TRAUMA - Harald Nyssen - E-Book

TRAUMA E-Book

Harald Nyssen

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Beschreibung

In den Geschichten dieses Buch begegnen sich Trauma, Psychotherapie und die heilsame Kraft des Erzählens. Traumatisierende Erfahrungen verändern die Wahrnehmung. Das Erleben von Ohnmacht und Ausweglosigkeit ist extrem belastend. Ein Trauma macht es schwierig, sich auf sich selbst verlassen zu können. Weil traumatisierte Menschen sich selbst verlassen haben. Sie haben kein festes "Ich" mehr, das ihnen Sicherheit bietet..Aber dafür berühren sie mit ihrer inneren Abwesenheit einen tieferen Bereich des Lebens, der anderen Menschen verschlossen bleibt und der vielleicht prägender ist, als wir alle glauben. Ein Trauma kann durch den Verlust innerer Anwesenheit zur Erfahrung einer anderen Tiefe werden, in der sich die Zusammenhänge einzelner Ereignisse auf mystische Art offenbaren. Es gibt verschiedene Ansätze in der Therapie traumatischer Zustände. Einer davon stammt aus der sogenannten "narrativen" Psychotherapie. Diese geht davon aus, dass belastende Zustände aus traumatischen Erfahrungen nicht zu Ende erzählte innere Geschichten sind. Deshalb kommen sie immer wieder in die Gegenwart zurück, um ihre Auflösung zu suchen. In diesem Buch erzählt der Autor, der dreißig Jahre in der Beratung und Psychotherapie tätig war, drei bewegende und faszinierende Geschichten zu Ende, die in seiner Praxis offen geblieben sind. Die Stories sind eine Mischung aus Fakten und fiktiven Wendungen, die überraschen und mystische Bereiche berühren. Die Novelle MR. MÄRTYRER handelt von einem Mann, der sich für die Wiedergeburt eines weltbekannten verstorbenen Künstlers hält und so dessen Werke wieder in die Gegenwart bringt. Die erstaunliche Wirkungen haben, nicht nur auf ihn. Die short-story DAS MESSER erzählt davon, dass ein psychisches Krankheitssymptom eine kreative Leistung der Psyche sein kann und manchmal einen höheren Sinn beinhaltet. Zum Beispiel, um eine Bluttat zu verhindern. Die Erzählung DIE ENGEL offenbart nicht nur die schwierige Lebensgeschichte einer schwergewichtigen Frau, sondern ebenso einen Engel, der einen heilsamen Wandel unterstützt. Nicht nur für sie. Die Ausgangslage aller Stories stammen aus der Praxis des Autors. Die Geschichten haben ein Eigenleben und entwickeln sich selbst zu unerwarteten Enden. So, als wüssten nur sie selbst, wie sie ausgehen wollen.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


 

TRAUMA

 

 

Stories vom Leben unter dem Eis

 

 

HARALD NYSSEN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IMPRESSUM

© Copyright 2020 Harald Nyssen

Umschlag: Rebecca DeLancréAlle Rechte vorbehalten

 

Harald Nyssen

Lothringer Straße 2752062 Aachen

haraldnyssen(at)redaktion-social.de

 

Tolino-Media

 

ISBN 9783752146400

 

 

 

VORBEMERKUNG

 

TRAUMA IST EINE Sammlung von bewegenden Geschichten, die ich im Rahmen meiner dreißigjährigen Tätigkeit in der Beratung und Psychotherapie erfahren habe. In diesem Band sind die ersten drei in Form einer Novelle, einer short story und einer Erzählung zusammen gefasst. Weitere sind geplant.

 

In meinen Psychotherapien habe ich Menschen getroffen, die jahrelang, manche sogar ein ganzes Leben, unter einer Eisschicht lebten. Das Brechen der Eisfläche ist für mich ein Bild, das in der Psychotherapie einem Trauma entspricht. Menschen, die schwere Schicksale erlitten haben, aber dennoch in Schockstarre unter der Eisschicht weiterlebten, sind für mich wahre Helden.

 

Es gibt verschieden Ansätze in der Therapie von traumatischen Zuständen. Eine davon ist die Annahme, dass sie nicht zu Ende erzählte innere Geschichten sind. Deshalb können sie nicht vom Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis wechseln, sondern kommen immer wieder in die Gegenwart zurück.

 

Meine Patienten habe ich immer so verstanden, dass sie mir ihre Geschichten in die Praxis bringen wollten, um sie zu einem Ende und so auch zur Ruhe zu bringen. Das ist nicht immer gelungen. Viele ihrer Darstellungen lebten noch lange in mir weiter. Vor allem die mit einem offenen Ende.

 

Deshalb erzähle ich sie mit literarischen Mitteln zu Ende. Dabei haben sich Wendungen und Enden ergeben, die mich selbst sehr zum Staunen brachten. Es war eine mystische Erfahrung, diese Geschichten weiter zu schreiben. Sie starten alle mit wahren Fakten und Erlebnissen. Aber jede bog irgendwann von meinen Plänen ab. Sie schrieben sich einfach selbst. Als hätten sie ein Eigenleben. Sie wussten mehr als ich.

 

Auch Geschichten sind lebendige Wesen, die sich durch uns leben wollen. Ich bin weit davon entfernt, esoterische Dinge zu glauben. Aber vielleicht kann das Erzählen dieser Geschichten dazu führen, dass sie im großen Bewusstseinsfeld, das wir uns alle teilen, zur Ruhe kommen. Und mit ihnen die Menschen, die sie erlebt haben.

 

 

MR. MÄRTYRER

 

 

Novelle

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

WIDMUNG

 

Ich widme diese Erzählung all jenen Menschen, die für verrückt erklärt wurden oder sich selbst dafür halten. An ihnen habe ich erfahren, dass Normalität vielleicht die schlimmste Erkrankung ist, die den Menschen befallen kann.

 

Die Novelle wurde durch einen realen Fall in der Psychiatrie angeregt. So wie beschrieben, hat er sich nicht ereignet. Den Chefarzt und die stellvertretende Chefärztin hat es leider nicht gegeben. Aber es hätte sie geben sollen. Deshalb sind sie mir in der Phantasie erschienen. Die Poesie erweitert die Wirklichkeit mit dem, was ihr fehlt. Denn sie ist Teil der Wirklichkeit. In dem Sinne, wie Goethe geantwortet haben soll, als er gefragt wurde, ob »Die Leiden des jungen Werther« wirklich so geschehen wären, ob die Geschichte wirklich wahr wäre oder »nur« Dichtung sei.

Goethe soll geantwortet haben:

Dichtung ist wahrer als die Wirklichkeit.

Er hatte recht.

So ist der Wahnsinn des Menschen des Himmels Sinn; und hat er alle sterbliche Vernunft durchlaufen, gelangt der Mensch zuletzt zu jenem himmlischen Denken, das dem Verstand absurd und verrückt erscheint…

 

Herman Melville

Moby-Dick

PROLOG

 

SORRY, MR MÄRTYRER, dass ich 17 Jahre gebraucht habe, um Ihren Auftrag zu erfüllen. Eine so lange Zeit klingt nach einem verdammt faulen Schreiber. Aber es lag nicht an meinem Fleiß. Jeden Tag habe ich an den Worten gemeißelt, bis die Härte in ihnen weich wurde für das Licht. Niemand hätte Ihre Botschaft schneller aufschreiben und weitergeben können als dieses Ich hier. Das wussten Sie damals natürlich. Sonst hätten Sie mich nicht ausgewählt.

Das Schreiben an sich hat ja gar nicht solange gedauert. Ein paar Monate, ein Jahr vielleicht. Es war das Verstehen Ihrer Botschaft, das fast zwei Jahrzehnte benötigte, um mein Gehirn neu zu vernetzen. Dazu musste ich erst einige Milliarden Neuronen von der dunklen Materie befreien und dann anders und neu verbinden, was keine leichte Aufgabe war. Da geht keiner so einfach mal hindurch. Wieder geboren werden wollen wir alle, aber was dazu notwendig ist, vermeiden wir mit allen Mitteln und das ist der freiwillige Tod. Natürlich kein Suizid, sondern der Tod im Leben. Eine unangenehme Geschichte, die sich aber nicht vermeiden lässt, wenn man ins Licht will. Ich habs getan. Mit jedem Wort, das ich schrieb und das jetzt Ihre Botschaft trägt, starb ich ein bisschen mehr. Ich starb, so schnell es ging. 17 Jahre brauchte der alte Mensch in mir, um im Fleisch zu sterben und um im Geist neu geboren zu sein.

Aber jetzt sitzt alles in seinen Gehirnwindungen an den richtigen Stellen, die Synapsen sind neu verklemmt, der Strom der Lebensenergie blitzt ungehindert durch den neuen Menschen hindurch und ich sehe die Welt ohne mich nun, wie sie wirklich ist. Als das himmlische Spiel des Lichts, das sich in unzähligen Billiarden Sekunden im zeitlosen Jetzt immer wieder neu gestaltet. Jeder von uns ist so ein Lichtblitz des Himmels. Jetzt kann der Mensch in mir all die göttlichen Skulpturen sehen, die zu erkennen Sie mir beigebracht haben und die in jedem Augenblick als vollendete Kunstwerke vom Himmel fallen. Jetzt erwacht der Mensch in mir an jedem Morgen neu mitten im Paradies, in dem ich zuvor geschlafen habe.

Das verdanke ich Ihnen, meinem Meister. Herzlichen Dank, Mr. Märtyrer!

Als mich letztens einer der Menschen, an die ich Ihr Licht weiter gebe, fragte, wie ich erleuchtet wurde, lachte ich nur. In so eine Falle tritt niemand, der erwacht ist.

»Das hier bin nicht ich«, grinste ich, »das hier ist nur in dir«, und zeigte auf diesen Kopf hier oben, der nicht mehr zu mir gehört.

»Der offene Geist ist es, der »er leuchtet« ist. Nur das Licht leuchtet, aber niemand, der in diesem Licht steht, kann je »er leuchtet« sein. Er wirft nur Schatten um sich herum.«

Es kann nicht verstanden werden. Natürlich nicht. Verstehen kann nur geschehen, wenn niemand mehr da ist, der verstehen muss. Oder will. Dann braucht nichts mehr verstanden werden, weil es dadurch ver-standen ist. Klingt herrlich verrückt, stimmt's nicht, Mr. Märtyrer? Könnte von Ihnen sein, dem Schamanen des Schmerzes.

Ich bin sicher, dass Sie diese Zeilen lesen werden. Der Himmel wird dafür sorgen, dass dieses Buch in Ihre Hände kommt. Alles, was wir lieben, kehrt irgendwann zu uns zurück. Ich kenne Ihren Aufenthaltsort nicht und weiß nicht, ob Sie noch unterwegs sind in den schlafenden Städten, um sie zu erhellen. Vielleicht liegen Sie jetzt wundgelegen im Altenheim und ein schlecht gelaunter Pfleger hat Ihnen dieses Buch in die Hand gedrückt? Oder Sie stehen in diesem Augenblick noch rüstig mit Ihren jetzt 80 Jahren in einer Bücherei und lesen diesen Prolog? Ich höre Sie, Mr. Märtyrer. Ich höre Sie bis hier her lachen. Ja, lachen Sie, es hat funktioniert, Ihre Botschaft ist in Worte gemeißelt und jetzt halten Sie sie in Ihren Händen. Jetzt kann es auch zu anderen Menschen kommen, die der Himmel dazu erwählt.

Das ist Ihr Buch, Mr. Märtyrer. Ich habe nur die passenden Buchstaben gesucht. Vielleicht wird es hier und da ein paar Leser finden, die leer und offen genug sind, um es aufzunehmen. Auch diese werden das Sehen lernen und all die zeitlosen Skulpturen des Lichts erkennen, bis sie selbst »er leuchtet« sind.

Außerdem, was sind schon 17 Jahre? Mit dem Urknall sprangen wir aus der Leere in das Reich der Zeit. Sie und ich und alle anderen. Wir wollten die Welt spielen. Wir haben dann schlappe 13,7 Milliarden Jahre gebraucht, um das Universum in uns entstehen zu lassen, das in diesem Hier und Jetzt gerade noch rechtzeitig angekommen ist. Wir haben am Wunder der Milchstraße 13,6 Milliarden Jahre lang gewerkelt, damit ich Ihnen heute darin schreiben kann. Unsere Erde hat 4 Milliarden Jahre auf dem Buckel, auf dem jetzt noch so viele im Traumzustand herum irren. Egal, wie man die Zeit misst und betrachtet, sie ist immer mitten im Jetzt und dieses Jetzt ist deshalb immer der Zeitpunkt, indem alles rechtzeitig geschieht. Wie dieses Buch hier eben auch.

Wir hauchten den Atem des Lebens vor 3,7 Milliarden Jahre auf die Erde hinab. Verdammt lang her, als wir aus dem Fruchtwasser der Meere auf die Erde krochen und zu atmen begannen. Vor 65 Millionen Jahren starben wir als Dinosaurier aus, weil wir zu faul geworden waren, diese Massen an Fleisch mit uns herum zu schleppen. Weshalb wir uns mit dem entschuldigenden Hinweis auf einen angeblichen Kometeneinschlag aus dem Staub gemacht haben, aus dem wir dann in den Säugetieren wieder auferstanden sind. Als unsere eigenen Urgroßmütter und Uropas, die ersten Menschenaffen, hingen wir schon vor 23 Millionen Jahren nichtsnutzig in den Bäumen herum und stritten uns den ganzen Tag. Vor 6 Millionen Jahren warfen wir langsam unser Fell ab und kämpften uns aus dem Dschungel heraus in eine mal eben kurze 2,5 Millionen Jahre andauernde Steinzeit hinein. Sie begann mit dem ersten Aufwachen unserer kleinen Affenhirne und findet heute, mit Ihren Skulpturen, endlich ihr Ende. Jetzt beginnt die Zukunft neu. Jetzt entdecken wir das Licht. Das Weltall in uns und alle in ihm träumenden Wesen sind ein einziger Lichtfunke, der im zeitlosen Jetzt einschlägt, immer wieder.

So, wie wir als einzelne Menschen schon in der Steinzeit zu erwachen begannen, weil wir voller Ehrfurcht in den strahlenden Sternenhimmel sahen, so werden sich immer mehr Menschen dem erwachten Himmel widmen, weil wir dazu berufen sind. Von jetzt an wird es immer schneller gehen. Es gibt nur einen Geist und das ist dieser hier, der das hier schreibt und dieser da, der es liest, also Sie. Ab jetzt explodieren die Blitze in allen Gehirnen. Was vor all den Millionen Jahren als einzelner Lichtblick in unserem kleinen Affengehirn begann, wird sich jetzt immer schneller ausbreiten, wie Funken in alle Richtungen über die Erde sprühen und sich zusammenschließen. Wie in einer dunklen Nacht, in der nacheinander die Lichter einer Stadt angehen, bis sie leuchtend ist. So, wie sich in diesen Menschen einzelne Zellen des Gehirns neu vernetzen werden, um das Licht erstrahlen zu lassen, so werden sich alle Gehirne der Menschen verbinden zu einem Netzwerk aus Licht, bis die ganze Menschheit aus ihrem Schlaf erwacht. Und wenn die Erde, dieser einzigartige blaue Planet, vollständig von den hellen Seelen der Menschen erleuchtet ist, wird sie sich mit anderen Planeten des Lichts verbinden. Unser Sonnensystem strahlt, die Milchstraße glitzert, bis das ganze Universum Licht ist und alle anderen Billiarden Universen ebenso.

Das alles ist bereits geschehen. Ich habe es durch Ihre Augen gesehen. Die Schöpfung ist schon vollendet. Sie ist ein einziges ewiges Leuchten. Es ist unsere Berufung, diese Vollendung zu erkennen, in sie hinein zu wachsen und zu ihr zu werden, sie zu manifestieren, bis vor lauter Liebe die nächste Schöpfung beginnt, die ebenfalls bereits vollendet ist. Die neue Erde, das neue Jerusalem, sind immer schon in unbegrenzter Fülle vorhanden. Auf Milliarden erleuchteter Planeten. Wir haben das Vorrecht, sie alle zu entdecken und zu erfahren. Raum um Raum, Zeit um Zeit, die ganze Unendlichkeit entlang.

Machen Sie es gut, Mr. Märtyrer! Wir treffen uns bald wieder, in einem anderen Universum. Und gleich hier, wenn wir uns zum ersten Mal begegnen. Ich freue mich schon darauf.

EINS

JEDEN MITTAG NACH dem Aufstehen sprang ich noch ungekämmt die Treppe hinab, um nach der Post zu sehen. Wenn Absagen auf meine Bewerbungen aus dem Briefkasten ragten, schlug mein Herz schneller. Ich küsste den Umschlag vor Erleichterung. Sie waren Liebesbriefe vom Universum. Oben in der Wohnung stapelte ich die Absagen vor dem Ofen. Dort ragte ein wackeliger Turm in die Höhe. Er reichte mir bis zur Hüfte. Ich war entschlossen, ihn wie meinen persönlichen Turmbau zu Babel bis an die Zimmerdecke wachsen zu lassen. Wo er den Himmel berühren sollte und dieser mir antworten würde. Täglich betrachtete ich ihn und grinste. Notfalls würde ich die Bewerbungen im kommenden Winter als Heizmaterial verwenden. Denn eine Wohnung mit richtiger Heizung konnte ich mir nicht leisten.

Die Absagen erkannte ich an der Größe der Umschläge. Aus meinem Briefkasten lugten oft zwei oder drei pro Tag heraus. Sie enthielten neben meiner Bewerbungsmappe immer ein geheucheltes Anschreiben des Bedauerns. Einladungen zu Vorstellungsgesprächen waren in kleine Umschläge gepackt. Das glaubte ich jedenfalls zu erinnern, denn ich hatte lange keinen mehr in den Fingern gehabt. Die Absagen erleichterten mich. Sie bedeuteten, dass ich in meinem gewohnten Leben bleiben durfte, das zwar einsam war und arm, aber immerhin frei.

Die vielen Absagen waren nicht durch mangelnde Qualifikation meiner Person oder Ausbildung bedingt. Sie waren die Folgen eines Spiels, das ich mit dem Universum spielte. Ich schrieb die Bewerbungen, der Himmel sagte ab. Ich war aber nicht der ewige Verlierer, den niemand einstellen mochte. Ganz im Gegenteil hatte ich den Spieß der Bewerbungen umgedreht. Nicht ich bewarb mich in diesem Spiel um eine Anstellung, sondern die Anstellung sollte sich bitte schön um mich bewerben. Eine Personalabteilung musste schon was aushalten, um mich als Mitarbeiter zu gewinnen. Ich baute deshalb in jede Bewerbung kreative Informationen ein, die kleingeistige Betrachter vorschnell als Fehler einstufen würden. War mir ein Stellenangebot zu undurchsichtig, heftete ich mein Foto falsch herum unter der Büroklammer ein. Kam mir das Gehalt zu gering vor, schrieb ich nur zwei knappe Sätze ins Anschreiben. Handelte es sich um Stellen der öffentlichen Verwaltung, in der ich zwanghafte Beamte und kleinliche Verhaltensvorschriften vermutete, knickte ich ein paar Ecken der Zeugnisse um und heftete sie in der falschen Reihenfolge ein. Eine mir angemessene Anstellung durfte nicht kleinkariert sein. Wenn meine kreative Art nicht erkannt, sondern als Fehler missverstanden wurde, dann konnte diese Stelle nicht das sein, was ich suchte. Mit Hilfe des Himmels wollte ich alle unpassenden Anstellungen vermeiden, deren Qualen mir früher oder später ohnehin unter die Haut gegangen wären. Jede Absage war deshalb ein Gewinn. Denn ich bewarb mich nicht um irgendeine dämliche Tätigkeit, sondern um die Erlaubnis, ich selbst sein zu dürfen. Und da ich nicht wusste, wie das geht, blieb ich lieber zuhause. Ich wollte solange warten, bis das Universum mir die richtige Stelle auswählte. Egal, wie lange das dauern würde. Aus mir unbekannten Gründen war ich davon überzeugt, dass der Himmel mir diese Arbeitsstelle vermitteln würde. Denn er hatte etwas mit mir vor, das wusste ich einfach.

Als ich das Schreiben der psychiatrischen Klinik des Universitätskrankenhauses aus dem Briefkasten zog, zerriss der Umschlag auf der Vorderseite. Ich fand seit ein paar Tagen den Briefkastenschlüssel nicht mehr, weshalb ich jeden Brief mühsam an der Klappe vorbei heraus operieren musste. Bei den Absagen war das relativ einfach, denn sie ragten steil aus dem Kasten hervor und grinsten mich spöttisch an. Die üblichen Rechnungen und Einladungen zu Vorstellungsgesprächen musste ich notgedrungen erstmal liegen lassen. Meine Finger waren zu kurz, um sie in der Tiefe des Kastens erreichen zu können. Echte Liebesbriefe erwartete ich ohnehin nicht, weshalb mir die übrige Post egal war. Andere Mieter schienen übrigens ähnlich zu denken, denn die meisten Briefkästen quollen über vor Post. Auf dem Boden lagen verschlossene Umschläge herum, die von verächtlichen Spuren der Schuhsohlen gezeichnet waren. Der Ausbeuter von Vermieter musste von dieser Haltung seiner Mieter schon beim Hausbau gewusst haben, denn im Gegensatz zu den Wohnungen waren die Briefkästen so riesig, dass eine Menge Rechnungen und Mahnungen darin für lange Zeit Platz fanden. Die anderen Mitbewohner des klapprigen Altbaus, die meisten waren vorgealterte Freaks und langhaarige Nichtstuer, machten von diesem Angebot ausgiebig Gebrauch. Wir erwarteten alle keine positiven Nachrichten vom Leben.

Der Brief des Universitätskrankenhauses war anders. Zwar hatte er die Größe einer Absage, aber nicht deren Dicke und Schwere. Deshalb ragte auch er aus der Klappe hervor. Durch die Lücke, die das Zerreißen des Umschlages geöffnet hatte, blickte mich ein Arbeitsvertrag an. Das versetzte mir einen Stich in den Brustkorb. Neugierig zerfetzte ich den Umschlag schon im Treppenhaus. Er enthielt einen zweiseitigen Arbeitsvertrag ohne Begleitschreiben. Der Vertrag war bereits unterschrieben. Von einem Professor Doktor namens Anders-Welt. Ein lustiger Name für einen Psychiatrieprofessor, dachte ich zuerst, fand ihn dann aber nach kurzem Nachdenken sogar ziemlich passend. Der Mann war mir sofort sympathisch, was aber nur an seinem bildhaften Namen und nicht etwa an diesem Arbeitsvertrag lag. Die Unterschrift dort setzte mich sogar unter Druck und verdunkelte so wieder den strahlenden Glanz seines Namens.

Ich nahm drei Stufen auf einmal, als ich die Treppe hinauf lief. In meiner Wohnung angekommen ließ ich mich auf das zerwühlte Bett fallen und las, auf dem Rücken liegend, das Schriftstück besorgt durch. Ich hielt es mit ausgestreckten Armen weit von mir hoch in die Luft, damit es mir nicht zu nahe kommen konnte. Das musste ein Irrläufer sein, ein Fehler des Personalbüros. Doch beim genaueren Lesen sah ich, dass der Arbeitsvertrag meinen Namen trug. Er war für die Dauer eines Jahres ausgestellt, wobei der Beginn der Anstellung offengelassen war. Statt dessen war die Stelle des Arbeitsbeginns mit dem leuchtenden Gelb eines Textmarkers einmal lässig umkreist worden. Das sollte wohl die Aufforderung an mich sein, ein mir passendes Datum dort einzutragen. Ich wusste sofort, ich durfte jetzt nicht zögern. Morgen würde ich alles anders sehen. Dies war einer der seltenen Momente, durch die sich das Leben mit offenen Armen zeigt. Der Himmel hatte das Spiel beendet. Deshalb handelte ich sofort. Das ungewohnte Gefühl des Willkommenseins klopfte in meiner Brust und ich trug hastig den Ersten des nächsten Monats ein.

Dieser Professor musste von meiner Bewerbung sehr angetan gewesen sein. Ich erinnerte mich, dass ich mein Foto bis zum Hals eingerissen hatte, da es sich um eine Bewerbung für die Psychiatrie handelte. Vorsichtshalber ließ ich auch den Lebenslauf weg. Denn ich musste befürchten, dass mein von vielen Lücken zerrissener beruflicher Werdegang unangenehme Informationen über mich hinterlassen würde. Dieser Kerl von Professor wollte mich trotzdem einstellen, vielleicht sogar deswegen. Und das sogar ohne Vorstellungsgespräch. Ziemlich verrückt das Ganze. Der Chefarzt hatte einen frankierten Rückumschlag beilegen lassen, als wüsste er aus der Ferne vom darben Zustand meines finanziellen Lebens. Also ritzte ich meine Unterschrift so feste an der freien Stelle des Vertrages ein, dass das Papier dabei zerriss. Hastig stopfte ich es in den Umschlag. Ich rannte so schnell zum nächsten Briefkasten, bis ich außer Atem war, während ich den Brief wie einen triefenden Aufnehmer weit von mir weg hielt. Kaum hatte ich die Klappe des Briefkastens geöffnet, wurde ich wieder nervös. Eine kühne Tat hatte ich hier vor und ich musste sie schnell hinter mich bringen. Meine Zweifel, die ich für meine Liebe zur Freiheit hielt, würden mit jedem weiteren Atemzug wachsen. Das war mir klar. Ich holte tief Luft, schloss die Augen, führte den Umschlag durch die Klappe und ließ ihn sofort los. Erstaunt über mich selbst ging ich langsam wieder zu Atem kommend zu meiner Wohnung zurück.

Ein Wunder war vom Himmel gefallen. Das Universum hatte geantwortet. Also war es Zeit, ihm zu folgen.

ZWEI

 

MIT DEM FÜR den E-mail-Eingang eingestellten Stairway to Heaven weckte mich mein PC mitten in der Nacht, also morgens um neun, aus meinen himmlischen Träumen. Ich schaltete meinen PC seit zwei Wochen in der Nacht nicht mehr aus, weil ich einmal ein Date mit einer Traumfrau verpasste, die ich aus einer Flirtseite kannte und die mich um vier in der Nacht zum Frühstück einlud.

»Weil du nicht geantwortet hast«, schrieb sie mir auf meine Nachfrage später, »habe ich den anderen Bewerber eingeladen, mit dem ich seither sehr erfüllend körperlich und seelisch verbunden bin. Deshalb danke ich dir, dass du auf meine Einladung nicht reagiert hast.« Uff, das saß. Sehr erfüllend.

Ich wollte meine Träume nun nicht mehr verschlafen und war fortan rund um die Uhr für jedes Frühstück erreichbar.

Drei neue Eingänge: Ein dubioser Vorschlag, wie ich an 9 Millionen Dollar als Erbe in Amerika anerkannt werde; eine Einladung von einer angeblich vereinsamten Rebecca18 zu einem hemmungslosen Sextreffen inclusive Nacktfoto und diese krachende E-mail hier:

 

Sehr geehrter Herr Valent,

 

haben Sie Dank für Ihr weiteres Interesse an einer Zusammenarbeit, das Sie erfreulicherweise durch Rücksendung des Arbeitsvertrages dokumentiert haben. Ich bitte Sie um Einreichung Ihres beruflichen Werdegangs, damit ich Ihren Einsatz in unserer Klinik zu Ihrem Gunsten besser planen kann.

Wie Sie wissen, sind Sie bereits eingestellt, sodass Sie keine negativen Befürchtungen bezüglich Ihres Lebenslaufes mehr haben müssen. Da ich wie Sie ein Liebhaber aussagekräftiger Namen bin, werde ich aus Ihrem beruflichen Werdegang Informationen gewinnen, wie sich aus dem vagen V Ihres Pseudonyms ein tatkräftiges T entwickeln lässt.

 

Mit freundlichen Grüßen!

Universitätsprofessor Dr. Anders-Welt

 

Oh Shit, wie peinlich. Die Mail des Professors war an meine Alias E-mail gegangen.

»[email protected]«. Ein Fehler in der Bewerbung, der nicht bewusst geplant war. Freud’sche Fehlleistung, auf die wir noch zu sprechen kommen. Statt meine richtige E-mail-Adresse einzutragen, hatte ich aus Versehen meine zweite anonymisierte E-mail- Adresse angegeben, mit der ich erfolglos in verschiedenen Partnervermittlungsseiten unterwegs war und die ich als Zugang zum Blitzschach im Internet nutzte. Blitzschach ist die wunderbarste Methode, jene Anteile der Zeit zu vertreiben, die man mangels Partner vor allem in der Nacht zu viel hat. Damit kann man sich das Hirn zielgerichtet zermartern, anstatt über die Leere im eigenen Bett nachzudenken. Außer mit Schach beschäftigte ich mich gerne mit Reinkarnation und mit der Frage, ob es durch mediale Arbeit möglich ist, mit bereits Verstorbenen Kontakt aufzunehmen. Mit dieser E-mail-Adresse war ich auch in Foren im Internet unterwegs, in denen die Kommunikation mit Toten diskutiert wurde. Was wahrscheinlich daran lag, dass ich selbst noch nie wirklich lebendig gewesen war.

Aber halt, oh Himmel sei Dank, war das jetzt mit der falschen E-mail nicht auch ein Zeichen des Universums? Wenn schon, dann kommt alles vom Himmel. Meine Zweifel an der neuen Stelle wussten das, denn sie waren in den Tagen nach meiner Zusage selbst in den Himmel gewachsen. Wie kann man so dämlich sein, sich als ambivalent in einer Psychiatrie zu bewerben? Jetzt wusste der Chefarzt, wie ich mich fühlte. Und ich wunderte mich, warum er mich nicht schon vor dem ersten Arbeitstag wieder rausgeworfen hatte. Das wäre wahrscheinlich weltweit der Rekord für die kürzeste Dauer einer Anstellung gewesen.

Ich fluchte immer noch, als ich nach dem fünffachen Lesen der E-mail vor dem Spiegel im Bad stand.

»Du hast diesen verdammten Arbeitsvertrag unterschrieben«, warf ich dem zerknitterten Gesicht mir gegenüber vor, »und dann auch noch einen für die Psychiatrie. Du musst vollkommen wahnsinnig sein.«

Der da im Spiegel schlief noch immer. Soweit ich es durch die Schlieren auf dem Glas sehen konnte. Jedenfalls sah er so aus. Allmählich lief er rot an und ich wusste nicht, ob dies aus Scham oder Wut geschah.

»Na und«, antwortete der noch schlafende Teil von mir, »da müssen wir jetzt durch. Diesen Vertrag werden wir ausnahmsweise einhalten und durchstehen.«

Was hatte sich denn da für eine seltsame Ehre zwischen die schlafbedingten Falten dieses Gesichts verirrt?

»Okay, okay«, antwortete ich, »also werden wir diesmal nicht wieder wortbrüchig werden?«

»Was für einen angehenden Gesprächstherapeuten ja auch sinnvoll erscheint«, antwortete mein erwachendes Ich.

Plötzlich war mir mein Plan klar. Ich würde jetzt ganz ehrlich und offen antworten. Soll doch geschehen, was geschehen soll. Entweder würde der Irrenarzt empört die Zusage zurückziehen und ich könnte mich in meinem zwar langweiligen, aber gemütlichen Bett wieder schachspielend herumwälzen. Oder er war wirklich der Menschenfreund, wie es aus seiner E-mail heraus klang und er erkannte in meinen Schwierigkeiten das Talent, das mir selbst unbekannt geblieben war. Kurzum, ich setzte mich hin und gab mir Mühe, so ehrlich zu antworten wie möglich. Ich wollte nichts mehr verbergen von der ambi.valenten Haltung, die ich gegen die Arbeitswelt seit Jahren entwickelt hatte.

 

Beruflicher Werdegang

 

Sehr geehrter Herr Universitätsprofessor Dr. Anders-Welt,

 

zwar ungern aber einsichtig komme ich Ihrer Bitte nach, meinen beruflichen Werdegang nachzureichen. Das wird aber eine Menge Worte bedürfen, weshalb ich Sie bereits hier um Ihr Verständnis bitte. Einem meiner Vorbilder entsprechend, ich meine hier Sigmund Freud, ist mir mit der Auswahl der E-mail-Adresse eine Fehlleistung passiert. Aber ich gebe zu: Ich stehe der Arbeitswelt absolut ambivalent gegenüber. Es fällt mir heute, kurz vor Vollendung meines dreißigsten Lebensjahres, noch immer verdammt schwer, mich auf die Arbeitswelt einzulassen. Arbeit gleich Knast, so fühlt sich das in mir an.

Arbeit befiehlt dir, wann du aufzustehen hast, mit wem du den ganzen Tag zusammen bist und wann du Ausgang haben darfst. Kurzum, bisher hasste ich jede Arbeit, weil ich mich durch sie gefangen und bevormundet fühlte. So kommt es, dass ich lediglich drei klägliche Wochen ununterbrochen gearbeitet haben. Eine bescheidene Ausbeute für einen fast Dreißigjährigen, das muss ich wohl zugeben. Der Rest meines Berufslebens waren Tagesarbeiten als Aushilfe, Kellner, Anstreicher und sogar als Altenpfleger. Diese drei Wochen waren aber so traumatisch für mich, dass ich diese etwas genauer beschreiben möchte: Ich bin vor ein paar Jahren einmal in einem großen Industrieunternehmen als kaufmännische Kraft gestrandet, nachdem ich die höhere Handelsschule erfolgreich abgeschlossen hatte. Dies war mein erster und zugegeben auch letzter Arbeitsversuch, der auf längere Zeit angelegt war. Die späteren Tagelöhner-Jobs, die Plackereien als Müllentsorger und Anstreicher, mit denen ich mein Studium finanzierte, waren erholsam dagegen.

Ich saß in einem Großraumbüro und die 17 Männer, wenn man diese Organismen noch so bezeichnen konnte, hockten in Reih und Glied wie in der Schule an Schreibtischen nebeneinander und hintereinander und vor ihnen thronte der Büroleiter auf einem Podest und beobachtete seine Untergebenen und alle hatten zehn Stunden lang Schiss vor ihm. Die einzige Freiheit, die wir hatten, war der Besuch der Toilette, weshalb ich mich alle 20 Minuten dorthin verpisste. Um ein paar Atemzüge in der Freiheit zu nehmen. Neben mir saß ein breitschulteriger Kerl mit unruhigen Augen, den ich um die vierzig schätzte. Kaum saß ich da, da kam er mir mit seinem roten Gesicht bedenklich nahe. Ich wurde von einer Wolke Rasierwasser umhüllt. Er sei früher Mechaniker gewesen, flüsterte er mir hinter vorgehaltener Hand zu. 15 Jahre lang sei er Arbeiter in der Halle unter uns gewesen, raunte er mir zu und sein Blick fuhr im Sekundentakt zwischen dem Büroleiter und mir hin und her. Er habe sich durch nebenberufliche Schulungen zum kaufmännischen Angestellten hochgearbeitet. Er war stolz darauf, jetzt jeden Tag ein weißes Hemd anzuziehen und dass seine Finger sauber blieben den ganzen Tag. Um seinen Erfolg zu dokumentieren, hielt er mir seine geschrubbten Finger vor die Augen. Was ich dazu sagen würde, fragte er mich und sah mich voller Hoffnung an. Da er so vertraulich war, antwortete ich ihm so ehrlich, wie er zu mir gewesen war. Also hör zu, Krawattengehirn, flüsterte ich nun ebenfalls hinter vorgehaltener Hand zurück, du bemerkst noch nicht einmal, dass du immer noch im Knast bist. Du hast dir in den 15 Jahren eine Strandtapete an die Wände deiner Zelle geklebt und denkst jetzt, du wärest in der Südsee. Sofort zuckte er zurück und sprach danach kein einziges Wort mehr zu mir. Er mied jede Nähe, als wäre ich von ansteckenden Viren befallen. Stattdessen sah er morgens, wenn ich ihn freundlich begrüßte, immer ein paar Zentimeter an mir vorbei, als würde durch die Begegnung unserer Augen eine gefährliche Ansteckung für ihn drohen. Er versteckte sich zwei Tage hinter seinen Aktenbergen.

Am dritten Tag war der Platz neben mir leer. Ich entdeckte ihn dann fünf Reihen hinter mir. Als ich ihn sah, knipste ich ihm ein Auge zu. Erschrocken sank er in sich zusammen. Am Nachmittag, als ich ihn mit einem Blick auf mich erwischte, zerknüllte ich eine unbezahlte Rechnung und warf sie ihm an den Kopf. (Zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich darlegen, dass ich eigentlich ein friedliebender Mensch bin, nur Lügen und Selbstbetrug bringen mich zur Raserei.) Ich hielt es neben den anderen Weißhemden drei Wochen aus, während ich Rechnungen von links nach rechts nach dem Alphabet sortierte und wieder von rechts nach links nach Eingangsdatum. Hoch wuchs der Papierberg links und runter schmolz er rechts und dann wieder anders herum und ich fühlte, ich würde wahnsinnig werden, wenn ich noch lange zwischen diesen Papierbergen hocken müsste.

Nach diesen drei Wochen hatte der Bürovorsteher meine Gedanken heimlich abgehört, denn ich wurde für die nächste Woche einem neuen Projekt zugeordnet, weil meine Arbeitsergebnisse trotz meiner Gefühle in Ordnung waren. Vor der versammelten Gruppe der Inhaftierten wurde ich gefragt, ob ich einen Mitarbeiter vorschlagen wollte, um mit diesem gemeinsam das Projekt zu bewältigen. Ich zeigte spontan auf den rotgesichtigen Flüchtling aus der Werkshalle, dem förmlich die Kinnlade runter klappte. Auch wenn es nicht zu glauben ist, was dann geschah, hat mir jede weitere Arbeit unmöglich gemacht. Der Mann schenkte mir sein Arbeitstrauma. Der Kerl stand auf, riss sich die Krawatte vom Hals und dann das Fenster auf und sprang hinaus. Aus dem 7. Stock. Entsetzte Rufe zerschnitten das Büro. 16 Männer rannten zu dem offenen Fenster und sahen stumm hinaus. Nach ein paar Minuten ging ich zu ihnen und lugte an ihren Schultern vorbei nach unten. Dort lag das weiße Hemd, das jetzt mit Blut durchtränkt war. Der Kopf war aufgeplatzt und das Gehirn lag frei im Sonnenlicht.

Am Wochenende hatte ich Albträume, in denen ich in einem dunklen und feuchten Verlies an diesen verstorbenen Sklaven gekettet war. Er lachte dauernd und strahlte. In Panik wachte ich schweißgebadet auf, weshalb ich mir selbst ein Arbeitstrauma diagnostizierte, von dem ich mich baldigst befreien musste. Ich wollte dem Kerl doch gar nichts tun, aber meine wohl zu direkte Art war das letzte Tröpfchen im Fass seiner Selbstmordabsichten gewesen. Heute meine ich, der hatte ein Arbeitstrauma, ohne es zu wissen. Von diesem heilte er sich mit dem Sprung durch das Fenster und gab es so wie bei einem Staffellauf an mich weiter. Eigentlich mochte ich ihn sogar. Warum hat er sich mir nicht offenbart? Wir hätten gemeinsam aus dem weißen Hemd flüchten können.

Am nächsten Montag blieb ich nach einer durchzechten Nacht einfach liegen. Ich hatte nicht mehr vom Büroknast geträumt. Im Traum war ich an einem Meer gewesen. Ich fühlte mich unglaublich frei. Als ich mich entschloss, nicht aufzustehen, lag der Tag plötzlich offen wie dieses Meer vor mir, so frei und weit war er jetzt. Ich lag nackt vor den Wellen in der Morgensonne und schaute in diesen unbegrenzten Horizont, wo das Blau des Meeres und das Blau des Himmels sich berührten. Dieser Tag am Meer gehörte mir und ich würde mit ihm machen, was ich wollte. So soll ab jetzt dein ganzes Leben sein, flüsterte der Himmel mir zu, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Dieser Job im Büro war mir noch nicht einmal eine Kündigung wert. Ich ging einfach nicht mehr hin.

Ich meldete mich bei einer Stelle im Arbeitsamt, die täglich wechselnde Jobs vermittelte. Dort saß ich dann einmal in der Woche, meist freitags, in der Vermittlung und nahm jede Aushilfstätigkeit an, die man mir anbot. Die Tatsache, dass es immer nur ein Tag sein würde, verlieh mir jetzt besondere Kräfte. Die Vermittler mochten mich. Ich wurde gern empfohlen, weil ich schnell und fehlerlos alle Arbeiten verrichtete. Die Summe, die ich für einen Tag erhielt, reichte locker für den Lebensunterhalt der folgenden Woche. Ich verdiente eben lieber Freiheit als Arbeitslohn. Denn ich brauchte wenig zum Leben und litt nicht an den künstlich erzeugten Bedürfnissen, die andere zum dauerhaften Malochen zwingen. Außerdem entwickelte sich in mir eine Angst, ich könnte noch andere fleißige Menschen in den Selbstmord oder mindestens in den Wahnsinn treiben, weshalb ich mich nur so wenig wie möglich in allen Arbeitsstätten blicken lassen wollte. Ich war eine Gefahr für jeden willigen Arbeitsmenschen. Auch deshalb hielt ich mich zurück. Zum Schutz anderer Arbeitnehmer nahm ich nur Arbeiten an, die ich alleine machen konnte.

Natürlich ist mir bewusst, dass dies eine jämmerliche Ausbeute an beruflicher Erfahrung ist. Sie haben es schon richtig erkannt, vorsichtshalber hatte ich entsprechende Angaben in der Bewerbung weggelassen. Da ich befürchten muss, dass sie nicht unbedingt für eine Anstellung meiner Person sprechen. Aber ich habe so viele verschiedene Arbeiten bewältigt, wenn auch nur jeweils für einen Tag, sodass der Mangel an Menge vielleicht für den geübten Betrachter auch eine Qualifikation durch Vielfalt darstellen kann. Versichern will ich, dass ich weder zu faul noch zu dumm zum Arbeiten bin.

Ich hoffe darauf, dass sich einmal eine Kombination von Freiheit und Arbeit für mich finden lässt, und hege eine leise Hoffnung, dass dies vielleicht in Ihrem Hause möglich ist. Falls Sie nun nicht Angst vor mir entwickeln. Aber kann man, soweit ich weiß, im Klinikum der Universität keine Fenster öffnen. Wer hat sich das eigentlich so ausgedacht? :-)

 

Mit freundlichen Grüßen

Ambi Talent

DREI

 

VIEL ZU TUN hatte mein zukünftiger Chef anscheinend nicht. Oder er interessierte sich erstaunlicherweise für mich, was ich mir nicht recht erklären konnte. Denn kaum zwei Stunden, nachdem ich meinen beruflichen Nichtwerdegang per E-mail abgeschickt hatte, kam wieder eine E-mail bei mir an. Ich hoffte zwar immer noch auf eine erneute Frühstückseinladung, aber geschrieben hatte der Professor Doktor.

 

Sehr geehrter Herr Talent,

 

vielen Dank für die Bereitstellung Ihres aussagekräftigen beruflichen Lebenslaufs. Für einen gerade noch jungen Mann verfügen Sie zwar nicht über intensivere Berufserfahrungen, dafür aber über Offenheit, Ehrlichkeit, Vertrauen und Empathie, wie die missglückte Beziehung zu Ihrem damaligen Kollegen ausdrückt. Diese Eigenschaften sind wichtige Therapeutenvariablen, weshalb ich der Meinung bin, dass Sie gut in unsere Klinik passen. Wir müssen vielleicht ein bisschen an diesen Rohdiamanten herum schleifen, bis sie (und Sie) zu vollem Glanze kommen.

Eine letzte Bitte: Bevor Sie nächste Woche in unsere Klinik kommen, beschreiben Sie mir Ihre Motivation, die Sie zu einem therapeutischen Beruf geführt hat. Und Ihre Erfahrungen während der Ausbildung. Mit einer entsprechenden Aussage stehen mir dann alle Informationen zur Verfügung, die ich ansonsten in einem Vorstellungsgespräch erfragt hätte, welches wir in anderer Form nachholen werden.

 

Mit kollegialen Grüßen

 

Professor Dr. Anders-Welt

 

Zuerst fiel mir auf, dass aus dem Universitätsprofessor der ersten Email ein einfacher Professor geworden war. War das ein vertrauliches Zeichen oder regte ich den Mann zur Bescheidenheit an? Ich hoffte, dass er angesichts der angeforderten persönlichen Informationen über meine Motivation nicht zum Assistenzarzt schrumpfen würde.

Und dann kündigte er ein Vorstellungsgespräch nach der Einstellung an? Etwas war an diesem Mann anders, worauf nicht nur sein Name hindeutete. Aber da mir ja nichts zu drohen schien, war ich entschlossen, mich vollkommen ehrlich und ausführlich zu zeigen. Entweder konnte ich ihn mit meiner nicht vorhandenen Motivation doch vertreiben, was ich heimlich hoffte, oder aber ich hatte einen Glückstreffer durch Fügung des Himmels erwischt. Eine Vorstellung, die ich nicht zu glauben wagte, die mir aber gut tat. Um es herauszufinden, wollte ich jetzt eine Schippe drauflegen. Ich wollte mich so zeigen, wie ich war. Der in der nächsten Woche anstehende Einstellungstermin machte mich immer nervöser. Vielleicht würde es mir mit der blanken Wahrheit und einem von Narzissmus geprägten Schreibstil doch gelingen, ihm meine Einstellung auszureden. Obwohl ich wusste, dass es sinnlos ist, sich gegen Entscheidungen des Himmels zu wehren, wollte ich mein Bestes, in diesem Fall mein Schlechtestes geben, um den Himmel in Form des Chefarztes umzustimmen.

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Anders-Welt,

 

erfreulicherweise hat mein knapper beruflicher Erfahrungsschatz keine Veränderung in Ihrer Einstellungsabsicht erwirkt. Ich danke für die Beschreibung der angenehmen Attribute, die Sie meiner Person verliehen haben. Das macht mir Mut, ehrlich und offen zu sein, was meine Motivation betrifft.

Ich werde weit ausholen müssen, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Ich hoffe sehr, sie damit nicht zu langweilen. Alles liegt daran, dass meine wirkliche Ausbildung aus Abwarten bestanden hat. Deshalb diese Ambivalenz. Ich wusste immer, dass eine besondere Aufgabe auf mich wartet. Etwas Überirdisches, etwas, was aus einer anderen Welt kommt. Deshalb hielt ich mich in dieser Welt immer verborgen, um mich für die Bestimmung zu schützen, die vor mir liegen muss. Das möchten Sie bitte zwischen den Zeilen mitlesen, weil ich es nicht in Worte fassen kann. Ich habe das Gefühl, dass es mit der Einrichtung zu tun hat, die Sie leiten.

Ohne mir anmaßen zu wollen, Ihre Beweggründe zu kennen, vermute ich hinter Ihrem Interesse an meiner Motivation für einen therapeutischen Beruf folgenden Hintergrund: Ich weiß aus meinen psychologischen Forschungen, dass der Wunsch nach Freiheit zwei Reifegrade hat. Die erste habe ich beantwortet, das ist die Frage: Freiheit wovon? Bei mir war das die Freiheit von fremdbestimmter Arbeit, die ein Trauma für mich ist. Die zweite Frage lautet: Freiheit wozu? Wie kann die durch Wegbewegung gewonnene Freiheit in eine Hinbewegung zu einem sinnvollen Handeln gewandelt werden?

Es tut mir leid, dass ich zu dieser Frage keine qualifizierenden Aussagen machen kann. Ich studierte Sozialpsychiatrie mit dem Schwerpunkt Gesprächstherapie. Aber nicht, um andere Menschen zu unterstützen oder gar zu heilen. Meine Motivation zu dieser Ausbildung zielte nicht auf das Wohl meiner Mitmenschen, sondern meiner damaligen Situation entsprechend nur auf mein eigenes Wohlergehen.

Da mir jeder sagte, man müsse etwas tun, entschloss ich mich nach den vielfältigen Aushilfsjobs zum Studium an einer katholischen Hochschule. Ein Studium kam mir verlockend vor, weil es mir wie eine Tätigkeit vorkam, mit der man andere noch unangenehmere Tätigkeiten (das Arbeitsleben) ein paar Jahre von sich weg in die Zukunft schieben konnte. Ich wählte die Hochschule nicht, weil sie katholisch war, sondern weil ich mich am Morgen müdigkeitsbedingt nicht weit wegbewegen wollte. Die Uni lag direkt um die Ecke und da ich sie zu Fuß in ein paar Minuten erreichen konnte, suchte ich sie mir als mein zukünftiges berufliches Zuhause aus, um weitere Erschöpfungszustände zu vermeiden.

Ich wählte das Fach Sozialpsychiatrie als ersten Schwerpunkt aus. Was das bedeutete, wusste ich damals nicht. Es war das Wort selbst, welches eine magische Anziehungskraft auf mich ausübte. Die Kombination aus Sozial- und Psychiatrie faszinierte mich. Mir war durchaus klar, dass ich sozial gesehen nicht der Norm entsprach. Ich mied die Gesellschaft anderer Menschen und las stattdessen lieber Bücher von Dichtern, die ebenfalls andere Menschen mieden. Kennen Sie den köstlichen Anfang von Goethes »Italienischer Reise«? (Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte. Die Gesellschaft, die den achtundzwanzigsten August, meinen Geburtstag, auf eine sehr freundliche Weise feiern mochte, erwarb sich wohl dadurch ein Recht, mich festzuhalten; allein hier war nicht länger zu säumen). Der junge Goethe flieht frühmorgens an seinem Geburtstag vor den Menschen, die diesen mit ihm feiern wollten. Ist das nicht herrlich? In meiner Fantasie steigt er im Dunklen aus dem Fenster und flieht nach Italien, dem Land, wo die Zitronen blühen, dem Land, das er dem Paradies am nächsten sah!

DER ICH UNTER MENSCHEN NICHT LEBEN KANN, so lautet mein Lieblingssatz von Ingeborg Bachmann. Das war so etwas wie mein Lebensmotto damals. Aber darf man daraus ableiten, dass Ingeborg Bachmann oder Goethe gestörte Wesen waren und die anderen Menschen die Gesunden?

Kann es nicht auch sein, dass sie seelisch und geistig entwickeltere Menschenversionen waren, die den im Vergleich zu ihnen noch in der Steinzeit lebenden Menschen einfach himmelhoch entwachsen waren? Da ich dieses Recht für mich mangels Belege nicht in Anspruch nehmen konnte, kam ich nicht umhin, mich selbst für (ein bisschen) gestört zu halten. Sozial verrückt eben, was für mich bedeutete, von der Norm ver-rückt zu sein und wahrscheinlich deshalb der Psychiatrie bedürftig. Erst heute habe ich den Mut, die Norm selbst für verrückt zu halten und mich selbst zu nehmen, wie ich bin. Ich wählte also Sozialpsychiatrie als Schwerpunkt meines Studiums. Das Wort wirkte wie ein maßgeschneiderter Anzug für meine Zukunft. Ich würde, so träumte ich vor mich hin, mindestens acht Semester lang ausschließlich mit mir selbst zu tun haben. Ich würde Vorlesungen über mich besuchen, Übungen mit mir selbst machen und Arbeiten über mich selber schreiben. Das klingt vielleicht narzisstisch oder selbstverliebt, doch dahinter verbarg sich nur die Hoffnung, von meiner Isolation befreit zu werden. Solche verlockende Aussichten entwickelte die Wahl dieses Studiums für mich, weil ich annahm, mit dem später erlangten Diplom auch von meinen sozialen Abneigungen geheilt worden zu sein. Eine Hoffnung, die sich nicht bestätigte. Ich habe sicher einiges gelernt, aber ich bin so einsam wie zuvor.

Mit meinen Kommilitonen hatte ich außer dem Studienfach nichts gemeinsam. Schon in der Einführungsveranstaltung war ich das, was ich am liebsten war: der Außenseiter, der außen am Rande stand. Ich ging damals immer in Lederhosen aus dem Haus und trug lange Stehkragenhemden, die mir das Gefühl gaben, ich wäre vielleicht Künstler. Umgeben war ich im Hörsaal von Bio-Baumwoll-Freaks, die Sandalen ohne Socken trugen und deren T-Shirts Regenbogen zeigten. Ich nannte sie Körnerfresser, weil sie in den Pausen Bio-Müslis in Bauernmilch rührten und Möhrenstücke kauten, während mir jeder Appetit verging.

Das Schlimmste aber war, dass alle in den Vorlesungen strickten. Mir taten plötzlich die Professoren leid. Meine angeblichen Geschlechtsgenossen waren die eifrigsten Stricker. Die Kerle fuchtelten noch hektischer mit den riesigen Nadeln vor ihren Nasen herum als die katholischen Jungfrauen, denen ich das Stricken gerade noch verzeihen konnte. Zwischen denen saß ich im Vorlesungssaal in meiner Lederjacke, die ich nie auszog, um in einer dickeren Haut geborgen zu sein und fraß mich selber auf, indem ich in meine Fingernägel biss. Ich wusste wieder nicht, warum ich immer derjenige sein musste, der anders tickte als der Rest der Gruppe, in die ich mich verirrt hatte. Hin und wieder wurde ich ohne Grund wütend und zog einem Nebenmann die Nadel aus seinem schnell anwachsenden Häkelgestell. Angriffslustig schaute ich ihn an. Aber keiner von ihnen wagte ein Wort des Protestes, ganz zu schweigen von einer Rauferei. Einer fing sogar zu weinen an. Es war zum Verzweifeln. Ich bemerkte, dass der Professor, der über vorgetäuschte Suizide als Hilferufe gesprochen hatte, die Szene mit dem weinenden Studenten aufmerksam beobachtet hatte. Er sah mich an. Ich zuckte ratlos mit den Schultern. Er grinste. Ich sah weg. Es musste doch irgendwo einen oder eine geben, mit dem oder der ich durch eine innere Ähnlichkeit in eine ergänzende Schwingung geraten konnte.

Bei diesem Psychologie-Professor hatte ich plötzlich das ungewohnte Gefühl, er wäre vielleicht so einer. Zwar war er etwas zu alt dazu oder ich zu jung, aber immerhin gab es ihn. Ich hatte Recht mit dieser Ahnung. Er wartete am Ausgang des Hörsaals und nahm mich mit einem sanften Griff an der Schulter aus der Masse der ausfließenden Studentenschar heraus, musterte mich von oben bis unten und fragte, warum ich mich für Bewusstsein und für das Unbewusste interessieren würde. Na ja, sagte ich, je bewusster man wird, umso leichter wird das Leben sein. Da schrie er auf mit einem gemeinen Lachen und meinte nur trocken, das sei leider genau anders herum. Je bewusster du wirst, umso schwerer wird das Leben sein, antwortete er mir. Ich sah einen Anflug von Neugier in seinem Gesicht. Er wartete auf meine Antwort. Naja, fragte ich zurück, wenn das so ist, warum lehren Sie dann diesen Scheiß? Warum bringen Sie den Leuten etwas bei, was dann alles schwerer macht? Warum lehren Sie dann nicht, wie man blöde und dämlich wie ein unbewusster Automat funktionieren kann, wenn das Leben dann schön einfach wird. Sofort fiel mir das Weißhemd aus dem Büro ein.

Der Professor haute sich leicht auf den Oberschenkel und schmunzelte so, als hätte er die richtige Antwort gehört.

---ENDE DER LESEPROBE---