Trisolit - Christian Mai - E-Book

Trisolit E-Book

Christian Mai

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Beschreibung

Auf der Suche nach einer Lösung, sich des enorm angestiegenen Atommülls auf der Erde sicher und dauerhaft zu entledigen, verfolgt der amerikanische Konstruktionswissenschaftler Dr. Nick Harris seine Vision eines Fahrstuhls in den Weltraum. Bisher waren alle Ansätze an den unüberwindbar scheinenden Zug- und Gravitationskräften zwischen Erde und Weltraum gescheitert. Doch als Nick und sein Kollege Graham Colburne schließlich doch ein vielversprechendes Material entwickeln, beginnt eine Jagd auf Leben und Tod. Ein fesselnder Thriller, geprägt von Niedertracht und Gewinnsucht, Vertrauen und Liebe sowie einem großen Vermächtnis.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Die Oberflächlichkeiten unserer Gesellschaft sind undurchschaubar und unergründlich.

— Mai Ling, Peking / China

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Januar

Kasachstan, Baikonur

Februar

USA, Florida, Cap Canaveral

Südafrika, Kapstadt

Frankreich, Paris

Südafrika, Kapstadt

USA, Florida

Südafrika, Dordrecht

Kasachstan, Baikonur

Südafrika, Kapstadt

März

Niederlande, Amsterdam

USA, Florida

Niederlande, Amsterdam

Südafrika, Kapstadt

Frankreich, Paris

Südafrika, Kapstadt

Frankreich, Paris

April

USA, South Carolina

China, Peking

USA, Florida

Niederlande, Amsterdam

Mai

Portugal, Lissabon

Französisch-Guayana, Kourou

Irgendwo in Südafrika

Schottland, Glasgow

Juni

USA, Florida

Frankreich, Paris

Südafrika, Kapstadt

China, Peking

USA, New York

Frankreich, Paris

USA, New York

Juli

China, Gansu, Jiuquan

USA, New York

China, Peking

USA, New York

Südafrika, in der Nähe Von Kapstadt

USA, New York

Portugal, Lissabon

Niederlande, Amsterdam

USA, Florida

China, Peking

USA, New York

August

Südafrika, in der Nähe Von Kapstadt

Frankreich, Provence-Alpes-Côte D'azur

Südafrika, in der Nähe Von Kapstadt

England, London

Südafrika, Laingsburg

China, Peking

Südafrika, Kapstadt

Frankreich, Paris

Südafrika, Kapstadt

Russland, Moskau

September

Frankreich, Paris

England, London

Frankreich, Paris

China, Peking

October

Niederlande, Amsterdam

USA, Florida

China, Peking

Russland, Moskau

Niederlande, Amsterdam

China, Peking

Südafrika, Kapstadt

Niederlande, Amsterdam

Russland, Moskau

China, Peking

Südafrika, Kapstadt

USA, Florida

Niederlande, Amsterdam

November

Frankreich, Paris

Niederlande, Amsterdam

USA, Florida

Belgien, bei Gent

Niederlande, Amsterdam

2 Jahre Später

Ecuador, bei Quito

VORWORT

Atome sind die Grundbausteine der Materie. Bausteine, aus denen alle festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffe bestehen.

Der Name »Atom« leitet sich aus dem Griechischen ab, was in etwa »das Unzerschneidbare« bedeutet, davon ausgehend, dass es eine kleinste Einheit geben müsste, die nicht mehr teilbar ist, was nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr stimmt.

Circa 450 vor Christus gab es die ersten Gedanken zu der Welt und erste Überlieferungen, dass Gelehrte die Masse der Welt erklärten und anhand von Atomen beschrieben, was zum damaligen Zeitpunkt nur philosophischen Charakter hatte.

Im Laufe der menschlichen Entwicklung nach Christi Geburt gab es immer wieder Hinweise auf eine kleinste, nicht mehr spaltbare Einheit. 1897 wurde das Elektron nachgewiesen, 1911 der Atomkern entdeckt. Kurz vor 1913 wurde festgestellt, dass es verschiedene Atomarten gab, 1919, dass Atome mit mehreren Elektronen einen Klumpen bilden. Die Forschung ging rasant weiter: 1932 die Entdeckung des Neutrons und nach 1934 die Kernspaltung sowie die Kernfusion. 1938 wurde bewiesen, dass Atome doch teilbar sind.

Atome haben einen Atomkern sowie eine Atomhülle mit negativ geladenen Elektronen, die in kreisförmigen oder elliptischen Bahnen um den Kern kreisen. Die positive Ladung des Kerns und die negative der Elektronen halten das Atom zusammen. Interessant ist aber der Kern, der aus positiv geladenen Protonen und den ungeladenen Neutronen zu gleichen Teilen besteht. Zerfällt der Kern, können verschiedene Teilchen übrig bleiben, die Bruchstücke des Kerns: Neutronen, Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung.

Unter Alpha-Strahlung versteht man kleine Heliumkerne, die schnell abgebremst werden und schon in kurzer Entfernung für das Gewebe nicht mehr schädlich sind, sie können schon durch ein Blatt Papier abgeschirmt werden. Sie sind dann gefährlich, wenn sie in direkten Kontakt mit lebendem Gewebe kommen.

Beta-Strahlen entstehen, wenn sich Kernteilchen umwandeln, sind leicht, werden schnell abgebremst und es gilt dasselbe wie bei der Alpha-Strahlung.

Gamma-Strahlung ist keine Materie, nur extrem durchdringende, kurzwellige elektromagnetische Strahlung. Daher ist sie durch Materie schwerer abzuschirmen.

Radioaktivität entsteht beim Zerfall instabiler Atomkerne. Die Strahlung ist so stark, dass sie die atomare Struktur anderer Stoffe beim Durchdringen verändert. Besonders die Gamma-Strahlung ist für Mensch und Umwelt äußerst gefährlich. Körperschäden, je nach Strahlendosis, können die Folge sein. Krebs oder Ausfall der Organe bis hin zum Tod. Es entstehen Veränderungen im Erbgut, die bei Nachkommen und den danach folgenden Generationen zu körperlichen Missbildungen führen. Unterschieden wird hier in drei Kategorien: die Strahlenbelastung als Fernwirkung, die Kontamination (direkter Hautkontakt) und die Inkorporation (Aufnahme). Die beiden Letzteren sind nachweislich die Schlimmsten.

Die Entdeckung des Atoms wurde zunächst militärischen Zwecken vorbehalten: Entwicklung von Atombomben, später Wasserstoffbomben, die durch Kernfusion eine vielfache Sprengkraft aufweisen. Erst viel später wird die Kernforschung nicht mehr geheim gehalten und als Chance gesehen, Energie zu gewinnen.

Atommüll entstand natürlich schon in den Anfangszeiten der Forschung. 80 Prozent kommen aus dem Uranabbau, der Rest aus Kernkraftwerken, der Kernforschung, der Wiederaufbereitung, dem Militär, der Medizin und den kontaminierten Materialien. Atommüll wird in unterschiedlichen Gruppen behandelt: dem low-, intermediate- und high-level waste (Müll). Atommüll aus Kernkraftwerken ist high-level waste. Auch in den Wiederaufbereitungsanlagen (ursprünglich wurden die Anlagen nicht zur Reduzierung des Atommülls, sondern zur Gewinnung von atomwaffenfähigem Plutonium gebaut) fällt viel Müll an. Nur 10 Prozent des Kernbrennstoffes sind nach einer Aufbereitung wiederverwendbar. Ganz zu schweigen von den anderen Abfallprodukten wie Abwasser und Abgasen, die auch trotz Reinigung noch radioaktive Bestandteile enthalten und diese in die Umwelt abgeben.

Anfänglich gab es keine Angaben über die Entsorgung. Auch gibt es keine freigegebenen Unterlagen, was das Militär mit dem Atommüll gemacht hat. Angenommen wird, dass er im Meer vor den Küsten versenkt wurde, eine bis 1993 gängige Praxis, die von der gesamten Atomindustrie, den USA, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Russland, Japan und der Schweiz angewandt wurde. Die Ozeane waren die größte Mülltonne der Welt. In nur 50 Jahren wurden Hunderttausende Tonnen Müll in den Meeren versenkt, die Dunkelziffer nicht mit eingerechnet. Es gibt keine genauen Studien, was unter Wasser mit dem Müll passiert. Nach Untersuchungen von Greenpeace wurden verrottete Fässer ohne Inhalt gefunden und man nimmt an, dass der Atommüll wieder in den natürlichen Kreislauf gekommen ist und damit auch auf unseren Teller.

Leider gilt das heutige Verbot nur für die Versenkung der Tonnen von Schiffen, der Zustrom aus unterirdischen Leitungen ist nach wie vor legal und so werden noch jedes Jahr Millionen Liter radioaktiven Wassers in die Meere geleitet. Das Wasser aus Flüssen wird als Kühlungsmittel für Brennelemente benutzt und zurückgeleitet. Die radioaktiven Ablagerungen sind hoch kontaminiert und bis heute nicht zu entfernen. Der gefährlichste radioaktive Müll wurde in großen Betontanks vergraben, später in Kanistern eingebettet und in Salzstöcken gelagert. Problematisch ist hierbei, dass die Tanks und Fässer nicht dicht halten und so das Grundwasser verseuchen. Auch die gasförmigen Emissionen, die aus den Wiederaufbereitungsanlagen austreten, sind gefährlich. Nach Messungen wurden Belastungen, die sich in einem hohen Bereich der Verseuchung befanden, festgestellt, die sich nicht nur örtlich, sondern auch in einem großen Radius von mehreren Tausend Meilen ausbreiteten.

Fakt ist, dass alles radioaktive Material, das nicht sicher entsorgt ist, in den Kreislauf der Natur eingeht und alles Leben gefährdet.

KASACHSTAN, BAIKONUR

Es war wohl die kälteste Nacht, die Olev je erlebt hatte. Eisiger Wind wehte über die Steppe Kasachstans und trieb losen Schnee vor sich her. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so gefroren zu haben, und er hatte Erfahrung mit der Kälte. Aufgewachsen im Norden von Sibirien hatte er einige eisige Winter erlebt, in denen der Dampf beim Ausatmen sofort knisternd gefror. Sie nannten es »Sibirisches Sternflüstern«. Schon als Kind hatte er es gehasst. Auch dieses ewige, in mehreren Schichten angezogen Sein, immer darauf achtend, nichts mit bloßer Haut zu berühren, um nicht festzukleben. In Sekunden fror alles, was irgendwie flüssig war. Die Autos und Heizungen mussten immer laufen, ansonsten platzten die Leitungen. Mit etwa vier Jahren bekam er seinen ersten Schluck Wodka, der von da an sein täglicher Begleiter wurde, was ihm ein trügerisches Gefühl von Wärme gab.

Sobald es ihm möglich war, verließ er diesen verhassten Ort, schuld war nicht nur die Kälte. Seine Mutter starb früh, das Verhältnis zu seinem Vater kaputt, hielt ihn nichts. Es zog ihn in die Welt und er wurde dann in Moskau von einer Organisation für Personenschutz rekrutiert, deren Aufgaben ihn für einige Zeit in den Mittleren Osten führten. Gott, was hatte er für eine schöne Zeit. Das Leben dort war genau nach seinem Geschmack. Er liebte das Essen, die Hitze und erst diese modernen arabischen Frauen ...

Er bedauerte es sehr, dass er wieder nach Moskau beordert wurde, und schwor sich, bald wieder zurückzukehren.

Und jetzt? Jetzt stand er hier, splitternackt, irgendwo mittem im Nichts. Vor dieser Ruine von Hangar. Einst der Stolz der Sowjetunion. Die Antwort auf das Rennen in den Weltraum. Legendäre Raketen waren hier gebaut, erfolgreiche Flüge absolviert worden. Doch das Scheitern suchte seinesgleichen. Die Kosten explodierten, die finanzielle Unterstützung wurde eingestellt. Zu allem Unglück brach auch noch das Dach des Hangars und stürzte auf die Prototypen. Das Projekt wurde sofort eingestellt und der Hangar, so wie er war, sich selbst überlassen.

Trostlos stand er jetzt verlassen in der Landschaft. Wie ein drohendes Mahnmal einer vergangenen Zeit. Gemieden, vereinsamt. Nach und nach fiel er in sich zusammen und nur vereinzelte Plünderer nahmen sich alles, was irgendwie brauchbar war. Sie hinterließen ihre unrühmlichen Spuren. Dreck, Müll und Schutt, um den sich jetzt der lose Schnee zu Verwehungen auftürmte. Ein Ort, an den sich niemand mehr verirrte. Doch in dieser Nacht war es anders.

Die klirrende Kälte hatte Olev fast durchdrungen. Er spürte seine Arme nicht mehr. Seine Ellenbogen waren hinter seinem Rücken fixiert. Um die Waden schnitt ein fest gewickelter Draht bei jeder Bewegung tiefer in die Haut.

Kraftlos starrte Olev durch seine halb offenen Lider auf das, was seine Füße sein mussten. Blau standen sie da, in einer roten gefrorenen Blutlache. Loser Schnee sammelte sich zwischen den Zehen und bildete kleine Hügel. So gleichmäßig sahen sie aus. Er versuchte sie zu bewegen, hatte aber die Gewalt über seine Muskeln verloren.

Gerne wäre er in sich zusammengesackt, doch er wurde von einem Mann an seiner Seite gestützt. Sergej, sein alter Freund, sein Kumpel, mit dem er durch dick und dünn gegangen war. Mit dem er in den Arabischen Emiraten Seite an Seite gearbeitet hatte. Im Iran rettete Olev ihm das Leben und ausgerechnet Sergej brachte ihn hierher. Ließ ihn nicht ruhen ob seiner Qualen, während unablässig eine Eisenstange seinen Körper malträtierte.

Nach Luft ringend schloss er die Augen. Er fragte sich, wie lange sein Körper das noch aushalten könnte. Er spürte, wie sein Blut unaufhaltsam in die Körpermitte floss, um die Funktion der wichtigsten Organe zu garantieren. Alles andere war wie betäubt. Er spürte nichts.

»Du Dreckskerl ...«

Die Stange traf ihn unterhalb der Rippen. Ein stechender Schmerz schoss durch ihn hindurch, doch er war nicht mehr so stark wie die vorher und ebbte auch schnell ab. Die Kälte zollte ihren Tribut. Sie fraß sich in seinen Körper und betäubte ihn immer mehr. Was für eine Ironie ... Die Kälte brachte ihm erst Schmerz, dann Linderung, dann brächte sie ihn um.

Der Mann mit der Stange kam einen Schritt auf ihn zu und riss seinen Kopf in den Nacken.

»Hör zu, Olev, mir in den Rücken fallen, nach allem, was ich für dich getan habe ... eine dumme Idee. Du hinterhältiger Dreckskerl.«

Er bekam die Augen nicht richtig auf. Ein Schlag hatte seine linke Gesichtshälfte getroffen, die stark angeschwollen war. Seitdem fiepte ein schriller lauter Ton in seinen Ohren.

»Du weißt, was ich mit Verrätern mache ...«

Olevs Kopf fiel auf die Brust zurück. Er war zu schwach, ihn wieder anzuheben. Unendliche Schmerzen hatte er erlitten, Schmerzen, die so stark waren, dass er gelähmt war und immer nah an einer Ohnmacht kratzte. Doch eben nur nah. Er war so gut trainiert, so stark, er konnte einiges ab. Das wurde ihm hier zum Verhängnis.

Hoffnungslos schloss er die Augen.

»Nicht einschlafen, du Dreckskerl .«

Sein Kopf wurde wieder in den Nacken gerissen. Ein Reflex schob ihm die Augen etwas auf.

Einen Moment blieb die Zeit stehen ... Der Himmel explodierte förmlich. Glasklar standen Millionen, nein, Milliarden Sterne funkelnd am Firmament und leuchteten wie zu einem stillen Konzert. Noch nie hatte er so etwas gesehen. Eine Ode, die sie nur für ihn spielten.

»Was glaubst du, erwartet dich ...?«

Immer weiter wurde sein Kopf nach hinten gebogen. Doch es kam kein Schmerz. Überrascht wollte er etwas sagen, doch sein Kiefer war bewegungslos, die Kehle eingefroren. Nicht mal ein Grunzen kam aus ihm heraus.

Irgendetwas traf sein Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite und der Sternenhimmel war schwarz. So schwarz wie die Nächte in Sibirien.

»Hast du geglaubt, dass du damit durchkommst? Dass wir nicht dahinterkommen?«

Er bäumte sich auf, doch es war nur ein Zucken.

»Bist du sprachlos? Komm schon, du Dreckskerl ... sag was ...«

Etwas riss an ihm, dann warf ihn ein heftiger Stoß nach vorne. Knochenbrechendes Krachen erfüllte seine Ohren. Durch seine Brust schoss ein stechender Schmerz. Sekunden später schlug er mit der Stirn auf den Boden.

Plötzlich waren die Schmerzen weg. Stille breitete sich aus. Irritiert öffnete er die Augen. Er schwebte in der Luft, in einem gleißenden Licht. Wärme machte sich in ihm breit. Ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte, erfüllte ihn mehr und mehr. Etwas wie Demut, Zufriedenheit und Glück. Ja, er war glücklich. Glücklich, dass die Schmerzen weg waren, glücklich, dass ihm nicht mehr kalt war. Überhaupt war er glücklich, nichts spielte eine Rolle. Aber wo war er?

Geblendet sah er sich um. Nur langsam schälten sich Konturen aus dem Licht. Eine Halle, ein Tor, davor lag etwas auf dem Boden. Eine Bewegung, die immer schneller wurde. Schatten tanzten vor ihm, schälten sich immer deutlicher aus dem Licht .

Es waren zwei Männer. Einer stand unbeteiligt herum, der andere schlug mit schnellen Bewegungen auf etwas auf dem Boden ein. Immer und immer wieder. Unermüdlich holte er aus und die lange Eisenstange in seinen Händen krachte brutal auf einen Haufen. Ein Haufen ... Mensch ... ein blutüberströmter Mensch ... Ein Haufen: er selbst .

Dunkler Nebel schoss auf ihn zu, riss ihn wieder zu Boden. Der Schmerz war wieder da, verzweifelt versuchte er zu atmen, doch die Luft kam nicht mehr in die Bronchien. Kohlenstoff sammelte sich in der Lunge, es fand kein Gasaustausch mehr statt.

»Wie kannst du nur so einfältig sein? Zu dumm. Mich zu hintergehen . mit meinen besten Kunden . Idiot. Hast du echt geglaubt, dass du damit durchkommst?«

Unfähig, sich zu bewegen, fühlte er, wie das Leben aus ihm wich. Doch sein Körper war gnädig. Halb erfroren betäubte er ihn und ließ sein Bewusstsein schwinden. Den Schlag auf seinen Kopf und die vielen folgenden spürte er nicht mehr.

Der im Adrenalinrausch tobende Mann bekam das nicht mit. Sein Gehirn hatte abgeschaltet. Er schlug und schlug und schlug.

Sergej sah einen Moment zu, schüttelte dann den Kopf. »Hey ...« Er berührte die Schulter des tobenden Mannes. »Lass ... Er ist tot .«

Zitternd, immer noch vom Adrenalin durchspült, wurden die Schläge langsamer. Nach einer gefühlten Ewigkeit hielt der Mann inne, verharrte bewegungslos, schwer atmend.

»Jetzt wirst du niemanden mehr bescheißen ...«

Er spuckte aus, nestelte mit zitternder Hand in seiner Manteltasche. »Scheiße, Sergej ... gib mir eine verdammte Zigarette ...«

Ein Telefonklingeln durchbrach die begonnene Stille, doch keiner der beiden reagierte.

»Hier, Chef ...«

Sergej reichte eine Schachtel. Wieder klingelte es eindringlich.

»Chef, ist deins .«

Spucke flog auf den blutenden Haufen. Der Mann warf die Eisenstange in hohem Bogen in die Dunkelheit und zündete sich eine Zigarette an.

»Dreckskerl ...! Schade, dass es so schnell ging ...«

»Chef ... dein Telefon klingelt ...«

Es vergingen Minuten, oder waren es Sekunden?

»Chef .«

»Halts Maul, glaubst du, ich bin taub?«

Wütend nahm er widerwillig das Telefon.

»Was?« Scharf gepresst zischte es aus ihm heraus. »Jamil ... Verdammt, ich sagte, ich melde mich . Bitte? . Material? Was redest du da? Worum geht es .?«

Auf den Haufen starrend verharrte er und hörte immer aufmerksamer zu.

»Gut ... ich denke darüber nach. Du machst nichts. Und Jamil ... wenn ich sage, du machst nichts, dann machst du nichts, ist das klar? Ruf mich nicht wieder an!«

Er warf einen letzten Blick auf sein Werk, schnippte den Zigarettenstummel in die Nacht und ging zum Wagen.

Sergej zögerte ...

»Und der da?«

»Nichts ... den holen sich die Schakale.«

USA, FLORIDA, CAP CANAVERAL

Die Schleusentür öffnete sich mit einem schrillen Zischen und gab den Blick frei auf einen Gang, der in fahles grünes Licht getaucht war. Umhüllt von einem feinen Nebel des aufgewirbelten Staubes schob sich eine Gestalt hindurch und ging langsam durch den langen sterilen Gang, an dessen Ende ein Mann nervös auf seinen Füßen hin und her wippte.

»Mr. Anderson, endlich ...«

Eric wusste in dem Moment, als er den Gang betrat, dass es nicht lange dauern würde, bis Baker ihm auflauerte. Thilo Baker, sein unliebsamer Assistent. Wenn er auf jemanden verzichten konnte, dann auf ihn.

»Mr. Anderson, Sie können es sich nicht vorstellen ... Ich habe es versucht ... habe Sie nicht erreicht. Ich ... wissen Sie ... Mr. Hilton, er will . ich .«

Eric sah seinen kleinen, dicken, zitternden, in Schweiß gebadeten Assistenten angewidert an. Ekelhaft war seine Erscheinung. Noch nie hatte Eric größere Schweißränder bei jemandem gesehen. Sie breiteten sich fast bis zur Brust aus und endeten in einer weißen, getrockneten Salzlinie, die selbst in dem schlechten Licht erkennbar war. Und das jeden Tag! Den Anzug schien er seit Wochen zu tragen. Zudem war er ungepflegt, schlecht rasiert, seine Haare speckig, mit viel zu viel Pomade nach hinten gekämmt. Dann sein Geruch, diese quiekende Stimme und Nase ...

»Mr. Anderson . ich . Mr. Hilton . die Sunshine .«

Jetzt auch noch Hilton. Der hatte ihm noch gefehlt. Aber so ganz unvorbereitet kam das jetzt nicht. Seit seinem letzten Gespräch mit ihm wusste Eric, was der wollte.

Ein schnelleres Shuttle, das mehr Fracht aufnehmen konnte. Ganz einfach. Dass es physikalisch gesetzte Vorgaben gab, war Hilton total egal. Wenn eins geändert wurde, dann musste auch etwas anderes umgebaut werden. Das konnte Eric nicht umgehen. Sicher konnte er noch jede Menge optimieren, doch das würde Zeit kosten. Und die hatte er nicht mehr. So hatte er Hilton ignoriert.

Leider naiv ...

Dan Hilton, Erics Chef und Leiter des Projektes Raumtransporter bei der National Aeronautics and Space Administration, hatte für dieses Projekt schon diverse Ingenieure verschlissen, bevor er Eric eine Zusammenarbeit anbot. Er sollte den neuen Raumtransporter konstruieren, den größten bisher gebauten. Einen, der mit einer Menge Atommüll zur Sonne fliegen und nach Abwurf der gefährlichen Ladung wieder unvehrsehrt zurückkehren könnte.

Eric erinnerte sich genau. Fasziniert von der Idee und stolz, dass ausgerechnet er angesprochen worden war, es zu realisieren, hatte er sich in das Projekt gestürzt. Schnell fand er Lösungen, die der NASA Millionen von Dollar sparte und Milliarden einbringen würde. Hilton tobte vor Begeisterung, doch es besserte nicht ihr Verhältnis zueinander. Im Gegenteil, er ließ ihn von dem Moment an nicht mehr aus den Augen.

»Mr. Baker, wieso sprechen Sie mit Hilton, ohne mich vorher zu informieren? Ich habe doch gleich einen Termin mit ihm.«

Baker seufzte laut, holte tief Luft und wischte sich mit seinem speckigen Ärmel den Schweiß von der Stirn.

»Ach . Sir . Haben Sie meine Nachricht nicht erhalten? Er hat den Termin kurzfristig geändert. Mr. Hilton ist weg, Sie sollen aber heute Nachmittag in sein Büro kommen.«

Eric versuchte, das eh schon in seinen Adern pulsierende Adrenalin in den Griff zu bekommen. Dieser Pisser. Diese kleine fette Ratte. Nichts hatte er ihm geschickt. Keine Info hatte er bekommen. Das machte der aus Kalkül.

Das Verlangen, Baker seine Faust ins Gesicht zu drücken, wurde größer.

Dieser devote Ja-Sager, dieser stinkende Waschlappen ... Was ein wahnsinnig schlechter Assistent! Er war langsam, hatte keinen Sinn für Organisation ... eigentlich keinen Sinn für nichts.

Baker war auf Abstand gegangen, anscheinend hatte er etwas registriert. Eric kämpfte mit dem Drang in seinen fetten Arsch zu treten. Schnell drehte er sich um und ging weiter. Schöne Gedanken, positive Gedanken. Er sah seinen Therapeuten vor sich. Lass die Sonne in dein Herz. Okay ... Francis. Dann eben sie. Sie war das genaue Gegenteil dieses stinkenden Etwas. Intelligent, witzig und dazu noch unglaublich hübsch. Sie wäre genau die Richtige für diesen Job. Sie verstand jede Menge von Raketenbau und hatte eine faszinierende Art, mit Menschen umzugehen. Na ja, und sie war einfach hinreißend. Nur ins Bett hatte er sie noch nicht bekommen. Da biss er sich die Zähne aus.

Sie kamen durch eine weitere Schleuse in eine riesige Halle, in deren Mitte sich ein gigantisches Raumschiff erhob. Große Scheinwerfer hüllten es in grelles Licht. Drumherum ein Gewirr von Menschen und Maschinen. Eric blieb stehen und alles, was vorher in ihm getobt hatte, war verschwunden. Ergriffen sah er das Raumschiff an. Stolz stand es da, hochgestreckt, als wäre ein Phönix aus der Asche gestiegen, die Flügel weit abgespreizt, um sich die letzten Staubreste aus dem Gefieder holen zu lassen.

Da war sie, die Sunshine, seine Sunshine!

Er konnte es mal wieder nicht fassen. Er hatte diese majestätische Monstrosität konstruiert. Na gut, nicht gänzlich. Den Anfang hatten andere gemacht, doch das zählt am Ende nicht. Seine Euphorie wurde durch den abgestandenen Schweißgeruch Bakers im Keim erstickt. Angewidert ging er schnell auf einen der Fahrstühle zu, in der Hoffnung, dass er den Gestank hinter sich lassen könnte.

In der sechsten Etage befand sich die Zentrale, Erics Reich. Die Entwicklung. Ein großer runder Raum in Form einer fliegenden Untertasse streckte sich weit in die Werkshalle hinein. In der Mitte stand ein massiver runder Tisch. Hier war das Herz der Entwicklung. Baupläne des Raumtransporters wurden virtuell erarbeitet und getestet. Entwurfänderungen wurden sofort berücksichtigt und nach Bestätigung an die anderen Abteilungen weitergeleitet, sodass der Zeitverlust gering war. In diesem Rechner war alles, das Neueste und Innovativste, was es in der Raumfahrt bisher gab.

Eric zog die Planungseinheit auf und über dem Tisch erschien das Modell der Sunshine. Nachdenklich sah er es sich aus verschiedenen Perspektiven an und war schon in dem Plan versunken.

Ihm war klar, was Hilton wollte. Jedes Kilo mehr Ladung brachte viel Geld. Sehr viel Geld. Das verstand er. Nur gab es physikalische Gesetze, die er nicht umgehen konnte. Und finanzielle Vorgaben, nicht zu sprechen von dem Zeitrahmen. Die Sunshine war innerhalb dieser Vorgaben optimal konzipiert. Zuladung stand in einem top effizienten Verhältnis zum Energiebedarf. Der Rumpf war aus einem leichten, sehr widerstandsfähigen Material. Nicht das Neueste, aber sehr viel leichter als das der bisherigen Shuttles. Auch der Rest der Technik war bodenständig. Neu war der Abwurfmechanismus, den er konzipiert hatte. Die Transporträume hatten ihren eigenen Antrieb, sozusagen Raketen, die in einer bestimmten Position ausgeklinkt werden konnten, um sich dann selbst den Weg in die Sonne zu suchen. Wenn alles gut lief. Sie war, so wie sie war, perfekt.

Ein leicht süßlicher, frischer Duft umschmeichelte seine Nase. Er merkte, wie sein Köper reagierte und sich seine Nackenhaare aufstellten. Francis ...

»Hey, was machst du da ... doch wieder der Transportraum?«

Er drehte sich zu ihr um. Die Haare, noch nass vom Duschen, als Pferdeschwanz locker nach hinten gesteckt, stand sie vor ihm. Eine der atemberaubendsten Frauen, die er je kennengelernt hatte. Francis Trevor. Seine rechte Hand, seine Kollegin, am liebsten seine Assistentin. Bezaubernd sah sie aus. Die Wangen leuchteten leicht rosa, die Augen strahlten. Sie strotzte nur so vor Kraft. Es schien, als wenn ihr Körper vom Sauerstoff geflutet war. Sicher kam sie gerade vom Sport. Ihre Aura riss ihn mit sich ...

»Wow . du riechst so gut .«

Eine leichte Röte durchzog ihr Gesicht, was ihr einen besonderen Schimmer gab, und wieder wurde ihm bewusst, wie hinreißend sie war. Er sah ihr direkt in die Augen, doch nur eine Sekunde. Francis drehte den Kopf weg und wich einen Schritt zurück. Unsicher fuhr er sich durch die Haare.

»Ähm, hey, ja ... nein, eigentlich nicht. Aber Arschloch macht schon mal Stimmung und ich möchte ihm zuvorkommen!«

Er sah, wie sie ihn stirnrunzelnd musterte, sein Unterton war sarkastisch.

»Bitte? Geht das wieder los, du hattest doch neulich mit ihm darüber gesprochen. Hat er denn nicht begriffen, dass es so nicht geht?«

»Klar doch, aber es ist ihm egal. Es geht ums Prinzip, sein Ansehen und um Geld ... viel Geld. Du kennst doch die Leier.«

Ein bitterer Geschmack bildete sich auf seiner Zunge. Gott, wie er Hilton hasste. Dieser Großkotz, der sich um nichts kümmerte. Nur unsinnige Ideen in die Luft warf und erwartete, dass man sie auffing und erledigte. Dann schleimt er sich nach oben und schafft es auch noch, die Lorbeeren einzustreichen. Immer hielt er einen an der langen Hand. Keine Information wurde geteilt, nur das Nötigste weitergegeben. Eine Katastrophe, sich da zurechtzufinden. Wie oft hatte er schon Dinge angefangen, die dann im Nichts versanken? Total verschenkte Zeit!

Hilton hatte seine eigenen Bedingungen. Wahrscheinlich wäre er als glühender Verfechter der Befehlskette besser bei der Army aufgehoben.

Eric hatte ihn wirklich zu hassen begonnen. Er distanzierte sich, kümmerte sich nur um den Job. Genau hier begannen die Probleme zwischen ihnen. Er war sich dessen sehr bewusst. Sie eckten nach und nach immer weiter an, aber ihm war das egal. Nur gab es ein Problem: Hilton war sein Chef.

»Eric, du hast sicher keine Lust, nachher sein Geschrei anzuhören. Ich weiß noch zu gut, wie das endet. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn du ihm zuvorkommst. Ihm eine Möglichkeit anbietest. Sieh mal .. . Wir hatten doch schon mal so eine Idee. Wenn wir den Transportraum seitlich vierfach erweitern, könnte die Ladekapazität theoretisch verdoppelt werden.«

»Hmm, aber die Antriebsleistung?«

»Die müssten wir erhöhen. Komm, lass uns doch mal sehen, wie wir das hinkriegen können.«

Eric winkte ab.

»Lass, die Sunshine ist schon fast fertig, was denkst du? Das kostet irrsinnig viel Geld und vor allem Zeit. Glaube nicht, dass er das akzeptiert.«

Das Projekt sollte eh schon vor einem halben Jahr fertig sein und immer wieder verzögerte sich der Endtermin. Das kostete die NASA viel Geld und die Jungs oben wurden ziemlich nervös. Noch konnten sie Zuschüsse rechtfertigen, aber der Präsident hatte schon nach seinem letzten Besuch angekündigt, dass jetzt Fakten auf den Tisch müssten. Aber, Francis hatte recht. Er könnte Hilton so den Wind aus den Segeln nehmen.

»Du hast recht! Ich habe wenigstens etwas in der Hand.«

Eric war fasziniert, wie schnell Francis arbeiten konnte. Den Rest des Nachmittages nahm sie den Entwurf auseinander und suchte Möglichkeiten, effektiv und mit wenig Aufwand ihre Idee von dem alten Entwurf zu überarbeiten und ihn dem Istzustand anzupassen. Tatsächlich war es ihre Idee, doch damals verwarf er sie, da sie schon weit im Bau fortgeschritten waren. Doch jetzt war es eine gute Alternative. Kurz vor dem Treffen waren sie fertig. Es war kein präziser Entwurf, aber das musste jetzt reichen.

Francis saß mit leuchtenden Wangen vor den Berechnungen. Ihre Haare hatten sich zum Teil aus dem Pferdeschwanz gelöst und Strähnen umspielten ihre filigranen Schultern. Gott, was war sie schön. Er verlor sich in dem Bild, wie sie dasaß und voller Freude die Zahlenreihen betrachtete. Sie leuchtete vor Energie und Optimismus. Er erinnerte sich noch genau an ihre erste Begegnung.

Damals war er an einem anderen Projekt bei der NASA tätig gewesen und sein damaliger Assistent für einige Zeit ausgefallen. Sie kam als Ersatz. Genau hatte er den Moment vor seinen Augen, als sie erstmals ins Labor kam und sich ihm vorstellte. Sofort war er ihr verfallen. Sie hatte eine unglaublich frische, offene Art und ein Lächeln, das ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Die Tage danach hatte sie sich unglaublich rasch eingearbeitet, hatte eine schnelle Auffassungsgabe und, was er sehr beeindruckend fand, eine äußerst unkomplizierte Art, ihre Aufgaben zu erledigen. Es fiel ihr sichtlich leicht. Schnell vertraute er ihr und sie ergänzte seine Arbeit. Erstaunt stellte er fest, wie alles einfacher wurde. Es machte einen Riesenspaß, mit ihr so eng zusammenzuarbeiten. Langsam wuchs der Wunsch, sie ins Bett zu bekommen, doch auch das regelte sie charmant.

Zu der Zeit, als er das Sunshine-Projekt übernahm, war Francis aus privaten Gründen für längere Zeit in Europa. So konnte er sie nicht mitnehmen und musste sich mit dem vorhandenen Team begnügen. Er übernahm Baker. Vom ersten Tag an kam er nicht mit ihm zurecht, doch alle späteren Versuche, Francis wieder in sein Team zu holen, waren vergebens.

Das Projekt nahm immer größere Dimensionen an und schließlich gelang es ihm doch, sein Team um Francis zu erweitern. Nicht offiziell als Assistentin, aber sie war mit in der Entwicklung und sie arbeiteten wieder zusammen. Die Querelen mit Hilton liefen damals schon und er versuchte seinen Frust immer häufiger mit Alkohol zu ertränken. Doch das half nichts, im Gegenteil, alles wurde schlimmer. Bis sie kam. Sein Job machte plötzlich wieder richtig Spaß. Er konnte sich auf das konzentrieren, was ihn ausmachte: die Entwicklung. Ihm war klar, dass er nicht die beste Führungskraft war. In zwischenmenschlichen Belangen konnte er sehr ignorant sein und kümmerte sich nicht um seine Leute. Es war ihm schlichtweg egal, sie sollten nur ihren Job machen, schnell, konzentriert und hatten zu performen. Diese Einstellung führte zu dem genauen Gegenteil. Seine Mitarbeiter fühlten sich nicht verstanden, waren schlecht gelaunt. Der Antrieb war weg und die Arbeit lief zäh. Erst als Francis übernahm, schaffte sie es mit ihrer sozialen Kompetenz auf Anhieb, diese Lücke zu füllen. Überrascht stellte er fest, dass sich ab dem Moment auch sein Verhältnis zum Team merkbar verbesserte. Er war ihr sehr dankbar. Doch leider veränderte das seine Einstellung zum Alkohol nicht.

»Was?«

Eric zuckte zusammen. Er hatte nicht registriert, dass sie gemerkt hatte, wie er sie ansah.

»Äh ... nichts ...«

»Hmm, okay ...«

Er zögerte einen Moment.

»Danke .«

»Wofür?«

»Deine Hilfe, du hast mich hier so gut unterstützt. Ich weiß nicht, ob wir das alles ohne dich geschafft hätten.«

Er lächelte sie an und sah, wie sie einen kleinen Moment verschämt auf ihre Hände blickte. Dann nahm ihr Körper wieder eine aufrechte Haltung an.

»Ach was, das hätte auch geklappt. Anders vielleicht ... ich ... hey, komm . Musst du nicht los?«

»Verdammt ...«

Er sah auf die Uhr, sprang auf und eilte so schnell er konnte in das Space Center.

Dort, in einem gigantischen Neubau mit viel Glas und Metall, hatte Hilton sein Büro. Es war nicht wirklich groß, aber modern und ein unglaublicher Blick auf den Atlantik machte alles wett. Doch er war sich nicht sicher, ob Hilton das Panorama noch sah, wenn der überhaupt so was schätzte. Immer nörgelte er wegen der Klimaanlage, dem Licht und dass die Toiletten so weit weg wären. Aber er motzte eh immer .

Seine Sekretärin winkte ihn durch und er öffnete die Glastür. Von Hilton keine Spur. Eric stand vor dem Rücken eines überdimensionalen Bürostuhls.

»Äh, was, ja sicher ... nein, Sir. So weit sind wir noch nicht ... ah, warten Sie, Sir. Anderson ist gerade gekommen und . Was? . Nein, sicher, ich werde Sie gleich informieren. Ja, Sir, bis gleich, Sir!«

Der Stuhl drehte sich mit unfassbarer Geschwindigkeit, dass Eric sicher war, ihm wäre schlecht geworden. Hilton fixierte ihn, Luft durch seine Lippen pressend.

»Das war Killings ... Der macht mich wahnsinnig mit seinen Kalkulationen. Als hätte ich nichts anderes zu tun, als den ganzen Tag zu rechnen. Immer wieder ruft er an und mahnt die Kosten an ... Wir müssen produktiver werden, mehr sparen ... noch mehr sparen und so ein Blabla ...«

Er warf ungeduldig die Hände hoch.

»Mann, als wüsste ich nicht, dass die Kosten schon vor einem halben Jahr überstiegen wurden.«

Er starrte Eric an.

»Aber hier ist der Mann der Lösungen ... Mr. Baker hat Sie doch sicherlich informiert!«

Eric nickte kühl.

»Sicher, Sir, Mr. Baker war so frei .«

Er stocke einen Moment, Hilton verzog keine Miene.

»Ja? Und?«

»Hören Sie, die Sunshine ist, so wie sie ist, perfekt. Alles, was wir jetzt ändern, kostet Geld und vor allem ... Zeit.«

Hiltons fleischige Hand wischte über die schweißige Stirn.

»Hören Sie, Anderson, das ist nicht das, was ich hören will ...«

Ich weiß, du Arsch . Eric grinste ihn ruhig an.

»Allerdings . Eine Möglichkeit besteht .«

»Ahhhh ... Wir kommen der Sache näher ... Was für eine Möglichkeit?«

Hilton bellte es heraus, sah ihn jetzt mit verschränkten Armen an.

»Sehen Sie, Sir. Einer unserer ersten Entwürfe sah vier Abwurfraketen vor. Doch das war damals aufgrund der hohen Kosten und des Baufortschritts nicht gewünscht. Aber, um das wieder aufzugreifen, wir könnten zusätzlich zwei große externe Transporträume an den Seiten ansetzen. Jeweils links und rechts. Dann hätten wir vier Kapseln, die .«

»Verdoppeln?«

Hilton trippelte mit den Fingern auf seinem massiven Arm.

»Sir, wir müssten dafür einiges neu anpassen, es muss Ihnen klar sein: Das kostet, vor allem Zeit ... Ich ...«

»Anderson ... geht doch ... Es ist machbar. Dachte es mir doch.«

Hilton tänzelte durch den Raum.

»Warum nicht gleich so ... Aber eins können Sie sofort vergessen ... Zeit gibt es keine mehr, die IAWA dreht jetzt schon durch. Der Müll muss weg, die Lager sind voll. Vor allem müssen wir die Ersten sein, die starten. Sonst kommen noch die Chinesen oder diese Russen und machen das Geschäft. Auf keinen Fall!«

Eric holte Luft.

»Nun, Sir, da ist der Haken. Selbst wenn wir jetzt sofort anfangen würden, bräuchten wir mindestens sechs Monate für den Umbau und noch mal zwei für die Tests, das heißt circa acht bis neun Monate bis zum Start.«

Hilton sah ihn entsetzt an. Eine dicke Schweißperle lief an seiner Schläfe hinab.

»Neun Monate ... Haben Sie sie nicht alle? Nie im Leben! Am 4. Juli muss die Rakete starten. Das habe ich fest zugesagt.«

»Sir, wir haben schon mit der Montage der geplanten zwei Kapseln begonnen. Denke, dass wir in zwei Wochen damit fertig sind. Dann können wir die Sunshine transportieren. Wir sind so genau im Zeitplan. Jede neue Änderung verzögert den Starttermin, das muss Ihnen klar sein.«

Hilton hatte sich zum Fenster umgedreht und sah schweigend auf den Atlantik. Es entstand eine Stille . Eric wippte irritiert mit der Fußspitze. Das war ungewöhnlich.

»Sehen Sie. Eigentlich ist es nicht mein Wunsch, dass der Transporter mehr Volumen bekommt. Der Druck kommt von ganz oben und den gebe ich jetzt sehr gerne an Sie weiter.«

Hilton hatte sich wieder zu Eric gedreht und starrte ihn ausdruckslos an.

»Präsentieren Sie mir nächsten Montag das fertige Konzept mit vier Kapseln oder ich sehe mich gezwungen, jemanden zu finden, der das realisiert. Nur damit wir uns klar verstehen. Danke, Mr. Anderson.«

Hilton wandte sich wieder dem Fenster zu.

Eric stockte der Atem. Bitte? Was hatte diese miese Ratte eben gesagt? Jemand anderen?

Er starrte auf Hiltons dünn beharrten Hinterkopf und spürte, wie sein Blut in Wallung geriet. Ruhig, Eric ... Ruhig ...

»Sir, was? ... Ich ...«

»Es ist alles gesagt, Mr. Anderson ... bis Montag!«

Eric ballte die Fäuste, drehte sich langsam zur Tür und verließ das Büro. Wie in Trance lief er durch das Space Center, doch er ging nicht zurück in die Entwicklung. Er war stinksauer.

SÜDAFRIKA, KAPSTADT

Das leuchtende Blau des Südatlantiks wurde von vielen kleinen weißen Wolken unterbrochen, die sich bis zum Horizont zogen. Darüber verschleierte eine dünne Nebelschicht die intensive Farbe des Himmels. In dieser schier endlosen Weite schwebte Nick Harris voller Vorfreude auf die kommenden Stunden. Endlich ankommen, sich wieder frei bewegen und die sommerliche Wärme Südafrikas genießen.

Der Flug war ruhig, doch neun Stunden konnten sehr lang sein und Fliegen war, wenn er es sich aussuchen könnte, nicht seine erste Wahl zu reisen. Gefangen in einer Hygienezelle, separiert von anderen Fluggästen, fühlte er sich eingesperrt. Luftdicht verpackt wie ein Stück Fleisch. Jede Zelle hatte eine eigene Luftversorgung, verfügte über einen eigenen Nassbereich. Die Kommunikation lief über eine virtuelle Crew, die alles gab, um keine Wünsche offenzulassen. Es gab keinen Kontakt zu irgendjemandem, kein persönliches Gespräch, kein Husten, kein Lachen, kein einziges Geräusch. Nichts, was einen spüren ließ, dass man nicht allein war.

Ein komisches Gefühl, sich so in die Hände von anderen zu begeben. Der Konzentration und Perfektion von Unbekannten ausgeliefert. Irgendwelchen fremden Menschen, die Drohnenflugzeuge warteten und von irgendeiner Basis sonstwo auf der Erde lenkten. Dann erst die Ersatzteile. Bei dem Kostendruck, der auf den Fluggesellschaften lag, waren alle angehalten, die günstigsten Teile einzukaufen ...

Nick schüttelte sich, zwang sich, sich auf das Wiedersehen mit seinem langjährigen Studienfreund zu konzentrieren. Seinem besten Freund ... seinem einzigen wirklichen Freund. Graham. Lange hatten sie nichts voneinander gehört, bis er vor Monaten herausgefunden hatte, dass ausgerechnet er an einem Projekt forschte, das sehr interessant für ihn werden könnte. Graham, sein bester Freund, sein Weggefährte, sein Bruder. Eine der prägendsten Personen in seinem Leben.

Sie waren sich erstmals in der Universität Cambridge begegnet. Im Kurs Materialverbesserung durch Nanotechnologie hatten sie nebeneinandergesessen und es hatte sofort gefunkt. Derselbe Humor, die gleichen Interessen zeichneten sie aus und so freundeten sie sich schnell an. Tage und Nächte verbrachten sie miteinander, mieteten später ein kleines Haus und lebten eine Wohngemeinschaft, deren legendäre Partys sich schnell herumsprachen.

Graham kam von der Ostseite Englands, aus Scarborough, einer kleinen Arbeiter- und Fischerstadt, direkt an der Küste gelegen. In einem schmalen Reihenhaus war er zusammen mit seiner jüngeren Schwester Grace, seinen Eltern und zwei unglaublich großen irischen Settern, Andrew und Whisper, aufgewachsen. Sein Vater arbeitete im Gerneral Hospital als Anästhesist, seine Mutter saß in einem kleinen Hotel an der South Bay am Empfang. Sie waren viel weg, sodass Graham früh auf sich allein gestellt war. Ab und an musste er ein Auge auf seine Schwester werfen, was er hasste, doch ansonsten ließen ihn seine Eltern schalten und walten.

Er war ein Eigenbrötler, kam mit anderen Kindern nur schlecht zurecht. Als Klassenbester hatte er keinen leichten Stand, was dazu führte, dass er keinen Kontakt zu Kindern seines Alters bekam. Er zog sich zurück, las viele Bücher und versank in der virtuellen Welt. Als seinen Lehrern klar wurde, was für ein Potenzial er hatte, schickten sie ihn mit dem Einverständnis seiner Eltern auf das King's College in London. Dort wurden hochbegabte Kinder speziell gefördert und sie konnten sich entsprechend ihrer Fähigkeiten entfalten. Plötzlich war alles anders. Das Leben wurde leichter und er entwickelte sich zu einem smarten jungen Mann. So war es kein Wunder, dass er ein Stipendium an der University in Cambridge bekam, der Ort, an dem sie sich kennenlernen sollten.

Die Zeit war der Wahnsinn. Ihr Lieblingsprofessor protegierte sie und öffnete ihnen so die Welt zur Wirtschaft. Er nahm sie mit zu Vorlesungen in der ganzen Welt. Sydney, Shanghai, Hongkong, Paris, New York — es gab Tage, an denen sie nicht mehr wussten, wo sie gerade waren. Sie stellten auch ihre eigenen Ergebnisse vor. Ein perfektes Sprungbrett in die Realität. Graham bekam noch vor dem Ende seiner Studienzeit ein verlockendes Jobangebot von einer Firma mit Sitz in der Schweiz. Nick selbst ging zuerst kurz nach Amsterdam und von dort aus nach Amerika, um dort an der New York University zu promovieren. Beide stürzten sich in Arbeit und verloren sich aus den Augen. Der Alltag ließ alles verschwimmen und so brach der Kontakt irgendwann gänzlich ab.

Immer wieder hatte Nick an ihn gedacht und sich fest vorgenommen ihn anzurufen, doch es war immer irgendetwas dazwischengekommen. Bis vor einigen Monaten, an dem Tag, an dem ihm der Artikel in die Hände gefallen war.

Nick war vor vier Jahren von der Space Elevator Cooperation angeworben worden, um ein Transportsystem ins All zu konzipieren und zu realisieren. Die SpEC wiederum war von der kurz vorher gegründeten International Atomic Waste Association, IAWA, angesprochen worden, ein Alternativprogramm zu den Raumfahrttransporten zu entwickeln. Hintergrund war das Problem mit dem Atommüll. Die Lage war äußerst gespannt.

2014 war ein Schlüsseljahr für die Atomwirtschaft. Die Atommüllzwischenlager waren mittlerweile überfüllt, viele waren nicht sicher. Die Suche nach neuen Möglichkeiten liefen schleppend. Der Widerstand der Bevölkerung wuchs und es kam zu immer größeren Protestaktionen. In Bure in Frankreich kollidierten diverse Atommülltransporter mit Streikfahrzeugen. Die Behälter wurden beschädigt und etwa tausend Menschen wurden verstrahlt. Im deutschen Hamburg kam es nahe der Innenstadt zu einem furchtbaren Unfall, bei dem Uranhexaflourid auslief, mit Wasser in Verbindung kam und einen Teilder Stadt großflächig verseuchte, was einigen menschen das leben kostete.

Es stellte sich heraus, dass China, welches in kürzester Zeit 40 neue Atomkraftwerke gebaut hatte, einen großen Teil der südöstlichen Gebiete von Tibet als Endlager benutzte. Nicht vergraben in Salzstöcken unter der Erde, sondern in normalen Werkshallen gestapelt. Es gab in kurzer Zeit viele Unfälle, die man zu vertuschen versuchte. Doch China realisierte die Gefahr, in die es lief, und sah immense Schwierigkeiten auf sich zukommen. Auch Russland wachte auf, nachdem es in einem Endlager im Süden, in Seversk, zu einer großflächigen Explosion gekommen und weitläufig die Gegend verseucht worden war, bei der viele Einwohner zu Schaden kamen.

Die Brisanz nahm zu. Weitere Unfälle und Probleme mit der Lagerung des Atommülls riefen letztendlich die weltweit führenden Politiker zusammen und als Resultat wurde die IAWA gegründet. Ihr Ziel sollte sein, globale Möglichkeiten zu finden, um sich auf sichere Weise des Mülls zu entledigen.

Erst wurden an mehreren Standorten auf der Welt zentral überwachte Sammellager geschaffen. Dort wurde der gesamte Atommüll unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen gelagert, um so das Risiko zu verringern und unter Kontrolle zu halten. Parallel dazu wurde die Wirtschaft aufgefordert, entsprechende solide Lösungen für die Entsorgung zu finden.

Die Raumfahrtunternehmen waren begeistert. Schon lange wurde vorgeschlagen, Raketen mit dem Müll in die Sonne zu schießen, aber das Sicherheitsrisiko und die immensen Kosten hatten immer überwogen. Jetzt war der Weg frei und die Konzerne stürzten sich auf das Geschäft. Es winkten Milliardengewinne.

Doch auch andere Unternehmen hatten Ideen. So gab es den Gedanken, einen Fahrstuhl in den Weltraum zu bauen.

Das Prinzip des Weltraumfahrstuhls war nicht wirklich neu. Es wurde erstmals Ende des 19. Jahrhunderts durch den russischen Weltraumpionier Konstantin Ziolkowski bekannt. Er war durch den Eiffelturm in Paris inspiriert und dachte an einen Turm ins Weltall.

Doch die Hürde ist groß. Es gibt einige Schwierigkeiten, unter anderem ein primäres Problem: rein technisch ist das Problem darauf bezogen, dass es kein Material gibt, das eine entsprechende Zug- und Druckfestigkeit aufweist, um dem atmosphärischen Druck zwischen Weltall und Erde standzuhalten. Viele Firmen versuchen ein entsprechendes Material zu entwickeln. Am vielversprechendsten war zunächst Graphen, ein auf Kohlenstoffatomen basierendes Material, das durch seine besondere wabenförmige Anordnung der Atome viele neue Möglichkeiten bot. Doch lässt es sich nicht in größerer Menge produzieren und so ein Seil in den Weltraum muss immens lang sein. Das ist der hauptsächliche Grund, weswegen es noch keinen Fahrstuhl gibt.

Die SpEC war eines von vier Unternehmen, die sich mit einem Transport »per Fahrstuhl« beschäftigt haben. Zwei waren aber aus finanziellen Gründen nach vier Entwicklungsjahren wieder abgesprungen. Nur die NASA und die SpEC setzten weiter auf die Erforschung eines solchen Materials.

Genau das war Nicks Aufgabe. Die letzten zweieinhalb Jahre hatte er damit verbracht, eine entsprechende Lösung zu finden. Doch alle Bemühungen schlugen bisher fehl oder führten ins Leere. Resigniert stellte er sich auf eine lange Ergebnissuche ein. Irgendwann, während seiner Recherche nach Möglichkeiten, war er über einen Bericht von Grahams aktueller Forschung gestolpert.

Der arbeitete inzwischen für die deutsche Universität Tübingen auf dem Gebiet der tierischen Organismen in technischen Anwendungen. Es war eine Kooperation mit der Universität Cape Town in Südafrika.

Seine Konzentration lag auf Spinnenseide, einem aus Eiweißmolekülen zusammengesetzten Faden, der, je nach Einsatz, aus sieben verschiedenen Drüsen gesponnen wird. Er weist eine extreme Zugfestigkeit auf. Mindestens fünfmal mehr als Stahl. Was aber noch interessanter ist: die Elastizität. Spinnenseide kann sich bis auf das Dreißigfache ihrer Länge ausdehnen! Es gibt kein vergleichbares Material, das solche Werte aufweist und dazu noch mit der Eigenschaft, mikrobiologischen Angriffen standzuhalten. Ein daumendick gesponnenes Seil wäre in der Lage, eines der größten Flugzeuge in voller Fahrt aufzuhalten. Wozu wäre dann ein circa 50 Zentimeter dickes Seil in der Lage?

Auch das war nicht neu. Schon in den Neunzigerjahren wurden diese Eigenschaften entdeckt und in der Theorie erforscht. Doch konnten die Molekülketten nicht technisch erzeugt werden. Einzig die biologische Variante ergab Fäden mit diesen wichtigen Eigenschaften. Aber ein biologischer Einsatz war unmöglich. Milliarden von Tieren müssten gezüchtet werden, um diese dann zu melken. Schon die ersten Versuche wurden gleich wieder eingestellt. Die Tiere starben, fraßen sich gegenseitig auf oder erzeugten keine Fäden mehr.

Doch Graham, fasziniert von diesem Material, gab nicht auf und forschte weiter. Nick sah eine Chance und tat das, was er schon lange hatte tun wollen. Er nahm Kontakt auf.

Graham war mehr als begeistert gewesen, als Nick ihn anrief. Er freute sich maßlos, seinen Freund wieder zu hören, und als Nick ihm erklärte, worum es ging, war er sofort bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Dann ging alles sehr schnell. Nick flog nach Kapstadt und sie warfen ihre bisherigen Ergebnisse zusammen. Schnell stellten sie Parallelen fest. Das Projekt nahm konkrete Formen an. Sie setzten die SpEC zusammen mit der Universität Tübingen in Kenntnis und es wurde eine offizielle Kooperation geschlossen.

Nick pendelte mehrere Monate zwischen Südafrika und Europa, bis er gestern eine Nachricht von Graham bekommen hatte. Er war einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Sofort hatte Nick den nächstmöglichen Flug genommen.

Die Boeing setzte weich auf, trotz des unruhigen Anflugs auf Kapstadt. Am Gate angekommen begann die Warterei. Die Sicherheitsvorkehrungen waren extrem verschärft worden, so durften die Passagiere nicht sofort das Flugzeug verlassen. Jeder wurde einzeln überprüft, erst dann durften sie in die Halle, um sich bei der Passkontrolle anzumelden.

Südafrika hatte sich zum kriminellen Zentrum in Afrika entwickelt. Die sozialen Unterschiede waren in den letzten zehn Jahren extrem weit auseinandergegangen und so kam es immer wieder zu Gewalt und Anschlägen.

Die Regierung wechselte. Der neue Präsident sagte der Korruption den Kampf an. Es wehte ein neuer Wind und die Bevölkerung atmete auf. Neue Möglichkeiten und viele neue Jobs wurden geschaffen. Doch die Kluft zwischen Arm und Reich war zu groß und es gab weiterhin viel Neid und Unzufriedenheit. Es war ein Generationsproblem, das nicht so einfach in den Griff zu bekommen war. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen, die von Mal zu Mal gewalttätiger wurden, was immer wieder zu einem monatelangen Einreisestopp führte.

Südafrika steuerte auf bürgerkriegsähnliche Zustände zu und musste wieder militärisch kontrolliert werden. Ein Drahtseilakt, der mithilfe der UN und der vor ein paar Jahren gegründeten United Africa Aid einigermaßen bewältigt wurde.

Die UAA, eine Organisation ähnlich der Europäischen Union, setzte sich aus Vertretern vieler Länder Afrikas zusammen. Nach Jahren der Ignoranz hatten die meisten Staaten des Kontinents es endlich geschafft, sich an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam eine Lösung für die miserable Lage zu finden. Alle hatten dasselbe Ziel. Unruhen, Gewalt, Korruption und Hunger wollten sie so gemeinsam trotzen. Den Bewohnern und damit dem Kontinent sollte eine zuverlässige und neue Perspektive geschaffen werden. Ein großartiges Afrika sollte entstehen, ein verbundenes, freies Afrika.

Sie bildeten eine Gemeinschaft, stellten sich einen eigenen Etat und eine gemeinsame Armee, die United African Aid Forces. Sie konnte präventiv und im Ernstfall schnell eingesetzt werden. Integre, gut ausgebildete Männer bildeten den Kern der Armee und bewirkten viel. So auch in Südafrika. Doch trotzdem nahm die Gewalt zu.

»Nick, Nick ... Nick, hey Nick, hier!«

Nick sah überrascht zum Wartebereich. Hinter der dicken Glasscheibe sah er einen hüpfenden Graham, der wie wild gestikulierte. Was für ein Bild. Graham trug jetzt einen Bart und hatte einiges zugelegt. Bei jedem seiner Sprünge rutsche das Hemd weiter über seinen blassen haarigen Bauch. Grinsend passierte Nick die Glastür.

»Graham ... wow ...«

Graham lachte über das ganze Gesicht. »Komm, mein Freund, lass dich drücken!«

Graham umarmte ihn so wild, dass Nick lachend prusten musste.

»Hey, willst du mich erdrücken ... Was machst du eigentlich hier, sonst kommt doch immer Bendi?«

»Mensch, Nick, das lass ich mir doch nicht nehmen, dich persönlich an einem solchen Tag abzuholen ...« Er beugte sich zu Nick, seine Stimme wurde geheimnisvoll: »Wir haben es geschafft ...«

Er sah ihn triumphierend an.

»Geschafft? Wie: geschafft?«

Graham riss ihn wieder an sich und drehte sich im Kreis.

»Wir haben es geschafft ... Wir haben es geschafft ... Es funktioniert!«

Lachend wand sich Nick aus seiner Umarmung.

»Hey ... Im Ernst? Du sagtest, du bist einen entscheidenden Schritt weitergekommen ... Jetzt hat es geklappt? Bist du sicher?«

Graham tanzte noch einen Moment im Kreis, kam abrupt zum Stehen. Gehetzt blickte er sich plötzlich um. Das Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Die Freude war weg. Nick sah ihn irritiert an.

»Hey, was ist los?«

Graham schüttelte den Kopf und nahm Nicks Koffer.

»Komm.«

Er zog Nick mit durch den Flughafen ins Parkhaus zu einem Jeep, warf die Sachen in den Kofferraum und stieg ein. Nick war noch nicht ganz eingestiegen, da fuhr Graham auch schon ungestüm los.

Immer noch überrascht von dessen Reaktion, kämpfte Nick sofort mit seinem Kreislauf. Schmerzhaft kam ihm ins Bewusstsein, dass Graham noch nie der beste Autofahrer gewesen war. Schon damals in London hatte er darauf geachtet, dass er selbst fuhr.

»Ähm ... Graham ...«

Graham drehte die Musik laut auf, legte seinen Finger auf die Lippen. Nick sah ihn verständnislos an, doch der Kampf mit der Übelkeit lenkte ihn schnell ab. Er zwang sich, aus dem Fenster zu sehen, und konzentrierte sich auf die Stadt.

Kapstadt, Mutterstadt, die Perle Südafrikas. Nick war schon immer zwiegespalten von den Eindrücken, die sich aus der Kluft der starken Armut auf der einen Seite und dem Reichtum auf der anderen ergab. Überall im Stadtbild wurde es deutlich. Hohe, mit Strom gesicherte Zäune und Mauern umgaben fast jedes Gebäude. Fenster waren vergittert. Überall stand Wachpersonal. Alles, wirklich alles war gesichert. Eine Stadt, geprägt von großen Unterschieden und einer intensiven Geschichte.

Dennoch. Nick fühlte sich wohl. Er liebte die Atmosphäre. Die Vegetation war vornehmlich gesäumt mit halbhohen Büschen. Meist grün, wenn es nicht gerade gebrannt hatte, was in den Sommermonaten öfter vorkam. Afrikanische Bäume und Palmen vollendeten die Schönheit der Landschaft. Das Klima im südafrikanischen Sommer hatte es ihm besonders angetan. Es konnte sehr heiß werden, doch oft wehte ein frischer Wind des Atlantiks und so empfand man die Hitze nicht als unangenehm. Das Wasser kam aus der Antarktis, ein Strom mit einem gigantischen Nahrungsraum für alle möglichen Arten von Lebewesen.

Landschaftlich formte eine Bergkette das Bild, beginnend mit dem imposanten Tafelberg. Mehrere hundert Millionen Jahre alt, bildete er das Zentrum und prägte die Silhouette Kapstadts.

Gedankenverloren betrachtete Nick das faszinierende Schauspiel der sich immer wieder auflösenden Wolken über dem Berg. Ständig in Bewegung, legten sie sich wie eine Tischdecke über das Plateau des Berges, um sich in Sekundenschnelle kurz dahinter wieder aufzulösen. Nie hatte er etwas Vergleichbares gesehen. Ein wunderschönes, beeindruckendes Schauspiel der Natur.

Nick erkannte die Straße, an der Grahams Haus lag, doch sie fuhren weiter Richtung Küste zu einem großen Strand. Dort angekommen sprang Graham aus dem Jeep, gab ihm ein Zeichen und ging zum Wasser. Nick folgte ihm, setzte sich nach einer Weile neben ihn in den Sand und blickte aufs Meer. Sie schwiegen eine Weile, hörten nur auf das beruhigende Tosen der Wellen. Messerscharf trennte der Horizont das satte Blau des Meeres von dem fahlen Blau des Himmels.

»Graham, was zum Teufel ist mit dir los?«

Graham sah weiter in die Unendlichkeit des Atlantiks, als würde dort gleich etwas auftauchen.

»Es funktioniert. Nick ... Es klappt. Es bietet weit mehr, als wir erhofft haben ...«

Graham hatte sich ihm zugedreht und sah ihn mit leuchtenden Augen an.

»Unfassbar . Graham, eine Sensation .«

»Eine Sensation ... ja ... hör zu, Nick ... Da ist noch etwas.«

Die Euphorie war verschwunden. Graham war wieder blass und in sich gekehrt.

»Red schon!«

Graham zögerte.

»Ich ... ich habe dir nicht die ganze Wahrheit gesagt ...«

»Bitte?«

Graham wühlte mit den Füßen unruhig im Sand.

»Unser Projekt hat Aufmerksamkeit erregt ...«

»Inwiefern, was ist los?«

»Ich glaube ... ich weiß, wir werden seit einiger Zeit beobachtet.«

Nick sah ihn fragend an.

»Beobachtet? Warum?«

»Nun ja. Jemand hat wohl die Idee, damit Geld zu verdienen ...«

»Wie kommst du darauf?«

»Irgendwer hat versucht, Daten vom Server zu laden . Ich habe das erst nicht gecheckt, doch der Überwachungsmodus hat sich eingeschaltet und mich gewarnt.«

»Der Überwachungsmodus . Und du bist sicher, dass es kein Fehler war?«

»Ganz sicher.«

»Konnten sie etwas laden?«

Graham grunzte und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen.

»So einfach ist das nicht ... zum einen und zum anderen ...«

Er drehte sich zu Nick, sah ihm tief in die Augen.

»Hey, ich habe eine Ahnung, wer es sein kann: Dr. Jamil Yeboah. Er ist der zentrale Leiter der gesamten südafrikanischen Forschung. Ich hatte nur wenig mit ihm zu tun, eigentlich gar nichts. Er kommunizierte nur mit Tübingen, kam nur einmal zu uns, als wir hier angefangen haben. Er sitzt auch nicht hier in Cape Town. Aber seit einiger Zeit kam er immer wieder hierher. Sein Interesse an unserer Forschung war groß, er wollte immer mehr wissen. Kam dann fast täglich, löcherte mich und mein Team. Plötzlich gab es neue Vorschriften und vor ein paar Wochen ließen sie uns nicht mehr ins Labor.«

»Bitte?«

»Ja, einen ganzen Tag, aber als wir wieder drinnen waren, war alles wie immer. Wir konnten nichts Auffälliges finden. Dann kam nichts mehr. Wir hatten unsere Ruhe. Ich machte mir erst keine Gedanken, doch dann kam die Warnung. Ich schickte Bendi durch das Labor und tatsächlich fand er Wanzen. Bestimmt versuchten sie, unsere Computer anzuzapfen. Nick, wir müssen vorsichtig sein! Ich bin sicher, sie hören uns ab. Mein Haus, der Wagen ist sicher alles verwanzt.«

»Wie hast du es mitbekommen?«

»Na ja, ich hatte irgendwann keine Datenfreigabe mehr. Alle hatten keinen Zugriff mehr. Das passiert, wenn irgendwas nicht richtig läuft. Virus, Hacker, selbst wenn wir unsere Passwörter falsch eingeben. Wir arbeiten mit einem eigenen System. Tübingen konnte das analysieren. Es war ein Terminal der Universität Kapstadt. Jemand vom Gelände hat versucht, sich Zugriff zu verschaffen. Ich dachte anfangs, dass es jemand aus dem Team ist, aber dann sprach mich Yeboah etwas plump auf das System an und ich erinnerte mich an den Vorfall. Da wusste ich, woher der Wind weht.«

Unbeholfen sah Nick zu Graham. Er konnte noch nicht einordnen, was das alles bedeutete.

»Unfassbar ... warum hast du mir nichts gesagt?«

Graham spielte unbeholfen mit einem Stock im Sand.

»Ich wusste nicht, wie. Erst dachte ich, dass ich mich irre. Doch dann war es klar und ich wollte nicht, dass er unsere Gespräche oder Nachrichten bekommt. Dann wäre er gewarnt. Ich wollte nicht, dass dir etwas passiert.«

»Mir etwas passiert? Was soll denn sein ...?«

Graham sah ihn traurig an.

»Ey, Nick, verstehst du es nicht? Er will die Formel. Er will das Material, um es zu verkaufen.«

Sprachlos starrte Nick ihn an.

»Sorry, Nick, ich sah keine andere Möglichkeit. Die Formel muss hier weg. In einem Stück und ich kann sie nicht digital schicken. Die Gefahr, dass sie abgefangen wird, ist zu groß. Ich dachte, es ist eine gute Idee, wenn du kommst und sie mitnimmst. Ich kann sie niemandem anvertrauen, nur dir. Nur konnten wir nicht vorher darüber sprechen. Ich kann nicht einschätzen, wie weit Yeboah geht. Ich kenne den Mann nicht. Aber sicher ist sicher. Ich denke, er weiß, dass du hier bist. Wir müssen ihn in Sicherheit wiegen, damit er dich in Ruhe lässt.«

»Graham, ich .«

»Ich zeig dir alles im Labor. Dann verschwindest du, es ist alles organisiert.«

Nick war fassungslos. »Graham, meinst du nicht, dass es etwas übertrieben ist?«

Graham sah ihn ruhig an.

»Nick, bitte . entschuldige, dass ich dich da hineinziehe, aber du weißt, was wir entwickelt haben, und losgelöst von deiner Verwendung bietet das Material Unglaubliches.«

Nick konnte nichts sagen. Eigentlich war er nur gekommen, um sich den Fortschritt anzusehen. Jetzt musste er feststellen, dass eine Entwicklung ihren Lauf nahm, den er nicht beeinflussen konnte. Etwas Neues, Unbekanntes erfüllte ihn. Das erste Mal in seinem Leben konnte er nicht einschätzen, was auf ihn zukam.

»Komm, ich zeig es dir, doch vorher müssen wir zu mir.«

Grahams Haus lag in Camps Bay, genau unterhalb des ersten Apostels, des ersten Berges der an den Tafelberg anschließenden Bergkette. Wunderschön gelegen, über mehrere Ebenen an den Berg gebaut. Die oberste Ebene war ein großer Wohnraum mit offener Küche. Durch eine große verschiebbare Fensterfront erhob sich ein atemberaubender Anblick auf den Atlantik. In der Bucht unterhalb versammelten sich jedes Jahr Walgruppen, um sich für die Tour zum anderen Ende der Welt vorzubereiten. Insgesamt hatte das Haus drei Ebenen, jede mit großen Terrassen zur Wasserseite hin. Auf allen Etagen waren Zimmer mit großen Flügeltüren. Auf der untersten gab es noch einen Infinity Pool, der scheinbar in den Atlantik überging. Alles in hellen Tönen gehalten, die Möblierung in leichtem Braun und Beige bot einen wunderschönen Kontrast. In dieser sommerlichen Atmosphäre strahlte es einladend und ließ alles andere unwirklich werden.

Nick stellte den Koffer in den Flur, auspacken brauchte er ja nicht. Einen Moment war er unentschlossen, doch dann trat er auf die Terrasse. Fasziniert vom tiefen Blau des Atlantiks blickte er zum Horizont und es schien ihm, als wenn dessen Linie im Flimmern der Luft selbst kleine Wellen schlug. Überwältigt von der Schönheit zuckte er zusammen, als jemand seine Schulter berührte. Er hatte nicht bemerkt, dass Graham mit einem Drink hinter ihm stand.

»Schön, nicht?«

»Schön?« Nick nahm den Drink, den Graham ihm gab. »Das ist komplett untertrieben. Es ist überwältigend, besonders ... Ein unglaubliches Fleckchen Erde ... Ja, es ist schön!«

Einen Moment blickten sie versunken auf den flimmernden Horizont.

»Leider bekam ich nie die Gelegenheit es zu genießen, aber wer weiß, vielleicht habe ich jetzt ja die Möglichkeit .«

Graham zwinkerte ihm zu, räusperte sich.

»Hätte nie im Leben gedacht, dass ich so schnell zum Ziel komme, aber deine Idee mit dem Graphen war Gold wert. Was wir bekommen haben ... wirst du nicht fassen. Ich konnte es nicht glauben, aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Die Tests waren phänomenal.«

Nick sah in seinen Augen wieder das Feuer, die Freude, die vorhin am Flughafen kurz aus ihm herausgebrochen war. Doch er war irritiert. Konnten sie sprechen? Graham zwinkerte ihm zu, hielt einen Daumen hoch.

»Wir haben eine Zugfestigkeit, die dreihundertmal so stark ist wie die von Kohlenstoff!«

Nicks Herzschlag ging schneller, seine Augen wurden groß.

»Bitte ... wie viel?«

»Wirklich, doch noch besser: Die Temperaturunterschiede von mehreren Tausend Grad überstand es lässig, den Schmelzpunkt konnten wir mit unseren Mitteln nicht erreichen. Es wird weder brüchig noch brennt es. Es hält mikrobiologischer Zersetzung stand. Wir testen gerade noch mal die Strahlung, doch bisher konnte nichts dem Material etwas anhaben.«

Nick durchfuhr ein eiskalter Schauer. Das war viel mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Mehr als ausreichend.

»Und noch was: Die Elastizität ... Das Material dehnt sich um das Achtfache seiner Länge, was sagst du jetzt?« Graham sah Nick triumphierend an.

Dieser war sprachlos.

»Ich seh schon . wir müssen los.«

Graham kippte den Rest seines Gins auf ex hinunter, lächelte und schlug Nick auf die Schulter.

Das Labor war in der Nähe des Hafens von Cape Town untergebracht in einem relativ kleinen Seitenanbau auf einem abgetrennten Bezirk. Früher hatte das Gelände einem elitären Golfclub gehört, der aber weichen musste. Gerade in wissenschaftlicher Hinsicht hatte sich Cape Town stark entwickelt, auch ein neues Konzept der Regierung.

Seine Mitarbeiter waren vor Ort: Miyu Kaito, eine Japanerin mittleren Alters und die rechte Hand von Graham, Frederik Sörensen und Bryan Thomas, beide noch junge Forscher und Doktoranden. Graham hatte sie alle während seiner Zeiten in den unterschiedlichen Universitäten kennengelernt. Sie bildeten ein perfekt abgestimmtes Team, ergänzten sich in jeder Hinsicht. Nick war neidisch auf Graham, der solch gute Mitarbeiter rekrutiert hatte. War es Glück oder Können? Er wusste es nicht. Ihm war das nicht gelungen. Seine Leute wechselten häufiger, der letzten Assistentin hatte er vor zwei Wochen gekündigt. Er begann, an seinen Einschätzungen von Potenzialen zu zweifeln.

Alles war vorbereitet. Graham führte Nick zu einer dicken Glasscheibe, der dahinter erst auf den zweiten Blick einen etwa zehn Zentimeter langen, sehr dünnen Faden erkannte.

»Darf ich dir vorstellen: das Trisolit!«

Der silbern glänzende Faden dehnte sich, drehte sich, zog sich zusammen und dehnte sich wieder und wieder. Er glitzerte im Licht, als wäre er feucht. So filigran, so dünn und doch: Es hätte ein Faden einer Spinne sein können. Nick betrachtete ihn ehrfürchtig ...

»Trisolit ...«

Er sah aus den Augenwinkeln, wie Graham den Kopf schüchtern gesenkt hatte.