, 20:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, Bielefeld, Haus von Tonia, 23:15 Uhr Ortszeit
Montag, Bielefeld, Haus von Tonia, 19:00 Uhr Ortszeit
Montag, London, Haus von Kevin, 22:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, Griechenland, Hotel auf Korfu, 10:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, Griechenland, Tauchschule auf Korfu 10:30 Uhr
Dienstag, U.S.A., Venice Marina bei New Orleans, 11:00 Uhr
Mittwoch, Abu dhabi, Hauptstadt der Arabischen Emirate,
Mittwoch, Reykjavik, Hauptstadt von Island, Büro einer
Montag , Russland, Irkutsk, 22:00 Uhr Ortszeit
Freitag vor Pfingsten, Bielefeld, Haus von Henning, 16:00 Uhr
Freitag, Kanada, Vancouver, 17:00 Uhr Ortszeit
Samstag, Bielefeld, Haus von Henning, 08:10 Uhr Ortszeit
Mittwoch nach Pfingsten London Haus von Kevin 02:00
Mittwoch, Bielefeld, Haus von Henning, 06:00 Uhr Ortszeit
Mittwoch, Sydney, Hauptstadt von Australien, Hotel 23:00 Uhr
Mittwoch, London, Haus von Kevin, 19:00 Uhr Ortszeit
Mittwoch, Bielefeld, Haus von Henning, 20:00 Uhr Ortszeit
Mittwoch, Hawaii, Tanzschule von Molokai, 17:00 Uhr Ortszeit
Donnerstag, Bielefeldt, Haus von Henning, 09:30 Uhr Ortszeit
Freitag, Moskau, Flughafen, 08:00 Uhr Ortszeit
Samstag, London, Haus von Kevin, 09:00 Uhr Ortszeit
Samstag, Bielefeld, Haus von Tonia, 09:30 Uhr Ortszeit
Samstag, Griechenland, Insel Korfu,15:00 Uhr Ortszeit
Samstag, Kerkyra, Hauptstadt von Korfu, Flughafen, 15:00 Uhr
Sonntag, London, Haus von Kevin, 13:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, Griechenland, Insel Korfu, 15:00 Uhr Ortszeit
Freitag, Griechenland, Insel Korfu, 09:30 Uhr Ortszeit
Freitag, London, Haus von Kevin, 11:00 Uhr Ortszeit
Freitag, Griechenland, Hotel auf Korfu, 11:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, Griechenland, Insel Korfu, 08:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, Griechenland, Insel Korfu, 10:30 Uhr Ortszeit
Donnerstag, London, Britischer Geheimdienst, Büro des Chefs
Donnerstag, Griechenland, Insel Korfu, 22:30 Uhr Ortszeit
Dienstag, Griechenland, Insel Korfu 19:50 Uhr Ortszeit
Dienstag, London, Britischer Geheimdienst, 22:30 Uhr Ortszeit
Mittwoch, Griechenland, Insel Korfu, 07:00 Uhr Ortszeit
Freitag, Griechenland, Insel Korfu, 20:00 Uhr Ortszeit
Samstag, Griechenland, Flughafen Kerkyra, 09:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, U.S.A., Flughafen New Orleans, 07:00 Uhr Ortszeit
Montag, U.S.A., Hotel nahe der West Bay 12:00 Uhr Ortszeit
Dienstag, U.S.A., Venice Marina, 12:00 Uhr Ortszeit
Mittwoch, U.S.A., Venice Marina, 11:00 Uhr Ortszeit
Donnerstag, im Flugzeug nach New York, 13:00 Uhr Ortszeit
Donnerstag, U.S.A., Hotel in New York, 20:00 Uhr Ortszeit
Freitag, U.S.A., Hotel in New York, Zimmer von Tonia und Lisa,
London, Britischer Geheimdienst, Büro von Miss Foster, 19:00
Freitag, U.S.A., Hotel in New York, Zimmer von Kevin, 14:00
Samstag, Hotel in New York, Zimmer von Tonia und Lisa,
Sonntag, New York La Guardia Airport, 12:15 Uhr Ortszeit
Sonntag, New York, Hotel in Haarlem 12:45 Uhr Ortszeit
Sonntag, New York, Küche Hotel in Brooklyn 13:00 Uhr
Sonntag, New York, Verkehrsüberwachung Manhattan, 14:00
Sonntag, Hotel in New York Manhattan, Rezeption, 14:30 Uhr
Sonntag, New York, High Line, 15:00 Uhr Ortszeit
Sonntag, New York, Manhattan Sushi Restaurant, 16:00 Uhr
Sonntag, New York, Central Park, 16:30 Uhr Ortszeit
Sonntag, New York, Hotelzimmer Tonia und Lisa, 18:00 Uhr
Montag, New York, Radiosender New York Live, 08:05 Uhr
Montag, Hotelzimmer von Tonia und Lisa, 7:00 Uhr Ortszeit
Guggenheim Museum, Büro der Leitung 09:00 Ortszeit
Hotelzimmer Tonia und Lisa 09:15 Ortszeit
Guggenheim Museum 11:00 Uhr Ortszeit
Vor dem Hotel von Tonia und Lisa 11:55 Uhr Ortszeit
Vor dem UN-Gebäude Übertragungswagen von CNN 12:40
Ground Zero, 13:00 Uhr Ortszeit
Videoüberwachungsraum Ground Zero, 13:00 Ortszeit
Security Raum Grand-Central-Station, 13:10 Uhr Ortszeit
UN-Gebäude Lounge, 12. Stock, Hauptgebäude, 14:00 Uhr
Turnhalle auf Long Island, 14:10 Uhr Ortszeit
Nike Store, 5th Avenue, 14:20 Uhr Ortszeit
Verkehrsüberwachungszentrale, 14:21 Uhr Ortszeit
5 th Avenue, 14:35 Uhr Ortszeit
Büro des Polizeipräsidenten, 14:40 Uhr Ortszeit
UN-Gebäude, Lounge, 12 Stock, Hauptgebäude, 14:45 Uhr
Dienstag, Bielefeld, Haus von Henning, 09:00 Uhr Ortszeit
Epilog/Ausklang
Kevin McCormick saß in seinem Homeoffice in seinem Reihenhaus in einer Londoner Vorstadt. Seine Katze Eusebio schlief auf seinem Kissen auf dem Sofa. Er saß, wie immer, vor dem Computer. Dieser Computer war mehr als ein Heimcomputer, über die 17 Jahre, die er jetzt beim britischen Geheimdienst arbeitete, war in seinem Arbeitszimmer eine Rechenzentrale entstanden, die seine Stromrechnung extrem in die Höhe trieb. Das war für Kevin nicht interessant, er bekam ein festes Gehalt vom Geheimdienst plus alle Computer, die er haben wollte und Übernahme der Stromkosten.
Kevin war ein sehr guter Internet-Spezialist. Er wusste, wo er etwas finden konnte, er fand fast immer heraus, wer sich hinter getarnten Adressen befand und von welchem Computer die Nachricht stammte. Er hatte sich in der Abteilung bereits einen Kampfnamen verdient. Er war der „Hacker-Jäger“. Darauf war er sehr stolz. Er hatte keine Ahnung wer ihm diesen Namen gegeben hatte, denn er kannte keine Kolleginnen oder Kollegen. Sie hatten nur Kontakt über gesicherte Emailsysteme. Nur bei seiner Einstellung hatte er mit zwei Personen persönlichen Kontakt gehabt, aber die hatten ihm mit Gewissheit auch nicht ihre wahren Namen genannt. Ihre „Klarnamen“ wie es in der Geheimdienstsprache hieß.
Seine Eintrittskarte zum britischen Geheimdienst kann man nicht wirklich als klassisch bezeichnen. Er wurde unter Strafandrohung zwangsverpflichtet. Kevin hatte im Alter von 18 Jahren davon gelesen, dass der britische Geheimdienst absolut sicher war, dass niemand in sein System eindringen kann.
Niemand? Kevin verfügte schon damals über die neuste Computertechnik und hatte viel Zeit. Seine Eltern waren sowieso nie zu Hause, sie kümmerten sich nicht wirklich um ihn. Seine Eltern waren „Weltreisende“ wie seine Mutter einmal sagte als seine Eltern ihn mal wieder allein ließen, nur mit anonymem Hauspersonal, das ihn versorgte. Er hatte schon mit sechzehn ein privates Konto bekommen, auf das seine Eltern wöchentlich eintausend britische Pfund überwiesen. Das war ihre Art der Zuneigung. Kevin war also allein mit sehr viel Geld. Er kaufte sich die neuesten Computer und versank in Informationen. Die Schule war für ihn nur eine Pflicht, die er lässig erfüllte und an Freunden hatte er kein Interesse.
Und dann diese Aufgabe. Keiner kann das Computersystem vom britischen Geheimdienst knacken? Das wollen wir doch mal sehen, dachte Kevin und machte sich an die Arbeit. Er knackte das System, wurde erwischt, weil er zu wenig über Verschlüsselung der eigenen Identität im Internet wusste, und dann kam die große Überraschung: Statt einer Anzeige oder Polizei vor seiner Haustür, kam eine Gesprächseinladung vom britischen Geheimdienst.
Einer der Gesprächsteilnehmer sagte: “Wir glauben, dass Sie bei uns besser aufgehoben sind als in der freien Internetwelt.“
Arbeitsvertrag, Unterschrift, alles klar. Er, 18 Jahre alt, wurde vom Britischen Geheimdienst angestellt. Er konnte sein Glück nicht ausdrücken. Kevin teilte seinen Eltern per E-Mail mit, dass er jetzt ausziehen werde und dass sie ihre Zahlungen einstellen können.
Sechs Tage später kam die Antwort: „Und wovon willst Du leben?“
Mehr nicht, kein persönliches Wort oder gar ein liebevolles. Das hätte Kevin auch nur irritiert. Sein neuer Arbeitgeber hatte ihm geraten sich in einem unauffälligen Umfeld eine Wohnung zu suchen. Kevins Wahl war auf eine Londoner Gegend nicht weit von Notting Hill gefallen mit seinen typischen englischen Reihenhäusern. Er fand in einer Immobilienanzeige ein Objekt, das ideal war, aber noch mehr interessierte ihn ein anderer Umstand. Das war keine Anzeige eines Maklers, sondern einer Notarin. Im Text zu dem Reihenhaus hieß es: Zum Kauf dieser Immobilie gibt es sehr besondere Bedingungen, die die verstorbenen Voreigentümer bestimmt haben. Kevin war sofort äußerst interessiert. Es stellte sich heraus, dass der eigentliche Eigentümer des Reihenhauses eine Katze war mit Namen Eusebio. Er war der Alleinerbe eines offenbar etwas merkwürdigen alten Ehepaars. Voraussetzung für den Erwerb des Hauses war das lebenslange Wohnrecht für Eusebio in diesem Haus, inklusive monatlichem Tierarzt/inbesuch. Der/Die Tierarzt/in wiederum musste die Notarin über die Einhaltung des Vertrages informieren.
Kevin besuchte das Haus in Begleitung der Notarin, er traf auf Eusebio gleich im Flur. Eusebio schaute ihn an, Kevin schaute Eusebio an. Sehr lange. Die Notarin sagte kein Wort. Kevin ging auf die Knie, um mit Eusebio auf Augenhöhe zu sein, sie waren immer noch Auge in Auge. Dann kam es Kevin so vor, als blinzelte Eusebio kurz, er kam auf ihn zu, und sein Körper strich um sein Kinn. Das war Freundschaft. Kevin kaufte das Haus und hatte seinen ersten Freund.
Für diesen Abend waren für Kevin alle Aufgaben erledigt. Alle unbekannten IP-Adressen waren von ihm gründlich recherchiert worden, alle Klaradressen hatte er seinem Chef übermittelt, den er hasste, obwohl er ihn gar nicht persönlich kannte. Jetzt hatte er also Feierabend. Zeit für Entspannung.
Er liebte Computerspiele, solange er sich erinnern konnte. Aber kein weltweit gespieltes Spiel war wie das Spiel, in dem er sich über Stunden, Monate und Jahre nach oben kämpfen musste. Das war genau seine Faszination. Jetzt war er unter den besten Einhundert bei 55 Millionen Usern weltweit. Er ging in den Kampf wie ein Champion, absolut sicher, dass er siegen würde. Sein Avatar hieß „Legolas“ und war ihm sehr beeindruckend gelungen, wie er fand. Eusebio schlief friedlich auf seinem Kissen, Kevin blickte auf die Uhr, 22.00 Uhr, perfekt, dann kann er noch ein paar Stunden spielen. Kevin war eine Nachteule. Er setze sich das Headset auf und begann wieder auf dem Level, das er das letzte Mal wegen einer plötzlichen Anfrage seines Chefs unterbrechen musste.
Er suchte gerade auf der Rückseite einer Burg und suchte einen möglichen Geheimgang in die Burg. Unter seinem Tarnmantel konnten ihn die Mitspieler nicht sehen, er liebte seine Rolle als Spion. Dann tauchte an einer kleinen Brücke, die über einen Fluss ging, ein Krieger auf. Er ging auf die Brücke und blieb dort stehen. Er schien zu warten. Kevin war zu weit weg, auf seinem Bildschirm tauchte noch kein Name auf. Was macht der da? Kevin wurde neugierig, er bewegte sich unter seinem Tarnmantel auf die Brücke zu. Jetzt kam ein Name auf seinen Bildschirm. Shogun. Jetzt näherten sich drei weitere Krieger und gingen aus verschiedenen Richtungen kommend auf die Brücke zu. Shogun drehte sich um und schaute in deren Richtung. Aber er zog sein Schwert nicht. Er schien ganz ruhig zu warten. Was war das denn? Kevin ging noch näher heran, um die Gespräche zu hören. Als sich alle auf der Brücke trafen, hörte er Shogun sagen:
„Herzlich willkommen, liebe Freundinnen und Freunde. Lasst uns in den Wald gehen, dort können wir ungestört reden.“
Kevin hatte sowas noch nie erlebt in dem Spiel. Freundinnen und Freunde? Und wieso in den Wald? Der Wald war ein Irrweg, in dem gar nichts passiert, das kann nur zu einem Levelverlust führen. Kevin war jetzt sehr neugierig was dort wohl passieren würde und folgte den Figuren in einigem Abstand in den Wald. Auf einer Lichtung versammelten sich die vier Figuren. Shogun, Shaka, Timeless und Fram.
Shogun sagte: „Ich habe gute Neuigkeiten. Morgen treffe ich auf die Neue. Dark Knight hat es organisiert.“
„Wie schätzt Du die Chancen ein? Wird sie zusagen?“, fragte Shaka.
„Das kann ich nur vermuten. Dark Knight und Trail Blazer sind sich sicher.“
„Wie soll es weitergehen?“, fragte Fram.
„Ich werde sie für Sonntag in den Wald einladen. Sie wird erst einmal nichts verstehen, aber Dark Knight hat mir versichert, dass sie kommen wird.“
„Warum sollte sie?“ fragte Shaka.
„Weil sie neugierig ist. Zeit für Sonntag: 23:00 GMT. Das war es für heute. Bleibt sicher.“
Damit trennten sich alle. Kevin hatte so eine Zusammenkunft in einem Computerspiel noch nie erlebt. Aber eines war klar: Er wusste, wo er sich kommenden Sonntag aufhalten würde. Im Wald.
Tonia setzte sich an ihren Schreibtisch und machte den Computer an. Jetzt war ihre freie Zeit. Sie hatte mit ihren Eltern und ihrer Schwester zu Abend gegessen, alle hatten danach zusammen die Küche aufgeräumt, das war in ihrer Familie so üblich, aber dann trennten sich normalerweise ihre Wege. Ihre Eltern und ihre Schwester waren fanatische Sportfans. Deshalb zogen sie immer sofort nach dem Abendessen um in den Keller, in dem sie einen Fernsehraum eingerichtet hatten mit einem gigantischen Fernseher inklusive Soundsystem. Die Wände waren da unten geschmückt mit Borussia Dortmund Flaggen, ein Fußballverein, für den die drei schwärmten. Natürlich inklusive Hausbar für die Pausen, denn es kamen auch gerne mal Freunde und Freundinnen vorbei.
„Tonia, hast Du nicht doch Lust zu gucken?“, schrie ihre Schwester aus dem Keller, “es ist das Finale vom UEFA-Cup!“
„Nein, danke!“, schrie sie aus dem ersten Stock zurück, „ich wünsche euch viel Spaß!“
Laura, ihre Schwester war dreizehn Jahre alt. Sie hatte die Sportleidenschaft der Eltern sozusagen genetisch übernommen. Von nichts träumte sie mehr, als einen Fußballstar zu heiraten. Ihr Zimmer war gepflastert mit Postern von jungen Spielern. Tonia konnte mit dieser Sportart nichts anfangen. Sie war keineswegs unsportlich, sie hatte in Sport eine Eins, und ging auch gerne morgens vor der Schule laufen, aber diese, für sie, angestrengte Liebe zu einem Sport, war ihr immer ferngeblieben. Sie hatte ein friedliches und vertrautes Verhältnis zu ihrer Schwester, aber sie waren sich aus Tonias Sicht nicht wirklich nah. Tonia ließ ihre Schwester in ihrer Welt und nahm sich immer Zeit ihr zuzuhören bei ihren Problemen.
Die Welt ihrer Schwester war Fußball, Sport im Allgemeinen, Jungs, Sport, Instagramm, Mode, Sport, Fußballspieler, Jungs in der Schule, Jungs im Allgemeinen, Instagramm und Mode.
Tonia liebte Computerspiele, Bücher, speziell Romane, die mit der Zukunft zu tun hatten, Mathematik, Physik und Rätsel aller Art, zum Beispiel Sodoku. Aber am meisten war sie fasziniert von Geheimsprachen und Codes, die schwer zu knacken waren. Ihr Vater war wundervollerweise mit ihr mal zu einer Buchhandlung gefahren, die eine Spezialabteilung hatte zu diesen Themen. Das hatte er sich als Geburtstagsüberraschung zu ihrem dreizehnten Geburtstag ausgedacht.
Für ihre Schwester war Tonia nicht greifbar. Sie hatte einmal in einem vertraulichen, langen Gespräch zu ihr gesagt:
„Ich finde Dich wirklich toll, aber manchmal kommst Du mir vor wie ein Alien.“
Damals war Laura 10 Jahre alt und Tonia 13. Als Laura schon lange schlief, dachte Tonia noch über diesen Satz nach. Du kommst mir vor wie ein Alien. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr klar, dass dies die Wahrheit war, natürlich nur als Bild gesprochen. Aber genauso fühlte sie sich. In der Schule, in der Familie. Sie hatte eine wundervolle Schule, sie hatte wundervolle Eltern, aber ihre Gedanken waren viel schneller als die Gedanken der anderen. Sie hatte die Ergebnisse schon bevor sie in die Bücher schaute, im Mathematik Unterricht meldete sie sich nur noch, wenn ihr langweilig war, sie wusste die Lösungen sowieso schon. Ebenso ging es ihr in Chemie, Physik, Englisch, Informatik und so weiter. Sie schrieb immer die besten Noten und war die beste Schülerin der gesamten Schule. Das brachte ihr nicht nur Freundinnen und Freunde. Viele gingen ihr ein bisschen aus dem Weg, sie wurde zwar nicht gemobbt, das hätten die Lehrer und Lehrerinnen auch nicht einmal im Ansatz zugelassen, aber Tonia war doch ein wenig am Rande.
Dann kam dieser Satz von ihrer Schwester. Du kommst mir vor wie ein Alien. Von dem Tag an änderte Tonia ihre Taktik. Sie schrieb in sämtlichen Fächern nur noch genau kalkulierte Noten. Immer zwischen zwei und drei. Ihre mündliche Leistung war immer exakt zwei bis drei, dadurch wurde alles anders. Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler waren normal zu ihr, die Lehrer und Lehrerinnen auch und auch ihre Schwester war ihr gegenüber entspannter. Als sie eines Abends mit ihrer Mutter allein in der Küche stand fragte ihre Mutter:
„Tonia, Du bist ein kleines bisschen schlechter geworden in der Schule. Möchtest Du mir etwas erzählen?“
„Nö, nichts Wichtiges, ich kämpfe nur mit der Pubertät. Die hat mich gerade ein bisschen im Griff.“
„Ich muss mir also keine Sorgen machen?“
„Nö, gar nicht, aber ich glaube, dass ich mir demnächst mal Tampons kaufen sollte, kannst Du mir dabei helfen?“
Natürlich hatte das ihre Mutter getan. Von dem Tag an lebte Tonia wie unter einer Tarnung. Jede Äußerung in der Schule, in der Familie, wurde von ihr innerlich einer Kontrolle unterzogen. Darf ich das sagen? Falle ich dann auf? Das war am Anfang anstrengend, aber mit der Zeit wurde es Alltag für sie. Tonia hatte eine Tarnung, die niemand durchschaute. Unter der Tarnung war sie sicher. Aber doch abgeschnitten von dem wirklichen Dabeisein. Sie entschied sich zu einem wirklich mutigen Schritt. Sie machte von sich aus einen Termin bei der Schulpsychologin, von dem sie niemandem erzählte, noch nicht mal ihrer besten Freundin Lisa. Bei dem Treffen stellten sich folgende Dinge heraus: Erstens war ihr diese Psychologin sofort sympathisch gewesen, weshalb sie ihr alles sagte. Zweitens fragte die Psychologin sehr vorsichtig, ob Tonia ein paar Tests mit ihr machen würde, Tonia sagte zu. Drittens hatten die Tests das Ergebnis, dass Tonia hochbegabt war und keineswegs auf einem merkwürdigen Weg, wie Tonia manchmal, bevor sie einschlief, für sich vermutete.
Die Psychologin sagte zu ihr:
„Sie sind hochbegabt. Ihr Gehirn funktioniert schneller und besser als das Ihrer Mitmenschen. Vermutlich sogar schneller als Meines.“, fügte sie lächelnd hinzu.
„Und was mache ich jetzt?“, fragte Tonia einigermaßen überrascht und etwas ratlos
“Ich würde Ihnen vorschlagen, dass Sie die von Ihnen gefundene Tarnung, wie Sie es nannten, aufrechterhalten. Aber behalten Sie die Tarnung gut im Auge. So etwas kann auch gerne zu einem Schutzwall werden, der einen davor schützt, jemanden wirklich an sich heranzulassen:“
Tonia bedankte sich und wollte schon gehen.
„Frau Scherbius,“ sagte die Psychologin, während Tonia schon zur Tür ging, „vergessen Sie aber nicht Ihre Talente. Die wollen auch Futter, wenn auch noch Geheimfutter. Falls Sie mich wieder brauchen, ich bin da.“
Tonia ging so glücklich nach Hause wie schon lange nicht mehr. Das waren tolle Nachrichten. Sie war kein Alien, sondern hochbegabt. Und die Psychologin hatte sie gesiezt! Tonia war dreizehn Jahre alt. Sie fühlte sich sehr erwachsen. Sie suchte sich Inseln für Ihre Talente und perfektionierte ihre Tarnung. Bis zu einer Mathestunde bei Henning Schwarz drei Jahre später.
Tonias Klasse beschäftigte sich seit einigen Mathematikstunden mit Geometrie. Das war immer einer der leichtesten Bereiche für Tonia gewesen, sie zog heimlich ein Buch hervor und begann zu lesen. Henning Schwarz war ein Lehrer, der nicht nur seinen Schülerinnen und Schülern etwas beibringen wollte in seinem Fach Mathematik, er unterrichtete auch Ethik und Sport, sondern er war auch immer den Schülerinnen und Schülern zugewandt. Er verstand ihre individuellen Lernschritte, war immer freundlich und war unterstützend für alle da. Seine klare Ausstrahlung ohne Hintergedanken mochten alle.
In dieser Unterrichtsstunde schrieb Henning Schwarz einen geometrischen Beweis an die Tafel. Noch während er die mittleren Zeilen an die Tafel schrieb, war ihm aufgefallen, dass Tonia nicht mehr an die Tafel schaute. Sie hatte sich, natürlich sehr heimlich, einem Buch zugewandt, das offensichtlich nichts mit dem Inhalt seines Unterrichtes zu tun hatte. Er entschloss sich jetzt mit ihr den Test zu machen, den er schon länger mit ihr vorhatte. Tonia war in seinem Unterrichtsfach immer eine recht gute Schülerin gewesen, ihre Noten waren immer zwischen zwei und drei. Aber nie hatte es einen Ausrutscher gegeben. Immer zwischen zwei und drei. Das war nach seiner Erfahrung unwahrscheinlich. Er hatte den Eindruck gewonnen, dass sie immer, gerade bei mündlichen Beiträgen, eine kurze Bedenkzeit bei seinen Fragen für sich einräumte. Aber nie durch Unsicherheit. Dann kam ihre Antwort, klar formuliert, aber mit ein, zwei kleinen Fehlern. Innerhalb des Bewertungssystems eine klare Sache. Zwei bis drei. Wieder zwei bis drei. Er kannte sich sehr gut in Wahrscheinlichkeitsrechnung aus und das war kein Zufall. Unbedingt wollte er herausfinden, was die offensichtlich viel klügere Tonia versteckte. Und jetzt ergab sich eine Möglichkeit für ihn. Er führte den mathematischen Beweis an der Tafel also nicht zu Ende, sondern er tat so, als wüsste er nicht weiter. Er sprach in die Klasse:
„Kann mir jemand helfen, ich habe gerade den Faden verloren.“
Jeder und jede in der Klasse wusste um diese Wendung von Herrn Schwarz bei neuen Beweisen. Also Stille.
„Tonia, kannst Du mir vielleicht weiterhelfen?“
Unterdrücktes Gekicher in der Klasse. Alle hatten längst bemerkt, dass sie heimlich las. Tonia sah auf, immer noch in der Welt ihres Buches, sie schaute Herrn Schwarz an, dann auf die Tafel, dann zurück in ihr Buch. Ohne hochzuschauen sagte sie:
„Das ist nicht schwer.“
Und sagte eine Formel daher, die die Mitschülerinnen und Schüler noch nie gehört hatten. So abwesend als würde sie in der Schule ein Mittagessen bestellen. Dann las Tonia weiter. Henning Schwarz freute sich sehr und genoss die Stille, die daraufhin eintrat. Tonia bemerkte die Stille, sie hob den Kopf, alle Blicke waren auf sie gerichtet.
„Was? Was hab´ ich denn gesagt?“, sagte Tonia.
„Das war alles komplett richtig.“ sagte Herr Schwarz und fuhr fort mit dem Unterricht, und er bemerkte etwas belustigt, dass Tonia ihr Buch unter das Pult schob.
Sie war sofort wieder die aufmerksame Schülerin. Der Test von Herrn Schwarz war erfolgreich. Bei Tonia schrillten alle Alarmglocken, sie hatte ihre Tarnung verlassen. Den Rest der Stunde war sie wieder aufmerksame Schülerin in Tarnmodus, aber sie wusste, dass Herr Schwarz sie reingelegt hatte. Nach der Stunde packten alle Schülerinnen und Schüler ihre Sachen zusammen, endlich Mittagspause, danach in die unterschiedlichen Leistungsfächer. Tonia war schon fast aus dem Klassenzimmer raus, als ihr plötzlich einfiel, dass sie das Buch, in dem sie während des Unterrichtes gelesen hatte, in ihrem Pult vergessen hatte. Eilig ging sie zurück und versuchte das Buch möglichst unauffällig in ihrem Rucksack zu verstauen, denn Herr Schwarz saß noch am Lehrertisch und machte Notizen. Sie war schon fast draußen als…
„Tonia, haben Sie noch einen Augenblick für mich?“
In ihrer Schule wurden alle Schülerinnen und Schüler ab der zehnten Klasse gesiezt. Sie drehte sich um:
“Eigentlich nein, Herr Schwarz, ich bin mit den anderen in einem kleinen Eiscafé…verabredet…oder so.“
Nach dem Wort Eiscafé war in den klugen Augen von Herrn Schwarz ein Lächeln aufgetaucht. Tonia konnte ihn noch nie anlügen, gerade jetzt nicht wo ihre Tarnung weg war.
„Es dauert nur einen Augenblick“, sagte Herr Schwarz,“ mögen Sie sich setzen?“
„Ja, klar, warum nicht.“, sagte Tonia und versuchte sich möglich unbefangen zu setzen
„Kann es sein, dass Sie ein wenig vorgearbeitet haben?“
„Wie meinen Sie das?“
„Der Beweis. Am Anfang der Stunde. Sie wussten die Lösung.“
„Ach so, das. Ich habe im Internet…“
Wieder dieser belustigte Ausdruck in den Augen, aber nicht unfreundlich, es war eher herausfordernd, als sagte das Lächeln: Ach komm, denk´ Dir etwas Besseres aus.
„Okay, nein, ich habe mich nicht vorbereitet.“, sagte Tonia leicht verärgert.
„Kann es sein, dass Sie die Mathematik besser begreifen als Sie zeigen wollen?“
Bei Tonia gingen wieder alle roten Lampen an. Alarm. Er hatte sie ertappt.
„Was war das für ein Buch, in dem Sie gelesen haben, als ich den Beweis an die Tafel geschrieben habe?“
Natürlich hatten sie im Klassenraum auch ein Smartboard, aber Herr Schwarz mochte die alte Art, Tafel und Kreide. Tonia schaute ihn an, okay, Ausreden zwecklos.
„Es ist ein Buch über Geheimcodes.“
„Geheimcodes?“, Herr Schwarz war offensichtlich überrascht.
„Na ja, Sie wissen schon, Spionageschrift, chiffrieren, dechiffrieren, Schutz im Internet vor Datenspionage, das Ganze eben.“
„Ist das Buch ein Roman?“
Jetzt wurde es wirklich kritisch für Tonia. Herr Schwarz hatte ihr sozusagen einen Ausweg angeboten. Jetzt konnte sie sich mit einer einzigen Lüge davon machen.
„Nein, ein Sachbuch für IT-Studentinnen und Studenten.“
Sie wusste, dass ihre Tarnung endgültig weg war, sie wusste, dass jetzt die Vorwürfe kommen würden. Vorsichtig schaute sie hoch und schaute in ein strahlend lächelndes Gesicht.
„Hab ich´s doch geahnt.“, sagte Herr Schwarz, „das ist ja wundervoll.“
„Das ist nichts Besonderes.“
„Na klar, nichts Besonderes. Ich stelle der Klasse einen neuen mathematischen Beweis vor, der überhaupt nicht im Lehrplan vorkommt, sondern in den Aufnahmetests für Mathematikstudenten benutzt wird, und Sie wissen die Lösung schon nach der dritten Zeile, obwohl Sie parallel ein Buch über Geheimcodes lesen. Das ist natürlich nichts Besonderes. Hihi.“
Tonia schwieg. Herr Schwarz schwieg auch für eine Weile.
„Welcher Tag ist heute?“ fragte Herr Schwarz. Das war typisch für ihn. Alle Zahlen im Kopf, aber keine Wochentage.
„Heute Morgen war noch Freitag.“ sagte Tonia lächelnd. Sie freute sich immer noch über die Freude von Herrn Schwarz.
„Dann ist Morgen…?“
„Samstag, wie meistens.“
„Gut. Bestens. Ich lade Sie und Ihre beste Freundin Lisa aus der 10 C…“
„Das wissen sie also auch?“
„Ich lade Sie und Ihre beste Freundin Lisa aus den 10 C für morgen Abend zu uns nach Hause ein. Mein Mann und ich geben eine kleine Party und Patrick wird einer seiner neuesten Kompositionen das erste Mal vor Publikum spielen. 19:30 Uhr. Passt das?“
„Ihr Mann?“ fiel es Tonia aus dem Mund und eine Hundertstelsekunde später war es ihr schon peinlich.
„Das wussten Sie nicht? Ich bin verheiratet seit acht Jahren mit Patrick. Das halbe Kollegium war bei der Hochzeit. Und, kommen Sie? Das könnte für Sie eine ganz neue Welt sein.“
„Äh, ja, danke, ich werde Lisa fragen, Ich sage Ihnen über E-Mail bescheid“
„Aber bitte sagen Sie Ihren Eltern genau Bescheid, wohin Sie gehen und zu wem.“
Natürlich, da war er wieder, der Lehrer Henning Schwarz.
„Und sagen Sie ihnen bitte doch auch, dass ich mit einem Mann verheiratet bin. Sonst kommen sie ja noch auf dumme Gedanken.“
„Und das wollen wir ja nicht.“, sagte Tonia lächelnd.
„Und das wollen wir ja nicht.“, sagte Herr Schwarz ebenfalls lächelnd.
Tonia wollte natürlich auf diese Party, auch Lisa, der sie sofort schrieb, war begeistert.
Tonia saß mit ihrer Familie beim Frühstück.
„Du, Papa,“, begann Tonia das Gespräch, sobald sie gesehen hatte, dass ihr Vater bereits die dritte Tasse Kaffee trank, vorher war ein Gespräch sinnlos, „ich bin heute Abend bei Herrn Schwarz eingeladen.“
„Schwarz? Muss ich den kennen?“, Ihr Vater schmierte sich gerade Teewurst auf ein Vollkornbrot.
„Das ist mein Mathelehrer. Du kennst ihn vom Elternabend. Bei ihm zu Hause findet heute Abend ein Konzert statt, Lisa und ich sind eingeladen, Lisas Eltern haben es ihr schon erlaubt.“
Tonias Mutter schaltete sich ein.
„Moment mal, Dein Mathelehrer lädt Dich und Lisa zu einem Konzert zu sich nach Hause ein? Am Abend! Was soll das denn? Zwei junge Mädchen werden von einem Lehrer…“
Ihr Vater schaltete sich ein.
„Liebe Claudia, vielleicht solltest Du Dir noch eine dritte Tasse Kaffee gönnen und Dir die ganze Geschichte anhören?“
„Ja, äh, stimmt. Das hatte ich mir ja so vorgenommen.“
Dafür liebte Tonia ihren Vater unfassbar und unsagbar. Seine ruhige und herzliche Art. Er würde seine Frau nie zurechtweisen, er machte nur ruhige Gegenvorschläge. Sie hatte von ihm noch nie ein zorniges Wort gehört, selbst nicht vor dem Fernseher, wenn er Fußball sah. Ihre Eltern waren eine seltsame Mischung. Er immer überlegt, warmherzig und ruhig, sie oft hastig, sehr emotional und manchmal auch ungerecht in ihren schnellen Entscheidungen. Aber ihre Mutter war auch eine mutige Frau, neben ihrem Beruf als Physiotherapeutin engagierte sie sich in der Lokalpolitik. Sie kämpfte gegen soziale Ungerechtigkeit und engagierte sich im Umweltschutz. Ihre Eltern waren große Emotion und überlegte Handlung in einer Einheit. Tonia dachte oft, was sie da für ein Glück gehabt hat. Bei vielen Mitschülerinnen und Mitschülern sah das ganz anders aus.
„Gut, Lisa und Du wollt also zu einem Konzert, dass im Haus von Herrn Schwarz stattfindet, den Herrn Schwarz, den ich kenne vom Elternabend, weil ich mich an seine sympathischen Augen erinnere?“ fragte ihr Vater leicht grinsend.
„Wer kommt denn da noch so?“, fragte ihre Mutter skeptisch.
„Mama, mach´ Dir keine Sorgen. Ich gehe mit Lisa zu meinem Mathelehrer, den ihr Beide kennt. Und Herr Schwarz ist verheiratet.“
„Die bedeutet nicht unbedingt…“
„Liebe Claudia“, sagte ihr Vater liebevoll,“ sollten wir uns nicht eventuell noch auf weitere Informationen von unser Tochter freuen?“
Da war es wieder. Tonia hatte ihren Vater küssen können. Tonias Papa war Maurer, er hat seit seinem sechszehnten Lebensjahr auf Baustellen gearbeitet, da war der Umgangston rau und hart. Ihr Vater lädt manchmal Arbeitskollegen ein zum Fußball gucken im Keller. Da ging es manchmal ein bisschen sehr gut gelaunt und laut zu. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass ihr Vater zwar dabei war, aber seine Art nicht den anderen anpasste, er blieb ruhig und höflich und seine Kollegen akzeptieren das.
„Er ist verheiratet mit einem Mann.“, sagte Tonia.
„Oh, wie schön, das wusste ich gar nicht.“, sagte ihr Vater.
„Soll ich euch hinfahren?“, fragte ihre Mutter.
Tonia und Lisa trafen sich zwei Stunden vorher bei Tonia. Lisa kam mit einer großen Tasche. Vollgestoppt mit Übernachtungssachen, Lisa durfte die Nacht bei Tonia verbringen, aber vor allen Dingen war die Tasche vollgestopft mit Klamotten für das Konzert. Denn die Hauptfrage vor dem Konzert war natürlich: Was zieht man an? Eher etwas Elegantes? Eher locker? Eher sportlich? Und welches Makeup ist richtig? Das war eher Lisas Problem, Tonia ging immer ungeschminkt. Sie probierten dies, probierten das, alles war nicht richtig und dann wieder doch. Eineinhalb Stunden gingen so vorbei und dann standen die Beiden sehr zufrieden vor der Spiegeltür von Tonias Kleiderschrank. Lisa trug ein dunkelblaues Sommerkleid, eigentlich unpassend für die noch kalte Jahreszeit, aber es passte sehr gut zu ihren Augen. Darüber wollte sie ihren Lieblingsmantel tragen, der eine wundervolle Sandfarbe hatte. Sehr elegant. Tonia hatte sich für einen anderen Weg entschieden. Sie trug eine flaschengrüne Bluse, die wiederum sehr zu ihren grünen Augen und schwarzen Haaren passte, und eine pechschwarze Jeans. Dazu frisch geputzte, sehr angesagte Arbeitsstiefel.
„Können wir uns da so blicken lassen?“, fragte Lisa etwas unsicher.
„Du siehst wundervoll aus, und zusammen ergeben wir doch eine gute Mischung.“
„Also gut, wo ist mein Lippenstift?“
„Der ist…“
„Tonia, euer Taxi ist da.“, rief ihr Vater von unten.
Tonias Vater hatte darauf bestanden, ihnen ein Taxi zu bezahlen. Und genau der gleiche Taxifahrer würde sie auch um Punkt 22:00 Uhr wieder abholen. So war es vereinbart worden. Tonias Vater kannte den Taxifahrer und Tonia ebenfalls. Ein Kumpel ihres Vaters. Tonia war immer wieder darüber erstaunt, wen ihr Vater in dieser Stadt alles kannte. Also Abfahrt mit viel Gewinke, als würden sich Lisa und Tonia auf eine dreimonatige Weltreise begeben.
„Da sind wir.“, sagte der Taxifahrer. Max war sein Name wie Tonia endlich einfiel.
Tonia und Lisa starrten aus dem Autofenster.
„Bist Du sicher?“, fragte Tonia.
„Hör mal, Tonia, ich fahre in dieser Stadt seit über zwanzig Jahre Taxi. Da werde ich wohl den Hasenkamp 24 finden. Wisst ihr denn nicht wer hier wohnt?“
„Wer denn?“, fragten Lisa und Tonia im Chor.
„Na, Patrick Schwarz, ein absolut Hammer-Komponist! Na, der schreibt Musik. Ich hör´ den fast jeden Abend, ich hab´ mir extra Kopfhörer gekauft, damit ich nachts nach der Schicht die Nachbarn nicht nerve. Soll ich euch mal einen Link schicken?“
„Ich glaube, wir hören ihn heute live.“, sagte Tonia etwas verunsichert.
„Mann, seid ihr Glückspilze. Also, Punkt 22:00 Uhr stehe ich wieder hier und dann kommt ihr ohne Diskussion mit, alles klar?“
„Alles klar, Max.“, sagten wieder beide gleichzeitig.
Vor ihnen lag ein modernes, großes Haus, das nur aus klaren Linien, Glas und weißen Mauern bestand. Es war eingerahmt von einer hohen weißen Mauer, die immer wieder durch grüne Hecken unterbrochen war. Der Garten war beleuchtet mit Licht, dessen Quellen man nicht sah. Es sah wie ein großer, freundlicher Garten aus. Eine große Pforte in der Außenmauer stand offen. Etwas beklommen traten die Beiden hindurch. Vor ihnen erstreckte sich ein elegantes modernes Flachdachhaus, zweistöckig, mit bodentiefen Fenstern, die im unteren Stockwerk alle hell erleuchtet waren. Jetzt erkannten Lisa und Tonia, dass der Garten riesig war.
„Bist Du in so einem Haus schon mal gewesen?“, raunte Lisa Tonia zu, als könnten sie abgehört werden.
„Noch nie, aber ein Mathelehrer wird sich das nicht leisten können.“
„Vielleicht hätten wir mal den Namen Patrick Schwarz googlen sollen?“
Sie gingen auf die Haustür zu. Bevor sie auf den Klingelknopf drücken konnten, wurde sie geöffnet.
„Da seid ihr beide ja.“, sagte Herr Schwarz.
„Woher wussten Sie…“, fragte Tonia.
„Wir haben hier ein, zwei Kameras. Kommt rein.“
Sie kamen in einen riesigen, hohen Raum ohne Zwischenwände oder Säulen, er füllte fast das gesamte Erdgeschoß des Hauses und hatte überall bodentiefe Fenster. Der Raum schien alles zu sein. Ein Wohnzimmer mit Sofas und Sesseln, eine offene Küche mit Küchenbar, eine Leseecke mit Regalen dahinter. Vor der größten Glasfront zum Garten stand ein glänzender, schwarzer Flügel, vor ihm standen einige Stuhlreihen wie in einem Theater. Tonia und Lisa waren noch nie in einem solchen Privathaus gewesen.
„Ja, ich weiß, mir bleibt auch immer noch die Luft weg, wenn ich nach Hause komme.“, sagte Herr Schwarz.
„Wie kann das sein?“, kam es etwas unkontrolliert aus Lisa heraus.
„Ja, die Konstruktion des Raumes war schwierig. Das alles ohne Säulen zu konzipieren hat den Statiker vor eine ziemlich verzwickte Aufgabe gestellt.“
„Das meine ich nicht.“, sagte Lisa.
„Ach so, ja klar. Du meinst, wie sich ein Mathematiklehrer sowas leisten kann.“
„Genau.“, sagte Tonia.
„Mein Mann ist ein sehr berühmter Musiker. Hab´ ich das nicht erzählt?“
Natürlich hatte er es nicht erzählt. In dem Raum waren ungefähr vierzig Gäste, die sich offensichtlich alle sehr wohlfühlten. Die meisten hatten ein Glas in der Hand und unterhielten sich, Eine Frau saß in der Leseecke und hatte ein Buch auf dem Schoß, es wirkte alles freundlich, in der Küche arbeiteten zwei schwarz gekleidete Köchinnen. Es roch wundervoll.
„Erst die Kultur, dann das Essen.“, sagte Herr Schwarz, “Patrick, magst Du mal hier rüberkommen, ich möchte Dir zwei besondere Gäste vorstellen.“
Herr Schwarz sprach einen Mann an, der mit dem Rücken zu ihnen stand. Er stand vor dem Fenster und blickte in den Garten. Er drehte sich um.
„Wie bitte?“
„Ich möchte Dir zwei besondere Gäste vorstellen.“, sagte Herr Schwarz.
Ein elegant gekleideter Mann von ungefähr 35 Jahren kam lächelnd auf sie zu.
„Er ist nervös wegen des Konzerts.“, raunte Herr Schwarz den beiden zu.
„Oh, ja, natürlich. Wie schön, dass ihr da seid. Okay, ich weiß eure Namen, aber ich weiß nicht, wer wer ist.“
„Meine Verfehlung.“, sagte Herr Schwarz, „das ist Tonia Scherbius und das ist Lisa Hofmann. Tonia, Lisa, das ist mein Mann Patrick Schwarz.“
„Ihr könnt mich gerne Patrick nennen, ich empfinde das „Du“ als angenehmer.“
„Oh, Mann.“, sagte Herr Schwarz sichtlich peinlich berührt, „jetzt habe ich euch beide einfach geduzt.“
Tonia, Lisa und Patrick grinsten.
„Und schon wieder.“, Herrn Schwarz war das sichtlich sehr peinlich.
Tonia und Lisa schauten sich kurz an, dann sagte Lisa:
„Sehr geehrte Herren, Tonia und ich nehmen erfreut ihre Einladung zum „Du“ an. Was Sie betrifft, Herr Henning Schwarz, bedarf es noch der Zustimmung. Wenn diese jedoch erfolgt, werden Frau Scherbius und meine Wenigkeit feierlich geloben, dass bei schulischen Aktivitäten das formale „Sie“ für immerdar auf unseren Lippen thront.“
Kleiner Knicks von Lisa. Kurze Stille. Dann mussten alle vier so lachen, dass sie viele Gäste zu ihnen umsahen.
„Was eine Meisterin des Wortes Du bist.“, sagte Patrick.
„Ich danke Ihnen, Meister Joda.“, sagte Lisa, „Soll ich mein Lichtschwert in der Küche abgeben? Es könnte dort nützlich sein.“
Tonia liebte Lisas Humor. Sie waren beste Freundinnen seit der fünften Klasse. Lisa war in ihrer Familie genau das, was Tonia in ihrer Familie war. Eine Außerirdische. So fühlten sie beide. Sie hatten beide sehr liebevolle Eltern, auch die Geschwister von Lisa waren für sie ganz okay, aber die Interessen gingen so stark auseinander, dass sich aus der Sicht der Beiden kaum ein gutes Gespräch mit der jeweiligen Familie machen ließ. Das brachte sie zusammen, obwohl ihre Interessen auch unterschiedlich waren. Tonia liebte Computer, Computerspiele, Rätsel, Mathematik, Physik, Phantasieromane und Filme.
Lisa liebte Bücher, Geschichte, Deutsch und Märchen, aber auch gerne gruselige Geschichten wie die von Edgar Allen Poe. Tonia zeigte ihr die Assassin Creed Reihe auf dem Computer, die in den unterschiedlichsten, historisch genau recherchierten Orten spielten. Lisa zeigte Tonia historische Romane, die sich genau mit diesen Zeiten beschäftigten. Das war ihre gemeinsame Flucht und Basis ihrer Freundschaft geworden.
„Gut, äh, dann hätten wir das ja geklärt“, sagte Henning,“ treibt euch gerne herum, mischt euch unter die Gäste, das Konzert beginnt in zehn Minuten.“
„Keine Sorge“ sagte Patrick,“ es wird ein kurzes Konzert.“ und lächelte ein sehr charmantes Lächeln wie Tonia auffiel. „Danach gibt es etwas Wundervolles zu essen.“
Mit dieser Ankündigung verschwanden Henning und Patrick im hinteren Teil der Wohnung. Tonia und Lisa standen etwas unschlüssig da. Sie waren noch nie bei so einer Gesellschaft gewesen. Alle hatten sich ein wenig herausgeputzt, aber nicht zu sehr. Zumindest mit ihrem Outfit hatten sie durch Glück genau getroffen. Es war offensichtlich eine sehr freie und gemischte Veranstaltung. Jeder und jede trug was er oder sie gerne mochte, jede Frisur, jeder Bart, jedes Tattoo, jede Figur Form ob männlich oder weiblich war anwesend. Aber eines war besonders an dieser Party. Anders als bei den Partys ihrer Eltern sprach niemand laut. Alle waren in Gespräche vertieft, konzentriert einander zuhörend, austauschend, alles machte auf Tonia den Eindruck, als würde es wirklich einen Gedankenaustausch geben.
„Du, Tonia“, sagte Lisa,“ hast Du etwas dagegen…“
„Nein, geh´ schon.“
Und Lisa zog es wie magisch zu den Köchinnen.
Das war ihre andere große Leidenschaft. Kochen. In Lisas Berufsträumen kollidierten immer wieder Köchin werden, ein Restaurant aufmachen mit Geschichte studieren oder Archäologin werden.
Nun stand Tonia allein in der Gesellschaft da. Ich versuche erstmal möglichst selbstbewusst durch den Raum zu gehen bis zum Fenster und versuche möglichst verträumt in den Garten zu schauen, dachte sie. Sie bahnte sich also sehr höflich den Weg durch die Menschen, die sie nicht weiter beachteten. Sie war kurz vor dem Fenster als ihr Nacken spürte, dass sie beobachtet wurde. Sie blickte zum Sofa. Da saß ein Herr allein mit einem Glas Wein in der Hand, so Mitte vierzig, rasiert, schwarze Haare, schwarzer Anzug, senffarbene Krawatte. Als sich ihre Blicke trafen, nickte der Mann ihr zu. Schnell unterbrach Tonia den Blickkontakt und ging weiter. Was war das denn jetzt dachte Tonia. Ist das hier so üblich? Dann kam sie zu der riesigen, bodentiefen Fensterfläche, von der man einen wunderschön beleuchteten Garten sah. In Tonias Augen war es mehr ein Park. Der nickende Mann war für sie verschwunden, sie stellte sich nur vor, wie es wäre, an einem Sommermorgen hier hinauszutreten und den Tag zu verbringen.
„Hey, Träumerin,“, sagte Lisa, die neben ihr auftauchte, “das Konzert beginnt. Komm mit.“
„Wo wollen wir denn sitzen?“ fragte Tonia noch etwas verwirrt von ihrem Tagtraum.
„Ich habe in der vierten Reihe zwei Stühle entdeckt, da liegen Zettel mit unseren Namen drauf. Kannst Du das glauben? Sogar so weit haben Henning und Patrick gedacht.“
Sie setzten sich, beide aufgeregt. Was kommt jetzt? Lisa hörte oft Musik, sie war auch schon oft zu klassischen Konzerten mit ihrer Musikklasse gewesen, außerdem spielte sie Flöte. Für Tonia war Musik immer Hintergrund in Filmen gewesen oder bei den Computerspielen. Ihre Mutter war ABBA-Fan, eine Popgruppe aus den Siebzigern, für Tonia langweilige Musik. Trotzdem war sie einmal mit ihrer Schwester und ihrer Mutter zu einem Konzert einer ABBA Cover Band mitgegangen. Tonia hatte keinen Zugang zu dieser Musik gefunden. Alle waren begeistert, ihre Mutter und ihre Schwester sangen alle Songs begeistert mit und tanzten. Aber sie war unberührt und fühlte sich wieder wie eine Außerirdische.
Und jetzt also dieses Konzert.
Patrick, Henning und eine Frau mit einem Cello kamen vom hinteren Teil des Hauses. Sofort setzen sich alle und es wurde still. Was wussten die anderen Gäste über diese Veranstaltung? dachte Tonia, alle begreifen sofort was jetzt angebracht ist. Henning setzte sich in die letzte Reihe, Patrick ging zum Klavier und blieb davor stehen, die Frau mit dem Cello setzte sich auf einen Stuhl neben dem Klavier, davor stand ein Notenpult, das Tonia noch nicht aufgefallen war.
„Liebe Freunde und Freundinnen,“, erhob Patrick sichtlich aufgeregt seine Stimme, „ich möchte euch zuerst eine wundervolle Freundin vorstellen. Am Cello: Christina Pavlova.“
Sehr freundlicher Applaus von allen, als würden sie wissen, wer sie ist.
„Wie ihr ja wisst, ist Christina normalerweise mit den Berliner Philharmonikern unterwegs, aber heute Abend macht sie mir die unendliche Freude mit mir diese Premiere zu spielen.“
Erneuter Applaus vom Publikum, Tonia und Lisa klatschten automatisch mit.
„Henning und ich haben viele Urlaube in Griechenland verbracht, wie die meisten von euch wissen. Ich habe eine Musik geschrieben, die euch nach Griechenland entführen will. Stellt euch vor, ihr geht in Piräus an Bord einer Fähre und fahrt nach Naxos oder Samos oder Kreta. Viel Spaß bei der Reise.“ sagte Patrick und setzte sich ans Klavier.
Alle waren still und konzentriert. Schon die ersten Akkorde des Klaviers, ein großer Konzertflügel, wie Tonia später lernte, die ersten zarten Töne des Cellos berührten sie in einer ungewohnten direkten Art. Noch nie hatte sie einen Flügel so gehört und gespürt, über ein Cello hatte sie noch nicht einmal nachgedacht, aber jetzt berührte es sie so sehr, dass sie wie unter einem Bann war. Dann kamen ihr Bilder in den Kopf, während Klavier und Cello sich vereinten. Sie sah glitzernde Wellen, ein schnelles Boot, Sonne und Licht. Tonia schloss die Augen. Sie kannte Griechenland von einem Computerspiel, aber jetzt war sie mit ihrem Herzen dabei. Diese Musik beschrieb das Meer, auf dem man sich befand, sie wurde dramatisch, wenn plötzlich aus dem Nichts eine Insel auftauchte, auf der ein Felsen über eintausend Meter in die Höhe ragte, abweisend und einladend zugleich. Dann änderte sich die Musik abrupt. Tonia war auf dieser Insel, an einem Strand mit den Füßen im Wasser, dann hörte sie eine volkstümliche Weise und sie träumte sich in eine Taverne, von denen sie Fotos kannte aus dem Internet, die Musik änderte sich wieder, jetzt verstand sie nicht gleich, woran sie denken sollte. Geduld, Tonia, sagte sie sich, nicht verstehen, fühlen und hielt die Augen geschlossen. Jetzt. Sie war unter Olivenbäumen, sie war unter Feigenbäumen und zwischen Weinreben. Dann tauchte in der Musik die Meermusik vom Anfang wieder auf. Nein, nicht weg gehen, dachte sie. Und dann begriff sie: die Rückreise. Die Musik endete, Tonia machte die Augen auf und der Applaus brach los. Nur Tonia und Lisa saßen still da.
„Willst Du ein Taschentuch?“, fragte Lisa.
„Gerne, Du könntest auch eines brauchen. Dein Mascara ist verschmiert.“
„Was interessiert mich mein Makeup!“, sagte Lisa lachend und fiel Tonia um den Hals.
Nach dem Konzert war die Gesellschaft eine andere. Es war, als hätte die Menschen eine gemeinsame emotionale Welle ergriffen. Alle hatten etwas erlebt, jeder/jede auf seine/ihre Weise. Die Lockerheit der Atmosphäre am Anfang hatte die Musik in Verbundenheit verwandelt. Jeder/jede sprach über Meer, Sonne, Wasser und Urlaubserlebnisse.
„Tonia“, sagte Lisa,“ hast Du etwas dagegen, wenn ich Dich kurz allein lasse?“
„Ich weiß schon, Du möchtest die Köchinnen beobachten. Geh´ schon“, sagte Tonia und lächelte.
Lisa nahm sie kurz in den Arm und ging zur Küche, aus der ein wundervoller Duft sich verbreitete. Tonia ging wieder zu einer der Fenster, noch ganz umfangen von den Bildern ihrer inneren Reise nach Griechenland. Noch nie hatte sie Musik so erlebt.
„Darf ich stören?“
Neben Tonia tauchte ein junger Mann auf, er stellte sich einfach an ihre Seite und sah ebenfalls aus dem Fenster.
„Oh, ja. Natürlich. Ich war etwas in Gedanken.“
Der junge Mann drehte sich zu ihr.
„Darf ich mich vorstellen, ich bin Shui-ta. Hat Dich die Musik auch so berührt?“
„Oh, ja, auf jeden Fall“, sagte sie etwas verlegen. Sie war es nicht gewöhnt, dass jemand, den sie nicht kannte, so direkte Fragen stellt.
„Mich auf jeden Fall auch. Es war für mich wie eine Urlaubsreise in eine andere Welt.“
„Für mich auch.“
Dann standen sie eine Weile vor dem Fenster und sagten nichts. Tonia konnte sich nicht mehr so richtig auf den Garten konzentrieren, denn sie betrachtete den jungen Mann in der Spiegelung im Fenster. Er war ungefähr 18 Jahre alt, dunkle Haare, er hatte einen deutlichen asiatischen Einschlag im Gesicht und erschien ihr athletisch gebaut zu sein. Sie hatte sich noch nie besonders für Jungs oder Männer interessiert, aber wenn….
„Freust Du Dich auf das Essen?“, fragte er.
„Oh, ja, auf jeden Fall, ich habe Hunger.“, antwortete Tonia, selbst überrascht von dem Gefühl, denn es war so. Sie hatte richtig Hunger. Der ganze Raum war inzwischen erfüllt mit phantastischen Düften.
„Gut, Tonia“, sagte er und wendete sich zu ihr,“ dann viel Spaß bei dem wundervollen Essen. Ich muss jetzt leider gehen, ich habe noch eine Verabredung mit ein paar Freunden. Es war schön, Dich kennengelernt zu haben.“
„Woher kennst Du meinen Namen?“, sagte Tonia überrascht.
„Henning hat ihn erwähnt, er sagte, dass Du kommen würdest.“
„Das hat er Dir erzählt?“
„Meinst Du denn, dies sei nur eine Konzerteinladung?“, sagte Shui-ta.
„Was denn sonst?“, Tonia verstand überhaupt nichts mehr.
„Das wirst Du noch herausfinden, Sodoku-Queen.“, sagte Shui-ta mit einem Lächeln.
„Sodoku-Queen? Was soll denn der Quatsch?“, sagte Tonia jetzt verwirrt.
„Pricilla, die Sodoku-Queen, so nennt Dich die Fangemeinde, weißt Du das denn nicht?“, fragte Shui-ta ungläubig.
Eine Gedankenfolge explodierte in Tonias Gehirn. Sie hatte vor drei Jahren, also mit 13 Jahren, angefangen Sodoku zu spielen. Ziemlich schnell hatte sie im Internet eine Plattform gefunden, auf der ganz viele Leute Sodoku spielten, und zwar auf Zeit gegeneinander. Das fand sie viel interessanter als allein im Sessel zu spielen. Sodoku war für sie immer eine Fingerübung nebenbei gewesen. Sie hatte das System in den meisten Levels sofort durchschaut und war immer weitergekommen. Am Anfang musste man bei der Internetplattform des Spieles einen Namen eingeben. Tonia hatte Pricilla eingegeben. Pricilla Presley, die Frau von Elvis Presley, dem Lieblingssänger ihres Vaters. Dann hatte sie angeblich weltweit alle Levels gewonnen und hatte das Portal verlassen. Damit war es für sie abgeschlossen. Wie konnte Shui-ta davon wissen? Sie drehte sich um. Shui-ta war weg, keine Spur von ihm. Wie konnte er wissen, dass sie, Tonia, im Sodoku-Spiel Pricilla war?
„Liebe Freundinnen und Freunde“, meldete sich Henning Schwarz zu Wort,“ das Buffet ist eröffnet!“
„Tonia, Tonia, komm mit, das musst Du probieren. Unbeschreiblich, sagenhaft, ich will Köchin werden!“
In Tonias Augen war Lisa außer Rand und Band. Aber sie hatte recht. Tonia arbeitete sich langsam durch die Geschmacksrichtungen des Buffetts. Sie nahm immer nur eine kleine Portion von einem Gericht auf den Teller, probierte es, wundervoll, nahm dann einen neuen Teller, neues Besteck, damit kein Geschmack den anderen überlagern konnte. Dann das nächste Gericht. Mit jedem ihrer kulinarischen Köstlichkeiten zog sie sich zurück auf einen kleinen Stehtisch etwas am Rande. Da war sie allein mit dem Geschmack und hatte Lisa im Blick, die den Köchinnen half, die Küche aufzuräumen.
„Darf ich Sie stören?“
Tonia drehte sich mit einer zauberhaften Mousse au Chocolat im Mund um. Der Mann mit dem schwarzen Anzug und der senffarbenen Krawatte.
„Mhmm, mhm“, Tonia schluckte, „oh ja, äh, sicher, gerne.“
„Sie sind also Antonia Scherbius“, sagte der Mann, „darf ich mich vorstellen, ich bin Vladimir Aztak.“
Schon wieder eine Explosion in ihrem Kopf.
„Woher kennen Sie meinen Namen?“
„Oh, Henning hat ihn mir genannt, er sagte, dass Sie kommen würden.“
„Er hat es Ihnen auch erzählt?“
Tonia hielt sich für sehr clever, weil sie das „auch“ besonders betont hatte. Sie wollte herausfinden, ob Shui-ta und Herr Aztak sich kannten, aber Herr Aztak fuhr ohne Reaktion fort.
„Es gibt keinen Anlass zur Sorge, wir sind Gleichgesinnte, die nach Freunden suchen, und Sie scheinen eine Gleichgesinnte zu sein.“
„Ich verstehe kein Wort.“, antwortete Tonia leicht genervt, „ich hole mir jetzt einen Espresso.“
Tonia holte sich einen Espresso, drehte sich um und sah, dass der Mann immer noch an dem Stehtisch stand.
„Okay, Herr Aztak, ich bin nicht so ganz verblödet, dass ich an dusselige Zufälle glaube. Erst Shui-ta, jetzt Sie. Was passiert hier?“
Der Mann mit dem schwarzen Anzug und der senfgelben Krawatte sah sie freundlich an.
„Sehr geehrte Frau Scherbius“, sagte er, „wir möchten Sie anwerben für Commitment.“
„Was ist Commitment?“, sagte Tonia sehr verwirrt.
„Commitment ist eine Organisation, die sich der Rettung des Planeten Erde verschrieben hat, aber vielleicht mit ungewöhnlichen Mitteln.“
„Ungewöhnliche Mittel?“, Tonia verstand gar nichts.
„Liebe Frau Scherbius, dies ist nicht der Ort, um das Thema zu vertiefen. Spielen Sie morgen Abend wie gewohnt ihr favoriertes Spiel und wir treffen uns auf dem Level 87 im Wald. Da können wir in Ruhe miteinander reden.“
Der kannte sogar ihre Levels im Computerspiel. Tonia bekam Angst.
„Liebe Frau Scherbius, ich möchte Ihnen keine Angst machen, ich möchte Ihnen nur eine Idee unterbreiten. Aber das würde ich lieber auf Level 87 tun. Und fragen Sie doch bitte Ihren Vater nach den Unterlagen Ihrer Vorväter und Mütter auf dem Dachboden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“
Sagte er und ging direkt zur Haustür. Tonia blieb in ihren Gedanken regungslos am Tisch stehen. Die dritte Gedankenexplosion an diesem Abend. Das hatte alles einen Zusammenhang, aber welchen? Vollkommen sinnlos darüber nachzudenken. Sie hatte zu wenig Informationen. Ein Gedanke machte ihr besonders zu schaffen. Wieso wusste Herr Aztak etwas über Unterlagen auf dem Dachboden in ihrem Haus? Jetzt fehlte nur noch, dass Herr Aztak mit Ihren Eltern befreundet war! Ah! Was war hier los?
„Tonia, komm, wir müssen uns verabschieden.“, sagte Lisa, die an ihren Tisch gekommen war.
„Verabschieden?“, sagte Tonia, die noch vollkommen in ihrer Vermutungswelt war.
„Es ist zehn Minuten vor zehn. Gleich steht Max mit dem Taxi vor der Villa. Wir sollten unsere Abschiedsrunde machen.“
„Ach so, ja, natürlich.“ Tonia fand langsam in die Realität zurück. Sie gingen also zu Patrick und Henning, die sich gerade miteinander am Flügel unterhielten.
„Wie hat euch die Musik gefallen?“ platzte es aus Patrick heraus.
Tonia als auch Lisa traten in der Erinnerung der Musik sofort wieder die Tränen in die Augen.
„Das ist der schönste Applaus von zwei so empathischen jungen Menschen, den ich jemals bekommen habe. Danke.“, sagte Patrick.
„Ja, dann, ihr beiden, eure Heimfahrt ist organisiert, wie Lisa mir erzählt hat?“, fragte Henning.
„Das Taxi wartet draußen. Max ist sehr zuverlässig.“, sagte Lisa.
“Wir bedanken uns für euren Besuch“, sagte Henning, „kommt gut nach Hause und eine gute Nacht. Und ab Montag wieder Herr Schwarz. Richtig? Frau Lisa Möbius und Frau Antonia Scherbius?“
„Sehr geehrte Herren der Muse und der Rechenkunst, Jungfer Antonia und Jungfer Lisa bedanken sich aufrichtig für Musik, Speis´ und Trank in Ihrer Behausung. Unser Dank wird Ihnen immerdar sein, bis Ihre Urenkel Ihr Loblied singen auf den Gräbern der Atomkraftwerke.“
Alle lachten spontan los, Lisa hatte wieder eine Glanzleistung vollbracht.
Tonia und Lisa gingen zum Taxi von Max, der schon wartete. Er war empfing sie mit den Worten:
„Das freut mich ja nun wirklich. Zwei nette junge Damen, die sich an Verabredungen halten. 21:59 Uhr. So habe ich das gerne.“
Und er fuhr los. Und dann legte Lisa los.
„Hast du das Essen probiert? Das war doch der Hammer. Ein Gericht besser als das nächste. Hast Du alles probiert?“
„Das habe ich nicht ganz geschafft.“
„Ich habe alles probiert. Shuriko und Ahou sind Künstlerinnen. Unglaublich. Sie kochen wie Fehen. Sie gleiten über die Töpfe, sie zaubern aus den Schubladen die Zutaten und tanzen um alles herum.“
„Warst Du an der Hausbar?“, fragte Tonia grinsend, aber Lisa hörte sie gar nicht.
„Und hast Du das gesehen? Neben jedem einzelnem Gericht stand eine Liste mit sämtlichen Inhaltsstoffen. Alles! Jeder/jede konnte klar erkennen was er/sie isst. Natürlich war alles Bio, Allergiker konnten absolut sicher sein. Die Beiden haben sogar die Kochinstrumente sofort gereinigt, wenn sie mit bekannten Problemlebensmitteln in Kontakt gekommen waren.“
Lisa war euphorisch.
Tonia zählte auf: „Du bist allergisch gegen Kichererbsen, Linsen, Erbsen, bestimmte Sorten Fisch, Koriander, Erdnüsse, Walnüsse, Pistazien…“
Dann unterbrach sie Lisa.
„Sie haben mir kleine Speisen gemacht, nur für mich!“ Lisa strahlte, das war selbst im dunklen Taxi zu sehen.
„Dann haben wir noch …“, Lisa stockte, „Oh Mann, ich habe gar nicht nach Deinem Abend gefragt. Was hast Du denn nach der wundervollen Musik erlebt?“
Tonia er zählte ihr fast alles, von den merkwürdigen Gesprächen, von Commitment und von den Dingen, die angeblich auf dem Dachboden waren, nur von der Verabredung im Internetspiel sagte sie nichts, das wollte sie erstmal allein herausfinden.
„Shui-ta und Aztak?“ fragte Lisa grinsend.
„Was soll denn Dein Grinsen?“
„Verstehe ich recht, Ihr sprecht von Brecht?“ gab Lisa zurück.
„Was soll denn das jetzt?“ Tonia hatte keine Ahnung, was Lisa meinte.
Lisa grinste weiter: „Wo immer wir heute Abend hingeraten sind und wie wundervoll es auch war, diese Einladung von Henning war kein Zufall.
„Ich verstehe es immer noch nicht ganz.“ sagte Tonia, hatte aber so eine Ahnung.
„Die beiden Herren, die Du heute Abend kennengelernt hast, haben sich Namen aus Theaterstücken von Bertold Brecht ausgeliehen.“
„Woher weißt Du das?“, fragte Tonia.
„Wir hatten Bertold Brecht in Darstellendes Spiel. Offensichtlich wollten sie ihre wahren Namen nicht sagen.“
„Und was haben Henning und Patrick damit zu tun?“ fragte Tonia.
„Keine Ahnung. Aber es wäre interessant, es herauszufinden.“
Sie kamen bei Tonia an. Tonias Vater stand schon in der Haustür, er bedankte sich bei Max, bezahlte ihn, und Max fuhr davon in seinen verdienten Feierabend.
„Dann ist ja alles klar.“, sagte Tonias Vater mit kleinen Augen, er war wirklich schon sehr müde, „Schön, dass ihr beide so verlässlich seid. Ihr könnt mir morgen alles erzählen. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Herr Scherbius.“
„Gute Nacht, Papa.“
Tonia wusste, dass ihr Vater extra für die beiden aufgeblieben war. Sein Wecker klingelte an einem Arbeitstag um halb fünf Uhr morgens, und am Wochenende ließ sich seine innere Uhr nicht so leicht umstellen. Tonias Mutter und ihre Schwester hatten sich diesem Rhythmus angepasst, und waren auch schon ins Bett gegangen, nur Tonia war und blieb eine Eule, die nachts erst munter wurde.
Sie gingen hoch in Tonias Zimmer, in dem schon alles für Lisas Übernachtung vorbereitet war, inklusive Handtücher und einer Flasche Wasser am Bett.
„Deine Mutter. Die ist echt lieb zu mir.“
„Sie kann Dich eben auch gut leiden.“ sagte Tonia und ging zu ihrem Schreibtisch. Lisa hatte das „auch“ sofort gemerkt. So kannte sie Tonia, aus dem Nichts bekam man von ihr immer wieder große Zuneigung.
„Ich wollte nochmal kurz den Computer hochfahren. Hast Du was dagegen?“ sagte Tonia.
„Nein, gar nicht.“ sagte Lisa, „Ich kann mir schon denken, was Du tun willst. Aber warum machst Du das nicht mit dem Handy.“
„Mein Computer ist besser geschützt. Wenn Commitment schon mit Theaternamen sich bei mir vorstellt, dann ist da wohl etwas Geheimes dabei.“
„Ja, los. Lass uns suchen. Ich bin sowieso kein Stück müde.“
Also suchten sie. Und suchten. Nichts, absolut nichts. Keine Organisation mit dem Namen, keine Erwähnungen in den Medien, keine Suchmaschine hatte auch nur den kleinsten Hinweis auf eine Umweltorganisation mit dem Namen „Commitment.“ Nach fast zwei Stunden gaben sie auf.
„Auf jeden Fall ist jetzt zwei Dinge klar.“, sagte Tonia, “Erstens wollen sie nicht gefunden werden und Zweitens finanzieren nicht durch Spenden.“
„Wie kommst du darauf?“ fragte Lisa.
„Wenn die so eine Vereinigung wären wie Greenpeace, dann müssen sie auf sich aufmerksam machen, denn Greenpeace finanziert sich durch Spenden. Commitment tut das nicht.“
„Und was ist, wenn sie sich einen Spaß mit Dir erlaubt haben?“ fragte Lisa.
„Das glaube ich nicht. Aztak hat immerhin behauptet, dass er wusste, was bei uns auf dem Dachboden ist.“
„Aber wir wissen nicht, ob das tatsächlich so ist.“
„Stimmt. Das sollten wir gleich morgen überprüfen.“ sagte Tonia.
„Wollen wir jetzt mal ins Bett gehen? Ich werde gerade müde, wir können ja noch quatschen, wenn das Licht aus ist.“ Lisa gähnte.
Also machten sie sich bettfertig, legten sich ins Bett, machten das Licht aus und quatschten weiter bis drei Uhr.
Lisa wurde langsam wach. Sie hatte gerade in Ihrer Traumwelt mit Ahou und Shuriko in einer Stadt ein Restaurant eröffnet. Sie verließ nur ungern den Traum, aber das Geklapper des Kochgeschirrs in ihrem Traum war langsam übergegangen in das Geklacker einer Computertastatur. Lisa blickte zum Schreibtisch, Tonia saß vor ihrem sehr großen Bildschirm und war sehr konzentriert.
„Guten Morgen.“ sagte Lisa.
„Guten Morgen.“ gab Tonia zurück, ohne ihren Blick vom Bildschirm zu wenden, „habe ich Dich geweckt?“
„Sagen wir mal so: Du hast mich mit dem Geklacker aus einem sehr schönen Traum geholt.“
„Das tut mir leid, das wollte ich nicht.“, sagte Tonia und drehte sich zu Lisa um, „Mich hat die Neugierde nicht mehr schlafen lassen.“
„Ist schon okay. Ist die verehrte Familie schon zur Jagd geritten, wertes Fräulein?“
„Nein, meine Teure, dem Grafen der Steine beliebte es wie jeden Morgen die Verbesserung der Ernährungslage zur frühen Morgenstund´ zu erledigen. Währenddessen war die Gräfin der kranken Gehirne und der Wälder im Küchenbereich tätig. Sämtliche sehr wohlschmeckende Erzeugnisse finden Sie eben dort. Ebenfalls finden Sie dort ein feines Getränk aus dem sagenhaften China. Es nennet sich Tee. Sehr bekömmlich.“
„Wie kannst Du nur so einen Quatsch am Morgen dichten, während Du irgendetwas in die Tastatur hämmerst.“, fragte Lisa.
„Oh, diesen Sprachstil hat mir eine gewisse Lisa Möbius beigebracht, das kann ich inzwischen nebenbei, außerdem mache ich nur simple Recherche.“
„Was suchst Du?“
„Schnapp´ Dir doch erstmal einen Tee. Meine Schwester hat Croissants gebacken.“
„Echt? Bin gleich wieder da. Du hast alles, was Du brauchst?“
„Och, äh, noch ein Croissant wäre toll. Und meine fußballbegeisterte Familie ist längst auf dem Weg ins Stadion. Wir haben freie Bahn.“