Toxic Positivity - Whitney Goodman - E-Book

Toxic Positivity E-Book

Whitney Goodman

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Beschreibung

Weshalb Optimismus uns nicht immer guttut - der Ratgeber zum Phänomen "Toxic Positivity" "Good vibes only": Dieses Motto ziert heute etliche Plakate, T-Shirts, Instagram-Posts und Vision-Boards. Hinter diesem Gute-Laune-Spruch verbirgt sich mehr, als man auf den ersten Blick ahnt. In jeder Situation gut drauf zu sein, positive Energie auszustrahlen und keine negativen Gefühle zuzulassen ist der Anspruch, den man erfüllen soll. Hier zeigt sich das Phänomen des Toxischen Optimismus, das laut der bekannten Psychotherapeutin Whitney Goodman zu einem immer größer werdenden Problem unserer Gesellschaft wird. In schwierigen Situationen hören wir von Mitmenschen oft Sätze "Du musst einfach positiv denken", oder "alles passiert aus einem guten Grund". Statt zu trösten, lösen Sätze wie diese Wut und Scham aus, und wir bekommen das Gefühl, unsere negativen Empfindungen hätten nicht die Berechtigung, gefühlt zu werden. Whitney Goodman erklärt in ihrem Buch einfühlsam und mit einer Prise Humor über die vielen Facetten des Toxischen Optimismus im Alltag. Im nächsten Schritt bietet sie praktische Hilfestellungen, wie wir uns gegen diesen Druck des "Good vibes only" wehren. Außerdem gibt sie Tipps, wie wir in der umgekehrten Position echten Trost spenden können, wenn es anderen schlecht geht. Dieser Ratgeber ist ein wichtiges und aktuelles Buch einer sympathischen Expertin auf ihrem Gebiet.

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Seitenzahl: 311

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Whitney Goodman

Toxic Positivity

Wie wir uns von dem Druck befreien, immer glücklich sein zu müssen

Aus dem amerikanischen Englisch von Franka Reinhart

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Weshalb Optimismus uns nicht immer guttut – der Ratgeber zum Phänomen »Toxic Positivity«

»Good vibes only«: Dieses Motto ziert heute etliche Plakate, T-Shirts, Instagram-Posts und Vision-Boards. Hinter diesem Gute-Laune-Spruch verbirgt sich mehr, als man auf den ersten Blick ahnt. In jeder Situation gut drauf zu sein, positive Energie auszustrahlen und keine negativen Gefühle zuzulassen ist der Anspruch, den man erfüllen soll. Hier zeigt sich das Phänomen des toxischen Optimismus, das laut der bekannten Psychotherapeutin Whitney Goodman zu einem immer größer werdenden Problem unserer Gesellschaft wird. In schwierigen Situationen hören wir von Mitmenschen oft Sätze wie, »Du musst einfach positiv denken«, oder »alles passiert aus einem guten Grund«. Statt zu trösten, lösen Sätze wie diese Wut und Scham aus, und wir bekommen das Gefühl, unsere negativen Empfindungen hätten nicht die Berechtigung, gefühlt zu werden.

Whitney Goodman erklärt in ihrem Buch einfühlsam und mit einer Prise Humor die vielen Facetten des toxischen Optimismus im Alltag. Im nächsten Schritt bietet sie praktische Hilfestellungen, wie wir uns gegen diesen Druck des »Good vibes only« wehren. Außerdem gibt sie Tipps, wie wir in der umgekehrten Position echten Trost spenden können, wenn es anderen schlecht geht. Dieser Ratgeber ist ein wichtiges und aktuelles Buch einer sympathischen Expertin auf ihrem Gebiet.

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Einleitung: Du hast mehr verdient als nur ein bisschen positive Energie

Kapitel 1: Was ist toxischer Optimismus?

Sie will doch nur helfen

Aber ist Optimismus denn nicht immer erstrebenswert?

Scham getarnt als Optimismus

Toxischer Optimismus bedeutet, die Augen zu verschließen

Authentisch sein ist wichtig

Der richtige Zeitpunkt

Das Gegenüber

Schwierige Themen

Zu viel des Positiven tut uns nicht gut

Typische Beispiele für toxisch positives Verhalten

Warum ist Positivdenken so attraktiv und verlockend?

Positivdenken und die Illusion von Hoffnung und Kontrolle

Früh übt sich

Lässt sich wirklich alles manifestieren?

Aber ich will nicht negativ denken

Reflexion

Kapitel 2: Warum wir nicht immer positiv denken können

Nicht arbeitslos, sondern stressbefreit!

Haben positiv Denkende immer Erfolg?

Negatives bewusst in die Arbeit einbringen

Toxisches Positivdenken im Arbeitsumfeld vermeiden

Sie haben Krebs, bitte lächeln

Das Wundermittel

Wohlbefinden > positives Denken

»Good Vibes Only« – der Gott der positiven Energie

Gott will, dass du glücklich bist

Psyche und Religion gehören zusammen

Wissenschaft und positives Denken

Reflexion

Kapitel 3: Wenn positives Denken nicht weiterhilft

1. Unfruchtbarkeit und glücklose Schwangerschaft

2. Tod und Trauer

3. Krankheit und Behinderung

4. Beziehungsprobleme

5. Familie und Familienkonflikte

6. Berufliche Probleme oder Jobverlust

7. Äußere Erscheinung

8. Nach einem traumatischen Ereignis

9. Schwangerschaft und Elternrolle

10. Rassismus, Homophobie, Sexismus, Ableismus, Klassismus, Diskriminierung aufgrund von Größe oder Gewicht und andere Vorurteile

11. Psychische Probleme

Reflexion

Kapitel 4: Schluss mit Schamgefühlen

Toxischer Optimismus uns selbst gegenüber

Warum positive Affirmationen nichts nützen

Wie Affirmationen gelingen

Schwierige Emotionen aushalten

Negative Emotionen gibt es nicht

Sei gefälligst dankbar

Was ist Dankbarkeit?

Funktioniert das mit der Dankbarkeit?

Ich sollte dankbar sein, aber …

Dankbarkeit lässt sich nicht erzwingen

Dankbarkeit ausnutzen

Reflexion

Kapitel 5: Wie lassen sich Emotionen verarbeiten?

Was sind Emotionen?

Wie entstehen Emotionen?

Wie funktionieren Emotionen?

Emotionen zu unterdrücken ist riskant

Die eigenen Emotionen benennen

Emotionen und Gefühle bewusst empfinden

Emotionen und Gefühle zeigen

Emotionen zeigen – so gelingt es

Wie lassen sich Emotionen ausdrücken?

Reflexion

Kapitel 6: Grund zur Klage

Was bedeutet es, sich zu beklagen, und warum tun wir es?

Kann das Klagen schaden?

Warum beklagen wir uns?

Warum lösen Klagen Unbehagen aus?

Sind Klagen berechtigt?

In der Klageschleife gefangen?

Sich konstruktiv beklagen

Reflexion

Kapitel 7: Anderen zur Seite stehen

Die Absicht zählt. Die Wirkung jedoch noch mehr.

Zu unserem eigenen Anteil stehen

Sich mitteilen, ohne zu verletzen

Grundlegendes

Anderen hilfreich zur Seite stehen

Negatives gehört zum Leben

Nein, wir können nicht alles Negative aus unserem Leben verbannen

Aber ich kann »negative« Menschen nicht ausstehen

Umgang mit »Schwarzmalern«

Und wenn ich einer Person wirklich aus dem Weg gehen muss?

Ein bisschen negativ sind wir doch alle

Reflexion

Kapitel 8: Lächelnde Diskriminierung

»Gaslighting« in Reinform

Gesundheit und Glück

Die Undankbaren

Glückliche Hausfrauen und wütende Feministinnen

Wenn du so aussiehst wie ich, wirst du auch glücklich sein

Sie sind mit so wenig zufrieden

Solange du glücklich bist

Kapitel 9: In einer komplizierten Welt Erfüllung finden

Jage dem Glück nicht mehr nach

Lebe im Einklang mit deinen Werten

Validierung und ein kräftiger Tritt in den Hintern

Die Ratgeber zuklappen

Ein wenig positive Fantasie tut bisweilen gut

Selbst herausfinden, was am besten passt

Abschließend: Was es heißt, Mensch zu sein

Toxischen Optimismus in freier Wildbahn erkennen

Danksagung

Literaturempfehlungen

Für meinen Mann.

Wir gehören zusammen – in guten wie in schlechten Zeiten

Einleitung

Du hast mehr verdient als nur ein bisschen positive Energie

Vermutlich hat dich das vorliegende Buch aus einem dieser Gründe angesprochen:

Du hast selbst schon toxisch positive Situationen erlebt und bist genervt davon.

Du weißt zwar nicht, was toxischer Optimismus sein soll, findest das Thema aber interessant.

Du kannst dir partout nicht vorstellen, wie eine positive Einstellung toxisch sein kann, willst aber unbedingt erfahren, was für himmelschreiendes Zeug ich in diesem Buch verbreite.

Was auch immer du für Gründe hast, ich freue mich, dass du dabei bist.

Wie viele aufstrebende Psychotherapeuten konnte ich zu Beginn meines Berufslebens noch nicht so recht ermessen, worauf ich mich da einlasse. Ich wusste nur, dass ich gern anderen Menschen helfen wollte und neugierig war auf ihre persönlichen Geschichten. Erst später (auch im Laufe meiner eigenen Therapie) fand ich heraus, dass mein Berufswunsch vor allem eine Motivation hatte: Ich wollte alles über Beziehungen und die menschliche Psyche lernen, um die mir nahestehenden Menschen von ihren Problemen zu befreien und selbst nie wieder seelischen Schmerz zu erleben. Liebe Berufskolleginnen und angehende Therapeuten – ihr wisst, wovon ich rede.

Als ich in meinem Beruf zu arbeiten begann, war ich also reichlich blauäugig und voller Illusionen. Und obendrein verschlossen und verhärtet. Ich erwartete von meinen Patientinnen und Patienten, dass sie sich öffneten, ohne selbst dazu bereit zu sein. Als Anfängerin wollte ich Menschen kurieren, stellte jedoch bald fest, dass es überhaupt nicht um Kurieren ging. Vielmehr brauchten die Betroffenen schlichtweg jemanden, der ihnen zuhört und sie unterstützt. Zunächst nahm ich an, es ginge in erster Linie darum, mein umfassendes Wissen zu vermitteln, doch in Wirklichkeit bin ich vor allem eines: Zuhörerin. Ich dachte, irgendwann würde ich mich selbst und die Welt besser verstehen, aber es werden ständig mehr Fragen. Ich wollte die Menschen um mich herum verändern, musste jedoch einsehen, dass ich einzig und allein mich selbst ändern kann. Auch wenn meine Vorstellungen von diesem Beruf etwas abwegig waren, bin ich heute wirklich sehr zufrieden mit meiner Wahl.

Ich arbeite gern als Therapeutin, auch wenn ich mich im Kollegenkreis oft ein wenig als Außenseiterin fühle, da Meditation, Teetrinken und Yoga so gar nicht mein Ding sind. Ich rede viel zu laut, trage nie Cardigans und verabscheue Motivationssprüche an der Wand. Ich habe ja versucht, sanfter zu werden und mich auf die ganzen Affirmationen und Interventionen einzulassen, in denen es darum geht, »Kontakt mit dem inneren Kind« aufzunehmen und ihm »liebevoll zu begegnen«. Doch das funktioniert bei mir einfach nicht. Genauso wenig, wie mir die meisten Psychologie-Ratgeber und Selbsthilfebücher etwas bringen. Sie kommen mir allesamt viel zu sehr mit Samthandschuhen daher. Ich will, dass jemand klipp und klar sagt, was Sache ist. Als frischgebackene Therapeutin geriet ich zunächst in eine mittelschwere Identitätskrise. Erst seit ich regelmäßig auf Instagram unter @sitwithwhit meine Gedanken zu posten begann, erkannte ich, dass die Art, wie ich gern arbeiten wollte, durchaus ihre Berechtigung hat.

Am 1. Februar 2019 scrollte ich durch Pinterest und stieß dabei auf unzählige »aufbauende« und »inspirierende« Motivationssprüche, die tausendfach geteilt wurden. Die leuchtenden Farben und drolligen Schriftarten, mit denen sie daherkamen, ärgerten mich. Ich fühlte mich nicht ernst genommen und fragte mich zudem besorgt, was sie bei Menschen in labiler psychischer Verfassung womöglich auslösten. Deshalb erstellte ich kurzerhand eine Pinnwand, auf der ich nun schon seit Jahren solche Glückssprüche und -zitate sammle, die mich ärgern. (Diese Pinnwand diente übrigens als Inspiration für das Cover der US-Ausgabe dieses Buches.) Am selben Tag teilte ich auf Instagram eine meiner ersten Grafiken mit einer Auswahl der auf Pinterest zusammengetragenen Zitate, versah sie mit dem Label »toxic positivity« und listete Alternativen dazu auf, die meiner Ansicht nach viel tröstlicher und hilfreicher waren. Das war mein erster Post, der viral ging, und meine bis dahin überschaubare Fangemeinde vervielfachte sich auf einen Schlag. Ich war verblüfft, wie viele Leute mir zustimmten und wie der Ausdruck toxic positivity ganz offensichtlich einen Nerv traf. Gleichzeitig schlugen mir im Netz erstmals massive Kritik und Widerstand von Leuten entgegen, die anderer Meinung waren. In den vergangenen Jahren veröffentlichte ich weitere Beiträge über toxische Positivität in Bezug auf Trauer, Rassismus und weitere wichtige Themen, die bis heute zu meinen populärsten und zugleich kontroversesten Posts gehören. Auch wenn ich schnell erkannte, dass ich hier auf etwas Wichtiges gestoßen war, hätte ich niemals gedacht, wie viel Zustimmung ich damit ernten würde.

Derart toxischer Optimismus war mir schon sehr lange aufgestoßen, ohne dass ich einen Namen dafür hatte. Ich erlebte es früher in meiner eigenen Familie, in sozialen Netzwerken, beim Gottesdienst, in der Schule und schließlich auch als Therapeutin bei meinen Patienten. Ich stellte fest, dass wir alle dazu beitragen, obwohl wir uns hinter vorgehaltener Hand darüber beschweren. Mir ging es genauso, weil ich das Gefühl hatte, mich ebenso verhalten zu müssen, um nicht als »zu negativ« zu gelten. So machte sich diese Haltung in meinem Leben breit, sowohl beruflich als auch privat. Doch nachdem sie mir bewusst geworden war, konnte ich sie nicht mehr ignorieren.

Obwohl ich das Phänomen erst jetzt wirklich wahrnahm, existiert es doch schon seit Jahrhunderten. Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen wie Sara Ahmed, Audre Lorde, Barbara Ehrenreich, Gabriele Oettingen und bell hooks setzen sich seit Langem kritisch mit dem gnadenlosen Streben nach Glück und dessen destruktiven Auswirkungen in aller Welt auseinander, insbesondere in Bezug auf marginalisierte Gruppen. Klug und eloquent erörtern sie ihre Erkenntnisse, die für mich ein wichtiger Schlüssel waren, um zu verstehen, wie verbreitet toxische Positivität mittlerweile ist. Obwohl zahlreiche Untersuchungen klar belegen, dass zwanghafter Optimismus in vielen Situationen wirkungslos ist, hält die Ratgeberwelt weiterhin um jeden Preis daran fest. Mein Anliegen ist es, diese Einsichten aus dem akademischen Elfenbeinturm herauszuholen und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Zu diesem Buch inspiriert haben mich vor allem meine Patientinnen und Patienten sowie meine persönlichen Erfahrungen. Sie sind der Grund, warum es entstanden ist. Als Psychotherapeutin habe ich das Privileg, tagtäglich in einem Raum ohne jegliche Ablenkung zu sitzen und Menschen intensiv kennenzulernen. Durch diese besondere Arbeit durfte ich enorm viel über das Leben, die Welt und das Wesen des Menschen lernen. In gewisser Weise verändert mich jeder einzelne Patient. Ich bin unendlich dankbar für alles menschliche Ringen und Durchhalten, das ich in diesem Zusammenhang erlebt habe und nach wie vor erlebe. Durch die Erfahrungsberichte aus meiner Praxis, in Verbindung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über positives Denken, Emotionen, Beziehungen und Motivation, möchte ich aufzeigen, wie positives Denken toxisch werden kann und was sich dagegen tun lässt. Dabei habe ich viele Details verändert, um die Anonymität meiner Patientinnen und Patienten zu wahren. Zu erfahren, dass es vielen Menschen ganz ähnlich geht wie euch, kann hoffentlich dazu beitragen, dass ihr euch nicht mehr ganz so allein fühlt.

Ohne es zu ahnen, habe ich bereits jahrelang auf Instagram und in meiner Praxis an diesem Buch geschrieben. Es richtet sich an Menschen, die herausfinden wollen, wie sie sich und andere stärken können, und die keine Lust mehr haben, die Dauerglücklichen zu spielen – bei der Arbeit, zu Hause, im Freundeskreis und in den sozialen Netzwerken. Sie wollen sich nicht mehr stets und ständig positive Energie aufzwingen und sich einreden lassen, dass alles, was geschieht, einen Grund oder tieferen Sinn hat. Ich habe dieses Buch für alle Menschen geschrieben, die sich kein perfektes Leben herbeimanifestieren können; für all jene mit zu vielen Gedanken und Gefühlen – also für euch, genauso wie für mich.

Heutzutage sind Glück und eine positive Grundhaltung Ziel und Verpflichtung zugleich geworden. Bei jeder Gelegenheit bekommen wir gesagt, dass wir dankbar sein oder einfach positiver denken sollen. Sobald in unserem Leben etwas schiefgeht, liegt es an unserer »falschen Einstellung« oder daran, dass wir uns »nicht genügend bemüht« haben. Ich finde es immer wieder erstaunlich, in wie viele Bereiche unseres Lebens sich derart toxischer Positivismus schon eingeschlichen hat. Darüber hinaus dient er als Machtinstrument, um Sexismus, Rassismus, Homophobie, Transphobie, Ableismus, Klassismus und anderen Formen von Diskriminierung Vorschub zu leisten. Er lauert buchstäblich überall.

Ich habe mich ausführlich mit der Geschichte des positiven Denkens auseinandergesetzt und mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen darüber, wie wir es besser machen und anders leben können. Besonders wichtig war mir dabei, dass mein Buch leicht lesbar und verständlich ist und großen praktischen Nutzen hat. Es ist in neun Kapitel unterteilt, von denen jedes eine Patientengeschichte beinhaltet und die Erfahrung der jeweiligen Person mit toxischem Optimismus beschreibt. Wenn ihr euch einen umfassenden Überblick über das Thema und seine Auswirkungen verschaffen möchtet, so empfehle ich euch, das Buch von vorn bis hinten durchzulesen. Wer jedoch eher an konkreten Tipps interessiert ist, kann auch gezielt die Kapitel auswählen, die sich auf die eigenen Erfahrungen und Fragen beziehen. Überall suggerieren uns Autoaufkleber à la Good Vibes Only, hübsch gestaltete Motivationssprüche auf Instagram, T-Shirts mit Aufdrucken wie Das Leben ist schön oder selbst ernannte Gurus, dass wir nur noch einen guten Gedanken vom Glück entfernt sind und einfach »die Dinge positiv sehen« müssen, um problematische Erfahrungen und Gefühle zu vermeiden. Dieses Buch löst beim Lesen möglicherweise nicht nur reine Freude und angenehme Vibes aus, sondern beleuchtet womöglich auch Gewohnheiten oder Aussagen aus eurem persönlichen Alltag. Das mag zunächst unangenehm sein. Ich hoffe jedoch, dass es euch zum Nachdenken anregt, inwiefern ihr vielleicht Emotionen und Bedürfnisse unterdrückt, weil das Glücksstreben so stark im Vordergrund steht. Ich hoffe, die Lektüre führt euch vor Augen, wo ihr euch kleinmacht oder nicht anecken wollt, um die positive Energie nicht zu gefährden. Ich hoffe, ihr könnt anschließend eure Bedürfnisse leichter formulieren und Beziehungen eingehen, die nicht nur oberflächlich bleiben.

Wenn dieses Buch euch ermutigt, in eurem Leben sowohl dem Guten als auch dem Schlechten und Unangenehmen Raum zu geben, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Einfach positiv denken!

Wenn es so einfach oder wirkungsvoll wäre, würden wir es wohl alle tun. Lass alle Facetten menschlichen Erlebens zu – die guten genauso wie die schlechten.

Kapitel 1

Was ist toxischer Optimismus?

Stell dir vor, du hast deinen Job verloren und bist nun total in Panik. Deine Gedanken drehen sich im Kreis, und du hast keine Ahnung, was du jetzt machen sollst.

Hilfe suchend vertraust du dich einer Freundin an. Sie lächelt daraufhin wissend, und es hat den Anschein, als hätte sie hilfreiche Antworten parat. Bekommst du nun den Zuspruch, den du gerade so dringend brauchst? Vielleicht weiß sie ja von einer tollen freien Stelle? Mit bedeutungsvollem Gestus setzt sie also an und sagt: »Immerhin hast du jetzt richtig viel Freizeit! Ach komm, es könnte viel schlimmer sein. Versuch, so viel wie möglich draus zu lernen.«

Zack. Auftritt: toxischer Optimismus.

Du erstarrst und fragst dich: Hat sie mir überhaupt zugehört? Soll ich jetzt ernsthaft auch noch dankbar für meine Kündigung sein?

Nun weißt du gar nicht mehr weiter. Dankbarkeit ist so ziemlich das Letzte, was du angesichts der Kündigung empfindest. Was um alles in der Welt sollst du also deiner Freundin antworten? Schon vor dem Gespräch warst du fix und fertig, doch nun fühlst du dich obendrein völlig unverstanden. Doch das überspielst du und bedankst dich nur höflich.

Jetzt bist du also nicht nur arbeitslos, sondern fühlst dich auch noch von deiner Freundin im Stich gelassen. Du schämst dich dafür, nicht einfach positiv denken zu können.

Sie will doch nur helfen

Sehr wahrscheinlich handelt diese Freundin in bester Absicht. Was sie gesagt hat, ist ja nicht völlig falsch. Es stimmt durchaus, dass du mehr freie Zeit haben wirst, dass alles noch viel schlimmer sein könnte (trifft immer zu) und du aus dieser Erfahrung etwas lernen kannst.

Das Problem ist nur, dass du längst noch nicht so weit bist. Im Augenblick bist du vor allem besorgt und verunsichert. Du hast Angst. Körperlich und gedanklich befindest du dich im Krisenmodus, daran kann keine noch so wohlmeinende Phrase etwas ändern. Was du jetzt dringend brauchst, ist Rückhalt und genügend Freiraum, um deine Gefühle zu sortieren.

Toxisch positiv sind daher solche Ratschläge, die wir theoretisch vielleicht beherzigen wollen, die uns jedoch im Moment überfordern. Sie bewirken, dass wir uns nicht gehört, verurteilt und missverstanden fühlen.

Kommt dir das bekannt vor?

Aber ist Optimismus denn nicht immer erstrebenswert?

Wahrscheinlich habt ihr so etwas schon hundertfach erlebt und fragt euch nun, wie Optimismus oder eine positive Einstellung überhaupt toxisch sein können. Das ist ja schon ein ziemlich starkes Wort. Ist es wirklich so schlimm?

Offen gestanden ist das Positivdenken derart tief in unserer Kultur verankert, dass es beängstigend sein kann, es zu hinterfragen. Wenn ich über dieses Thema recherchiere und schreibe, begleitet mich ständig die Befürchtung, in meinen öffentlichen Äußerungen als »zu negativ« rüberzukommen. Sobald ich mich gegen eine Denkweise ausspreche, wo nur good vibes zugelassen sind, gibt es immer auch wütende, entsetzte und verunsicherte Reaktionen, und ich werde mit Kommentaren und Nachrichten geflutet wie: »Was soll denn an einer positiven Einstellung toxisch sein?! Sie haben ja wohl den Verstand verloren.«

Solchen Unmut kann ich nachvollziehen. Er ist ein Beleg dafür, wie stark wir uns einer Kultur des Positivdenkens verschrieben haben. Überall heißt es, es sei der Schlüssel zum Glück, und Ärztinnen, Therapeuten und Führungspersonen verordnen es uns regelmäßig. Insofern ist die Skepsis vollkommen verständlich, wenn plötzlich jemand daherkommt und das blanke Gegenteil behauptet. Doch hinter verschlossenen Türen höre ich von Patientinnen und Patienten, im Freundeskreis und in der Familie seit Jahren, wie sehr sie den permanenten Druck verabscheuen, immer alles positiv umzudeuten. Viele fühlen sich abgekoppelt von ihrem sozialen Umfeld, das ihnen permanent signalisiert: »Alles wird gut« oder »Sieh es doch mal positiv«. Sie wissen nur allzu genau, dass das so nicht funktioniert, und suchen verzweifelt nach einem Ausweg.

Bevor wir jedoch tiefer in das Thema einsteigen, möchte ich unbedingt eines klarstellen: Gegen eine positive Grundeinstellung ist prinzipiell nichts einzuwenden.

Richtig eingesetzt, ist sie etwas Wunderbares. Experten sind sich einig, dass sich positive Gefühle wie Dankbarkeit, Zufriedenheit, Optimismus und Selbstbewusstsein lebensverlängernd und gesundheitsfördernd auswirken können. Auch wenn diese Euphorie oftmals überzogen ist, hat positives Denken durchaus einiges für sich. Menschen, die angeben, mehr positive Gefühle zu empfinden, haben tendenziell ein lebendigeres Sozialleben, sind aktiver und pflegen einen gesünderen Lebensstil. Wir sind uns wohl alle einig, dass positives Empfinden gesund ist, solange es echt und authentisch bleibt.

Doch irgendwie sind wir zu der Auffassung gelangt, dass man als »positiver Mensch« zu einer Art Roboter mutieren muss, der buchstäblich allem etwas Gutes abzugewinnen hat. Wir zwingen uns das positive Denken auf, weil es die Gesellschaft von uns verlangt und alles andere als schlimmes Versagen gilt. Eine negative Haltung wird als feindlich abgelehnt, und wir geißeln unsere Mitmenschen und uns selbst, sollten wir ihr erliegen. Wenn wir nicht positiv denken, strengen wir uns angeblich einfach nicht genug an und werden fortan gemieden.

Gesunder Optimismus lässt sowohl die Realität als auch Hoffnung zu.

Gesunder Optimismus lässt sowohl die Realität als auch Hoffnung zu. Toxisches Positivdenken verleugnet dagegen bestimmte Emotionen und zwingt uns, diese zu unterdrücken. Wenn wir toxisch positiv eingestellt sind, reden wir uns und anderen Menschen ein, dass diese Emotionen falsch sind und keinen Raum bekommen dürfen. Wenn wir uns nur ein bisschen mehr bemühen, können wir sie vollständig ausmerzen, so die verbreitete Auffassung.

Aber viele Leute haben es schlicht satt, dass ihnen in schwierigen Situationen aufgezwungen wird, positiv zu denken. Dennoch fällt es nach wie vor schwer, dies öffentlich zu hinterfragen und anzuprangern.

Wagen wir es trotzdem.

Scham getarnt als Optimismus

Du hast also deine Stelle verloren und anschließend von deiner Freundin gesagt bekommen, alles sei halb so wild. Sobald das Wort »Immerhin« über ihre Lippen kam, war das Gespräch schon beendet, denn von da an gab es keinerlei Raum mehr für deine Emotionen oder eine Form von Verarbeitung. Stattdessen wurdest du zu gnadenlosem Optimismus gedrängt – egal, ob du dazu bereit warst oder nicht. Also bist du verstummt und hast krampfhaft überlegt, wie um Himmels willen du dankbarer werden und positiver denken könntest, damit du andere Leute nicht mit deinen Problemen, Sorgen oder Schamgefühlen behelligst.

Diese scheinbar banale Interaktion bewirkt folglich, dass du anfängst, deine mit dieser Situation verbundenen Gefühle zu unterdrücken und so zu tun, als wäre nichts passiert. Dabei fühlst du dich mies, denn du schließlich bist du immer noch arbeitslos und niedergeschlagen. Doch sobald eine Emotion in dir aufsteigt, verdrängst du diese und trägst tapfer Zuversicht zur Schau. Doch die ist nicht real. Du schläfst immer schlechter und gehst weniger unter Leute, weil du ihnen dann etwas vorspielen müsstest. Außerdem traust du dich nicht mehr, jemanden um Rat zu fragen. Statt dich also mit dem Erlebten auseinanderzusetzen, postest du Motivationssprüche auf Instagram und hoffst, dass deine Stimmung sich aufhellt.

Und so geraten wir in die Schamspirale des toxischen Optimismus. Wir verurteilen uns für ein Gefühl, reden uns ein, dass wir es nicht empfinden dürfen, und ärgern uns dann, wenn ein paar platte Sprüche à la »einfach lächeln« uns keine immerwährende Zuversicht bescheren. Diese Spirale ist endlos und zermürbend, und ich möchte euch helfen, ihr zu entfliehen.

Toxischer Optimismus bedeutet, die Augen zu verschließen

Als Psychotherapeutin höre ich tagtäglich Menschen zu, die mir ihre Emotionen und Erfahrungen anvertrauen. Diese Arbeit ermöglicht mir Einblicke in das menschliche Erleben, die sich anders kaum gewinnen lassen. In den meisten Sitzungen geht es viel um das Wörtchen sollte. Viele Patienten meinen, dass sie eigentlich glücklicher sein sollten oder etwas an ihrem Verhalten sie daran hindert, glücklich zu sein; so geraten sie natürlich schnell in die oben erwähnte Schamspirale. In solchen Fällen ermutige ich dazu, sich dieses sollte genauer anzuschauen. Wo kommt es her? Trifft es zu? Basiert es auf Fakten? Lässt sich die Situation aus einem anderen, differenzierteren Blickwinkel betrachten? Doch bei manchen Menschen sorgt ihr bedingungsloses Positivdenken dafür, dass problematische Emotionen gänzlich verleugnet werden. So auch bei Dave.

Dave sitzt mir auf einem kleinen Sofa gegenüber und strahlt mich an. Er berichtet, wie gut es ihm gehe und was für eine wundervolle Familie er habe. Er betont, dass er wirklich glücklich sei und nichts weiter tun müsse, als sich ein bisschen mehr Mühe zu geben. In einem anderen Kontext wäre dieses Gespräch vollkommen normal und durchaus vielversprechend, doch mein Gespräch mit Dave findet in einer stationären psychiatrischen Einrichtung statt, in die er bis auf Weiteres eingewiesen wurde. Er ist hier, weil er zu viel trinkt und sein Umfeld der Ansicht ist, dass sein Alkoholkonsum aus dem Ruder läuft. Dave dagegen meint, dass er nur deshalb trinkt, weil er ein so fröhlicher und geselliger Typ ist. Er sieht überhaupt kein Problem darin und hält die anderen für ziemliche Spaßbremsen. Trinken fröhliche und gesellige Leute denn nicht alle gern?

Dave lächelt ständig. Zu beobachten, wie munter er durch die Klinik tänzelt, während andere Patienten deutlich ernster, bedrückter und belasteter wirken, erscheint merkwürdig und gelegentlich auch verstörend. Er setzt sein positives Denken gern als Bewältigungsstrategie ein und ist stolz darauf, immer glücklich und zufrieden aufzutreten. Doch indem er so viel trinkt, Emotionen nicht empfinden kann und kaum enge Beziehungen pflegt, zeichnet sich für mich ein vollkommen anderes Bild. Fakt ist, dass seine positive Einstellung ein gravierendes Problem für unsere Sitzungen und seine Suchttherapie darstellt.

Aufgrund seiner Grundhaltung nach dem Motto »Alles super!« fällt es Dave enorm schwer, seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen. Das ist gar nicht so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint. Er hat keinen Zugang zu Gefühlen, die nicht durchweg positiv sind, und verschließt sich vor allem, was zu belastend erscheint. Für mich ist deutlich erkennbar, dass Dave durch sein Trinken versucht, diese Gefühle in den Griff zu bekommen, doch er selbst will diesen Zusammenhang nicht erkennen. Aus diesem Grund gelingt es uns nicht, Themen aus seiner Vergangenheit zu bearbeiten oder den künftigen Umgang mit seinen psychischen Problemen zu besprechen. Er ist meilenweit davon entfernt anzuerkennen, dass sein Trinkverhalten ungesund ist. Vielmehr ist er fest davon überzeugt, dass sich alles Schwierige von selbst klärt und man mit einer positiven Einstellung alles lösen kann. Daves Positivdenken ist zu seinem Schutzschild geworden. Solange er den nicht ablegt, sind Veränderungen nahezu unmöglich.

Ein besonders erfülltes Leben haben unter meinen Patientinnen und Patienten vor allem diejenigen, die auch schwierige Emotionen aushalten können und sie nicht nur versuchen wegzulächeln. Tapfer halten sie ihre Schamgefühle aus, die mit dem »Durcharbeiten« heikler Themen einhergehen. Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass wir uns unseren Emotionen aussetzen müssen, statt vor ihnen zu fliehen, fällt es uns leichter, echten Optimismus zu entwickeln. Wir wissen dann, dass wir dem gewachsen sind, was uns begegnet.

Wann wird Optimismus toxisch?

Toxisch geht es zu, wenn:

jemand im Gespräch Unterstützung, Bestätigung oder Mitgefühl sucht und stattdessen nur hohle Phrasen zu hören bekommt,

Menschen vorgeworfen wird, selbst nicht genug zu tun oder sich nicht ausreichend zu bemühen oder belastende Emotionen abgewertet werden,

wir uns selbst Vorwürfe machen, weil wir nicht glücklich genug sind oder nicht positiv genug denken,

wir unsere Realität verleugnen,

Menschen mit berechtigten Sorgen oder Fragen manipuliert, verunsichert oder zum Schweigen gebracht werden,

anderen vermittelt wird, dass sie an allem Schlechten in ihrem Leben selbst schuld sind.

Toxischer Optimismus ist im Kern sowohl gut gemeint als auch abwertend. Häufig wenden wir ihn an, um:

ein Gespräch zu beenden,

dem Gegenüber zu erklären, was an seinen/ihren Gefühlen nicht stimmt,

Menschen zu überzeugen, dass sie permanent glücklich sein können (wenn sie sich nur genügend darum bemühen),

permanent positiv und unbeschwert aufzutreten,

unsere gegenwärtige Situation zu verleugnen oder ihr auszuweichen,

keine Verantwortung zu übernehmen,

zu erreichen, dass es anderen besser geht.

Authentisch sein ist wichtig

Ich bin davon überzeugt, dass wir oftmals eigentlich helfen wollen, wenn wir Plattitüden äußern. Meist liegt es uns fern, mit solchen positiven Phrasen jemanden zu verletzen. Unter anderem deshalb kann uns toxischer Optimismus so triggern. Denn unweigerlich fragen wir uns: Wie kann mein Verhalten toxisch sein, wenn ich doch nur helfen will?

In krisenhaften oder schmerzlichen Momenten ist es wichtig, aufrichtig und authentisch zu sein. So können wir anderen zur Seite stehen, bewusst zuhören und verstehen. Das gelingt uns zwar nicht immer und bei jedem Menschen, doch wenn es darauf ankommt, sind wir dazu imstande. Durch authentisches Auftreten – ohne toxisch positive Phrasen – bestätigen wir unserem Gegenüber, dass sein Erleben real ist, und zeigen uns empathisch, statt das Geschehen zu leugnen oder schönzureden. Selbst wenn wir nicht vollständig einverstanden damit sind, wie der oder die Betreffende die Situation interpretiert oder damit umgeht, versuchen wir, da zu sein und authentisch zu bleiben. Wir hören der Person in Ruhe zu und ermöglichen es ihr, sich ganz zu öffnen (selbstverständlich so, dass unsere eigenen Grenzen gewahrt bleiben).

Denken wir zurück an die Freundin, die dich trösten wollte, nachdem du deinen Job verloren hattest. Mit ihren toxisch positiven Sprüchen wie: »Immerhin hast du jetzt richtig viel Freizeit! Ach komm, es könnte viel schlimmer sein. Versuch, so viel wie möglich draus zu lernen.« Natürlich wollte sie dir nicht wehtun. Solche krampfhaft positiven Sprüche kommen uns ja nicht spontan in den Sinn, sondern sie sind seit Langem tief in uns verwurzelt. Wir haben es verinnerlicht, diese hohlen Phrasen immer wieder anzubringen, und sind es von Kindheit an gewohnt, sie von anderen zu hören. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Positivdenken tatsächlich funktioniert (sogar wenn wir finden, dass es uns selbst kein bisschen nützt). Es ist beinahe so, als hätten wir Angst, es zu hinterfragen, weil uns so oft gesagt wurde, dass es hilft. Deine Freundin ist also weder toxisch noch ein schlechter Mensch, sondern wiederholt lediglich, was sie in Ratgebern und den sozialen Netzwerken gelesen hat oder von Freunden und Verwandten zu hören bekam.

Der Haken ist nur, dass Sprache eine Wirkung hat – unabhängig von der jeweiligen Absicht. Sie beeinflusst, wie wir uns selbst und die Welt wahrnehmen. Die von uns gewählten Worte verändern unser Gehirn und wirken sich tiefgreifend auf unsere Beziehungen aus. Wenn wir wirksam kommunizieren und Mitmenschen hilfreich zur Seite stehen wollen, müssen wir zunächst ein Verständnis für deren Lebenswelt entwickeln. Wenn wir toxisch positiv agieren, äußern wir uns vor allem so, wie wir es jahrelang gelernt haben, statt einem Menschen in schwieriger Lage wirklich zuzuhören, sich ihm verbunden zu fühlen und zu erfahren, was ihn belastet.

Der gängige Positivsprech ist meist undifferenziert und wenig mitfühlend oder interessiert. Häufig sind es Pauschalaussagen, die darüber belehren, wie man sich fühlen soll und dass dieses momentane Gefühl falsch ist. Diese beiden Aspekte zeigen sofort, warum krampfhafte Positivität nur selten hilfreich ist. Wer jemandem wirklich beistehen möchte, will dabei gewiss kein schlechtes Gewissen bei seinem Gegenüber auslösen. Hohle Phrasen können besonders dann toxisch wirken, wenn eine Person sich öffnet und verletzlich zeigt, Emotionen preisgibt oder zu erklären versucht, welche Nöte oder Schmerzen sie quälen.

Die Wirkung von Positivdenken oder positiver Sprache hängt daher entscheidend vom Zeitpunkt, vom Gegenüber und vom jeweiligen Thema ab.

Der richtige Zeitpunkt

Häufig verfallen wir viel zu schnell ins überzogen Positive, weil wir jemandem aufrichtig wünschen, dass es ihm wieder besser geht. Wenn wir das Richtige sagen, so hoffen wir, wird dies seinen Schmerz lindern. Diese Hoffnung hegen wir auch ganz eigennützig, um ein schwieriges Thema zu wechseln und nicht zu lange mit dem Leid anderer konfrontiert zu werden. Denn zugegebenermaßen ist es nicht leicht, die Gegenwart eines weinenden, verzweifelten oder leidenden Menschen auszuhalten. Wir möchten dann rasch für Linderung sorgen.

Wenn man es dabei überstürzt, kann dies jedoch auf allen Seiten zu Enttäuschung führen. Zum einen, weil die Person, die wir trösten wollen, sich unverstanden fühlt und beschämt ist, und zum anderen, weil wir nichts erreicht haben und die emotionale Verbundenheit leidet.

Daher ist der Zeitpunkt entscheidend. Bevor wir jemandem ans Herz legen, etwas positiv zu sehen, sollten wir zuvor Folgendes bedenken:

Zeit heilt keineswegs alle Wunden. Menschen verarbeiten Erfahrungen in unterschiedlichem Tempo und bestimmen selbst, wie ihr Heilungsprozess verläuft.

Jeder Mensch reagiert auf Belastungen anders. Sofern die damit verbundenen Gefühle deines Gegenübers nicht gefährlich oder lebensbedrohlich für dich oder schutzbedürftige Personen (wie Kinder oder Senioren) werden, sind sie vollkommen okay. Du musst nichts dagegen unternehmen.

Oft müssen Betroffene die Tragweite einer schwierigen Situation zunächst erkennen und annehmen, ehe sie sich damit auseinandersetzen können.

Nicht immer sind Lichtblicke oder positive Aspekte erkennbar. Manche Ereignisse sind wirklich schwer zu verkraften, das müssen wir akzeptieren.

Zusehen zu müssen, wie jemand Schmerzhaftes erlebt, ist schwer. Geh daher auch mit dir selbst behutsam um.

Versuche, in folgenden Momenten nichts krampfhaft Positives zu äußern:

Wenn jemand weint oder offensichtlich eine schwierige Emotion durchlebt.

Unmittelbar nach dem Eintreten eines problematischen Ereignisses (z.B. bei einer Kündigung).

Bei einer Beerdigung und wenn jemand im Sterben liegt.

Wenn sich jemand von dir wünscht, dass du einfach nur zuhörst.

Wenn jemand explizit sagt, dass er/sie keine Ratschläge von dir möchte.

Während ein schlimmes Ereignis unmittelbar geschieht.

Wenn du nicht vollständig überblickst, was gerade passiert.

Das Gegenüber

Ungeachtet unserer Absicht haben wir keinen Einfluss darauf, wie unsere Worte wirken. Diejenigen, denen wir damit zur Seite stehen wollen, bestimmen, ob unsere Motivationssprüche für sie hilfreich sind oder nicht. Deshalb ist es so wichtig zu bedenken, wer unser Gegenüber ist.

Wenn ich meine Community im Netz auffordere, von ihren Erfahrungen mit toxischem Optimismus zu berichten, haben viele Antworten mit Religion oder Gott zu tun. Zahllose Beispiele à la »Nun ist er/sie bei Gott« oder »Das gehörte alles zu Gottes Plan« landen dann in meinem Posteingang. Das ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, warum es so wichtig ist, uns unser Gegenüber zu vergegenwärtigen. Glaube, Religion und Gott können für manche Menschen enorm stärkend sein, für andere dagegen überhaupt nicht. Wenn wir jemandem mit unseren eigenen Werten oder unserer Religion versuchen Trost zu spenden, ignorieren wir dessen Bedürfnisse. Stattdessen gehen wir kurzerhand davon aus, dass etwas, was uns Kraft gibt, andere in gleichem Maße stärkt.

Dies trifft ebenfalls auf Personen zu, die unter Depressionen leiden. Die meisten Betroffenen wünschen sich von Herzen, glücklich zu sein. Zugleich wissen sie genau, wie schwer das für sie zu erreichen ist. Wenn wir also einen depressiven Menschen auffordern, doch »einfach glücklich« zu sein, werden wir unserem Gegenüber nicht gerecht. Wir bagatellisieren seinen täglichen Kampf und lassen ihn trivial erscheinen. Wenn »einfach glücklich sein« so leicht wäre, hätten es dann nicht längst alle Menschen geschafft? Wäre es so leicht, gäbe es wohl weltweit nicht so viele Depressionserkrankungen.

Die Person, der du zur Seite stehst, entscheidet darüber, welche Art von Unterstützung ihr hilfreich erscheint, und du entscheidest, ob du diese leisten kannst und willst. Wir müssen berücksichtigen, was wir über die momentane Situation und Problematik einer Person wissen, und sollten sensibel damit umgehen.

Hier sind einige Punkte, die es dabei zu bedenken gilt:

Hat die betreffende Person mir mitgeteilt, wie sie unterstützt werden möchte?

Habe ich nachgefragt, wie ich sie unterstützen kann?

Reagiert die Person üblicherweise darauf, wenn ich aufmunternde Motivationssprüche äußere? Bedankt sie sich dafür oder signalisiert, dass sie hilfreich sind? Scheint es ihr danach besser zu gehen?

Bricht das Gespräch ab, wenn ich solche aufmunternden Sprüche anbringe oder die betreffende Person auffordere, positiver zu denken?

Es ist wichtig, das jeweilige Gegenüber im Blick zu haben und herauszufinden, welche Hilfe angebracht ist. Im Zweifelsfall einfach nachfragen! Nur so kann man anderen Menschen wirkungsvoll zur Seite stehen.

Schwierige Themen

Manche Themen sind sehr belastend und für viele Menschen schwer zu ertragen. Meine Recherchen und die Arbeit in meiner Praxis zeigen, dass toxisches Positivdenken und banale Motivationssprüche wenig hilfreich – und geradezu schädlich – insbesondere in Bezug auf folgende Themen und Situationen sind:

Unfruchtbarkeit und glücklose Schwangerschaft

Trauer und Verlust

Krankheit und Behinderung

Liebesbeziehungen, Trennungen oder Scheidung

Familie und familiäre Entfremdung

Berufliche Probleme oder Jobverlust

Körperliches Erscheinungsbild

Nach traumatischen Ereignissen

Schwangerschaft und Elternrolle

Rassismus, Sexismus, Transphobie, Homophobie, Ableismus, Diskriminierung aufgrund von Größe oder Gewicht, Klassismus oder andere Vorurteile

Psychische Beschwerden

Das alles sind schwierige Themen mit sehr persönlichen und vielschichtigen Facetten. Gespräche darüber haben eine ganz andere Dimension als alltägliches Geplänkel über Warteschlangen oder schmerzende Füße. Derart schwerwiegende Erfahrungen erschüttern uns bis ins Innerste und machen uns verletzlich. Deshalb müssen wir damit besonders sensibel umgehen, sowohl uns selbst als auch anderen gegenüber. Sie emotional gut zu verarbeiten ist enorm wichtig und sollte unbedingt angeregt werden. Falls du den Impuls verspürst, eine beschönigende Phrase zu äußern, wenn du von derartigen Problemen erfährst oder selbst damit konfrontiert bist, halte inne. Spüre einen Moment deinen tiefer liegenden Emotionen nach und versuche dann, zugewandt und bestärkend zu reagieren.

Zu viel des Positiven tut uns nicht gut

Das Positivdenken wirkt oft wie ein Pflaster auf einer Schusswunde. Statt zu helfen, führt es dazu, dass Emotionen unterdrückt werden, was sich nachteilig auf Körper, Seele, Beziehungen und die gesamte Gesellschaft auswirkt.1 Es ist eindeutig erwiesen, dass das Unterdrücken von Emotionen wirkungslos und kräftezehrend ist und eine Fehlanpassung darstellt. Die Folge sind getrübte Stimmung, negative Gefühle gegenüber sozialen Interaktionen, dauerhaft negative Emotionen bis hin zu verminderten positiven Emotionen. Das Unterdrücken von Emotionen hat zudem schwerwiegende Folgen für die körperliche Gesundheit. Unabhängig davon, welcher Art die unterdrückten Gefühle sind, ob positiv oder negativ – der Vorgang des Unterdrückens löst im Körper physischen Stress aus. So beeinflusst er nachweislich den Blutdruck und das Gedächtnis und erhöht das Risiko für Diabetes und Herzerkrankungen.

Im weiteren Sinn wirkt sich daher eine Kultur, die nur positive Energie und »gute Vibes« gelten lässt, toxisch auf unsere Beziehungen und die Gesellschaft als Ganzes aus. Wenn wir beharrlich bestimmte Emotionen als »schlecht« ablehnen, versagen wir uns die menschliche Nähe, die entsteht, wenn wir uns öffnen und verletzlich zeigen. Bedauerlicherweise wird zwanghaftes Positivdenken häufig als Waffe eingesetzt, um das Erleben bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu bagatellisieren. Wenn wir auf Diskriminierung mit »Können wir uns nicht einfach alle lieb haben?« antworten, entwerten wir die ganz realen Erfahrungen, denen marginalisierte Personen tagtäglich ausgesetzt sind. In solchen Situationen bewirkt toxische Positivität, dass die Verantwortung dafür ausschließlich den Einzelpersonen aufgebürdet wird, statt Systeme und Institutionen in den Blick zu nehmen.

Typische Beispiele für toxisch positives Verhalten

Ich habe schon Tausende von Nachrichten bekommen, in denen Leute mir schreiben, welche entwertenden Äußerungen sie zu hören bekommen, wenn es ihnen nicht gut geht. Da wir inzwischen wissen, wie entscheidend der Zeitpunkt, das