Total Recall Revisited - Philip K. Dick - E-Book
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Philip K. Dick

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Beschreibung

Nirgendwo kann man Philip K. Dick so gut kennenlernen wie in seinen Stories. Visionär sah er in ihnen die Probleme unserer Gegenwart voraus, und unter seinem Röntgenblick werden die »Dachbalken des Universums« sichtbar, wie er selbst verwundert notierte. Unser Band versammelt die besten, wichtigsten und einflussreichsten seiner Stories. Ein Nachwort des Science-Fiction Kenners und Autors Thomas von Steinaecker vervollständigt den Band.

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Philip K. Dick

Total Recall Revisited

Die besten Stories

Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler

FISCHER E-Books

Inhalt

Total RecallAch, als Blobbel hat man’s schwer!HochstaplerVariante zweiMinority ReportIIIIIIIVVVIVIIVIIIIXXDie elektrische AmeiseDas Vater-DingVerwirrspielDie Prä-PersonenFoster, du bist totAutofabIIIIIIIVEine außerirdische IntelligenzNachwortEinzelnachweise

Total Recall

Er wachte auf – und wollte den Mars. Die Täler, dachte er. Wie wäre es wohl, darin herumzuwandern? Toll, und noch toller: Der Traum wuchs, als er völlig zu sich kam, der Traum und das Verlangen. Er spürte beinahe, wie sie ihn umhüllte, die andere Welt, die nur Regierungsagenten und hohe Beamte gesehen hatte. Doch ein kleiner Angestellter wie er? Wohl kaum.

»Stehst du jetzt auf oder nicht?«, fragte seine Frau Kirsten verschlafen, mit dem gewohnten Hauch herber Verdrossenheit. »Wenn ja, drück den Knopf für heißen Kaffee an diesem Mistherd.«

»Okay«, sagte Douglas Quail und ging barfuß vom Schlafzimmer ihrer Eigenwohn in die Küche. Dort setzte er sich, nachdem er pflichtschuldig den Knopf für heißen Kaffee gedrückt hatte, an den Küchentisch und holte eine kleine gelbe Büchse erstklassigen Dean-Swift-Schnupftabaks hervor. Er inhalierte kräftig, und die Beau-Nash-Mischung biss in der Nase, brannte auf dem Gaumen. Trotzdem inhalierte er weiter; das machte ihn wach und gestattete seinen Träumen, seinen nächtlichen Sehnsüchten und ziellosen Wünschen, sich zu einem Anschein von Vernünftigkeit zu verdichten.

Ich flieg dahin, sagte er sich. Ehe ich sterbe, werde ich den Mars sehen.

Das war selbstverständlich unmöglich, und das wusste er sogar beim Träumen. Doch das Tageslicht, ein so prosaisches Geräusch wie das, mit welchem seine Frau sich eben vor dem Schlafzimmerspiegel die Haare bürstete – alles verschwor sich, um ihn daran zu erinnern, was er war. Ein mieser kleiner Gehaltsempfänger, sagte er sich verbittert. Kirsten erinnerte ihn mindestens einmal am Tag daran, und er konnte es ihr nicht einmal verübeln; es war die Aufgabe einer Frau, ihren Mann auf den Erdboden zurückzuholen. Auf den Erdboden, dachte er und lachte. Diese Redewendung passte buchstäblich.

»Was hast du denn zu kichern?«, fragte seine Frau, als sie in die Küche gerauscht kam; ihr langer grellrosa gemusterter Morgenrock wedelte hinter ihr her. »Ich wette, es ist ein Traum. Du hast den Kopf ja immer voll davon.«

»Ja«, sagte er und blickte aus dem Küchenfenster auf die Luftkissenautos und Fahrrinnen und die ganzen energischen kleinen Leute, die zur Arbeit hetzten. Gleich würde auch er mit dabei sein. Wie immer.

»Ich könnte wetten, es hatte mit irgendeiner Frau zu tun«, sagte Kirsten vernichtend.

»Nein«, sagte er. »Mit einem Gott. Dem Kriegsgott. Er hat wundervolle Krater, in deren Tiefen alle Arten von Pflanzen wachsen.«

»Hör mal.« Kirsten hockte sich neben ihn, und ihr Ton war ernst; die Härte war vorübergehend aus ihrer Stimme verschwunden. »Auf dem Meeresgrund – unserem Meeresgrund – ist es sehr viel, unendlich viel schöner. Das weißt du doch, das weiß doch jeder. Miete für uns beide einen Satz Kunstkiemen, nimm dir eine Woche frei, und wir können runtertauchen und da unten in einem dieser Aquacenter wohnen; die sind ja das ganze Jahr auf. Und außerdem –« Sie brach ab. »Du hörst mir gar nicht zu. Solltest du aber. Da gibt es was viel Besseres als deine Zwänge, deine Mars-Besessenheit, und du hörst noch nicht mal zu!« Ihre Stimme wurde laut und durchdringend. »Himmelherrgott, bei dir ist alles umsonst, Doug! Was soll bloß aus dir werden?«

»Ich geh zur Arbeit«, sagte er und stand auf; das Frühstück war gestrichen. »Das soll aus mir werden.«

Sie schaute ihn scharf an. »Du wirst immer schlimmer. Von Tag zu Tag fanatischer. Wo soll das bloß hinführen?«

»Zum Mars«, sagte er und machte die Schranktür auf, um ein frisches Arbeitshemd herauszuholen.

Nachdem er aus dem Taxi gestiegen war, ging Douglas Quail langsam durch drei dichtbevölkerte Laufrinnen bis zu dem modernen, verlockend einladenden Portal. Dort blieb er stehen, behinderte so den Vormittagsverkehr und las bedächtig das wechselfarbige Neonschild. Er hatte dieses Schild früher schon studiert … aber noch nie war er so nahe dran gewesen. Das war ein großer Unterschied; was er jetzt tat, war etwas ganz anderes. Etwas, das passieren musste früher oder später.

 

ENDSINNAG

 

War das die Lösung? Schließlich blieb eine Illusion, wie überzeugend sie auch sein mochte, doch nur eine Illusion. Objektiv gesehen zumindest. Subjektiv gesehen allerdings – so ziemlich das genaue Gegenteil.

Und ohnehin hatte er einen Termin. In weniger als fünf Minuten.

Er nahm einen tiefen Zug leicht smogverseuchter Chicagoer Luft und ging durch den blendenden, polychrom schimmernden Eingang hinein zum Empfang.

Die schön gegliederte Blondine hinter dem Pult, barbusig und wie aus dem Ei gepellt, sagte freundlich: »Guten Morgen, Mr. Quail.«

»Ja«, sagte er. »Ich wollte mich wegen einer Endsinn-Reise erkundigen. Ich nehme an, Sie wissen Bescheid.«

»Nicht ›Endsinn‹, sondern ›Entsinn‹«, verbesserte ihn die Empfangsdame. Sic nahm den Hörer des Vidfons neben ihrem geschmeidigen Ellbogen ab und sprach hinein: »Mr. Douglas Quail ist da, Mr. McClane. Kann er jetzt reinkommen? Oder ist es noch zu früh?«

»Dis metma mom-mom momp«, grummelte das Vidfon.

»Ja, Mr. Quail«, sagte sie. »Sie können reingehen; Mr. McClane erwartet Sie.« Als er zögernd losmarschierte, rief sie ihm nach: »Zimmer D, Mr. Quail. Rechter Hand.«

Nach einem entmutigenden, aber kurzen Moment des Verirrtseins fand er das richtige Zimmer. Die Tür stand offen, und drinnen, an einem riesigen echten Nussbaumschreibtisch, saß ein freundlich aussehender Mann mittleren Alters in einem grauen Marsfroschhaut-Anzug nach neuester Mode; schon an der Kleidung hätte Quail erkennen können, dass er an den Richtigen geraten war.

»Setzen Sie sich, Douglas«, sagte McClane und wies mit seiner fleischigen Hand auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch. »Sie möchten also zum Mars geflogen sein. Sehr schön.«

Quail setzte sich mit einem Gefühl der Angespanntheit. »Ich weiß nicht so recht, ob die Sache ihren Preis wert ist«, sagte er. »Es kostet eine ganze Menge, und soweit ich sehe, krieg ich eigentlich nichts dafür.« Es kostet fast so viel wie richtig hinfliegen, dachte er.

»Sie bekommen greifbare Beweise für Ihren Trip«, widersprach McClane emphatisch. »So viele Beweise, wie Sie brauchen. Hier; ich zeig’s Ihnen.« Er wühlte in einer Schublade seines beeindruckenden Schreibtischs. »Abriss des Flugtickets.« Er griff in eine Mappe aus braunem Karton und holte ein kleines quadratisches Stück geprägter Pappe hervor. »Das ist der Beweis dafür, dass Sie dort waren – und zurückgekehrt sind. Postkarten.« Er breitete vier frankierte 3-D-Farbpostkarten, eine schön ordentlich neben der anderen, auf dem Schreibtisch aus, so dass Quail sie sich ansehen konnte. »Filme. Sehenswürdigkeiten, die Sie mit einer gemieteten Mobilkamera auf dem Mars aufgenommen haben.« Auch diese legte er Quail vor. »Dazu die Namen von Leuten, die Sie dort kennengelernt haben, Souvenirs im Wert von zweihundert Creds, die binnen der nächsten vier Wochen – direkt vom Mars – bei Ihnen eintreffen werden. Dann Pass, Bescheinigung über die Impfungen, die Sie erhalten haben. Und vieles mehr.« Er blickte auf und sah Quail scharf an. »Sie werden schon sehen, dass Sie da waren«, sagte er. »Sie werden sich nicht an uns erinnern, weder an mich noch daran, dass Sie je hier gewesen sind. Sie haben einen echten Trip im Kopf; dafür garantieren wir. Zwei volle Wochen Entsinn; bis ins letzte lumpige Detail. Vergessen Sie nicht: Wenn Sie auch nur einen Moment daran zweifeln, einen ausgedehnten Trip zum Mars unternommen zu haben, können Sie hierher zurückkommen und kriegen Ihr Geld in voller Höhe zurückerstattet. Ist das klar?«

»Aber ich bin doch nicht geflogen«, sagte Quail. »Ich werde nicht geflogen sein, egal mit welchen Beweisen Sie mich ausstatten.« Er tat einen tiefen, bebenden Atemzug. »Und ich bin nie Geheimagent bei Interplan gewesen.« Er hielt es für unmöglich, dass das extrafaktische Erinnerungs-Transplantat der Endsinn AG funktionieren würde – trotz allem, was ihm zu Ohren gekommen war.

»Mr. Quail«, sagte McClane geduldig. »Sie haben uns in Ihrem Brief erklärt, Sie hätten keine Chance, nicht die geringste Möglichkeit, jemals wirklich zum Mars zu gelangen; Sie können sich das nicht leisten, und, was viel wichtiger ist, Ihnen fehlt schlicht die Qualifikation, um als Undercover-Agent für Interplan oder sonst jemanden zu arbeiten. Das hier ist die einzige Möglichkeit, wie Sie Ihren, ähem, Lebenstraum verwirklichen können; hab ich nicht recht, Sir? Sie können nicht sein, was Sie eigentlich möchten; Sie können es nicht wirklich tun.« Er gluckste. »Aber Sie können es gewesen sein und getan haben. Das besorgen wir für Sie. Und unser Preis ist angemessen; keinerlei verdeckte Zusatzkosten.« Er lächelte aufmunternd.

»Ist eine extrafaktische Erinnerung denn so überzeugend?«, fragte Quail.

»Überzeugender als die echte, Sir. Wären Sie wirklich als Interplan-Agent zum Mars geflogen, hätten Sie mittlerweile eine ganze Menge vergessen; unsere Analyse von Echt-Memo-Systemen – authentischen Erinnerungen an wichtige Ereignisse im Leben einer Versuchsperson – hat ergeben, dass der Versuchsperson sehr schnell eine Vielzahl von Details abhandenkommt. Für immer. Zu unserem Angebotspaket gehört daher eine so tiefe Implantation von Entsinn, dass Sie nichts davon vergessen. Das Datenpaket, das Ihnen eingegeben wird, während Sie im Koma liegen, ist das Werk erfahrener Experten, Menschen, die jahrelang auf dem Mars gewesen sind; in jedem Einzelfall werden die Details von uns bis auf die letzte Kleinigkeit verifiziert. Und Sie haben sich ein ziemlich leichtes extrafaktisches System ausgesucht; hätten Sie sich Pluto ausgesucht oder Kaiser des Inneren Planetenbundes werden wollen, hätten wir viel größere Schwierigkeiten … und die Kosten wären erheblich höher.«

Quail griff in die Manteltasche, um seine Brieftasche hervorzuholen, und sagte: »Okay. Ich habe mein Leben lang diesen Ehrgeiz gehabt, und so, wie’s aussieht, werd ich’s wohl nie schaffen. Ich werd mich also wohl hiermit begnügen müssen.«

»So dürfen Sie das nicht sehen«, sagte McClane streng. »Sie geben sich nicht mit etwas Minderwertigem zufrieden. Die tatsächliche Erinnerung, mit all ihren Unschärfen, Auslassungen und Ellipsen, um nicht zu sagen Verzerrungen – die ist minderwertig.« Er nahm das Geld entgegen und drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch. »Also dann, Mr. Quail«, sagte er, als die Bürotür aufging und zwei stämmige Männer schnellen Schrittes hereinkamen. »Sie sind als Geheimagent unterwegs zum Mars.« Er stand auf und kam herüber, um Quails vor Nervosität feuchte Hand zu schütteln. »Oder vielmehr: Sie sind unterwegs gewesen. Heute Nachmittag um halb fünf werden Sie, ähm, wieder auf Terra eintreffen; ein Taxi wird Sie bei Ihrer Eigenwohn absetzen, und Sie können sich dann, wie gesagt, nicht mehr erinnern, dass Sie mich getroffen haben oder dass Sie hierhergekommen sind; genau genommen werden Sie sich nicht erinnern, überhaupt je von uns gehört zu haben.«

Mit vor Nervosität trockenem Mund folgte Quail den beiden Technikern hinaus aus dem Büro; was als Nächstes passierte, hing ganz von ihnen ab.

Ob ich wirklich glauben werde, dass ich auf dem Mars gewesen bin?, überlegte er. Dass ich es geschafft habe, mir meinen Lebenswunsch zu erfüllen? Er hatte eine seltsame, hartnäckige Ahnung, dass etwas schiefgehen würde. Aber was genau – wusste er nicht.

Er musste abwarten, um es herauszufinden.

 

Die Sprechanlage auf McClanes Schreibtisch, die ihn mit dem Arbeitsbereich der Firma verband, summte, und eine Stimme sagte: »Mr. Quail liegt jetzt in der Narkose, Sir. Möchten Sie die Sache supervisieren, oder sollen wir weitermachen?«

»Reine Routine«, bemerkte McClane. »Sie können weitermachen, Lowe; ich glaube nicht, dass Sie auf irgendwelche Schwierigkeiten stoßen werden.« Die Programmierung einer künstlichen Erinnerung an einen Flug zu einem anderen Planeten – ob mit oder ohne den kleinen Zusatz, Geheimagent gewesen zu sein – tauchte mit monotoner Regelmäßigkeit in den Auftragslisten der Firma auf. Pro Monat, kalkulierte er sarkastisch, machen wir das mindestens zwanzigmal … interplanetare Pseudoreisen – damit verdienen wir unsere Brötchen.

»Ganz wie Sie wollen, Mr. McClane«, kam Lowes Stimme zurück, und daraufhin schaltete die Sprechanlage ab.

McClane betrat den Tresorteil der Kammer hinter seinem Büro und suchte nach einem Paket Nummer 3 – Flug zum Mars – und einem Paket Nummer 62: geheimer Interplanspion. Nachdem er die beiden Pakete gefunden hatte, ging er damit an seinen Schreibtisch zurück, machte es sich bequem und schüttete den Inhalt aus – Waren, die in Quails Eigenwohn praktiziert würden, während die Labortechniker damit beschäftigt waren, ihm falsche Erinnerungen einzubauen.

Eine Schleicherwaffe im Wert von einem Cred, überlegte McClane; das ist der größte Posten. Das kostet uns am meisten. Dann ein Transmitter von der Größe einer Pille, den der Agent im Falle der Enttarnung verschlucken konnte. Ein Codebuch, das dem echten erstaunlich ähnlich sah … die Nachbildungen der Firma waren höchst exakt; sie basierten, soweit möglich, auf authentischem US-Militärmaterial. Seltsamer Krimskrams, der für sich genommen keinen Sinn ergab, jedoch in Kette und Schuss von Quails imaginärer Reise verwoben werden und mit seiner Erinnerung übereinstimmen würde: die Hälfte eines alten Fünfzig-Cent-Stücks aus Silber, mehrere verfälschte Zitate aus John Donnes Predigten, jedes auf einem anderen Stück hauchzarten Transparentpapiers, mehrere Streichholzbriefchen aus Marskneipen, ein Löffel aus rostfreiem Stahl mit der Gravur EIGENTUM DER MARSKUPPEL-VOLKSKIBBUZIM, eine Abhörspule, die –

Die Sprechanlage summte. »Mr. McClane, bitte entschuldigen Sie die Störung, aber hier ist was ziemlich Ungutes passiert. Vielleicht wäre es besser, wenn Sie doch noch hier rüberkommen. Quail liegt schon in der Narkose; auf das Narkidrin hat er gut angesprochen; er ist völlig bewusstlos und aufnahmefähig. Aber –«

»Bin gleich da.« Mit einer bösen Vorahnung ging McClane aus seinem Büro; einen Augenblick später tauchte er im Arbeitsbereich auf.

Auf einem Hygienebett lag Douglas Quail und atmete langsam und regelmäßig, die Augen hatte er praktisch geschlossen; er schien die beiden Techniker und jetzt auch McClane undeutlich – aber wirklich nur sehr undeutlich – wahrzunehmen.

»Kein Platz für falsche Erinnerungsmuster, was?« McClane war verärgert. »Schmeißen Sie einfach zwei Arbeitswochen raus; er ist Angestellter beim Auswanderungsamt für die Westküste, einer Regierungsbehörde, also hat er letztes Jahr bestimmt zwei Wochen Urlaub gehabt. Problem gelöst.« Nebensächlichkeiten nervten ihn. Immer schon – und auch in Zukunft.

»Unser Problem«, sagte Lowe spitz, »liegt etwas anders.« Er beugte sich über das Bett, sagte zu Quail: »Erzählen Sie Mr. McClane, was Sie uns erzählt haben.« Zu McClane sagte er: »Hören Sie gut zu.«

Die graugrünen Augen des Mannes, der rücklings auf dem Bett lag, hefteten sich auf McClanes Gesicht. Die Augen, bemerkte er mit Unbehagen, waren starr geworden; sie hatten etwas Poliertes, Anorganisches, wie geschliffene Halbedelsteine. Er war sich nicht sicher, ob ihm gefiel, was er da sah; der Glanz war zu kalt. »Was wollt ihr denn noch?«, sagte Quail schroff. »Ihr habt mich auffliegen lassen. Haut ab hier, bevor ich euch alle auseinandernehm.« Er musterte McClane, »Sie ganz besonders«, fuhr er fort. »Sie sind der Anführer dieser Konteroperation.«

Lowe sagte: »Wie lange waren Sie auf dem Mars?«

»Einen Monat«, sagte Quail heiser.

»Und Ihr Auftrag dort?«, wollte Lowe wissen.

Die hageren Lippen verzogen sich; Quail musterte ihn und sagte nichts. Schließlich, indem er jedes Wort vor Feindseligkeit triefen ließ, knautschte er hervor: »Agent für Interplan. Hab ich euch doch schon erzählt. Zeichnet ihr denn nicht alles auf, was gesprochen wird? Spielt eurem Boss euer AV-Tape vor, und lasst mich in Ruhe.« Dann schloss er die Augen; der starre Glanz verschwand. Augenblicklich spürte McClane einen Schwall der Erleichterung in sich hochsteigen.

Lowe sagte ruhig: »Der Mann ist hart im Nehmen, Mr. McClane.«

»Nicht mehr lange«, sagte McClane. »Wenn wir erst dafür gesorgt haben, dass seine Erinnerungskette ihm wieder entgleitet, ist er genauso zahm wie vorher.« Zu Quail sagte er: »Deswegen wollten Sie also so furchtbar dringend zum Mars.«

Ohne die Augen zu öffnen, sagte Quail: »Ich hab nie zum Mars gewollt. Ich bin dafür eingeteilt worden – die haben mir den Job aufgebrummt, und das war’s dann: Ich blieb hängen. Ja, klar, ich geb zu, ich war neugierig; wer wär das nicht?« Er öffnete die Augen wieder und musterte die drei, insbesondere McClane. »Nette Wahrheitsdroge habt ihr da; die hat Sachen raufgeholt, an die ich mich absolut nicht erinnern konnte.« Er begann zu grübeln. »Wie ist das wohl mit Kirsten?«, sagte er, halb zu sich selbst. »Ob sie da mit drinhängt? Eine Interplan-Kontaktperson, die mich im Auge behält … um sicherzugehen, dass ich mein Gedächtnis nicht wiedererlange? Kein Wunder, dass sie meinen Wunsch so lächerlich fand.« Er lächelte schwach; das Lächeln – ein Lächeln plötzlichen Verstehens – verschwand fast sofort wieder.

McClane sagte: »Bitte, glauben Sie mir, Mr. Quail; wir sind ganz zufällig darüber gestolpert. Bei unserer Arbeit –«

»Ich glaub Ihnen«, sagte Quail. Er wirkte müde; die Droge zog ihn immer weiter herunter, tiefer und tiefer. »Was hab ich gesagt, wo ich gewesen bin?«, murmelte er. »Auf dem Mars? Kann mich kaum dran erinnern – würd jedenfalls gern mal hinfliegen; würde wohl jeder. Aber ich –« Seine Stimme verlor sich. »Bloß ’n Angestellter, ’ne Null von ’nem Angestellten.«

Lowe richtete sich auf und sagte zu seinem Vorgesetzten: »Er möchte eine falsche Erinnerung eingepflanzt bekommen, die mit seinem tatsächlichen Trip übereinstimmt. Und einen vorgeschobenen Grund dafür, der der wahre Grund ist. Er sagt die Wahrheit; das Narkidrin hat ihn fest im Griff. Die Erinnerung an seinen Trip ist ziemlich lebhaft – in der Narkose zumindest. Aber sonst kann er sich anscheinend nicht daran erinnern. Irgendwo, wahrscheinlich in einem militärwissenschaftlichen Labor der Regierung, hat man seine bewussten Erinnerungen gelöscht; er wusste nur noch, dass zum Mars zu reisen für ihn von besonderer Bedeutung war, genau wie die Arbeit als Geheimagent. Das konnten sie nicht löschen; das ist nämlich keine Erinnerung, sondern ein Wunsch, zweifellos derselbe, der ihn damals bewogen hat, sich freiwillig für den Auftrag zu melden.«

Der andere Techniker, Keeler, sagte zu McClane: »Was sollen wir machen? Ein falsches Erinnerungsmuster über die echte Erinnerung montieren? Wir haben keine Ahnung, was dabei herauskommen würde; er könnte sich bruchstückhaft an den realen Trip erinnern, und die Vermengung der beiden Ebenen könnte eine psychotische Phase auslösen. Er müsste gleichzeitig zwei gegenteilige Prämissen im Kopf behalten: dass er zum Mars geflogen ist und dass er nicht zum Mars geflogen ist. Dass er ein echter Interplan-Agent ist und dass er kein echter Interplan-Agent ist, dass es nicht stimmt. Ich meine, wir sollten ihn ohne jede Transplantation von falschen Erinnerungen revitalisieren und nach Hause schicken; die Sache ist heiß.«

»Einverstanden«, sagte McClane. Ihm kam ein Gedanke. »Können Sie vorhersagen, woran er sich erinnern wird, wenn er aus der Narkose erwacht?«

»Unmöglich«, sagte Lowe. »Wahrscheinlich hat er jetzt eine dunkle, diffuse Erinnerung an seinen tatsächlichen Trip. Und bezüglich ihrer Echtheit wird er ernsthafte Zweifel hegen; er würde wahrscheinlich annehmen, dass uns beim Programmieren was verrutscht ist. Und er würde sich daran erinnern, dass er hierhergekommen ist; das würde nicht gelöscht – es sei denn, Sie möchten, dass es gelöscht wird.«

»Je weniger wir an dem Mann rumfummeln«, sagte McClane, »desto lieber ist mir das. Dummheiten können wir uns jetzt nicht leisten; es reicht, dass wir dumm genug waren – oder das Pech hatten –, einen echten Interplan-Spion zu enttarnen, dessen Tarnung so perfekt ist, dass bis dato nicht einmal er selbst gewusst hat, was er war – oder vielmehr ist.« Je eher sie den Mann los wurden, der sich Douglas Quail nannte, desto besser.

»Wollen Sie die Pakete 3 und 62 jetzt noch in seine Eigenwohn praktizieren?«, sagte Lowe.

»Nein«, sagte McClane. »Und wir erstatten ihm die Hälfte der Gebühren zurück.«

»Die Hälfte! Wieso die Hälfte?«

McClane sagte lahm: »Das scheint mir ein guter Kompromiss zu sein.«

 

Als ihn das Taxi zu seiner Eigenwohn in der Wohnzone Chicagos zurückbrachte, sagte sich Douglas Quail: Es ist wirklich prima, wieder auf Terra zu sein.

Schon hatte die Erinnerung an seinen einmonatigen Aufenthalt auf dem Mars zu verblassen begonnen; er hatte lediglich ein vages Bild im Kopf von tiefen klaffenden Kratern, vom seit Urzeiten andauernden, allgegenwärtigen Abbau der Hügel, der Vitalität und der Bewegung selbst. Eine Welt des Staubs, in der wenig passierte, wo man einen Großteil des Tages damit verbrachte, wieder und wieder seine tragbare Sauerstoffquelle zu überprüfen. Und dann die Lebensformen, die anspruchslosen und bescheidenen graubraunen Kakteen und Madenwürmer.

Tatsächlich hatte er einige sterbende Exemplare marsianischer Fauna mit zurückgebracht; er hatte sie durch den Zoll geschmuggelt. Schließlich stellten sie keinerlei Bedrohung dar; in der schweren Erdatmosphäre konnten sie nicht überleben.

Er griff in seine Manteltasche und kramte nach dem Behälter mit den marsianischen Madenwürmern –

Und fand stattdessen einen Umschlag.

Als er ihn herauszog, entdeckte er zu seinem größten Erstaunen, dass er fünfhundertsiebzig Creds in kleinen Scheinen enthielt.

Wo hab ich das denn her?, fragte er sich. Hab ich auf dem Trip denn nicht meinen letzten Cred verjubelt?

Bei dem Geld lag ein Zettel mit der Aufschrift: ½ Gebühr ret. Gez. McClane. Und dann das Datum. Das heutige Datum.

»Entsinn«, sagte er laut.

»Wohin, Sir oder Madam?« erkundigte sich der Robot-Taxifahrer höflich.

»Haben Sie ein Telefonbuch?«, fragte Quail.

»Selbstverständlich, Sir oder Madam.« Ein Schlitz öffnete sich; heraus glitt ein Mikrotape-Telefonbuch für Cook County.

»Das schreibt sich so komisch«, sagte Quail, während er das Branchenverzeichnis durchblätterte. Dann verspürte er Angst; Angst, die nicht wieder wegging. »Da ist es«, sagte er. »Bringen Sie mich dahin, zur Endsinn AG. Ich hab’s mir überlegt; ich will nicht nach Hause.«

»Ja, Sir oder Madam, wie auch immer«, sagte der Fahrer. Einen Augenblick später raste das Taxi in die entgegengesetzte Richtung.

»Dürfte ich vielleicht Ihr Fon benutzen?«, fragte er.

»Bitte sehr«, sagte der Robotfahrer. Und präsentierte ihm ein funkelnagelneues Imperator-3-D-Farbfon.

Er wählte die Nummer seiner Eigenwohn. Und sah sich nach kurzer Wartezeit mit einem winzigen, aber bedrückend realistischen Abbild Kirstens auf dem kleinen Bildschirm konfrontiert. »Ich war auf dem Mars«, sagte er zu ihr.

»Du bist betrunken.« Ihre Lippen verzogen sich verächtlich. »Oder Schlimmeres.«

»Ehrlich wahr.«

»Wann?«, wollte sie wissen.

»Ich weiß nicht.« Er war verwirrt. »Ein simulierter Trip, nehm ich an. Bei einem von diesen künstlichen oder extrafaktischen oder sonst wie Erinnerungsläden. Er hat nicht angeschlagen.«

Kirsten sagte verächtlich: »Du bist betrunken.« Und brach die Verbindung ab. Er legte auf und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Immer der gleiche Ton, sagte er sich verbittert. Immer diese Antworten, als ob sie alles wüsste und ich nichts. Was ’ne Ehe, Jessas, dachte er niedergeschlagen.

Einen Augenblick später hielt das Taxi am Straßenrand vor einem modernen, sehr einladenden kleinen rosa Gebäude, über dem ein wechselfarbiges Neonschild verkündete: ENDSINNAG.

Die Empfangsdame, schick und mit nacktem Oberkörper, fuhr überrascht zusammen, bekam sich dann aber meisterhaft in den Griff. »Oh, hallo, Mr. Quail«, sagte sie nervös. »W-wie geht’s Ihnen? Haben Sie was vergessen?«

»Den Rest von meinem Geld«, sagte er.

Schon etwas gefasster, sagte die Empfangsdame jetzt: »Geld? Ich glaube, Sie irren sich, Mr. Quail. Sie sind hier gewesen, um sich nach den Bedingungen für einen extrafaktischen Trip zu erkundigen, aber –« Sie zuckte ihre geschmeidigen blassen Schultern. »Meines Wissens kam es zu keinem Trip.«

Quail sagte: »Ich erinnere mich an alles, Miss. An meinen Brief an die Endsinn AG, der diesen ganzen Mist in Gang gesetzt hat. Ich erinnere mich, wie ich hierhergekommen bin, an meinen Besuch bei Mr. McClane. Wie mich die beiden Labortechniker dann ins Schlepptau genommen und mir eine Droge verabreicht haben, um mich auszuschalten.« Kein Wunder, dass ihm die Firma die Hälfte der Gebühren zurückerstattet hatte. Die falsche Erinnerung an seinen »Trip zum Mars« hatte nicht angeschlagen – zumindest nicht richtig, nicht so, wie ihm versichert worden war.

»Mr. Quail«, sagte das Mädchen, »auch wenn Sie nur ein kleiner Angestellter sind, sind Sie doch ein gutaussehender Mann, und es steht Ihnen nicht gut, wenn Sie sich aufregen. Falls Ihnen das irgendwie hilft, dürfen Sie mich, ähem, vielleicht mal ausführen …«

Jetzt wurde er wirklich wütend. »Ich erinnere mich an Sie«, sagte er aufbrausend. »Zum Beispiel die Tatsache, dass Ihre Brüste blau gespritzt sind; das ist mir im Gedächtnis hängen geblieben. Und ich erinnere mich an Mr. McClanes Versprechen, ich bekäme mein Geld in voller Höhe zurückerstattet, wenn ich mich an meinen Besuch bei der Endsinn AG erinnern könnte. Wo ist Mr. McClane?«

Nach einer – wahrscheinlich so lang wie möglich ausgedehnten – Wartezeit saß er erneut vor dem imposanten Nussbaumschreibtisch, genau wie eine gute Stunde zuvor.

»Tolle Technik haben Sie da«, sagte Quail sardonisch. Seine Enttäuschung – und sein Groll – waren mittlerweile enorm. »Meine sogenannte Erinnerung an einen Trip zum Mars als Undercover-Agent für Interplan ist verschwommen und vage und strotzt nur so von Widersprüchen. Und ich kann mich genau an meine Vereinbarungen mit euch Brüdern erinnern. Eigentlich sollte ich damit zum Büro für Bessere Beratung gehen.« Er kochte jetzt förmlich vor Wut; das Gefühl, betrogen worden zu sein, hatte ihn überwältigt, hatte seinen gewohnten Widerwillen gegen öffentliche Streitigkeiten zerstört.

McClane, der mürrisch und vorsichtig zugleich wirkte, sagte: »Wir kapitulieren, Quail. Wir werden Ihnen den Rest des Geldes zurückerstatten. Ich muss aufrichtig gestehen, dass wir bei Ihnen absolut nichts bewirkt haben.« Er klang resigniert.

Quail sagte vorwurfsvoll: »Sie haben mich noch nicht mal mit den verschiedenen Gegenständen versorgt, die mir angeblich ›beweisen‹ sollten, dass ich auf dem Mars gewesen bin. So ein Riesen-Tamtam – und was ist dabei rausgekommen? Nicht mal der Abriss eines Flugtickets. Auch keine Postkarten. Kein Pass. Weder eine Impfbescheinigung. Noch –«

»Hören Sie, Quail«, sagte McClane. »Angenommen, ich würde Ihnen sagen –« Er brach ab. »Vergessen Sie’s.« Er drückte einen Knopf an seiner Sprechanlage. »Shirley, würden Sie bitte einen Barscheck in Höhe von fünfhundertundsiebzig Creds auf den Namen Douglas Quail ausstellen? Danke.« Er ließ den Knopf los und funkelte Quail böse an.

Bald darauf erschien der Scheck; die Empfangsdame legte ihn McClane hin und verschwand wieder; die beiden Männer, nun wieder allein, blickten einander weiterhin über die Platte des massiven Nussbaumschreibtischs hinweg an.

»Ich will Ihnen mal einen guten Rat geben«, sagte McClane, während er den Scheck unterzeichnete und ihn hinüberreichte. »Sprechen Sie mit niemandem über Ihren, ähem, Trip neulich zum Mars.«

»Welchen Trip?«

»Tja, genau das ist die Sache«, sagte McClane verbissen. »Der Trip, an den Sie sich teilweise erinnern. Tun Sie so, als ob Sie sich an nichts erinnern; als hätte er nie stattgefunden. Fragen Sie mich nicht, weshalb; beherzigen Sie einfach meinen Rat: Das ist besser für uns alle.« Er war ins Schwitzen gekommen. Reichlich. »Also, Mr. Quail, ich hab auch noch was anderes zu tun, muss mich um andere Kunden kümmern.« Er stand auf, brachte Quail zur Tür.

Als er die Tür öffnete, sagte Quail: »Eine Firma, die so miserable Arbeit leistet, dürfte eigentlich überhaupt keine Kunden haben.« Dann machte er die Tür hinter sich zu.

Auf dem Heimweg im Taxi grübelte Quail über die Formulierung seines Beschwerdebriefes an das Büro für Bessere Beratung, Abteilung Terra. Sobald er an seiner Schreibmaschine saß, wollte er damit anfangen; es war eindeutig seine Pflicht, andere vor der Endsinn AG zu warnen.

Als er in seine Eigenwohn zurückkam, setzte er sich an seine tragbare Hermes Rocket, machte die Schubladen auf, um nach Kohlepapier zu kramen – und bemerkte eine kleine, vertraute Schachtel. Eine Schachtel, die er auf dem Mars vorsichtig mit marsianischer Fauna gefüllt und dann durch den Zoll geschmuggelt hatte.

Als er die Schachtel öffnete, sah er zu seiner Verblüffung sechs tote Madenwürmer und verschiedene Arten jener einzelligen Lebensform, von der sich die Marswürmer ernährten. Die Protozoen waren vertrocknet, verstaubt, aber er erkannte sie wieder; er hatte einen ganzen Tag zwischen den riesigen düsteren fremdartigen Felsbrocken herumgestochert, um sie zu finden. Eine wunderbare, aufschlussreiche Entdeckungsreise.

Aber ich war doch gar nicht auf dem Mars, fiel ihm da ein.

Andererseits –

Kirsten erschien in der Tür; sie umschlang einen Arm voll blassbrauner Lebensmittel. »Was machst du denn um diese Zeit zu Hause?« Ihre Stimme, ewig gleich, klang vorwurfsvoll.

»Bin ich auf dem Mars gewesen?«, fragte er sie. »Du müsstest das doch wissen.«

»Nein, du bist selbstverständlich nicht auf dem Mars gewesen; du müsstest das doch wissen, würde ich sagen. Liegst du mir damit denn nicht dauernd in den Ohren?«

Er sagte: »Bei Gott, ich hab das Gefühl, ich war da.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und gleichzeitig hab ich das Gefühl, ich war nicht da.«

»Dann entscheid dich.«

»Wie denn?« Er gestikulierte. »Beide Erinnerungsspuren sitzen fest in meinem Kopf; die eine ist echt, und die andere nicht, aber ich habe keine Ahnung, welche welche ist. Warum kann ich mich denn nicht auf dich verlassen? An dir haben sie doch nicht rumgebastelt.« So viel könnte sie doch wenigstens für ihn tun – wenn sie sonst schon nie etwas tat.

Mit kalter, kontrollierter Stimme sagte Kirsten: »Doug, wenn du dich nicht zusammenreißt, sind wir fertig miteinander. Ich verlasse dich.«

»Ich bin in Schwierigkeiten.« Seine Stimme klang rau und heiser. Und zittrig. »Wahrscheinlich steh ich kurz vor einem psychotischen Anfall; ich hoffe, nicht, aber – vielleicht ist es das. Es würde jedenfalls alles erklären.«

Kirsten setzte die Tüte mit den Lebensmitteln ab und stakste zum Schrank hinüber. »Ich habe keinen Spaß gemacht«, sagte sie ruhig zu ihm. Sie holte einen Mantel heraus, zog ihn an, ging zur Tür der Eigenwohn zurück. »Ich ruf dich die Tage irgendwann mal an«, sagte sie tonlos. »Tschüs, das war’s dann, Doug. Ich hoffe, du kommst eines Tages raus aus dem Zeug, wünsch ich dir wirklich. Um deinetwillen.«

»Warte«, sagte er verzweifelt. »Sag’s mir doch, ein für alle Mal; war ich nun da oder nicht – sag’s mir.« Aber womöglich haben sie deine Erinnerungsspur ja auch verändert, dachte er.

Die Tür ging zu. Seine Frau war gegangen. Endgültig!

Hinter ihm sagte eine Stimme: »So, das wäre erledigt. Und jetzt nehmen Sie die Hände hoch, Quail. Und drehen Sie sich bitte um, und schauen Sie hierher.«

Er drehte sich instinktiv um, ohne die Hände zu heben.

Der Mann, der ihm gegenüberstand, trug die pflaumenblaue Uniform der Interplan-Polizeibehörde, und seine Kanone schien aus UN-Beständen zu stammen. Und aus irgendeinem seltsamen Grund kam er Quail bekannt vor, bekannt auf eine verschwommene, verzerrte Art, so dass er ihn nirgends einordnen konnte. Ruckartig hob er also die Hände.

»Sie erinnern sich«, sagte der Polizist, »an Ihren Trip zum Mars. Wir wissen alles, was Sie heute getan haben, und wir kennen all Ihre Gedanken – insbesondere die äußerst interessanten Gedanken auf der Rückfahrt von der Endsinn AG.« Er erklärte: »Wir haben einen Tele-Transmitter in Ihrem Schädel installiert; der hält uns ständig auf dem Laufenden.«

Ein telepathischer Transmitter; kraft eines lebenden Plasmas, das auf Luna entdeckt worden war. Er schauderte vor Selbstekel. Das Ding lebte in ihm, in seinem eigenen Hirn, fraß, lauschte, fraß. Aber die Interplan-Polizei setzte sie ein; das hatte sogar in den Homöoblättern gestanden. Also stimmte es wahrscheinlich, so furchtbar es auch war.

»Warum ich?«, sagte Quail heiser. Was hatte er getan – oder gedacht? Und was hatte das mit der Endsinn AG zu tun?

»Im Prinzip«, sagte der Interplan-Cop, »hat das nichts mit der Endsinn AG zu tun; das ist eine Sache zwischen Ihnen und uns.« Er tippte gegen sein rechtes Ohr. »Mit Hilfe Ihres Kephalotransmitters empfange ich nach wie vor Ihre mentationalen Vorgänge.« Quail sah einen kleinen Stöpsel aus Weißplastik im Ohr des Mannes. »Deshalb muss ich Sie warnen: Alles, was Sie denken, kann gegen Sie verwendet werden.« Er lächelte. »Nicht dass es jetzt noch sehr darauf ankäme; Sie haben sich bereits um Kopf und Kragen gedacht und geredet. Ärgerlich ist allerdings, dass Sie der Endsinn AG, den Technikern dort und dem Besitzer, Mr. McClane, unter dem Einfluss des Narkidrins von Ihrem Trip erzählt haben – wohin Sie geflogen sind, in wessen Auftrag, was Sie dort zum Teil getan haben. Die haben große Angst. Die hätten Sie am liebsten nie zu Gesicht bekommen.« Er fügte nachdenklich hinzu: »Und sie haben auch allen Grund dazu.«

Quail sagte: »Ich hab überhaupt keinen Trip gemacht. Das ist diese falsche Erinnerungskette, die McClanes Techniker mir nicht richtig eingepflanzt haben.« Aber dann dachte er an die Schachtel in seiner Schreibtischschublade, die die marsianischen Lebensformen enthielt. Und an die Mühen und Schwierigkeiten, die ihm das Sammeln bereitet hatte. Die Erinnerung schien echt. Und die Schachtel mit den Lebensformen; die war garantiert echt. Es sei denn, McClane hatte sie dorthin praktiziert. Vielleicht war das einer der »Beweise«, die ihm McClane so beredt angepriesen hatte.

Die Erinnerung an meinen Trip zum Mars, dachte er, überzeugt mich nicht – aber leider hat sie die Interplan-Polizeibehörde überzeugt. Die glauben, ich sei wirklich auf dem Mars gewesen, und sie glauben, dass ich mir zumindest teilweise darüber im Klaren bin.

»Wir wissen nicht nur, dass Sie auf dem Mars gewesen sind«, pflichtete der Interplan-Cop auf seine Gedanken hin bei, »sondern wir wissen auch, dass Sie sich jetzt an so viel erinnern, dass es für uns schwierig wird. Und es hat keinen Sinn, Ihre bewussten Erinnerungen an all das auszulöschen; in diesem Fall tauchen Sie nämlich einfach wieder bei der Endsinn AG auf, und alles geht von vorne los. Und gegen McClane und seinen Betrieb können wir nichts unternehmen, da wir nur für unsere eigenen Leute zuständig sind. McClane hat ja ohnehin kein Verbrechen begangen.« Er musterte Quail: »Sie auch nicht, technisch gesehen. Sie haben sich ja nicht an die Endsinn AG gewandt, um Ihr Gedächtnis wiederzuerlangen; wir wissen, dass Sie aus dem üblichen Grund hingegangen sind – einem Hang zum Abenteuer, wie ihn öde Langweiler nun mal haben.« Er fügte hinzu: »Leider sind Sie aber weder öde noch ein Langweiler, und Sie haben in Ihrem Leben schon mehr als genug Nervenkitzel gehabt; das Letzte im Universum, was Sie nötig hatten, war Nachhilfe von der Endsinn AG. Nichts hätte tödlicher sein können für Sie oder für uns. Und letztlich auch für McClane.«

Quail sagte: »Wieso wird es ›schwierig‹ für Sie, wenn ich mich an den Trip – meinen angeblichen Trip – und meinen Auftrag dort erinnere?«

»Weil sich das«, sagte der uniformierte Interplan-Bulle, »was Sie getan haben, nicht vereinbaren lässt mit unserem Image als großartige, makellose allbeschirmende väterliche Macht. Sie haben für uns das getan, was wir nie tun. Und im Moment stehen Sie kurz davor, sich daran zu erinnern – dank Narkidrin. Diese Schachtel mit den toten Würmern und den Algen liegt seit einem halben Jahr in Ihrer Schreibtischschublade, seit dem Tag, an dem Sie zurückgekommen sind. Und nie haben Sie auch nur das geringste Interesse dafür gezeigt. Wir haben nicht einmal gewusst, dass Sie sie hatten, bis Sie sich auf dem Heimweg von der Endsinn AG daran erinnert haben; da sind wir schleunigst hergekommen, um sie zu suchen.« Überflüssigerweise fügte er hinzu: »Ohne Erfolg; wir hatten nicht genug Zeit.«

Zu dem ersten Interplan-Cop stieß nun ein zweiter; die beiden berieten sich kurz. Inzwischen dachte Quail fieberhaft nach. Er konnte sich jetzt schon an mehr erinnern; was der Cop wegen des Narkidrins gesagt hatte, stimmte. Sie – Interplan – wandten es wahrscheinlich auch an. Wahrscheinlich? Er wusste verdammt gut, dass sie das taten; er hatte selbst gesehen, wie sie einen Gefangenen damit vollgepumpt hatten. Wo war das nur gewesen? Irgendwo auf Terra? Wohl eher auf Luna, beschloss er und betrachtete das Bild, das aus seiner höchst unvollständigen – sich jedoch immer rascher regenerierenden – Erinnerung aufstieg.

Und noch an etwas anderes erinnerte er sich. An den Grund, weshalb sie ihn zum Mars geschickt hatten; den Auftrag, den er ausgeführt hatte.

Kein Wunder, dass sie sein Gedächtnis ausgelöscht hatten.

»O Gott«, sagte der erste der beiden Interplan-Cops und brach die Unterhaltung mit seinem Begleiter ab. Offensichtlich hatte er Quails Gedanken aufgefangen. »Tja, jetzt stehen wir vor einem weitaus schlimmeren Problem; schlimmer geht’s gar nicht.« Er ging auf Quail zu und hielt ihn erneut mit der Kanone in Schach. »Wir müssen Sie umbringen«, sagte er. »Und zwar sofort.«

Nervös sagte sein Partner: »Warum sofort? Können wir ihn nicht einfach zu Interplan New York rüberkarren, damit die –«

»Er weiß, warum das sofort erledigt werden muss«, sagte der erste Cop; auch er wirkte jetzt nervös, allerdings, wie Quail aufging, aus einem völlig anderen Grund. Seine Erinnerung war jetzt fast vollständig zurückgekehrt. Und er hatte vollstes Verständnis für die Nervosität des Beamten.

»Auf dem Mars«, sagte Quail heiser, »hab ich einen Mann umgebracht. Nachdem ich fünfzehn Bodyguards erledigt hab. Einige hatten solche Schleicherwaffen wie ihr.« Interplan hatte ihn fünf Jahre lang zum Attentäter ausgebildet. Zum Profikiller. Er kannte Mittel und Wege, bewaffnete Widersacher – wie zum Beispiel diese beiden Beamten – außer Gefecht zu setzen; und der mit dem Ohr-Empfänger wusste das.

Wenn er nur flink genug war –

Die Kanone ging los. Aber er war schon zur Seite gesprungen und hatte gleichzeitig den bewaffneten Beamten umgehackt. Augenblicklich war er im Besitz der Kanone und hielt damit den anderen, verwirrten Beamten in Schach.

»Der hat meine Gedanken aufgefangen«, sagte Quail und schnappte nach Luft. »Er wusste, was ich machen wollte, aber ich hab’s trotzdem geschafft.«

Der verletzte Beamte setzte sich halb auf und krächzte: »Der schießt nicht auf dich, Sam; das fang ich auch auf. Er weiß, dass er am Ende ist, und er weiß auch, dass wir das wissen. Los, Quail.« Schwerfällig und grunzend vor Schmerzen kam er zittrig auf die Beine. Er streckte die Hand aus. »Die Kanone«, sagte er zu Quail. »Sie können nicht damit umgehen, und wenn Sie sie mir zurückgeben, garantiere ich Ihnen, dass ich Sie nicht umbringe; Sie werden angehört, und jemand aus der Chefetage von Interplan entscheidet dann, nicht ich. Vielleicht können die Ihr Gedächtnis noch mal löschen, ich hab keine Ahnung. Aber Sie wissen ja, weswegen ich Sie umbringen wollte; ich konnte Sie nicht daran hindern, sich daran zu erinnern. Das, weshalb ich Sie umbringen wollte, hat sich also gewissermaßen erledigt.«

Quail umklammerte die Kanone, stürzte aus der Eigenwohn und spurtete auf den Fahrstuhl zu. Wenn ihr mich verfolgt, dachte er, bring ich euch um. Also lasst das. Er stach nach dem Fahrstuhlknopf, und einen Augenblick später glitten die Türen zurück.

Die Polizisten waren ihm nicht gefolgt. Offenbar hatten sie seine scharfen, schneidenden Gedanken aufgefangen und beschlossen, das Risiko nicht einzugehen.

Der Fahrstuhl schluckte ihn und sank. Er war entkommen – fürs Erste. Aber was jetzt? Wo sollte er hin?

Der Fahrstuhl erreichte das Erdgeschoß; einen Augenblick später war Quail in den Scharen von Füßlern untergetaucht, die die Laufrinnen entlanghetzten. Sein Kopf schmerzte, und ihm war übel. Aber wenigstens war er dem Tod entronnen; um ein Haar hätten sie ihn an Ort und Stelle erschossen, in seiner eigenen Wohnung.

Und sie werden’s wahrscheinlich wieder probieren, entschied er. Wenn sie mich finden. Und mit dem Transmitter in mir dauert das nicht sehr lange.

Ironischerweise hatte er genau das bekommen, was er von der Endsinn AG gewollt hatte. Abenteuer, Gefahr, Interplan-Polizisten im Einsatz, einen geheimen und gefährlichen Trip zum Mars, bei dem sein Leben auf dem Spiel stand – alles, was er sich als falsche Erinnerung gewünscht hatte.

Jetzt begann er die Vorzüge zu sehen von Erinnerungen, die nichts weiter als Erinnerungen waren.

 

Er saß allein auf einer Parkbank und beobachtete gleichgültig eine Schar von Kecksen, Halbvögeln, von den beiden Marsmonden eingeführt und fähig, sich sogar gegen die große Schwerkraft der Erde in die Lüfte zu schwingen.

Vielleicht finde ich ja einen Weg zurück zum Mars, überlegte er. Doch was dann? Auf dem Mars wäre es nur noch schlimmer; die politische Organisation, deren Anführer er ermordet hatte, würde ihn entdecken, sowie er aus dem Raumschiff stieg; dort wären die und Interplan hinter ihm her.

Könnt ihr mich denken hören?, fragte er sich. Der schnellste Weg zur Paranoia; während er allein dasaß, spürte er, wie sie ihn anpeilten, abhörten, mitschnitten, diskutierten … Er schauderte, stand auf und ging ziellos umher, die Hände tief in den Taschen. Egal, wohin ich gehe, sah er ein, ihr werdet immer bei mir sein. Solang ich dieses Gerät im Kopf habe.

Ich mach euch einen Vorschlag, dachte er sich – und ihnen. Könnt ihr mir noch mal eine falsche Erinnerungsschablone einprägen, wie beim letzten Mal, eine, nach der ich ein geregeltes Durchschnittsleben geführt habe und nie auf dem Mars gewesen bin? Nie eine Interplan-Uniform aus der Nähe gesehen und noch nie eine Waffe in der Hand gehabt habe?

Eine Stimme in seinem Hirn antwortete: »Das haben wir Ihnen doch bereits ausführlich erklärt: Das würde nicht genügen.«

Baff blieb er stehen.

»Wir haben schon früher auf diese Weise mit Ihnen kommuniziert«, fuhr die Stimme fort. »Als Sie an der Front operiert haben, auf dem Mars. Das ist Monate her; ja, wir hatten angenommen, wir müssten das nie mehr tun. Wo sind Sie?«

»Unterwegs«, sagte Quail, »in den Tod.« Und zwar dank den Kanonen eurer Leute, dachte er noch hinzu. »Woher wissen Sie so genau, dass das nicht genügen würde?«, erkundigte er sich. »Funktioniert die Endsinn-Technik nicht?«

»Wie gesagt: Wenn Sie einen Satz durchschnittlicher Standard-Erinnerungen bekommen, werden Sie – unruhig. Sie würden zwangsläufig wieder Endsinn oder eine ihrer Konkurrenzfirmen aufsuchen. Wir können das nicht noch mal durchmachen.«

»Angenommen«, sagte Quail, »meine authentischen Erinnerungen würden erst mal gelöscht, und mir würde was Substantielleres eingepflanzt als Standard-Erinnerungen. Etwas, das meine Sehnsucht zu befriedigen vermag«, sagte er. »Die ist doch der Ursprung der Sache; wahrscheinlich haben Sie mich deshalb überhaupt angeheuert. Aber Sie sollten in der Lage sein, sich was anderes einfallen zu lassen – was Gleichwertiges. Dass ich der reichste Mann auf Terra war, aber schließlich mein ganzes Geld an Bildungsstiftungen verschenkt habe. Oder ein berühmter Tiefraumforscher. Irgendwas in der Art; würde so was nicht funktionieren?«

Schweigen.

»Probieren Sie’s«, sagte er verzweifelt. »Greifen Sie sich ein paar von Ihren 1-a-Militärpsychiatern; erforschen Sie meinen Geist. Finden Sie heraus, welcher meiner Träume am weitesten geht.« Er versuchte, sich etwas einfallen zu lassen. »Frauen«, sagte er. »Tausende von Frauen, genau wie Don Juan. Ein interplanetarer Playboy – eine Geliebte in jeder Stadt auf Terra, Luna und Mars. Nur hab ich das aus Konditionsgründen aufgegeben. Bitte«, flehte er. »Probieren Sie’s.«

»Sie würden sich also freiwillig stellen?«, fragte die Stimme in seinem Kopf. »Falls wir damit einverstanden wären, eine solche Lösung zu arrangieren? Falls das überhaupt möglich ist?«

Nach einem Moment des Zögerns sagte er: »Ja.« Ich gehe das Risiko ein, sagte er sich. Ich lasse es drauf ankommen, dass ihr mich nicht einfach umbringt.

»Sie machen den ersten Schritt«, sagte die Stimme augenblicklich. »Ergeben Sie sich. Und wir werden abklären, was in der Richtung möglich ist. Wenn wir es allerdings nicht schaffen, wenn Ihre authentischen Erinnerungen anfangen, wieder durchzuschlagen wie diesmal, dann –« Sie schwiegen, und dann schloss die Stimme: »… müssen wir Sie vernichten. Das werden Sie verstehen. Also, Quail, wollen Sie’s immer noch versuchen?«

»Ja«, sagte er. Denn die Alternative hieß jetzt Tod – und zwar unausweichlich. Zumindest hatte er so eine Chance, so gering sie auch war.

»Sie melden sich in unserer Hauptkaserne in New York«, fuhr die Stimme des Interplan-Cops fort. »580 Fifth Avenue, zwölfte Etage. Wenn Sie sich gestellt haben, lassen wir unsere Psychiater auf Sie los; wir werden Ihr Persönlichkeitsprofil austesten lassen. Wir werden versuchen, Ihre tiefste, elementarste Wunschphantasie zu bestimmen – dann bringen wir Sie zur Endsinn AG zurück; ziehen die hinzu, um den Wunsch mit Hilfe von Erinnerungssurrogaten indirekt zu erfüllen. Dann also – viel Glück. Wir sind Ihnen was schuldig; Sie waren ein nützliches Werkzeug für uns.« Die Stimme war ohne jede Bosheit; wenn überhaupt etwas, hatten sie – die Organisation – Mitleid mit ihm.

»Danke«, sagte Quail. Und begann mit der Suche nach einem Robottaxi.

 

»Mr. Quail«, sagte der streng dreinblickende, ältliche Interplan-Psychiater, »Sie verfügen über eine äußerst interessante Wunscherfüllungs-Traumvorstellung. Wahrscheinlich ganz was anderes, als was Sie bewusst wünschen oder für möglich halten. Das ist in der Regel so; ich hoffe, es regt Sie nicht zu sehr auf, was darüber zu hören.«

Der anwesende höherrangige Interplan-Beamte sagte forsch: »Er regt sich lieber nicht zu sehr darüber auf, es sei denn, er will unbedingt erschossen werden.«

»Anders als bei der Phantasie, ein Undercover-Agent für Interplan sein zu wollen«, fuhr der Psychiater fort, »die, als ein Produkt relativer Reife, einer gewissen Plausibilität nicht entbehrte, handelt es sich bei diesem Erzeugnis um einen bizarren Kindheitstraum; kein Wunder, dass Sie nicht in der Lage sind, sich seiner zu entsinnen. Ihre Phantasie ist folgende: Sie sind neun Jahre alt und gehen allein einen Feldweg entlang. Ein unbekanntes Raumfahrzeug aus einem anderen Sonnensystem landet unmittelbar vor Ihnen. Kein Mensch auf der Erde außer Ihnen, Mr. Quail, kann es sehen. Die Wesen darin sind sehr klein und hilflos, ein wenig wie Feldmäuse, obgleich dies ihr Versuch einer Invasion der Erde ist; Zehntausende anderer Schiffe werden auf dem Weg sein, sobald diese Vorhut grünes Licht gibt.«

»Und ich halte sie wohl auf«, sagte Quail und verspürte eine Mischung aus Ekel und Belustigung, »Ich lösche sie aus, im Alleingang. Wahrscheinlich zertrete ich sie unter meinem Absatz.«

»Nein«, sagte der Psychiater geduldig. »Sie stoppen die Invasion, aber nicht, indem Sie sie vernichten. Stattdessen begegnen Sie ihnen mit Güte und Erbarmen, obwohl Sie per Telepathie – ihre Art der Kommunikation – erfahren haben, warum sie gekommen sind. Noch nie hat irgendein fühlender Organismus ihnen gegenüber je solch humanitäre Züge gezeigt, und um ihre Dankbarkeit zu zeigen, schließen sie mit Ihnen einen feierlichen Bund.«

Quail sagte: »Keine Invasion der Erde, solange ich lebe.«

»Exakt.« Zu dem Interplan-Beamten sagte der Psychiater: »Sie sehen, es passt zu seiner Persönlichkeit, auch wenn er so höhnisch tut.«

»Durch meine bloße Existenz also«, sagte Quail und empfand wachsendes Vergnügen, »nur, weil ich lebe, bewahre ich die Erde vor außerirdischer Fremdherrschaft. Dann bin ich also praktisch die wichtigste Person auf Terra. Ohne einen Finger krummzumachen.«

»Ja, genau, Sir«, sagte der Psychiater. »Und das ist tief und fest in Ihrer Psyche verankert; eine lebenslängliche Kindheitsphantasie. Deren Sie sich, ohne Tiefen- und Drogentherapie nie entsonnen hätten. Aber sie hat schon immer in Ihnen existiert; eine Unterströmung, die nie aufgehört hat.«

Zu McClane, der dasaß und aufmerksam zuhörte, sagte der höhere Polizeibeamte: »Können Sie ihm ein so extremes extrafaktisches Erinnerungsmuster einpflanzen?«

»Wir werden mit allen nur möglichen Wunschphantasien beauftragt«, sagte McClane. »Ehrlich gesagt, ich hab schon weitaus Schlimmeres gehört. Natürlich können wir das erledigen. In vierundzwanzig Stunden wird er sich nicht nur wünschen, er hätte die Erde gerettet; er wird zutiefst davon überzeugt sein, dass er es wirklich getan hat.«

Der höhere Polizeibeamte sagte: »Dann können Sie mit der Arbeit anfangen. Zur Vorbereitung haben wir seine Erinnerung an den Trip zum Mars schon mal wieder gelöscht.«

Quail sagte: »Welcher Trip zum Mars?«

Niemand gab ihm eine Antwort, deshalb stellte er die Frage widerwillig zurück. Jetzt war sowieso ein Polizeifahrzeug erschienen; er, McClane und der höhere Polizeibeamte quetschten sich hinein, und schon waren sie unterwegs nach Chicago und zur Endsinn AG.

»Machen Sie diesmal lieber keinen Fehler«, sagte der Polizeibeamte zu dem bulligen, nervös wirkenden McClane.

»Ich sehe nicht, was da schiefgehen könnte«, murmelte McClane schwitzend. »Das hier hat weder mit dem Mars noch mit Interplan irgendwas zu tun. Im Alleingang eine Invasion der Erde aus einem anderen Sonnensystem aufhalten!« Er schüttelte den Kopf. »Wahnsinn, was so ’n Junge alles träumt. Und das Ganze nur durch Tugend und Güte; nicht durch Gewalt. Das hat was Putziges.« Er tupfte sich die Stirn mit einem großen Leinentaschentuch.

Niemand sagte etwas.

»Im Grunde«, sagte McClane, »ist es rührend.«

»Aber überheblich«, sagte der Polizeibeamte kalt. »Denn es geht weiter mit der Invasion, sowie er stirbt. Kein Wunder, dass er sich nicht daran erinnern kann; das ist die größenwahnsinnigste Phantasie, die mir je zu Ohren gekommen ist.« Er musterte Quail missbilligend. »Ich darf gar nicht daran denken, dass wir den Mann auf unsere Gehaltsliste gesetzt haben.«

Als sie bei der Endsinn AG ankamen, begrüßte sie Shirley, die Empfangsdame, völlig außer Atem im Vorzimmer. »Willkommen, Mr. Quail«, japste sie aufgescheucht, und ihre melonenförmigen Brüste – heute glutorange bemalt – wippten vor Aufregung. »Es tut mir leid, dass es beim letzten Mal nicht ganz geklappt hat; diesmal geht’s sicher besser.«

McClane, der sich mit seinem tadellos gefalteten irischen Leinentaschentuch nach wie vor immer wieder die Stirn tupfte, sagte: »Es muss.« Mit hektischen Bewegungen trommelte er Lowe und Keeler zusammen, geleitete sie und Douglas Quail in den Arbeitsbereich und kehrte dann mit Shirley und dem höheren Polizeibeamten in sein vertrautes Büro zurück. Um zu warten.

»Haben wir dafür ein Paket, Mr. McClane?«, fragte Shirley und stieß in ihrer Aufregung mit ihm zusammen, woraufhin sie schamhaft errötete.

»Ich glaub schon.« Er versuchte, sich zu erinnern, gab dann aber auf und sah in der offiziellen Tabelle nach. »Eine Kombination«, entschied er laut, »aus Paket 81, 20 und 6.« Er fischte die passenden Pakete aus dem Tresorteil der Kammer hinter seinem Büro und trug sie zu seinem Schreibtisch, um sie zu inspizieren. »Aus 81«, erklärte er, »ein Zauberheilstab, der ihm – dem betreffenden Kunden, in diesem Fall Mr. Quail – von den Wesen aus einem anderen System geschenkt worden ist. Als Zeichen ihrer Dankbarkeit.«

»Funktioniert der?«, fragte der Polizeibeamte neugierig.

»Er hat mal«, erklärte McClane. »Aber er, ähem, verstehen Sie, hat ihn schon vor Jahren aufgebraucht, weil er wie wild damit rumgeheilt hat. Jetzt ist er bloß noch ein Souvenir. Aber er kann sich daran erinnern, dass er mal ganz phantastisch funktioniert hat.« Er gluckste und öffnete dann Paket 20. »Dankesurkunde des UNO-Generalsekretärs für die Rettung der Erde, das passt zwar nicht ganz, denn zu Quails Phantasie gehört, dass niemand außer ihm von der Invasion weiß, aber um der größeren Wahrscheinlichkeit willen geben wir’s dazu.« Dann inspizierte er Paket 6. Was war noch da drin? Er konnte sich nicht entsinnen; mit gerunzelter Stirn kramte er in der Plastiktüte, während Shirley und der Polizeibeamte ihm gespannt zusahen.

»Ein Schrieb«, sagte Shirley. »In einer komischen Sprache.«

»Der erklärt, wer sie waren«, sagte McClane, »und wo sie hergekommen sind. Einschließlich einer detaillierten Sternenkarte, worin ihre Flugroute hierher und ihr Herkunftssystem eingezeichnet sind. Natürlich ist alles in ihrer Schrift, so dass er es nicht lesen kann. Aber er erinnert sich, dass sie es ihm in seiner eigenen Sprache vorgelesen haben.« Er arrangierte die drei Gegenstände in der Mitte seines Schreibtischs. »Die sollten in Quails Eigenwohn gebracht werden«, sagte er zu dem Polizeibeamten. »Damit er sie findet, wenn er nach Hause kommt. Als Bestätigung seiner Phantasie. OSV – Offizielles Standard-Vorgehen.« Er gluckste etwas beklommen und fragte sich, wie es bei Lowe und Keeler wohl lief.

Die Sprechanlage summte. »Mr. McClane, entschuldigen Sie die Störung.« Das war Lowes Stimme; er wurde starr, als er sie erkannte, starr und stumm. »Aber wir sind da auf ein Problem gestoßen. Es ist vielleicht besser, wenn Sie rüberkommen und das supervisieren. Wie beim letzten Mal hat Quail gut auf das Narkidrin angesprochen; er ist bewusstlos, entspannt und aufnahmefähig. Aber –« McClane rannte rüber zum Arbeitsbereich. Auf einem Hygienebett lag Douglas Quail und atmete langsam und regelmäßig; er hatte die Augen halb geschlossen und nahm seine Umgebung nur undeutlich wahr.

»Wir haben mit der Befragung angefangen«, sagte Lowe kreidebleich. »Um herauszufinden, wann genau wir die Phantasie-Erinnerung an seine Rettung der Erde im Alleingang ansetzen müssen. Und eigenartigerweise –«

»Sie haben mir gesagt, ich darf es nicht verraten«, murmelte Douglas Quail mit schläfriger, drogenschwerer Stimme. »Das war so abgemacht. Ich sollte mich noch nicht mal dran erinnern. Aber wie hätte ich ein solches Ereignis vergessen können?«

Ich nehme an, das wäre schwierig, überlegte McClane. Aber Sie haben es geschafft – bis jetzt.

»Sie haben mir sogar ’ne Schriftrolle geschenkt«, murmelte Quail, »aus Dankbarkeit. Ich hab sie in meiner Eigenwohn versteckt; ich zeig sie euch.«

Zu dem Interplan-Beamten, der ihm gefolgt war, sagte McClane: »Äh, wenn ich Ihnen was vorschlagen darf, ich würd ihn lieber nicht umbringen. Wenn Sie das tun, kommen sie zurück.«

»Außerdem haben sie mir ’n unsichtbaren Vernichtungs-Zauberstab gegeben«, murmelte Quail; er hatte die Augen jetzt völlig geschlossen. »Damit hab ich den Mann auf dem Mars umgebracht, den ich für euch erledigen sollte. Der Stab liegt in meiner Schublade bei der Schachtel mit den marsianischen Madenwürmern und den vertrockneten Pflanzen.«

Wortlos drehte sich der Interplan-Beamte um und stakste hinaus aus dem Arbeitsbereich.

Dann kann ich die Pakete mit den Beweisgegenständen ja wieder wegtun, sagte sich McClane resigniert. Einen Fuß vor den anderen setzend, ging er in sein Büro zurück. Und dann natürlich auch die Dankesurkunde desUNO-Generalsekretärs –

Die echte würde wahrscheinlich nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Ach, als Blobbel hat man’s schwer!

Er steckte eine Zwanzig-Dollar-Platinmünze in den Schlitz, und nach einem kleinen Augenblick leuchtete der Analytiker auf. Seine Augen schimmerten freundlich, und er wirbelte auf seinem Stuhl herum, nahm einen Stift und einen großen Notizblock von seinem Schreibtisch und sagte:

»Guten Morgen, Sir. Sie können anfangen.«

»Tag, Dr. Jones. Sie sind wohl nicht zufällig der Dr. Jones, der die definitive Freud-Biographie geschrieben hat? Nein, ist ja auch schon hundert Jahre her.« Er lachte nervös; da er in eher ärmlichen Verhältnissen lebte, war er ein Anfänger, was den Umgang mit den neuen vollhomöostatischen Psychoanalytikern betraf. »Ahm«, sagte er, »soll ich frei assoziieren oder Ihnen etwas über meine Herkunft erzählen, oder wie?«

»Vielleicht«, meinte Dr. Jones, »erzählen Sie mir zunächst, wer Sie sind und weshoib S’ z’ mia kumman – weshalb Sie ausgerechnet zu mir gekommen sind.«

»Ich heiße George Munster und wohne Steg 4, Gebäude WEF-395, Eigentumswohnkomplex San Francisco, Baujahr 1996.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Munster.« Dr. Jones streckte die Hand aus, und George Munster schüttelte sie. Wider Erwarten war die Hand angenehm temperiert und ausgesprochen weich. Der feste Händedruck hingegen hatte durchaus etwas Männliches.

»Sehen Sie«, erklärte Munster, »ich bin ein ehemaliger Gl, Kriegsveteran. So bin ich auch an meine Eigentumswohnung in WEF-395 gekommen; Veteranenvergünstigung.«

»Ah ja«, sagte Dr. Jones mit einem leisen Ticken, das die verstreichende Zeit registrierte. »Der Krieg gegen die Blobbels.«

»Drei Jahre habe ich im Krieg gekämpft«, meinte Munster und strich sich nervös über das lange schwarze Haar, das allmählich dünner wurde. »Ich habe die Blobbels gehasst, deswegen habe ich mich freiwillig gemeldet; ich war damals neunzehn und hatte einen guten Job – aber der Kreuzzug, um das Sol-System von Blobbels zu säubern, war mir wichtiger.«

»Mh-hm«, machte Dr. Jones tickend und nickend.

»Ich war ein guter Soldat«, fuhr George Munster fort. »Ehrlich gesagt, ich habe sogar zwei Orden bekommen und eine Beförderung für besondere Tapferkeit im Feld. Zum Korporal. Weil ich im Alleingang einen Beobachtungssatelliten voller Blobbels ausradieren konnte; wie viele es nun genau waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, weil diese Blobbels natürlich dazu neigen, sich zu verwirren und entwirren, dass einem ganz wirr davon wird.« Von seinen Gefühlen überwältigt, verstummte er. Es fiel ihm schwer, über den Krieg zu sprechen, die bloße Erinnerung daran war schon zu viel für ihn … er streckte sich auf der Couch aus, zündete sich eine Zigarette an und versuchte, seine Fassung wiederzuerlangen.

Die Blobbels waren ursprünglich aus einem anderen Sonnensystem eingewandert, wahrscheinlich von Proxima. Vor ein paar tausend Jahren hatten sie sich auf dem Mars und auf Titan niedergelassen, wo sie bald erfolgreiche Landwirte wurden. Sie waren eine Weiterentwicklung der einzelligen Amöbe, verhältnismäßig groß zwar und mit einem hochorganisierten Nervensystem ausgestattet, doch trotz alledem Amöben mit Pseudopodien, die sich durch Zellteilung fortpflanzten und den terranischen Siedlern im Wesentlichen feindlich gesinnt waren.

Zum Krieg war es letztlich aus ökologischen Gründen gekommen. Die Auslandshilfeabteilung der UNO wollte die Marsatmosphäre umwandeln, um für die terranischen Siedler bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Diese Umwandlung hätte jedoch den Fortbestand der dort ansässigen Blobbel-Kolonien gefährdet; so hatte der Konflikt seinen Anfang genommen.

Und, überlegte Munster, man konnte eben nicht nur die halbe Atmosphäre eines Planeten umwandeln; gegen die Brown’sche Molekularbewegung war kein Kraut gewachsen. Nach zehn Jahren hatte sich die veränderte Atmosphäre über den ganzen Planeten ausgebreitet und machte den Blobbels das Leben zur Qual – zumindest behaupteten sie das. Im Gegenzug war eine Blobbelflotte zur Erde aufgebrochen und hatte eine Reihe technisch hochkomplizierter Satelliten in die Umlaufbahn gebracht, die letzten Endes die Atmosphäre von Terra umwandeln sollten. Zu dieser Umwandlung war es jedoch nie gekommen, denn das Kriegsministerium der UNO hatte selbstverständlich sofort eingegriffen; die Satelliten waren von Killerraketen zur Explosion gebracht worden … und der Krieg war in vollem Gange.

»Sind Sie verheiratet, Mr. Munster?«, fragte Dr. Jones.

»Nein, Sir«, sagte Munster. »Und –« Ihn schauderte. »Und wenn ich Ihnen die ganze Geschichte erst erzählt habe, wissen Sie auch, weshalb. Sehen Sie, Doktor –« Er drückte seine Zigarette aus. »Ich will ganz offen mit Ihnen reden. Ich war ein terranischer Spion. Das war meine Aufgabe; sie haben mir den Job bloß wegen meiner Tapferkeit im Feld aufgebrummt … ich habe sie jedenfalls nicht drum gebeten.«

»Verstehe«, sagte Dr. Jones.

»Wirklich?« Munsters Stimme überschlug sich. »Wissen Sie, dass es damals nur eine Möglichkeit gab, einen terranischen Spion erfolgreich bei den Blobbels einzuschleusen?«

Dr. Jones nickte. »Ja, Mr. Munster. Sie mussten Ihre menschliche Gestalt aufgeben und die widerwärtige Gestalt eines Blobbels annehmen.«

Munster schwieg; verbittert ballte er immer wieder die Fäuste. Dr. Jones hinter seinem Schreibtisch tickte.

 

Abends saß Munster allein in seiner kleinen Wohnung in WEF-395, entkorkte eine Flasche Teacher’s und schlürfte den Scotch aus einer Tasse, da er sich beim besten Willen nicht dazu aufraffen konnte, sich aus dem Schrank über der Spüle ein Glas zu holen.

Was hatte ihm die Sitzung bei Dr. Jones heute gebracht? Nichts, soweit er das beurteilen konnte. Und sie hatte ein tiefes Loch in seine mageren finanziellen Reserven gerissen … mager, weil –

Weil er sich trotz seiner eigenen Anstrengungen und der Bemühungen der Veteranenbetreuungsbehörde der UNO wie damals im Krieg jeden Tag für fast zwölf Stunden in einen Blobbel zurückverwandelte. In einen formlosen, einzelligen Klumpen, und das in seiner eigenen Wohnung in WEF-395.

Seine finanziellen Reserven bestanden aus einer kleinen Rente vom Kriegsministerium; es war ihm unmöglich, Arbeit zu finden, denn sobald er eine Stelle bekommen hatte, begann er sich vor lauter Stress umgehend zu verwandeln, vor den Augen seines neuen Arbeitgebers und seiner Kollegen.

Das war nicht eben hilfreich beim Aufbau eines erfolgreichen Arbeitsverhältnisses.

Und tatsächlich, jetzt, um acht Uhr abends, spürte er, wie er sich schon wieder zu verwandeln begann; das Gefühl war alt und vertraut, und er hasste es. Rasch schlürfte er den Rest Scotch, stellte die Tasse auf den Tisch … und spürte, wie er zu einem homogenen Kuddelmuddel zerfloss.

Das Telefon klingelte.

»Ich kann jetzt nicht«, rief er ihm zu. Ein Relais im Telefon registrierte die gequälte Antwort und leitete sie an den Anrufer weiter. Inzwischen war Munster nichts weiter als eine durchsichtige, gallertartige Masse mitten auf dem Teppich; er walzte zum Telefon – trotz seiner Bemerkung klingelte es nach wie vor, und er glühte vor Zorn; hatte er nicht schon genug Sorgen, ohne sich auch noch mit einem klingelnden Telefon herumschlagen zu müssen?

Als er dort angekommen war, fuhr er ein Pseudopodium aus und fegte den Hörer von der Gabel. Nur mit größter Mühe gelang es ihm, seinen plastischen Körper zu einem dumpf tönenden Quasi-Stimmapparat zu verformen. »Ich bin beschäftigt«, tönte er leise wummernd in die Sprechmuschel. »Rufen Sie später noch mal an.« Am besten morgen früh, dachte er und legte auf. Wenn ich wieder Mensch bin.

In der Wohnung war es jetzt vollkommen still.

Seufzend glitt Munster quer über den Teppich zum Fenster, wo er sich zu einer Säule aufrichtete, damit er hinausblicken konnte; an seiner Körperoberfläche gab es einen lichtempfindlichen Fleck, und wenn er auch nicht über eine richtige Linse verfügte, so konnte er doch – wehmütig – die Aussicht auf die Bay von San Francisco genießen, die Golden Gate Bridge und Alcatraz Island, den Spielplatz für kleine Kinder.

Verflucht, dachte er verbittert. Ich kann nicht heiraten; ich kann kein normales menschliches Leben führen, solange ich mich dauernd in dieses Etwas verwandle, zu dem mich die hohen Tiere vom Kriegsministerium damals haben ummodeln lassen …

Als er den Auftrag im Krieg angenommen hatte, wusste er noch nicht, dass er zu diesem Dauerschaden führen würde. Sie hatten ihm versichert, es sei »nur vorübergehend, bis Kriegsende«, oder irgend so eine dämliche Floskel. Von wegen Kriegsende, dachte Munster und glühte vor ohnmächtigem Zorn. Es sind jetzt schon elf Jahre.

Die damit verbundenen psychischen Probleme und der seelische Druck waren enorm. Aus diesem Grund hatte er Dr. Jones aufgesucht.

Wieder klingelte das Telefon.