Treasure Hunt - Sandra Pollmeier - E-Book

Treasure Hunt E-Book

Sandra Pollmeier

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Beschreibung

Lara Croft meets Indiana Jones? Nein, eher Mrs. Tolpatsch meets Mr. Irresistible. Lara Croft und ich haben leider fast nichts gemeinsam, außer einem verstorbenen Vater und einer Schatzsuche. Aber Ben kann es schon eher mit Indiana Jones aufnehmen. Denn Ben sieht gut aus, ist der schweigsame, mutige Typ und hat mir das Leben gerettet, mich vor skrupellosen Verbrechern bewahrt, geküsst … und verraten. Er ist mir immer einen Schritt voraus auf der Suche nach dem Schatz. Sei es auf den Seychellen, zu Hause in Hamburg oder auf Helgoland. Ich komme immer zu spät, Ben schlägt mir ein Schnippchen und der Schatz den wir finden, verlieren wir wieder. Aber ich bin fest entschlossen mich nicht mehr von meinen Gefühlen aufhalten zu lassen, noch weniger von dem Fluch der auf meiner Familie lastet. Und Ben, der kann mir gestohlen bleiben … HINWEIS: "Treasure Hunt" ist Teil 1 der gleichnamigen Serie!

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TREASURE HUNT

VERBOTENE LIEBE

SANDRA POLLMEIER

IMPRESSUM

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2020 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

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M. Kluger

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INHALT

I. Hamburg

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

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TEILI

HAMBURG

PROLOG

Als Marcus Stevens zu Bewusstsein kam, sah er ihn durch die zersplitterte Windschutzscheibe auf der Kühlerhaube seines Wagens sitzen. Beißender Qualm stieg aus dem zerquetschten Motorblock empor und brannte in seinen Augen. Der Vogel saß ganz still und blickte ihn unerschrocken an. Es war ein schönes Tier, ein Buteo brachypterus oder auch Madagaskar-Bussard, der in dieser Gegend eigentlich nichts zu suchen hatte.

Marcus Stevens kannte sich aus mit Vögeln. Seit frühester Kindheit hatten sie ihn fasziniert. Diese Leidenschaft hatte ihn nie losgelassen. Doch dieser Vogel war anders, und er wusste genau, warum er gekommen war.

Mühsam löste Marcus seine rechte Hand vom Lenkrad und tastete nach seinen Beinen. Sie fühlten sich nass und klebrig an und klemmten fest unter dem zerbeulten Metall. Als er genauer nachsah, bemerkte er das scharfkantige Stück Stahl, das sich zentimetertief in seinen linken Oberschenkel bohrte.

Sollte er um Hilfe rufen? Instinktiv wusste er, dass es zu spät dafür war. Schon loderten die ersten Flammen aus der zerdrückten Kühlerhaube. Der Vogel schien das gar nicht zu bemerken. Forschend blickte er ihm in seine erschöpften Augen.

Marcus Stevens zitternde Finger glitten schwach über die Klappe des noch unversehrten Handschuhfachs. Wie von selbst sprang der Deckel auf und ein Haufen sinnloser Kram flog auf den Beifahrersitz. Mit den Fingerspitzen erwischte er sein Smartphone und zog es mit großer Anstrengung langsam zu sich heran. Als er das Display einschaltete, leuchtete das altbekannte Foto auf, das ihn schon so viele Jahre auf seinen Reisen begleitet hatte. Seine kleine Sofia. Es würde jetzt schwer für sie werden. Aber sie war stark, und Marcus wusste, dass sie es schaffen würde, sein Erbe anzutreten.

Schon als kleines Mädchen hatte sie genauso ausgesehen wie ihre Mutter. Zumindest schien es ihm so, denn ihren echten Vater hatte Marcus nie kennengelernt. So hatte er im Laufe der Jahre beinahe vergessen, dass Sofia nicht wirklich seine Tochter war. Und das spielte auch keine Rolle mehr, denn sie würde es nie erfahren.

Das Display verdunkelte sich, der Akku ging zu Neige. Keine Zeit mehr für Abschiedsworte. Der dichter werdende Rauch stach in seiner Lunge und machte ihn ganz benommen. Inzwischen war die Hitze unerträglich geworden. Nun würde es nicht mehr lange dauern.

Entschlossen griff Marcus nach dem scharfkantigen Stück Metall, das in seinem blutenden Bein steckte. Es zerschnitt ihm die Handfläche, doch er merkte es kaum. Mit einem beherzten Ruck zog er es aus der Wunde. Der Schmerz ließ ihn zusammenfahren, doch nur für einen kurzen Moment. Dann trug ihn ein Gefühl von Gleichmut und Schwäche wie auf einer sanften Woge davon. Obwohl um ihn herum die Flammen loderten, fröstelte es Marcus. Und zusammen mit dem Blut, das sein schwächer werdendes Herz aus der offenen Arterie in seinem Oberschenkel pumpte, flossen seine Erinnerungen wie im Zeitraffer durch seinen Kopf. Die letzten Jahre, seine Jugend, seine Kindheit flogen an ihm vorbei. Bis am Ende nur noch eines blieb: Der Blick in die Augen eines Bussards, kurz bevor dieser seine Flügel ausbreitete, um sich zum Horizont zu erheben.

1

Schweißnass schrak ich hoch. Ich brauchte einige Sekunden um mich zu fangen und zu verstehen, dass die gerade noch von mir so echt empfundenen Erlebnisse nichts weiter waren als ein böser Traum. Seit Wochen waren es immer dieselben beunruhigenden Bilder – flatternde Flügel und scharfe Krallen, die nach mir griffen. Ein dunkler Ort ohne Hoffnung und Ausweg. Panische Stimmen und ein ohrenbetäubendes Kreischen… ein infernales Szenario von Tod und Verderben. Und schließlich nichts mehr. Nur Stille. Schwarze, alles verschlingende Stille.

Seufzend fuhr ich mir durch die zerzausten Haare und tastete nach meiner Brille. Tagsüber trug ich aus Eitelkeit Kontaktlinsen, nachts jedoch musste ich auf mein riesiges, uraltes Brillengestell zurückgreifen, dass ich mir in einem Anflug vorpubertären Wahnsinns kurz vor meinem zwölften Geburtstag zugelegt hatte. Vorsichtig klappte ich die Bügel auseinander und lugte mit zusammengekniffenen Augen zur Uhr. Ich stöhnte. Halb sieben. Das war eindeutig zu früh, um an einem Sonntagmorgen aufzustehen und doch zu spät, um noch einmal ordentlich einschlafen zu können. Schlaff ließ ich mich in mein Kissen zurückgleiten und lauschte, wie mein Puls sich nach dem schrecklichen Traum langsam wieder normalisierte.

In letzter Zeit war ich dankbar für jede Nacht, die ich ohne größere Qualen hinter mich bringen konnte. Für jede Nacht, in der ich überhaupt ein wenig Schlaf fand. Meine Albträume wechselten häufig, doch der mit den Vögeln plagte mich schon seit einigen Tagen. Immer wieder stürzten sie sich wie aus einer schwarzen Wolke auf mich herunter, um mich zu verschlingen. Es erschien mir so real, dass ich beinahe den Lufthauch ihres Flügelschlags auf meiner Haut spüren konnte. Ihre schwarzen Augen wirkten tot und glanzlos.

Und dennoch – der wahre Albtraum war in Wirklichkeit mein Leben selbst.

Als ich ein kleines Mädchen war, durfte ich nachts zu meinem Vater ins Bett kriechen, wenn ich schlecht geträumt hatte. Er nahm mich in die Arme und summte mir so lange Einschlaflieder vor, bis mir wieder die Augen zufielen. An seine kratzigen Wangen gekuschelt, fühlte ich mich geborgen und beschützt. Später dann, so ab dem 11. Lebensjahr, kam es mir nach und nach zu kindisch vor, meinem Vater derart auf den Leib zu rücken. Der innige Körperkontakt wurde mir plötzlich peinlich und ich zog mich langsam zurück. Umarmungen gab es bald nur noch zu Geburtstagen oder Weihnachten. Mein Vater akzeptierte diesen Loslösungsprozess mit einem stillen Seufzen, doch er liebte mich wohl zu sehr, als dass er seine Enttäuschung jemals hätte durchblicken lassen. Es war nun einmal der Gang der Dinge, dass aus kleinen Mädchen langsam Frauen wurden, die ihren eigenen Weg gehen wollten. Sicher hatte er sich gedacht, das alles würde sich wieder legen, wenn ich erst einmal erwachsen sein würde. Dass wir uns dann wieder unverkrampfter unsere Zuneigung zeigen könnten. Doch soweit sollte es nie kommen.

Ich rollte mich verzweifelt in meine Decke ein und zog meine Beine eng an die Brust. Was hätte ich nur darum gegeben, hätte er mich heute nach meinem bösen Traum tröstend in die Arme genommen und mir freundlich: „Alles wird gut, Sofia!“ ins Ohr geflüstert. Vielleicht hätte ich ihm sagen können, wie lieb ich ihn hatte.

Nichts würde mehr gut werden. Die Albträume verschwanden nicht und Papa würde mich nie wieder in seine Arme nehmen. Vor vier Wochen war mein Vater bei einem Autounfall auf einer Landstraße in der Nähe von Lübeck ums Leben gekommen.

Das pochende Geräusch in meinem Kopf wollte nicht nachlassen, und ich beschloss mit einem leisen Seufzen doch aufzustehen, um diesen schon jetzt grausam anmutenden Tag hinter mich zu bringen.

Auf wackeligen Füßen tappte ich barfuß die Treppe herunter, betrat die Küche und öffnete einen unserer weißen Küchenschränke. Müde zog ich ein Saftglas heraus und hielt es unter den Wasserhahn, danach drückte ich mir – wie fast jeden Morgen – eine Paracetamol aus der mittlerweile fast leeren Packung und schluckte sie mechanisch herunter.

„Hi“, hörte ich plötzlich eine raue Stimme aus der Essecke. Ich zuckte zusammen. „Hey, lass´ nicht vor Schreck dein Glas fallen, ich räum´ das dann sicher nicht weg“, spottete die Stimme mit beißendem Unterton.

Noch immer hatte ich mich nicht an meinen neuen Mitbewohner gewöhnt. Elf Jahre lang hatte ich mit meinem Vater alleine in unserer schönen Jugendstil-Villa im Hamburger Stadtteil Blankenese gelebt. Nachdem meine Mutter an Leukämie starb, als ich sechs Jahre alt war, hatte mein Vater nie wieder eine feste Freundin gehabt. Er war in seinem Leben zweimal verheiratet gewesen, „und das reicht auch“, pflegte er immer kurz und bündig zu sagen.

„Hi“, murmelte ich mehr zu mir selber als zu der dunklen Gestalt, die im Halbschatten der unbeleuchteten Essecke saß. Das war die kürzeste Antwort, die mir einfiel. Ich hatte nur wenig Interesse an einer eingehenderen Unterhaltung und hätte darauf gewettet, dass es meinem Bruder nicht anders erging. Ohne ihn weiter zu beachten, öffnete ich den Kühlschrank und zog ein großes Glas Vanillejoghurt heraus. Als ich in der Schublade nach einem Löffel kramte, meldete sich die Stimme aus der Ecke erneut. „Alle dreckig, musst dir einen aus der Spüle nehmen.“

Genervt atmete ich aus und drehte mich widerwillig zu der noch immer spöttisch klingenden Stimme um. „Du bist schon wach?“, fragte ich betont freundlich. Die Frage war mehr rhetorischer Art, denn ich sah auf den ersten Blick, dass Ben nicht gerade dem Bett entstiegen war. Er trug ausgewaschene Jeans und darüber ein eng anliegendes schwarzes T-Shirt, in dessen rechten Ärmel er eine Schachtel Zigaretten eingedreht hatte. Genau nach denselben roch er auch und ich nahm an, dass er wieder einmal eine Nacht mit Freunden in einer muffigen Kneipe durchzecht hatte. Angewidert rümpfte ich die Nase, als er aufstand und sich grinsend vor mir aufbaute. „Naja, so, wie du in aller Herrgottsfrühe rum schreist, muss man ja aufwachen.“

Ich spürte, wie ich errötete, doch bevor mir eine Antwort einfiel, die bissig genug geklungen hätte, um ihn damit zu verärgern, war er schon an mir vorbeigeschlüpft und stapfte Richtung Badezimmer. „Ich nehm´ erst mal ne Dusche“, sagte er beiläufig und zack – war die Tür auch schon zugefallen.

Warum? Diese Frage schwirrte schon seit drei Wochen durch meinen Kopf. Warum nur hatte Papa mir das angetan?

Ich wusste diese Frage war mehr als gemein und ungerecht. Mein Vater war schließlich nicht aus Absicht aus der Kurve geflogen und in seinem eigenen Wagen verbrannt. Und dennoch war es so. Er hatte mich allein gelassen. Nein! Allein wäre schon schlimm genug gewesen, aber das hätte ich noch irgendwie ausgehalten. Ich war 17. Vielleicht hätte ich für ein oder zwei Jahre in ein Internat wechseln können, um dort mein Abi zu beenden. Sicher wäre es nicht leicht gewesen, weg von Zuhause, von meiner Schule, meiner besten Freundin Stella. Ich hätte auch erst einmal bei Onkel Michael leben können. Ich war fast erwachsen und konnte gut auf mich selbst aufpassen. Mein Vater war in den letzten Monaten sowieso häufig beruflich unterwegs gewesen, sodass ich manchmal über Wochen auf mich alleine gestellt war. Unsere Haushälterin Emma war in dieser Zeit für mich wie eine gute Freundin gewesen, mir hatte es an nichts gefehlt.

Doch dann hatte Papa mich an diesen Fremden verkauft!

2

Ich hielt einen dreckigen Löffel unter den Hahn der mit Geschirr vollgestopften Spüle und ließ meine Gedanken fließen wie das Wasser, das in immer wärmer werdenden Strömen über meine Finger glitt.

Nach Papas Beerdigung war mir alles vorgekommen wie ein dunkles Loch, das mich drohend angähnte und mir die Luft zum Leben nahm. Wie ein Schlafwandler war ich umhergeirrt, betäubt von den Beruhigungsmitteln, die unser Hausarzt mir verschrieben hatte, nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Onkel Michael hatte sich die ersten Tage um mich gekümmert und dafür war ich ihm sehr dankbar. Er hatte mich getröstet und mir alle Zeit gelassen, die ich brauchte, um endlich über die entsetzliche Tatsache reden zu können, dass mein Vater nie wieder nach Hause kommen würde. Er hatte sich um die Beerdigung gekümmert und alle behördlichen Angelegenheiten geklärt. Fast hätte ich mich an den Gedanken gewöhnen können, dass er in naher Zukunft meine Ersatzfamilie sein würde. Vielleicht wäre es wirklich gut gegangen. Michael war Papas einziger Bruder und im Prinzip auch mein einziger noch lebender Verwandter. Mama hatte keine Geschwister gehabt und meine Großeltern hatte ich niemals kennengelernt. Ich selber war als Einzelkind aufgewachsen, obwohl ich wusste, dass es irgendwo einen sechs Jahre älteren Halbbruder aus der ersten Ehe meines Vaters gab. Bis auf ein einziges Mal, ich war vielleicht fünf Jahre alt gewesen, hatte ich Ben jedoch niemals persönlich gesehen. Nicht, dass mein Vater es nicht versucht hätte, Kontakt zu ihm und seiner Mutter aufzunehmen. Doch kaum hatten sich die beiden kurz nach Bens Geburt voneinander getrennt, war Papas Ex mit meinem Halbbruder nach Spanien gezogen. Viele Jahre gab es kein Lebenszeichen von ihnen. Mein Vater lernte meine Mutter kennen, und die beiden heirateten in einem Anflug großer Verliebtheit nur sechs Wochen nach ihrem ersten Rendezvous. Neun Monate später erblickte ich, Sofia Isabel Stevens, das Licht der Welt.

Lange hatte ich keinen einzigen Gedanken an meinen verschollenen Bruder vergeudet. Ich wusste zwar, dass er existierte, doch ich hatte ihn einfach vergessen, so wie eine Geschichte, die man vor langer Zeit einmal gelesen und dann zur Seite gelegt hatte.

Bis zu jenem Freitag vor vier Wochen.

Mein Vater war gerade drei Tage zuvor beerdigt worden, da erklärte mir Onkel Michael, dass wir einen Termin beim Notar wahrnehmen müssten, es ginge um erbrechtliche Angelegenheiten. Ehrlich gesagt hatte ich mich bis dahin noch nicht ein einziges Mal gefragt, ob oder was ich nach dem Tod meines Vaters erben würde. Es erschien mir pietätlos, so früh darüber nachzudenken, und so wunderte es mich umso mehr, als Michael mich so plötzlich mit dieser Nachricht überfiel.

Auf der Fahrt zur Anwaltskanzlei wirkte er sichtlich nervös und angespannt. Ich konnte mir nicht erklären, woraus seine eigenartige Unruhe resultierte, denn mit der Aussicht auf ein lukratives Erbe konnte es wohl kaum etwas zu tun haben. Wir besaßen zwar ein wunderschönes Haus in einer sehr exklusiven Wohnlage – die Villa hatte bereits mein Ururgroßvater, Kapitän Johann Stevens kurz nach Beginn des 20. Jahrhunderts erbauen lassen – aber ansonsten verfügten wir über keine nennenswerten Reichtümer. Mein Vater hatte nach seinem Biologiestudium und dem Abschluss seiner Doktorarbeit eine Dozentenstelle für Ornithologie an der Uni Hamburg angetreten. Manchmal hatte er Fernreisen unternommen, um ausländische Ornithologen bei ihren Forschungsarbeiten zu unterstützen. Nichts Spannendes, es ging eben um Vögel. Seine Arbeit hatte mich nie besonders interessiert. Er verdiente gutes Geld, aber im Luxus schwelgen konnten wir nicht.

Als wir die in warmen Brauntönen gehaltene Kanzlei des Notars betraten, wartete am Empfang bereits ein fremder junger Mann. Der Anwalt selber konnte es nicht sein, dafür war er zu leger gekleidet: Jeans, ein offenes hellblaues Hemd und ein enges schwarzes T-Shirt unter dem sich ein durchtrainierter Oberkörper abzeichnete. Seine schwarze Lederjacke hatte er lässig über die Schulter geworfen. Die dunkelbraunen Haare umrahmten wild seine scharf geschnittenen Gesichtszüge. Der fremde junge Mann schaute nicht auf, als wir die Tür öffneten. Er war in ein Gespräch mit der Sekretärin vertieft, die nur schlecht überspielen konnte, wie sehr sie von ihm angetan war. Der Mann flüsterte, doch die blonde Frau hinter dem Schreibtisch kicherte albern und drehte kleinmädchenhaft eine lose Haarsträhne um ihren Zeigefinger, als er sie mit einem herausfordernden Zug um den Mund anlächelte.

Ich setzte mich neben Michael auf einen Stuhl und schlug die Beine übereinander. Keine Sekunde dachte ich darüber nach, dass dieser fremde junge Mann zwei Meter von mir entfernt etwas mit Papas Testamentsverlesung zu tun haben könnte. Gedankenverloren betrachtete ich sein von mir abgewandtes Gesicht. Er gehörte zu den Menschen, die einen Raum betreten konnten und von allen Seiten nur Lächeln ernteten, so unverschämt gut sah er aus. Und er war sich dessen nur allzu bewusst, das war nicht zu übersehen. Er flirtete mit der mindestens zehn Jahre älteren Sekretärin so unverhohlen, dass es auf Außenstehende schon fast unangenehm wirkte. Doch plötzlich schien sie zu merken, dass sie sich nicht mehr alleine im Raum befanden, und rückte erschrocken ein Stück von ihm ab. Sie sagte etwas zu ihm, dass ich nicht verstehen konnte, und nickte kurz in unsere Richtung. Da drehte sich der Fremde zu mir um und sah mich mit seinen durchdringend blauen Augen unverfroren an. Ich erschrak ein wenig, denn sein Blick war nicht der eines Unbekannten, der flüchtig zur Seite schaute, weil eine andere Person ihn kurzzeitig in einem Gespräch unterbrochen hatte. Nein. Er musterte mich eingehend. Sein Blick war plötzlich ernst und ich fragte mich, ob ich darin eine Spur von Traurigkeit erkennen konnte. Ein paar Sekunden lang sah es aus, als schaute er durch mich hindurch, als wären seine Gedanken weit weg, an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit; doch dann blinzelte er kurz und das unverschämte Lächeln gewann wieder Oberhand. Er schenkte mir ein halbherziges Grinsen, nickte kurz und wandte sich ohne ein Wort wieder der Sekretärin zu.

„Familie Stevens“, unterbrach die Stimme des Notars schließlich meine Gedanken und Onkel Michael und ich sprangen fast zeitgleich auf. Zu meiner Verwunderung betraten aber nicht nur wir beide, sondern auch der fremde junge Mann das holzvertäfelte Büro neben dem Schreibtisch der blonden Sekretärin. Mein Onkel schien nicht weniger verwirrt zu sein als ich, doch bevor wir noch eine Frage stellen konnten, hatte der Anwalt bereits meine Hand und die Hand des Fremden geschüttelt. „Frau Stevens, Herr Stevens – mein herzliches Beileid zum Tod ihres Vaters“, sagte er mit verständnisvoller Miene und wandte sich dann meinem Onkel zu.

Obwohl seine Worte in meinem Kopf nachhallten, brauchte ich ein paar Sekunden, um den Inhalt seiner Beileidsbekundung nachzuvollziehen. „ ...Tod ihres Vaters … Herr und Frau Stevens …“ Jetzt war es mir auf einmal egal, dass ich den Unbekannten tatsächlich anstarrte. Dieser Mann war kein Fremder. Er hieß Benjamin Stevens und er war mein Bruder.

3

Rums! Das war die Badezimmertür. Der laute Schlag riss mich aus meinen trüben Gedanken und katapultierte mich zurück an den Küchentisch.

„Das Bad ist jetzt frei“, murmelte Ben als er mit klitschnassen Haaren und nur mit einem Handtuch bekleidet tropfend durch den Flur schlenderte.

Mit einem Seufzen stand ich auf und versuchte mich nicht darüber zu ärgern, dass ich gestern erst die Fliesen gewischt hatte, auf denen sich nun Bens nasse Fußabdrücke abzeichneten. Aber was sollte ich ihm sagen? Ich traute mich ja noch immer kaum, ihn anzusprechen.

Das Badezimmer war dunstvernebelt und ich strich mit einer Handfläche über den Spiegel, bevor ich den Wasserhahn aufdrehte, um mir die Zähne zu putzen. Das Gesicht, das mir zwischen den Schlieren entgegenblickte, kam mir seltsam fremd vor. Meine dunklen Augen lagen in tiefen, schattenumränderten Höhlen in einem fast schon erschreckend blassen Gesicht. Meine dunkelbraunen Haare, die ansonsten in voluminösen Wellen bis zur Hälfte meines Rückens hinunterfielen, hatten sich in vielen unordentlichen Strähnen aus dem langen Zopf gelöst, den ich mir nachts zum Schlafen band, damit ich nicht versehentlich unter einem Wust von Haaren erstickte. Mit gerunzelter Stirn versuchte ich, irgendeine Ähnlichkeit zwischen mir und meinem neuen Bruder zu entdecken. Wir schienen so gar nichts gemeinsam zu haben. Er war schlank und durchtrainiert – ich war mit Kleidergröße 42 eher moppelig und unförmig. Meine Haut war blass und meine Augen besaßen gar keine richtige Farbe. Irgend so ein undefinierbares grau-braun-grünes Mischmasch. Bens Augen waren von einem so tiefen Blau, dass man fast den Eindruck bekam, er trüge gefärbte Kontaktlinsen. Und er konnte einen so durchdringend anschauen, dass man nicht wusste, ob man Angst vor ihm bekommen oder sich in ihn verlieben sollte. Zumindest wenn man nicht mit ihm verwandt war, so wie ich. Meine Freundin Stella hatte sich auf jeden Fall gleich in ihn verguckt. Das war auch nicht verwunderlich, denn Ben hatte eine sehr einnehmende Art, die besonders auf Frauen wirkte. Egal wo er sich blicken ließ – ob beim Einkauf im Supermarkt oder beim Gespräch im Jugendamt – alle weiblichen Wesen begegnete ihm freundlich und mit flirtendem Blick.

Tja, Ben war halt ein echter Stevens, wie mein Vater und wie Michael. Ich kam weder nach Papa noch nach meiner Mutter. Einzig Mamas wallendes, lockiges Haar hatte ich geerbt. Wenn es überhaupt etwas an mir gab, was mir einigermaßen gefiel, so waren es meine Haare.

Ich zog das Band aus meinem geflochtenen Zopf und löste die widerspenstigen Strähnen. Dann schlüpfte ich aus dem Nachthemd unter die Dusche. Als das Wasser mich warm umspülte, glitt langsam wieder Leben in meine Glieder. Zum Glück war heute Sonntag, sodass ich mich nicht beeilen musste und einfach meine Gedanken baumeln lassen konnte. Wenn ich Glück hätte, würde Ben schnell wieder verschwinden und ich könnte Stella anrufen. Würde er zu Hause bleiben, könnte ich Stella ebenfalls einladen – nur dann würde der Gesprächsstoff für den gesamten Nachmittag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mein neuer „süßer“ Halbbruder sein. Ich streckte mich kopfschüttelnd und griff nach der Shampoo-Flasche, die auf einem Hocker neben der Dusche stand. Schon beim Hochheben wurde mir klar, dass die Flasche keinen einzigen Tropfen Shampoo mehr enthielt. Super. Hatte Ben den Rest verbraucht? Konnte er sich nicht sein eigenes Zeug kaufen? Jetzt musste ich quer durch den ganzen Raum tapsen und konnte auf jeden Fall noch einmal neu wischen. Entnervt schnappte ich mir ein Handtuch, tupfte mich provisorisch ab und machte mich auf den Weg Richtung Badezimmerschrank. Okay. „Auf den Weg“ – das war sicherlich etwas übertrieben. Der Badezimmerschrank stand kaum vier Schritte von der Dusche entfernt. Vier dumme Schritte. Ich schaffte gerade mal zwei.

Irgendwie hatte ich mein Nachthemd übersehen, das vom Hocker neben der Dusche auf den Boden gefallen war. Die Kombination von feuchten Fliesen und trockenem Nachthemd tat dann ihr Übriges. Noch ehe ich begriff, was geschah, rutschte ich aus, knickte um und landete auf dem Badezimmerfußboden. Ein stechender Schmerz schoss durch den Knöchel meines linken Fußes und ich schrie auf.

„Scheiße!“ jammerte ich vor mich hin, während ich mich hilflos aufsetzte und meinen etwas verdreht anmutenden Fuß vorsichtig betastete. Sofort zuckte der Schmerz erneut durch meine Glieder, und ich biss mir stöhnend auf die Unterlippe.

Im Flur waren Schritte zu hören. Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich ja nicht alleine zu Hause war.

„Alles in Ordnung mit dir?“, hörte ich Bens Stimme vor der Badezimmertür. Panik ergriff mich.

„Ja“, antwortete ich mit gepresster Stimme, „bin nur ausgerutscht, nicht so schlimm.“

„Bist du sicher? Wenn du Hilfe brauchst …“ Die Türklinke wurde leicht nach unten gedrückt.

„Ja, ich bin sicher!“, fauchte ich jetzt ungehaltener und versuchte dabei meine Schmerzen nicht durchklingen zu lassen. Gott, wie blamabel! Die Worte hallten in meinem Kopf wieder, während ich verzweifelt versuchte, nach meinem weggerutschten Nachthemd zu angeln. Endlich erwischte ich unter Stöhnen einen Ärmel und zog es hastig über den Kopf, bevor Ben erneut gegen die Tür klopfte.

„Sofia, das ist doch albern. Lass dir helfen, wenn du dich verletzt hast!“ Mittlerweile klang Bens Stimme etwas genervt. Ich wischte mir die klatschnassen Haare aus dem Gesicht und stellte mit einem Seufzen fest, dass ich mein Nachthemd auf links gedreht angezogen hatte. Auch egal. Ich war zu k.o., und mein Fußgelenk war bereits zu einem bläulichen Klumpen angeschwollen.

„Gut, dann geh´ ich halt wieder“, schnaufte die Stimme hinter der Tür und ich hörte, wie sich Bens Schritte entfernten. „Nein, halt!“, rief ich ihm nach, „Warte! Ich glaube, ich brauche doch Hilfe.“

Mühselig rappelte ich mich hoch und hüpfte auf einem Bein zur Tür, um sie aufzuschließen. Als er mir schließlich entgegen lugte, fiel es mir schwer, nicht auf den sichtlich amüsierten Blick meines Bruders zu reagieren. Ja, er wirkte tatsächlich belustigt! Mit einem Kopfschütteln, die Augenbrauen hochgezogen und einem schiefen Grinsen auf seinen Lippen trat er ein. „Du hast dein Shirt verkehrt herum an“, war das Erste, was er zu mir sagte. Na toll. „Weiß ich selber!“, fauchte ich verärgert und wusste dabei nicht, ob mich seine mangelnde Betroffenheit oder mein erbärmlicher Anblick wütender machten.

Während ich mich leise fluchend auf den Hocker neben der Tür setzte, beugte sich Ben zu mir herunter und hob meinen linken Fuß vorsichtig an. Ein reißender Schmerz durchfuhr mich, obwohl er mich eigentlich kaum berührt hatte. „Hm, ich denke mal, das ist was Ernsteres“, kommentierte er mein anschließendes Schimpfen trocken, „da werde ich dich wohl ins Krankenhaus bringen müssen.“ Sein Seufzen ließ keinen Zweifel daran, dass er sich die Gestaltung seines Sonntagvormittags sicher etwas angenehmer vorgestellt hatte. „Aber erst mal schaffe ich dich hier weg“, fügte er mit einem Grinsen hinzu und stand mit einem Satz wieder auf den Beinen. „Komm her.“ Er griff mir mit fester Hand unter die Schultern, und noch bevor ich richtig schalten konnte, hatte er mich auch schon aufgehoben.

„Das geht nicht!“, protestierte ich voller Panik, „Du kannst mich doch nicht tragen! Ich bin viel zu schwer!“ Ich spürte, wie das Blut in meine Wangen schoss. Jetzt war die Situation an Peinlichkeit wirklich nicht mehr zu überbieten. Spätestens im Flur würde Ben unter meiner Last zusammenbrechen. Oh Gott! Ich wäre am liebsten im Boden versunken.

„Jetzt stell dich mal nicht an!“ Mein Bruder lachte amüsiert auf. „Denkst du ich bin so ein Schwächling? Außerdem kannst du wohl kaum auf einem Bein neben mir her hüpfen.“ Sein Gesicht war ganz nah neben meinem und ich spürte seinen warmen Atem. Ich traute mich nicht ihn anzusehen, deshalb versuchte ich betont gelassen zu wirken, als er mich ohne größere Mühen durch die Türöffnung trug. Vor dem eigenen Bruder sollte man sich wahrscheinlich nicht so schämen. Aber Ben war mehr ein Fremder als ein Familienangehöriger für mich, und die Tatsache, dass er so unverschämt gut aussehend und souverän war, ließ mich nur noch unscheinbarer und lächerlich neben ihm wirken.

Mit einem Fuß stieß Ben die Tür zu seinem Schlafzimmer auf. Früher war es einmal Papas Zimmer gewesen und auch jetzt hatte sich nicht allzu viel darin geändert. Ben hatte die Kunstdrucke von Chagall von den Wänden genommen aber noch nicht durch eigene Bilder ersetzt. Die Bettwäsche war nicht mehr dieselbe, dunkle Mikrofaser anstatt heller Baumwolle und vor dem Fenster hing ein grau gestreifter Vorhang. Ansonsten herrschte in Papas altem Schlafzimmer ein Chaos aus herumfliegenden Kleidungsstücken, noch nicht ausgeräumten Reisetaschen, Büchern und losen Blättern. In einer Ecke neben dem Bett standen eine leere Weinflasche und eine halb geleerte Flasche Jim Beam.

„In dein Bett?“, fragte ich entgeistert, als Ben mich auf dem dunklen Laken absetzte und mir vorsichtig ein Kissen unter den Fuß schob. Er zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Du hast ja wohl nicht erwartet, dass ich dich die Treppe nach oben bis in dein Zimmer hinauf schleppe.“ Er grinste. „Die Couch im Wohnzimmer hätte es auch getan“, entgegnete ich mit einem gespielt freundlichem Lächeln.

„Ich wollte es dir nur gemütlich machen.“ Er schnappte sich ein paar alte T-Shirts vom Bett, roch kurz daran und warf sie schließlich achtlos in Richtung Wäschekorb. Dann wandte er sich wieder mir zu.

„Ach so, gemütlich …“, konterte ich betont spöttisch und schielte zu dem überquellenden Aschenbecher, der direkt neben den beiden Flaschen auf dem Boden stand.

Ben sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. Er musste mich für furchtbar quengelig halten, doch er biss die Zähne zusammen, unterdrückte eine unfreundliche Antwort und drehte sich stattdessen in Richtung Tür. „Ich hol dir was zum Anziehen“, murmelte er im Vorbeigehen und verschwand. Ich wusste selber nicht genau, warum ich so unfreundlich zu ihm war. Er wollte mir schließlich wirklich nur helfen. Wahrscheinlich versuchte ich nur meine Scham über die dumme Situation, mit meinem zickigen Verhalten zu überspielen. Darin war ich wahrlich ein Profi. Ich hatte schon so manchen netten Jungen mit meiner Kratzbürstigkeit in die Flucht geschlagen.

„Hier“, Ben kam wieder zurück und warf mir einen Stapel Kleider aufs Bett. Sogar an Unterwäsche hatte er gedacht. „Kommst du alleine klar?“, fragte er knapp mit hochgezogener Augenbraue. Ich nickte schnell.

„Ja, sicher. Ähm – und Danke übrigens.“

„Ich warte dann mal vor der Tür.“

„Okay.“

Zum Glück hatten wir Sommer und es reichte aus, ein leichtes Baumwollkleid überzuziehen. In eine Jeans hätte ich mich in meinem Zustand unmöglich hineinzwängen können. Zumindest fühlte ich mich mit ausreichender Bekleidung doch deutlich wohler.

Ohne dass wir uns viel dabei unterhielten, half mir Ben danach in sein Auto, fuhr mit mir ins Krankenhaus und begleitete mich in die Ambulanz. Mein Knöchel war zum Glück nicht gebrochen, sondern nur verstaucht und so reichte ein fester Tapeverband zum Ruhigstellen aus, um mich einigermaßen wieder herzustellen. Auf Krücken gestützt verließ ich mit Ben das Krankenhaus. Es war inzwischen schon später Nachmittag und ich war erschöpft und müde, als ich mich auf den Beifahrersitz in seinem alten Ford fallen ließ. Doch bevor Ben den Schlüssel im Schloss umdrehte, sah er mich an. In seinem Blick lag kein Spott, keine abweisende und gleichzeitig doch so anziehende Coolness. Er wirkte plötzlich ehrlich und tatsächlich besorgt um mich. „Geht es dir jetzt wieder besser?“, fragte er zurückhaltend.

Ich brauchte einen Moment, um mich von diesem Blick loszureißen. „Ja, sicher. Ist halb so schlimm.“ Ich lächelte ihn schüchtern an.