Uarda - Georg Ebers - E-Book

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Georg Ebers

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Beschreibung

Uarda, ein wunderschönes ägyptisches Mädchen königlichen Blutes, wird mit ihrer Mutter Xanthe nach Theben verschleppt. Rameses, der gerade in der Schlacht von Kadesh den griechischen König besiegt hat, bringt eben diesen nach Theben. Es stellt sich heraus, dass Xanthe dessen Tochter und Uarda seine Nichte ist. Nachdem sich Uarda in den Sohn des Rameses verliebt, erhalten beide den Segen ihrer Väter ...

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Seitenzahl: 832

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Uarda

Georg Ebers

Inhalt:

Georg Moritz Ebers – Biografie und Bibliografie

Uarda

Vorwort zur ersten Auflage.

Vorwort zur fünften Auflage.

Erster Band.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Zweiter Band.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Dritter Band.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebenzehntes Kapitel.

Uarda, G. Ebers

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849610760

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Georg Moritz Ebers – Biografie und Bibliografie

Namhafter Ägyptologe und Romanschriftsteller, geb. 1. März 1837 in Berlin, gest. 7. Aug. 1898 in Tutzing am Starnberger See, studierte in Göttingen 1856 die Rechte, später in Berlin unter Anleitung von Brugsch, Lepsius und Böckh ägyptische Altertumskunde und habilitierte sich für diese 1865 in Jena. Von hier aus unternahm er eine über ein Jahr dauernde Reise nach Ägypten und Nubien (1869–70) und folgte bei seiner Rückreise einem Ruf nach Leipzig. Auf einer zweiten Reise nach Ägypten (1872) erwarb er den jetzt auf der Universitätsbibliothek zu Leipzig befindlichen sogen. Papyrus Ebers (vgl. »Papyrus Ebers, das hermetische Buch über die Arzneimittel der alten Ägypter, herausgegeben von G. E., mit hieroglyphisch-lateinischem Glossar von L. Stern«, Leipz. 1875; deutsch von Joachim, Berl. 1890; »Papyrus Ebers. Die Maße und das Kapitel über die Augenkrankheiten«, das. 1889, 2 Bde.). Durch ein langwieriges körperliches Leiden wurde E. 1889 zur Aufgabe seines Lehrberufs gezwungen und lebte seitdem teils in München, teils in Tutzing. Als Romanschriftsteller begründete E. seinen Ruf durch den historischen, mit gelehrten Anmerkungen versehenen Roman »Eine ägyptische Königstochter« (Stuttg. 1864, 13. Aufl. 1889), eine anziehende Darstellung des ägyptischen Volkslebens zur Zeit des persischen Eroberungskriegs (ins Holländische, Englische und in viele andre Sprachen übertragen). Weiterhin veröffentlichte E. die vielgelesenen und ebenfalls in viele Sprachen übersetzten, im alten Ägypten spielenden Romane: »Uarda« (Stuttg. 1877, 3 Bde.), »Homo sum« (1878), »Die Schwestern« (1879), »Der Kaiser« (1880, 2 Bde.), »Serapis« (1885, 2 Bde.), »Die Nilbraut« (1886, 3 Bde.), »Josua« (1889), »Per aspera« (1892), »Kleopatra« (1894), »Arachne« (1897), und die in Versen geschriebene Erzählung »Elisen« (1888), sämtlich in Stuttgart erschienen. Ein andrer Teil seiner Romane: »Die Frau Bürgemeisterin« (Stuttg. 1881), »Ein Wort« (das. 1882), »Die Gred« (das. 1889, 2 Bde.), »Im Schmiedefeuer« (1894), »Im blauen Hecht« (1895), »Barbara Blomberg« (1896), spielt im 16. Jahrh., teils in den Niederlanden, teils in Süddeutschland, während uns das Idyll »Eine Frage« (Stuttg. 1881) in das griechische Altertum versetzt. Rein wissenschaftlich sind seine »Disquisitiones de dynastia vicesima sexta regum aegyptiorum« (Berl. 1865) und »Ägypten und die Bücher Mosis« (Leipz. 1868), »Sinnbildliches. Die koptische Kunst« (das. 1892), »Antike Porträts. Die hellenistischen Bildnisse aus dem Fajjûm untersucht und gewürdigt« (das. 1893) sowie eine Anzahl kleinerer Abhandlungen; populär und gelehrt zugleich seine Schrift »Durch Gosen zum Sinai; aus dem Wanderbuch und der Bibliothek« (das. 1872, 2. Aufl. 1881). Außerdem schrieb er noch: »Drei Märchen« (Stuttg. 1891), »Richard Lepsius, ein Lebensbild« (Leipz. 1885), »Die Geschichte meines Lebens. Vom Kind bis zum Manne« (Stuttg. 1893) und das beschreibende Prachtwerk »Ägypten in Wort und Bild« (2. Aufl., das. 1880, 2 Bde.), dessen textlichen Teil er als »Cicerone durch das alte und neue Ägypten« (das. 1886, 2 Bde.) besonders veröffentlichte; mit H. Guthe gab er heraus: »Palästina in Bild u. Wort« (das. 1886–87, 2 Bde.). Nach seinem Tod erschienen: »Das Wanderbuch. Dramatische Erzählung aus dem Nachlaß und gesammelte kleine Schriften« (2. Aufl., Stuttg. 1899), und »Ägyptische Studien und Verwandtes« (das. 1900). Seine »Gesammelten Werke« umfassen 32 Bände (Stuttg. 1893–97). Vgl. Gosche, G. E., der Forscher und Dichter (2. Aufl., Leipz. 1887).

Uarda

Vorwort zur ersten Auflage.

Im Winter 1873 wohnte ich lange Wochen in einer der Grüfte der Nekropolis von Theben, um die Denkmäler der ehrwürdigen Todtenstadt zu studiren. Damals bildeten sich in mir während langer Ritte durch die schweigende Wüste die Keime, aus denen später dieses Buch erwachsen ist. Die äußere Veranlassung und die Muße, es niederzuschreiben, bot eine lange und ernste, noch nicht überwundene Krankheit.

Anfänglich hatte ich beabsichtigt, diesen Roman wie meine ägyptische Königstochter mit vielen und ausführlichen hinter den Text zu stellenden Anmerkungen zu versehen, – von der Ausführung dieses Vorhabens wurde ich indessen durch die Wahrnehmung abgehalten, daß ich gezwungen sein würde, Vieles des in den Noten zu meinem ersten Roman Gesagten zu wiederholen.

Die zahlreichen Anmerkungen in dem letztern waren einem dreifachen Zwecke gewidmet. Erstens sollten sie dem Text erklärend zur Seite stehen, zweitens Bürgschaft leisten für die Sorgfalt, mit der ich bemüht gewesen war, das archäologische Detail in all' seinen Einzelheiten treu nach den Denkmälern und Klassikern zu zeichnen; drittens aber wünschte ich in ihnen den wißbegierigen Lesern einige Hülfsmittel zu eigenen Studien an die Hand zu geben.

In dem vorliegenden Werke meine ich nun mich mit der bloßen Versicherung begnügen zu dürfen, nichts als ägyptisch und in die Zeit des Ramses gehörend dargestellt zu haben, was sich nicht quellenmäßig nachweisen läßt, und die zahlreichen, gerade aus der Epoche der Ramessiden bis auf uns gekommenen Denkmäler gestatten es dem Forscher in der That, viele Erscheinungen und Regungen im religiösen, staatlichen und privaten Leben der Aegypter von damals bis in's Einzelne zu erkennen und Schritt für Schritt zu verfolgen. Von den Aeußerungen des Gemüthslebens läßt sich das Gleiche nicht behaupten und hier wird mancher Anachronismus mit unterlaufen, wird Vieles modern erscheinen und die Färbung unserer christlichen Empfindungsweise zeigen.

Auch ohne Anmerkungen kann jeder Abschnitt dieses Buches verstanden werden; für den wißbegierigen Leser habe ich indessen erklärende Noten unter den Text gesetzt und nicht unterlassen, diejenigen Werke zu nennen, aus denen sich nähere Auskunft über das erzählungsweise Mitgeteilte gewinnen läßt.

Wer diesen Roman im Sinne seines Verfassers zu lesen wünscht, der lasse sich bei seiner Lektüre nicht durch die Anmerkungen stören und unterrichte sich erst, ehe er ein neues Kapitel beginnt, über den Inhalt der dem vorhergehenden beigegebenen Noten. Jeder Blick unter die Seite muß notwendigerweise die Wirkung des Kunstwerkes unterbrechen und schmälern. Der Text dieses Buches ist auch in einem Gusse hergestellt und erst nach seiner Vollendung mit Anmerkungen versehen worden.

Eine Erzählung des Herodot, kombinirt mit dem in mehreren Exemplaren auf uns gekommenen Epos des Pentaur, bildet die Grundlage zu dieser Erzählung. Vielleicht bezieht sich der von dem Vater der Geschichte mitgetheilte Verrath des Statthalters auf den dritten und nicht auf den zweiten Ramses. Aber es steht keineswegs fest, daß der Halikarnassier hier falsch berichtet war, und es soll in dieser Dichtung keine Geschichte gelehrt, es soll in ihr auch nur in zweiter Linie ein in kulturhistorischer Beziehung der Wahrheit möglichst nahe kommendes Bild der Zeit des Sesostris gegeben werden. Zwar blieb für diesen Zweck nichts unbenützt, was die Denkmäler und die Papyrus lehren; dennoch ist das vorliegende Buch nichts als ein Roman, eine Dichtung, in der ich den aus der Geschichte geschöpften Stoff und das den Denkmälern nachgebildete Kostüm als nebensächlich, die Bewegungen des innern Lebens der handelnden Personen aber als Dasjenige betrachtet zu sehen wünsche, worauf es mir ankommt.

Noch Eines sei mir zu bemerken erlaubt.

Durch die typische, strengen hieratischen Proportionalgesetzen unterworfene Vortragsweise der altägyptischen Kunst haben wir uns gewöhnt, uns die Nilthalbewohner aus der Pharaonenzeit als hagere und steife Menschen von geringer Verschiedenheit der individuellen Physiognomie vorzustellen, und in jüngster Zeit hat ein großer Kolorist es versucht, sie in einem modernen Gemälde nach dieser Auffassung zu bilden.

Das ist falsch, denn die Aegypter gehörten trotz ihrer Abneigung gegen das Fremde und ihr Gebundensein an die heimische Scholle zu den geistig regsamsten Völkern des Alterthums, und wer sie darzustellen wünscht, wie sie lebten und waren, und zu diesem Zwecke die Formen nachbildet, die sich aus den Gemälden, an den Tempel und Gräberwänden erhalten haben, der macht sich zum Mitschuldigen der priesterlichen Kunstverderber, welche die Maler und Bildhauer in der Pharaonenzeit zwangen, zu Gunsten der altheiligen Proportionen die Naturwahrheit preiszugeben.

Wer das Leben der alten Aegypter treu zur Anschauung zu bringen wünscht, dem stellt sich zunächst die Aufgabe. ein Erlösungswerk zu üben, das heißt abzusehen von jener Gebundenheit der Formen, welche ihrem Leben fremd und nur ihren Kunstwerken eigen war. Ohnehin sind aus der frühen Zeit der Pyramidenerbauer Werke der Skulptur erhalten geblieben, die uns in realistischer, von dem Kanon unbeeinträchtigter Vortragsweise naturgetreu dargestellte Menschen zeigen. Wir erinnern an die Figuren des sogenannten »Dorfschulzen« zu Bulaq, des »Schreibers« zu Paris und einige Figurinen aus Bronze in den verschiedenen Museen, sowie an die schönen und charakteristischen Porträtköpfe aus allen Epochen, welche sämmtlich den Beweis liefern, wie groß die Verschiedenheit der individuellen Physiognomie und somit auch der Individualcharaktere unter den Aegyptern gewesen ist. Alma Tadema in London und Gustav Richter in Berlin haben als Maler altägyptische Stoffe in einer Weise behandelt, der sich der Dichter mit Freuden anschließt.

Der Band I. Seite 143 angeführten Stelle des späten Flavius Vopiscus lassen sich viele ältere Zeugnisse aus früher Zeit zur Seite stellen, welche uns die Aegypter als fleißiges und rühriges, zwar den letzten Dingen leidenschaftlich zugewandtes, von der andern Seite aber die Gaben des Lebens mit vollen Zügen oft bis zum Uebermaß genießendes Volk zeigen.

Wirkliche Menschen, wie sie das Leben der Gegenwart zeugt, keine nach einem heiligen Kanon vermessene Schablonenfiguren, wie sie die Denkmäler zeigen, haben am alten Nilstrom gelebt, und der Dichter, welcher sie darzustellen wünscht, darf, ohne Furcht, von der Wirklichkeit allzu weit abzuweichen, getrost in das ihn umgebende Leben greifen und Menschen von heute Modell stehen lassen, um sie, freilich in der ihrer Zeit und Heimat entsprechenden Weise gefärbt und bekleidet, nachzubilden.

Ueber die Berechtigung, die Empfindung der Liebe den Alten zuzuschreiben, habe ich in der Vorrede zur zweiten Auflage der ägyptischen Königstochter gehandelt.

Mit diesen Zeilen sende ich »Uarda« in die Welt und sage in ihnen den lieben Freunden meinen Dank, in deren von grünen, wildreichen Wäldern umrauschten schönem Hause am Hundsrücken ich oft schon neu belebende Erholung fand, und in dem ich jetzt dieses Buch zum Abschluß bringe.

Rheinböllerhütte, den 22. September 1876.

Georg Ebers.

Vorwort zur fünften Auflage.

Die früheren Auflagen der Uarda sind einander so schnell gefolgt, daß sich aus äußeren Gründen keine durchgreifende Veränderung des stereotypirten Textes vornehmen ließ; indessen habe ich von vornherein die bessernde Hand nicht ruhen lassen und kann nunmehr diese neue, fünfte Auflage als eine »durchgesehene« der Oeffentlichkeit übergeben.

Mit je größerer Liebe ich seiner Zeit die Uarda geschrieben habe, mit um so größerer Freude erfüllt mich die wohlwollende und eingehende Berücksichtigung, die ihr unsere berufensten Kritiker geschenkt haben, und die günstige Aufnahme, die ihr in den verschiedensten Kreisen zu Theil geworden ist.

Den verehrten Männern, die mich auf Versehen aufmerksam machten, bin ich zu lebhaftem Danke verpflichtet. Unter ihnen nenne ich besonders Herrn Professor Paul Ascherson in Berlin und Herrn Dr. C. Rohrbach in Gotha. Beide werden ihre auf pflanzengeographische Irrthümer bezüglichen Bemerkungen in dieser neuen Auflage berücksichtigt finden.

Die Anmerkungen sind nach reiflicher Erwägung nicht hinter den Text gesetzt worden, sondern unter ihm stehen geblieben.

Ueber den Titel »Uarda« sind mir auch in jüngster Zeit so viele Bedenken zu Ohren gekommen, daß ich hier dasjenige wiederholen will, was ich im Vorworte zur dritten Auflage mehr zur Erklärung als zur Entschuldigung desselben angeführt habe.

Dieser Titel hat seine Geschichte und je schwerer es mir selbst werden möchte, ihn sachlich zu vertheidigen, je lieber lass' ich einen Advokaten für ihn sprechen, der keinen geringern Namen trägt, als den unseres G. E. Lessing. Dieser sagt in der hamburger Dramaturgie.

»Nanine?... (von Voltaire 1749.) Was ist das für ein Titel? Was denkt man dabei? Nicht mehr und nicht weniger, als man bei einem Titel denken soll. Ein Titel muß kein Küchenzettel sein. Je weniger er von dem Inhalt verräth, desto besser ist er. Dichter und Zuschauer finden ihre Rechnung dabei und die Alten haben ihren Komödien selten andere als nichts bedeutende Tite1 gegeben.«

So mag es denn bei »Uarda« bleiben, deren Persönlichkeit zwar hinter anderen zurücktritt, deren Leiden aber den Anstoß gibt für den Lauf der Schicksale meiner Helden.

Warum soll ich es verschweigen? Aus der Erinnerung an ein Fellahmädchen, halb Kind, halb Jungfrau, das ich in einer Hütte zu Abd el Qurnah in der Nekropolis von Theben leiden und sterben sah, ist die Figur der Uarda und die vorliegende Erzählung erwachsen. –

Bei meiner mehrfach ausgeführten und vielfach ausgesprochenen Ueberzeugung, daß die Grundzüge des Seelenlebens bei allen Kulturvölkern in allen Zeiten und Breiten nur sehr geringen Modifikationen unterworfen gewesen sind, beharre ich; doch versuche ich mir die der meinen entgegen stehende Ansicht meiner Gegner durch den Umstand zu erklären, daß in der That die Aeußerungen dieser Regungen in verschiedenen Epochen und bei verschiedenen Völkern beträchtliche Ungleichheiten zeigen. Ich glaube, daß einer der schärfsten Menschenkenner des Alterthums, Juvenal, das Rechte traf, als er sagte:

«Nil erit ulterius, quod nostris moribus addatPosteritas: eadem cupient facientque minores.»

Leipzig, den 15. Oktober 1877.

Georg Ebers.

Erster Band.

Erstes Kapitel.

Bei dem alten hundertthorigen Theben erweitert sich der Nil. Die Höhenzüge, welche den Strom zu beiden Seiten begleiten, nehmen hier entschiedenere Formen an; einzelne, beinahe kegelförmige Spitzen überragen scharf geschnitten den flachen Rücken des vielfarbigen Kalkgebirges, auf dem keine Palme gedeiht und kein genügsames Wüstenkraut Wurzel zu schlagen vermag. Steinige Spalten und Schluchten führen mehr oder minder tief in das Gebirge hinein, in dessen Rücken sich die allem Lebenden feindliche Wüste mit Sand und Steinen, mit Felsenklippen und öden Hügelriffen ausbreitet.

Hinter den östlichen Bergen reicht die Einöde bis an das rothe Meer, hinter den westlichen ist sie ohne Grenzen wie die Ewigkeit. Nach dem Glauben der Aegypter beginnt das Reich des Todes in ihrem Rücken.

Zwischen diesen beiden Hügelreihen, die wie Wälle und Mauern den Wüstensand abwehren, fließt der volle und frische Nil, Segen und Gedeihen spendend, zugleich der Vater und die Wiege von viel Millionen Existenzen. Er hat aus seinen beiden Ufern die breiten Flächen des schwarzen Fruchtlandes ausgebreitet und in seinen Tiefen tummeln und nähren sich vielgestaltige Bewohner im Schuppen- und Panzerkleide. Auf dem Spiegel des Wassers schwimmen Lotosblumen und in dem Papyrusschilf am Ufer nisten Wasservögel ohne Zahl. Zwischen dem Nil und den Bergen liegen Felder, die nach der Saatzeit in bläulichem Grün schimmern und wenn die Zeit der Ernte naht, wie eitles Gold erglänzen. Bei den Brunnen und Schöpfrädern erheben sich weithin schattende Sykomorenbäume, und Dattelpalmen gesellen sich, sorgsam gepflegt, zu freundlichen Hainen. – Das ebene, alljährlich von der Ueberschwemmung benetzte und gedüngte Fruchtland sticht von dem sandigen Fuße der Berge hinter ihm ab wie die Gartenerde eines Blumenbeets von gelben Kieswegen.

Im vierzehnten Jahrhundert vor Christus, denn wir führen den Leser in so ferne Zeiten zurück, setzte in Theben die Menschenhand an vielen Stellen durch hohe Steindämme und Uferbauten dem austretenden Wasser unübersteigliche Schranken, um die Straßen und Plätze, die Tempel und Paläste der Stadt vor der Ueberflutung zu schützen.

Fest verschließbare Kanäle führten von den Dämmen aus in das Hinterland und kleinere Zweiggräben in die Gärten von Theben.

Am rechten, östlichen Ufer des Nils erhoben sich die Straßen der berühmten Pharaonenresidenz. Hart am Flusse standen die ungeheuren bunten Tempel der Amonsstadt; hinter diesen und in geringerer Entfernung von den östlichen Bergen, ja bis zum Fuße derselben, theils schon auf dem Boden der Wüste, die Paläste der Könige und Großen und die schattigen Gassen, in denen sich die hohen und schmalen Häuser der Bürger eng aneinanderreihten.

Bunt und lebendig war das Treiben in den Straßen der blühenden Pharaonenresidenz.

Am westlichen Nilufer bot sich ein ganz anderes Bild. Auch hier fehlte es keineswegs an stattlichen Bauten und zahlreichen Menschen; aber während jenseits des Flusses eine kompakte Häusermasse sich erhob und die Bürger laut und fröhlich den Geschäften des Tages nachgingen, sah man auf dem diesseitigen Ufer nur große Prachtbauten, an welche sich kleinere Häuser und Hütten drängten, wie Kinder, die sich an die schützende Mutter schmiegen. Unvermittelt lagen diese Gebäudegruppen neben einander.

Wer den Berg bestieg und schaute zu ihnen hernieder, der empfing den Eindruck, als läge unter ihm eine große Zahl von engbenachbarten Dörfern mit stattlichen Herrenhäusern; wer von der Ebene aus zu dem östlichen Abhange der westlichen Berge hinaufschaute, der entdeckte hier Hunderte von verschlossenen, bald einzeln, bald in Reihen nebeneinander liegenden Thoren, von denen viele am Fuße der Hügel, noch zahlreichere in ihrer Mitte, aber auch einige in beträchtlicher Höhe gelegen waren.

Und wie wenig gleich sah das gemessene, fast feierliche Leben auf den Straßen hier, dem muntern und wirren Getreibe dort! Drüben, auf dem rechten Stromesufer war Alles in heftiger Bewegung bei der Arbeit und Erholung, in Lust und Schmerz, bei der That und Rede; hier auf dem linken wurde wenig gesprochen, schien ein Zauber die Schritte der Wanderer zu hemmen, eine blasse Hand den frohen Blick jeden Auges zu trüben und das Lächeln von jedem Munde zu bannen.

Und doch landete hier manche glänzend geschmückte Barke, fehlte es nicht an singenden Chören, zogen große Festzüge dem Westberge entgegen. Aber die Nilschiffe trugen Todte, die hier ertönenden Lieder waren Klagegesänge und die Festzüge bestanden aus den dem Sarkophage folgenden Leidtragenden.

Wir befinden uns auf dem Boden der Todtenstadt von Theben.

Immerhin fehlte es auch in dieser keineswegs an Verkehr und Leben, denn dem Aegypter starben seine Todten nicht. Er drückte ihnen die Augen zu, er führte sie in die Nekropole, in das Haus des Balsamirers oder Kolchyten und in die Gruft; aber er wußte, daß die Seele des Verstorbenen fortleben, daß sie gerechtfertigt als Osiris in der Sonnenbarke den Himmel befahren und in jeder Gestalt, die sie anzunehmen wünsche, auf Erden erscheinen und in den Lauf des Daseins der Hinterbliebenen eingreifen dürfe. Darum sorgte er für eine würdige Bestattung seiner Todten, vor Allem aber für eine dauerhafte Balsamirung der Leiche und für zu bestimmten Zeiten zu erneuernde Todtenopfer an Fleisch und Geflügel, Getränken und wohlriechenden Essenzen, Gemüsen und Blumen.

Weder bei der Bestattung, noch bei den Darbringungen durften die Diener der Gottheit fehlen und die stille Todtenstadt galt für die günstigste Stätte, für die Anlage von Schulen und Gelehrtenwohnungen.

So kam es, daß in den Tempeln, auf dem Boden der Nekropolis große Priestergenossenschaften beisammen wohnten und in der Nähe der ausgedehnten Balsamirungshäuser zahlreiche Kolchyten, deren Geschäft sich vom Vater auf den Sohn vererbte, ihre Häuser hatten.

Außerdem fehlte es nicht an Fabriken und Verkaufsstätten. In diesen wurden Sarkophage von Stein und Holz, Leinwandbinden zur Umwicklung der Mumien und Amulete für die Ausstattung der letzteren verfertigt, in jenen hielten Kaufleute Spezereien und Essenzen, Blumen, Früchte, Gemüse und Backwerk feil. Rinder, Gazellen, Ziegen, Gänse und anderes Geflügel wurden auf eingehegten Weideplätzen gefüttert und die Leidtragenden begaben sich hierher, um sich unter den von den Priestern für rein erklärten Exemplaren die Opferthiere, deren sie bedurften, auszusuchen und mit dem heiligen Siegel versehen zu lassen. Viele kauften bei den Schlachtbänken nur einzelne Fleischstücke. – Die Armen blieben dieser Stätte fern. Sie erstanden nur buntes Gebäck in Thiergestalt, das die theuren Rinder und Gänse, die ihnen zu erwerben ihre Mittel untersagten, symbolisch zu vertreten hatte. In den stattlichsten Läden saßen priesterliche Diener, welche Bestellungen auf Papyrusrollen annahmen, die man in den Schreibstuben der Tempel mit jenen heiligen Texten versah, welche die Seele der Verstorbenen zu wissen und zu sagen hatte, um die Genien der Tiefe abzuwehren, die Thore der Unterwelt zu öffnen und vor Osiris und den zweiundvierzig Beisitzern des unterirdischen Gerichtshofs gerecht befunden zu werden.

Was in den Tempeln vor sich ging, entzog sich den Blicken, denn ein jeder ward von einer hohen Umfassungsmauer umgeben, deren sorgfältig verschlossene, stattliche Hauptthore sich nur öffneten, wenn in der Morgenfrühe und am Abend ein Priesterchor in's Freie trat, um dem als Horus aufsteigenden und als Tum niedergehenden Gotte fromme Hymnen zu singen.

Sobald das Abendlied der Priester verklang, leerte sich die Nekropole, denn alle Leidtragenden und Besucher der Grüfte waren gehalten, nunmehr die Boote zu besteigen und die Todtenstadt zu verlassen. Große Menschenmengen, die in feierlichen Aufzügen das Westufer von Theben betreten hatten, eilten ohne Ordnung an den Fluß, von den Wachtmannschaften getrieben, welche abtheilungsweise den Dienst versahen und die Grüfte vor Räubern zu behüten hatten. Die Verkäufer schlossen ihre Buden, die Kolchyten und Arbeiter beendeten ihr Tagewerk und begaben sich in ihre Häuser, die Priester gingen in die Tempel zurück und die Herbergen füllten sich mit Gästen, welche aus der Ferne hieher gepilgert waren und lieber in der Nähe des Verstorbenen, dem ihr Besuch gegolten hatte, als in der geräuschvollen Stadt am jenseitigen Stromesufer zu übernachten wünschten.

Die Stimmen der Sänger und Klageweiber waren verstummt, selbst der Gesang der Matrosen auf den zahlreichen dem Ostufer von Theben zuströmenden Booten verhallte nach und nach, der Abendwind trug nur noch vereinzelte Töne herüber und endlich schwieg Alles.

Ein wolkenloser Himmel breitete sich über die schweigende Todtenstadt, nur zuweilen verfinstert von leichten Schatten, den in ihre Grüfte und Felsenspalten heimkehrenden Fledermäusen, die allabendlich zum Nil fliegen, um dort Mücken zu jagen, zu trinken und sich so zu ihrem lichtscheuen Tagesschlafe zu stärken. Dann und wann glitten schwarze Gestalten mit langen Schatten über den hellen Boden hin, die Schakale, welche zu dieser Stunde ihren Durst am Stromesufer zu löschen pflegten und sich oft schaarenweis und mit geringer Scheu in der Nähe der Gänsehürden und Ziegenställe zeigten.

Es war verboten, diese nächtlichen Räuber zu jagen, denn sie galten als heilige Thiere des Gottes Anubis, des Wächters der Gräber und zeigten sich wenig gefährlich, denn sie fanden reichliche Nahrung in den Gräbern.

Die auf den Opferaltären niedergelegten Fleischstücke wurden von ihnen verzehrt; zur Genugthuung der Spendenden, welche, wenn sich das dargebrachte Fleisch am folgenden Tage nicht mehr vorfand, glaubten, es sei von den Unterirdischen für gut befunden und angenommen worden. Auch zeigten sie sich als zuverlässige Wächter, denn sie wurden zu gefährlichen Feinden eines jeden Unberufenen, der unter dem Schutze des Dunkels der Nacht in eine Gruft zu dringen versuchte.

Auch an demjenigen Sommerabende des Jahres 1352, an dem wir den Leser ersuchen, die Todtenstadt von Theben mit uns zu betreten, wurde es, nachdem der priesterliche Abendhymnus verklungen war, still in der Nekropole.

Schon wollten die wachthabenden Soldaten von ihrem ersten Untersuchungsgange heimkehren, als plötzlich ein Hund im Norden der Todtenstadt laut anschlug. Bald folgte ein zweiter, dritter und vierter. Der Wachthauptmann rief seinen Leuten ein »Halt« zu und befahl ihnen, als sich das Gebell weiter und weiter verbreitete und mit jeder Minute an Heftigkeit zunahm, gen Mitternacht zu marschiren.

Die kleine Schaar hatte den hohen Damm erreicht, welcher das Westufer eines vom Nil abgezweigten Kanals begrenzte, und übersah von hier aus das Fruchtland bis zum Flusse und dem Norden der Nekropole. Noch einmal ward »Halt« kommandirt und als die Soldaten in derjenigen Richtung, in welcher die Hunde am heftigsten bellten, den Schein von Fackeln wahrnahmen, eilten sie vorwärts und erreichten bei den Pylonen des von Seti I., dem verstorbenen Vater des regierenden Königs, Ramses II., erbauten Tempels die Ruhestörer.

Der Mond war aufgegangen und goß sein blasses Licht über das stattliche Bauwerk, dessen Außenmauern von den mit dunklem Rauch überwehten Flammen der Fackeln in den Händen von schwarzen Dienern röthlich strahlten.

Ein untersetzter Mann in überladen reicher Kleidung pochte mit dem metallenen Griffe einer Geißel so heftig an das mit Erz bekleidete Tempelthor, daß die Schläge weithin durch die Nacht schallten. In seiner Nähe hielt eine Sänfte und ein mit edlen Rossen bespannter Wagen. In jener saß ein junges Weib und in diesem stand neben ihrem Rosselenker die hohe Gestalt einer vornehmen Frau. Mehrere den bevorzugten Ständen angehörende Männer und viele Diener umgaben das Fuhrwerk und die Sänfte. Nur wenige Worte wurden gewechselt. Die Aufmerksamkeit der seltsam beleuchteten Gruppe schien auf das Tempelthor gerichtet zu sein. Die Nacht verhüllte die Züge der Einzelnen, aber das mit dem Mondschein vermählte Licht der Fackeln war hell genug, um dem Pförtner, der von einem Thurme des Pylon auf die Ruhestörer herniederschaute, zu verrathen, daß sie den vornehmsten Ständen, ja vielleicht der königlichen Familie angehörten.

Mit lauter Stimme rief er dem Klopfer zu und fragte nach seinem Begehr.

Der Letztere schaute aufwärts und rief mit einer Stimme, deren verletzend herrischer Ton die Ruhe der Todtenstadt so roh und plötzlich unterbrach, daß sich die Frau in der Sänfte erschrocken aufrichtete:

»Wie lange sollen wir hier auf Dich warten, fauler Hund? Erst komme herunter und öffne das Thor und dann frage! Wenn die Fackeln nicht hell genug brennen, um Dir zu zeigen, wer hier wartet, so wird Dir meine Peitsche auf den Rücken schreiben, wer wir sind und wie man fürstliche Gäste aufnimmt!«

Während der Pförtner eine unverständliche Entgegnung murmelte und die Treppe hinabstieg um das Thor zu öffnen, wandte sich die Frau auf dem Wagen ihrem ungeduldigen Gefährten zu und sagte mit wohllautender, aber entschieden klingender Stimme; »Du vergißt, Paaker, daß Du wieder in Aegypten bist und es hier nicht mit wilden Schasu, sondern mit freundlichen Priestern zu thun hast, von denen wir noch dazu einen Dienst zu erbitten haben. Man klagt auch sonst über Deine Rauhheit, die mir in den ungewöhnlichen Verhältnissen, unter denen wir uns diesem Heiligthume nahen, am wenigsten angebracht zu sein scheint.« –

Obgleich diese Worte mehr im Tone des Bedauerns als in dem des Tadels gesprochen worden waren, so verletzten sie doch die Empfindlichkeit des Angeredeten, denn die Flügel seiner breiten Nase begannen sich heftig zu bewegen, seine Rechte schloß sich fest um den Griff der Geißel und während er sich demüthig zu verneigen schien, führte er einen so kräftigen Schlag auf die nackten Beine seines neben ihm stehenden Sklaven, eines alten Aethiopiers, daß dieser wie von Frost geschüttelt zusammenfuhr, dabei aber, denn er kannte seinen Herrn, keinen Klagelaut vernehmen ließ.

Indessen hatte der Pförtner das Thor geöffnet und zugleich mit ihm trat ein junger hochgestellter Priester in's Freie, um sich nach dem Begehr der Ruhestörer zu erkundigen.

Paaker wollte wiederum das Wort ergreifen, die auf dem Wagen stehende Frau kam ihm aber zuvor und sagte. »Ich bin Bent-Anat, die Tochter des Königs und diese Frau in der Sänfte ist Nefert, die Gattin des edlen Mena, des Rosselenkers meines Vaters. Wir begaben uns in Begleitung dieser Großen in das Nordwestthal der Nekropole, um die neuen Arbeiten zu besichtigen. Du kennst die schmale Felsenpforte, welche in die Schlucht führt. Auf dem Heimwege führte ich selbst die Zügel und hatte das Unglück, ein Mädchen, das mit einem Korbe voll Blumen am Wege saß, zu überfahren und dabei zu beschädigen; recht schlimm zu beschädigen fürcht' ich. Die Gattin des Mena hat die Kleine erst mit eigenen Händen verbunden, dann ließen wir sie in das Haus ihres Vaters schaffen, eines Paraschiten, Pinem soll er heißen; ich weiß nicht, ob Du ihn kennst.«

»Du hast seine Hütte betreten, Prinzessin?« sagte der Priester.

»Ich mußte ja, heiliger Vater,« gab sie zurück. »Zwar weiß ich, daß man sich verunreinigt, wenn man die Schwelle dieser Leute betritt, aber...«

»Aber,« rief die Gattin des Mena, sich in ihrer Sänfte aufrichtend, »Bent-Anat kann sich heute von Dir oder von ihrem Hauspriester reinigen lassen, dem armen Vater wird sie indessen schwer, vielleicht auch niemals ein gesundes Kind wiederzugeben vermögen.«

»Doch bleibt eine Paraschitenhöhle bei alledem unrein,« unterbrach der Kammerherr Penbesa, der Prinzessin Ceremonienmeister, die Gattin des Mena, »und ich habe mein Bedenken nicht zurückgehalten, als Bent-Anat ihren Willen, das verfluchte Nest in eigener Person zu betreten, zu erkennen gab. Ich schlug vor,« fuhr er zu dem Priester gewendet fort, »das Mädchen nach Hause tragen zu lassen und dem Vater ein königliches Geschenk zu übersenden.«

»Und die Prinzessin?« fragte der Priester.

»Sie handelte wie immer nach ihrem eigenen höchsten Willen,« gab der Ceremonienmeister zurück.

»Und der trifft stets das Rechte,« rief die Gattin des Mena.

»Wollten doch die Götter, es wäre so!« sagte die Prinzessin mit gedämpfter Stimme. Dann fuhr sie, indem sie sich an den Priester wandte, fort; »Du kennst den Willen der Himmlischen und die Herzen der Menschen, heiliger Vater, und ich bin mir bewußt, daß ich gern gebe und den Armen helfe, auch wenn sie keine anderen Fürsprecher haben, als ihre Armuth. Aber nach dem, was hier geschehen ist und diesen unglücklichen Menschen gegenüber war ich die Bedürftige.«

»Du?« fragte der Kammerherr.

»Ja, ich!« antwortete die Prinzessin entschieden.

Der Priester, welcher bisher ein stummer Zeuge dieser Verhandlung geblieben war, erhob nun wie zum Segen seine Rechte und sagte.

»Du hast recht gehandelt. Die Hathoren bildeten Dein Herz und die Herrin der Wahrheit lenkt es. Gewiß störtet ihr unsere Nachtgebete, um uns um einen Arzt für das verwundete Mädchen zu bitten?«

»Du sagst es!«

»Ich werde den Oberpriester um die besten Heilkünstler für äußere Verletzungen bitten und sie sogleich zu der Kranken senden. Aber wo befindet sich das Haus des Paraschiten Pinem? Ich kenne ihn nicht.«

»Nördlich von dem Terrassenbau der Hatasu, dicht bei...; aber ich gebe einem meiner Begleiter den Auftrag, die Aerzte zu führen. Es liegt mir ohnehin daran, morgen früh zu erfahren, wie es der Kranken geht. – Paaker!«

Der Gerufene, der rohe Klopfer, welchen wir bereits kennen, verbeugte sich mit herabhängenden Armen bis zur Erde und fragte;

»Was befiehlst Du?«

»Ich bestimme Dich zum Führer der Aerzte,« sagte die Prinzessin. »Dem Wegeführer des Königs wird es leicht sein, das versteckte Häuschen wieder zu finden; auch bist Du mein Mitschuldiger, denn,« und hiebei wandte sie sich an den Priester, »denn, daß ich's nur gestehe, das Unglück geschah, als ich mit meinen Rossen Paaker's syrische Renner, die er für schneller als die ägyptischen ausgab, zu überholen versuchte. Es war ein wildes Jagen.« –

»Und Amon sei gelobt, daß es so ablief,« rief der Ceremonienmeister. – »Paaker's Wagen liegt zerschellt in dem engen Thale und sein bestes Pferd ist schwer verwundet.« –

»Er wird, wenn er den Arzt zu dem Paraschiten geführt hat, nach ihm sehen wollen,« sagte die Prinzessin. »Weißt Du, Penbesa, Du sorgsamer Hüter eines unbesonnenen Mädchens, daß ich mich heute zum ersten Male freue, daß der Vater im fernen Satilande Krieg führt?«

»Er würde uns wenig freundlich empfangen haben,« lächelte der Ceremonienmeister.

»Aber die Aerzte, die Aerzte!« rief Bent-Anat. »Paaker, es bleibt dabei, Du führst sie und bringst uns morgen Nachricht über das Befinden der Kranken.«

Paaker verneigte sich; die Prinzessin winkte, der Priester und seine inzwischen aus dem Heiligthum hervorgetretenen Genossen erhoben segnend die Hände und der nächtliche Zug bewegte sich dem Nil entgegen.

Paaker blieb allein mit seinen beiden Sklaven zurück. Der Auftrag, den die Prinzessin ihm gegeben, verdroß ihn. So lange der Mondschein die Sänfte mit der Gattin des Mena zu unterscheiden gestattete, schaute er ihr nach, dann versuchte er die Lage des Hauses des Paraschiten in sein Gedächtniß zurückzurufen. Der Hauptmann der Sicherheitswache hielt noch immer mit seiner Mannschaft am Thore des Tempels.

»Kennst Du die Wohnung des Paraschiten Pinem?« fragte Paaker.

»Was suchst Du bei dem?«

»Das geht Dich nichts an,« herrschte Paaker.

»Grobian!« rief der Hauptmann. »Linksum und vorwärts, ihr Leute!«

»Halt,« rief Paaker ingrimmig, »ich bin der Wegeführer des Königs.«

»Dann wirst Du um so leichter den Ort wiederfinden, von dem Du herkommst. Vorwärts, Soldaten!«

Diesen Worten folgte wie im Echo ein vielstimmiges Gelächter, bei dessen übermüthigen Tönen Paaker so heftig erschrak, daß er seine Geißel zu Boden fallen ließ. Der Sklave, den er vor wenigen Minuten geschlagen hatte, hob sie demüthig auf und folgte dann seinem Herrn in den Vorhof des Tempels. Beide schrieben das immer noch leise an ihr Ohr schlagende Gekicher, das die ernste Ruhe der Todtenstadt unheimlich störte und dessen Urheber sie nicht zu erspähen vermochten, ruhelosen Geistern zu. Aber auch dem alten Thorhüter waren die übermütigen Töne nicht entgangen und ihm waren die Lacher besser bekannt als dem Wegeführer des Königs, denn kräftigen Schrittes trat er vor das Thor des Heiligthums und rief, dem tiefen Schlagschatten des Pylons folgend und mit seinem langen Stocke blindlings vor sich herschlagend;

»O, ihr nichtswürdige Brut des Seth, ihr Galgenvögel und Höllenbraten, ich werde euch!« Da verstummte das Gekicher, einige jugendliche Gestalten traten in den Mondschein, der Alte verfolgte sie keuchend und nach einer kurzen Jagd eilte eine Schaar von halb erwachsenen Knaben durch die Tempelpforte in das Thor zurück.

Dem Wächter war es gelungen, einen dreizehnjährigen Uebelthäter zu fangen und er hielt ihn so fest am Ohr, daß sein hübscher Kopf in horizontaler Richtung an den Hals gewachsen zu sein schien.

»Ich zeig's dem Schulvorsteher an, ihr Heuschreckenplage und Fledermausgesindel,« rief er schnaubend. Aber das Dutzend Schulknaben, welches die günstige Gelegenheit wahrgenommen hatte und aus seinem Kerker entsprungen war, umschmeichelte ihn freundlich, Worte der Reue klangen aus jedem Munde, aber aus allen Augen blitzte die Lust an dem Geschehenen, das den Thätern doch Niemand nehmen konnte, und als einer der größten Schüler das Kinn des Alten erfaßte und ihm versprach, ihm morgen den Wein, welchen ihm seine Mutter für die folgende Woche schicken werde zur Aufbewahrung zu überlassen, da ließ der Wächter seinen Gefangenen los, der den Schmerz aus seinem glühenden Ohre zu reiben versuchte, und rief noch unfreundlicher als vorher; »Wollt ihr gleich machen, daß ihr fortkommt! Glaubt ihr, ich werde euren Streich so hingehen lassen? Da kennt ihr den alten Baba schlecht genug. Den Göttern werd' ich's klagen, nicht dem Schulvorsteher; und Deinen Wein, Junge, werd' ich opfern, damit euch der Himmel vergebe!«

Zweites Kapitel.

Der Tempel, in dessen erstem Vorhofe Paaker wartete, und in dem der Priester, um den Arzt zu rufen, verschwunden war, wurde das »Setihaus« genannt und gehörte zu den größten in der Todtenstadt. Nur der Prachtbau aus der Zeit der von dem Großvater des regierenden Königs entthronten Königsfamilie, welchen Thutmes III. gegründet und dessen Thor Amenophis III. mit ungeheuren Kolossen geschmückt hatte, überbot ihn in Bezug auf die Großartigkeit seiner Anlage; indessen gebührte in jeder andern Hinsicht dem »Setihause« der erste Platz unter den Heiligthümern der Nekropole. Ramses I. hatte es kurz nachdem es ihm gelungen war, sich mit Gewalt des ägyptischen Thrones zu bemächtigen, gegründet und sein großer Sohn Seti den Bau fortgesetzt, in welchem man den Todtenkultus für die Manen der Mitglieder des neuen Königshauses und die hohen, den Göttern der Unterwelt zu feiernden Feste begehen sollte. Große Summen waren für seine Ausstattung, den Unterhalt der Priesterschaft dieses Heiligthums und die Erhaltung der mit ihm verbundenen Institute ausgesetzt worden. Diese letzteren sollten mit den uralten Stätten der Priesterweisheit von Heliopolis und Memphis gleichen Schritt halten, waren nach ihrem Muster eingerichtet und hatten die Aufgabe, die neue oberägyptische Residenzstadt Theben auch in Bezug auf wissenschaftliche Leistungen über die Hauptstädte von Unterägypten zu erheben.

Unter den erwähnten Instituten zeichneten sich einige Lehranstalten rühmlich aus. Da war zunächst die hohe Schule, in welcher Priester, Aerzte, Richter, Mathematiker, Astronomen, Grammatiker und andere Gelehrte nicht nur Unterricht genossen, sondern auch, nachdem sie Einlaß in die höchsten Grade der Erkenntniß erworben und die Würde der »Schreiber« erlangt hatten, eine Freistätte fanden, in der sie auf Kosten des Königs ernährt wurden und sich, vor äußeren Sorgen geschützt und im Verkehr mit ebenbürtigen und ähnlichen Interessen ergebenen Mitarbeitern, wissenschaftlichen Forschungen und Spekulationen hingeben konnten.

Eine große Bibliothek, in der Tausende von Schriftrollen aufbewahrt wurden und an die sich eine Papyrusfabrik schloß, stand den Gelehrten zur Verfügung, von denen einige mit dem Unterricht der jüngeren Schüler betraut waren, die in der gleichfalls zum Setihause gehörenden Elementarschule herangebildet wurden. Diese letztere stand jedem Sohne eines freien Bürgers offen und wurde von mehreren hundert Knaben besucht, die hier auch Nachtquartier fanden. Freilich waren die Eltern gehalten, entweder Kostgeld zu zahlen oder die für den Unterhalt der Kinder nothwendigen Speisen in die Schule zu senden.

In einem besondern Gebäude wohnten die Tempelpensionäre, einige Söhne der vornehmsten Familien, die hier gegen hohe Entschädigungssummen von den Priestern erzogen wurden.

Seti I., der Gründer dieser Anstalt, hatte seine eigenen Söhne, ja selbst den Thronfolger Ramses in ihr erziehen lassen.

Die Elementarschulen waren stark besucht und der Stock spielte in ihnen eine so große Rolle, daß ein Pädagog der Anstalt den Satz: »Die Ohren des Schülers sind auf seinem Rücken; er hört, wenn man ihn schlägt,« aussprechen konnte.

Diejenigen Jünglinge, welche aus den Elementarklassen in die hohe Schule überzugehen wünschten, hatten sich einem Examen zu unterziehen. War dieses bestanden, so konnte sich der junge Studirende unter den Gelehrten der höheren Grade einen Meister wählen, der seine wissenschaftliche Führung übernahm und dem er sein Leben lang wie der Klient dem Patron ergeben blieb. Durch ein zweites Examen war der Titel eines »Schreibers« und der Eintritt in die öffentlichen Aemter zu erlangen.

Neben diesen Gelehrtenschulen bestand hier auch eine Lehranstalt für Künstler, in welcher diejenigen Jünglinge Unterweisung empfingen, die sich der Baukunst, der Bildhauerei und Malerei zu widmen wünschten. Auch in ihr wählte sich jeder Lehrling seinen Meister.

Alle Lehrer in diesen Anstalten gehörten zu der Priesterschaft des Setitempels, welche aus mehr als achthundert, in fünf Klassen getheilten Mitgliedern bestand, die von drei sogenannten Propheten geleitet wurden.

Der erste Prophet war der Hohepriester des Setihauses und zugleich der Oberste von all' den Tausenden von niederen und höheren Dienern der Gottheit, welche zu der Todtenstadt von Theben gehörten.

Das eigentliche Setihaus war ein Tempel aus massivem Kalkstein. Eine Reihe von Sphinxen führte vom Nil aus zu der Umfassungsmauer und dem ersten breiten Pylon, welcher Einlaß in einen großen, aus zwei Seiten von Säulengängen umgebenen Vorhof gewährte, hinter dem ein zweiter Thorbau sich erhob. Durchschritt man die in ihm zwischen zwei Thürmen in Gestalt von abgestumpften Pyramiden sich erhebende Pforte, so kam man aus einen zweiten, dem ersten gleichenden Vorhof, dessen Rückseite von einer stattlichen Säulenreihe abgeschlossen ward, die zu dem Kern des Tempels gehörte.

Das Innere des letzteren wurde jetzt von einigen Lampen matt erleuchtet.

Hinter dem Setihause erhoben sich große, viereckige Gebäude von Nilziegeln, die aber immerhin einen stattlichen und geschmückten Anblick gewährten, war doch das schlichte Material, aus dem sie bestanden, mit Kalk beworfen und dieser wiederum mit bunten Darstellungen und hieroglyphischen Inschriften bemalt.

Die innere Anordnung all' dieser Häuser war die gleiche. In der Mitte befand sich ein unbedeckter Hof, in den die Thüren der Zimmer der Priester und Gelehrten mündeten. An jeder Seite eines solchen Hofes war ein schattenspendender bedachter Säulengang von Holz angebracht und in seiner Mitte ein mit Zierpflanzen geschmückter Wasserbehälter. In dem obern Stockwerke befanden sich die Wohnungen der Schüler, während der Unterricht selbst in den gepflasterten und mit Matten belegten Höfen abgehalten zu werden pflegte.

Besonders stattlich und durch wehende Fahnen ausgezeichnet war das zwischen einem wohlgepflegten Haine und einem klaren Teiche, dem heiligen See des Tempels, etwa hundert Schritt hinter dem Setihause gelegene Haus der obersten der Propheten, welche indessen nur um ihres Amtes zu warten hieher kamen, während die stattlichen Häuser, die sie mit Weib und Kind bewohnten, im eigentlichen Theben am jenseitigen Ufer des Stromes gelegen waren.

Der späte Besuch des Tempels konnte in der priesterlichen Gelehrtenkolonie nicht unbemerkt bleiben. Wie die Ameisen, wenn eine Menschenhand in ihren Haufen stößt, unruhig hin und her laufen, so hatte eine ungewöhnliche Bewegung nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer und Priester ergriffen. Gruppenweis näherten sie sich der Umfassungsmauer, Fragen wurden gestellt und Vermuthungen geäußert. Eine Botschaft des Königs sollte angelangt, die Prinzessin Bent-Anat von Kolchyten überfallen worden sein, und ein Schalk unter den ausgebrochenen Knaben erzählte, der Wegeführer des Königs, Paaker, sei gewaltsam in den Tempel gebracht worden, um hier besser schreiben zu lernen. Da der also Verspottete ein früherer Zögling des Setihauses war und noch manche ergötzliche Kunde von seinen stylistischen Verbrechen im Munde der späteren Knabengenerationen fortlebte, so erntete diese Nachricht fröhlichen Beifall und schien, so widersinnig sie war, denn Paaker bekleidete einen der höchsten Posten im Felddienste des Königs, einen Schimmer von Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, als ein ernster junger Priester versicherte, den Wegeführer im ersten Vorhofe des Tempels gesehen zu haben.

Das lebhafte Hin und Her, das Lachen und Jauchzen der Knaben in so ungewöhnlicher Stunde blieb auch von dem Oberpriester nicht unbemerkt.

Dieser ungewöhnliche, einem alten und edlen Hause entstammende Prälat, Ameni, der Sohn des Nebket, war weit mehr als der unbeschränkte Leiter der Tempelgenossenschaft, der er mit Kraft und Weisheit vorstand, denn die Priesterkollegien des ganzen Landes erkannten seine Ueberlegenheit an, verlangten in schwierigen Fällen seinen Rath und widersprachen nicht den von dem Setihause, das heißt von Ameni ausgehenden Anordnungen in geistlichen Dingen. Man sah in ihm die Verkörperung der priesterlichen Idee, und wenn er zu Zeiten an die einzelnen Kollegien schwierige, ja befremdliche Anforderungen stellte, so fügte man sich ihnen, weil die Erfahrung gelehrt hatte, daß auch die verschlungenen Wege, die er zu wandeln gebot, immer nur dem einen Ziele zustrebten, die Macht und das Ansehen der Hierarchie zu erhöhen. Auch der König schätzte diesen seltenen Mann und hatte längst versucht, ihn als Siegelbewahrer an den Hof zu ziehen. Ameni aber war nicht zu bewegen gewesen, seine scheinbar bescheidene Stellung aufzugeben, denn er verachtete äußeren Glanz und prunkende Titel, wagte es zu Zeiten den Maßregeln des »Großhauses« entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen und war nicht gewillt, die unbedingte Leitung der Geister für die bedingte Herrschaft über ihm kleinlich erscheinende äußere Angelegenheiten im Dienste des nur zu selbständigen, schwer zu beeinflussenden Pharao aufzugeben.

Regelmäßig in seinen Lebensgewohnheiten ordnete er sein Dasein in ungewöhnlicher Weise.

Acht von je zehn Tagen verblieb er in dem ihm anvertrauten Tempel, zwei von ihnen widmete er seiner am jenseitigen Nilufer wohnenden Familie; aber er ließ Niemand, selbst nicht die Seinigen, wissen, welchen Abschnitt der erwähnten zehn Tage er seiner Erholung zu weihen gedenke. Er bedurfte nur vier Stunden Schlaf. Diese genoß er gewöhnlich in einem von keinem Geräusch zu erreichenden, tief zu verdunkelnden Gemach um die Mittagszeit, niemals in der Nacht, deren Kühlung und Ruhe seiner Arbeitskraft förderlich schien und in der er sich zu Zeiten dem Studium des gestirnten Himmels hingeben konnte.

Allen Ceremonien, die sein Stand von ihm forderte: den Waschungen, Reinigungen, Scheerungen und Fasten unterzog er sich mit peinlicher Strenge und sein äußeres entsprach seinem inneren Wesen.

Ameni stand im Anfang der fünfziger Jahre, seine Gestalt war hoch und entbehrte gänzlich jener Fülle, der die Orientalen in diesem Alter anheimzufallen pflegen. Die Form seines glatt rasirten Schädels war ebenmäßig und bildete ein längliches Oval. Seine Stirn war weder breit noch hoch, aber sein Profil von seltener Feinheit. Auffallend waren die schmalen, trockenen Lippen seines Mundes und die gewaltigen Augen, die unter dichten Augenbrauen weder feurig noch prächtig glänzten, sondern gewöhnlich zu Boden schauten, aber groß, klar und leidenschaftslos sich langsam erhoben, wenn es zu sehen und zu prüfen galt.

Der junge Pentaur, der Dichter des Setihauses, der diese Augen kannte, hatte sie besungen und von ihnen gesagt, sie glichen den gut geführten Heeren, die der Feldherr vor und nach dem Kampfe ruhen lasse, damit sie mit voller Kraft siegesgewiß in die Schlacht treten könnten.

Die vornehme Gemessenheit seines Wesens war ebenso königlich als priesterlich, denn theils war sie ihm ureigen und angeboren, theils eine Folge der geistigen Beherrschung seiner selbst. An Feinden fehlte es ihm nicht, aber die Verleumdung wagte sich selten an Ameni's überlegene Natur.

Jetzt blickte der Oberpriester erstaunt über die ihn störende Unruhe in den Höfen des Heiligthums von seiner Arbeit auf.

Das Gemach, in dem er sich befand, war sehr geräumig und kühl. Der untere Theil der Wände war mit Fayencekacheln belegt, der obere mit Stuck beworfen und bemalt. Aber man sah wenig von den bunten Meisterwerken der Künstler des Institutes, denn fast überall wurden sie von hölzernen Repositorien bedeckt, in denen Schriftrollen und Wachstafeln lagen. Ein großer Tisch, ein mit Pantherfell bezogenes hohes Sopha, vor dem eine Fußbank und auf welcher eine halbmondförmige Kopfstütze von Elfenbein stand, mehrere Stühle, ein Gestell mit Becken und Kannen und ein anderes mit Flaschen in jeder Größe, Schalen und Büchsen bildeten die Ausstattung des Saales, der von drei mit Kikiöl gefüllten Lampen in Vogelgestalt erleuchtet wurde.

Ameni trug einen fein gefältelten Rock von schneeweißer Leinwand, der ihm bis an die Knöchel reichte. Um seine Hüften schlang sich eine mit Fransen verzierte Schärpe, welche vorn zusammengeschürzt war und deren breite, stark gesteifte Enden bis auf seine Kniee reichten.. Ein breites Tragband von weißem Silberbrokat hielt den Faltenrock. Von dem Halse des Priesters hing bis tief auf seine nackte Brust herab ein aus Perlen und Steinen zusammengesetztes, mehr als eine Spanne breites Halsband und an seinen Oberarmen glänzten große goldene Armbänder. Er erhob sich von dem löwenfüßigen Ebenholzstuhle, auf dem er saß, und winkte einem der an einer Wand seines Wohngemaches kauernden Diener. Dieser verstand auch ohne Worte das Verlangen seines Herrn, setzte behutsam und schweigend eine lange und dichte Lockenperrücke auf den kahlen Schädel desselben und hängte ein Pantherfell, dessen Kopf und Krallen mit Goldblech überzogen waren, um seine Schultern. Ein zweiter Diener hielt Ameni einen Metallspiegel hin, in welchen er, das Fell und den Hauptschmuck zurechtrückend, einen aufmerksamen Blick warf.

Eben wollte ein dritter Sklave dem Prälaten den Krummstab, das Zeichen seiner hohen Würde, überreichen, als ein Priester eintrat und den Schreiber Pentaur meldete.

Ameni winkte und derselbe junge Geistliche, mit welchem die Prinzessin Bent-Anat an dem Thore des Tempels verhandelt hatte, betrat das Gemach.

Pentaur küßte knieend die Hand des Prälaten, der, indem er ihn segnete, mit wohlklingender Stimme und in so dialektloser und gut stylisirter Sprache, als läse er ein Buch vor, sagte: »Steh' auf, mein Sohn. Dein Erscheinen wird mir einen Gang in dieser unfrühen Stunde ersparen, wenn Du mir mittheilen kannst, was die Schüler in unserem Tempel beunruhigt. Rede!«

»Es ist wenig Bemerkenswertes vorgefallen, heiliger Vater,« gab Pentaur zurück, »ja ich würde Dich jetzt kaum gestört haben, wenn sich nicht unter den Schülern ein ganz unbegründeter Lärm erhoben hätte und die Prinzessin Bent-Anat nicht in eigener Person erschienen wäre, um uns um einen Arzt zu bitten. Die ungewöhnliche Stunde und das Gefolge, mit dem sie erschien...«

»Ist die Tochter des Pharao erkrankt?« fragte der Prälat.

»Nein, mein Vater. Sie ist wohl bis zum Uebermuthe, denn als sie die Schnelligkeit ihrer Rosse prüfen wollte, überfuhr sie die Tochter des Paraschiten Pinem. Edelherzig wie sie ist, brachte sie das schwerbeschädigte Mädchen in eigener Person nach Hause.«

»Sie betrat die Hütte des Unreinen?«

»Du sagst es.«

»Und sie bittet nun, daß wir sie reinigen?«

»Ich glaubte sie freisprechen zu dürfen, Vater, denn die reinste Menschenliebe bewog sie zu einer Handlung, die freilich gegen die Sitte verstößt, aber...«

» Aber?« fragte der Prälat mit ernster Stimme und seine Augen, welche bis dahin gesenkt geblieben waren, begannen sich zu erheben.

»Aber,« fuhr der junge Priester, seinerseits den Blick senkend, fort, »aber doch kein Verbrechen sein kann. Wenn Ra in seiner goldenen Barke den Himmel befährt, dann bescheint sein Licht nicht früher und nicht reicher den Palast des Pharao als die Hütte des Geächteten, und sollte denn das schwache Menschenherz sein holdes Licht, die Gnade, dem Niedrigen vorenthalten, weil er elend ist?«

»Ich höre den Dichter Pentaur reden,« sagte der Prälat, »nicht den Priester, dem die Gnade zu Theil ward, in die höchsten Grade des Wissens eingeführt zu werden, und den ich meinen Bruder nenne und meines gleichen. Nichts hab' ich vor Dir voraus, Jüngling, als hinfällige Kenntnisse, die die Vergangenheit für Dich erworben hat, wie für mich, als einige Wahrnehmungen und Erfahrungen, die der Welt nichts Neues bringen, wohl aber lehren, wie man das Alte lebensfähig und wirksam zu erhalten habe. Dasselbe, was Du vor wenigen Wochen gelobtest, das habe ich vor vielen Jahren im Angesichte des Allerheiligen beschworen. Das Wissen zu hüten als der Eingeweihten ausschließliches Eigenthum. Denn es gleicht einem Feuer, das den Vorbereiteten zu edlen Zwecken dient, das aber in den Händen eines Kindes, – und das Volk, die Menge, kann niemals zum Manne reifen, – zum vernichtenden Brande werden, wüthend und unauslöschbar um sich fressen und Alles vernichten würde, was die Vergangenheit erbaut und geschmückt hat. Wie aber können wir die Wissenden bleiben und die Erkenntniß, ohne die Schwachen zu gefährden und zu ihrem Frommen, unter dem Schutze und im Frieden unserer Tempel vertiefen und fortentwickeln? Du weißt es und hast nach diesem Wissen zu handeln geschworen! Die Menge festzuhalten an dem Glauben und den Satzungen der Väter ist Deine, ist jedes Priesters Pflicht. Die Zeiten haben sich geändert, mein Sohn. Unter den alten Königen war das Feuer, von dem ich zu Dir, dem Richter, im Bilde sprach, von ehernen Mauern umgeben, an denen die Menge stumpf vorüberging. Jetzt sehe ich Risse in den alten Schranken, und die Augen der ungeweihten Sinnenmenschen haben sich verschärft, und der Eine erzählt dem Andern, was er, halb geblendet durch die glühenden Spalten, erspäht zu haben meint.«

Ein leise Bewegung hatte sich der Stimme des Redners bemächtigt und indem er mit seinen gewaltigen Augen den Dichter gebannt hielt, fuhr er fort: »Wir fluchen und wir stoßen aus einen jeden Geweihten, der diese Risse erweitert, wir strafen auch den Freund, der es lässig versäumt, sie mit Erz und Hammerschlägen zu verschließen.«

»Mein Vater!« rief Pentaur und warf betroffen den Kopf zurück, während ihm das Blut in die Wangen stieg.

Der Oberpriester trat ihm näher und legte beide Hände auf seine Schultern.

Beide waren von gleicher Größe und von gleich vollendetem Ebenmaße der Gestalt, und selbst die äußere Form der Züge ihres Antlitzes glich einander. Dennoch würde sie Niemand auch nur für entfernte Verwandte gehalten haben, denn der Ausdruck ihrer Gesichter war unendlich verschieden. In den Zügen des Einen spiegelte sich der Wille und die Kraft, das Leben und sich selbst kühl und ernst zu beherrschen, in denen des Andern das liebenswürdige Verlangen, die Mängel und Noth der Welt zu übersehen und das Leben so zu betrachten, wie es sich in dem Alles verschönernden Zauberspiegel seiner Dichterseele malte. Frische und Freudigkeit sprachen aus seinen glänzenden Augen, aber das feine Lächeln an seinem Mund beim Austausche von Gedanken, oder wenn sein Gemüth erregt war, lehrte, daß Pentaur, weit entfernt von naiver Sorglosigkeit, manchen schweren Seelenkampf bestanden und den Trank des Zweifels gekostet habe.

In diesem Augenblicke regten sich wechselnde Empfindungen in seiner Seele. Es war ihm, als müsse er dem Gehörten widersprechen, und doch übte des Andern gewaltige Persönlichkeit einen so tiefen Einfluß auf seine zum Gehorsam erzogene Seele, daß er schwieg und ein frommer Schauer ihn durchzuckte, als Ameni's Hände seine Schultern berührten.

»Ich tadle Dich,« sagte der Oberpriester, indem er den Jüngling noch immer festhielt, »ja ich muß Dich strafen zu meinem Schmerze; und doch –« und nun erst trat er von ihm zurück und ergriff seine Rechte, »und doch freue ich mich dieser Notwendigkeit, denn ich liebe Dich und ehre Dich als Einen, den der Unaussprechliche mit hohen Gaben gesegnet und zu großen Dingen bestimmt hat. Das Unkraut läßt man wachsen oder jätet es aus, aber Du bist ein edler Baum und ich gleiche dem Gärtner, der ihn mit dem Stabe zu versehen vergaß und der nun dankbar ist, daß er eine Krümmung an ihm wahrnimmt, die ihn an seine Versäumniß mahnt. Du siehst mich fragend an und ich lese in Deinen Zügen, daß Du mich für einen überstrengen Richter hältst. Was ist Dir vorzuwerfen? Du hast geduldet, daß an einer Satzung der Vorzeit gerührt worden ist. – Das will, so denkt der kurzsichtige und leichte Sinn, nicht viel heißen; ich aber sage Dir: Du hast Dich doppelt vergangen, denn die Uebertreterin war die Tochter des Königs, auf welche Jedermann sieht, die Großen wie die Kleinen, und deren Thaten dem Volke zum Vorbilde dienen sollen. Wenn die Berührung des von der alten Satzung mit dem schwersten Makel Behafteten die Höchste nicht verunreinigt, wen dann? In wenigen Tagen wird es heißen: die Paraschiten sind Menschen wie wir und das alte Gesetz, sie zu meiden, war Thorheit. Und sollten die Erwägungen des Volkes hiebei stehen bleiben, da es ihm doch so nahe liegt, sich zu sagen, daß wer in einem Punkte irrte, auch in anderen fehlbar sei? Bei Fragen des Glaubens, mein Sohn, gibt es nichts Kleines. Ueberläßt Du dem Feinde einen Thurm, so ist die ganze Festung in seiner Hand! In dieser unruhigen Zeit steht unsere Lehre wie ein Wagen, unter dessen Rädern ein Stein liegt, auf dem Abhange eines Berges. Ein Kind nimmt das Hinderniß fort und das Fuhrwerk rollt zu Thale und zerschmettert. Stelle Dir vor, die Prinzessin sei dieses Kind und der Stein unter dem Rade ein Brod, und sie wollte es einem Bettler reichen, um ihn zu speisen. Würdest Du sie gewähren lassen, wenn Dein Vater und Deine Mutter und Alles, was Dir lieb ist und werth, auf dem Wagen stünde? Keine Entgegnung. Die Prinzessin wird morgen den Paraschiten von Neuem besuchen. Du erwartest sie in der Hütte des Mannes und wirst ihr dort verkünden, daß sie sich vergangen habe und unserer Reinigung bedürfe. Für dießmal sei Dir jede weitere Strafe geschenkt. Der Himmel gab Dir einen reichen Geist. Erwirb Dir, was Dir fehlte: die Kraft für Eines – und Du kennst dieses Eine – alles Andere zu unterdrücken, selbst die verführerische Stimme des Herzens und die betrügliche Deiner Einsicht. – Noch Eins! Sende Aerzte in das Hans des Paraschiten und befiehl ihnen, die Verwundete so zu behandeln, als wäre sie die Königin selbst. Wer kennt die Wohnung des Mannes?«

»Die Prinzessin,« antwortete Pentaur, »hat den Wegeführer des Königs, Paaker, im Tempel zurückgelassen, um die Aerzte in das Haus des Pinem zu führen.«

Der ernste Oberpriester lächelte und sagte. »Paaker, der für ein Paraschitenmädchen wacht!«

Da erhob Pentaur halb zaghaft bittend, halb schalkhaft die Augen, welche er bis dahin niederschlagen hatte, und seufzte: »Und Pentaur, der Gärtnerssohn, welcher der Tochter des Königs die Reinheit abspricht!«

Pentaur beeilte sich, die Aufträge des Oberpriesters zu erfüllen.

Durch einen Diener ließ er den im Vorhof des Tempels harrenden Wegeführer Paaker zu Ameni geleiten, während er sich in eigener Person zu den Aerzten begab, um ihnen die sorgfältige Pflege der Verunglückten recht warm an's Herz zu legen.

Viele Heilkünstler wurden in dem Setihause gebildet, doch pflegten nur wenige von ihnen nach bestandenem Schreiberexamen hier zu verbleiben. Die Begabtesten wurden nach Heliopolis gesandt, in dessen großen Hallen von Alters her die berühmteste medizinische Fakultät des Landes blühte und von wo aus sie dann, durchgebildet und als Meister, entweder in der Chirurgie, oder der Augenheilkunde, oder irgend einem anderen Zweige ihrer Wissenschaft, geschmückt mit den höchsten Würden ihres Standes, nach Theben zurückkehrten, um als Leibärzte in der Nähe des Königs zu verbleiben oder als Lehrer ihre Kenntnisse zu verwerthen und in schwierigen Fällen zu Rathe gezogen zu werden.

Die meisten Aerzte wohnten natürlich am rechten Nilufer im eigentlichen Theben, und zwar mit ihren Familien in ihren eigenen Häusern; aber jeder von ihnen gehörte zu einem Priesterkollegium.

Wer eines Arztes bedurfte, sandte nicht in das Haus eines solchen, sondern in einen Tempel. Hier mußte angegeben werden, woran der Hülfesuchende erkrankt sei, und es blieb dem Vorsteher der Aerzte des Heiligthums überlassen, denjenigen Heilkünstler auszusuchen, dessen Spezialkenntnisse ihn für die Behandlung des vorliegenden Falles besonders geeignet erscheinen ließen.

Wie alle Priester, so lebten auch die Aerzte von den Einkünften, welche ihnen durch ihren Besitz an Grund und Boden, die Geschenke des Königs, die Steuern der Laienschaft und die ihnen aus dem Staatssäckel zufließenden Revenüen zukamen; von den Patienten, welche sie behandelten, hatten sie keine Honorare zu erwarten; doch versäumten die Geheilten es selten, dasjenige Heiligthum, welches ihnen einen Arzt gestellt hatte, zu beschenken, und es war nichts Seltenes, daß die priesterlichen Heilkünstler die Genesung der Leidenden geradezu von gewissen, ihrem Tempel darzubringenden Gaben abhängig machten.

Die Kenntnisse der ägyptischen Mediziner waren nach jeder Richtung hin bedeutend; aber es ist natürlich, daß die Aerzte, da sie als »verordnete Diener der Gottheit« an das Krankenbett traten, sich keineswegs mit der rationellen Behandlung der Leidenden begnügten, sondern vielmehr der mystischen Wirkung von Gebeten und Beschwörungen nicht entbehren zu können meinten.

Unter den ärztlichen Lehrern im Setihause befanden sich Männer von sehr verschiedener Begabung und Geistesrichtung; aber Pentaur war keinen Augenblick in Zweifel, wem von ihnen er die Behandlung des überfahrenen Paraschitenkindes, dem er seine Theilnahme zugewandt hatte, anvertrauen sollte.

Der Erwählte war der Enkel eines berühmten längst verstorbenen Arztes, dessen Name Nebsecht auf ihn übergegangen war, und einer der liebsten Schulfreunde und Altersgenossen des Pentaur.

Mit hoher, ihm angeerbter Begabung, Eifer und Neigung war dieser Jüngling von früh an seiner Wissenschaft ergeben gewesen, hatte sich in Heliopolis die Chirurgie zu seiner Spezialität erwählt und würde dort gewiß als Lehrer zurückgehalten worden sein, wenn ihm nicht ein Fehler an seinem Sprachorgan das Reden erschwert und die laute Rezitation von Formeln und Gebeten verboten haben würde.

Dieser von seinen Eltern und Lehrern tief beklagte Umstand sollte für ihn selbst im besten Sinne förderlich werden; wie es denn so oft geschieht, daß uns aus scheinbaren Vorzügen Schaden und aus scheinbaren Mängeln das Heil unseres Lebens erwächst.

Während nämlich die Genossen Nebsecht's in Gesängen und Deklamationen geübt wurden, konnte er, Dank seiner schweren Zunge, seiner ihm angeerbten fast leidenschaftlichen Neigung, das organische Leben in der Natur zu beobachten, nachgehen und seine Lehrer begünstigten bis zu einem gewissen Grade den ihm innewohnenden Forschungstrieb und zogen aus seiner Kenntniß des thierischen und menschlichen Körpers und der Geschicklichkeit seiner Hände Nutzen.

Seine tiefe Abneigung gegen den magischen Theil seiner Wissenschaft würde ihm strenge Strafen, ja vielleicht die Ausstoßung aus seiner Zunft zugezogen haben, wenn sie in irgend einer Form zum Ausdruck gekommen wäre; Nebsecht war jedoch eine still in sich selbst zurückgezogene Gelehrtennatur, die, frei von dem Verlangen nach äußerer Anerkennung, in der Süßigkeit der Forschung reiches Genügen fand und jede an ihn herantretende Aufforderung, seine Fähigkeiten öffentlich zu bewähren, als einen unvermeidlichen, aber widerwärtigen Eingriff in sein anspruchsloses, aber erfolg- und arbeitsreiches Streben unwillig hinnahm.

Diesem Nebsecht war Pentaur näher getreten, als irgend ein anderer unter seinen Mitschülern.

Er bewunderte seine Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit, und wenn der schwächlich gebaute, aber auf seinen Wanderungen unermüdliche Arzt die Dickichte am Nilufer, die Wüste und das Gebirge durchstreifte, um Pflanzen oder Thiere zu suchen, dann begleitete ihn der junge priesterliche Dichter mit Freude und reichem Gewinn, denn sein Gefährte sah tausend Dinge, die, ohne ihn, seinem Auge für immer verborgen geblieben wären, und andere, ihm nur der Form nach bekannte Gegenstände gewannen für ihn Inhalt und Bedeutung durch die Erklärungen des Naturforschers, dessen ungelenke Zunge sich zwanglos regte, wenn es galt, dem Freunde die von ihm zuerst wahrgenommenen Eigentümlichkeiten der organischen Wesen, deren Entwicklungsgang er beobachtet hatte, darzulegen.

Der Dichter war dem Gelehrten hold und Nebsecht liebte Pentaur, der Alles besaß, was ihm selber abging: männliche Schönheit, kindliche Heiterkeit, freimüthige Offenheit, künstlerischen Schwung und die Gabe, in Wort und Lied Jedwedes zum Ausdruck zu bringen, was sein Herz bewegte.

Der Dichter war ein Laie auf den Gebieten, die er selbst beherrschte, aber wohl befähigt, auch das Schwierigste zu begreifen. So kam es, daß Nebsecht seinem Urtheil größeres Gewicht beilegte, als dem seiner eigenen Fachgenossen, die überall da, wo Pentaur frei und unbeeinflußt entschied, sich von vorgefaßten Meinungen befangen zeigten.