Tutu (Illustrierte Ausgabe) - Alexander von Ungern-Sternberg - E-Book

Tutu (Illustrierte Ausgabe) E-Book

Alexander Von Ungern-sternberg

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Beschreibung

Dieses eBook: "Tutu (Illustrierte Ausgabe)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Mein lieber Baron! Wie weit werden Sie es mit Ihrer verzweifelten und verteufelten Chemie noch treiben? Ich, meinerseits muß Ihnen offen erklären, daß ich müde bin, Ihre weitern Erfolge in diesem diabolischen Fache mit einem Triumphgeschrei zu begleiten, das ganz und gar nicht zu dem Elend paßt, welches Sie durch Ihre sogenannten Entdeckungen über die Welt gebracht haben. Ich bitte Sie, schauen Sie nur ein wenig um sich. Bemerken Sie jene Trümmerhaufen? Sie bezeichnen die Straße, die Sie gezogen sind; erkennen Sie jene Krüppel, die Ihnen nachschleichen? es sind die einst glücklichen Menschen, die in einer Welt voll Täuschung zufrieden lebten, und durchaus nicht begehrten aufgeklärt und belehrt zu werden. Und vollends wir armen Dichter! Ach, mein Herr, welch eine Last von Versündigung haben Sie auf sich geladen, indem Sie uns, die wir für das Publikum dichten und erfinden, allen Stoff aus dem wir unsre Figuren schaffen, geraubt haben. Wer glaubt nun noch an die Zaubersagen, an die Feen, Elfen und Kobolde, mit denen wir die Erde bevölkerten? Ein jeder Schulknabe weiß jetzt daß ein Irrlicht nichts anderes ist, als ein Phosphor-Flämmchen; und doch sind grade diese geheimen Schrecken der Natur die süßesten Reizmittel, die wir unter unsre Gerichte streuen, welche wir Frauen und Kindern, und allen die diesen gleichen, vorsetzen..." Alexander von Ungern-Sternberg (1806-1868), war ein deutscher Erzähler, Dichter und Maler. Er war Verfasser historischer und biographischer Romane, Novellen und ironischer Märchen.

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Tutu

(Illustrierte Ausgabe)

Phantastische Episoden und poetische Excursionen
e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-6832-3

Inhaltsverzeichnis

Schreiben eines Romantikers an den Freiherren Berzelius in Stockholm
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Funfzehntes Kapitel
Sechszehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel

Schreiben eines Romantikers an den Freiherren Berzelius in Stockholm

Inhaltsverzeichnis

Mein lieber Baron! Wie weit werden Sie es mit Ihrer verzweifelten und verteufelten Chemie noch treiben? Ich, meinerseits muß Ihnen offen erklären, daß ich müde bin, Ihre weitern Erfolge in diesem diabolischen Fache mit einem Triumphgeschrei zu begleiten, das ganz und gar nicht zu dem Elend paßt, welches Sie durch Ihre sogenannten Entdeckungen über die Welt gebracht haben. Ich bitte Sie, schauen Sie nur ein wenig um sich. Bemerken Sie jene Trümmerhaufen? Sie bezeichnen die Straße, die Sie gezogen sind; erkennen Sie jene Krüppel, die Ihnen nachschleichen? es sind die einst glücklichen Menschen, die in einer Welt voll Täuschung zufrieden lebten, und durchaus nicht begehrten aufgeklärt und belehrt zu werden. Und vollends wir armen Dichter! Ach, mein Herr, welch eine Last von Versündigung haben Sie auf sich geladen, indem Sie uns, die wir für das Publikum dichten und erfinden, allen Stoff aus dem wir unsre Figuren schaffen, geraubt haben. Wer glaubt nun noch an die Zaubersagen, an die Feen, Elfen und Kobolde, mit denen wir die Erde bevölkerten? Ein jeder Schulknabe weiß jetzt daß ein Irrlicht nichts anderes ist, als ein Phosphor-Flämmchen; und doch sind grade diese geheimen Schrecken der Natur die süßesten Reizmittel, die wir unter unsre Gerichte streuen, welche wir Frauen und Kindern, und allen die diesen gleichen, vorsetzen. Was fangen wir mit einer Welt an, die nicht durch Wunder, sondern durch Chlorkalk und Säure regiert wird? Welch ein verwünschtes Ding ist Ihre Voltaische Säule! O ich wünschte ich wäre Simson, um diese Säule zu zerbrechen; aber Sie hätten in dem Fall noch eine Menge anderer Apparate, mit denen Sie manövrirten, und die arme Natur bis aufs Blut quälten. Ja, mein Herr, bis aufs Blut. Die arme Creatur, unter Ihren Destillirkolben gebracht, schwitzt Blut und die armen kleinen Geschöpfe, indem sie Ihnen ihre Geheimnisse gezwungen ausplaudern, sind in Verzweiflung über Sie und Ihre Dreistigkeit. Kann es Ihnen Freude machen auf diese Weise zu Ihren Resultaten zu gelangen? wegen ein paar lumpichter Entdeckungen sich die Seufzer der guten alten Mutter Erde aufs Gewissen zu laden? Aber ich spreche vergebens zu Ihrem Herzen; die Chemiker haben kein Herz. Nun denn, so fahren Sie fort Ihre gottlosen Prozesse zu führen, Prozesse, die Sie immer gewinnen. Ich meinerseits hätte nicht übel Lust Ihnen den Prozeß zu machen, und zwar keinen chemischen, und den würden Sie also auch nicht gewinnen.

Seitdem Sie sich die uralte Phosphor-Krone des Pluto aufs Haupt gesetzt, und auf dem schwarzen Basaltthron Platz genommen haben, sind Sie auf eine Weise übermüthig, die kaum mehr zu ertragen ist. Ich sehe wie Sie an der Spitze des unabsehbaren Heeres der Chemiker dastehen und ausrufen: Wir sind es, die euch die Eisenbahnen geschenkt haben! — O eine traurige Erfindung! Eine Erfindung zum Erbarmen! Also darauf sind Sie und Ihresgleichen stolz, daß Sie uns arme Reisende auf graden Linien dahinschleifen! Wissen Sie welch eine Welt von Poesie durch Ihre vertrakten Maschinen zerstört worden ist? Es ist die Poesie des Reisens; eine erhabne, eine uranfängliche, eine patriarchalische Poesie. Wer giebt uns die rauschenden Wälder wieder, die stillen mondbeglänzten Kirchhöfe, die reizenden klaren Seen, die heimlichen Winkelchen in der Schöpfung, durch die, oder an welche vorüber früher unser Reisewagen lenkte? Wer giebt uns das heimliche Geflüster der Quellen, den Duft der Blumen, die Frische und Kühle der Gebüsche wieder, die unsre ermatteten Nerven einsogen, während unser Wagen sich langsam thalabwärts bewegte? Ach, wir haben statt dessen nichts als einen dampfenden Ofen vor uns und einen pestilenzialischen Gestank hinter uns, wir hören nichts als den gellenden Laut einer Spitzbubenpfeife und sehen nichts als eine öde Fläche, auf die der Calcül seine kaufmännischen Zahlen schreibt! Und nun gar die Poesie einer Landkutsche, wie sie unsre glücklichern Väter kannten!

Diese Kutsche fiel um und leerte ihren Inhalt auf die Straße und in den Graben aus. Welche Gruppen! Welche Verwickelung! Welch herrlicher Roman-Knäul, den dann die geschickte Hand des Dichters langsam und zu großer Freude des Publikums entwickelte. Alles ist vorbei, und gestehen Sie nur offen, es ist nur vorbei weil Sie und Ihresgleichen sich der Welt bemächtigt haben. Es bleibt nur noch zu fragen was werden soll, wenn diese Erfolge bis zu einem gewissen Grade gediehen sind. Wenn Sie unsre alte Erde, wie einen Küchentopf, rundum mit dem Drahtgitter ihrer Eisenbahnen umsponnen haben werden, schenken Sie ihr dann endlich Ruhe? Wenn überall, in allen bisher dunkeln Winkeln der Schöpfung Ihre Gaslichter brennen, werden Sie dann keine neue mehr anzünden? Wird die gequälte Materie dann in Ruhe kommen, und endlich einmal wieder Staub, Schimmel und Moos ansetzen? Nein, nein! Ich seh es kommen, wenn Sie nichts mehr zu analisiren haben werden, so fallen Sie als moderne Kanibalen der Wissenschaft über das Gehirn und das Herz Ihrer Nebenmenschen her, um die Blutkügelchen des einen und die zitternden Fasern des andern zu Ihren Experimenten zu verwenden. Aber dann, mein Herr, nehmen Sie sich in Acht! Wir Poeten werden in Masse gegen Sie aufstehn; es wird ein Krieg entbrennen, wie ihn die Erde noch nicht geschaut: ein Krieg der Poeten gegen die Chemiker, ein Krieg der Priester jeglicher Größe und Tugend gegen eine Rotte kleiner giftiger Zerstörungsmänner.

Ich bin nicht rachsüchtig, ich will daher nicht näher anführen, daß einige Erfindungen der Chemie mich persönlich beleidigt haben: so das Gaslicht. Früher brannte ich eine Oellampe in meinem Studirzimmer, die, wie das Herz einer Stiefmutter, nur grade so viel Licht mir gönnte, daß ich sehn konnte wie ich nicht ganz im Dunkeln saß; jetzt brennt eine flackernde Flamme auf meinem Tische, die Tageshelle um sich verbreitet, und alle Mängel meiner Tischdecke und meines Armstuhls mir aufdeckt. Strebte ich früher über die Straße herüber meine Nachbarin zu besuchen, so konnte ich mit Sicherheit darauf rechnen, daß die trübe Laterne an der Hausecke nichts dagegen haben würde, jetzt läßt in unserm ganzen Straßenbezirk eine Gasflamme ihr Licht über Gerechte und Ungerechte leuchten; und der Himmel weiß wie viel mehr von der letztern Sorte als von der erstern Nachts auf den Straßen sich befinden. Ich bin daher schon seit Jahren unzufrieden mit meiner Studirstube, und zerfallen mit meiner Nachbarin. Das Leben hat jeglichen Reiz für mich verloren, und dies Alles ist unleugbar Ihre Schuld. Aber wie gesagt, ich bin nicht rachsüchtig und verzeihe gern was Sie gegen meine Person verbrochen haben, wenn nur das allgemeine Wohl durch Ihre Erfindungen gewonnen hätte. Sie rufen mir zu, daß Sie neuerdings durch Ihre Anhänger und Schüler das Daguereotyp haben erfinden lassen. Es ist wahr, allein diese Erfindung ist in meinen Augen eben so wenig werth als die der Eisenbahnen. Sie haben den Lichtstrahl, den freiesten Sohn des Himmels, so lange mit Ihrer chemischen Zuchtruthe geschlagen, bis er das Zeichnen lernte. Aber wie zeichnet er! Was macht er aus den Augen, Ohren, Nasen und Händen unsrer Angehörigen und Lieben? Sie haben die Sonne zur Portraitmalerin gemacht! Ach, das war ein unglücklicher Einfall. Wie malt sie jetzt? Man kann eine vortreffliche Sonne und dabei doch eine herzlich schlechte Portraitmalerin sein. Um diese unglücklichen Resultate Ihrer sogenannten Erfindung kümmern Sie sich aber weiter nicht.

Ich will Ihnen sagen, mein theurer Baron, wie Sie Ihre zahllosen Sünden wieder allenfalls gut machen können: produziren Sie Gold! Sie erwidern, daß Sie das nicht können. Ja, ich glaub's Ihnen wohl.

Noch Eins: Vermehren Sie das menschliche Geschlecht auf chemischem Wege. Lassen Sie eines schönen Morgens aus Ihrem Destillirkolben eine kleine allerliebste Pariserin steigen. Das verstehn Sie aber auch nicht. Es ist gut; Sie verstehn eben nichts als uns Dichtern Verdruß und Langeweile zu bereiten.

Dafür, als ein bescheidener Versuch Gleiches mit Gleichem zu erwidern, empfangen Sie diese kleine Geschichte, die ich kürzlich, ich weiß nicht in welchem alten vergessenen Manuscriptenconvolut einer meiner Freunde auffand und Ihnen hiemit dedicire. Sie enthält noch, dem Himmel sei Dank, zahllose Wunder und Unwahrscheinlichkeiten, und strotzt von Thatsachen, die einem Manne wie Sie, der Alles erklären will, einigen Verdruß zu machen, geeignet sind.

Mein Herr Baron ich bin

Ihr ganz gehorsamer Diener.

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Die Wanderungen eines Engels. Der Leser macht die Bekanntschaft eines Studenten, der von sehr erlauchter Familie abstammt.

Don Zerburo, Student der Theologie, ein junger Mann von angenehmen Sitten, der aber die Welt wenig kannte und deshalb etwas scheu und zur Einsamkeit geneigt war, beschäftigte sich eines Tages in der Abgeschlossenheit seiner Studirstube mit der sogenannten geheimen Wissenschaft, mit der Kabbala und den mystischen Traktaten der alten Gnostiker und Theosophen. Er saß noch spät nach Mitternacht bei der Studirlampe und hielt vor sich aufgeschlagen des Theophrastus Paracelsus Lehre von den Dämonen und Engeln. Mit diesem alten Autor verglich er die Schriften eines neuern, der über diesen selben Gegenstand sich verbreitete, des Magier Swedenborg und indem er sich gründlich in diese mysteriöse Materie vertieft hatte, kam er dahin eine kleine Formel aufzufinden, die unter andern gleichgültigen Sätzen so künstlich versteckt war, daß nur ein sehr geübtes Auge sie entdecken, und ein schon geweihter Sinn sie in Anwendung bringen konnte. Diese Formel enthielt einen Anruf an einen Bewohner höherer Welten; es war nicht recht deutlich ob dies ein Dämon oder ein Engel war. Nachgrübelnd über diese geheimnißvolle Phrase sprach Don Zerburo mehrmals die Formel leise vor sich hin, und er war eben im Begriff sie als einen glücklichen Fund aufs Papier zu bringen, als er einen leichten warmen Athem über seine Schulter wehen fühlte. Wie verwundert war er, ein Wesen das Licht verbreitete und dessen Schönheit einen Bürger anderer Welten verkündete, dicht neben sich sitzen zu sehen. Dieses schöne Geschöpf — ob Weib oder Mann war ungewiß — lächelte ihn an und sagte mit einem bezaubernden Wohlklang der Stimme, indem es auf die Abbildung im Buche wies: welch ein unähnliches Portrait! Das soll ich sein, mein Freund! Findest du wohl die kleinste Spur, das dies Wesen mir gleicht?

Nicht die mindeste! Rief der junge Student laut; die mindeste. Er erschrak als er diese Worte gesprochen, denn er hatte sich tollkühn und ohne lange zu untersuchen in das Geisterreich hineingestürzt. Eine halbe Minute war vergangen und seit dieser kurzen Spanne Zeit war der Himmel, die Erde, er selbst etwas anderes geworden, die Welt hatte ihre Gestalt verändert — ein Engel sprach mit ihm und er — welch eine maaßlose Kühnheit — hatte dem Engel geantwortet. Alles dies war so schnell geschehn und schien so natürlich und folgerecht sich ereignet zu haben, als wäre es das alltäglichste Ereigniß.

Der junge Student wurde jetzt befangen und blöde, aber er unterließ es nicht seine Blicke, wenn auch verstohlen, auf die Schultern und den schönen Hals seines nächtlichen Gefährten zu richten; diese waren von einer Weise und Zartheit, wie die Blätter einer Lilie, die der erste Morgenstrahl röthet.

Du hast mich gerufen. Was ist dein Begehr?

Ich dich rufen? Nimmermehr hätte ich diese Kühnheit gehabt, wenn ich gewußt, daß ich einen Geist der ersten Ordnung von seinem himmlischen Aufenthalt durch meine vorwitzigen Worte herabbemühte.

Die ersten Ordnung? Das bin ich nicht. Da wir alle sammt und sonders aufrichtige Geschöpfe sind und die Lüge nur auf eurer Erde wohnt, so will ich dir sagen, was du an mir für eine Bekanntschaft machst. Höre mir aufmerksam zu.

Der junge Student machte seinen Folianten zu, lehnte sich auf seinen Stuhl zurück, kreuzte die Arme auf der Brust übereinander und indem er die Augen halbgeschlossen mit einem zärtlichen Blick auf seinem Gaste ruhen ließ, hing er mit ganzer Seele an den Worten desselben.

Es ist noch nicht lange, hob der lichtvolle Himmelsbürger an, daß wir euch und eure Erde kennen, die kurze Spanne Zeit von sechstausend Jahren etwa. Ich entsinne mich noch ganz gut der Vertreibung eurer ersten Eltern. Ich war damals Engel von der fünften Rangordnung und hatte noch keine purpurne Feder in meinem rechten Flügel, seitdem bin ich eine Stufe höher gestiegen. Aber noch immer treib ich mich in den untern Regionen des Himmels herum. Ich könnte weiter sein, ich könnte vielleicht gar schon als Engel der dritten Rangordnung die Fußspitzen der Seraphim sehn, wenn sie hoch oben im Licht den Dienst um die Erzengel versehn — aber ich hab' so viele Unarten an mir. Ich bin neugierig. Das ist ein garstiger Fehler! Als der schöne Engel das sagte kniff er ein Auge zu und machte höchst anmuthig die Grimasse eines weinenden Kindes, gleich darauf herrschte aber wieder Schönheit und Lächeln auf seiner Stirn. Als die kleine Person den verbotenen Apfel gegessen hatte und das große Unglück darüber seinen Anfang nahm, stand ich gerade auf dem Absatz einer compakten Morgen-Gewitterwolke, als ich unsern erhabenen Gabriel in entsetzlicher Eile, so daß seine Flügel wie Sturmwinde sausten, an mir vorüber eilen sah. Was giebt es denn da wieder? rief ich erstaunt bei mir selbst. Ist der alte Ring des Saturn's entzweigebrochen? Hat man auf dem Uranus das große Dreieck zertrümmert? Geht die Riesensonne Pleja mit ihrem Gefolge von sieben Millionen Erden in ein falsches Himmelsgleis über? Hat sich in der Urtiefe des östlichen Himmels ein fremder Körper eingefunden, ein Weltenmonstrum, sieben zusammengewachsene Sonnen, die sich, eine die andere, mit Feuer begießen? — Was ist's? Was giebt's?

Meine Fragen blieben ohne Antwort und so entschloß ich mich — was streng verpönt war — hinaufzuschleichen und in der obern Versammlung der Engel zu lauschen. Da standen sie die schönen, trotzigen Gestalten, die militärischen Engel, mit den flammenden Schwertern an den marmornen Hüften. So eben war die Execution vollführt worden. Der Engel, der deine ersten Eltern aus dem Garten hinausgewiesen, erzählte noch von den Thränen Heva's und diese Thränen wußte er so rührend zu schildern, daß ich mein Herz erbeben fühlte. Wie war es dir möglich? rief einer der Engel, ein so schönes Weib zu beleidigen? Ich meinerseits hätte Heva vertrieben, denn so lautete der Befehl, aber ich wäre nicht im Stande gewesen eine schon namenlos Unglückliche durch meinen Hohn zu verletzen. — Du wärst es nicht im Stande gewesen? O ja ich glaub's, entgegnete der Gescholtene. Dein Herz, das wissen wir, wird durch eitle Schönheit gerührt, das Unglück, die hülflose Schwäche entwaffnen dich — aber sind dies Gefühle, die dem Vollstrecker eines hohen Befehls ziemen? — Diesen kurzen Zwist der Engel hatte der Engel der Sanfmuth mit angehört, er entfernte sich sogleich um höhern Orts den Vertheidiger Heva's zu denunciren. Der arme Ituriel empfing seine Strafe: er mußte Mensch sein, Bewohner desselben Planeten, dessen erste Bewohnerin er in Schutz genommen. Aber du hättest den Blick sehn sollen, mit dem er den Engel der Sanftmuth niederschmetterte, als er eben im Begriff in sein Exil zu gehn, seinem Ankläger auf den Stufen des Himmelssaales begegnete. Nie werde ich diesen furchtbaren Stolz, diese grenzenlose Verachtung vergessen, die aus diesem einen Blick, wie tausend zusammengeballte Blitze auf den Ankläger niederbrannten. Lange Jahrtausende später sah ich Ituriel auf Erden wieder. Er trug die sterbliche Hülle eines Mannes und war ein berühmter Dichter, dessen Verse die Welt anstaunte und bewunderte, obgleich derselbe Trotz und Hohn, derselbe Enthusiasmus für die Schönheit, dieselbe stolze Anmaßung gegen die Befehle von Oben, dieselbe wilde Kühnheit im Schutze der von Gott und der Welt Gerichteten in ihm loderte. Sein Erdenname war Lord Byron. —

Ich komme vom Streit der Engel auf meine eignen unbedeutenden Schicksale zurück. Derselbe Engel der Sanftmuth, der Ituriel gestürzt, denuncirte auch mich als einen unbefugten Lauscher. Meine Strafe war jedoch — weil ich mich sogleich in Demuth fügte, und die Fußspangen des Engels der Sanftmuth küßte — nicht hart.

Ich mußte auf einige Jahrtausende in die schwarze Höhlung eines Sonnenfleckens mich verkriechen. Als ich wieder hervorkam war mein erster Flug auf die Erde. An einem schönen Sommermorgen langte ich auf ihr an. Ich glaubte noch Heva auf ihr zu finden, aber die arme Kleine war längst, längst dahin. Sie hatte die Erde mit ihren Kindern und Kindeskindern bevölkert, und das Geschlecht Adams war unzählbar, wie der Sand am Meere geworden.

Ehe ich meinen Ausflug auf die Erde unternahm, zog ich einen alten Reise-Engel zu Rath. Derselbe war ein Pedant, aber er hatte so viel gesehn und hatte über alle Dinge so schätzbare Bemerkungen gemacht, daß ich doch nicht umhin konnte, ihn trotz seiner Altklugheit und seinem Wuste gelehrter Citate, hochzuschätzen. Wir schlugen in seiner Real-Encyklopädie, ein Werk das vollständig siebenzig Millionen Folianten enthält, welches aber in einen kleinen sehr bequemen portativen Auszug von etwa einer Million Bänden gebracht worden, den Artikel „Erde" nach, und fanden dort die magischen Vorsichtsmaßregeln verzeichnet, die den Geistern der höhern Ordnungen beim Besuch dieses Kügelchens, dieses Miniatur-Sterns, vorgeschrieben werden. Das Ur-Symbol der Erde, hieß es da, ist die mystische Floskel  das heißt die Zwei, die da strebt Eins zu werden. Dieses Symbol ist durch die zwei Geschlechter ausgedrückt, die da streben durch Liebe eins zu werden. Die Signatur dieses in Frieden sich lösenden Streits ist der Kuß. Ein höherer Geist also, der nicht der Erde verfallen will, hüthe sich vor dem Kuß, denn augenblicklich wird er, so wie er küßt, das Geschlecht dessen annehmen, den er küßt und dann in irdischem Kleide eine Gefangenschaft von drei Menschenaltern auf der Erde zubringen müssen. Du kannst dir denken wie diese Formel mich entsetzte und wie ich mir bei meinem Besuche auf der Erde vornahm, nie und unter keiner Bedingung jenes zärtliche Symbol, das von so arger Gefährlichkeit für uns war, weder selbst auszuüben noch von irgend Jemand zu empfangen. Dem Himmel sei Dank, bis jetzt — hab' ich mit kluger Vorsicht alle Klippen umschifft, und ich bin doch schon bereits fünf Mal auf der Erde gewesen; zwei Mal aus eignem Antriebe und drei Mal durch Magier gerufen. Wenn dir's genehm ist, so erzähle ich dir etwas von diesen Besuchen; sie fielen zu gänzlich verschiedenen Zeiten und ich sah schon manches Geschlecht, das dem heute lebenden wenig glich. Aber ehe ich weiter plaudre, erzähle du nun wer du bist. Ich habe nicht die Gabe der Allwissenheit und folglich weiß ich auch nicht mit wem ich's zu thun habe.

Ich gehorche gern deinem Befehle, erwiederte der junge Student, doch erlaube, daß ich wie es bei uns Edelleuten Sitte ist, zuerst von meinen Vorfahren berichte.

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Ein Mittel sich in Besitz einer Erbschaft zu setzen. Das Juwelenkästchen einer alten Jungfrau. Ein Schreiben des heiligen Dominikus.

Das reiche und Mächtige Catalonien, von dem es heißt, daß wenn dem lieben Herrgott die Erzengel aussterben, er nur einen catalonischen Edelmann zu nehmen braucht, um die vacante Stelle vollgenügend wieder besetzt zu sehn, besaß kein edleres und mächtigeres Geschlecht als das der Don Zerburo. Der Ursprung dieses Namens ist dunkel. Während einige Genealogen, die unfehlbar die Absicht hatten der Familie zu schmeicheln, ihn direct vom Höllenhund Zerburus ableiteten, der, wie die ganze Mythologie ihre Namen und ihren Wohnort veränderte, ebenfalls in den Privatstand überging und ein Grande von Spanien wurde und zwar mit Beibehaltung seiner drei Köpfe, welche ihm in drei nach einander folgenden Revolutionen, immer einer zur Zeit, abgeschlagen wurden. Ich sehe in dieser abenteuerlichen Sage eine passende Allegorie.

Dieser Don Zerburo mit den drei Köpfen stellte das Feudalsystem des Mittelalters vor und gab im Bilde den Staatskörper wieder, der drei sich bekämpfende Köpfe auf einem Schulterpaar tragen mußte und dieses politische Ungeheuer mußte nothwendig untergehn. Aber abgesehn von dieser schwärmerischen Ausgeburt der Phantasie eines genealogischen Zeichendeuters sind die ältesten Familienschicksale unsres Stammes sehr in Dunkel gehüllt. Unter Philipp dem Zweiten gelangte ein Don Zerburo zu der Würde eines Großinquisitors, doch er verlor sie wieder als man unter den Papieren seiner Nichte ein Schreiben an die heilige Jungfrau fand, wo diese eine petite bourgoise de Nazareth titulirt wurde. Der Stolz meiner Ahnen hat unsrer Familie überhaupt großen Schaden gebracht. Selbst als sie ihre Reichthümer und Würden verloren, hörten sie nicht auf, sich für die ersten und einzigen Edelleute der Welt zu halten. Ich habe vor allen Dingen von Donna Alonza de Zerburo zu erzählen, einer Dame von untadelhaften Sitten, die unvermählt blieb, weil sie keinen ihrer Bewerber für würdig genug hielt, um ihn mit ihrer Hand zu beglücken und ihm einen Platz in einem so berühmten Stammbaume anzuweisen. Donna Alonza lebte auf ihrem Schlosse allein und theilte von ihren Reichthümern Niemandem etwas mit, selbst nicht ihrem einzigen Brudersohne, meinem Urgroßvater, der Capitain in der Garde des Königs war, aber nicht einen Marawedi im Vermögen hatte. Er war vierzig Jahr alt und noch immer gezwungen ein abenteuerndes Leben zu führen. In Begleitung seines Dieners, einer Art von Sancho Pansa, sah man ihn auf die benachbarten Rittersitze hinziehen, wo er vom Spiel lebte, und die Jagden und die Schmausereien seiner Genossen theilte, dafür zum Dank vor den Balkons alternder Damen die Zither spielte und mit ihnen den Fandango tanzte. Nach und nach, bei zunehmenden Jahren wurde ihm jedoch diese Liebedienerei äußerst lästig und er wünschte sehnlichst entweder eine reiche Erbin zu erobern, oder recht bald den Tod seiner Tante zu erleben. Beides wurde ihm vom Schicksal nicht gewährt und der ehrliche Ritter zählte nahe an Fünfzig, ohne daß er wußte, wohin er sein Haupt in sichre Ruhe betten könne. Bei diesen Umständen blieb ihm nichts übrig, als sich bei der zu erobernden Festung in den Hinterhalt zu legen, um den günstigen Moment nicht zu verfehlen, wo über diese unzerstörbare Burg ein Vortheil zu erlangen war; das heißt, er gab seine spärliche Offiziersbesoldung auf, legte den Rock des Königs ab, und brachte sich gänzlich in Quartier bei seiner Tante, der er jetzt systematisch und mit allen ihm noch zu Gebote stehenden, aus alter Zeit noch im Gedächtnis behaltenen Verführungs- und Eroberungskünsten den Hof zu machen beschloß. Es war dies eine schwierige Arbeit. Donna Alonza war ein Diamant von äußerster Härte und sie trotzte jeder auch noch so scharfen Feile und jedem noch so unermüdlichen Polirsteine. Mein Urgroßvater verschwendete vergebens die allersüßesten und devotesten Handküsse, die demuthvollsten und vom zärtlichsten Feuer glühenden schmerzensvollen Blicke. Er war alle Stunden des Tages um sie, und Nachts, wenn die alte Jungfer ohne Schlaf in ihrem Kämmerlein weilte, stand er vor ihrer Thür und sang eine jener zärtlichen und hochtrabenden Romanzen, an denen die spanische Poesie so reich ist. Er ließ aus dem nächsten Städtchen Maler kommen, die Donna Alonza's Bild malen mußten in verschiedenen Größen und in den mannigfaltigsten Kostümen. Diese Gemälde hing er in seinem Zimmer auf, zündete geweihte Kerzen vor ihnen an und schmückte sie mit Blumenkränzen. Er ging noch weiter, er ließ eine schlechte Statue meißeln, die Donna Alonza als Flora zeigte, stellte sie dicht an der alten Fontaine im Schloßgarten auf und ließ von den Landleuten, wenn sie mit ihren Körben und Käseladungen zu Markte zogen, Tänze vor diesem Steinbilde aufführen. Er selbst nahm die Feder zur Hand und dichtete Madrigale und Sonette, die er dann selbst in Musik setzte und selbst auch absang. Alle diese heidenmäßigen Anstrengungen führten jedoch auch nicht das geringste Resultat herbei. Donna Alonza ließ ihren Neffen sich in die convulsivischen Bemühungen um ihre Gunst abquälen und öffnete für ihn auch nicht den kleinsten von ihren Geldsäcken. Manchmal ging dem edlen Ritter die Geduld aus, besonders vermochte er es fast nicht länger die schweigsamen, einförmigen Abend- und Mittagsmahlzeiten zu ertragen, wo nichts die Langeweile eines stundenlangen, steifen tète à tète's