Tortenzauber - Nicole Kordek - E-Book

Tortenzauber E-Book

Nicole Kordek

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es sollte die Hochzeitstorte ihrer Träume werden, die Charlotte `Lotta´ Kemburg zusammen mit der Konditorin Marie Bürmer für ihre Hochzeit mit Alexander von Laurenbach kreieren wollte. Doch beim ersten gemeinsamen Termin findet Lotta ihre ehemalige Schulkameradin tot in der Backstube. Nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hat, begibt sie sich auf die Suche nach der Todesursache. Denn dass es sich um einen tragischen Unfall handelt, kann sie einfach nicht glauben. In der Welt der Torten, Petits Fours und süßen Köstlichkeiten verfolgt sie mit Beharrlichkeit und detektivischem Spürsinn ihr Ziel: die Aufklärung der Umstände, die wirklich zu Maries Tod geführt haben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 170

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Über die Autorin

Nicole Kordek, geboren in Rheine, lebt und arbeitet im Münsterland. Sie studierte an den Universitäten Greifswald und Düsseldorf, arbeitete während ihres Praktischen Jahres in Göttingen und Peterborough/England und ist als promovierte Pharmazeutin seit vielen Jahren in der Industrie tätig.

In Kindertagen hat sie mit der Schreibmaschine ihrer Mutter kurze Geschichten geschrieben. Diese Begeisterung fürs Schreiben hat sie nie losgelassen. Nach „Hoferbe“ ist „Tortenzauber“ ihr zweiter Roman mit der Detektivin Charlotte „Lotta“ Kemburg.

Mit ihrer Familie lebt die Autorin in der Nähe von Münster/ Westfalen.

Für Karola und Ludger

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 1

„Und, Schwesterherz, bist du immer noch so begeistert von deinem Aufbaustudium? Die Vorlesungszeit des ersten Semesters ist doch bald zu Ende, da hast du dir bestimmt schon eine Meinung gebildet. Wirst du Kriminologin oder doch eher kriminell?“ Jule schaltete das Radio ein und startete den Motor ihres kleinen Stadtflitzers.

Na toll, mit so einem Gesprächseinstieg hatte Charlotte nicht gerechnet. Jetzt galt es also direkt, kreativ zu werden und das Notlügenkästchen zu öffnen. So ist das, wenn nur der Verlobte vom Detektiv-Dasein seiner Liebsten weiß – das gesamte Umfeld, weder Familie noch Freunde, aber nicht. Zum Glück konnte Alexander schweigen.

„Bislang finde ich es ziemlich gut. Es werden wirklich interessante Fälle besprochen. Ich bin gespannt, was die nächsten Semester bringen. Aber ehrlich gesagt geht es auch viel um statistische Analyseverfahren.“ In der Hoffnung, weitere Fragen zu diesem Thema zu vermeiden, fragte Charlotte direkt zurück. „Weißt du, wo wir hinmüssen?“

„Klar doch.“

Jule hatte Charlotte zu Hause abgeholt, um mit ihr zum ,Törtchen‘ nach Münster zu fahren. Das war eine kleine Konditorei in der Altstadt, die unter anderem wunderbare Hochzeitstorten herstellte. Dort waren sie also genau richtig: Für ihre anstehende Hochzeit wollten sie die Torte aussuchen, und zwar nicht irgendeine, sondern die ultimative – natürlich. Das hatten sich die Charlotte und Alexander auf jeden Fall vorgenommen, als sie vor Wochen den Termin Ende April festgelegt hatten. Emma, die dritte der Schwestern, machte gerade ein Praktikum in Spanien und war deshalb nicht dabei.

„Wie sind deine Kommilitonen denn so drauf? Und die Dozenten?“

Jule ließ nicht locker.

„Die sind alle o.k. Aber lass uns doch bitte über etwas anderes als berufliche Dinge sprechen, ja? Wann waren wir zwei eigentlich das letzte Mal bei Marie und haben uns dem Zucker hingegeben?“

Charlotte lächelte Jule von der Seite erwartungsvoll an.

Wenn Jule auf ihr Ablenkungsmanöver nicht einginge, würde das eine sehr lange Autofahrt für sie werden.

„Lass mich überlegen. Mmhh. Das muss fast ein Jahr her sein. Erinnerst du dich? Wir hatten für Papas Geburtstagsfeier eine Torte bei ihr bestellt. Emma war beim Abholen auch dabei und wir konnten der süßen Versuchung einfach nicht wiederstehen und haben uns alle ein Stückchen gegönnt. Hast du Marie zwischendurch nicht getroffen?“

Charlottes Taktik schien aufzugehen.

„Nein, leider nicht. Unsere gemeinsame Grundschulzeit ist ja nun auch schon ein paar Jährchen her, so eng waren wir damals nicht befreundet. Es war eher Zufall, dass ich ihren Namen auf dem Flyer, den sie damals zur Eröffnung des ,Törtchens‘ verteilen ließ, wiedererkannt habe. Die liebe Marie Bürmer und ihre Konditorei. Ich freue mich darauf, sie wiederzusehen.“

Ihre Anspannung wich und mit einem tiefen Atemzug ließ sie sich in den Beifahrersitz sinken.

„Toll, dass sie uns einen Termin an ihrem freien Nachmittag gegeben hat. Vielleicht hat sie ja ein paar Kleinigkeiten zum Probieren für uns vorbereitet. Ich hätte wohl Appetit.“

Jule drehte das Radio etwas lauter. Vergnügt vor sich hin summend, wiegte sie sich im Rhythmus der Musik.

Wie unterschiedlich sie und ihre Schwestern doch waren, dachte Charlotte, als sie Jule beobachtete. Eines hatten alle drei gemeinsam: ihren Dickkopf, der ihren Vater als einziges männliches Wesen in einem Vier-Frauen-Haushalt oft an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Vom Charakter und Aussehen her waren sie aber sehr unterschiedlich.

Charlotte hielt sich selbst für relativ nüchtern, ruhig und vernünftig. Jule war mehr die emotionale Femme fatale, die ihren Gefühlen immer freien Lauf ließ, deswegen aber nicht weniger ehrgeizig als Charlotte war. So zum Beispiel beim Sport: Jule hatte kurze blonde Haare, damit sie beim Sport nicht störten, und war vom Körperbau her eher drahtig, was zu ihrer Leidenschaft Triathlon passte. Charlotte joggte zwar gerne, aber das war es schon an sportlichen Aktivitäten. Das Nesthäkchen Emma war die Verträumte, immer ein bisschen liebenswert verpeilt und blauäugig durchs Leben laufend. Und Emma liebte Süßes und ihre Yogakurse.

Ja, ja, die drei Schwestern.

Jule riss Charlotte aus ihren Gedanken.

„Sie hat nicht zufällig einen charmanten, gut aussehenden Bruder, der auch Konditor und dazu noch Single ist? Das wäre die perfekte Kombination für mich.“

„Was ist denn mit Robert?“, fragte Charlotte erstaunt. Sie kam bei den ständigen Freundeswechseln ihrer kleinen Schwester kaum noch mit.

„Ach der. Ja. Nee. Das war nichts mehr mit uns beiden. Unsere Beziehung funktionierte einfach nicht. Wir haben uns in Freundschaft getrennt.“

„Ist klar.“

„Wirklich! Aber jetzt erzähl: Hat Marie einen netten Bruder?“

„Nein, hat sie nicht“, berichtete Charlotte kopfschüttelnd.

„Soweit ich mich erinnern kann, hat sie überhaupt keine Geschwister. Ihre Familiengeschichte ist eher traurig.“

„Wieso?“

„Nachdem ich den Flyer gesehen hatte, habe ich sie Wochen später im ,Törtchen‘ besucht. Wir haben uns nach so langer Zeit tatsächlich wiedererkannt und sie hatte gerade etwas Luft zu plaudern. Sie erzählte mir, dass sie die weiterführende Schule besucht und anschließend die Lehre als Konditorin begonnen hatte, als ihre Eltern bei einem schlimmen Autounfall starben. Das hat sie ziemlich aus der Bahn geworfen und sie musste eine längere Pause einlegen.

Zum Glück spielte ihr Arbeitgeber mit.“

„Beide Elternteile? Das ist hart.“

„Nachdem sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte, führte sie die Ausbildung fort und beendete sie erfolgreich, sogar als Jahrgangsbeste, wenn ich mich richtig erinnere.

Du musst wissen, dass ihr Vater Bäcker war. Die Trauer und den Verlustschmerz schien sie in Ehrgeiz umgewandelt zu haben. Seitdem ging es auf jeden Fall beruflich stetig bergauf. Es folgte die bestandene Meisterprüfung, dann die Eröffnung der eigenen Konditorei inklusive Café. Die Köstlichkeiten, die sie zaubert, sind aber auch einfach zu wunderbar – nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch. Hammer.“

Charlotte kramte in ihrer Tasche nach dem Handy. Sie öffnete die Fotos, die Marie Bürmer ihr von einigen Hochzeitstorten geschickt hatte, die aus ihrer Backstube stammten.

„Die Fotos hatte ich dir doch gezeigt, oder? Die sehen unglaublich gut aus, finde ich.“

„Ja, ja. Die sind großartig.“

Jule schien Maries Schicksal nicht loszulassen. Mit ernstem Blick und besorgtem Unterton hakte sie nach: „Kurz noch mal zu Marie: keine Geschwister, keine Eltern, selbstständig, gerade mal dreißig Jahre alt. Hat sie überhaupt noch ein eigenes Leben? Ich meine, so ein Laden läuft ja auch nicht von alleine. Feierabend, Urlaub, Freunde, Hobbys?

Gibt es so etwas für sie überhaupt noch?“

Für einen kurzen Moment schauten die Schwestern nachdenklich auf die Straße und schwiegen.

„Ich kann es dir nicht sagen“, sagte Charlotte schließlich.

„Aber weißt du was: Ich freue mich so sehr über unseren gemeinsamen Ausflug zum ,Törtchen‘ und auf die Aussicht, ein weiteres schönes Puzzleteil für unsere Hochzeit zu finden, dass ich mir über Maries Leben im Augenblick keine Gedanken machen möchte. Ist das o.k. für dich?“

Jule nickte.

„Ich weiß, dass sie die Inhaberin und Chefin vom ,Törtchen‘ ist und dass eine weitere Konditorin bei ihr arbeitet.

In dem Café hat sie im Service Studenten als Aushilfskräfte eingestellt. Man kann also nur hoffen, dass sie sich so gut organisiert hat, dass sie ihr Leben auch genießen kann.“

„Das hoffe ich auch“, sagte Jule und seufzte.

Eine Weile lauschten beide der fröhlichen Musik, die aus dem Autoradio kam. Charlotte durchstöberte noch mal Maries Tortenfotos auf dem Handy.

„Ich hätte sogar eine Favoritin unter all diesen hübschen Hochzeitstorten, bei der ich mir sicher bin, dass sie Alexander auch gefallen würde.“

„Dann haben wir es ja schon.“ Jule klopfte Charlotte mit ihrer Hand auf den Oberschenkel. „Was machen wir dann eigentlich hier?“, fragte sie grinsend.

Inzwischen waren sie fast am Ziel angekommen, geschickt lenkte Jule ihren Wagen in die schmalen Altstadtsträßchen.

Jetzt galt es nur noch, einen Parkplatz zu finden. Und das war in Münster eine echte Herausforderung.

„Da vorne ist es doch, richtig?“

„Genau. Und schau mal, direkt gegenüber ist auch ein Parkplatz frei. Kommst du da rein?“

„Aber selbstverständlich.“

In zwei Zügen stand Jules Auto perfekt in der Parklücke.

Beide schauten aus dem Fenster auf Maries Konditorei.

Die Räumlichkeiten lagen im Erdgeschoss eines schönen Altbaus. Neben der gläsernen Eingangstür war ein großes bodentiefes Fenster, das den direkten Blick auf die Theke und den Cafébereich freigab. Holzrahmen von Tür und Fenster waren in einem hellen Blau gestrichen. Zwei Treppenstufen führten ins ,Törtchen‘, das für Gäste einen gemütlichen, kleinen Bereich zum Verweilen mit hübschen Holztischen und bequemen Stühlen bot. Von den hohen Decken hingen schlichte Lampen, eine über jedem Tisch.

Alles war dunkel, was nicht verwunderlich war, denn in der Tür prangte gut sichtbar ein Schild mit der Aufschrift „Geschlossen“.

Charlotte nebst Gast sollten durch den Hintereingang kommen. Marie hatte ihr den Weg beschrieben: durch die Einfahrt rechts vom ,Törtchen‘ auf den Hof gehen und direkt an der ersten Tür links klingeln.

„Das sieht wirklich total süß aus“, meinte Jule. Sie kicherte.

„Dann wollen wir mal die Braut unter die Haube bringen.

Und damit meine ich nicht nur die Kuchenhaube. Auf geht’s, große Schwester.“

Sie lösten ihre Anschnallgurte und stiegen aus.

Kapitel 2

Der für Januar mittlerweile typische Münsterländer Regen – Schnee gab es nur noch alle paar Jahre – hatte in der Nacht aufgehört. Es war aber immer noch recht bewölkt und windig. Trotz des trüben Wetters überquerten Jule und Charlotte mit hochgeschlagenem Kragen lachend und plappernd die schmale Straße und schritten durch die Einfahrt.

Im Hinterhof stand ein kleiner Lieferwagen, auf dem in verschnörkelten pinken Buchstaben ,Törtchen‘ stand. Als Charlotte auf den Klingelknopf drückte, war der Ton auch draußen gut zu hören. Sie warteten einen Moment, und nachdem niemand öffnete, schellten sie erneut.

„Komisch.“ Charlotte schaute auf ihre Uhr. „15 Uhr hatten wir vereinbart.“

Jule griff zur Türklinke und drückte sie nach unten. Die Tür öffnete sich.

„Wenn das mal keine Einladung ist einzutreten“, sagte sie.

„Hallo! Hallo Marie! Wir sind’s. Charlotte und Jule Kemburg.“

Es antwortete niemand. Plötzlich klingelte Charlottes Handy in ihrer Tasche und ließ beide Frauen zusammenzucken. Charlotte zog es hervor, auf dem Display erschien Alexanders Foto und Name.

„Ich muss kurz ran.“

„O.k., dann gehe ich schon mal vor.“

Charlotte nahm ab. „Hallo Schatz.“

Bei diesen Worten verdrehte Jule die Augen, lächelte und verschwand durch die geöffnete Tür.

Plötzlich hörte Charlotte ein leises ‚Hilfe‘. Sie stutzte.

„Hilfe!“ Der Ruf wurde lauter.

Das war doch die Stimme ihrer Schwester.

Jetzt drang ein panisches „Hilfe! Lotta! Hilfe! Bitte komm schnell!“

„Alexander, ich muss Schluss machen. Da stimmt was nicht. Bis später“, unterbrach sie ihn und legte auf.

Sie eilte durch den schmalen Flur. Wo war denn wohl die Backstube? Am Ende des kurzen Ganges lag ein ebenfalls sehr beengtes Treppenhaus. Die Treppe führte sowohl in die Obergeschosse als auch in den Keller. Außerdem standen ihr zwei Türen zur Wahl, wobei die eine wie die eines Kühlraums aussah und verschlossen war. Die andere stand einen Spalt breit offen.

Charlottes Herz schlug bis zum Hals. „Jule?“

„Hier! Hilfe!“, drang es aus dem Raum hinter der geöffneten Tür.

Sie stürmte hinein und fand sich in der Backstube wieder.

Küchenmaschinen zum Teigrühren und andere Gerätschaften – alles in XXL – standen auf Edelstahlschränken an der einen Wand. Die Backöfen an der anderen. Gegenüber eine Tür, die vermutlich in den Verkaufs- und Cafébereich führte. Rechts von ihr ragte ein übergroßer Edelstahltisch auf. Darauf warteten zwei aufgeschlagene Ordner mit großen Fotos von Hochzeitstorten. Da hatte sich also jemand vorbereitet, registrierte Charlotte. Sie sah ihre Schwester auf der anderen Tischseite. Kreidebleich und am ganzen Körper zitternd. Mit wenigen Schritten umrundete sie den Tisch. Da sah sie sie auf dem Boden liegen. Fast wäre sie ausgerutscht, konnte sich aber gerade noch fangen und hielt sich krampfhaft an der Edelstahltischkante fest. Ihr Gehirn brauchte einen Moment, bis sie begriff, was sie sah.

„Was ist …“ Ihr blieben die Worte im Hals stecken. „Oh mein Gott! Was? Wer?“

Sie legte einen Arm um ihre schluchzende Schwester. Jule musste so schnell wie möglich hier raus, war der einzige Gedanke, der Charlotte durch den Kopf schoss. Sie wollte sie nach draußen führen, aber ihre Schwester rührte sich kein Stückchen.

„Jule, komm. Du musst hier weg. Ich helfe dir.“

Keine Reaktion. Charlotte versuchte es lauter und im Befehlston. Das half.

Draußen im Hof stand ein weißer Plastikstuhl, daneben ein überfüllter Aschenbecher. Sie setzte Jule auf den Stuhl, streichelte ihr übers Gesicht und sagte ihr, dass sie gleich wieder bei ihr sei. Jule nickte tapfer, Tränen liefen ihr über die Wangen. Charlotte versuchte, sie zu beruhigen, und umarmte sie einmal fest. Dann rannte sie zurück in die Backstube.

„Jetzt nur die Ruhe bewahren, Lotta“, dachte sie.

Sie umrundete den Tisch und wäre erneut fast gestürzt. Was war das nur für ein Schmierfilm auf dem Fliesenboden? Sie ging in die Hocke und entdeckte unter dem Tisch eine leere Speiseöl-Flasche. Kein Wunder, dass es hier spiegelglatt war.

Charlotte hatte Marie Bürmer sofort erkannt. Da die Konditorei heute geschlossen hatte, hatte sie zwar keine Arbeitskleidung an, dennoch war die Person auf dem Boden eindeutig ihre alte Schulkollegin. Vorsichtig trat sie näher.

Maries Kopf lag in einer merkwürdigen, unnatürlichen Position da. Rund um sie hatte sich eine große Blutlache gebildet. Maries brünette Haare waren vom Blut vollkommen verklebt. Mehr konnte Charlotte nicht erkennen. In der Hoffnung, dass sie nur unglücklich gestürzt und ohnmächtig war, sprach Charlotte sie an.

„Marie. Hallo Marie. Hörst du mich?“

Doch sie bekam keine Antwort. Sie griff nach Maries Hand.

Sie fühlte sich warm an.

„Hallo Marie! Kannst du mich verstehen?“

Mit der einen Hand hielt sie Maries schlaffen Arm, mit der anderen suchte sie den Puls. Nichts. Marie Bürmer war tot.

Sie spürte, wie auch sie anfing zu zittern und ihr Körper sich verkrampfte.

Was war hier passiert? Wie kam das Speiseöl auf den Boden, in dessen Lache Marie lag? Selbstverständlich bewegte Charlotte die Leiche keinen Zentimeter und fasste sie auch nicht mehr an. Die Ordner mit den Fotos hatte sie wohl für Jule und sie bereitgelegt. Irgendwo stand bestimmt auch eine Flasche Prosecco mit drei Gläsern und ein paar Petits Fours, um in netter Gesellschaft fröhlich ihre Hochzeitstorte auszuwählen. Das durfte doch nicht wahr sein!

Charlotte versuchte, sich zu beruhigen und alles, was sie in dem Raum sah, abzuspeichern. Später würde sie sich zu Hause Notizen dazu machen. Jetzt musste die Polizei gerufen werden. Sie wunderte sich ein wenig über sich selbst, dass sie in der Lage war, relativ klare Gedanken zu fassen.

War das die Lehre aus ihrem ersten Fall bei der Detektei Phönix, bei dem sie ins kalte Wasser gesprungen und gezwungen gewesen war, direkt so einiges mitzumachen?

Sie ging zurück nach draußen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Ihre Schwester saß zusammengesunken auf dem Stuhl, sie weinte immer noch.

„Ist Marie …“ Die Stimme versagte ihr.

„Ja, Julchen, sie ist tot.“

Jule schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Charlotte griff zum Handy und wählte die Notrufnummer der Polizei. In kurzen Sätzen schilderte sie die Lage.

Nur wenige Minuten später waren zwei Polizeiautos vor Ort; kurz darauf traf ein Leichenwagen ein. Jules und Charlottes Daten und Aussagen wurden aufgenommen, außerdem wurden sie gebeten, sich in den nächsten Tagen für weitere Fragen zur Verfügung zu halten. Die Frage, ob sie einen Transport nach Hause benötigten, verneinte Charlottes dankend.

Sie ließ sich von Jule den Autoschlüssel geben und bugsierte sie auf den Beifahrersitz. Dort brach ihre Schwester vollkommen zusammen. Charlotte nahm sie tröstend in die Arme. Nachdem sie sich ein bisschen beruhigt hatte, legte Charlotte den Gang ein und fuhr los.

Zu Hause in ihrer Villa Kunterbunt bereitete sie schnell ein Bad für die immer noch zitternde Jule vor, das würde ihr bestimmt guttun. Sobald ihre Schwester in der großen Wanne mit duftendem Schaum abgetaucht war, schnappte sie sich ihr Notebook, setzte sich neben die Badewanne und schrieb alles auf, was ihr vom heutigen Tag im Gedächtnis geblieben war.

Irgendwann, für sie waren es gefühlt nur fünf Minuten, dabei war es bestimmt eine halbe Stunde später, hörte sie Jule flüstern: „Lotta?“

„Mmhmmh.“

„Was ist heute geschehen? Was haben wir da gesehen? Ist Marie wirklich tot?“

„Ja. Ist sie.“ Sanft streichelte sie Jule über den Kopf.

„Wie konnte das passieren?“ Tränen strömten ihr über die Wangen.

„Ich weiß es nicht.“ In Gedanken fügte Charlotte „noch nicht“ hinzu.

„Ich möchte jetzt gerne zu Mama und Papa nach Hause.

Rufst du sie bitte an.“

„Klar doch. Das mache ich.“ Sie gab ihr einen Kuss auf den Kopf.

Die Eltern Kemburg kamen zur Villa Kunterbunt und holten Jule ab, allerdings nicht ohne sich bis ins Detail von Charlotte schildern zu lassen, was sie heute erlebt hatten.

Jule saß währenddessen bei ihrer Mutter auf dem Schoß, die sie in den Armen hielt und streichelte.

„Wie schrecklich, auf diese Weise zu sterben“, sagte ihr Vater zum Schluss. „Da fällt zufällig eine Ölflasche auf den Boden und die Frau vom Fach stürzt so unglücklich, dass sie dabei stirbt. Die arme Marie.“

Charlotte dachte an diesem Abend noch lange über die Zusammenfassung ihres Vaters nach. Marie Bürmer war durch und durch Profi in ihrem Beruf. Trafen Zufall und Unglück hier wirklich aufeinander? Sie hatte ihre Zweifel.

Auch dies notierte sie sich. Am Abend berichtete sie Alexander von dem Fall und ihren Gedanken. Natürlich kam von ihm zwischendurch ein neckisches „Lotta, unsere Spürnase“. Ihr ernster Gesichtsausdruck bei diesem Spruch ließ ihn allerdings sofort verstummen.

Eines war ihr klar: Den fürchterlichen Anblick von Maries totem Körper und ihrem Kopf in der Blutlache würde sie nicht so schnell vergessen.

Sie würde mit großem Interesse die polizeilichen Ermittlungen verfolgen, soweit ihr das möglich war. Und sie erwartete definitiv in den nächsten Tagen eine Einladung aufs Polizeipräsidium, um ihre Schilderungen gegebenenfalls zu präzisieren und weitere Fragen zu beantworten.

Kapitel 3

Nichts dergleichen geschah. Kein Anruf, keine E-Mail, kein Brief, kein persönlicher Besuch der Polizei. Nichts.

Hätte der Tag sich nicht in Charlottes Gedächtnis eingebrannt, könnte man meinen, es wäre nichts passiert.

An einem regnerischen Morgen, eine paar Tage später, fasste sich Charlotte ein Herz und rief auf dem Polizeipräsidium an. Dass die Polizei keine weiteren Ermittlungen anstellte, konnte und wollte sie einfach nicht glauben. Nach kurzer Zeit wurde sie mit dem zuständigen Beamten verbunden.

„Guten Morgen. Mein Name ist Charlotte Kemburg.“

„Meier. Guten Morgen. Womit kann ich Ihnen helfen?“ Die männliche Stimme klang höflich.

„Es geht um den Tod von Marie Bürmer. Ich wollte mich erkundigen, wie es damit weitergeht und ob ich Ihnen noch behilflich sein kann.“

„Weitergehen? Wieso? Und in welcher Form wollen Sie uns helfen?“

„Nun ja, meine Schwester und ich haben die Tote, übrigens eine ehemalige Schulkameradin von mir, in ihrer Konditorei gefunden.“

„Oh, das tut mir leid. Aber es wird keine Ermittlungen geben. Unserem Gerichtsmediziner zufolge handelte es sich um einen Unfall, bei dem Frau Bürmer stürzte und sich das Genick an der hinter ihr stehenden Arbeitsfläche gebrochen hat. Die Akte wurde daher bereits geschlossen.“

„Aber die Speiseöl-Flasche auf dem Boden? Woher kam die? Es war doch sonst alles extrem sauber und aufgeräumt in dem Raum.“ Sie wollte weder hysterisch noch vorwurfsvoll klingen. Aber das war ihr offenbar nicht ganz gelungen, denn der Ton des Polizisten wurde kühler.

„Wie ich sagte: Die Akte ist geschlossen. Soweit ich weiß, ist morgen die Beerdigung. Und jetzt wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.“

Charlotte schluckte.

„Danke. Ihnen auch.“

Nein, nein, nein, das war kein Unfall, schoss es ihr durch den Kopf. Sie erinnerte sich genau an die Backstube. Es hatten keine Zutaten herumgestanden, kein Mehl, kein Zucker, auch keine benutzten Gerätschaften, nichts. Alles war weggeräumt, sauber. An dem Nachmittag wurde dort nicht gearbeitet. Wie sollte es da zu diesem Unglück gekommen sein? Eine Konditormeisterin wie Marie kleckerte doch nicht einfach mit Speiseöl herum?