Tweet Cute - Emma Lord - E-Book
SONDERANGEBOT

Tweet Cute E-Book

Emma Lord

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Pepper hat ihr Leben voll im Griff. Sie ist beliebt, Kapitänin des Schwimmteams - und die Burgerkette ihrer Familie boomt. Doch als ein kleines Deli ihre Eltern beschuldigt, das gut gehütete Rezept für die besten Käsesandwiches gestohlen zu haben, gerät das Image der Fastfoodkette ins Wanken. Pepper, die den Twitter-Account des Restaurants betreut, geht in die Offensive. Ist der erste Tweet noch harmlos, artet das Ganze schnell in einem regelrechten Twitter-Krieg aus. Was Pepper jedoch nicht weiß: Am anderen Ende sitzt ihr Mitschüler Jack, Sohn der Deli-Besitzer. Und während sie sich online an die Gurgel gehen, beginnt es offline zwischen den beiden zu knistern. Das kann ja nur schief gehen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 449

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Teil 1

Pepper

Jack

Jack

Jack

Pepper

Pepper

Pepper

Jack

Pepper

Pepper

Pepper

Pepper

Jack

Jack

Pepper

Jack

Teil 2

Jack

Pepper

Pepper

Pepper

Jack

Jack

Pepper

Pepper

Jack

Jack

Pepper

Pepper

Pepper

Pepper

Jack

Jack

Pepper

Pepper

Jack

Jack

Pepper

Pepper

Pepper

Pepper

Jack

Jack

Pepper

Epilog

Danksagung

Impressum

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Cherokee Moon Agnew

Für Mom und Dad – meine Lieblingsautoren

Teil 1

Pepper

Wenn man mal ehrlich ist, kommt nicht mal richtig Qualm aus dem Backofen, als der Alarm losgeht.

»Ähm, steht das Apartment in Flammen?«

Ich klappe den Deckel meines Laptops ein wenig her‍unter. Das irritiert dreinblickende Gesicht meiner großen Schwester Paige, die mich von der Uni in Pennsylvania per Skype angerufen hat, füllt die eine Bildschirmhälfte, eine Hausarbeit über Große Erwartungen, die ich schon so oft umgeschrieben habe, dass sich Charles Dickens wahrscheinlich im Grab umdreht, die andere.

»Nope«, murmle ich und bringe den Ofen zum Schweigen, »nur mein Leben.«

Als ich den Ofen öffne, kommt mir eine große Rauchwolke entgegen, die schließlich die Sicht auf meinen ziemlich verbrannten Monster-Cake freigibt.

»Mist.«

Ich schnappe mir die Trittleiter aus der Vorratskammer, um den Alarm auszuschalten. Dann öffne ich alle Fenster unseres Apartments im sechsundzwanzigsten Stock. Unter mir erstreckt sich die Upper East Side mit ihren Hochhäusern, in denen selbst dann noch die Lichter brennen, wenn jeder, der bei klarem Verstand ist, eigentlich schon längst schlafen sollte. Kurz lasse ich den Blick schweifen. Ich habe mich immer noch nicht ganz an die gigantische Aussicht gewöhnt, obwohl wir schon seit fast vier Jahren hier leben.

»Pepper?«

Stimmt. Paige. Ich klappe den Laptop wieder auf.

»Alles unter Kontrolle«, sage ich und zeige ihr einen Daumen nach oben.

Ungläubig zieht sie die Augenbrauen hoch und tut, als würde sie ihren Pony zur Seite streichen. Ich hebe die Hand, um meinen eigenen glatt zu streichen, und schmiere mir dabei Kuchenteig in die Haare. Paige verzieht das Gesicht.

»Falls du doch die Feuerwehr rufen solltest, dann stell den Laptop auf die Theke, damit ich beobachten kann, wie heiße Feuerwehrmänner eure Wohnung stürmen.« Ihre Augen wandern auf dem Bildschirm hin und her, wahrscheinlich zu dem unfertigen Post auf unserem gemeinsamen Blog. »Ich schätze, wir kriegen für den heutigen Eintrag keine Fotos?«

»Ich habe noch drei weitere Backbleche voll. Sobald ich mit der Glasur fertig bin, mache ich Fotos. Ich schicke sie dir später.«

»Meine Güte. Wie viel Monster-Cake hast du bitte gebacken? Ist Mom überhaupt schon zurück von ihrem Trip?«

Ich weiche ihrem Blick aus und starre auf die Pfannen, die ordentlich nebeneinander über dem Herd hängen. Paige fragt nur noch selten nach Mom, deshalb habe ich das Gefühl, extra vorsichtig sein zu müssen mit dem, was ich jetzt sage. Noch vorsichtiger als mein gescheiterter Versuch, mich von Schulkram abzulenken, der beinahe zu einer abgefackelten Küche geführt hätte.

»Sie sollte in zwei Tagen wieder da sein.« Weil ich einfach nicht anders kann, füge ich hinzu: »Du kannst herkommen, wenn du willst. Wir haben am Wochenende noch nichts Besonderes vor.«

Paige zieht die Nase kraus. »Ich passe.«

Ich kaue auf der Innenseite meiner Wange herum. P‍a‍i‍g‍e ist so stur, dass alles, was ich sage, um sie und Mom einander wieder näherzubringen, die Situation für gewöhnlich nur noch schlimmer macht.

»Aber du könntest mich in Penn besuchen«, schlägt sie begeistert vor.

Die Idee klingt verlockend – wäre da nicht die Hausarbeit über Große Erwartungen und noch all die anderen großen Erwartungen, denen ich gerecht werden muss: der Statistiktest, ein Projekt in Bio, die Vorbereitung für den Debattierclub, mein erster offizieller Tag als Kapitänin des Schwimmteams – nur, um ein paar zu nennen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Des unheimlich stressigen Eisbergs.

Mein Gesichtsausdruck muss mich wohl verraten haben, denn Paige hebt kapitulierend die Hände.

»Sorry«, sage ich reflexartig.

»Erstens, hör auf, dich immer zu entschuldigen«, erwidert Paige, die gerade knietief in einer Vorlesung zu feministischer Theorie steckt und alles gierig in sich aufsaugt. »Und zweitens, was ist eigentlich mit dir los?«

Ich versuche, auch noch den restlichen Qualm in Richtung Fenster zu wedeln. »Was mit mir los ist?«

»Dieses ganze ... seltsame ... Jahrgangsbeste-und-beliebt-sein-Ding, das du da abziehst«, entgegnet sie und wedelt vor dem Bildschirm herum.

»Mir sind meine Noten eben wichtig.«

Paige schnaubt. »Nicht, als wir noch zu Hause waren.«

Mit »zu Hause« meint sie Nashville, wo wir aufgewachsen sind.

»Hier ist es eben anders.« Woher soll sie das auch wissen, schließlich musste sie nie auf die Stone Hall Academy gehen, eine Privatschule, die so elitär und kompetitiv ist, dass selbst Blair Waldorf nur zwei Minuten nach Übertreten der Schwelle in Flammen aufgehen würde. Als Mom mit uns hierhergezogen ist, war Paige schon in der Abschlussklasse und bestand darauf, auf eine staatliche Schule zu gehen. Außerdem hatte sie bereits die Noten aus Nashville, mit denen sie sich an den Universitäten bewerben konnte. »Die Benotungen sind hier viel strenger. Es ist viel schwieriger, an einem College angenommen zu werden.«

»Aber du bist immer noch dieselbe.«

Ha. Vielleicht, bevor sie mich für Philadelphia hat sitzen lassen. Inzwischen kennen mich die Leute als »den Terminator«. Oder Miss Perfect. Oder Preppy Pepper. Oder was auch immer sich Jack Campbell, notorischer Klassenclown und der metaphorische Dorn in meinem schmerzenden Auge, wieder für mich ausgedacht hat.

»Aber hast du dich nicht schon längst an der Columbia beworben? Meinst du, die kümmert ein blödes B+?«

Ich meine es nicht nur, ich weiß es. Ich habe gehört, wie ein paar Mädchen in der ersten Stunde darüber gesprochen haben, dass einem Typen von einer benachbarten Schule die Zulassung an der Columbia wegen Leistungsabfall entzogen wurde. Doch bevor das extrem haltlose Gerücht meine Paranoia weiter beflügeln kann, geht die Wohnungstür auf, und ich höre, wie Moms Absätze über das Parkett klackern.

»Bis dann«, sagt Paige.

Sie beendet den Anruf, bevor ich mich wieder dem Bildschirm zuwenden kann.

Seufzend klappe ich den Laptop zu, als meine Mom in die Küche kommt. Sie trägt ihr typisches Flug-Outfit: schwarze enge Jeans, einen Kaschmirpullover und eine riesige Sonnenbrille, die in Anbetracht der späten Stunde ziemlich lächerlich wirkt. Sie schiebt sie in ihr perfekt frisiertes blondes Haar, um mich und das Schlachtfeld, das mal ihre blitzblanke Küche war, zu begutachten.

»Du bist aber früh zurück.«

»Und du solltest schon längst im Bett sein.«

Sie kommt auf mich zu und umarmt mich. Ich drücke sie ein wenig fester, als es jemand, der über und über mit Kuchenteig beschmiert ist, eigentlich tun sollte. Sie war nur ein paar Tage weg, aber es ist einsam, wenn sie nicht da ist. Ich habe mich noch nicht an die Stille gewöhnt, jetzt, da Paige und Dad nicht mehr da sind.

Sie drückt mich und schnüffelt demonstrativ an mir. Wahrscheinlich riecht sie den verbrannten Kuchen. Als sie mich loslässt, hebt sie wie Paige eine Augenbraue, ohne etwas zu sagen.

»Ich muss einen Aufsatz abgeben.«

Sie begutachtet die Kuchenformen. »Scheint mir eine fesselnde Lektüre zu sein«, bemerkt sie trocken. »Der über Große Erwartungen?«

»Genau der.«

»Bist du damit nicht schon letzte Woche fertig gewesen?«

Da hat sie nicht ganz unrecht. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, kann ich auch einfach eine alte Fassung abgeben. Aber »hart auf hart« bedeutet an der Stone Hall Academy Verstümmelung und Zerstörung. Ich kämpfe gegen Leute, die wahrscheinlich direkt vom ersten Yale Bulldog abstammen, um einen Studienplatz an einer der Ivy-League-Universitäten. Gut zu sein reicht nicht. Es reicht auch nicht, großartig zu sein. Du musst deine Mitschüler vernichten, sonst vernichten sie dich.

Nun ja, zumindest metaphorisch. Apropos Metaphern. Obwohl ich das Buch schon zweimal gelesen und mit tausend Anmerkungen versehen habe, schaffe ich es aus irgendeinem Grund nicht, die Metaphern so zu interpretieren, dass unser Literaturlehrer nicht einschläft beim Lesen. Aber jedes Mal, wenn ich versuche, einen vernünftigen Satz zustande zu bringen, kann ich nur an das Schwimmtraining morgen denken. Es wird mein erster Tag als Teamkapitänin sein, und ich weiß, dass Pooja in den Sommerferien in einem Trainingscamp war, was bedeutet, dass sie jetzt bestimmt schneller ist als ich. Was bedeutet, dass sie meine Autorität untergraben könnte und ich vor allen dastehe wie eine Idiotin und ...

»Willst du morgen zu Hause bleiben?«

Ich blinzle meine Mom an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen. Das ist das Letzte, was ich jetzt brauche. Ich darf nicht mal eine einzige Schulstunde verpassen.

»Nein. Nein, alles gut.« Ich setze mich auf die Küchentheke. »Bist du mit deinen Meetings fertig geworden?«

Sie ist so darauf versessen, Big League Burger international zu vermarkten, dass sie von nichts anderem mehr redet. Sie hat Meetings mit Investoren in Paris, London und sogar Rom, um herauszufinden, in welcher europäischen Stadt sie zuerst Fuß fassen können.

»Nicht ganz. Ich werde noch mal wegfliegen müssen. Aber morgen wird über die Einführung neuer Gerichte diskutiert, und es würde nicht gut aussehen, wenn ich fehle.« Sie lächelt. »Außerdem habe ich mein Mini-Me vermisst.«

Ich schnaube, denn im Moment sehe ich ganz sicher nicht aus wie ihr Mini-Me. Während sie Designerklamotten trägt, stecke ich in einem zerknitterten Schlafanzug.

»Da wir gerade von der neuen Speisekarte sprechen«, sagt sie. »Taffy meinte, du würdest nicht auf ihre Nachrichten antworten.«

Ich versuche, nicht genervt dreinzublicken. »Ja, na ja. Ich habe ihr schon vor Wochen ein paar Ideen für Tweets geschickt. Außerdem hatte ich in letzter Zeit so viele Hausaufgaben zu erledigen.«

»Ich weiß, dass du viel zu tun hast. Aber du bist darin einfach gut.« Sie tippt mir auf die Nasenspitze, wie sie es schon immer getan hat. Früher haben sie und Dad immer darüber gelacht, wie ich dabei geschielt habe. »Und du weißt, wie wichtig es für die Familie ist.«

Für die Familie. Ich weiß, sie meint es nicht so, aber die Formulierung erwischt mich auf dem falschen Fuß, vor allem, wenn man bedenkt, wo wir angefangen haben und wo wir jetzt stehen. »Ähm, ja. Dad bekommt wegen der Tweets bestimmt nachts kein Auge zu.«

Mom verdreht übertrieben die Augen, wie sie es nur bei Dad tut. Obwohl sich seit der Scheidung vor ein paar Jahren viel verändert hat, lieben sie sich immer noch, auch wenn sie nicht mehr »verliebt« sind, wie Mom es ausdrückt.

Alles andere jedoch ist der reinste Peitschenhieb. Sie und Dad haben vor zehn Jahren mit einem kleinen Diner in Nashville angefangen. Damals gab es nur Milchshakes und Burger, und wir nahmen kaum genug ein, um die Miete bezahlen zu können. Keiner hätte damit gerechnet, dass Big League Burger irgendwann so erfolgreich sein würde, dass es sich zum viertgrößten Franchise-Unternehmen des Landes entwickelt.

Ich hätte aber auch nie gedacht, dass meine Eltern irgendwann nur noch Freunde sein und sich bereitwillig scheiden lassen würden. Oder dass Paige den Kontakt zu Mom abbricht, weil die Trennung hauptsächlich von ihr ausgegangen ist. Oder dass Mom eine Hundertachtziggradwende vom Cowgirl zum Fast-Food-Mogul hinlegt und mit uns nach Manhattan auf die Upper East Side zieht.

Jetzt, da Paige in Pennsylvania aufs College geht, Dad immer noch in Nashville lebt und Moms Finger mit ihrem iPhone verwachsen sind, ist das Wort Familie ziemlich weit hergeholt, um ihrer Teenager-Tochter ein schlechtes Gewissen zu machen.

»Würdest du mir dein Konzept bitte noch mal erklären?«, fragt Mom.

Ich unterdrücke ein Seufzen. »Da wir die Grilled Cheese-Sandwiches zuerst einführen, ›grillen‹ wir die Leute auf Twitter. Jeder, der ›gegrillt‹ werden will, kann ein Selfie posten, und wir antworten mit einem bissigen Tweet.«

Ich könnte jetzt ins Detail gehen – ihr die Beispielantworten zeigen, sie an den #GrilledByBLB-Hashtag erinnern, ihr von den Wortspielen erzählen, die wir uns ausgedacht haben, basierend auf den Zutaten der drei neuen Sandwiches –‍, aber ich bin zu erschöpft.

Mom pfeift leise. »Das gefällt mir. Aber Taffy wird definitiv deine Hilfe benötigen.«

Ich verziehe das Gesicht. »Ich weiß.«

Arme Taffy. Sie ist die graue, Strickjacken tragende Maus, die für die Social-Media-Kanäle von Big League Burger zuständig ist. Mom hat sie direkt nach ihrem Schulabschluss eingestellt, als wir gerade mit dem Franchise angefangen haben, doch nachdem wir landesweit expandierten, hat das Marketing-Team beschlossen, dass unser Twitter-Account mehr in die Richtung von KFC und Wendy's gehen müsse – sarkastisch, frech, frisch. Alles, womit Taffy – Gott behüte ihr überarbeitetes, Powerpuff-Girl-Herz – keine Erfahrung hat.

Da komme ich ins Spiel. Bissige Tweets abzusetzen gehört offensichtlich zu meinen zahlreichen nutzlosen Talenten, die mir ganz bestimmt nicht helfen werden, an einem College angenommen zu werden. Auch wenn dazu gehört, das Logo von Big League Burger auf das Schild von der Krossen Krabbe zu photoshoppen und das von Burger King auf den Abfalleimer von SpongeBob – was das Erste war, was ich getan habe, als mich Mom letztes Jahr gebeten hat einzuspringen, als Taffy mit ihrem Freund Disney World besucht hat. Es hatte mehr Ret‍weets als alles andere, was wir je gepostet haben. Und seither drängt mich Mom, Taffy unter die Arme zu greifen.

Ich will meine Mom gerade daran erinnern, dass Taffy dringend eine Gehaltserhöhung und ein paar Assistenten bekommen sollte, damit sie auch mal schlafen kann, als sie mir den Rücken zudreht und die Backformen mustert.

»Monster-Cake?«

»Der einzige wahre Monster-Cake.«

»Uff«, sagt sie und bricht sich ein Stückchen von dem Kuchen ab, den ich bereits angeschnitten habe. »Die solltest du besser vor mir verstecken. Ich kann mich einfach nicht zurückhalten.«

Ich finde es immer noch seltsam, so etwas aus ihrem Mund zu hören. Wäre sie keine leidenschaftliche Esserin, hätten sie und Dad Big League Burger niemals eröffnet. Es kommt mir noch gar nicht so lange her vor, dass ich mit Paige auf der alten Veranda unserer Wohnung in Nashville stand, während Dad über Zahlen brütete und Lieferanten per E-Mail anschrieb und Mom verrückte Milchshake-Rezepte erfand und sie uns vorlas, um unser Einverständnis einzuholen.

Ich glaube, ich habe sie in den letzten fünf Jahren keinen einzigen Milchshake trinken sehen, höchstens ein paar Schlückchen. Inzwischen kümmert sie sich fast ausschließlich um das Geschäftliche. Und während ich mich damit arrangiert und versucht habe, sie mit den Tweets zu unterstützen und mich an New York zu gewöhnen, hat diese Veränderung Paige nur noch wütender gemacht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie sich nur auf unseren gemeinsamen Blog eingelassen hat, um nicht ganz den Kontakt zu verlieren.

Aber egal, was auch passiert – für Monster-Cake hatte meine Mom schon immer eine Schwäche. Eine gefährliche Erfindung aus Kindheitstagen, als Paige, Mom und ich eines Tages beschlossen, die Grenzen unseres schäbigen Backofens mit einer Mischung aus Konfettikuchen, Brownie-Teig, Cookie Dough, Oreos, Reese's Cups und Rolos zu testen. Das Ergebnis war gleichermaßen grauenvoll und köstlich, sodass Mom aus der Glasur zwei Augen formte – und geboren war der Monster-Cake.

Sie nimmt einen Bissen und stöhnt. »Okay, okay. Nimm ihn weg.«

Mein Handy piept in meiner Hosentasche. Ich zücke es und sehe eine Mitteilung von der Weazel-App.

Wolf

Hey. Wenn du das liest, geh ins Bett.

»Ist das Paige?«

Ich verkneife mir das Grinsen. »Nein, es ist ... ein Freund.« Na ja, so in der Art. Ich kenne nicht mal seinen richtigen Namen. Aber das muss Mom nicht wissen.

Mom nickt und kratzt ein paar Kuchenreste aus der Backform. Ich wappne mich für das, was jetzt kommt – normalerweise fragt sie an dieser Stelle immer, was Paige so treibt, und ich muss mal wieder die Vermittlerin spielen –‍, doch stattdessen fragt sie: »Kennst du einen Jungen namens Landon, der auch auf deine Schule geht?«

Wäre ich dumm genug, mein Tagebuch offen herumliegen zu lassen, würde ich jetzt eine Panikattacke bekommen. Aber so dumm bin ich nicht, selbst wenn Mom zu den Müttern gehören würde, die spionieren.

»Ja. Wir sind beide im Schwimmteam.« Was so viel heißt wie: Ja, ich war im ersten Jahr total in ihn verknallt, als du mich in einen Käfig voller reicher Kids geworfen hast, die sich schon ihr ganzes Leben lang kennen.

Der allererste Tag war so fürchterlich, wie ein allererster Tag nur sein kann. Ich hatte noch nie zuvor eine Schuluniform getragen. Alles kratzte, nichts passte wirklich. Mein Haar war immer noch so struppig und störrisch wie in der Mittelstufe. Jeder hatte bereits seine Clique – und niemand schien jemanden aufnehmen zu wollen, der sechs Paar Cowboystiefel besaß und ein Kacey-Musgraves-Poster an der Wand hängen hatte.

Als ich es endlich zu meinem Englischunterricht geschafft hatte und feststellte, dass die Schüler über den Sommer eine Lektüre gelesen hatten, wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen. Direkt am ersten Tag mussten wir einen unangekündigten Test schreiben. Ich traute mich nicht, der Lehrerin etwas zu sagen, doch Landon lehnte sich zu mir herüber, braun gebrannt und mit einem breiten, lässigen Grinsen, und sagte: »Hey, mach dir keinen Kopf. Mein großer Bruder hat gesagt, sie würde diese Tests nur machen, um uns Angst einzujagen. Sie zählen nicht wirklich.«

Ich brachte nur ein Nicken zustande. Er hatte sich noch nicht wieder zurückgelehnt und den Blick auf das Blatt gesenkt, da hatte mein dummes vierzehnjähriges Gehirn bereits beschlossen, dass ich verliebt war.

Zugegeben, es hielt nur ein paar Monate an. Seither habe ich mich vielleicht sechsmal mit ihm unterhalten. Außerdem bin ich so beschäftigt, dass ich gar keine Zeit habe, verknallt zu sein. Meine Erfahrung hält sich also entsprechend in Grenzen.

»Gut, gut. Du solltest dich mit ihm anfreunden. Lad ihn doch mal ein.«

Mir klappt die Kinnlade herunter. Ich weiß, dass sie in den Neunzigern zur Highschool gegangen ist, das entschuldigt aber nicht, dass sie nicht weiß, wie soziale Interaktion unter Teenagern funktioniert.

»Ähm, was?«

»Sein Vater denkt darüber nach, eine immense Summe in BLB zu investieren«, erklärt sie. »Vielleicht können wir irgendetwas tun, um ihnen ein besseres Gefühl zu geben ...«

Ich versuche, mich nicht zu winden. Zwar hat mich Landon vor ein paar Jahren zu schlechter Poesie und einer gewissen Angst vor Taylor-Swift-Songs inspiriert, aber eigentlich weiß ich kaum etwas über ihn. Im Moment ist er so sehr mit seinem Praktikum in einer Firma für App-Entwicklung beschäftigt, dass ich ihm in der Schule kaum noch über den Weg laufe. Landon ist generell zu sehr damit beschäftigt, Landon zu sein – übertrieben attraktiv, allseits beliebt und komplett außerhalb meiner Liga.

»Ja. Ich meine, wir sind keine Freunde oder so, aber ...«

»Du kannst doch so gut mit Menschen. Das war schon immer so.« Sie streckt die Hand aus und kneift mich in die Wange.

Vielleicht konnte ich tatsächlich mal gut mit Menschen, damals in meiner alten Schule. In Nashville hatte ich so viele Freunde, dass sie den halben Diner füllten, wenn wir nach der Schule dort abhingen. Aber ich musste nichts tun, um sie zu meinen Freunden zu machen. Sie waren einfach da, genau wie Paige. Wir wuchsen zusammen auf, wussten alles voneinander. Freundschaft war keine bewusste Entscheidung, sondern eine Art Schicksal, mit dem wir bereits geboren worden waren.

Natürlich war mir das nicht bewusst gewesen, bevor wir in dieses völlig neue Ökosystem mit ganz anderen Kids zogen. Am ersten Schultag starrten mich alle an, als wäre ich ein Alien. Und im Vergleich zu meinen Mitschülerinnen und Mitschülern, die in Manhattan geboren und mit Starbucks und Make-up-Tutorials auf YouTube aufgewachsen waren, war ich das auch. An jenem Tag kam ich nach Hause, sah meine Mom an und brach in Tränen aus.

Das ließ sie schneller handeln, als wenn ich brennend nach Hause gekommen wäre. Innerhalb von nur einer Woche hatte ich mehr Make-up, als auf der Ablage im Badezimmer überhaupt Platz hatte, und einen Beratungstermin bei einem Stylisten, um zur Elite aufschließen zu können. Meine Mom hatte uns in diese seltsame neue Welt gebracht – und sie wollte, dass wir dazu passten.

Es ist seltsam, dass ich beinahe rührselig an diese schreckliche Zeit zurückdenke. Heutzutage sind Mom und ich beide so beschäftigt, dass es kaum zu mehr reicht als für merkwürdige nächtliche Begegnungen in der Küche, beide immer auf dem Sprung und mit einem Fuß schon zur Tür hinaus.

Diesmal bin ich die Erste, die geht. »Ich gehe jetzt ins Bett.«

Mom nickt. »Vergiss nicht, dein Handy morgen anzulassen, damit Taffy dich erreichen kann.«

»Ach ja, stimmt.«

Eigentlich sollte es mich ärgern, dass sie denkt, Twitter wäre wichtiger als meine Schulbildung. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie mich auf eine der härtesten Schulen des Landes gesteckt hat. Aber irgendwie ist es auch schön. Dass sie mich für etwas braucht.

In meinem Zimmer lasse ich mich in die unzähligen Kissen auf meinem Bett sinken, ignoriere meinen Laptop und den Berg an Arbeit, den ich noch zu erledigen habe, und öffne stattdessen Weazel, um eine Antwort zu tippen.

Bluebird

Sieh mal einer an. Kannst du nicht schlafen?

Kurz denke ich, Wolf würde nicht antworten, doch dann öffnet sich die Chat-Blase. Die Weazel-App zu benutzen ist ein wenig aufregend – und auch ein bisschen angsteinflößend. Das Ganze ist anonym, und angeblich sind hier nur Kids von unserer Schule. Wenn man sich zum ersten Mal einloggt, wird einem ein Benutzername zugeteilt, immer irgendein Tier. Solange man im Hauptchat, dem Hallway Chat, bleibt, der für alle zugänglich ist, ist man anonym. Ist man aber mit jemandem in einem Zweierchat, gibt die App irgendwann die Identität preis. Man weiß nie, wann. Und dann Boom. Geheimnis gelüftet.

Je länger ich mich mit Wolf unterhalte, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass die App uns die wahre Identität des jeweils anderen verrät. Wenn man bedenkt, dass andere schon innerhalb einer Woche oder auch nur eines Tages erfahren, mit wem sie chatten, grenzt es an ein Wunder, dass wir uns schon seit zwei Monaten schreiben.

Wolf

Nee. Ich mache mir zu große Sorgen darum, dass du Pips' Erzählung zerstören wirst.

Vielleicht sind unsere Gespräche deshalb in letzter Zeit ein wenig persönlicher geworden. Wir schreiben uns Sachen, die uns zwar nicht direkt verraten, aber auch nicht gerade subtil sind.

Bluebird

Eigentlich müsste ich einen Vorteil haben. Die ganze Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Sache ist gar nicht so weit hergeholt.

Wolf

Ja. Mittlerweile glaube ich, wir zwei sind die Einzigen, die nicht mit Silberlöffeln in diversen Körperöffnungen geboren wurden.

Ich halte den Atem an, als könnte uns die App jeden Moment outen. Irgendwie will ich es und irgendwie auch nicht. Es ist zwar lächerlich, aber alle sind so verschlossen und verbissen, dass Wolf der Einzige ist, den ich als echten Freund bezeichnen würde, seit wir nach New York gezogen sind. Und ich will nicht, dass sich daran etwas ändert.

Ich habe keine Angst, von ihm enttäuscht zu sein. Ich habe Angst, dass er von mir enttäuscht sein könnte.

Wolf

Du solltest das nutzen und so viel wie möglich rausholen. Vor allem, da die Arschlöcher bestimmt jemanden dafür bezahlen, ihren Aufsatz zu schreiben.

Bluebird

Mist. Wahrscheinlich hast du recht.

Wolf

Hey. Nur noch acht Monate bis zum Abschluss.

Ich sinke nach hinten und schließe die Augen. Die acht Monate können gar nicht schnell genug vergehen.

Jack

Es sollte verboten werden, montagmorgens vor neun Uhr E-Mails zu versenden. Vor allem, wenn mir die besagte E-Mail den Tag ruiniert.

An die Eltern und wissbegierigen Schüler*innen der Stone Hall Academy, beginnt sie. Ein eindeutiges Zeichen, dass sie von Rucker ist, Konrektor und Spaßbremse.

Die Fakultät ist darauf aufmerksam geworden, dass sich Schüler*innen über eine App namens »Weasel« in anonymen Chats austauschen. Nicht nur, dass diese Form der Kommunikation nicht von der Schule genehmigt ist, nein, sie ist zunehmend ein Grund zur Sorge. Das Risiko für Cybermobbing, die eventuelle Verbreitung von Klausurergebnissen sowie der unbekannte Ursprung dieser App sind Grund genug für ein schulinternes Verbot, das mit sofortiger Wirkung in Kraft tritt.

Liebe Eltern, wir möchten Sie eindringlich darum bitten, mit den Schüler*innen über die Gefahren dieser App zu sprechen. Wer zukünftig auf dem Campus beim Benutzen von »Weasel« erwischt wird, muss mit einem Disziplinarverfahren rechnen. Ich möchte jeden, der mehr Informationen zu dieser App hat, aufrufen, sich bei uns zu melden.

Einen schönen Tag noch

Konrektor Rucker

Ich schalte den Bildschirm aus, lasse mich zurück in die Kissen fallen und schließe die Augen.

Weasel? Eigentlich sollte das mein geringstes Problem sein, aber ich ärgere mich trotzdem über den Schreibfehler. Es heißt »Weazel«, meine Hommage an die Apps der ersten Stunde, die das Z im Überfluss benutzt und die Vokale einfach weggelassen haben. (Die App »Weazl« zu nennen wäre jedoch selbst für mich zu viel gewesen.)

Aber was noch viel wichtiger ist: Keiner benutzt die App zum Schummeln, Mobben oder was auch immer Rucker sonst denkt, was Teenager so machen, wenn sie endlich einen Raum gefunden haben, in dem sie sich austauschen können, ohne dabei ständig von ihren Eltern kontrolliert zu werden. Erstens: Wenn an der Stone Hall jemand eine Abkürzung nehmen will, ist ein dicker fetter Scheck bestimmt hilfreicher als eine Liste mit Multiple-Choice-Antworten. Und zweitens überwache ich den Hallway Chat so aufmerksam und lösche alles, was auch nur annähernd mit Mobbing oder Schummeln zu tun hat, dass die Leute mittlerweile wissen, dass sie es gar nicht erst probieren müssen.

Meine Zimmertür fliegt auf.

»Hast du das gesehen?«

Ethan steht bereits in meinem Zimmer, bevor ich überhaupt wach genug bin, um ihn böse anzusehen. Natürlich trägt er bereits seine Schuluniform, hat sich das Haar ordentlich gestylt und den Rucksack über die Schulter geschwungen. Er geht immer früh zur Schule, um vor dem Unterricht auf der Treppe mit seinem Freund rumzumachen und sonstige Dinge zu tun, die man eben tut, wenn man viel zu beliebt ist. Er ist Schulsprecher, Kapitän des Kunstsprungteams und Lieblingsschüler aller Lehrer, und ich habe mal belauscht, wie sich zwei von ihnen im Lehrerzimmer darüber unterhalten haben, ob er am Ende des ersten Schuljahres in Englisch oder lieber in Mathe eine Auszeichnung bekommen sollte, weil er nicht beide gewinnen könnte.

Das alles wäre schon schlimm genug, wenn Ethan nur mein Bruder wäre, aber zu allem Übel ist er mein eineiiger Zwilling. Es ist äußerst merkwürdig, im Schatten von jemandem zu leben, der genauso aussieht wie man selbst.

Nicht, dass ich ein Versager wäre. Ich habe viele Freunde. Aber ich entspreche eher dem Klischee des Klassenclowns, während mein Bruder der Troy Bolton unserer Schule ist, nur nicht ganz so musikalisch.

(Okay, vielleicht bin ich also doch ein Versager.)

»Ja, ich habe die E-Mail gesehen«, murmle ich. Mir wird ganz flau im Magen. Die Sache ist nämlich die: Keiner weiß, dass ich Weazel kreiert habe. Ich hätte nie gedacht, dass die App mal so ein ... nun ja, nennen wir es Ding wird. Ethan hatte sich mal zu Weihnachten von unseren Eltern ein Buch über App-Entwicklung gewünscht, um einer AG beizutreten, die ein paar seiner Freunde gegründet hatten, doch bis Silvester war die Sache bereits gegessen. Also nahm ich das Buch an mich und stellte fest, dass ich ein Händchen dafür hatte. Ich entwickelte ein paar lausige Chat-Apps und Ähnliches, war aber so beschäftigt, meinen Eltern im Deli auszuhelfen, dass ich für mehr keine Zeit hatte. Irgendwann kam mir die Idee für Weazel in den Sinn und ließ mich nicht mehr los.

Also habe ich mich in das Projekt gestürzt. An der App gebastelt. Sie ausgefeilt. Und eines Abends im August, nachdem ich mit Ethan auf einer Party ein Bier getrunken hatte, eine Klassenkameradin zu mir kam und mich nach dreißig Sekunden stehen ließ, weil sie gemerkt hatte, dass ich nicht mein Bruder war, beschloss ich, dass ich genug hatte von oberflächlichen Konversationen. Doch statt in Selbstmitleid zu baden, wie ich es für gewöhnlich tue, wenn so etwas passiert, legte ich einen falschen Account an und postete auf der Tumblr-Seite unserer Schule einen Download-Link für die Weazel-App.

Am nächsten Morgen hatten sich bereits fünfzig Schüler angemeldet. Ich musste die App sofort so programmieren, dass man sich nur mit einer E-Mail-Adresse der Stone Hall Academy anmelden kann. Mittlerweile sind es dreihundert, was bedeutet, dass es an der gesamten Schule nur ungefähr sechsundzwanzig Leute gibt, die die App nicht benutzen, was vielleicht ganz gut ist, denn inzwischen fallen mir keine Tiere mehr ein, die ich als Identitäten vergeben kann. Den Letzten habe ich einfach Blobfish genannt.

»Welche E-Mail?«, fragt Ethan. »Ich rede von den Tweets.«

»Hä?«

Ethan schnappt sich mein Handy vom Bett, macht dieses gruselige Zwillingsding und entsperrt es mit seinem eigenen Gesicht. Er tippt kurz darauf herum und hält es mir unter die Nase.

»Moment mal ... Was ist das?«

Mit zusammengekniffenen Augen starre ich herunter auf den Tweet von Big League Burger. Sie stellen einen der drei neuen Grilled Cheese Sandwiches vor, die man jetzt zu den Menüs erhält. Das hier in diesem Tweet nennt sich »Grandma's Special«. Ich lese mir die Zutatenliste durch, und meine Verwirrung verwandelt sich so schnell in Wut, dass Ethan förmlich die Vibrationen im Zimmer spürt und schnell sagt: »Nicht wahr?«

Ich sehe ihn an und senke den Blick wieder auf das Display. »Was zur Hölle?«

Wir haben den Begriff »Grandma's Special« zwar nicht patentiert und auch nicht die Zutatenkombination, aber das kann unmöglich Zufall sein. »Grandma's Special« ist im Deli ein Kassenschlager, seit Grandma Belly es, basierend auf einem Sandwich, das ihre Großmutter zubereitet hat, eingeführt hat. Und jetzt hat eine der größten Burger-Ketten des Landes die jahrzehntelange Innovation der Campbell-Familie gestohlen. Inklusive des Namens und fünf sehr spezieller Zutaten.

Wir haben vielleicht keinen so großen Firmennamen, aber Girl Cheesing ist seit Jahrzehnten eine Institution im East Village. Jeder echte New Yorker kennt unsere legendären Sandwiches – vor allem »Grandma's Special«, unser meistverkauftes Grilled Cheese mit den Geheimzutaten. Wir haben eine ganze Wand voller Fotos von Leuten, die mit dem Sandwich und Grandma Belly posieren, darunter sogar Popstars aus den Achtzigern. Diese Bilder sind Mom bestimmt heiliger als die Fotos von Ethan und mir direkt nach unserer Geburt.

»Dad meint, wir sollen es einfach ignorieren«, sagt Ethan mit geweiteten Nasenflügeln. Ich weiß, dass meine genauso aussehen. Ich sehe, wie es in seinem Kopf rattert und er die Fäuste ballt. Meine Wut hat mich schneller wach gekriegt, als es eine E-Mail von Rucker vermag.

Die Welt kann mit mir anstellen, was sie will – aber Finger weg von Grandma Belly.

»Na ja. Mir hat er nicht gesagt, dass ich es ignorieren soll.«

Ethans Mundwinkel biegen sich nach oben. »Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.«

So verschieden wir auch sind – was das angeht, sind wir uns schon immer einig gewesen. Ethan hat sich in den letzten Jahren vor den meisten Schichten im Deli gedrückt – im Sommer bevor wir auf die Highschool gewechselt sind, ist er mit ein paar der beliebtesten Kids aus unserer Klasse auf einen Trip gegangen, um irgendwelche Häuser zu bauen, und kam als ihr König zurück –‍, aber ganz egal, wie gefragt er außerhalb des Delis auch ist, er ist immer loyal gewesen. Es ist so tief in uns verwurzelt, dass es uns sogar mehr verbindet als die Tatsache, dass wir das exakte Ebenbild voneinander sind.

Ich öffne den Twitter-Account von Girl Cheesing auf meinem Smartphone. Wir sind beide eingeloggt, hauptsächlich, weil sich unsere Eltern nicht um die Social-Media-Profile des Deli kümmern können. Ginge es nach meinem Dad, wären wir auf gar keinen Kanälen vertreten.

»Wir leben von Mundpropaganda«, sagt er immer mit derselben Sturheit, die er schon immer hatte. Das ist ja alles gut und schön, auch wenn uns »Mundpropaganda« in letzter Zeit nicht unbedingt geholfen hat zu überleben. Er und Mom reden nicht viel darüber, aber ich bin fast jeden Tag nach der Schule im Deli – und da sie darauf bestanden haben, uns auf eine Privatschule zu schicken, bin ich kein Idiot. Unsere Stammkunden werden immer älter oder verlassen die Stadt. Die Schlangen sind kürzer geworden. Unsere Umsätze werden geringer. Wir müssen mehr Kunden gewinnen.

Es ist nicht so, als hätte ich noch nie versucht, meinen Dad ins einundzwanzigste Jahrhundert zu ziehen. Ich habe ihm sogar schon einige Ideen für Social Media oder Apps vorgeschlagen, die das Geschäft ankurbeln könnten. Aber bevor ich ihm sagen konnte, dass ich das selbst machen kann, meinte er, wir müssten unsere Energie in den Laden stecken, statt sie für irgendwelche »Hintergrundgeräusche« zu verschwenden.

»Apps, Webseiten ... Das ist doch alles vollkommen nutzlos«, sagte er damals. »Für den Laden bist nur du wichtig. Unsere ganze Familie. Wir müssen nur ein wenig härter arbeiten. Das ist alles.«

Es tut immer noch weh, dass er meinen Vorschlag so schnell verworfen hat – aber nicht so sehr wie der Mist, den Big League Burger jetzt abzieht.

Ich bin noch halb am Schlafen, als ich den ersten Tweet schreibe. Zugegeben, nicht unbedingt meine beste Arbeit. Es ist nur ein Foto von unserer Menütafel, auf der wir stolz erklären, dass wir im Jahr 2015 unser millionstes »Grandma's Special« verkauft haben, daneben ein Screenshot vom Big League Burger-Tweet, in dem steht: »Keiner grillt den Käse besser als Grandma League«.

Fast lasse ich meiner Wut freien Lauf. Für wen haltet ihr Arschgeigen euch eigentlich?, ist das Erste, was mir in den Sinn kommt. Aber meine Eltern würden mich umbringen, wenn ich etwas so Unhöfliches auf dem Firmen-Account schreiben würde. Letztendlich entscheide ich, dass es die sicherste Option ist, einfach »Ist klar« zu schreiben, zusammen mit dem Emoji mit dem schiefen Blick, um nicht den Zorn unserer Eltern auf uns zu ziehen. Ich halte Ethan das Handy hin, um es von ihm absegnen zu lassen. Er nickt, setzt ein Grinsen auf, das meinem gleicht, und klickt auf »Twittern«.

Es wird nicht den geringsten Unterschied machen. Wir haben nur eine Handvoll Follower – und Big League Burger hat vier Millionen. Aber manchmal ist es besser, in die Leere hineinzuschreien, statt ihr nur entgegenzustarren.

Jack

Ich breche gute zwanzig Minuten nach Ethan auf. Bis ich am Bahngleis stehe, habe ich es irgendwie geschafft, von meinem Hulk-Level runterzukommen. Der einzige Lichtblick ist, dass Grandma Belly wahrscheinlich nichts davon zu sehen bekommt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie noch nie auf Twitter gewesen ist. Mit ihren fünfundachtzig Jahren ist sie nicht unbedingt ein großer Fan des Internets.

Aber in Zukunft wird sich das vielleicht ändern. In letzter Zeit macht sie ein bisschen langsamer, macht kürzere Spaziergänge und hat mehr Arzttermine. Aber auch das kehren wir unter den Teppich – wie die Finanzen des Deli. Oder was passieren wird, wenn meine Eltern in Rente gehen. Solange keiner ausspricht, dass Grandma Belly nicht mehr ganz so fit ist, können wir alle so tun, als wäre nichts.

Mein Smartphone vibriert in meiner Hand und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich öffne die Weazel-App und versuche, nicht zu offensichtlich zu grinsen, als ich die Nachricht lese.

Bluebird

afkgjafldgjalfkjahlfkajgd

Wolf

Sorry, ich spreche keine Zombie-Sprache. Heißt das, du bist mit deinem Essay fertig geworden?

Bluebird

Man kann es durchaus »Essay« nennen. Ob es mit dem mithalten kann, das der Ghostwriter geschrieben hat, den Shane Andersons Mom engagiert hat, ist ein völlig anderes Thema.

Als die U-Bahn der Linie 6 einfährt, schiebe ich mein Handy mitsamt Bluebird in meine Hosentasche. In letzter Zeit macht sie das – das Eliminierungsspiel. Nicht, dass es viel helfen würde, dass sie einen Typen aus unserer Klasse eliminiert, der weniger Gehirnzellen als Finger hat. Selbst wenn sie mich tatsächlich catfishen würde, wäre ich ziemlich sicher, dass es nicht Anderson am anderen Ende der Leitung ist. Dafür ist Bluebird zu schlagfertig. (Der Ghostwriter, den Andersons Mom engagiert hat, jedoch ...)

Vielleicht sollte ich auch ohne Hinweise wissen, wer sie ist. Ich schreibe kaum im Hallway Chat, in dem die User anonym posten können. Und ich starte auch keine Chats mit Leuten, die ihn benutzen. Aber irgendwann mal habe ich einen Link für eine kostenlose Prüfungsvorbereitung gepostet, worauf meine Mitschüler und ihre Zweihundert-Dollar-Pro-Stunde-Nachhilfelehrer nur mit Schweigen reagierten – bis mich Bluebird eine Stunde später privat anschrieb. Es war ein Bild von The Rock im Fitnessstudio mit dem Text »Ich nach meinen Proteinshakes« – eine Anspielung auf eine Matheprobeklausur, in der es um eine fiktive Firma ging, die Proteinprodukte in Flüssig- und Pulverform anbietet.

In ihrem Profil stand, dass sie weiblich und in der Oberstufe sei. Das war alles, was ich anfänglich über sie wusste. Das – und dass sie sich nicht zu fein war, kostenlose Angebote zur Prüfungsvorbereitung zu nutzen. Seither haben wir schon so oft geredet – zuerst haben wir uns über die dummen Testfragen lustig gemacht, dann über unsere Lehrer, und irgendwann haben wir uns über ganz andere Sache außer Schule unterhalten –‍, und dennoch kann ich die Möglichkeiten nicht weiter eingrenzen. Ich habe keine Ahnung, wer sie sein könnte.

Vielleicht wäre es gar nicht so schwer, es herauszufinden, wenn ich mich nicht ausschließlich auf mein Tauchteam und mein Handy konzentrieren würde.

Das Lustigste an der Sache ist, dass ich jederzeit nachsehen könnte. Ich habe Zugang zu allen E-Mail-Adressen, die mit den Usernamen verknüpft sind. Aber ich habe noch nie gespickt. Irgendwie hätte ich das Gefühl zu schummeln, wenn ich bei Bluebird nachsehen würde. Als würde es das Ganze ein bisschen kaputt machen, weil ich mich dann wie ein Lügner fühlen würde. Als würde ich sie hintergehen. Dann bleibe ich lieber im Unklaren.

Aber ich schätze, ich habe sie bereits hintergangen. Eigentlich hätte die App unsere Identitäten schon vor Wochen preisgeben sollen. Das ist ja der ganze Sinn des Namens – Weazel steht für das Kinderlied »Pop! Goes the Weasel« (nicht gerade die klügste Referenz, aber es war drei Uhr morgens, als ich den Namen habe patentieren lassen). Aber ich habe mit dem Code herumgespielt, damit es bei uns nicht passiert. Die Gründe dafür kenne ich selbst noch nicht richtig. Vielleicht, weil ich es einfach schön finde, mit jemandem zu reden, der versteht, wie es ist, sich fehl am Platz zu fühlen. Und es ist schön, mit jemandem zu reden, der nicht das gleiche dumme Gesicht hat wie ich.

Vielleicht ist es aber auch einfach schön, endlich ehrlich zu jemandem zu sein. Ethan hat kein Problem damit, so zu tun, als wären wir so reich wie unsere Mitschüler, aber ich kann den Schul-Jack und den Zuhause-Jack nicht so gut voneinander trennen. Es nimmt in meinem Gehirn viel zu viel Platz ein. Aber wenn ich mit Bluebird rede, muss ich nicht zwischen den beiden wechseln. Dann kann ich einfach ich selbst sein.

Es ist nicht so, als wäre ich undankbar oder so. Ethan und ich haben uns abgerackert, um an der Stone Hall angenommen zu werden, aber unsere Eltern rackern sich kontinuierlich ab, um dafür zu bezahlen. Meine Mom ist als Kind dort zur Schule gegangen. Obwohl sie sich an alles andere angepasst hat – dass aus der Uptown-Prinzessin die Frau eines Deli-Besitzers wurde, was eine ziemlich turbulente Romanze gewesen sein muss, bis Ethan und ich auf die Welt kamen –‍, war sie immer darauf versessen, uns eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Und Dad war darauf versessen, sie dabei zu unterstützen.

Und so kommt es, dass ich jetzt die Treppe des Schulgebäudes hochsteige, das aussieht, als wäre es dem Glöckner von Notre Dame entsprungen, und Leuten zunicke, die so viel Kohle auf dem Konto haben, dass sie locker den Starbucks am Ende der Straße kaufen könnten.

Diesen Teil des Tages mag ich am allerwenigsten. Der Teil, wo mich die Leute hoffnungsvoll anstrahlen und ihr Lächeln sofort wieder verschwindet, wenn sie merken, dass ich nicht ihr geliebter Ethan bin, sondern nur ich. Ich habe meine Haare länger wachsen lassen, meinen Rucksack und meine Schuhe gewechselt, vergrabe die ganze Zeit den Kopf in meinem Smartphone – doch es hilft alles nichts.

Was ich wirklich brauche, ist ein neues Gesicht. Aber ich schätze, ich warte lieber darauf, dass Ethan irgendwann aus Manhattan verschwindet und auf irgendeine Elite-Universität weit, weit weg geht.

»Yo. Yo.«

Ich blicke von meinem Spind auf und entdecke Paul mit seinen knapp ein Meter siebzig. Er ist das, was passieren würde, wenn der Duracell-Hase und der Kobold von Lucky Charms ein rothaariges, leicht reizbares Baby kriegen würden.

»Hast du das gesehen? Mel und Gina haben im Flur geschmust«, informiert er mich mit frech glänzenden Augen.

Ich ziehe mein Geschichtsbuch aus dem Spind und schließe ihn. »Wann? 1954? Denn ich bin ziemlich sicher, dass man es mittlerweile ›rummachen‹ nennt.«

Paul tätschelt mir hektisch den Arm. »Es ist also Folgendes passiert«, sagt er mit dem Enthusiasmus eines Praktikanten, der seinem Boss auf dem Weg ins Firmengebäude etwas erklärt. »Sie haben über Weazel gechattet. Du weißt schon. Geflirtet und so. Dann hat die App ihre Namen offenbart, und jetzt sind sie zusammen.«

Paul grinst wie ein Irrer – und ausnahmsweise erwische ich mich dabei, dass ich selbst so grinse. Um ehrlich zu sein, ist das das Coolste an Weazel – dass Menschen tatsächlich Beziehungen aufbauen. Ja, im Hallway Chat wird auch viel Müll gepostet, aber manchmal wird es echt. Die Leute reden über ihre Angst, sich am College zu bewerben, oder wie sehr ihre Eltern sie unter Druck setzen. Manche reißen Witze über Klausuren, die wir alle nicht bestanden haben, um die Stimmung zu lockern. All die winzigen Risse in unseren Rüstungen, die wir sonst niemandem zeigen, denn diese Schule fühlt sich nicht an wie ein Ort, an dem man lernt, sondern vielmehr wie ein Wasserloch, an dem es Jäger und Gejagte gibt.

Aber das hier – dafür haben sich all die Stunden gelohnt, die ich in die App gesteckt habe. Wenn Menschen in privaten Chats eine Bindung zueinander aufbauen. Mel und Gina sind nicht die Ersten, die durch Weazel zusammengekommen sind oder eine Freundschaft aufgebaut haben. Es haben sich so viele über die Zwischenprüfungen beschwert, dass es jetzt sogar eine Lerngruppe gibt, die sich zweimal pro Woche in der Bibliothek trifft.

Wir biegen um die Ecke, und natürlich stehen da Mel und Gina, die so heftig rummachen, dass es an ein Wunder grenzt, dass sie noch nicht suspendiert wurden. Fast mache ich mir Sorgen, dass unserem guten alten Freund Konrektor Rucker irgendetwas passiert sein könnte, denn mit seinem Sensor für küssende Teenager macht er sogar einem Bombenspürhund Konkurrenz.

»Ziemlich heiß, was?«

Ich lege eine Hand auf Pauls Schulter, auch wenn ich weiß, dass ihn das kaum beruhigen wird. Und ich weiß auch, dass er es nur »heiß« nennt, weil er weiß, dass man das eben so tut.

»Du bist schon wieder voll der Hefner«, sage ich, denn darüber haben wir schon mal geredet. »Komm mal ein bisschen runter.«

»Ja, richtig. Richtig.«

Wenn es an dieser Schule eine Person gibt, mit der ich mehr Mitleid habe als mit mir selbst, dann ist es Paul, denn obwohl er alle Vorzüge eines steinreichen Stone-Hall-Vermächtnisses genießt, ist er nun mal das, was passieren würde, wenn ein Nick-Jr.-Cartoon dreidimensional werden würde. Würde das Sprungteam seine Mitglieder nicht so sehr in Schutz nehmen, wäre er schon längst bei lebendigem Leibe verspeist worden.

»Lass uns ins Klassenzimmer gehen.«

Mein Ego ist immer noch ganz schön aufgeblasen, als ich mich hinsetze. Mir juckt es in den Fingern, mein Handy zu checken, um nachzusehen, ob mir Bluebird noch mal geschrieben hat. Plötzlich würde ich es gern jemandem erzählen. Das ist meinetwegen passiert. Ich war ein kleiner Teil von etwas Coolem. Und von allen Menschen in meiner Welt ist es ausgerechnet der, dessen Gesicht ich nicht kenne, dem ich es am allermeisten erzählen will.

Nun, das ist das Komische an der Sache. Ich kenne ihr Gesicht, wer auch immer sie ist. Aus unserem Jahrgang kenne ich alle. Es könnte Carter sein, die in der vordersten Reihe etwas mit ihrem Leuchtstift markiert. Oder Abby, die gerade eine beachtliche Blase mit ihrem Kaugummi macht. Oder Hailey oder Minae, die die Köpfe zusammengesteckt haben und sich angeregt über Riverdale-Fan-Fiction unterhalten. Irgendwie ist es, als wäre Bluebird niemand und gleichzeitig alle. Jedes Mal, wenn jemand aufblickt und mich ansieht, könnte es sein, dass ich ihr direkt ins Gesicht schaue.

Oder noch schlimmer: Sie könnte mir direkt ins Gesicht schauen.

Jack

Als die Schulglocke klingelt, weiß ich ziemlich schnell, warum Rucker nicht sofort zur Stelle war, um liebeskranke Teenager mit seinem metaphorischen Besenstiel zu verprügeln.

»Guten Morgen, ihr wissbegierigen Schülerinnen und Schüler von Stone Hall«, erklingt die nasale Stimme, von der mindestens die Hälfte von uns nachts Albträume bekommt, über den Lautsprecher. »Ihr habt bestimmt alle schon die E-Mail gelesen, die euch vor der Weazel-App warnt und was passieren wird, wenn man euch damit erwischt. Alle Schülerinnen und Schüler sind dazu aufgerufen, einem Mitglied der Fakultät zu melden, wenn ihr je‍man‍den von euren Klassenkameraden beim Kommunizieren über die App erwischt.«

Oh, oh! Rucker ist dafür bekannt – abgesehen davon, dass er immer gemusterte Hosen trägt, die sogar ein Second-Hand-Laden sofort verbrennen würde –‍, dass er eine kleine Gruppe von Ratten um sich geschart hat. Ich kenne keine Namen, aber ich habe gewisse Vermutungen: Pooja Singh und Pepper Evans, zwei Schülerinnen, die ebenfalls in der Oberstufe sind und ständig miteinander zu konkurrieren scheinen, wenn es darum geht, sich bei Autoritätspersonen einzuschleimen. Und ein paar Leute aus dem Golfteam, die man sonst nicht beachten würde, weil ... na ja ... sie Golf spielen.

Ich weiß nicht, ob er ihnen extra Punkte gibt oder Empfehlungen fürs College oder was auch immer, aber in jedem Jahrgang gibt es mindestens drei Schnüffler, die nur allzu bereit sind, die anderen zu verraten. Ethan nennt sie »kleine Vögel«, wie der Typ von Game of Thrones, aber ich finde, »Arschlöcher« passt viel besser.

Paul lehnt sich zu mir. »Okay, das ist total 1984.«

Ich versuche, nicht zu offensichtlich zu ihm hinüberzusehen. Unsere Klassenlehrerin Mrs Fairchild ist ein großer Fan von Stille. Ich vermute ja, es liegt daran, dass sie meistens einen Kater hat, was auch kein Wunder wäre. Müsste ich mich die ganze Zeit mit pubertierenden Teenagern mit Kreditkarten herumschlagen, würde ich regelmäßig den Weinladen am Union Square leer kaufen.

»Ohne Witz.«

Dann fliegt die Tür auf, und herein kommt keine Geringere als Pepper Evans. Der einzige Grund, warum ich nicht zu einhundert Prozent sicher bin, ob sie ein Roboter ist, ist, dass sie die Kapitänin des Schwimmteams ist. Bisher konnte ich noch nicht beobachten, wie ihre Leitungen durchschmoren, wenn sie ins Wasser springt. Aber alles andere deutet darauf hin. Sie ist die Klassenbeste, hat einen Notendurchschnitt, der Normalsterbliche zum Weinen bringt, und sie kommt niemals zu spät.

Was bedeutet, dass es nur einen Grund geben kann, warum sie heute fünf Minuten nach dem Klingeln auftaucht.

»Und?«, frage ich, als sie direkt neben mir Platz nimmt. Entweder hört sie mich nicht, oder sie tut nur so. »Wie viele?«

Pepper dreht sich kaum merklich zu mir. Ihr Gesicht ist unter den Sommersprossen gerötet, ihre Augen sind auf die Tafel gerichtet, wo Mrs Fairchild eher halbherzig notiert, dass wir bis zum Ende der Woche noch Freiwilligenstunden leisten müssen.

»Wie viele was?«, murmelt sie und streicht sich den überlangen Pony hinter die Ohren. Sekunden später fällt er wieder nach vorn wie ein Vorhang, den sie einfach nicht bändigen kann – ganz im Gegensatz zum Rest von ihr.

»Wie viele Leute hast du an Rucker verpfiffen?«

Sie sieht mich böse an. Es ist ihr finsterer, ungleichmäßiger Blick, bei dem sich eine Augenbraue mehr hebt als die andere. Es ist auf seltsame Art befriedigend, ihr auch nur die kleinste Reaktion zu entlocken. Wie damals, als die Maschine bei Chuck E. Cheese in Harlem nicht richtig funktioniert und ein paar extra Tickets ausgespuckt hat. Ich lehne mich über meinen Tisch. Kurz vergesse ich Mrs Fairchilds Zorn.

»Was hat er dir angeboten?«, frage ich. »Ein A in allen Prüfungen?«

Pepper presst die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, doch sie rührt sich kein bisschen. Sie hat die unheimliche Fähigkeit, wie eine Statue dazusitzen. Es würde mich nicht wundern, wenn im Park schon mal Tauben auf ihr gelandet wären.

»Im Gegensatz zu dir«, erwidert sie, ihre Worte erstaunlich klar, obwohl sie kaum den Mund bewegt, »brauche ich mit meinen Noten keine Hilfe.«

Ich presse die Hand auf mein Herz. »Hältst du mich etwa für dumm?«

»Letztes Jahr habe ich beobachtet, wie du Kool-Aid mit Poolwasser gemischt und getrunken hast. Ich weiß, dass du dumm bist.«

»Das war nur eine Wette.«

Sie hebt eine perfekt gezupfte Augenbraue, bevor sie sich wieder ihrem Notizheft widmet. Grinsend schüttle ich den Kopf und drehe mich wieder nach vorn. Die Wahrheit ist, dass ich eigentlich nichts gegen Pepper habe. Sie gehört zu den wenigen Leuten, die wissen, dass ich ich bin und nicht mein Bruder. Und das sogar manchmal, ohne von ihrem Buch aufzublicken.

Aber für einen Roboter ist das sowieso viel einfacher.

Trotzdem ist es irgendwie beängstigend. Selbst Leute, die uns schon seit dem Kindergarten kennen, verwechseln uns, und sie kam einfach aus dem Nichts und hat mich sofort erkannt, nachdem sie Stone Hall betreten hat. Im ersten Schuljahr habe ich sie manchmal dabei erwischt, wie sie gestarrt hat. Sie hat nicht nur mich angestarrt, sondern alle. Zu dem Zeitpunkt waren wir noch in einer Phase, in der wir alle so getan haben, als würden wir einander nicht kennen. Als hätte sie uns zuerst analysiert, bevor sie versucht hat, sich anzupassen.

Ich weiß immer noch nicht, was genau daran so seltsam war. Pepper, die mich mit ihren scharfsinnigen blauen Augen ansah – oder die Tatsache, dass mich überhaupt jemand angesehen hat. Doch als es vorbei war, vermisste ich das komische Gefühl. Innerhalb nur eines Monats wurde sie wie alle anderen hier, so versessen auf ihre Noten und Prüfungen, dass sie nicht mehr nach links und rechts sah. Keinen mehr sah außer sich selbst.

Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich sie mehr ärgere als all die anderen perfekten Leute in unserer Klasse – die Spitznamen, die Neckereien, dass ich hin und wieder von hinten gegen ihren Stuhl stoße. Weil ich diese seltsame, ungeteilte Aufmerksamkeit vermisse. Weil ich weiß, dass sie nicht immer so war. Früher war sie hier genauso fehl am Platz wie ich.

Die erste Stunde geht nur dreißig Minuten, doch Mrs Fairchild bringt es trotzdem fertig, sie so langweilig wie nur möglich zu gestalten. Um mich herum zücken alle ihre Smartphones und fangen an, Nachrichten zu tippen. Manche mehr, manche weniger. Allein von meinem Platz aus sehe ich mindestens drei Leute auf Weazel. Ich lasse den Blick durch den Raum schweifen, um zu sehen, ob ich noch mehr entdecke. Dann sehe ich, wie sich Pepper ganz leicht nach vorn lehnt, ihre perfekte Haltung nur minimal schief.

»Tippst du etwa auf deinem Handy herum?«, zische ich.

Sie zuckt zusammen, springt regelrecht von ihrem Stuhl auf.

»Das geht dich gar nichts an.«

»Bist du auf Weazel?«

Ihre Augen sind hart. »Du hast doch Ruckers E-Mail gelesen. Ich würde mich niemals auf dieser App erwischen lassen.«

Ähm, autsch.

Dann tippt sie weiter auf ihrem Smartphone herum, ohne den Blick von der Tafel zu nehmen. Ganz schön beeindruckend.

»Das hier ist ein Ort des Lernens, Peperoni.«

Sie verdreht die Augen und schiebt das Smartphone in ihren offenen Rucksack. Ich frage mich, ob sie dachte, ich würde sie tatsächlich verpetzen. Diesen Gedanken empfinde ich als beleidigender als die ganze Kool-Aid-Geschichte (was zugegebenermaßen das Ekligste war, was ich je aus Gruppenzwang gemacht habe).

Ich will gerade etwas Versöhnliches sagen, als ich aus dem Augenwinkel sehe, wie Paul die Kinnlade herunterfällt. Nicht, dass man es nicht auch so sehen würde. Die halbe Klasse sieht es, denn Pauls Gemütszustand ist immer so offensichtlich, dass ich ziemlich sicher bin, dass sich die Menschen in Brooklyn die Zeigefinger ablecken, in den Wind halten und wissen, in welcher Gemütslage Paul ist. Doch als er aufblickt und mich ansieht, weiß ich, dass es – was auch immer es ist, das ihn so aufgebracht hat – nichts Gutes für mich bedeutet.

Er holt Luft, um etwas zu sagen, doch zum Glück ertönt in dem Moment die Klingel, bevor er damit herausplatzen kann. Stattdessen steht er so schnell auf, dass er mit seinen knochigen Knien fast den Tisch umstößt, und zupft am Ärmel meiner Schuluniform.

»Hast du das gesehen?«

Ich werfe einen Blick nach rechts. Pepper ist schon fast zur Tür hinaus. »Was gesehen?«

Mit zitternden Fingern hält er mir sein Handy unter die Nase. In Anbetracht der Umstände ziemlich dumm. Von Weazel einmal abgesehen, ist es uns verboten, während der Schulzeit die Handys zu benutzen. Als ich jedoch den Twitter-Handle von Girl Cheesing sehe, werfe ich all meine Sorgen um Suspendierung über Bord.

»O mein Gott.«

»Nicht wahr? Das ist großartig.«

»Großartig?« Ich reiße ihm das Smartphone aus der Hand und starre blinzelnd auf das Display, als könnte ich die dreitausend Retweets und die unfassbar hohe Anzahl an Likes wegblinzeln, die mein Post von heute Morgen bekommen hat. »Meine Eltern werden mich ausweiden wie einen verdammten Fisch.«

»Ausdruck«, murmelt Mrs Fairchild, die sich nicht im Geringsten um die Schmuggelware in meiner Hand zu kümmern scheint.

Mein Herz hämmert wie verrückt. Mein ganzer Schädel pocht. Meinem Dad gefällt es nicht mal, dass wir überhaupt auf Twitter sind, geschweige denn, viral zu gehen. »Wie zur Hölle ist das denn passiert?«

Wir haben sechshundertfünfundvierzig Follower. Dass ich diese Zahl so genau kenne, zeigt, wie selten sie sich ändert. Die einzige Reaktion, die wir bisher auf einen Post vom Deli bekommen haben, war ein Meme über Tauchunterricht, das Ethan aus Versehen gepostet hatte – und ein Bot hatte es retweetet, bevor er merkte, was er getan hat.

»Marigold hat es retweetet«, sagt Paul.

Meine Kehle fühlt sich an wie Schmirgelpapier. Marigold – die Pop-Ikone aus den Achtzigern, von der meine Mom ganz besessen ist und die immer noch ab und zu ins Deli kommt.

Marigold, die Achtziger-Ikone, die gerade dafür gesorgt hat, dass ich bis nächstes Jahr Hausarrest bekomme. Ja, ich hatte sowieso mit ein bisschen Ärger gerechnet, weil ich überhaupt getwittert habe, aber jetzt werde ich bis Weihnachten unbezahlte Schichten im Deli schieben und nach Truthahn riechen.

Weil Marigold, wie sich herausstellt, 12,5 Millionen Follower hat. Ich muss kein Mathegenie sein, um zu wissen, dass das ungefähr eine Milliarde Retweets zur Folge hat – und das jedes Mal, wenn sie atmet. Und es sieht so aus, als hätte sie es gerade erst retweetet. Allein seit ich hier stehe und mit offenem Mund auf Pauls Handy starre, hat der Post zweihundertfünfzig Retweets bekommen.

Ich klicke auf ihr Profil und sehe, dass sie ebenfalls etwas getwittert hat, direkt nach ihrem Retweet. »Big League Burger sollte sich schämen!«, steht da. »Girl Cheesing hat Grandma's Special bereits perfektioniert, bevor der Drecksack überhaupt geboren wurde.«