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Das Leben ist ein Hit, ab und zu muss man halt den Sender wechseln. Wenn das eigene Leben kurz vor der Perfektion steht, rechnet man nicht mehr mit irgendeiner „Störung", die alles Erreichte vernichtet. Ich hab auch nicht damit gerechnet, es kam aber so. In dem einen Moment ist man noch glücklich, alles ist im Lot. Im nächsten Moment stürzt eine Todesnachricht alles in den Abgrund. Nur dort darf man nicht lange verweilen, sonst hält man den Abgrund für normal. Also los, es muss wieder aufstehen und herausrabbeln aus allen Untiefen. Es ist tatsächlich zu schaffen ...
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Tschüss, dann bis morgen!
Ulrike Pribil
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Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2023 – Herzsprung-Verlag GbR
Mühlstr. 10, 88085 Langenargen
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2017.
Coverbild: privat
Bearbeitung: CAT creativ - www.cat-creativ.at
ISBN: 978-3-96074-014-8 - Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-117-6 - E-Book
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Vorwort
Tschüss, dann bis morgen!
Ein Anruf verändert mein Leben
Tun, was zu tun ist
Bitte, sprich mit mir!
Die Phasen der Trauer
Zur letzten Ruhe betten
Neue Normalität erlangen
Die Farbe Rot
Einfach weitermachen
Abschiednehmen vom Geruch
Kontaktaufnahme mit dem Jenseits
Zeit für professionelle Hilfe
Verlässt mich mein Verstand?
Fortsetzung der Ausbildung
Hürdenlauf ohne Ende
Hilfe zur Selbsthilfe
Abschiedsritual
Die Projektarbeit
Der Tag der Präsentation
Neuer Beruf, neue Zukunft
Noch ein Abschied in diesem Jahr
Das erste Weihnachtsfest alleine
Der erste Tag des neuen Lebens
Danke ...
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Das Leben ist ein Hit, ab und zu muss man halt den Sender wechseln.
Wenn das eigene Leben kurz vor der Perfektion steht, rechnet man nicht mehr mit irgendeiner Störung, die alles Erreichte vernichtet. Ich hab auch nicht damit gerechnet, es kam aber so.
In einem Moment ist man noch glücklich, alles ist im Lot. Im nächsten Moment stürzt eine Todesnachricht alles in den Abgrund. Nur darf man dort nicht zu lange verweilen, sonst hält man den Abgrund für normal.
Also los, es muss wieder aufgestanden und herausgekrabbelt werden aus allen Untiefen! Und es ist tatsächlich zu schaffen.
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Dörfliches Flair und ländliche Idylle umgeben mich, wenn ich vor mein Haus trete. Ein reizendes, über dreihundert Jahre altes Bauernhäuschen, dessen Liebreiz mich in seinen Bann gezogen hat. Zeitgemäßer Standard oder gar Luxus ist hier nicht zu finden. Nur zwei Menschen, die ein sehr bescheidenes Leben führen und damit zufrieden und glücklich sind.
Wenn ich durch meine Küche gehe, komme ich direkt in den Stall, der nicht mehr als solcher genutzt wird. Durch den Stall geht es ins Freie, wo einst der Misthaufen war. Ich nenne die Stelle liebevoll meine Misthaufenterrasse mit kleiner Liegewiese. Bei schönem Wetter sitzen wir dort und genießen die atemberaubende Aussicht. Ländliches Panorama und ringsherum hügeliges Waldgebiet. Nimmt man ein Fernglas zur Hand, kann man die Rehe sehen, wie sie zum Äsen an die Waldränder kommen.
Am Abend, wenn der Himmel wolkenlos ist, bietet ein sternklarer Himmel die perfekte Bühne für Romantik und zum Träumen. Momente, in denen das Gefühl, ein Stück Himmel zu besitzen oder gar ein Teil davon zu sein, allgegenwärtig ist. So stelle ich mir eine universelle Einheit ‒ Einigkeit ‒ vor. Wunderschöne Augenblicke, die man emotional festhält, um sie abrufen zu können, falls doch einmal ein paar Wolken aufziehen.
Anfang März 2011 ist mein Leben nur fünf Minuten von der Perfektion entfernt. Im Januar habe ich die Pflegehelferprüfung mit Erfolg absolviert. Anschließend begann ich die Weiterbildung zur Fachsozialbetreuerin für Behindertenbetreuung mit Schwerpunkt psychosoziale Nachsorge (FSB/B). Ich stecke inmitten des tollsten Fremdpraktikums, das ich jemals hatte, bei der Organisation pro mente im Wohnbereich.
Mein Lebensgefährte Wolfi sagte vor Beginn der Ausbildung zu mir: „Wenn dir dieser Beruf gefällt, dann mach die Ausbildung, ich halte dir den Rücken frei.“
Wolfi selbst hat seine zweite Operation vor sich, die Nierensteine machen ihm zu schaffen. Der Termin steht schon fest. In der Woche zuvor führen wir noch so einige Gespräche. Das Beste daran ist, dass Wolfi meint, wir hätten nun lange genug gewartet und sollten im Herbst, wenn er wieder fit wäre, heiraten.
Tolle Idee, nicht ganz neu, aber gut Ding will eben Weile haben. Und ehrlich gesagt, wir verdienen einander. Keiner von uns beiden hat bisher irgendjemanden so geliebt, wie wir es füreinander empfinden. Auch viele unserer Freunde sagen, wir seien Seelenverwandte.
Wolfi fragt mich öfter: „Warum liebst du mich eigentlich? Ich bin weder schön noch reich, warum also?“
Meine Antwort ist immer dieselbe: „Weil du meine Seele berührst.“
Ich bin nicht ganz sicher, ob er es versteht, glaube aber schon. Wahrscheinlich will er es von Zeit zu Zeit einfach mal hören. Und mir geht es genauso.
Seine Worte in der Woche vor der OP sind: „Meine Liebe zu dir ist unendlich, sie wird niemals aufhören. Egal, was passiert, bitte merke dir das. Es wird nie aufhören.“
Ich verspreche, es mir zu merken. Ist auch wirklich nicht schwer, solch schöne Worte zu behalten.
Nun ist es so weit, Wolfi geht ins Krankenhaus, um sich die restlichen Nierensteine entfernen zu lassen. Die OP verläuft planmäßig, keine Besonderheiten.
Am Samstag, den 12.03.2011, besuche ich ihn erst am späteren Nachmittag. Es hatten sich Freunde für diesen Tag zum Besuch angemeldet, die dann aber verhindert waren. Ich wollte sie ungestört plaudern lassen. Nun sind sie jedoch nicht aufgetaucht und Wolfi und ich spekulieren so dahin und meinen, er würde wahrscheinlich am Montag oder Dienstag wieder nach Hause kommen. Außerdem lobt Wolfi das Pflegepersonal sehr, sie seien alle sehr nett und aufmerksam. Er bittet mich, wenn ich ihn abhole, einen Kuchen für die Krankenhausmitarbeiter mitzubringen. Ich verspreche es ihm und sage noch, dass ich morgen das Haus putzen würde, damit alles tipptopp wäre, wenn er heimkäme. Er meint scherzhaft, das wäre ein sehr löblicher Vorsatz.
Ich gebe ihm zum Abschied einen Kuss und sage: „Tschüss, dann bis morgen!“
*
Ich ahnte natürlich nicht, dass dies der letzte Augenblick sein sollte, in dem ich ihn lebend sah. Auch nicht, dass dies der letzte Satz sein sollte, den ich an ihn richtete.
Am nächsten Morgen stehe ich guter Dinge auf, nach dem Frühstück sause ich mit dem Staubsauger durchs Haus und richte das Wischwasser her. Als ich gerade beginnen will, läutet das Telefon. Der Rezeptionist des Krankenhauses verbindet mich mit einem Arzt, dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe. Er fragt mich, wer ich sei und in welcher Beziehung ich zu Herrn Berghammer stehe. Ich teile ihm mit, dass ich die Lebensgefährtin wäre.
Darauf sagt er völlig unvermittelt: „Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Herr Berghammer gerade reanimiert wird. Wir wissen nicht, was passiert ist.“
Ich erwidere, dass ich mich sogleich auf den Weg machen würde. Spontan überfällt mich das Gefühl, dass mich jemand erwürgen wolle. Ich bekomme nur schwer Luft und beginne in panischer Angst, zu weinen und zu schluchzen. Ich höre mich sagen: „Nein, bitte nicht, bitte nicht!“ Ich spüre, dass etwas Schlimmes passiert ist, in der Stimme des Arztes habe ich Betroffenheit vernehmen können.
Ich ziehe mich an, nehme meine Handtasche und gehe zu meiner Nachbarin. Es ist mir klar, dass ich in dieser Verfassung nicht selbst mit dem Auto fahren kann. Als ich über die Straße in Richtung Nachbarhof gehe, kommt mir Christine schon entgegen und fragt mich, was denn passiert sei. Nachdem ich ihr erklärt habe, was passiert ist, holt sie sich eine Jacke und wir fahren los.
Als wir auf die Station kommen, wird mir richtig übel und die Angst schnürt mir fast die Kehle zu. Als wir den Informationstresen erreichen, stelle ich mich vor und erzähle vom Anruf des Arztes.
Eine junge Schwester sagt zu mir: „Mein herzliches Beileid.“
Was redet diese Person denn da? Sie kann nicht mich meinen. Ich heirate nämlich im Herbst und der Mann, den ich liebe, wird gerade reanimiert. Das heißt, er wird zurückgeholt.