Truth or Date. Der Dating-Adventskalender (Take a Chance 2) - Gina Heinzmann - E-Book

Truth or Date. Der Dating-Adventskalender (Take a Chance 2) E-Book

Gina Heinzmann

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Beschreibung

**24 Türchen, 24 Chancen für die Liebe** Weihnachten steht vor der Tür, die schlimmste Zeit des Jahres für alle Dauersingles wie June. Keine romantischen Dates im Schnee, keine Plätzchen in Herzform, keine Küsse unterm Mistelzweig. Aber diesmal spielt June nicht mehr mit und beschließt, die Feierlichkeiten lieber ganz ausfallen zu lassen. Bis sie von ihren Freundinnen unfreiwillig beim berühmten Dating-Adventskalender ihrer Uni angemeldet wird und sich vor Verabredungen nicht mehr retten kann. Denn die neue Challenge steht unter dem Motto »Truth or Date«, und nichts will June weniger, als ihre Geheimnisse vor der ganzen Welt auszuplaudern. Doch ausgerechnet Asher, der interessanteste Typ von allen, will genau jene aus ihr herauskitzeln ... Mach dich bereit auf eine Partie »Wahrheit oder Pflicht« der anderen Art. Traust du dich, um dein Herz zu spielen? //Der Liebesroman »Truth or Date. Der Dating-Adventskalender« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//   //Weitere Liebesgeschichten zum Mitfiebern und Dahinschmelzen von Gina Heinzmann bei Impress:  -- Take A Chance On Me. Adventskalender zum Verlieben (Take a Chance 1) -- Take Another Chance On Me. Die Dating-Challenge zum Valentinstag (Take a Chance 3) -- Going Wild. Herz über Kopf// 

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Gina Heinzmann

Truth or Date. Der Dating-Adventskalender

**24 Türchen, 24 Chancen für die Liebe**

Weihnachten steht vor der Tür, die schlimmste Zeit des Jahres für alle Dauersingles wie June. Keine romantischen Dates im Schnee, keine Plätzchen in Herzform, keine Küsse unterm Mistelzweig. Aber diesmal spielt June nicht mehr mit und beschließt, die Feierlichkeiten lieber ganz ausfallen zu lassen. Bis sie von ihren Freundinnen unfreiwillig beim berühmten Dating-Adventskalender ihrer Uni angemeldet wird und sich vor Verabredungen nicht mehr retten kann. Denn die neue Challenge steht unter dem Motto »Truth or Date«, und nichts will June weniger, als ihre Geheimnisse vor der ganzen Welt auszuplaudern. Doch ausgerechnet Asher, der interessanteste Typ von allen, will genau jene aus ihr herauskitzeln …

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Vita

Danksagung

© Anna-Lisa Konrad

Gina Heinzmann hat während ihres Schauspielstudiums die Freude am Erfinden zauberhafter Welten für sich entdeckt. Wenn sie nicht schreibt oder arbeitet, reist sie rund um den Globus, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. Ob studieren in Kalifornien, ein Praktikum in Brasilien oder ein Backpacking-Trip durch Costa Rica – ihre Erlebnisse und Erfahrungen sind eine wichtige Grundlage und Inspiration für die Geschichten, die sie erzählt.

1

Mit morbider Faszination betrachtete June das Desaster zu ihren Füßen. Während ihre Freunde lautstarke Toasts auf das Leben im Allgemeinen und die vor ihnen liegende Weihnachtszeit im Speziellen aussprachen, war ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die kleinen blutroten Tropfen gerichtet, die sich langsam, aber sicher auf dem Boden zu einem großen Gesamtkunstwerk vereinigten. June seufzte. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Und doch wieder einmal so typisch für sie.

Um die Tatsache zu überspielen, dass sie bezüglich der kommenden Wochen weit weniger enthusiastisch war, hatte sie beim Anstoßen auf diesen Abend ihr bis zum Rand gefülltes Cocktailglas mit extra viel Schwung gegen das ihrer Freunde klirren lassen. Mit dem Ergebnis, dass sich nun eine nicht unbeachtliche Menge des klebrigen Getränks unaufhaltsam einen Weg über ihre Hand auf den neuen, unverschämt teuren Teppich ihrer besten Freundin suchte.

Der unübersehbare Saftfleck machte sich nicht wirklich vorteilhaft auf dem zartrosa Kunstwerk aus Merinowolle. June würde gerne behaupten, dass dieser farbliche Akzent dem Gesamtbild den nötigen Touch verlieh. Manchmal gab es ja Dinge, die durch ein Versehen perfektioniert wurden. Bei diesem Teppich war das leider nicht der Fall.

June biss sich auf ihre pink angemalten Lippen und beobachtete leicht zerknirscht, wie sich die rote Flüssigkeit weiter ausbreitete. Oje. Kurz überlegte sie, ob es sich lohnte, einen nassen Lappen zu besorgen. Allerdings kam sie zu dem Schluss, dass ihre Missetat sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr bereinigen ließ. Daher machte sie sich gar nicht erst die Mühe, sich auf die Suche nach Putzzeug zu begeben.

Zum Glück gehörte ihre beste Freundin Sarah zu den Menschen, die sich schnell an ihrer Inneneinrichtung sattsahen und regelmäßig umdekorierten. Die Aussicht, dass ihr der teure Teppich spätestens nächste Woche sowieso nicht mehr gefiel und durch einen anderen ersetzt werden würde, beruhigte Junes schlechtes Gewissen ein wenig. Genug, um sich von diesem kleinen Malheur nicht ihre ohnehin schon bestenfalls mittelmäßige Laune weiter verderben zu lassen. Zumal Sarah gerade damit beschäftigt war, über eine von Taylors verrückten Anekdoten zu lachen, und dadurch noch nichts von dem Missgeschick bemerkt hatte. Wozu also die gute Stimmung ruinieren?

Unauffällig verließ June den »Tatort« und bahnte sich einen Weg an ihren Freunden vorbei zu dem großen Tisch auf der anderen Seite des Zimmers, der mit allerlei Köstlichkeiten bedeckt war. Sarah und ihr Bruder Lucas hatten mal wieder alles gegeben, beinahe so, als wollten sie die Festmahle ihrer vorangegangenen Thanksgiving-Abende noch überbieten. Bei dem Anblick der verschiedenen Kuchen, Törtchen, Mousse- und Puddingvariationen, die es zum Nachtisch gab, lief June das Wasser im Mund zusammen. Das sah fantastisch aus! Wie sollte sie sich bloß entscheiden? Am liebsten würde sie sich einmal querbeet durchfuttern. Aber da sie diese Methode schon beim eigentlichen Dinner angewandt hatte, konnte sie froh sein, wenn sie es schaffte, überhaupt einen dieser Leckerbissen herunterzubekommen, ohne dass ihr überfüllter Magen dagegen protestierte.

Bevor ihr darauf trainiertes Hirn sich ausrechnen konnte, wie viele unnötige, teuflische Kalorien sie heute bereits in sich hineingemampft hatte, griff June sich schnell ein Stückchen Schokoladenkuchen. Schon vom Aussehen her sollte dieser als eine Sünde gelten. Das hinderte sie allerdings nicht daran, herzhaft hineinzubeißen und ein entzücktes und zugegeben leicht gequältes Stöhnen auszustoßen. Warum mussten die Dinge, die schlecht für einen waren, immer so verdammt gut schmecken?

Während June sich das Meisterwerk auf der Zunge zergehen ließ, beobachtete sie Lucas und Judy, wie sie alles für eine Runde Activity vorbereiteten – ein Spiel, das an diesem Abend definitiv nicht fehlen durfte.

Als June ihre Blicke über ihre Freunde wandern ließ, war sie wieder einmal unendlich froh, dass sie diese kleine Friendsgiving-Tradition ins Leben gerufen hatten. Seit drei Jahren verbrachten Sarah, Taylor, Lucas, Judy und sie die Feiertage zusammen. Ihre Familien waren zwar zunächst wenig begeistert von ihrem Plan gewesen, sahen dann aber doch ein, dass es zumindest logistisch betrachtet wesentlich sinnvoller war. Schließlich studierten sie alle an der Ostküste, weit weg von ihrer Heimatstadt San Diego. Und mit den bevorstehenden Prüfungen ihres Jurastudiums und dem damit im Zusammenhang stehenden Lernstress, der zu dieser Jahreszeit regelmäßig ausbrach … Tja, da waren ihre Argumente halt einfach die besseren gewesen.

Statt bei steifen Abenden auf den pompösen Feiern ihrer Familien verbrachten sie die Tage also in ihrer gemütlichen kleinen Freundesgruppe. Meistens mieteten sie sich dazu eine schöne Unterkunft in der näheren Umgebung, vorzugsweise außerhalb von Bostons geschäftigem Treiben. Dieses Mal hatte Sarah jedoch vorgeschlagen das Festessen in ihrem eigenen Apartment zu veranstalten. Sie hatte behauptet, dass sie es sich nicht erlauben könne, das ganze Wochenende wegzufahren, da sie angeblich unglaublich viel zu tun hätte. In Wahrheit wussten aber alle, dass sie bloß einen gewissen niedlichen Innenarchitekten, den sie seit geraumer Zeit anhimmelte, mit einem Deko-Auftrag in ihre Wohnung hatte locken wollen. Thanksgiving war nichts weiter als eine günstige Gelegenheit, um den armen Kerl von all ihren Vorzügen zu überzeugen. Vermutlich hatte Sarah dabei kein Mittel unversucht gelassen. Da der Raum in einem festlichen Glanz erstrahlte, bei dem es sich definitiv nicht um das Handwerk ihrer besten Freundin handelte, ging June davon aus, dass ihr Plan aufgegangen war. Zudem war Sarahs unermüdliches breites Grinsen ein sicheres Indiz darauf, dass sie bereits die nächste Eroberungs-Kerbe in ihren Bettpfosten hatte schnitzen können.

Bei diesem Gedanken musste June grinsen. Sie konnte sich richtig gut vorstellen, wie Sarah im Neandertaler-Stil einem wehrlosen Typ nach dem anderen eins mit der Keule überbriet und anschließend in ihre Liebeshöhle verschleppte. Sarah war schon immer leicht rabiat, wenn sie etwas wollte, vor allem in Liebesdingen. Ihre beste Freundin und sie könnten dahingehend nicht unterschiedlicher sein. Wo Sarah auf der Suche nach dem nächsten Flirt war und sich regelmäßig Hals über Kopf verliebte, war June definitiv zurückhaltender, wenn es um das andere Geschlecht ging. Sie könnte sich niemals nur so zum Spaß auf einen Kerl einlassen. Generell fiel es ihr eher schwer, neue Menschen kennenzulernen, und wagte sie dann mal den Schritt, jemanden anzusprechen, sollte es sich zumindest langfristig lohnen.

Wie auch immer. June hatte in letzter Zeit einen Großteil ihres monatlich zur Verfügung stehenden Geldes beim Shoppen aus dem Fenster geworfen, da ausgiebige Einkaufstouren in Stresssituationen ihr geheimes Allheilmittel waren. Somit war sie Sarahs Plan von einer weniger opulenten Feier nicht abgeneigt gewesen und hatte ihrer Idee sofort bereitwillig zugestimmt. June könnte sich zwar durchaus den Aufenthalt in der Traumvilla am Strand leisten, aber sie musste die Großzügigkeit ihrer Eltern nicht unbedingt bis zum äußersten Limit ausreizen. Ein solches Unterfangen würde nur unnötige Fragen aufwerfen. Angefangen dabei, warum ihre Tochter so gestresst sei, bis hin zu, was sie tun könnten, um June etwas von der Last auf ihren Schultern abzunehmen. Und das zu beantworten wäre ihr unmöglich. Nicht ohne ihnen das Herz zu brechen und ein ausgewachsenes Familiendrama ins Leben zu rufen. Noch ein Grund, warum June unendlich froh war heute hier zu sein statt zu Hause im sonnigen Kalifornien.

In den letzten Monaten war es ihr immer schwerer gefallen, sich mit ihren Eltern zu unterhalten. Das lag keinesfalls an ihnen. Sie waren so toll und fürsorglich wie eh und je und trugen sie buchstäblich auf Händen. Nur leider nicht in die richtige Richtung. Zumindest nicht in die, die June gerne gehen würde.

Ihr Vater war fest davon überzeugt, dass sie einmal seine Firma übernehmen würde, und prahlte geradezu damit vor seinen Freunden und Kollegen. All die vorsichtigen Versuche, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass sich seine großen Pläne nicht unbedingt mit denen von ihr deckten, waren bisher im Sande verlaufen. Wenn es um ihre Karriere ging, schien ihr Dad an selektivem Hörverlust zu leiden. June konnte sich den Mund fusselig reden, kein dezenter Wink mit dem Zaunpfahl kam bei ihm an. Und in einem Haushalt, in dem sich so ziemlich alles um ihre glorreiche Zukunft drehte, war es demnach unglaublich schwer, ein unverfängliches Gespräch zu führen, ohne dabei das böse Z-Wort zu benutzen. Ganz zu schweigen von all den anderen kleinen Dingen, die June nicht übers Herz brachte ihren Eltern zu beichten und deshalb nicht laut aussprechen konnte.

Allein der Gedanke, sie zu enttäuschen, verursachte ihr Übelkeit. Daher schob sie dieses Gespräch immer weiter vor sich her, in der Hoffnung, dass sich wie durch ein Wunder doch noch eine Lösung vor ihr auftat. Nach Möglichkeit eine, die sie ihre Träume leben ließ, ohne ihren Eltern das Herz zu brechen. Je näher allerdings ihr Abschluss rückte, desto enger schien sich die Schlinge um ihren Hals zuzuziehen. Warum war das Erwachsenwerden bloß so kompliziert?

»Willst du dich nicht langsam zu uns gesellen, Juny?«

Überrascht, so plötzlich ihren Namen durch den Raum schallen zu hören, zuckte June zusammen und verkippte um ein Haar die letzten Reste ihres Cocktails. Huh. Sie war so in ihre eigenen Gedanken vertieft gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie die anderen bereits am Tisch ihre Plätze eingenommen hatten und ihr von dort aus amüsierte Blicke zuwarfen. Es war nicht das erste Mal, dass sie von ihrer Clique beim Tagträumen erwischt worden war. Im Gegensatz zu sonst war sie allerdings ausnahmsweise froh über diese rabiate Unterbrechung ihrer Geistestätigkeiten. Sie hatte nur wenig Lust darauf, dieses dramatische Fass ohne Boden, das ihr momentanes Dasein beschrieb, aufzumachen und sich in dessen Abgründen zu verlieren. Dankbar für die Ablenkung eilte June zu den anderen und ließ sich auf dem freien Stuhl zwischen Lucas und Sarah nieder.

»Sorry, dass ihr auf mich warten musstet. Hab ich viel verpasst?« Fragend sah sie in die Runde.

»Bis jetzt hat lediglich Taylor ihre Freude bezüglich der bevorstehenden Weihnachtszeit zum Ausdruck gebracht. Mit reihenweise kitschigen Worten.« Das gutmütige Augenrollen von Lucas wurde sogleich von aufgebrachten Protestrufen Taylors quittiert.

»Ich stehe nun mal auf die Adventszeit! Und als ob du nicht selbst sämtliche deiner heißen Winteroutfits für die Männerjagd bereitgelegt hättest. Wer hat letztes Jahr noch gleich davon geschwärmt, dass ein Kaminfeuer und liebliche Weihnachtsklänge besonders stimulierend sind?« Der letzte Satz, kombiniert mit der leichten Röte, die sich auf Lucas Wangen legte, entlockte June ein Lachen. Sie konnte sich zu gut an seine Lobpreisungen vom zurückliegenden Winter erinnern, die weniger mit Wetter und Jahreszeit und viel mehr mit seinem damaligen Crush zu tun hatten.

»Rob und ich haben jedenfalls schon genau überlegt, was wir alles machen wollen!« Ein Lächeln stahl sich auf Junes Lippen, als sie beobachtete, wie Taylors Gesicht bei der Erwähnung ihres Freundes einen verträumten Ausdruck annahm. Mit diesen vor Glück strahlenden blauen Augen und ihren goldblonden Locken sah sie einfach nur wunderschön aus. Es war also keine Überraschung, dass Rob ihr mit Haut und Haaren verfallen war, als er festgestellt hatte, dass hinter diesem engelsgleichen Antlitz auch noch eine echte Powerfrau steckte. Viel verwunderlicher war hingegen, dass Taylor eine ebenso große Besessenheit gegenüber ihrem Freund aufwies. June hatte immer geglaubt, dass Tay genau wie sie eher der zögerliche Typ in Sachen Liebe war. Aber seit sich die beiden Turteltauben im April kennengelernt hatten, waren sie quasi unzertrennlich.

»Ihr fahrt doch bestimmt ins Winter Wonderland und besichtigt dort das neu gestaltete Weihnachtsdorf, oder? Ich hab gehört, es soll unglaublich romantisch sein!«, mischte sich Judy ein. Sie war schon lange mit ihrem Freund Louis zusammen und kannte daher so ziemlich jede date-taugliche Ecke im Großraum Boston. Kein Wunder also, dass sie bei der Aussicht auf etwas »Neues« direkt Feuer und Flamme war und sich für dieses Thema begeistern konnte. So wie augenscheinlich der Rest ihrer Freundesgruppe.

Bevor June auch nur mit der Wimper zucken konnte, entbrannte eine lebhafte Diskussion darüber, welche Orte und Attraktionen man sich dieses Jahr im Dezember auf gar keinen Fall entgehen lassen durfte. Es fielen Vorschläge wie Nachtskilaufen in Pittsfield oder ein romantisches Dinner im Eisschloss in Lincoln und natürlich die üblichen Verdächtigen wie Plätzchenbacken, Weihnachtsfilmesehen, Wohnungdekorieren und Co.

June hielt sich zurück und spielte lieber die stille Beobachterin. Wozu sollte sie sich einmischen, wenn sie nicht plante irgendetwas davon selbst zu verüben? Schließlich waren all diese vermeintlich großartigen Aktionen für Pärchen ausgelegt und verloren im Angesicht ihres eigenen Single-Status einiges an Charme und romantischem Flair. Wer wollte sich schon allein von der Magie einer weißen Weihnacht verzaubern lassen?

Wehmütig lauschte June ihren vor Begeisterung strahlenden Freunden. Für gewöhnlich war sie vollkommen zufrieden damit, ohne einen Partner durchs Leben zu schreiten. Zumal sie sowieso keine Zeit für einen Freund hatte und erst einmal ihr restliches Leben auf die Reihe bekommen sollte. Da gab es schließlich genug Baustellen, die es zu beheben galt. Doch trotz des Wissens, dass sie auf die Komplikationen, die die Liebe für gewöhnlich mit sich brachte, gut verzichten konnte, schlichen sich ab und an Gedanken à la »Was wäre wenn…?« ein. Manchmal war es nun mal schön, davon zu träumen, die bevorstehende, besinnliche Jahreszeit an jemandes Seite zu verbringen. Jemand, der mit ihr die Wohnung schmückte, auf Geschenkejagd ging und sie zu ihrem alljährlichen Familienessen nach Hause begleitete …

»Was meinst du, June?«

»Huh?« Verwirrt blickte June zu Lucas, der sie erwartungsvoll ansah und offensichtlich eine Antwort von ihr verlangte. Allerdings hatte sie keine Ahnung worauf. Anscheinend war ihr ihre Ratlosigkeit deutlich anzusehen, denn Sarah begann die Frage ihres Bruders noch einmal näher zu erläutern.

»Ist dir die Weihnachtszeit zu Hause in San Diego mit Sonne und Palmen lieber oder bevorzugst du die Minusgrade und Schneewehen hier in Boston?«

»Mir ist eigentlich beides recht. Hauptsache, die Zeit geht schnell um und wir können endlich ins neue Jahr starten.« June wusste, dass ihre Worte nicht gerade zum weihnachtlichen Flair beitrugen, aber sie waren wahr. Für June konnte der Januar nicht früh genug kommen.

»Könnte deine Abneigung gegenüber der bevorstehenden Feiertage eventuell damit zusammenhängen, dass du nicht nach Hause möchtest, weil du Angst hast, beim alljährlichen Weihnachtsessen könnten gewisse Themen angesprochen werden?«

Ertappt zuckte June zusammen und wich Sarahs Blicken verlegen aus. Sie hatte mal wieder voll ins Schwarze getroffen.

»June, ich weiß, dass du das nicht hören willst und ich dir damit auf die Nerven gehe. Aber als deine beste Freundin ist es nun mal meine Aufgabe, dich auch an die unliebsamen Dinge im Leben zu erinnern. Und darum sage ich dir hier und jetzt, du musst unbedingt mit deinen Eltern reden, bevor es zu spät ist!« Der eindringliche Tonfall von Sarah ließ keinen Zweifel, wie ernst es war. June schluckte. Wie oft war dieses leidige Thema schon zur Sprache gekommen? Es wunderte sie nicht, dass sich nun auch Taylor in die Unterhaltung, oder besser in die an sie gerichtete Strafpredigt, einmischte.

»Genau. Du musst dir endlich einen Ruck geben und ihnen beichten, dass du nicht planst die langjährige Familientradition als juristisches Genie fortzusetzen und stattdessen Journalismus an der Columbia studieren möchtest.«

»Und wenn du schon mal dabei bist, kannst du auch gleich erwähnen, dass du den nächsten Sommer in Südamerika verbringen willst, statt deiner Mom bei ihrer Gala zu helfen. Direkt nachdem du dich von ihrem spießigen Klamottengeschmack losgesagt hast.«

June verzog das Gesicht und wich Sarahs herausforderndem Blick aus, der sie zu durchbohren schien. Sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss. Ein deutliches Indiz dafür, wie unwohl sie sich während dieses kleinen Kreuzverhörs fühlte.

»Das werde ich auch! Irgendwann … Ich brauche nur noch etwas Zeit, um mir einen vernünftigen Schlachtplan zu überlegen.«

Sarahs unerbittlicher Miene nach zu urteilen stieß Junes zugegeben nicht sehr originelles Argument auf taube Ohren. »Dasselbe hast du uns schon letztes Thanksgiving erzählt. Wie lange willst du denn noch an deinem ›Plan‹ basteln? Und wie willst du unser letztes Semester hier in Harvard genießen, wenn du dir ständig Sorgen machst, dass deine Geheimnisse ans Licht kommen könnten?«

Sarah hatte recht. Natürlich hatte sie recht. Aber diese Gewissheit änderte nun mal nichts daran, dass June einfach nicht wusste, was sie … Selbst jetzt streikte ihr Kopf. Er war wie leer gefegt. Sie konnte sich noch nicht einmal vorstellen, was sie ihren Eltern sagen wollte. Wie sollte sie dann jemals dieses Gespräch führen, wenn sie ihnen tatsächlich gegenüberstand?

»Ich kann dir ansehen, dass du mir zwar insgeheim zustimmst, aber trotzdem nichts tun wirst. Jedenfalls nicht von allein. Das heißt –«

Bevor Sarah ihren Gedanken zu Ende führen konnte, fiel Taylor ihr ins Wort. »Das heißt, dass wir dir am besten ein bisschen auf die Sprünge helfen!«

June warf der quirligen Blondine einen zweifelnden Blick zu. »Was genau schlägst du vor? Willst du etwa mit meinen Eltern über meine Zukunft sprechen? Falls ja, tu dir keinen Zwang an. Warte nur bitte, bis ich mich irgendwo nach Übersee abgesetzt habe.«

Das Grinsen, das Taylors Gesicht trotz Junes leicht spöttischen Tonfalls zierte, ließ nichts Gutes erahnen. »Natürlich nicht! Ich würde mich niemals in dein von dir völlig verkompliziertes Familienleben einmischen! Ich dachte eher daran, dass wir dir bei deiner anderen großen Baustelle etwas unter die Arme greifen: der Liebe. Zu zweit lässt es sich nämlich viel einfacher durchs Leben gehen, weißt du? So ein kleines Techtelmechtel würde bestimmt auch deinem Geist der Weihnacht neues Leben einhauchen.«

Im selben Moment, in dem June ein protestierendes »Nein!« ausstieß, erklang um sie herum ein mehrfaches, freudiges »Ja!«. Na toll. Danke, Taylor!

»Ich kann Tay nur zustimmen! Ein Freund würde dir definitiv guttun.« Zu Junes Leidwesen sprang Sarah sofort auf Taylors völlig verrückten Zug auf. Eigentlich war das nicht verwunderlich, schließlich hatte sie schon öfter versucht sie an den Mann zu bringen. Das aufgeregte Funkeln, das in diesem Moment in ihren dunklen Augen aufblitzte, ließ June keinen Zweifel daran, dass sie sich innerhalb der nächsten Sekunde mit Haut und Haaren dem Projekt »Findet June den perfekten Partner« verschreiben würde.

»Ich freue mich sehr, dass euch allen so viel an meinem Liebesleben liegt, aber ich denke, in Sachen Partnerwahl sollte dann doch lieber ich das letzte Wort haben.«

»Aber, Juny, wäre es nicht einfach nur traumhaft, wenn wir dieses Jahr zusammen zum Winterball an der Uni gehen könnten und jede von uns ein Date hätte?«

June ließ sich nicht von Taylors herzzerreißendem Blick, dem perfekten Schmollmund und dem wehleidigen Klang in der Stimme beirren. »Fast so traumhaft, wie den Abend mit einem guten Buch gemütlich auf der Couch zu verbringen.«

»Wo könnte man wohl am besten jemanden für June finden, der ihren übertriebenen Ansprüchen gerecht wird?«, mischte jetzt auch Judy sich in das Gespräch ein.

»Hm … Mal überlegen. Am besten stellen wir eine Liste zusammen und tragen alle ihre Vorlieben ein. Dann können wir in der Uni die Augen offen halten und mit etwas Glück finden wir ein geeignetes Exemplar.«

»Warum meldet ihr sie nicht gleich bei dem diesjährigen Weihnachts-Datingprojekt an?« Sämtliche Köpfe im Raum fuhren zu Lucas herum. In der darauffolgenden Stille hätte man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören können. Angespannt blickte June zwischen ihren Freunden hin und her. Ihr Gesicht war wohl das einzige, das statt Begeisterung Verwirrung widerspiegelte. Von welchem Projekt sprach Lucas da?

»Das … das ist es! Das ist eine geniale Idee! Du bist der Beste, Luc!«

Kopfschüttelnd und mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Magengegend beobachtete June, wie Sarah aufsprang, Lucas breit angrinste und ihm stürmisch um den Hals fiel. In all den Jahren, die sie ihre beste Freundin jetzt kannte, hatte June selten erlebt, dass sie ihrem älteren Bruder in einer Sache so beherzt zustimmte wie in dieser. Unter anderen Umständen würde die dargebotene Zuneigung vermutlich ihr Herz erwärmen. So allerdings bewegte sie June nur dazu, beide gleichermaßen strafend anzublicken. Was immer die zwei ausheckten, sie wollte auf keinen Fall auf der Empfängerseite dieses Schlachtplans stehen.

Bevor June ihren Protest jedoch verbal zum Ausdruck bringen konnte, hatte Sarah sich den Armen ihres Zwillings wieder entledigt und stürmte mit großen Schritten zu ihrer Handtasche, die bis dato achtlos an ihrer Stuhllehne gebaumelt hatte. Nach einigen Sekunden hektischen Herumwühlens zauberte sie ihr Handy aus den Tiefen des Ungetüms hervor und begann grinsend darauf herumzudrücken.

»Ich schreibe Abby direkt mal, dass du bei ihrem Projekt mitmachen willst.« Der beinahe schon euphorische Tonfall von Sarah gefiel ihr gar nicht.

»Wer ist Abby, was für ein Projekt soll das sein und was habe ich damit zu tun?«, rasselte June ein paar der ihrer Meinung nach nicht unerheblichen Fragen hinunter.

»Sie ist eine Kommilitonin aus meinem Metadatenkurs, von dem ich dir schon oft erzählt habe und an dem du so null Interesse hast. Und was noch viel wichtiger ist: Sie ist die Mitentwicklerin des Dating-Adventskalenders.« Bei dem Beifall heischenden Blick, mit dem Sarah sie bedachte, könnte man meinen, sie hätte gerade verkündet, dass sie sich ein Klassenzimmer mit den Sprösslingen der Queen teilte. Und dafür sorgen würde, dass June zum nächsten Prinzenball eingeladen werden würde. Allerdings zweifelte sie daran, dass das der Kern von Sarahs Worten gewesen war.

»Des was?«, fragte sie deshalb sicherheitshalber noch einmal nach.

»Des Dating-Adventskalenders.« June sah ihre beste Freundin abwartend an. Da musste doch mehr kommen. Oder gehörte es zum Allgemeinwissen, dass man von Abby und diesem komischen Dating-Ding wusste? Anscheinend ja, wenn sie die ungläubigen Mienen ihrer Freunde richtig deutete.

»Du willst mir jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du nichts von dem Datingprojekt mitbekommen hast, das letztes Jahr im Dezember stattgefunden hat?«

»Ähm … Nein. Ich kann mich an nichts dergleichen erinnern. Ich war zu der Zeit viel zu sehr mit meinen Hausarbeiten beschäftigt.« Wie die anderen es eigentlich ebenfalls hätten sein müssen. Wie kam es also, dass June die Einzige war, die absolut keine Ahnung hatte, worum es hier ging?

»Ich auch. Trotzdem konnte das einem doch nicht entgehen. Jeder – und ich meine JEDER – hat davon geredet. Die Kurzfassung ist: Jeder Teilnehmer bekommt ein Date zugeteilt und muss gemeinsam mit diesem verschiedene Aufgaben erfüllen und am Ende zum Winterball gehen.«

Das war’s? Es ging um ein paar Blind-Date-Aufgaben? Und deshalb sah man sie gerade an, als hätte sie bis zu diesem Moment nicht gewusst, dass die Erde rund ist? O Mann. Der ein oder andere ihrer Clique sollte sich dringend nach neuen Hobbys umsehen. »Das klingt ja …«

»Fantastisch!«, beendete Taylor Junes Satz. Das war nicht unbedingt das Wort, was sie an dieser Stelle gewählt hätte. Ihr schwebte da eher so etwas vor wie grauenvoll, furchtbar, völlig bescheuert oder absolut katastrophal.

»Ein Freund von mir hat da mitgemacht. Anfangs war er auch ziemlich skeptisch, aber am Ende hat es sich gelohnt. Er ist damals mit Alex gematcht worden und die beiden sind immer noch ein Paar.«

Genervt sah June zu Lucas herüber. War ja mal wieder klar, dass er in sämtlichen Klatsch und Tratsch involviert war und sogar Bekannte im Mittelpunkt des Geschehens hatte.

»Das ist ja alles schön und gut, doch warum sollte ausgerechnet ich dabei mitmachen?« Das war in Junes Augen eine durchaus berechtigte Frage. Schließlich standen hier vier weitere Personen im Raum, die allesamt interessierter an diesem Quatsch waren, als sie es je sein würde.

»Weil du kein Weihnachtsdate hast.«

»Weil du von allein nie jemanden ansprichst.«

»Weil du dringend etwas Ablenkung gebrauchen könntest.«

»Weil du von uns momentan der einzig wirkliche Single bist und deshalb in unserem Namen antreten und uns Bericht erstatten musst.«

»Weil die verschiedenen Aufgaben mit Sicherheit unfassbar lustig werden.«

Ein endlos langer Strom an mehr oder weniger sinnvollen Begründungen prasselte von allen Seiten auf June herein, bis sie kaum noch unterscheiden konnte, welche Worte wessen Mund verlassen hatten. Wow. Sah so aus, als meinten die anderen es tatsächlich ernst. Glaubten sie wirklich, dass sie bei diesem Datingkram mitmachte? Mitten in ihrer Prüfungszeit? Waren die alle verrückt geworden? Nein. Ihre Freunde konnten noch so gute Argumente vorbringen und sie mit Dackelaugen anblicken, sie würde nicht freiwillig einwilligen.

2

Mit einem Stöhnen, dem ein dezenter Anflug von Kopfschmerzen zu Grunde lag, rollte sich June aus ihrem Bett und stolperte in Richtung Bad. Die Nacht war mal wieder viel zu kurz gewesen und sie bereute es, Sarahs Angebot, bei ihr im Gästezimmer zu schlafen, nicht angenommen zu haben. Allerdings hatte June befürchtet, dass ihre beste Freundin die Chance am Morgen nutzen würde, um sie noch weiter mit diesem unmöglichen Datingprojekt auf die Palme zu bringen. Was hatte sich Lucas nur dabei gedacht, diesen Quatsch vorzuschlagen? Und viel wichtiger: Warum war sie so dämlich gewesen sich zu der Teilnahme überreden zu lassen? Es war doch klar, dass solch ein Experiment zum Scheitern verurteilt war. Weshalb mussten ihre Freunde auch immer direkt Nägel mit Köpfen machen? Hätten diese nicht bereits sämtliche überteuerten Gebühren des Projektes bezahlt, könnte June einfach alle weiteren auf das Datingprojekt bezogenen Nachrichten ignorieren und ihr gewöhnliches weihnachtliches Einsiedlerleben führen. So fühlte sie sich allerdings dazu verpflichtet, daran teilzunehmen.

June bedachte sich selbst über ihren Badezimmerspiegel mit einem frustrierten Blick, während sie versuchte ihre langen braunen Locken mit Hilfe eines Kamms zu entwirren. Das Projekt konnte doch gar nicht gut gehen. Sie hatte A) nicht die Zeit für solch ein abendfüllendes Programm und B) nicht die Geduld, irgendeinen dahergelaufenen Trottel für die nächsten Wochen täglich zu entertainen. Denn dass es sich bei ihrem zugeteilten Date definitiv nicht um Mister Right handelte, davon ging sie einfach aus. Schließlich war ihr »der Eine« in den letzten Jahren nicht über die Füße gestolpert, warum sollte er es also ausgerechnet jetzt tun? An so etwas wie einen Dating-Algorithmus glaubte sie jedenfalls nicht. Auch wenn sie zugeben musste, dass die vielen Erfolgsstorys, von denen ihre Freunde ihr gestern noch berichtet hatten, sie kurzzeitig zum Träumen verleitet hatten.

All die herrlich süßen Cocktails und der prickelnde Prosecco, den sie sich gegönnt hatte, hatten ihren Teil dazu beigetragen, dass die Vorstellung, die kommenden kalten Tage an der Seite oder besser noch in den Armen eines netten Kerls zu verbringen, durchaus verlockend gewesen war. So verlockend, dass sie diesem blöden Plan in einem Anflug von Wahnsinn zugestimmt hatte. Die Begeisterung von Sarah, Lucas, Taylor und Judy hatte sich irgendwie auf sie übertragen und für einen Moment ihren gesunden Menschenverstand außer Gefecht gesetzt. Eine Entscheidung, die sie jetzt, im harschen Morgenlicht, das durch das Fenster fiel und ihr ihre waschbärartigen Augenringe unter die Nase rieb, bitterlich bereute.

June seufzte theatralisch, musste dann jedoch grinsen. Sie sah mal wieder besonders gelungen aus. Ihre Haare zeigten sich von ihrer widerspenstigsten Seite und standen in alle Richtungen ab. Ihre Haut war vom Schlaf zerknittert und gerötet und ihr Gesicht zierte die letzten Reste ihres gestern nur notdürftig entfernten Make-ups. Was ihr zukünftiges Date wohl sagen würde, wenn er sie jetzt zu Gesicht bekommen würde? Vermutlich würde er schreiend davonlaufen und sich bei den Organisatoren beschweren, dass man ihm eine Verrückte zugeteilt hatte.

Einen kurzen Moment spielte June mit dem Gedanken, ein Selfie zu machen und ebendieses als Bild für den Datingkalender einzureichen. Es wäre sicher lustig, die Reaktionen der anderen darauf zu sehen. Normalerweise wurde sie sehr oft aufgrund ihres Aussehens angesprochen, da sie mit ihren hellgrauen Augen, einem herzförmigen Gesicht und dem zierlichen Körperbau wirklich gesegnet war. Es wäre also sehr erfrischend, wenn ein Kerl es ausnahmsweise mal auf ihre inneren Werte abgesehen hätte.

Allerdings befürchtete June, dass ihr Foto eventuell eine Rolle bei der Zuteilung ihres Mister Rights spielen könnte, und sie wollte nicht wissen, welcher Student an der Uni das perfekte Match für ihren »Samara-Look« abgeben würde. Jemand, dem der Anblick des gruseligen Mädchens von »The Ring« keinen Schauder über den Rücken jagte, musste schon verdammt abgeklärt sein. Nein, wenn June die nächsten Wochen schon an jemanden gekettet war, dann würde sie es bevorzugen, dass es sich dabei nicht um irgendeinen zwielichtigen Typen handelte.

Von diesem Gedanken angetrieben beschloss June den Versuch, sich für die Außenwelt ansehnlich zu gestalten, erst einmal auf Eis zu legen und sich stattdessen ihrem neu erstandenen »Liebesleben« zu widmen. Mit Sicherheit wartete die gestern von dieser Abby angekündigte E-Mail bereits in ihrem Postfach und wollte beantwortet werden. Da konnte sie das Unvermeidliche auch direkt hinter sich bringen.

June warf sich einen letzten halb amüsierten, halb gequälten Blick im Spiegel zu, bevor sie mit vor Müdigkeit hängenden Schultern in Richtung Küche schlurfte. Wenn sie den vor ihr liegenden Tag überstehen wollte, brauchte sie erst einmal eine ordentliche Dosis Koffein.

Mit geübten Griffen aktivierte June ihre kleine pinke Kaffeemaschine und ließ den Blick durch die gemütliche Wohnküche gleiten, während die Technik ihre Wunder vollbrachte und langsam den Raum mit einem ihre Lebensgeister erweckenden Aroma erfüllte. An diesem Morgen war sie wieder einmal unendlich froh, dass sie zum Ende des letzten Semesters den Schritt gewagt hatte, ihr Zimmer im Studentenwohnheim aufzugeben und sich stattdessen ihre eigenen vier Wände zu suchen. Auch wenn sie in der kleinen Wohnung kaum mehr Platz hatte als zuvor, genoss sie die Ruhe und die Freiheit, die das Apartment mit sich brachten. Sie fühlte sich wohl in diesem Reich, bestehend aus Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche und Bad. Natürlich hätte sie es Sarah und Lucas gleichtun und sich eines der Luxusapartments in Beacon Hill mieten oder kaufen können. Allerdings hatte June keinen Sinn darin gesehen, in ihrem letzten Jahr in Boston so viel Geld für eine Unterkunft auszugeben. Nicht wenn sie bereits wusste, dass sie bald wieder umziehen würde. Zumindest hoffte sie darauf. Erst mal musste sie natürlich ihren Eltern beichten, dass sie nicht vorhatte ihren Master in Harvard zu machen. Denn auch wenn diese Uni mit unzähligen Privilegien lockte und sie sich auf dem Campus durchaus wohlfühlte, war all das unbedeutend, solange ihr Traumstudiengang hier nicht angeboten wurde.

June hatte in den letzten Jahren immer öfter gemerkt, dass sie sich weniger mit Worten als Jurist vor einem Gericht duellieren, sondern diese lieber aufs Papier bringen wollte. Ihr Herz schlug für das Schreiben. Genauer gesagt für den investigativen Journalismus. In diesem Bereich wurden all ihre Vorlieben vereint: Sie konnte ihr beachtliches Allgemeinwissen und ihr Interesse an Politik und Kulturen einbringen – und nebenbei auch noch etwas Gutes bewirken. Selbst in ihren Gedanken klang das beinahe zu schön, um wahr zu sein.

Das leise Piepsen der Kaffeekanne lenkte June von ihren Tagträumen ab. Sie befüllte sich eine ihrer hübschen zartrosa Tassen mit dem Heißgetränk und ließ sich damit am Küchentisch nieder, bevor sie nach ihrem Laptop angelte. Dann wollte sie doch mal sehen, was für ominöse Formulare sie für diesen Datingquatsch ausfüllen sollte.

Es dauerte eine Weile, bis June die richtige E-Mail in ihrem Postfach fand. Das lag zum einen daran, dass sie noch etwas müde und unkonzentriert war. Zum anderen hatte sie die Betreffzeile der Nachricht nach dem ersten Lesen automatisch als Spam abgestempelt.

Lass dich von den Schwingen der Liebe in Richtung deines Glückes tragen.

Wer bitte schön schrieb so etwas und meinte es noch dazu ernst? Je länger June auf diese übertrieben kitschigen Worte starrte, bei denen sich ihr Schriftsteller-Herz schmerzhaft zusammenzog, desto mehr kam ihr der Verdacht, dass sie einem bösen Scherz zum Opfer gefallen war. Wofür genau hatten Sarah und die anderen sie bitte angemeldet? Gestern hatte es noch so geklungen, als würde es sich um ein halbwegs seriöses Datingprojekt mit psychologischem Hintergrund handeln. Aber nun kamen ihr Zweifel, ob sie da etwas falsch verstanden hatte. Oder absichtlich aufs Glatteis geführt worden war.

Mit einem unguten Gefühl klickte June die ihr fröhlich vom Bildschirm entgegenblinkende E-Mail an und wappnete sich innerlich für den nächsten Affront in Form von schlechter Poesie.

Herzlich willkommen zu unserem diesjährigen Weihnachts-Datingprojekt.

Wenn du diese Zeilen liest, bedeutet es, dass du bereit bist dich auf das Abenteuer Liebe einzulassen und als aktiver Teilnehmer den kommenden Aufgaben und Challenges zu stellen. Wir freuen uns über das rege Interesse und können es, genau wie du, kaum erwarten, bis der Dezember beginnt und dich mit großen Schritten deinem persönlichen Happy End näher bringt.

Um die Teilnahme so einfach wie möglich zu gestalten, haben wir uns etwas ganz Besonderes überlegt. Dieses Jahr wird alles, was mit dem Projekt zu tun hat, über das speziell dafür entwickelte Datingportal Love Happens stattfinden. Dort findest du deine täglichen Aufgaben, Tipps und Tricks, die Teilnahmeregeln und natürlich sämtliche wichtige Informationen, die du über dein Date wissen solltest.

Es wird zwei Sektionen geben. Einmal deine ganz Persönliche, den My-Heart-Bereich, auf den nur du allein Zugriff hast. Dort kannst du die Ergebnisse der verschiedenen Challenges eintragen, dir Notizen machen und dir deine täglichen Aufgaben ansehen.

Der öffentliche Bereich, Your Heart, dient zur Kommunikation mit anderen, zum Austausch von Erfahrungen und Bildern und ist auch für Nicht-Teilnehmer zugänglich. Nähere Informationen bezüglich der Gastaccounts und wie deine Freunde und Bekannte sich einen solchen anlegen können, findest du auf der Startseite von Your Heart.

June stutzte. Dafür, dass sie angeblich alles so simpel wie möglich halten wollten, klang das ziemlich kompliziert. Hatte Lucas gestern nicht gesagt, man würde täglich einfach eine E-Mail bekommen?

Wir bitten dich nun dem untenstehenden Link zu folgen und dich auf der Website mit den beigefügten Zugangsdaten zu registrieren. Sobald du deine Anmeldung bestätigt hast, kannst du loslegen und nach Herzenslust dein Profil ausfüllen und gestalten. Anhand deiner Angaben wird der Algorithmus sich auf die Partnersuche für dich machen. Das Ergebnis bekommst du mit Beginn des Datingprojektes am ersten Dezember zugeteilt.

Wir wünschen dir viel Spaß bei deinen Erkundungen von Love Happens! Möge dein Herz frohlocken und die Sonne dir deinen Weg zum Glück erhellen!

PS: Eine Sache noch. Tu dir selbst einen Gefallen und beantworte sämtliche Fragen offen und ehrlich. Nur wer bereit ist sein Herz zu öffnen und andere in die Tiefen seiner Seele blicken zu lassen, kann auch wahre Liebe finden.

Entgeistert starrte June auf den Text, der sie spöttisch von ihrem Bildschirm aus anblinkte. Nicht nur, dass die kitschige Note in diesem ebenfalls unübersehbar war, nein. Was sie weit mehr entsetzte, war die Tatsache, dass man von ihr erwartete sich bei einem öffentlichen Datingportal anzumelden. Auf das auch noch jeder x-beliebige Mensch Zugang haben würde. Nicht auszudenken, wenn sich die Info über die Gastaccounts in ihrem Freundeskreis herumsprach. Es würde keine zwei Stunden dauern und jede Person, die in ihrem Leben auch nur irgendeine Rolle spielte, würde sich dort anmelden und sämtliche ihrer dämlichen Datingversuche mit Argusaugen verfolgen. June konnte sich das ganze Drama leider nur zu gut vorstellen. Es hatte einen Grund, warum sie ungern etwas auf Social Media postete. Irgendwie fand jeder noch so harmlose Beitrag seinen Weg in ihr Elternhaus.

Was ihre Mutter wohl sagen würde, sobald sie erfuhr, dass June zugestimmt hatte einen wildfremden Kerl zu daten? Vermutlich würde sie seufzen und den Kopf schütteln und ihr wieder einmal die endlosen Vorzüge von William Mallory aufzählen, den Sohn eines langjährigen Familienfreundes und nicht so geheimer Schwiegersohn-Kandidat ihrer Mom. June hatte den Überblick verloren, wie oft sie schon mehr oder minder beiläufig erwähnt hat, dass sie in ihrem Freund aus Kindertagen niemals etwas anderes als einen Bekannten sehen würde. Zumal Will, Pardon, William – er bestand seit Neuestem darauf, dass man ihn mit seinem vollen Namen ansprach –, sich nicht unbedingt zum Positiven entwickelt hatte. Für Junes Geschmack war er ein bisschen zu sehr an seinem Äußeren und zu wenig an seinem allgemeinen Umfeld interessiert. An dieser Wahrnehmung konnten auch die beschönigenden Worte ihrer Mutter nichts ändern.

Zum Glück hatte zumindest ihr Vater schon lange erkannt, dass es in Hinblick auf Will und June niemals ein Happy End geben würde, und hielt sich weitestgehend aus ihrem Liebesleben heraus. Nicht dass es an der Front irgendetwas gab, wo irgendeiner mitreden könnte. Ihre letzte Beziehung war schließlich schon Ewigkeiten her und die wenigen Dates, auf die sich June eingelassen hatte, waren frustrierenderweise innerhalb kürzester Zeit im Sande verlaufen. Etwas hatte immer gefehlt, um den Funken überspringen zu lassen.

Gedankenverloren ließ June ihren Blick noch ein weiteres Mal über die erste E-Mail des Datingprojektes wandern. Wie dieses Portal wohl aufgebaut war? Sie hoffte inständig, dass der private Bereich wirklich so privat war, wie er in der Nachricht angepriesen wurde. Außerdem wäre es ihr lieb, wenn das Posten von Beiträgen auf dieser Your-Heart-Seite auf freiwilliger Basis beruhte. Die Vorstellung, dass Gott und die Welt mitbekam, wie sie ihre Dateaufgaben erfüllte, behagte ihr gar nicht. Das einzig Positive an diesem Desaster war, dass es sich tatsächlich um ein offizielles Uniprojekt handelte, für welches die Organisatoren sogar Credit Points bekamen. Es konnte also eigentlich nicht so furchtbar werden – oder?

Der letzte Gedanke beruhigte June etwas und sie beschloss den Link zu aktivieren und das Portal, das in den kommenden Wochen ihre Aufmerksamkeit verlangen würde, näher unter die Lupe zu nehmen. Es brachte schließlich nichts, sich alles Mögliche auszumalen, wenn sie genauso gut einfach nachschauen und sich Gewissheit verschaffen konnte.

Wenige Klicks später hatte June die Startseite aufgerufen, die in der E-Mail beigefügten Daten eingegeben und den darauffolgenden Anmeldelink bestätigt. Mit einem leicht mulmigen Gefühl öffnete sie erneut die Seite des Datingportals, das ihr diesmal den vollen Zugang gewährte. Eine Tatsache, über die sich June nur halbherzig freute. Schon die Aufmachung der Website war in ihren Augen alles andere als ansprechend. Das durch und durch in Pink gehaltene Design verursachte Kopfschmerzen, wenn man zu lange auf ein und dieselbe Stelle starrte, und sämtliche Überschriften waren mit kitschigen Verschnörkelungen verziert. Es sah aus, als hätte jemand versucht jedwede nur erdenklichen »romantischen« Klischees auf einmal zu erfüllen. Und war daran gnadenlos gescheitert.

June beschloss sich zunächst mit dem My-Heart-Bereich vertraut zu machen. Da sie plante ihre Beteiligung auf dem Portal so privat wie möglich zu halten, würde sie den öffentlichen Teil nur nutzen, wenn ihr keine andere Wahl blieb.

Der erste auswählbare Menüpunkt versteckte sich hinter dem zweifelhaften Titel My Heart Beats. Zögerlich klickte June auf den Button. Sie war sich nicht sicher, ob sie herausfinden wollte, wofür ihr Herz angeblich schlagen sollte. Zu ihrer Erleichterung verbarg sich dahinter jedoch keine Ansammlung fragwürdiger Liebesvorzüge, sondern lediglich ihr persönliches Profil, das sie laut einer kleinen aufblinkenden Nachricht ausfüllen sollte. Sie zögerte nicht lange und machte sich direkt ans Werk. Sie wollte die ganze Prozedur möglichst schnell hinter sich bringen, damit sie es sich danach für den Rest des Tages gemütlich machen konnte.

June gab all die erwünschten oberflächlichen Informationen über Aussehen, Alter und dergleichen an. Diese auszufüllen fiel ihr nicht schwer, da es die gleichen nullachtfünfzehn Fragen waren, mit denen sie in ihrem Leben schon Dutzende Male konfrontiert worden war. Angefangen bei Freundesbüchern im Kindergarten über den ersten Antrag ihres Reisepasses bis hin zu diversen Social-Media-Accounts.

Deutlich problematischer wurde es, als sie sich plötzlich einer Schar äußerst persönlicher Fragen gegenübersah. June konnte über viele davon nur fassungslos den Kopf schütteln. Warum wollten sie bitte Sachen wissen wie: »Das Essen, das du am wenigsten magst« oder »Diese Sache bereust du in deinem Leben am meisten« oder »Hast du schon einmal den Freund einer Freundin geküsst?«. Sollten sie sich nicht viel lieber nach ihren Hobbys oder Lieblingsfilmen erkunden?

Mit einem mulmigen Gefühl und immer stärker klopfendem Herzen arbeitete sich June Stück für Stück durch den stetig intimer werdenden Fragebogen. Mehr als einmal war sie kurz davor, einfach etwas zu erfinden, da die ein oder andere Wahrheit zu den Dingen gehörte, die sie sich geschworen hatte mit ins Grab zu nehmen. Allein die Tatsache, dass in der Start-E-Mail explizit darauf hingewiesen worden war, dass man »offen und ehrlich« sein sollte, konnte June überhaupt nur dazu verleiten, all diese eher unschönen Wahrheiten über sich preiszugeben. Hoffentlich erfüllten die Antworten wenigstens ihren Zweck und bescherten ihr ein nettes Date. Ansonsten wäre diese Aktion ein ziemlicher Reinfall.

Es dauerte über eine halbe Stunde, bis sich das Datingportal endlich zufrieden zeigte und keine weiteren Fragen mehr aus June herauszuquetschen versuchte. Nervös, aber auch erleichtert, dass diese Tortur ein Ende nahm, drückte sie auf Absenden.

Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, was als Nächstes passieren würde. Innerlich betete sie, dass die belastenden Informationen nun nicht dauerhaft auf ihrem Profil zu sehen waren. Es wäre vermutlich nicht besonders zuträglich für ihr Nervenkostüm, wenn sie tagtäglich von ihrem schlechten Gewissen in Form von unliebsamen Wahrheiten angestarrt werden würde. Sie hatte schließlich schon genug damit zu kämpfen, dass sie ihre Zukunftspläne vor ihren Eltern geheim halten musste.

June fiel eine ganze Lawine vom Herzen, als sie nach dem Aktualisieren ihres Profils feststellte, dass nur wenige harmlose Fakten über sie zu lesen waren. Augen- und Haarfarbe durften gerne angezeigt werden. Schließlich konnte man diese ja sowieso auf ihrem Bild erkennen, das sie hatte hochladen müssen.

June beschloss ohne Verschnaufpause weiterzumachen und das Drama schnellstmöglich zu beenden. Sie konnte ein verlockendes Schaumbad in ihrem Geiste nach ihr rufen hören und war nur zu gewillt dieser Stimme Folge zu leisten.

Dann wollte sie doch mal den Rest unter die Lupe nehmen. My Heart Desires. Hinter diesem Menüpunkt verbarg sich der Fragebogen, den sie über Vorstellungen bezüglich ihres Traumtypen ausfüllen sollte. Dieser Teil bereitete ihr wesentlich mehr Spaß. Wem gefiel es nicht, sich den perfekten Prinzen zusammenzubasteln? Auch wenn es nur auf dem Papier war.

My Heart Remebers. Ein in Junes Augen unspektakulärer Notizblock, auf dem sie wohl später einmal ihre Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen konnte, um sich bis in alle Ewigkeiten an dieses Herzensprojekt zu erinnern. Mit anderen Worten: ein Bereich, den sie nach heute vermutlich nie wieder besuchen würde.

My Heart Knows. Hm … June konnte erst mal keinen Unterschied zum Vorgänger erkennen. Vielleicht würde sie später noch herausfinden, wozu dieser Punkt gut war.

My Heart Gives. Das war eine Art Chatroom, der hauptsächlich durch sein extrem grelles Design auffiel. Da würde es eine wahre Freude sein, mit anderen zu kommunizieren.

My Heart Takes. Das offensichtliche Gegenstück zu My Heart Gives. Wobei es sich hier eher um ein E-Mail-Postfach handeln dürfte. Ob sie in diesem Bereich die Nachrichten mit ihren täglichen Aufgaben bekommen würde? Das würde zumindest am meisten Sinn machen.

My Heart Rules. June hatte schon eine Vermutung, was sich dahinter verbergen mochte. Und tatsächlich. Ein schneller Klick bewies, dass sie mit ihrer Annahme richtig lag. Vom Bildschirm aus blinkten ihr nämlich sechs Regeln entgegen, deren zartrosa mit roten Herzchen verzierter Hintergrund eindeutig von dem fragwürdigen Inhalt ablenken sollte.

Regel Nr. 1: Jeder bestätigte Teilnehmer ist dazu verpflichtet, dem Projekt bis zum Ende beizuwohnen. Ein vorzeitiges Ausscheiden ist nicht möglich.

Regel Nr. 2: Der Teilnehmer verpflichtet sich nichts über die ihm offenbarten Informationen seines Partners an Dritte weiterzugeben.

Regel Nr. 3: Der Teilnehmer verpflichtet sich die Identität seines zum Abschluss ausgewählten Partners bis zum gemeinsamen Auftritt auf dem Winterball am 23.12. unter keinen Umständen preiszugeben.

Regel Nr. 4: Der Teilnehmer verpflichtet sich alle von ihm verlangten Aufgaben und Challenges ordnungsgemäß und nach Anweisung zu erfüllen.

Regel Nr. 5: Der Teilnehmer bestätigt mit seiner Teilnahme, dass er während des gesamten Andauerns des Weihnachtsprojektes von romantischen Treffen mit Personen, bei denen es sich nicht um ausgewählte Partner handelt, absehen wird.

Regel Nr. 6: Der Teilnehmer akzeptiert mit seiner Teilnahme, dass für eventuell entstehende finanzielle sowie emotionale Folgen nicht die Ausführer des Programmes zur Rechenschaft gezogen werden können.

Kopfschüttelnd starrte June auf die ihr vom Bildschirm entgegenblinkenden Worte. Hatte sie vorher schon befürchtet, dass dieses Datingprojekt einem Pakt mit dem Teufel glich, so hatte sie nun den Beweis vor Augen. Worauf hatte sie sich da bitte eingelassen? »Finanzielle sowie emotionale Folgen …« Was dachten die Organisatoren bitte, was in den nächsten drei Wochen geschehen würde? Dass sie sich unsterblich verlieben und ihr Leben nach Ablauf des Projektes für immer verändert sein würde? Mit Sicherheit nicht. Die einzigen Folgen, mit denen June würde kämpfen müssen, waren die Sticheleien ihrer Freunde, wenn sie sie über missglückte Dates aufzogen.

Na ja, ein Gutes hatte diese ganze Sache: Sie würde in den kommenden Wochen so davon abgelenkt sein, ihr Prüfungs- und »Liebesleben« unter einen Hut zu bekommen, dass sie keine Zeit mehr haben würde, sich um Dinge wie ihre in den Sternen stehenden Zukunft Gedanken zu machen.

***

Mit vorsichtigen Schritten bahnte June sich einen Weg durch die überlaufene Cafeteria, immer darauf bedacht, ihr prall gefülltes Tablett in einer horizontalen Position zu halten. Sie hatte sich nicht entscheiden können, auf welche der angebotenen Köstlichkeiten sie Appetit hatte, und kurzerhand beschlossen einfach von allem etwas zu nehmen. Sie machte sich keine Sorgen darüber, dass Essen übrig bleiben könnte, da Sarah und Taylor wieder mitten in ihrer jährlichen Vorweihnachtsdiät steckten. Sicherlich hatten die beiden nichts weiter als ein paar traurige Blätter Salat auf ihre Teller gehäuft. Somit würden sie sich mit Freuden auf ihre Reste stürzen, da diese ihnen die perfekte Ausrede lieferten, doch etwas mehr als eine Karotte pro Tag zu sich zu nehmen. Schließlich wollte man nichts verschwenden.

Junes Freundinnen waren der Ansicht, dass sie ihre ohnehin schon schlanken Körper für die anstehenden Feiertage in Form bringen mussten. Sie selbst hielt von solcherlei Maßnahmen nicht viel und weigerte sich rigoros sich diesem Unterfangen anzuschließen. Es reichte ihr schon, dass ihre Mutter ein wahrer Anhänger der gesunden Küche war und sie über die Ferien zu Hause vermutlich wieder einmal sämtliche ihrer neuen kalorienarmen Gerichte über sich ergehen lassen musste. In ihrem Elternhaus würde sie also höchstwahrscheinlich nicht in den Genuss von all den herrlichen Weihnachtssüßigkeiten kommen. Daher plante sie die morgen beginnende Adventszeit bis zu ihrem Rückflug nach San Diego zu genießen – mit allen Köstlichkeiten, die dazugehörten.

June ließ sich mit einem erleichterten Seufzen auf ihren Stammplatz neben Sarah fallen. Sie hatte es tatsächlich geschafft, auf ihrem Weg zu ihrem Lieblingstisch am Rande der Cafeteria nichts zu verschütten.

»Was hast du vor?« Sarahs halb schockierte, halb irritierte Stimme verriet ihr, auch ohne hinzusehen, dass ihre Freundin die Essenstürme auf ihrem Tablett bereits bemerkt hatte.

»Was meinst du?« Gespielt unschuldig griff June nach ihrer Gabel und pikste sich eine Tortellini auf, bevor sie diese mit genießerischer Vorfreude zu ihrem Mund führte.

»Planst du demnächst den Winterschlaf anzutreten oder warum hast du diese Unmengen an Essen gekauft?«

»Du bist nur neidisch«, gab June mit wenig damenhaftem, vollem Mund zurück. Oh, wenn ihre Mutter sie jetzt so sehen könnte, würde sie bei diesen äußerst fragwürdigen Tischmanieren vermutlich in Tränen ausbrechen.

»Das stimmt allerdings.« Untermalt von einem theatralischen Seufzen hob Sarah mit spitzen Fingern eines der einsamen Salatblätter von ihrem Teller auf, betrachtete es von allen Seiten und ließ es dann als für nicht gut befunden zurückplumpsen.

»Hast du schon etwas Neues über dein Date erfahren?«, mischte sich Taylor in die bisher ziemlich unspektakuläre Unterhaltung ein.

June hatte geahnt, dass es nur eine Frage von Minuten sein würde, bis eine ihrer Freundinnen sie auf das unmittelbar bevorstehende Datingprojekt ansprechen würde. Schließlich geisterten die Worte über die zu erwartenden Challenges durch sämtliche Hörsäle und Projekträume der Uni und man kam gar nicht umhin sich darüber Gedanken zu machen. Wenn sie sich den Trubel so ansah, grenzte es an ein Wunder, dass sie bis zu ihrem Thanksgiving-Abend nichts von diesem Projekt mitbekommen hatte. June selbst hatte in den letzten Tagen zwar einen großen Bogen um die Love-Happens-Seite gemacht, aber auch sie hatte nicht der Versuchung widerstehen können und etwas Recherche betrieben. Um sich besser auf die kommende Zeit vorzubereiten, hatte sie gegoogelt, welche Aktivitäten letztes Jahr bei dem Datingprojekt auf dem Programm gestanden hatten. Sie musste zugeben, dass gemeinsame Filmabende, gemütliches Kochen und Gesellschaft beim Weihnachtsshopping gar nicht so schlecht klangen. Sollte es diesmal ähnlich aufgebaut sein, konnte sie sich vorstellen Spaß an der Sache zu haben. Vorausgesetzt, dass ihr der passende Partner zugeteilt wurde.

»Nein. Seit der E-Mail vorgestern kam nichts mehr. Ich dachte eigentlich, dass wir noch ein paar Vorabinfos über unsere Dates bekommen. Sieht so aus, als wollten sie es diesmal spannend machen.« June konnte die enttäuschten Blicke, die Sarah und Taylor ihr in diesem Moment zuwarfen, durchaus verstehen. Auch sie hätte nichts gegen ein paar Anhaltspunkte einzuwenden gehabt.

»Schade. Ich hätte so gerne mit dir darüber gerätselt, wer dein Auserwählter sein könnte. Ich habe mich etwas umgehört und es scheinen echt eine ganze Reihe heißer Typen dabei zu sein.«

Tja, da war Sarah nicht allein. June war ebenfalls neugierig darauf, wen das System als ihren perfekten Partner bestimmen würde.

»Ja, ich bin mittlerweile auch dezent neidisch auf dich. Nicht dass ich mit Rob nicht absolut glücklich und zufrieden bin, aber gegen einen geheimnisvollen Schönling, der drei Wochen lang verpflichtet ist, mich anzuschmachten und auf Händen zu tragen, hätte ich auch nichts einzuwenden.«

Ein lautes Lachen entfuhr June nach diesen völlig absurden Vorstellungen, die Taylor da zum Besten gab. Natürlich hatte die auf Wolke sieben schwebende Blondine direkt solche an den Haaren herbeigezogenen Fantasien.

»Ich auch nicht. Vor allem, seitdem ich gehört habe, dass Carter Johnson dabei sein wird!«, stimmte Sarah beherzt zu.

»Echt?« Überrascht sah June ihre beste Freundin an. Sie spürte, wie sich ihre Wangen bei der Erwähnung des überaus beliebten Vorzeigetypen der Uni leicht rötlich verfärbten. In ihrem ersten Jahr hier in Harvard hatte sie ziemlich für Carter geschwärmt. Mit seinen blonden Haaren und den tiefblauen Augen gehörte er zu den klassischen Schönlingen und hatte June mit seiner humorvollen und selbstbewussten Art gehörig den Kopf verdreht. Trotz mehrfacher Annäherungsversuche, angetrieben von Sarah natürlich, war es nie über einen oberflächlichen Kontakt in den Hallen der Uni hinausgegangen. Die Vorstellung, sie könnte mit ihm gematcht werden, ließ Junes Atmung etwas schneller gehen. Für einen kurzen Moment huschte der Gedanke durch ihren Kopf, dass es vielleicht doch nicht so abwegig war, bei dieser Aktion auf die große Liebe zu treffen. Sie hätte jedenfalls nichts dagegen, sich von ihrem Schwarm ein paar Wochen lang »anschmachten und auf Händen tragen« zu lassen.

»Carter ist schon ein Leckerbissen. Obwohl ich selbst eher ein Auge auf Cody oder Milo werfen würde.«

Neugierig musterte June Taylor. Es war ein allseits bekanntes Geheimnis in ihrer Clique, dass Tay insgeheim auf Bad Boys stand. Ein weiterer Grund, warum alle so überrascht waren, dass sie ihr Herz an den ruhigen und bodenständigen Rob verloren hatte. Normalerweise gehörten Kandidaten wie Cody O’Brian mit seinen unzähligen Tattoos und dem Gefahr versprechenden Motorrad eher in ihr Beuteschema.

»Cody ist auch dabei? O mein Gott! Mit dem Kerl würde ich zu gern mal bei Kerzenschein zusammensitzen und ein paar ›Geheimnisse‹ austauschen.«

»Lass mich raten. Dir schweben gerade Bilder der Never-Have-I-Ever-Strip-Challenge vom letzten Jahr vor.« Sarah bedachte June mit einem breiten Grinsen und einem träumerischen Ausdruck. War ja klar, dass ihre beste Freundin bei Cody auch nicht abgeneigt war. June musste zwar zugeben, dass der Kerl gewisse Vorzüge hatte, wenn man sein Äußeres betrachtete. Jedoch konnte sie sich im Gegensatz zu ihren Freundinnen kaum vorstellen einen Abend mit ihm zu verbringen. Eine heiße Nacht, in der allerlei verruchte Dinge geschahen, kein Problem. Man brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass Cody es vermochte, seine ausgewählte Partnerin nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Ein romantisches Candlelight-Dinner hingegen konnte June sich mit dem Bad Boy beim besten Willen nicht vorstellen. Es gab bestimmt kein einziges gemeinsames Thema, mit dem sie die von Kerzenlicht umschmeichelte Stille füllen könnten. Nein, Cody war gut für etwas Spaß zwischendurch, aber als dauerhaftes Date würde sie eher Carter bevorzugen.

Bevor Sarah und Taylor noch weitere ihrer Traumkandidaten von irgendwelchen imaginären Listen herunterrattern konnten, ertönte zum Glück Junes Handyalarm, der sie daran erinnerte, dass es langsam an der Zeit war, die Mittagspause zu beenden. Sie hatten sich mit Lucas und Judy zum Lernen in der Bibliothek verabredet und June war mehr als froh, dass dort ein striktes Redeverbot galt, sodass ihre überaus neugierigen Freunde sie nicht länger zu dem Projekt würden löchern können.

»Ich mache drei Kreuze, wenn ich morgen die Enthüllungs-E-Mail bekomme und dieses Rätselraten ein Ende hat«, murmelte sie, bevor sie sich schnell ihrem Nachtisch widmete. Diesen Schokotraum durfte sie auf keinen Fall zurücklassen.

»Ich auch. Ich habe mir extra einen Gastaccount für Love Happens zugelegt, damit ich auf keinen Fall etwas verpasse.«

Bei Sarahs enthusiastischen Worten beschlich June ein ungutes Gefühl. Sie hatte ja bereits befürchtet, dass ihre Freundinnen Fans von dieser Datingseite sein würden. Trotzdem hatte sie gehofft, dass es sich einige Tage hinziehen würde, bis sie herausfanden, dass man sich dort als Nicht-Teilnehmer anmelden konnte. Was war, wenn sie ein ganz furchtbares Date zugeteilt bekam? In dem Fall wäre es ihr bedeutend lieber gewesen, wenn so wenig Menschen wie möglich an ihren Verabredungen Anteil nahmen. Natürlich waren ihre Gebete nicht erhört worden.

»Das muss ich gleich auch noch machen!«

June verdrehte die Augen. »Lass dir ruhig Zeit damit, Tay.«

»Auf gar keinen Fall! Wie ich dich kenne, müssen wir dir jedes einzelne Detail aus der Nase ziehen, wenn wir irgendetwas bezüglich deiner Dates erfahren wollen. Außerdem will ich wissen, wie es bei anderen läuft.« Das könnte durchaus passieren. June war generell kein Mensch, der gerne über ihre Männerbekanntschaften plauderte. Auch nicht mit ihren besten Freundinnen.

»Ja, ich finde es megaspannend, dass man diesmal als Außensteher mit einbezogen wird. Ich glaube, mittlerweile hat so ziemlich jeder an der Uni einen Account. Selbst unsere Freunde in San Diego sind schon angemeldet.« Na toll. Genau das hatte sie nicht gewollt.

»Bitte sag mir, dass Sophie nicht auch dabei ist.« Mit einem flehenden Blick wandte June sich an Sarah.

»Sorry, aber deine Cousine war eine der Ersten. Keine Ahnung, woher sie überhaupt davon weiß. Wahrscheinlich hat Lucas sich verplappert. Du kennst die beiden. Die waren schon im Kindergarten schlimmer als Gossip Girl.« Dieser Vergleich traf es ziemlich genau, wenn es um Sophie ging.

»Das ist ein Alptraum! Euch ist doch klar, dass jetzt jede Kleinigkeit direkt bei meiner Mom landet? Das wird furchtbar!«

»Sieh es doch mal positiv! Solltest du wirklich mit Cody gematcht werden, wird deine Mutter so geschockt sein, dass sie sich in Zukunft nie wieder über irgendeins deiner Dates beklagt, solange der Kerl nur mehr Haut als Tattoos hat.« Taylors pragmatische Antwort brachte June zum Grinsen und vertrieb damit fürs Erste ihre Sorgen.

Die Vorstellung, wie ihre Mom zu Hause auf dem Laptop ihres Dads heimlich Bilder ihrer Verabredungen mit einem berüchtigten Bad Boy anguckte, war zu viel für June und sie prustete lauthals los.

»O mein Gott! Jetzt wünsche ich mir beinahe, dass ich ihn oder Milo bekomme. Unsere beiden gefährlichen Uni-Hotties würden zu Hause bestimmt einen Skandal auslösen. Das würde meiner Mom recht geschehen.« Lachend wischte sich June eine Träne aus dem Augenwinkel. Vielleicht würde sich dieses Datingprojekt ja wider Erwarten doch zu einem echten Erfolg entwickeln. Sicherlich nicht auf der Liebesebene, aber zumindest könnte es sie von lästigen Sticheleien oder Verkupplungsaktionen an der Elternfront bewahren. Nachdem ihre Mom quasi live miterleben würde, wie sie sich tagtäglich einem wildfremden Typen an den Hals warf, würde sie zukünftig bestimmt für eine Weile davon absehen, June zum Daten zu ermuntern.

Mit einem deutlich besseren Gefühl im Bauch und fast so etwas wie Vorfreude auf die kommenden Wochen packte June ihre Sachen und verließ gemeinsam mit Sarah und Taylor die Cafeteria. Bevor es morgen mit heißen Dates für sie losging, wartete heute erst noch ein gigantischer Berg an Hausarbeiten auf sie, der erledigt werden wollte.