Trotz Corona - Klaus F. Geiger - E-Book

Trotz Corona E-Book

Klaus F Geiger

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Beschreibung

Klaus F. Geiger: Trotz Corona Grundtenor des Buches ist: Die Covis-19-Pandemie und ihre Bekämpfung haben Leiden verursacht, Schäden, Einschränkungen der Freiheitsrechte, alltägliche Beschwernisse – aber auch positive Erfahrungen. Bauen wir auf diesen auf –jede(r) Einzelne und die Gesellschaft -, ergeben sich Chancen für eine bessere Zukunft. Die 67 kurzen Texten verbinden in tagebuchähnlicher Form Selbstbeobachtungen des Schreibenden und Beobachtungen in seinem Umfeld mit Reflexionen über politische Entscheidungen und Mediendebatten. Zentral geht es in beiden Bereichen um die Wertebene: Welche Werte werden verfolgt, wo entstehen Dilemmata, wie sieht ein "gutes Leben" aus? Die auf die Person des Schreibers und seinen Alltag bezogenen Texte betreffen: seine Ängste, seinen Medienkonsum, das Verhältnis zu seinen Verwandten (Enkeln), die Beobachtungen in der Nachbarschaft, die doppelte Natur-Erfahrung (hier das unsichtbare Virus, dort die frühlingshafte Blütenpracht). Immer wieder wird die "bornierte" Situation des Ich kontrastiert mit der Lage anderer Menschen, welche die Pandemie und ihre Bekämpfung unter schwierigeren Bedingungen erfahren. Bei den Reflexionen über die politischen Reaktionen auf die Pandemie und ihre mediale Darstellung geht es um: den Zielkonflikt zwischen Lebensschutz und Wirtschaftsinteressen, den Umgang mit Nichtwissen und Unsicherheit, durch die Pandemie sichtbar werdende oder gar gesteigerte soziale Ungleichheiten. Immer wieder steht die Sprache der Diskurse im Fokus: "Systemrelevanz", "Helden des Alltags", "Normalität", "tickende Zeitbomben", Zahlen und Kurven usw. Den Schluss bilden Überlegungen, wie ein "gutes Leben" nach der Pandemie aussehen könnte. Sowohl in Bezug auf den Einzelnen wie auch in Bezug auf die Politik werden Handlungsalternativen aufgezeigt, welche um die Begriffe "Verlust", "Solidarität" und "Umgang mit Unsicherheit" kreisen. Gerahmt werden die Tagebucheinträge von der Stimme eines Verfassers, der wiederholt die Aussagen des Ich ergänzt und korrigiert.

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Seitenzahl: 88

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Klaus F. Geiger

Trotz Corona

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Trotz Corona

Wo aber Gefahr ist ...

Plötzlich

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Ende offen

Dank

Impressum neobooks

Trotz Corona

Copyright: Klaus F. Geiger

Kassel 2020

Gestaltung Titel: Dirk Radunz / Foto: Seaq68 @ pixabay.com

Wo aber Gefahr ist ...

Wo aber Gefahr ist, wächst 

Das Rettende auch.

Friedrich Hölderlin, Aus: Patmos

Plötzlich

hatte er viel Zeit. Das heißt, er hatte schon vorher, in den letzten Jahren, viel Zeit gehabt, er war ja im sogenannten Ruhestand. Aber jetzt hatte er noch mehr Zeit. Ein bisschen seiner Frau im Haushalt helfen, zwei Tageszeitungen von der ersten bis zur letzten Seite und jede Woche einen neuen Roman lesen – das reichte nicht, das füllte die Zeit nicht aus, nicht quantitativ und nicht qualitativ. Er fühlte eine wachsende innere Unruhe. Er wollte aktiv sein. Jetzt, wo die allgemeine Kontaktsperre ihn hinderte, aus dem Haus zu gehen und anderen mit seinem pädagogischen Rat in ihren Lebensaufgaben beizustehen. Eine Kontaktsperre, die nicht nur selbstverordnet war, weil er sich nicht anstecken lassen wollte von dem Virus, das sich über die ganze Erde verbreitete. Nein, diese Kontaktsperre war auch den Anderen – das heißt, allen Menschen außer seiner Ehefrau – öffentlich verordnet worden war, um ihn zu schützen. Weil er wegen seines Alters zu einer Risikogruppe gehörte, wie es immer hieß, quasi die Risikogruppe verkörperte.

Wäre diese sich endlos dehnende Zeit nicht eine Möglichkeit, sich an den Schreibtisch zu setzen und wieder einmal zu schreiben? Aber worüber sollte er schreiben? Kein Thema drängte sich ihm auf. Bis eine Bemerkung einer Bekannten ihn aus seiner leeren Gespanntheit erlöste. Was hatte denn sein Leben in den letzten beiden Wochen geprägt, was hatte die Zeitungsseiten und TV-Nachrichten, die er so ausgiebig rezipierte, von Anfang bis Ende ausgefüllt? Könnte, gar: sollte er nicht über die Zeit der Pandemie schreiben – genauer gesagt, über die Erfahrungen die er damit machte, seine Beobachtungen an sich und anderen? Plötzlich setzte ein, was er schon von früher kannte: Seine Gedanken überschlugen sich, er füllte Zettel auf Zettel, ja, mitten in der Nacht fielen ihm noch auffällige Vorkommnisse ein, zu denen er unbedingt ein Stichwort notieren musste, um sie nicht zu vergessen.

Er setzte sich also an seinen Schreibtisch und verfasste jeden Tag ein oder zwei kurze Texte. In diesem Sinne kann man das Ergebnis – auch wenn die Eintragungen sich auf das eine Thema der Pandemie beschränkten – als Tagebuch bezeichnen. Wie für ein Tagebuch typisch, ergibt sich kein einheitliches Bild, denn das, was ihn erstaunte, zum Nachdenken brachte, oftmals erboste, wechselte ja, ebenso wie seine Reaktion darauf.

An verschiedenen Stellen – ich habe sie durch Kursivschrift kenntlich gemacht - konnte ich dem Drang nicht widerstehen, die Ausführungen des Tagebuchschreibers zu ergänzen oder richtig zu stellen.

1

Ich möchte mit etwas Schönem beginnen. Die drei jüngsten unserer Enkel, ein Junge, zwei Mädchen, wohnen im Nachbarhaus. Oft besuchen sie uns, auch mit ihren Freundinnen und Freunden, mindestens einmal in der Woche hole ich sie von Schule und Kindergarten ab, macht meine Frau ihnen ein Essen, das sie sich gewünscht haben. Und nun plötzlich, ganz zu Beginn des Auftretens des Coronavirus in Deutschland, dieser Aufruf an die Bevölkerung, ein Aufruf, der meine Frau und mich betroffen hat und betroffen gemacht hat: Eltern schickt eure Kinder nicht mehr zu ihren Großeltern zum Beaufsichtigen, denn die sind besonders zu schützen, da sie zur Risikogruppe zählen. Wir beiden sind also Risikogruppe, und wir sollen gerade auf das verzichten – nicht nur die Eltern verzichten, so wie in dem Aufruf formuliert, sondern auch wir – auf das, was uns besonders beglückt: mit diesen Kindern zusammen sein, mit ihnen sprechen, lachen, spielen, auch lernen.

Und wo kommt jetzt die schöne Geschichte? Sie beginnt damit, dass wir die Tür des Wintergartens öffnen und hinüberschauen in den Garten nebenan, wo unsere Enkel spielen. Die Jüngste, die Fünfjährige, sieht das und eilt auf uns zu. Bis zur ersten Stufe der Treppe, die zum Wintergarten führt. Sie strahlt, hat eine Hand ausgestreckt. Doch dann hält sie plötzlich an, macht einen Schritt rückwärts auf den Rasen, lächelt uns an, entschuldigend. Ich fühle ein Glücksgefühl, ein Gefühl doppelter Dankbarkeit: zum einen für den Wunsch dieses kleinen Mädchens, uns nahe zu sein, körperlich nahe wie immer, zum anderen aber für ihre Rücksichtnahme, für ihren Verzicht auf die Erfüllung ihres Wunsches, weil sie uns schützen will.

In diesem Moment machen auch ihr großer Bruder und ihre große Schwester auf sich aufmerksam. Der Bruder balanciert auf einem zwischen zwei Bäumen aufgespannten Seil, die Schwester lässt sich aus dem Handstand langsam rückwärts in die Figur der Brücke gleiten. Wir applaudieren. Wir haben verstanden: Unsere Blicke sind den beiden wichtig, ganz wie vor der Krise, ebenso unsere Anerkennung für ihr Können. Wir bleiben uns nah – auch bei dem aufgezwungenen räumlichen Abstand.

2

Ein kurzes Video im Smartphone meiner Frau. Etliche Branchen haben bereits ihre Geschäfte schließen müssen, aber noch nicht die Frisiersalons. Das Video zeigt eine Frau mit nach hinten geneigtem, frisch eingeseiftem Kopf. Dicht hinter ihr steht der Friseur, der sich an ihren Haaren zu schaffen macht. Die Frau spricht in ein Mikrophon, gehalten von einer Person, die nicht ins Bild kommt. Sie spricht in einem Ton der Verwunderung und der Anklage (zu ergänzen: an die da oben). Es sei befremdlich, dass Frisiersalons noch nicht geschlossen seien, obwohl sich da zwei Personen doch so nahe kämen. Sie spricht, bleibt ruhig sitzen, der Friseur massiert weiter.

Heißt das nicht, dass diese Frau das Gefühl hat, sie befinde sich möglicherweise in Gefahr (nämlich der Gefahr, angesteckt zu werden)? Sie zieht daraus aber nicht den Schluss, den naheliegenden Weg zu gehen, sich zu schützen, indem sie nämlich auf den Friseurbesuch verzichtet. Sie beharrt auf ihrer Routine (alle drei Wochen…). Und wenn diese Routine ihre Gesundheit schädigt, ist sie daran nicht schuld – sondern das sind die da oben, die es versäumt haben, ihr den Besuch zu verbieten.

3

Krisen bergen die Chance, dass ein Mensch an ihnen und in ihnen wächst. Bei Kindern können wir beobachten, dass dies in einem ganz wörtlichen Sinne stimmt: Sie liegen krank im Bett, und wenn sie nach einigen Tagen wieder aufstehen, merken wir erstaunt, dass sie gewachsen sind. Auch die Coronavirus-Pandemie ist eine Krise, in der Menschen wachsen. Dieses Wachstum geht allerdings in zwei Richtungen: Das Gute wächst und das Böse auch. Die Zeitung ist voll von Initiativen oft junger Menschen, die ihre Hilfe anbieten, zum Beispiel beim Einkauf für Ältere. In derselben Zeitung lesen wir aber auch, dass eine Atemschutzmaske – etwas, das zum Schutz und zur Rettung von Menschen dringend gebraucht wird – plötzlich nicht mehr für einen Preis im Cent-Bereich angeboten wird, sondern zu horrenden Wucherpreisen.

Er merkte, wie ihm das Schreiben gut tat. Endlich wieder handeln, selbstbestimmt handeln. Es war ein Ersatz für all die Tätigkeiten, die wegen der verordneten Kontaktbeschränkungen weggefallen waren. Und es war noch mehr: Gegengift gegen die Haltung, welche die Pandemie ihm und nicht nur ihm aufzwang, das Warten. Ein ängstliches Warten: Wird dieses große Es, dieses unsichtbare Es an uns vorübergehen? Ein Warten der leisen Hoffnung: Wird die Kurve der Neuinfektionen sich bald abflachen, vielleicht nach unten neigen? Als ob sich ändernde statistische Wahrscheinlichkeiten ihn sicher aus der Schusslinie nehmen würden.

4

Ich bin ein eher ängstlicher Mensch, ja, ich habe eine Neigung zur Hypochondrie. Deshalb bin ich über mich selbst verwundert, wie ruhig ich die täglichen Horrormeldungen in Zeitungen und Fernsehen aufnehme: täglich steigende Zahlen von Infizierten, eine Kurve, die sich abflachen soll, aber nicht abflacht, wachsende Zahlen von Toten, Nachrichten aus Nachbarländern, wo Menschen über achtzig nicht mehr behandelt werden, weil nicht genug Ärzte, Pfleger, Geräte, Medikamente, Schutzausrüstungen zur Verfügung stehen (und ich werde bald achtzig werden), wo Armeelastwagen Särge abtransportieren, weil die lokalen Krematorien überlastet sind (und ich will nicht sterben). Aber diese grausame Wirklichkeit erschüttert mich nicht – weil ich sie nicht als Wirklichkeit wahrnehme und auch nicht als etwas, das in meiner Nähe stattfindet, mir nahe kommen kann. Diese Bedrohung hat etwas Nichtfassbares, etwas Abstraktes. Ich rezipiere sie als Medienereignis.

Tatsächlich blieb er beim Lesen, beim Fernsehen, beim telefonischen Austausch über die Pandemie ruhig. Doch dann, mitten in der Nacht, sprang er aus dem Bett, musste um ein Uhr Fieber messen, konnte nicht mehr einschlafen. Tatsächlich reagierte er auch am Tage auf jede Art von Problem nervös. Das kleinste Malheur, wie man in seiner schwäbischen Heimat sagen würde, raubte ihm den Atem.

5

Ein kleiner Ort im Gebirge, der vom Wintertourismus lebt. Eine mit Gästen gefüllte Kneipe, Après-Ski. Eine Erkrankung eines Angestellten, die verschwiegen wird. Waren da nicht im Radio Nachrichten über eine Epidemie in China? Gab es nicht bereits im Nachbarland erste Infektionen mit dem neuen Virus? Aber wer lässt sich schon die Gaudi nehmen, und das Geldverdienen? Als die Infektion vor Ort bekannt wird, schickt man die Gäste fort. Und sie fahren mit Bus, Zug oder Auto in ihre verschiedenen Heimatländer. Und verbreiten dort die neue Krankheit.

Selten ist so deutlich geworden, wie eine Kombination aus Dummheit und dem Schielen auf den kurzfristigen Gewinn Schäden anrichtet – und zwar in Zeiten der internationalen Vernetzung Schäden nicht nur vor Ort, sondern über Grenzen hinweg.

6

Ich erinnere mich: Zu Beginn der Krise, damals, als noch darum gestritten wurde, ob dieses neue Virus regional begrenzt bleiben oder eine weltweite Epidemie, eben eine Pandemie auslösen würde, da verlautbarten all die Gesundheitsexperten und Politiker Beruhigendes. Sie beschwichtigten, bei dem neuen Virus handele es sich um einen Erreger, der harmloser sei als die Grippe, die wie jedes Jahr zu Erkrankungen und Todesfällen führe. Ja, noch zwei Wochen, nachdem auch in Deutschland die Zahl der Infizierten stieg, verkündete ein Vertreter eines virologischen Instituts, es gebe Anzeichen, dass sich die Kurve der Neuinfektionen abflache, das ließe sich aber erst zwei Tage später interpretieren. Doch zwei Tage später und bis heute war keine Rede mehr davon.

Heute gibt es eine erhitzte Debatte: Hätten die Erklärungen zu Beginn ernsthafter, die Warnungen deutlicher sein, die staatlichen Maßnahmen und die Vorbereitungen im Gesundheitssystem frühzeitiger stattfinden sollen? Hätten Politiker und Gesundheitsexperten früher wissen müssen – und entgegen jedem Wunsch, nur ja keine Panik auszulösen auch früher sagen müssen -, was seitdem wie eine Welle auf uns zurollt?