Tünder - Brigitte Bork - E-Book

Tünder E-Book

Brigitte Bork

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Beschreibung

Tünder Nagy, eine wunderschöne, blutjunge Ungarin, wird tot auf einer Bank der Wiener U-Bahn aufgefunden. Was zunächst nach Drogentod aussieht, entpuppt sich als kaltblütiger Mord. Oberst Jochen Bender schickt seine besten Ermittler Kevin Laval, Alex Konradi und Rex Wessler auf die Suche nach ihrem Mörder. Es wird die haarsträubendste, verrückteste Jagd ihres Lebens. In Budapest gelangen sie durch Zufall an ein mysteriöses Paket, das sie auf überraschende Wege führt und sie selbst zu Gejagten macht. Auf staubigen Landstraßen am Balaton, in verlassenen Dörfern kommen sie den dunklen Machenschaften immer näher. Dabei verstricken sie sich immer tiefer in die Schicksale der Menschen, denen sie begegnen. Werden sie es schaffen, den Fall zu lösen? Brigitte Bork hat mit "Tünder" einen temporeichen Kriminalroman geschrieben, der mit einer großen Prise Humor gewürzt ist und mit Charakteren aufwartet, die ans Herz wachsen.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 219

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Über das Buch

Eine junge, bildschöne Ungarin wird tot in einer Wiener U-Bahn-Station aufgefunden. Oberst Jochen Bender schickt seine besten Ermittler auf die Jagd nach dem Mörder. Kevin Laval, Alex Konradi und Rex Wessler verfolgen eine Spur, die sie über Budapest in ein verschlafenes Nest am Balaton führt. Immer tiefer geraten die drei Männer in ein Dickicht krimineller Machenschaften. Ohne Rücksicht auf Verluste kämpfen sie sich durch staubige Dörfer, halbseidene Etablissements, aberwitzige Situationen und riskieren dabei ihr Leben. Werden sie es schaffen, den Fall zu lösen, um Schlimmeres zu verhindern?

Über die Autorin

Über viele Jahre führte Brigitte Bork drei Reitsportgeschäfte und ein Kosmetikgeschäft im Taunus. Ungarn ist mit den Jahren ihre zweite Heimat geworden. Ihre Leidenschaft für das Schreiben entdeckte sie mit der Veröffentlichung einer ungarischen Kurzgeschichte. Als erstes Buch verfasste sie einen Ratgeber über die Kunst des Reitens. Die schwierige Lebenssituation vieler junger Menschen in Ungarn inspirierte sie zu ihrem ersten Kriminalroman Tünder.

Brigitte Bork

Tünder

… und dreimal Gulaschsuppe mit Brot

Kriminalroman

© 2019 Brigitte Bork

Verlag & Druck: tredition GmbH,

Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Lektorat: Silja von Rauchhaupt, Königstein

Cover-Reinzeichnung: Uta Struhalla-Kautz, Königstein

Umschlaggestaltung unter Verwendung von Canva.

ISBN

978-3-7497-2743-8 (Paperback)

978-3-7497-2745-2 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Hansi

1

Beppo fuhr den schwarzen Mercedes vor den Hoteleingang. Neustädter hatte die obersten Etagen angemietet. Das exklusive Zuhause war zum Drogenumschlagplatz geworden. Seine Kunden, anonyme Politiker, Polizisten, Mafiamitglieder, Zuhälter und sonstige dunkle Gestalten gingen hier ein und aus.

Neustädter hatte die Angewohnheit selbst zu fahren, obwohl er schon seit Jahren seinen Chauffeur hatte. Der geschwätzige Beppo musste oft lange Strecken zu Fuß gehen. Neustädter fuhr nicht gerne alleine. Seine Gegenwart gab ihm Sicherheit. Warum auch immer. Dieser Beppo hatte nur einen einzigen Fehler. Auf jeder seiner Fahrten erzählte er immer dieselbe Story. Neustädter war ein geduldiger Mensch. Doch alle zwei Tage schmiss er Beppo aus dem Wagen und ließ ihn kilometerweit zurücklaufen. Beppo lernte nichts daraus. Selbst bei schlimmstem Wetter warf Neustädter ihn aus dem Wagen. Diesmal hörte er zu, nur um nicht alleine zu sein. Erklären konnte er sich das nicht.

Vor einem palastähnlichen Gebäude hielten sie an. Über der Eingangstüre hing ein Engel aus Stein, »Ladys Club« stand in weißen Lettern untereinander an der Hauswand neben der Tür. Dieses Haus war Neustädters Lieblingsobjekt, er selbst hatte damals darin gewohnt. Verheiratet war er auch einmal. Seine Frau hatte den Lebenswandel, den er führte, irgendwann nicht mehr ertragen und war über Nacht ausgezogen. Viel mitnehmen konnte sie nicht, da sie bei ihrer Freundin unterkam. Jedes Mal, wenn Neustädter hier vorfuhr, holten ihn seine Erinnerungen ein. Kinder waren Gott sei Dank keine da. Trotzdem trauerte er um seine Ehe. Ändern konnte er sein Leben nicht, zu lange hatte er dieses Geschäft schon betrieben. Außerdem waren da die Partner. Seine Gedanken verloren sich, als er die drei Marmorstufen hinauflief. Leise Musik säuselte in dem schummrigen Vorraum des Appartements im Parterre.

Er stieß die Tür auf, ohne vorher anzuklopfen. Das war schon immer seine Art. Mit der Tür ins Haus zu fallen. »Zieh dich an. Du musst den Film von einer Überwachungskamera besorgen.«

Der Mann, dem dies galt, riss die Augen auf, als ob er gleich erschossen würde. »Was soll ich machen? Wie soll ich das denn machen?«, fragte der Kunde erschrocken, der in aller Eile seine Hose vom Boden aufhob, als er Neustädter in der Tür stehen sah.

»Das dürfte doch für dich eine Kleinigkeit sein, Reinert. Gibt auch richtig Kohle.«

Als Kevin Laval am Morgen aufwachte, hatte er eine Vision für diesen Tag. Nicht, dass er jemand war, der viel herumgrübelte. Sie hatte sich einfach so in seine Gedanken geschlichen: Irgendetwas lag in der Luft. Irgendetwas passierte heute. Er war ein Kriminalist durch und durch, und mit seinen Ahnungen lag er fast immer richtig.

Freitag war der Tag, an dem er eine Auszeit nahm, wenn es sein Beruf zuließ. Ein schwieriger Fall war gestern zu den Akten gelegt worden. Da kam der Freitag gerade richtig. Er wollte heute mit Maja etwas unternehmen. Ein Bummel durch die Stadt, das gefiel ihr, da war er sich sicher. Schön zu Mittag essen, ein wenig shoppen. Er dachte daran, sich ein neues Hemd zu kaufen. Eigentlich ein paar neue Hemden. Seine Kleidung musste mal wieder etwas mehr Schick bekommen. Wenn er mit Maja unterwegs war, hatte er immer gute Laune. Außerdem wusste sie genau, was ihm stand und was nicht.

Er wählte ihre Nummer und wartete. Sie nahm nicht ab. Das Handy zeigte nur, dass sie im Moment nicht erreichbar sei. Kevin legte auf, er mochte es nicht, auf die Mailbox zu sprechen. Vielleicht war sie schon unterwegs. Er duschte und nahm sich vor, es später noch einmal zu versuchen. Maja arbeitete in einem Schuhgeschäft, sie war als Geschäftsführerin angestellt und konnte sich so manchen Tag für diverse Einkäufe freinehmen. Das geschah jedoch äußerst selten, deshalb wollte Kevin sie heute überraschen. Sonst war er es, der nie Zeit hatte, etwas mit ihr zu unternehmen. Aber diesmal wurde aus seiner Überraschung nichts.

Am späten Abend meldete sich Maja und berichtete von zwei Teenagern, die Schuhe geklaut hatten. Sie war fix und fertig und hatte auch noch keinen Bissen gegessen. Die Dönerbude um die Ecke rettete ihnen dann doch noch den Abend. Es war ein lustiges Zusammensein, da sie gemeinsame Freunde trafen, die ebenfalls Lust auf diesen Kult hatten. An den Wochenenden blieben sie zusammen. Meistens jedoch wurde Kevin aus dem Schlaf gerissen und so war es auch diese Nacht. Vier Uhr war es, als der Kollege Konradi Kevin aus dem Bett holte: »Wir haben eine Leiche. Komm zur U-Bahn-Station Prater-Messe.«

Maja murmelte schlaftrunken etwas vor sich hin. Kevin war schon dabei, sich seine Schuhe zuzubinden. Er strich kurz über ihr blondes Haar. »Schlaf weiter, Maja, ich melde mich später.«

Wien, U-Bahn-Station Messe Prater

Samstag, 18. März, 4.10 Uhr

»Das Mädchen ist höchstens siebzehn Jahre alt.« Es war nicht das erste Mal für Kevin Laval, einen so jungen Menschen tot zu sehen. »Befestigt mal die Absperrung richtig«, gab er den umstehenden Polizisten die Order. »Wer hat sie gefunden?«

Ein Mann mittleren Alters kam aus der Menge, er wurde bereits von einem Polizisten befragt: »Ich war das!«, rief er dem Ermittler zu. Der Mann hatte die Hände voller Plastiktüten mit leeren Flaschen, die er in der U-Bahn-Station eingesammelt hatte. »Ich hab das Mädchen auf der Bank sitzen sehen und hab gedacht, sie würde schlafen.«

Kevin hörte zu, aber seine Gedanken machten sich selbstständig. Er betrachtete das Mädchen auf der Bank genauer. Es hatte dunkelblonde lange Haare, wobei einige Strähnen extrem hell waren, andere fast schwarz. Sie war sehr schön, mit einem Gesicht, das so hell und gleichmäßig gezeichnet war, dass man meinen konnte, es wäre aus Wachs. Die Starre in ihren blauen Augen ließ eine derartige Wut in ihm aufsteigen, dass er sich nicht länger mit ihr beschäftigen konnte. Was für eine Verschwendung, sie hatte noch ein ganzes Leben zu leben gehabt. Und ihre Lippen: sinnlich. Kevin schaffte es nicht, den Blick abzuwenden. Warum brachte jemand so einen Engel um?

Der Mann hatte die Plastiktüten neben die Füße gestellt und gestikulierte mit seinen Händen vor ihm herum, als wollte er sagen: Hier bin ich, Herr Kommissar. »Ich bin dann nochmal an ihr vorbeigegangen«, berichtete er atemlos, »da hab ich gedacht, das sieht aus, als ob die nicht mehr lebt. Dann hab ich genauer hingesehen, da bin ich vielleicht erschrocken, ich hab noch nie einen Toten gesehen.«

Der ganze Bahnsteig war jetzt voller schaulustiger Menschen, die Absperrung schien überhaupt nichts zu nützen. »Gehen Sie bitte weiter, Sie behindern die Ermittlungen, hier gibt es nichts zu sehen«, riefen die Schutzpolizisten den Leuten zu.

»Und was haben Sie dann gemacht?«, fragte Kevin weiter, »haben Sie die Tote angefasst?«

»Nein, nein, das habe ich nicht, ich weiß doch, dass man das nicht darf, wegen der Spuren. Ich bin zum Telefon und hab die Polizei angerufen. Das ist so furchtbar.«

Kevin schickte ihn noch einmal zu dem Polizisten, der die ganze Zeit geduldig auf ihn gewartet hatte. Nachdem die Personalien aufgenommen waren, gesellte sich der Mann wieder zu Kevin. »Sie wollen bestimmt, dass ich noch hier bleibe, oder?«

»Haben Sie sonst noch jemanden auf dem Bahnsteig gesehen?«

Er hatte die vage Hoffnung, dass der Mann ihm einen Hinweis geben könnte. Vielleicht hatte er einen weiteren Fahrgast gesehen, der um diese Zeit unterwegs war.

»Gar niemand war da«, sagte der Mann.

»Wir haben alles von Ihnen, Sie können gehen. Wenn noch etwas ist, melden wir uns. Ich bin sicher, dass wir Sie hier irgendwo finden werden.«

»Ja, ja, is’ klar«, er griff seine Tüten und schlurfte davon, nicht ohne sich noch mehrmals nach ihnen umzudrehen.

Das war für die Katz, dachte Kevin. Auch die Spurensicherung hatte bisher nichts gefunden, was von Belang sein könnte. Die schwersten Fälle waren immer die, die einem nichts erzählten.

Jemand schlug ihm kräftig auf die Schulter. »Moin, weiß man schon was?«, Sonderermittler Rex Wessler wirkte bestens gelaunt, obwohl er sonst nicht derjenige war, der vor Ort ermittelte. Er war bekannt für seine akribischen Recherchen am Schreibtisch. Seine Kenntnisse und Erfahrungen im Außendienst hatte er vor Jahren mit seinem Kollegen Holler erworben, der vor etwa zwei Jahren bei einem Einsatz ums Leben kam. Wessler wollte nie mehr draußen arbeiten. Jedes Mal, wenn er raus sollte, um zu ermitteln, bekam er Angstausbrüche. Deshalb hatte er sich in den Innendienst versetzen lassen.

»Servus, Rex. Kopfschuss, die Spurensicherung ist in vollem Gange.«

Rex’ Miene verfinsterte sich, als er das Mädchen betrachtete. Seine gute Laune war dahin, er fuhr sich mit der ganzen Hand über das Gesicht und konnte ebenfalls seinen Blick nicht abwenden. Dieser Fall konnte für ihn eine Rückkehr in den Außendienst werden. Immer wieder versuchte er es, doch diese Phobie hatte ihn im Griff. Diesmal, das schwor er sich, würde er dabei sein.

Mittlerweile war der nächste Ermittler eingetroffen: Chefinspektor Alex Konradi. Er beobachtete Kevin, der stumm vor sich hinstarrte. Diesen Blick hatte er immer, wenn er nachdachte. Er hörte ihn flüstern: »Daran werde ich mich nie gewöhnen.« Konradi beschloss, nicht darauf einzugehen.

»Siehst du was, du Profiler? Ich habe dich wohl gerade beim Philosophieren erwischt.«

»Hier müssen wir eine Nuss knacken, und hab mal ein bisschen Respekt. Wo kommst du eigentlich jetzt her?«

Seine Begrüßung, das sah Konradi an den Augen seines Kollegen, war wohl nicht die richtige für die Situation gewesen. Mit einem kurzen Schulterzucken signalisierte er Kevin, die flapsige Anrede zu entschuldigen und sagte nur: »Das ist ein schönes Mädel. Wer ist sie?«

Oberst Jochen Bender, Leiter der Mordkommission Wien, der als Erster am Tatort gewesen war, reichte Alex den Ausweis, den er bei dem Mädchen gefunden hatte. »Tünder Nagy steht hier, sie ist aus Ungarn. Sieh dir mal ihre Hand an, drei Fingernägel sind abgebrochen. Und hier ist noch ein Abriss von einer Zeitschrift, der steckte in dem Etui, in dem der Ausweis war.«

»Was steht drauf?«

»Schwer zu sagen«, Bender studierte den Zettel. Rund um den Rand hatte das Mädchen eine Notiz gemacht, die dem Anschein nach erstmal nichts ergab. »Da steht 2.5 an Ro, 1,8 an Ni Felsönyek 17 ora«, las er stotternd von dem Papier ab, »recherchiert das mal, wo das ist.«

»Das ist ein Ort in Ungarn und eine Uhrzeit«, Kevin hatte sich eingemischt, da er die Sprache ziemlich gut beherrschte, »17 ora, das heißt 17 Uhr.«

»Wir haben das jetzt verstanden, Kevin. Dann kennst du bestimmt auch den Ort, der hier geschrieben steht.«

»Was ist denn mit dir los, warum bist du denn so aggressiv? Komm runter, Alex«, sagte er barsch mit Blick auf seinen Kollegen. »Das dürfte nicht allzu schwer sein, den rauszukriegen«, meinte er in einem versöhnlichen Ton.

Alex tütete die Beweismittel ein und übergab sie einem Kollegen. »In die Aser, bitte«, seine Abkürzungen nahmen manchmal überhand. Kevin konnte es sich nicht verkneifen, sich darüber lustig zu machen: »Du bist auch so ein Aser«, frotzelte er.

»Hast du nichts zu tun?«, entgegnete der seinem Freund und Kollegen, dann gesellte er sich zu Dr. Graulich und schaute ihm bei der Arbeit zu. Die einzige Frage für ihn war, wer das getan hatte: »Können Sie schon etwas sagen?« Der Arzt fühlte sich sichtlich gestört: »Jetzt lasst mich in Ruhe meine Arbeit machen! Das steht später alles in meinem Bericht, wie immer. Nur eins kann ich euch jetzt schon sagen: Sie hat Stiche in der Armbeuge.«

»Mord, Drogen, Missbrauch?«, fragte Kevin in die Runde. Sie beschlossen, erst einmal die Autopsie abzuwarten. Oberst Bender wendete sich an seine Ermittler Alex und Kevin: »Das ist jetzt eure Aufgabe. Schade um das Mädchen.«

Der Todeszeitpunkt war nach der ersten Schätzung von Dr. Graulich vor circa sechs Stunden, natürlich mit etwas Spiel. Das müsste gegen 23.00 Uhr gewesen sein. Die Überwachungskamera sollte noch überprüft werden. Rex verabschiedete sich: »Ich bin dann im Büro. Schaut zu, dass ihr dann Stoff für mich habt, sonst kann ich nichts für euch tun.« Die beiden Ermittler winkten ab.

Inzwischen waren die Sanitäter angerückt, um die Leiche in die Gerichtsmedizin zu holen. Der Doktor rief ihnen noch etwas zu, aber sie verstanden nicht, was er sagte. Der Lärm in der U-Bahn-Station war zu groß. Aber es war klar, dass er sich bei ihnen melden würde. Die Schaulustigen drängten jetzt alle auf einmal Richtung Ausgang. Der Lärm hatte den Pegel überschritten, sodass die Ermittler sich ebenfalls auf den Weg machten.

Im Präsidium war alles ruhig, um diese Zeit fingen die Angestellten langsam an einzutrudeln. Sie machten sich auf den Weg zu Rex Wessler, tranken zusammen einen Kaffee und warteten auf den Anruf des Gerichtsmediziners Dr. Graulich.

»Habt ihr euch schon überlegt, wo ihr ansetzen werdet?« Wessler wusste, wovon er redete. Und er hoffte, dabei sein zu können.

»Der Fall geht mit Sicherheit über die Grenzen hinaus, das hatten wir auch noch nicht so oft.«

Seine Kollegen, die ihren Kaffee genüsslich tranken, dachten darüber nach, was Wessler gesagt hatte. »Da hast du bestimmt recht, ich denke wir werden uns erstmal hier in Wien schlau machen. Was meinst du, Alex?«

Alex Konradi sah die beiden an und nickte fragend mit dem Kopf. »Wir fangen vor Ort an, denn irgendjemand von hier muss sie da runter gebracht haben. Jetzt warten wir erstmal, bis der Gerichtsmediziner sich meldet.

Um neun Uhr morgens klingelte das Telefon: Die Obduktion war abgeschlossen. Auf dem Weg zur Pathologie registrierte Alex, dass der Doktor mit seinen Untersuchungen diesmal recht flott gewesen war. Das Gebäude war aus dem Ersten Weltkrieg, das Portal war riesig. Es dauerte, bis sie den richtigen Saal erreicht hatten. Dr. Graulich schaute sie mit scharfem Blick an und sagte: »Wird auch Zeit.« Er war ein kleiner Mann, der, wie alle wussten, nichts außer seinem Beruf hatte und seine Arbeit gerne machte, was sich dann entsprechend hinziehen konnte. Die Ungeduld seiner Kollegen kannte er bereits, er ließ sich aber nie davon beirren. »Mit einer 9-mm-Beretta wurde ihr aus nächster Nähe in den Kopf geschossen, post mortem. Gestorben ist sie an einer Überdosis Heroin. Im Magen waren nur Spuren von Kaffee. Sie muss zwei bis drei Tage nicht gegessen haben.«

»Irgendwelche Abwehrspuren?«, fragte Alex. Der Gerichtsmediziner schüttelte den Kopf. »Die Drogen und die Schusswunde sind alles, was ich gefunden habe, natürlich auch die fehlenden Fingernägel: Zeige-, Mittel- und Ringfinger.«

Mit einem kurzen Dank verabschiedeten sie sich von Dr. Graulich. »Der Täter wollte mit dem Kopfschuss auf Nummer sicher gehen«, sagte Alex zu seinem Kollegen.

»Was kann sie gemacht haben? Die geraten da in was rein und wissen nicht in welch gefährlicher Lage sie sind. Ein paar falsche Worte, Drohen mit der Polizei, das langt in manchen Fällen schon.«

»Das kommt darauf an, was sie ausplaudern konnte. Vielleicht wusste sie zu viel.«

Bei so einem Fall gingen die ersten Vermutungen immer in Richtung Milieu. Alex und Kevin nahmen sich erst einmal die Leopoldstadt vor. Sie hatten vor, verschiedene Lokalitäten aufzusuchen, nicht weit von der U-Bahn-Station entfernt. Irgendwo mussten sie anfangen, um herauszufinden, wo das ungarische Mädchen gewohnt hat, ob sie hier irgendwo gearbeitet hat. Sie fingen an, die umstehenden Leute anzusprechen. Die meisten Passanten blieben ungern stehen. Nur über ihre Legitimation gelang es ihnen, einige Auskünfte zu bekommen. Doch keiner schien das Mädchen zu kennen. In den umliegenden Kneipen und Gaststätten hatten sie auch kein Glück. Also beschlossen sie, in diversen Etablissements nachzufragen. Kevin fiel ein etwas zurückgesetztes Haus auf, die Fenster waren verdunkelt: »Da gehen wir jetzt mal rein, Alex.«

Die Türschelle war in einen Goldrahmen gefasst. Zweimal musste Kevin sie betätigen, dann öffnete eine junge Frau die Tür. Die schwarzen langen Haare hatte sie zu einem seitlichen Zopf geflochten, sie wirkte wie ein Schulmädchen. »Kommen Sie rein,« sagte sie, ohne zu fragen, was sie wollten – offensichtlich war männlicher Besuch für sie ganz normal.

»Wir sind von der Mordkommission und hätten ein paar Fragen an Sie. Mein Name ist Alex Konradi und das ist mein Kollege Laval.« Er zeigte ihr ein Foto, das er in der U-Bahn aufgenommen hatte: »Kennen Sie die?«

Ein langgezogenes Ja war die Antwort, und dann: »Aber ich kenne sie nicht, ich habe sie einmal gesehen. Ist sie tot? Was ist passiert?«

Ohne darauf zu reagieren, fragte Kevin, ob sie das Haus leite. »Ja«, sagte sie.

»Wir müssen die Mädchen befragen, wann können wir das tun? Sind sie da?«

»Im Moment sind alle beschäftigt, kommen Sie um 14.00 Uhr.«

Die beiden Männer sahen sich kurz an, denn in der Regel handhabten sie so etwas anders, da wurde nicht lange gefackelt, da marschierten sie einfach durch. In diesem Fall gab es keine Indizien dafür, dass Tünder Nagy hier gearbeitet hatte. Sie nickten nur kurz und gingen.

»Heuhaufen, kann ich da nur sagen«, war Kevins Kommentar, als sie wieder auf der Straße waren. Alex nickte. Sie schauten sich noch etwas um und visierten ihr nächstes Ziel an. Der dünne Regen störte sie nicht, doch sie gingen in ein Café, um ein wenig Kraft zu tanken. Beide waren seit den frühen Morgenstunden unterwegs. »Das duftet hier«, Alex bekam Appetit, ging zum Buffet und bestellte zwei Kaffee und für sich ein Croissant. Im Stehen besprachen sie die weitere Vorgehensweise. Eine halbe Stunde verging, und sie waren wieder auf der Straße. »Sauna Club, lass uns da mal reingehen,« schlug Kevin vor, »der Besitzer ist ein Italiener. Der Rex war damals mit dem Holler hier, da erinnere ich mich noch dran.«

Hier brauchten sie nur gegen eine schwere Doppeltüre zu drücken und waren direkt drinnen. Eine großzügig eingerichtete Halle mit einem Springbrunnen in der Mitte brachte sie zum Staunen. »Die können’s halt, die Italiener, Marmor ist ihr Lieblingsmaterial«, registrierte Alex. Sein Kollege runzelte die Stirn: »Du, frag doch mal den Rex, der hat bestimmt ein paar Infos für uns.«

Ein Telefonat mit Rex Wessler bestätigte die Annahme, dass er tatsächlich mit einem Mario Diafiore zu tun gehabt hatte. Es ging damals um illegal eingereiste Ausländerinnen. Rex bot an, zu diesem Club hinzu zu kommen. Jetzt hatte er die Gelegenheit, in diesem Fall dabei sein zu können, wieder rauszugehen. Er musste diese Phobie loswerden. Der Anruf seiner Kollegen war ein Wunsch, der sich erfüllt hatte.

»Was soll das jetzt für einen Sinn haben, dass wir da zu dritt ermitteln?«, beschwerte sich Alex.

»He, jetzt lass den mal. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als der Holler umgekommen ist. Ich kann den Rex schon irgendwie verstehen.«

Ein Mädchen stand hinterm Tresen, etwas mollig, aber sehr hübsch. Fragend sah sie die Männer an, die sich schon eine geraume Zeit in der Halle aufhielten. Ihre langen blonden Haare umschmeichelten das füllige Gesicht. Neugierde und ein Hauch von Misstrauen spiegelten sich in ihren Augen. Sie war gerade dabei, einen Luftballon aufzublasen. Das gab ihrem Mund einen etwas seltsamen Ausdruck. An den Wänden hingen schon einige Exemplare. Eines der Mädchen hatte wohl Geburtstag. Geduldig wartete sie, bis die Männer sich alles angeschaut hatten.

Rex betrat den Club, etwas gehetzt sah er aus. »Bist du auf der Flucht?«, witzelte Kevin. Endlich sagte Alex Hallo zu dem Mädchen und ließ sie wissen, dass sie von der Mordkommission waren. »Wir hätten gerne mit Mario gesprochen«, erklärte Alex freundlich, aber mit Nachdruck.

»Hallo«, antwortete das Mädchen zurückhaltend, »ich kenne keinen Mario.«

Rex mischte sich lautstark ein: »Mario Diafiore, dem gehört der Laden hier.« Seine Stimme klang so, dass man Angst bekommen konnte. Die Mollige war zusammengezuckt. »Wie gesagt, einen Mario kenne ich nicht, na ja, so lange bin ich auch noch nicht hier. Wenn Sie meinen Chef meinen, der heißt Nico.«

Verlegen fragte sie die Ermittler, ob sie etwas trinken wollten. »Ein Kaffee«, gab Kevin zum Besten, »wäre nicht schlecht«.

»Nein, danke«, entgegnete Alex, sie bräuchten nichts und dabei sah er seinen Kollegen an, als ob er etwas absolut Verbotenes in Betracht gezogen hatte.

»Nico und weiter?«, fragte Kevin genervt.

»Nix weiter, weiter weiß ich nicht, der ist eh nicht da.«

Aus den Räumen hörte man leise Musik. Die Atmosphäre hatte ein Hauch von Reinheit. Wer nicht wusste, was hier verkauft wurde, konnte meinen, dass Buddha persönlich hier zu Hause war.

»Wo ist er denn, wissen Sie das?«, fragte Alex.

»Auf Geschäftsreise, ich glaube in Budapest. Wie ich weiß, wechselt er alle zwei Monate die Mädchen.«

Alex zeigte ihr das Foto auf seinem Handy. Das Mädchen machte eine abwehrende Bewegung. »Ich will keinen Ärger.«

»Also kennen Sie sie.«

»Nein, ich kenne sie nicht, ich habe Ihnen gesagt, dass ich noch nicht lange hier arbeite, vielleicht habe ich sie mal gesehen, kann schon sein«.

Sie presste die Lippen aufeinander. Ihre Unsicherheit ließ die Ermittler nur mit dem Kopf nicken. Ein erster Verdacht wurde registriert. Sie verabschiedeten sich höflich und gingen nachdenklich zum Ausgang.

»Hier sind wir richtig, dieser Nico ist unser Mann und ich sage euch, das gehörte damals jedenfalls diesem Mario.« Rex war sich sicher, dass sie auf der richtigen Spur waren.

»Wir müssen um 14.00 Uhr noch die Mädchen in dem anderen Club befragen«, sagte Alex. Er wusste, worauf es ankam, denn was sie bis jetzt hatten, waren alles nur Hinweise. Kevin verzog das Gesicht: »Ich geh da nicht nochmal hin! Wir haben doch jetzt eine Spur.« Doch damit stieß er bei Alex auf taube Ohren: »Nein, Kevin, wir gehen da noch hin! Wir wissen wenig über die Tote und außerdem ist das unser Job.«

Gelangweilt folgte Kevin seinem Kollegen.

Vier blutjunge Mädchen stellten sich den Fragen der Ermittler. Es gab es keine aussagefähigen Mitteilungen, die sie machen konnten. »Hab ich dir doch gesagt, dass das überflüssig ist«, maulte Kevin auf dem Weg ins Präsidium, »die Geschichte mit der Toten hat etwas mit diesem Nico zu tun!«

»Hühnchen, Currywurst oder Schnitzel? Komm, wir müssen was essen«, sagte Kevin, der mit seinem Handy versuchte, Maja zu erreichen. »Sie geht nicht dran.«

»Wer?«

»Maja. Ich muss bei ihr noch was gut machen.«

Mit festem Schritt betrat Alex Konradi am nächsten Morgen um 9.00 Uhr das Büro im Präsidium am Schottenring. Wer ihn nicht kannte, hatte meist einen Heidenrespekt. Er war groß, bestimmt einen Meter neunzig. Seine muskulöse Gestalt hatte etwas von einem Boxer. Das perfekt geschnittene braune Haar war zu einer modischen Tolle frisiert. Etwas zu kurz geratene Koteletten ließen ihn ein wenig aussehen wie ein Hahn. Das sah immer dann besonders komisch aus, wenn er frisch vom Friseur kam. Nach vier Wochen war dann alles wieder im Lot. Der eine Zentimeter machte schon was aus.

»Bin ich zu spät?«, mit Pfiff drehte er sich gekonnt in einen der Sessel, das eine Bein über das andere. »Was machen wir?«, fing er an, die Runde zu eröffnen. Sein Selbstbewusstsein kannte keine Grenzen und seine Kollegen schüttelten nur den Kopf.

Kevin saß auf der Schreibtischkante. Durch eine Scheibe sahen sie Rex, der wie wild mit den Händen gestikulierte: »Ich habe Tar am Telefon«, rief er. Kevin sprang auf, rannte zu ihm und übernahm das Gespräch.

»Szia Zsolt! Was für eine Überraschung.«

Zsolt Tar war in Ungarn ein begnadeter Kriminalist, er hatte Profiler-Qualitäten. Die Zusammenarbeit mit ihm hatte vor einigen Jahren Berge versetzt. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatten sie gemeinsam einen Mord aufgeklärt. Teils auf Deutsch, teils auf Ungarisch machten sie sich jetzt verständlich. Kevin berichtete Tar von der Toten in der U-Bahn-Station Prater-Messe. Die Konversation war ziemlich einseitig, da Kevin die meiste Zeit redete. Er wollte keine eindringlichen Fragen. Noch nicht. »Wir haben eine Spur. Wenn wir mehr wissen, melde ich mich bei dir.«

Zsolt Tar kannte Kevin und gab sich damit zufrieden. Kevin verabschiedete sich: »Viszontlátásra, Zsolt.«

»Visla’t, Kevin.«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, grübelte Bender, »ich muss das ungarische Konsulat informieren. Wir haben hier zu lange eigenmächtig gehandelt, der Staatsanwalt muss informiert werden, wenn das nicht schon zu spät ist. Ich muss das jetzt machen, das ist Gesetz, die wollen sicher auch die Leiche sehen.«

»Die ist noch in der Pathologie«, informierte Rex seinen Vorgesetzten.

Nichts sollte liegen bleiben, die Leiche musste auch überführt werden, die Angehörigen waren zu ermitteln. Er würde sich gleich ans Telefon setzen und seine Pflicht tun. Im Grunde wollte er selbst das Verbrechen lösen. Es war schließlich hier passiert, hier in Wien.

»Wollt ihr nach Budapest?«, fragte Bender seine Ermittler.

»Können wir uns jetzt aussuchen, was wir arbeiten wollen? Das ist nicht dein Ernst, gib uns gefälligst die Order und steh hinter uns.«

Bender, manchmal etwas behäbig, nickte. Sein Doppelkinn hatte jetzt die Macht übernommen. »Jaja, macht ja alles Sinn, was ihr da herausgefunden habt.«

In vielen Dingen verließ er sich letztendlich auf seine Jungs. Nie hatte er eine solche Crew gehabt. »Hier ist Gefahr in Verzug, da müssen wir doch was tun. Vielleicht sind andere Mädchen …«, holte Alex aus. Bender schnitt ihm das Wort ab: »Glaubst du, ich weiß das nicht?«

Es war eine lange kollegiale Zusammenarbeit, die die Ermittler mit ihrem Chef verband. Offenheit war für sie Gesetz, da gab es nichts, was ungesagt blieb, selbst wenn es unter die Gürtellinie ging. Sie waren echte Männer, immer der Gefahr ausgesetzt. Ihre Erfolge in Sachen Aufklärungsrate bestätigten sie darin.

»Rex muss mit«, sagte Kevin ganz ohne Umschweife.

»Habt ihr sie noch alle?«, Bender schüttelte den Kopf, »drei Leute in Ungarn, wie soll ich das denn hinkriegen? Glaubst du, das ist unser einziger Fall? Weil wir hier keine Arbeit haben? Vergiss es.«

»Ich kündige mit sofortiger Wirkung«, rief Rex mit einer Stimme, die fast erschreckend klang.