Tote Kameraden - Katharina Höftmann - E-Book
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Tote Kameraden E-Book

Katharina Höftmann

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Beschreibung

„Der hinreißende Kommissar Rosenthal.“ NDR In einem Hotel in Tel Aviv wird eine junge Frau tot aufgefunden. Assaf Rosenthal und sein Team eilen sofort zum Tatort. Das Hotel gehört einer zwielichtigen georgisch-jüdischen Familie, die vorgibt, nichts über die Tote zu wissen. Offenbar hat die Frau sich umgebracht. Doch dann findet Assaf heraus, dass die Tote Mitglied einer geheimen Militäreinheit war und brisantes Material an einen Journalisten weitergegeben hat. Ein ungewöhnlicher Kommissar in der Metropole Tel Aviv. Von einer deutschen Autorin erzählt, die in Israel lebt.

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Informationen zum Buch

»Der hinreißende Kommissar Rosenthal.« NDR

In einem Hotel in Tel Aviv wird eine junge Frau tot aufgefunden. Assaf Rosenthal und sein Team eilen sofort zum Tatort. Das Hotel gehört einer zwielichtigen georgisch-jüdischen Familie, die vorgibt, nichts über die Tote zu wissen. Offenbar hat die Frau sich umgebracht. Doch dann findet Assaf heraus, dass die Tote Mitglied einer geheimen Militäreinheit war und brisantes Material an einen Journalisten weitergegeben hat.

Ein ungewöhnlicher Kommissar in der Metropole Tel Aviv. Von einer deutschen Autorin erzählt, die in Israel lebt.

Katharina Höftmann

Tote Kameraden

Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv

Kriminalroman

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Prolog

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Zweiter Teil

Kapitel 15

Anmerkungen der Autorin

Im Text verwendete Worte aus dem Hebräischen

Über Katharina Höftmann

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

Für Ari

»Der Schmerz geht vorüber, der Stolz bleibt für immer.«

Motto der 2.Kompanie im Bataillon931 der Israeli Defense Force (IDF)

Prolog

»Die wollen, dass wir unser Land lieben. Aber dieses Land gibt uns nichts. Wir führen Kriege, ständig Kriege. Sinnlose Kriege. Geben unser Leben für nichts. Wofür sind meine Kameraden gestorben? Wofür das Ganze? Ich kämpfe für Ideen, die ich nicht teile, und für Politiker, die ich nicht respektiere!«

»Leg die Waffe auf den Boden.« Assaf Rosenthal ging langsam auf den jungen Mann in Uniform zu. Dieser hielt die Pistole, eine österreichische Glock, weiterhin mit zitternder Hand auf den Kommissar gerichtet, während er sich immer mehr in Gedanken zu verlieren schien.

»Mach doch keinen Scheiß, Junge, du versaust dir dein ganzes Leben«, versuchte Assaf den Soldaten, der ihn wie im Wahn anstarrte, aufzurütteln. In seinen Augen klebte und brannte Sand, der sich, vom Wind aufgewirbelt, wie eine blickdichte Plane über die Hügel der Negev-Wüste gelegt hatte. Es fiel dem Kommissar nicht leicht, aber er versuchte, den Jungen anzusehen, ohne zu blinzeln. Er musste jetzt Stärke ausstrahlen. Nicht ein Hauch von Unsicherheit oder Zögern durfte in seinem Gesicht erkennbar sein.

»Bleib, wo du bist, oder ich schieße.« Der junge Soldat machte einen zögerlichen Schritt zurück, weg vom Kommissar. Hinter ihm verlieh die Wüste, eine braune Marslandschaft, der Situation eine seltsame Unwirklichkeit. Assaf glaubte nicht, dass sich solche Szenen hier, inmitten des kargen Negev, oft abspielten. Was sollte mitten im Nirgendwo schon los sein? Hier in der Wüste vergingen die Tage immer im selben Trott. Ab und zu kamen mal ein paar Steinböcke vorbeigesprungen, manchmal zog auch ein Beduine vorüber, der eine Herde Schafe antrieb oder ein träges Kamel. Gelegentlich krabbelte ein Skorpion scheinbar ziellos vor sich hin, und dann wieder zischte eine Schlange, bevor sie schnell in einer der vielen Bodenspalten verschwand. Und das war’s. Ansonsten Stille. Und Staub. Und Sonne.

Über dem jungen Soldaten lag der Himmel gelblich im Dunst. Die Sonne leuchtete schwach hinter einem dicken Schleier aus Wüstensand, den der Sturm aus der Sahara nach Israel getragen hatte. Der Kommissar hielt es nicht länger aus und rieb sich kurz mit einer Hand die Augen. Ausgerechnet während des schlimmsten Sandsturms seit Jahren musste er einen Ausflug in den Negev machen.

Die Wüste hält vom Schlechten fern, sagen die Beduinen.

Solange die Geier nicht kreisten, dachte Assaf.

»Ich weiß«, nahm der Kommissar das Gespräch wieder auf, »dass du eine schwere Zeit hinter dir hast. Dein Grundwehrdienst war sehr…«

»Kommissar Rosenthal, wo hast du gedient?«, unterbrach der Soldat den Kommissar. »Sicher auch in irgendeiner Eliteeinheit.«

»So wie du«, stimmte Assaf zu.

Der junge Mann ließ die Hand mit der Waffe langsam sinken. »Ich habe das nur gemacht, weil mir alle gesagt haben, dass man so in diesem Land erfolgreich wird. In jedem verdammten Vorstellungsgespräch fragen sie einen doch nach dem Militärdienst, den man absolviert hat.« Er verzog sein jungenhaftes Gesicht zu einer Grimasse. »Und dann diese ekelhafte Verehrung der Piloten. Das ist doch nicht normal!« Der junge Soldat richtete die Waffe wieder auf den Kommissar, als wenn das mit den Piloten seine Schuld wäre.

Assaf dachte angestrengt nach, wie er das Gespräch mit dem jungen Mann weiterführen sollte. Er war selbst an der Pilotenakademie gewesen, bevor er zur Offiziersausbildung in die Spezialeinheit wechselte, in der er viele Jahre gedient hatte. Das würde er ihm besser nicht erzählen. Aber was dann? In dem Moment, wo man es brauchte, erinnerte er sich natürlich an gar nichts mehr aus den Seminaren der Polizeischule. Ihm fiel nichts ein, was im »Umgang mit bewaffneten Personen«, wie es im Polizeisprech so schön hieß, helfen könnte. Dabei hatten sie erst vor kurzem eine Generalauffrischung bekommen. Der Kommissar erinnerte sich nur noch daran, dass der Lehrer, ein alter Knilch mit Schnauzer, immer wieder von der Notwendigkeit des Tragens der »individuell angepassten ballistischen Unterziehschutzweste« gesprochen hatte. Daran merkte man aber nur, dass der Möchtegern-Bulle vom Polizeialltag rein gar keine Ahnung hatte. Das größte Problem war nicht, dass er keine Schutzweste trug, sondern dass er eigentlich keine Chance hatte, zu seiner eigenen Waffe zu greifen. Immerhin hatte er nicht im Traum damit gerechnet, dass der Mann, den er hier gesucht hat, bewaffnet war. Schon gar nicht, dass er die Waffe auf ihn richten würde.

Wie ein blutiger Anfänger war er mitten in sein Verderben gelaufen. Assaf hätte sich für seine amateurhafte Arglosigkeit am liebsten selbst in den Hintern getreten.

»Spezialeinheit, Gaza«, antwortete der Kommissar schließlich kurz angebunden auf die Frage, was er beim Militär gemacht hat.

»Dann sprichst du auch Arabisch?«

Assaf nickte langsam.

»Wie kannst du weiterhin an diesen Unsinn glauben, den man uns eintrichtert? Du verstehst die andere Seite doch…«

»Ich glaube weiter an den Unsinn, wie du es nennst, eben weil ich die Araber verstehe«, stellte der Kommissar ruhig fest. Gut, dachte er, es war gut, dass er den Mann in ein Gespräch verwickelte. Irgendwann würde der Soldat für einen Moment unachtsam sein. Dann könnte er sich auf den Jungen stürzen und ihn überwältigen. Dieser Moment war seine einzige Chance, wiederholte er in Gedanken wie ein Mantra. Assaf war sich ziemlich sicher, dass der Kerl nicht wirklich auf ihn schießen wollte. Sonst hätte er es längst getan. Aber gleichzeitig hatte er nicht vor, hier, mitten in der verdammten Wüste, zu sterben. Und sei es nur wegen der Kurzschlussreaktion eines überforderten Soldatenjünglings. Er hatte keine Angst vor dem Tod, aber er war einfach noch nicht fertig mit dem Leben. Und schon gar nicht jetzt– nicht nach dem, was Anat ihm gesagt hatte. Und wenn er schon früher als von der Natur vorgesehen abdanken müsste, dann nicht so. Für das Bild, das Assaf von sich selbst hatte, für das Bild, das er hinterlassen wollte, wäre dieser Abgang hier nicht annähernd spektakulär genug gewesen.

Er ging einen kleinen Schritt auf den Soldaten zu. So klein, dass dieser ihn kaum wahrnehmen würde. Der Kommissar hoffte aber, sich in kleinen Schritten so nah an den Mann heranwagen zu können, bis er eine realistische Chance hatte, ihn zu überwältigen. Je dichter er zu diesem Zeitpunkt an dem bewaffneten Mann stand, desto besser würde er ihn angreifen können.

»Willst du denn nicht deine Familie beschützen? Deine Schwester? Deine Nichte? Scheiß auf die Ideologien. Scheiß auf die Politiker. Aber was ist mit deiner Familie? Brauchen die keinen Schutz?«

»Ich muss niemanden beschützen, ich bin niemandem verpflichtet.« Der Soldat fuhr sich über die kurzgeschorenen, dunklen Haare, er begann, unruhig auf der Stelle zu tänzeln. »Ich habe niemanden außer mir selbst. Und mein Gewissen. Dem bin ich verpflichtet. Meinem Gewissen allein.« Seine Worte nahmen einen pathetischen Ton an. Die Verzweiflung über die Ausweglosigkeit der Situation, in die er sich gebracht hatte, wurde immer deutlicher. Assaf hatte das Gefühl, der junge Mann war kurz davor, sich nervös im Kreis zu drehen. Einen Fehler zu machen. Das bedeutete für den Kommissar, dass der Moment, in dem er dieses Drama zu seinen Gunsten drehen könnte, nahe war. Assaf war kein Mann der Übertreibung. Aber hier ging es im wahrsten Sinne um Leben oder Tod. Wenn er diese Floskel sonst hörte, konnte er immer nur müde lächeln.

Der Soldat tänzelte wie ein angeschlagener Boxer, blickte unruhig hin und her und rieb sich nun ebenfalls den Sand aus den Augen. Die Glock hielt er weiter schussbereit in der rechten Hand. Er wippte leicht nach rechts, fuhr sich fahrig mit der freien Hand über sein Gesicht. Der Kommissar entschied, dass er nun nicht mehr länger warten würde. Wie ein Raubtier sprang er auf den Mann zu. Die kargen Berge sahen regungslos zu, als der erste Schuss fiel. Er hallte einen kurzen Moment durch die Landschaft, bevor ihn der Wind abrupt verschluckte. Ein zweiter Schuss folgte. Dann herrschte Stille. Eine Stille, wie es sie nur in der Wüste gab.

ERSTER TEIL

Zwei Monate früher

»Ich bin 73 Jahre alt. Ich habe alles gesehen.

Ich habe die Könige und Königinnen getroffen, die Präsidenten. Ich bin überall auf der Welt gewesen. Aber es gibt noch eine Sache, die ich gerne machen würde: versuchen, Frieden zu erlangen.«

Ariel Sharon

Kapitel 1

Als Assaf Rosenthal aufwachte, sah er ihre Brüste. Große, wohlgeformte, runde Brüste. Sie stand, nur mit einem Slip bekleidet, vor ihrem Kleiderschrank. Hüpfte von einem Fuß auf den anderen, um den kalten Fliesenboden so wenig wie möglich zu berühren. Dabei wippten ihre langen, dunklen Haare mit. Ohne lange zu zögern, griff sie nach einem T-Shirt und zog es sich schnell über. Kein BH. Der Kommissar drehte sich im Bett und seufzte leise.

»Assaf? Bist du wach?«, fragte sie, während ihre langen Beine elegant in eine enge Jeans glitten.

»Hmmm.«

»Ariel Sharon ist tot.«

Er öffnete überrascht die Augen. »Ma?«

»Sharon– er ist tot. Endlich. Das war ja kein Leben mehr. Wie ein Gemüse an Maschinen. Und das seit acht Jahren. Was für eine Erlösung das für die Familie sein muss. Sof. Sof.« Sie setzte sich zu ihm aufs Bett und küsste ihn auf den Mund. »Ich muss jetzt los«, sagte sie. »Schließ die Tür ab, wenn du gehst, und leg den Schlüssel unter die Fußmatte.«

Er nickte müde. Nachdem er das schwere Zuschlagen der Haustür gehört hatte, rollte er sich langsam aus dem Bett und schlurfte in die Küche. Natürlich war ihr Kühlschrank leer. Außer stillem Wasser, einem Joghurt und einer angebrochenen Flasche Wodka sah es in dem Ding traurig aus. Er verwarf den Gedanken, den Tag mit Wodka zu beginnen und sich einfach krank zu melden, und griff stattdessen nach dem Joghurt. Während er diesen hastig in sich hinein löffelte, ärgerte Assaf sicheinmal mehr über Tel Aviver Single-Frauen, die nie etwas zu essen zu Hause hatten. Mal ganz abgesehen davon, dass sie alle nicht kochen konnten oder aus vorgeschobenen feministischen Gründen nicht kochen wollten– wo war das Problem, wenigstens ein bisschen Brot und Hüttenkäse im Haus zu haben? Bei dem Gedanken daran schüttelte der Kommissar den Kopf. In seinem Kühlschrank gab es immer Gemüse, Käse, Oliven und Eier. Es konnte schließlich nicht sein, dass man für jede kleine Mahlzeit in ein Restaurant rennen musste. Außerdem aß Assaf gerne zu Hause. Da war er genauso wie seine Mutter, die nicht verstand, warum man in Gaststätten gehen sollte, in denen es nur halb so gut schmeckte wie zu Hause, aber doppelt so viel kostete. In den Tel Aviver Restaurants wurde ein normal ausgewachsener Mann sowieso nicht satt. Dafür durfte man dann aber am Ende des Abends sein Portemonnaie leeren und ein Vermögen für heiße Luft zahlen.

Der Kommissar blickte auf sein Handy. Die Nachrichtenseiten schienen dankbar dafür, dass endlich mal wieder etwas anderes passiert war als all die Mafiamorde, die in den letzten Monaten die Medien beherrscht hatten. Sharon war also tot. Journalisten überschlugen sich mit Berichten über sein Schaffen, die von erfinderischen Namen und Bezeichnungen nur so strotzten, die dem Leben und Wirken des ehemaligen Ministerpräsidenten gerecht werden sollten: Der Patriarch. Kämpfer. Soldat. Schlachter. Bulldozer. Krieger. Architekt. Beschützer. Wahrer Löwe.

Der Mann, der nun Vergangenheit geworden war, endgültig. Assaf spürte auf einmal eine tiefe Traurigkeit, die er sich selbst nicht erklären konnte. Sharon war immerhin schon seit acht Jahren Vergangenheit. Seitdem er den Schlaganfall erlitten hatte und plötzlich von der Bildfläche verschwunden war. Seitdem sie sich mit Politikern herumschlagen mussten, denen alles, aber wirklich alles–vor allem aber ihr eigenes Wohlergehen– wichtiger schien als das ihnen anvertraute Land und seine Bürger. Der letzte große Anführer, so war Sharon schon zu Lebzeiten genannt worden. Er war seit dem Unabhängigkeitskrieg dabei gewesen. Ein starker Mann des Militärs. Einer, der in das moderne Israel nicht mehr recht hineinzupassen schien. Die Zeiten hatten sich geändert. Das sah man an Yair Lapid, der bei der letzten Wahl einen erdrutschartigen Sieg eingefahren hatte. Lapid hatte in der Armee als Journalist gedient– mit dieser Militärvergangenheit hätte der Schriftstellersohn früher keinen Stich beim Volk gesehen. Vielleicht aber auch gut so, dachte Assaf in einem Anflug für ihn untypischer Progressivität, während er den Joghurtbecher wegwarf und zurück ins Schlafzimmer ging, um sich anzuziehen. Vielleicht gut, dass die Zeiten sich geändert haben. Von Krieg wollte keiner mehr was hören– wichtiger war, was die Wohnungen, Pudding und Hüttenkäse kosteten. Die Leute sehnten sich nach normalen Problemen.

Nur wenige Minuten später erreichte der Kommissar seine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Blick auf das Kabbala-Center am Dizengoff-Platz. An der Tür begrüßte ihn seine neue Mitbewohnerin bereits sehnsüchtig wartend. Sie strich ihm um die Beine und warf sich dann auf den Rücken, um sich ausgiebig kraulen zu lassen. Assaf hatte die kleine graue Katze vor einigen Wochen auf dem Parkplatz hinter dem Hauptquartier der Polizei gefunden. Völlig ausgehungert, bewegungsunfähig, ein Auge schwer verletzt. Herzzerreißend miauend. Natürlich hat er das Tierchen zu einem Tierheim gebracht, und natürlich hatte ihm die junge Ärztin dort gesagt, dass sie höchstwahrscheinlich keinen neuen Besitzer für das einäugige Kätzchen finden würden. Alles, was sie daher tun könne, sei, die Katze gesund zu pflegen und sie dann wieder auf die Straße zu setzen. Während der Fahrt hatte Assaf jedoch bereits tiefe Gefühle für das kleine Geschöpf entwickelt und konnte daher unmöglich verantworten, dass es einfach wieder auf der Straße ausgesetzt wurde. Ihm war klar, dass er sich damit ein ernsthaftes Problem eingehandelt hatte: Nicht nur wollte er wahrlich nicht der alleinstehende Mann mit einer Katze sein; jeder, der sich auch nur rudimentär mit Katzen auskannte, wusste, dass man die Tiere am besten im Doppelpack hielt. Vor allem, wenn man so viel unterwegs war wie er. Also hatte er in dem kleinen, völlig überfüllten Tierheim, in dem sich eine ganze Schar verletzter Straßenstreuner angesammelt hatte, gleich noch ein verkümmertes Männchen ausgesucht. Einen roten Kater, der, geschädigt wie er vom Straßenleben war, trotzdem mit festem Blick aus seinem kleinen Käfig blickte und jeden Hund, der vorbeischarwenzelte, mit Verve anfauchte. Assaf ließ beide Tiere kastrieren und holte sie eine Woche später, nachdem er die horrenden Tierarztrechnungen beglichen hatte, nach Hause. Nun war Assaf der alleinstehende Mann mit zwei Katzen. Er nannte die Tiere Rocky und Adrian, nach den Protagonisten der Boxerfilme, um sich wenigstens bei der Namenwahl noch einen Funken Männlichkeit zu bewahren.

Den Viechern ging es gut bei ihm. Während ihn Katze Adrian liebevoll begrüßte, lag Rocky faul und zufrieden auf dem Sofa und blinzelte seinen Lebensretter nur müde an. Adrian folgte ihm auf Schritt und Tritt, wenn er da war. Sie war ein sehr anhängliches Geschöpf, das ganz auf ihn fixiert war. Morgens wartete sie schon vor der Schlafzimmertür, und wenn er dann ins Bad ging, begleitete sie ihn. Brachte der Kommissar Frauen mit nach Hause, verzog sie sich beleidigt, um kurze Zeit später mit unüberhörbarem Mauzen wieder auf seiner Türschwelle aufzutauchen. Zu seiner Überraschung hatte Assaf schnell festgestellt, dass die Katzen ihn nur noch attraktiver machten. Sie waren ein absoluter Frauenmagnet. Frauen assoziierten mit Katzen vor allem Sensibilität, und das färbte zu seiner Zufriedenheit auf ihn ab.

Der Kommissar füllte den Fressnapf auf und ging seine Post durch. Zwischen Rechnungen und Werbeprospekten neuer Restaurants, Schädlingsbekämpfer und Umzugsunternehmen fischte er einen Scheck heraus, der ihn für die Mitarbeit bei den Lokalwahlen im vergangenen Monat entlohnte. Achthundert Schekel dafür, dass er seine Mutter beim Wahlkampf für den von ihr auserwählten Kandidaten, Moshe Azulay, in seiner Heimatstadt unterstützt hatte. Das war wahrlich keine leichte Aufgabe gewesen. Am Tag der Wahl hatten sich vor dem Wahllokal allerhand streitwütige Gestalten zusammengefunden, die die Wähler, kurz bevor sie das wichtige Kärtchen in die Urne steckten, noch von den Vorzügen ihrer Parteien zu überzeugen versuchten. Am lautesten brüllten die Religiösen. Kriminelle mit Kippa, wie Assaf sie nannte. Solche, die im Knast zu Gott gekommen waren. Typen, die man vor allem in sozial schwachen Städten und Gemeinden sah und die ihre neu gefundene Religion wie früher die Schutzgelderpressung durchzusetzen versuchten. Und mittendrin Assafs Mutter, die von Streits angezogen wurde wie eine Motte vom Licht.

Assaf steckte den Scheck in sein Portemonnaie, zog sich seine nach Rauch stinkenden Klamotten aus und sprang unter die Dusche. Katze Adrian nahm auf dem Fensterbrett Platz und begann, sich zufrieden zu putzen. Als Assaf sich gerade eingeseift hatte, klingelte sein Handy. Eine Nummer aus dem Präsidium leuchtete dem tropfnassen Kommissar entgegen. Wahrscheinlich seine Sekretärin Zipi Meir. »Zipi, ich stehe unter der Dusche. Ma kore? Was gibt’s?«

»Boker tov, Assaf. Im Hotel Florida auf der Allenby wurde eine weibliche Leiche gefunden«, erklärte sie knapp.

Assaf fuhr sich kurz mit der freien Hand über seinen nassen Vollbart. Eigentlich müsste er sich noch dringend rasieren. »Wissen Liat und Schlomo schon Bescheid?«

»Schlomo ja. Liat habe ich nicht erreicht. Ich versuche es aber gleich noch mal.«

»Okay«, sagte Assaf langsam und griff nach seinem Handtuch, »ich mache mich auf den Weg.«

»Alles klar, Motek.«

Als der Kommissar seinen weißen Roller vor dem Hotel Florida abstellte, erfasste eine Windböe seine Jacke und wehte sie fast davon. Assaf schaute auf das nahe gelegene Meer, das sich in tosenden Bewegungen aufbäumte, als sei es mächtig wütend auf irgendetwas oder irgendwen. Er atmete den Geruch tief ein und betrat dann die Lobby der Absteige, von der Assaf vermutete, dass selbst die zwei Sterne, die neben der Eingangstür prangten, eine dreiste Übertreibung darstellten. Obwohl die Lobby direkt hinter der Eingangstür lag, durch die man das Hotel von der Allenby-Straße aus betrat, war es den Architekten gelungen, das Gebäude so zu bauen, dass auch ja kein Funken natürliches Licht in den Raum gelangte. Wahrscheinlich lag es an den seltsamen spitzwinklig zulaufenden Arkaden, die man vor das Gebäude gesetzt hatte und die das Licht verschluckten wie ein Schwarzes Loch.

In der Lobby empfing ihn ein Geruch von Knoblauch und Zwiebeln. Ein paar breitschultrige Männer saßen auf durchgesessenen Sesseln. Sie bellten einander auf Russisch an wie bissige Hunde. Der Kommissar wandte sich an den Streifenpolizisten, der an der Treppe, die wohl zu den Zimmern führte, stand– unbeteiligt, als würde er hier auf den Bus warten. Assaf zeigte dem jungen Mann seinen Dienstausweis, und der Polizist führte ihn daraufhin schlurfend in den zweiten Stock. Der Flur, von dem die Zimmer gleichmäßig abgingen, war stockduster. Hundertfünfzehn Dollar kostete ein Doppelzimmer hier, diesen Preis hatte er zumindest auf einer Infotafel an der Rezeption gesehen. Der Kommissar ging kopfschüttelnd den engen Gang entlang. Die reine Abzocke. Da half auch die Nähe zur Strandpromenade nichts.

Der Streifenpolizist zeigte auf die dunkelbraune Holztür mit der goldenen Zimmernummer »13«, und als Assaf sie öffnete, warteten dahinter bereits der Chef der Spurensicherung Schlomo Malul und zwei weitere Kollegen auf den Kommissar.

»Assaf, weißt du, wo Liat ist? Wir können hier nicht weitermachen ohne sie«, brummte Schlomo ohne eine weitere Begrüßung und lief dabei im Kreis wie ein Tiger im Käfig.

»Rega, ich ruf sie kurz an.« Assaf wählte die Nummer, und während bei ihm im Telefon ein Freizeichen ertönte, hörte er schon Liat Schapiras eindringlichen Klingelton im Flur näher kommen.

»Bin schon hier, bin schon hier…«, rief sie hektisch, während sie das kleine Doppelzimmer mit Meerblick betrat.

»Du lieber Gott, wie siehst du denn aus?«, begrüßte der Kommissar die Rechtsmedizinerin erschrocken.

»Charmant. Möchte mal sehen, wie du aussiehst mit frisch geborenen Zwillingen, von denen einer eine Drei-Monats-Kolik hat. Stell dir folgendes Szenario vor: Immer wenn du endlich nach einer gefühlten Ewigkeitdas eine Baby beruhigt hast, fängt das zweite wieder an. Und dann das erste wieder. Ein nicht enden wollender Kreislauf aus Windeln wechseln, Füttern und Schreien. Fällt dir etwas auf? Ja, der Teil, wo man schläft, fehlt. Weißt du, warum? Weil wir verdammt noch mal nicht zum Schlafen kommen! Und dann hat meine Assistentin auch noch gekündigt, und ich ersticke in Arbeit.« Sie stieß einen kurzen Schrei aus und nahm dann einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher, auf dem das schwarz-rote Logo der Aroma-Kette prangte.

»Jeiks.« Assaf verzog das Gesicht.

»Immerhin kann ich arbeiten. Noa ist den ganzen Tag in den Fängen dieser kleinen Tyrannen.« Liat grinste, und der Kommissar kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie trotz ihrer harschen Worte glücklicher war als vorher. Auch wenn ihm selbst diese Art von Glück, dieses Elternglück, das angeblich alles vorher Dagewesene überstrahlte, völlig fremd war.

»Nu, was haben wir denn hier…« Liat folgte Schlomo ins Badezimmer. Assaf ging langsam hinterher.

In der Badewanne lag eine junge Frau mit langen hellbraunen Haaren. Sie trug ein rotes T-Shirt, eine dunkelblaue Jeans und graue Turnschuhe. Ihr Kopf befand sich unter Wasser, so dass die Haare wie Algen auf einem Teich schwammen.

»Das Zimmermädchen hat sie gefunden«, sagte Schlomo.

»Hier gibt’s ein Zimmermädchen?« Liat schaute sich abschätzig um.

»Anscheinend. Wir haben auch einen Abschiedsbrief gefunden«, erklärte Schlomo und verließ gemeinsam mit dem Kommissar, der genug gesehen hatte und der sich auch nach den Jahren bei der Polizei immer noch nicht an den Anblick von Leichen gewöhnt hatte, das kleine Bad, damit Liat ihre Arbeit machen konnte.

Assaf griff nach dem Zettel, der an den Ecken ganz ausgefranst war. »Es tut mir leid, ich kann nicht mehr. Macht euch keine Sorgen, jetzt geht es mir gut«, stand dort in leicht nach links geneigter, kugeliger Mädchenschrift.

»Hm«, stellte der Kommissar fest. »Da hat sich aber jemand sehr kurz gefasst. Habt ihr irgendwo persönliche Gegenstände gefunden?«

»Nichts. Das ist wirklich seltsam. Entweder sie hat mit Absicht nichts dabei gehabt, oder…«

»Oder die ganze Angelegenheit hier stinkt gewaltig.«

»Genau. Das dachte ich auch«, stimmte der Chef der Spurensicherung zu.

»Habt ihr sonst noch etwas gefunden?«, fragte Assaf, während er sich in dem kleinen Zimmer umsah. An den Fenstern hingen schwere braune Vorhänge, und auch sonst war die Einrichtung aus einem anderen Jahrhundert.

»In einem Hotelzimmer nach DNA-Spuren zu suchen ist müßig. Das gibt eine Menge Mischprofile. Und ihre Klamotten haben, wie du gesehen hast, sicherlich eine ganze Weile im Wasser gelegen. Die müssen wir also sowieso erst einmal trocknen.«

»Alles klar. Schaut ihr euch auch die Mülltonnen an?«

»Betach. Mein Kollege ist schon unten und wühlt im Abfall wie ein Straßenkater.« Schlomo grinste und klopfte Assaf herzhaft auf die Schulter, bevor er sich umdrehte, um weiterzuarbeiten. »Ach so, ein Wasserglas haben wir auch auf dem Schreibtisch gefunden.«

»Damit hat sie wahrscheinlich eine ganze Menge Pillen eingenommen«, warf Liat Schapira ein, die in diesem Moment ihren Kopf aus dem Badezimmer steckte.

»Du glaubst, sie hat sich mit Tabletten vergiftet?«

»Vermutlich. Neben der Tatsache, dass junge Frauen meist diese Art des Suizids wählen, sieht doch alles danach aus. Ich sehe keine Spuren von äußerer Gewalt. Keine technischen Geräte, die in das Badewasser gefallen sein könnten…«

»Wie auch«, rief Schlomo zustimmend aus der linken Zimmerecke, »die haben ja hier nicht einmal einen Fön.«

»Wie alt war das Mädchen schätzungsweise?«, fragte der Kommissar.

»Ich würde sagen um die zwanzig. Eine genaue Analyse bekommst du von mir, wenn ich hier fertig bin und meine hundert anderen Fälle abgearbeitet habe«, entschied die Rechtsmedizinerin und zog sich mit einem Gähnen ins Bad zurück.

»Beseder. Ich spreche dann mal mit dem Hotelmitarbeiter unten in der Lobby. Unter irgendeinem Namen muss das Mädchen ja eingecheckt haben.«

Als der Kommissar im Erdgeschoss ankam, musste er mit Unmut feststellen, dass sich in der Lobby bereits ein Reporter eingefunden hatte, der in diesem Moment Fotos vom Eingang des Hotels machte. Der Kerl mit dem Teiggesicht und dem Pferdeschwanz war kein Unbekannter: Eran Danziger hatte ein feines Gespür dafür, wo er ein ungebetener Gast war. Assaf forderte den Mann auf, aus dem Weg zu gehen, und raunte dem Polizeibeamten erbost zu, dass er hier sei, um solche Plagen vom Tatort fernzuhalten. Der Polizist guckte ihn nur trottelig an.

»Kommissar Rosenthal, gibt es schon einen Hinweis, wer das Mädchen umgebracht haben könnte?«, fragte Eran Danziger in seinem gewohnt hektischen Tonfall.

»Verschwinde, Danziger! Wenn wir etwas wissen, werden wir dich wie all die anderen Aasgeier informieren«, kanzelte Assaf den Kriminalreporter ab. Der Kommissar hielt nicht viel von den israelischen Nachrichten und ihren Mitarbeitern. Sie waren ihm entweder zu links oder zu reißerisch. Wenn er die einstige Qualitätszeitung Yedioth Ahronoth aufschlug, hatte er das Gefühl, ein Boulevardblatt vor sich zu haben. Der Fernsehsender Channel2 hatte es sich kürzlich auch mit dem Kommissar verdorben, als die Nachrichtensendung einen lächerlichen Report über die israelischen Freimaurer, zu denen er selbst gehörte, brachte– untermalt mit mittelalterlicher Gruselmusik und spöttischen Kommentaren des Moderators.

Nachdem Assaf sichergestellt hatte, dass der Reporter wirklich verschwunden war, wandte er sich an den Mann hinter dem Tresen im Eingangsbereich. Dessen Gesicht sah gräulich verfärbt aus, und Assaf war sich nicht sicher, ob es sich dabei um die normale Gesichtsfarbe des Mannes handelte oder ob ihm der Vorfall an seinem Arbeitsplatz so zugesetzt hatte.

»Kommissar Assaf Rosenthal«, stellte sich Assaf kurz vor, »kannst du mir sagen, wer auf Zimmer13 eingecheckt hat?«

Das Graugesicht verzog sich leicht, und der Mann räusperte sich nervös. »Das ist… ähm… ja, das habe ich deinem Kollegen schon erzählt«, stammelte er mit Blick auf den Streifenpolizisten. »Das ist eine seltsame Angelegenheit.«

»Was ist seltsam?«

»Auf Zimmer13 hat niemand eingecheckt. Schon seit Monaten nicht. Ich bin den gesamten Kalender seit Pessach durchgegangen.«

Assaf stöhnte. »Wer ist denn hier verantwortlich? Kann ich mal den«, er überlegte kurz, ob man das Wort Hoteldirektor in dieser Absteige überhaupt ruhigen Gewissens benutzen konnte, schließlich sagte er es aber doch, »Hoteldirektor sprechen?«

»Herr Nanikashvily senior, der Hotelchef, ist nicht verfügbar.« Der Hotelmitarbeiter zögerte kurz und strich sich über sein spärlich vorhandenes Haar. »Ich weiß gar nicht, ob ich dir das sagen darf. Weißt du, ich arbeite erst seit kurzem hier. Genauer gesagt, seit zwei Wochen. Den Senior habe ich noch nie gesehen. Aber sein Sohn, Schimon, hatte gestern Abend Dienst. Meine Schicht begann erst um sechs heute Morgen.«

»Und schon eine Leiche im Laden. Nichts für ungut. Schreib mir einfach die Adresse auf, wo ich diesen Schimon Nanikashvily finden kann. Ist dir sonst irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Seit heute Morgen, meine ich?«

»Lo, gar nichts«, beteuerte der Mann.

»Kann ich dann mal bitte mit dem Zimmermädchen sprechen, das die Leiche gefunden hat?«

»Das ist auch so eine Sache.«

»Was für eine Sache?«

»Sie ist weg. Sie hat mir Bescheid gesagt, also, dass da eine Leiche in Zimmer13 liegt, und war dann plötzlich verschwunden, als deine Kollegen eingetroffen sind.«

»Dann auch bitte Name und Adresse dieser Frau«, sagte Assaf genervt.

»Das ist komplizierter, als man denken würde.«

Langsam verlor Assaf die Geduld mit dem Mann. »Du rückst jetzt die Adresse raus«, fuhr er ihn an und lehnte sich bedrohlich über die Theke.

Der blasse Rezeptionist wich erschrocken zurück. »Kommissar, ich… das würde ich ja gerne… aber ich kann nicht… weil von Hasna nirgendwo eine Adresse hinterlegt ist.«

»Telefonnummer?«

»Ja, die gibt es, Moment.« Er blätterte ungelenk in seinen Unterlagen. »0598987767.«

»0598? Das ist eine palästinensische Handynummer.«

Der Mann zuckte mit den Schultern.

»Hat die Frau Hebräisch gesprochen? Und gibt es zu Hasna auch einen Nachnamen?«

»Ich… ich weiß nicht«, stammelte der Rezeptionist. »Sie hat meist englisch gesprochen. Ich dachte, sie wäre aus Russland oder so.«

Der Kommissar verkniff sich die Bemerkung, dass Russen selten arabische Vornamen hatten. Dann überlegte er, wie es sein konnte, dass das Zimmermädchen eine palästinensische Handynummer hatte. Seines Wissens gab es in Israel keine legalen palästinensischen Gastarbeiter mehr. Mit der zweiten Intifada war auch dieses Kapitel israelisch-palästinensischer Zusammenarbeit beendet worden. Das Sicherheitsrisiko war einfach zu groß. Ihm fiel ein Zeitungsartikel ein, in dem der Leiter der israelisch-palästinensischen Außenhandelskammer dazu aufgerufen hatte, wieder mehr palästinensische Gastarbeiter ins Land zu lassen– auch um die wirtschaftliche Situation ihrer Nachbarn zu verbessern. Aber der Kommissar konnte sich nicht erinnern, dass so ein Vorhaben mittlerweile tatsächlich umgesetzt wurde. Wer illegal ins Land kam, war hingegen eine ganz andere Frage. Trotz Sperrzaun und Mauer gab es immer noch genügend Lücken, durch die man praktisch täglich aus der Westbank nach Israel und zurück gelangen konnte. Aber dann auch noch bis Tel Aviv zu reisen, das war ein ganz schöner Aufwand für einen regelmäßigen Job. Und gefährlich noch dazu. »Und du bist sicher, dass die Nummer mit 0598 beginnt?«

Der Mann nickte eifrig. Er hatte inzwischen auch die Adresse von Schimon Nanikashvily auf ein Blatt gekritzelt und reichte sie nun salbungsvoll dem Kommissar. Assaf stellte überrascht fest, dass der Mann in einer Villengegend in Herzlia Pituach gemeldet war. Dort, wo ein Haus gut mehrere Millionen Dollar kostete, sollte ein Mitarbeiter dieses schäbigen Hotels wohnen? Na, das klang doch mal nach einem spannenden Besuch. Als Sohn des Hoteldirektors könnte der Mann auch gleich mal erklären, warum sie hier eine palästinensische Putzkraft beschäftigten. Das war zwar Sache der Einwanderungspolizei, aber wenn man denen einen heißen Tipp geben konnte, hatte man was gut bei der Abteilung. Und das war immer nützlich.

Assaf verließ das Hotel und wählte die Nummer seines Kollegen Yossi Hag. »Yossi, ich bin im Hotel Florida auf der Allenby. Kannst du mich abholen? Wir fahren nach Herzlia.«

Nachdem sie sich eine gute halbe Stunde förmlich aus Tel Aviv herausgequält hatten–in der Stadt herrschte zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Verkehr, den man aus anderen Städten nur zu Feierabendzeiten kannte–, erreichten sie Herzlia am späten Vormittag. Assafs Magen knurrte im Takt mit der Orientmusik, die sein Kollege mit Vorliebe im Auto hörte. Aber an eine richtige Mahlzeit war vorerst nicht zu denken. Um aber überhaupt noch bewegungs- und denkfähig zu bleiben, bat er Yossi, kurz am McDrive in Herzlia zu halten.

»Ich weiß nicht, wie du so einen Fraß essen kannst und trotzdem so schlank bleibst«, kommentierte Yossi grantig, während der Kommissar hastig einen Burger herunterschlang. Assafs Kollege hatte immer ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen und wurde von ihrem Chef Chaim Wieler regelmäßig dazu aufgefordert, endlich mehr Sport zu treiben. »Hag, nimm endlich ab. Sonst laufen dir die Gangster irgendwann alle davon«, hörte Assaf ihren Chef des Öfteren auf dem Flur rufen. Eine glänzende Ironie der Dinge, war doch Wieler selbst das, was man gemeinhin als dick bezeichnete. Als die fetteste Sau der israelischen Polizei hatte ihn ein entlassener Mitarbeiter sogar kürzlich vor allen Leuten beschimpft, und der Kommissar hatte bei allem Entsetzen über diese Respektlosigkeit damals auch sehr über diese Beleidigung schmunzeln müssen. Wer aber glaubte, dass solche Angriffe Wieler etwas ausmachten, lag falsch. Chaim Wieler, der bereits beim Militär Assafs Vorgesetzter und vor allem sein Mentor gewesen war und ihn nach seinem Wechsel zur Polizei nachgeholt hatte, hatte sich kurz geschüttelt und war dann in sein Büro zurückgewalzt. Er war wie der verstorbene ehemalige Ministerpräsident Ariel Sharon ein Bulldozer. Einer, der gemächlich, aber sicher seinen Weg entlangrollte und dabei alles plattmachte, was sich ihm in die Bahn stellte. Das klang auf den ersten Blick furchtbar, aber in Wahrheit war es eine Eigenschaft, die der Kommissar sehr schätzte. Vielleicht auch deswegen, weil sie sich von seiner Taktik fundamental unterschied. Unterscheiden musste. Denn schmal, wie Assaf war, hätte ihm beim besten Willen niemand den Bulldozer abgenommen. Er konnte schlicht aus physischen Gründen nichts aus dem Weg walzen, er war mehr der Typ Slalomläufer.

»Laut Waze müssen wir jetzt rechts abbiegen, und dann sollten wir schon in der Wingate sein«, stellte Assaf mit Blick auf sein Handy fest. »Dort in der Nummer sieben wohnt die Familie Nanikashvily.«

»Georgier ha?«, stellte Yossi trocken fest. »Na yalla, das kann ja lustig werden.«

Sie parkten den Wagen vor einer hohen Mauer, die sich um das gesamte Gelände wie ein mittelalterlicher Schutzwall schlängelte. Auf den ersten Blick entdeckte Assaf drei Sicherheitskameras, die auf der Mauer neben dem Eingangstor angebracht waren. Er ging ein paar Schritte nach rechts und links und zählte insgesamt sieben. Auch am Eingang war eine Sicherheitskamera befestigt, in die der Kommissar und Yossi stumm hineinstarrten, als sie klingelten. Eine junge Frauenstimme fragte, was sie wollten und wer sie seien. Assaf hielt seinen Dienstausweis in die runde Linse. Kurze Zeit später öffnete sich summend das schwere Eisentor, und sie betraten den großzügigen Vorplatz der Villa. Auf einem gläsernen Vordach hatte ein übermotivierter Gärtner eine riesige grüne Buschkugel akkurat zurechtgeschnitten. Der Eingangsbereich war asphaltiert, und vor dem Haus stand ein hellblauer Ferrari.

Das Haus selbst schien recht neu zu sein. Die Mittelmeerluft hatte noch nicht allzu sehr am hellen Putz genagt, und der Baustil entsprach dem aktuell angesagten Look. Viel Glas, gerade, lange Linien, keine Ecke zu viel. Eine junge, attraktive Frau in Minirock, dem eskaum gelang, ihre Pobacken zu verdecken, öffnete ihnen und führte sie auf die Terrasse. Sie durchquerten dabei das Haus, dessen Inneres in einem fast lächerlichen Kontrast zum minimalistischen Baustil stand. Den Kommissar überraschte das Zuviel von allem kaum. Sein Vater hatte viele georgische Freunde, und er wusste, dass sie es üppig liebten: Goldene Kronleuchter, Raubkatzenfiguren aus edel glänzendem Porzellan und antike Gemälde hinter einem mit Blattgold belegten Treppengeländer waren hier nur die Spitze des Eisberges. Assaf und Yossi konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Genau so hatten sie sich eine georgische Luxusvilla vorgestellt. Sie nahmen auf der Terrasse Platz, die ihnen einen hervorragenden Blick auf den protzigen Swimmingpool gewährte, um den herum eine Armada aus marmorierten Statuen stand. Der Pool selbst stellte bereits eine unfassbare Dekadenz dar, immerhin lag das Mittelmeer nur fünf Minuten von ihnen entfernt, und Israel gehörte zu den wasserärmsten Ländern der Welt.

»Meine Herren, was kann ich für euch tun?«, klang nur kurze Zeit später eine kräftige Männerstimme durch den Garten, und als der Kommissar sich umdrehte, war er überrascht, wie klein und rundlich der Mann war– ganz im Gegensatz zu seiner Stimme.

»Schimon Nanikashvily?«