Überlebenstipps für Elternkümmerer - Petra Wieschalla - E-Book

Überlebenstipps für Elternkümmerer E-Book

Petra Wieschalla

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Beschreibung

"Ich kümmere mich um meine alten Eltern und mir wächst alles über den Kopf." So sieht der Alltag vieler Elternkümmerer aus. Auch wenn diese Töchter und Söhne nicht direkt mit der körperlichen Pflege der Eltern zu tun haben, sind sie organisatorisch und emotional sehr stark mit deren Wohlergehen und Versorgung beschäftigt. Lebendig schildert die Autorin die vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen der Elternkümmerer, bis hin zu Konflikten zwischen den Geschwistern oder den richtigen Umgang mit Demenz. Sie zeigt, wie man sich um die Eltern kümmern und gleichzeitig gut für sich selbst sorgen kann. Voraussetzung dafür ist eine realistische Situationseinschätzung, die richtige Kommunikation, Informationen über altersbedingte Veränderungen und eine große Portion Selbstfürsorge. Ein Mutmachbuch für alle Elternkümmerer, die ihr Leben wieder in die Hand nehmen wollen.

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Seitenzahl: 192

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Petra Brigitte Wieschalla, Offenbach am Main, berät als Angehörigencoach, Demenzberaterin und Referentin Menschen, die sich um ihre alten Eltern kümmern und gleichzeitig gut für sich sorgen wollen.

www.petrawieschalla.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02985-3 (Print)

ISBN 978-3-497-61673-2 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61674-9 (EPUB)

2., aktualisierte Auflage

© 2022 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Covermotiv: © Halfpoint/stock.adobe.com

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

1Einleitung

2Wer oder was sind Elternkümmerer?

Warum kümmere ich mich eigentlich?

Was sind die Aufgaben der Elternkümmerer?

Wie viel Verantwortung muss ich für meine Eltern übernehmen?

Wie viel Verantwortung muss ich für mein eigenes Verhalten übernehmen?

3Unterstützung der Eltern

Vier Unterstützungsphasen

4Situationsanalyse und Bestandsaufnahme der Versorgungssituation

Einschätzung der aktuellen Gesamtsituation

Eigene Bedürfnisse und Fähigkeiten

Wer könnte sich grundsätzlich kümmern?

5Vorbereitung – Welche Schritte sind jetzt dran?

Familienkonferenz

Das gemeinsame Gespräch mit den Eltern führen

Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung

Finanzielle Situation der Eltern

Wohnsituation der Eltern altersgerecht gestalten

In Verbindung bleiben, Kommunikationswege

Gemeinsame Erinnerungen

Gesundheitliche Situation der Eltern

6Emotionale und gesundheitliche Belastung der Elternkümmerer

Überforderung

Erwartungen und Ansprüche

Berufstätige mit Pflegeverantwortung

Geschwisterstress: „Es ist auch DEINE Mutter!“

7Selbstfürsorge

Klarheit, Mut und Erlaubnis

Suchen Sie sich Unterstützung

Individuelle Wohlfühlinseln entdecken und beschützen

Dinge, die Ihnen jetzt guttun

8Konfliktsituationen mit den alten Eltern gut begegnen

Alte Eltern verstehen – Konflikte und Kommunikation

Exkurs: Autofahren im Alter

Stressauslösendes Verhalten der Eltern

Exkurs: Kriegskinder

Sexualität im Alter

Vertauschte Rollen?

Stressfaktoren: Krankenhaus und Pflegeheim

Hilfreiche innere Einstellungen

9Demenz

Ist das schon Demenz?

Nach der Diagnose

Demenz verstehen

Nähe trotz Demenz

10Schlussgedanken

Was haben Sie über sich und Ihre Eltern erfahren?

Was ist wirklich wichtig?

11Anhang: Checklisten und weitere nützliche Hilfen

Sachregister

Checklisten zum Download finden Sie unterwww.reinhardt-verlag.de

1Einleitung

Für meinen Vater

Sie müssen sich nicht um Ihre Eltern kümmern – doch Sie können sich dafür entscheiden.

Mitzuerleben, dass die eigenen Eltern alt werden und nicht mehr so können, wie früher. Das ist schwierig und schmerzhaft. Jeder geht anders damit um. Nicht wahrhaben wollen, ignorieren, sich zurückziehen, Aktionismus, überfürsorglich sein, das Leben der Eltern komplett übernehmen wollen.

Je bewusster Sie diese Phase annehmen und sich darauf vorbereiten, umso besser wird es Ihnen gelingen, für Ihre Eltern da zu sein.

Doch warum „Elternkümmerer“? Meiner Erfahrung nach fühlen sich viele Töchter und Söhne nicht als pflegende Angehörige. Denn dabei haben sie meist das Bild von aktiver Körperpflege und das Windeln wechseln vor Augen. Nun, das machen Sie wahrscheinlich wirklich nicht, doch Sie kümmern sich um so viel anderes.

Deshalb habe ich dieses Buch für Sie geschrieben. Es soll Ihnen helfen, Ihre Leistung anzuerkennen, und Wege aus der Überforderung zeigen. Mit lebensnahen Fallbeispielen und konkreten Tipps, die Sie auch in Ihrem vollgepackten Alltag gut umsetzen können.

Wenn ich von Eltern spreche, dann meine ich sowohl beide Elternteile als auch nur Vater oder Mutter. Ausnahmen davon gehen aus dem Text hervor. Es gibt ja außerdem noch sehr viele Schwiegertöchter und Schwiegersöhne, die auch ihren wertvollen Beitrag beim Kümmern um die Schwiegereltern leisten. Auch wenn ich diese nicht extra erwähne.

Irgendwann – meist sehr schleichend – kommt die Erkenntnis, dass die eigenen Eltern nicht für immer so jung, gesund und aktiv bleiben, wie Sie es so ganz selbstverständlich von ihnen erwarten.

Doch wie geht es dann weiter? Vertauschen sich wirklich die Rollen, oder bleiben Sie immer die Tochter oder der Sohn? Beides. Dieses Buch soll Ihnen helfen und Sie auf diesem Weg begleiten. Nicht alles wird jetzt auf Sie zutreffen, manches vielleicht später und einiges auch gar nicht. Doch es soll Ihnen Mut machen, diesen Weg bewusst zu gehen. Neben all den vielen Aufgaben kann es auch eine Bereicherung sein, den eigenen Eltern noch einmal neu auf einer anderen Ebene zu begegnen. Erwachsener und auf Augenhöhe. Das ist die Kür. Vielleicht hilft Ihnen das Buch vor allem dabei, Ihre Nerven zu bewahren und gut für sich zu sorgen.

Wenn Sie allgemeingültige Lösungen und den ultimativen Tipp erwarten, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Jede Situation, jede Konstellation ist individuell. Es geht eher darum, sich bewusst zu werden, aus wie vielen Facetten das Thema Elternkümmerer besteht und in wie vielen Bereichen Sie ansetzen können. Auch die Erkenntnis, dass es in einigen Bereichen richtig gut läuft, kann schon Erleichterung bringen. Was Sie allerdings erwarten können, sind vielfältige Anregungen, um sich und Ihren Eltern das Leben zu erleichtern. Wenn das dann bei Ihnen zu einigen Aha-Momenten führt, würde mich das sehr freuen.

Ich verstehe beide Seiten – sehe die Befürchtungen der Eltern, dass sie langsam die Kontrolle über ihr Leben verlieren, nicht mehr für voll genommen werden und die Herausforderung, mit ihren eigenen Verlusten klarkommen zu müssen. Und gleichzeitig sehe ich auch die Seite der sich kümmernden Töchter und Söhne, die mit den vielfältigen Aufgaben oft überfordert sind.

Was gegen die Überforderung hilft, ist Klarheit. Je klarer Sie für sich sind, umso stressfreier und gelassener können Sie sein. Und umso weniger Diskussionen und Streit gibt es. Sagen Sie ganz klar: „Ich bin unter der Woche gerne für euch da. Doch am Wochenende komme ich nicht. Punkt“. Ohne Begründung, ohne Rechtfertigung. Das öffnet sonst nur wieder den Weg in Diskussionen. Mit dieser klaren Ansage können sich Ihre Eltern besser arrangieren. Es heißt nicht, dass ihnen das gefallen muss. Doch wenn Sie klar sind und bei sich bleiben, dann werden Ihre Eltern das eher akzeptieren.

Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist die Selbstfürsorge. Und das ist so viel mehr als einmal im Monat zur Massage zu gehen oder sich alle drei Monate einen Wellnesstag zu gönnen. Selbstfürsorge fordert Sie auf, zu sich und Ihren Bedürfnissen zu stehen. Diese genauso ernst zu nehmen, wie die Bedürfnisse Ihrer Eltern. Und das ohne schlechtes Gewissen, aus dem Wissen heraus, dass niemandem geholfen ist, wenn Sie aus lauter Pflichterfüllung krank werden oder wenn Sie Ihr Leben für Ihre Eltern aufgeben.

Ja – ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das eine sehr herausfordernde Aufgabe ist, dass einem manchmal fast das Herz bricht, wenn man die Wünsche und Bedürfnisse der Eltern jetzt gerade nicht erfüllen kann. Doch ich weiß auch, wie wichtig das langfristig für Sie ist. Es ist auch Ihr Leben. Deshalb denken Sie daran – Selbstfürsorge braucht Mut!

Oftmals entscheidet man sich gar nicht bewusst, sich um die alten Eltern zu kümmern, sondern man rutscht da so ganz unmerklich rein. Wenn Sie merken, dass Ihnen das alles zu viel wird, ist es wichtig, innezuhalten und sich die eigene Situation ehrlich anzuschauen. Als sich kümmernde Tochter oder als sich kümmernder Sohn haben Sie eine sehr komplexe Rolle übernommen. Sie sind weiterhin eine erwachsene Frau, ein erwachsener Mann und gleichzeitig übernehmen Sie eine zusätzliche Aufgabe innerhalb Ihrer Familie. Manchmal passen diese Rollen zusammen und manchmal haben sie ganz unterschiedliche Ziele und der Konflikt ist vorprogrammiert. Wenn Sie darauf vorbereitet sind, dann werden Sie davon nicht so kalt erwischt und können gelassener reagieren. Dabei soll Ihnen dieses Buch helfen.

Zwei weitere Punkte:

Atmen nicht vergessen! Tief ein- und ausatmen, gerade dann, wenn es stressig wird. Das entspannt Sie und die Situation.

Humor. Das Thema ist schwer genug. Es darf Ihnen auch gut gehen und Sie dürfen über die Absurditäten des Alltags mit Ihren Eltern lachen. Das ist sehr erleichternd.

Ich habe viele der Situationen selbst erlebt, entweder in meiner eigenen Familie oder in meinen Beratungen. Dabei liegt mir vor allem das Thema Selbstfürsorge sehr am Herzen: Ich habe mehrere Angehörige und vor allem meinen Vater durch die Demenz bis zu seinem Tod begleitet. Und gleichzeitig war ich fast zwanzig Jahre mit meinem Mann verheiratet, der kurz nach unserer Hochzeit einen Verkehrsunfall hatte und seitdem querschnittgelähmt auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Wir waren ein gutes Team und ich habe dabei immer wieder gelernt, den Blick auf das zu richten, was möglich ist. Gemeinsam haben wir über hundert Tauchgänge erlebt und waren zusammen für die Deutsche Nationalmannschaft im Rollstuhlcurling bei den Paralympics 2018 in Südkorea. Die Erkenntnis, nach dieser gemeinsamen Zeit meinen eigenen Weg gehen zu müssen und das auch wirklich umzusetzen, hat mir noch einmal mehr in der Tiefe gezeigt: Selbstfürsorge braucht Klarheit, Mut und Erlaubnis.

Ich bin immer wieder voller Wertschätzung, was so viele Töchter und Söhne leisten, oft unbemerkt, auch wenn sie nicht die Anerkennung erhalten, die sie verdienen. Sie sind mit Ihren Sorgen nicht alleine! Millionen anderer Töchter und Söhne geht es auch so.

Das Buch soll Ihnen dabei helfen, wieder handlungsfähig zu werden. Das ist mein größter Wunsch. Wenn Sie es schaffen, gelassener mit dem Kümmern um die Eltern umzugehen, dann sind Sie auch eine Hilfe und ein Vorbild für andere. So tragen wir alle gemeinsam zu einem heilsameren Zusammenleben in der Familie bei.

2Wer oder was sind Elternkümmerer?

Warum kümmere ich mich eigentlich?

Wenn es darum geht, sich um die eigenen Eltern oder Schwiegereltern zu kümmern, gibt es nicht den einen Grund. Es sind sehr vielschichtige Beweggründe, warum man diese Aufgabe übernimmt. Einige davon sind einem ganz klar und bewusst, andere laufen ganz unterschwellig mit.

Ich lade Sie zu einer Bestandsaufnahme ein. Nehmen Sie sich etwas Zeit dafür. Am besten an einem Ort, an dem Sie sich wohlfühlen und ungestört sind. Ich empfehle Ihnen, diese Übung schriftlich zu machen, denn beim Schreiben kommen auch die Gedanken zu Wort, die sonst im Alltag schnell überhört werden.

Starten Sie mit der Frage: „Warum kümmere ich mich um meine Eltern?“

Lassen Sie sich Zeit für die Beantwortung und spüren Sie in sich hinein. Die ersten Antworten sind meist ganz klar, denn die haben Sie sich und anderen schon oft erzählt. Doch fragen Sie sich dann weiter:

Ist das wirklich der einzige Grund, oder gibt es da noch etwas anderes, tiefer gehendes?

Warum wirklich? Und warum genau das?

Ganz wichtig dabei – schreiben Sie erst mal alles auf, ganz unzensiert. Diese Gedanken sind nur für Sie bestimmt. Vor allem, wenn es dabei Motive gibt, die Ihnen vielleicht unangenehm oder peinlich sind.

Es lohnt sich! Denn je klarer Sie sind, umso kraftvoller können Sie Ihren Alltag gestalten. Und es gibt viel mehr Beweggründe, als Sie vielleicht annehmen. Hier sind einige Beispiele:

Was sagen denn die Leute, wenn ich es nicht mache!Das würde ich mir nie verzeihen.Es ist doch meine Mutter!Ich habe es meinen Eltern versprochen.Aus Mitgefühl, Liebe und Dankbarkeit.Ich möchte meinen Kindern ein Vorbild sein.Wer soll es denn sonst machen?Es ist doch meine Pflicht als Tochter.Ich will meinen Mann beim Kümmern um seine Eltern unterstützen.Ich will meinen Geschwistern beweisen, dass ich doch zu etwas tauge.Es hat sich irgendwie so ergeben.Ich wohne von meinen Geschwistern am nächsten dran.Es macht sonst ja keiner.Ich bin das einzige Kind.Weil ich es kann.Ich fühle mich verpflichtet.Weil ich es möchte.Meine Eltern waren immer für mich da, das möchte ich ihnen jetzt zurückgeben.Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich es nicht mache.Meine Mutter verlangt es von mir.Mein Vater akzeptiert niemand anderen.Meine Geschwister sind unfähig.Meine Schwester hält sich aus allem raus.Mein Bruder kann das nicht.Ich mache mir Sorgen um meine Eltern.Ich will meine Eltern retten.Der Gedanke, dass meine Eltern sterben könnten, ist unerträglich für mich.Ich will endlich die Anerkennung meiner Mutter. Sie soll wenigstens einmal sagen: „Kind, ich bin stolz auf dich.“Wenn ich mich so richtig anstrenge, dann wird mein Vater nicht sterben.

Im nächsten Schritt untersuchen Sie Ihre Gründe einmal genauer. Die folgende Skala mit den drei Bereichen hilft Ihnen beim Sortieren:

1. Die „Alternativlosen“:

Weil ich es muss.

Ich habe keine Wahl.

2. Die „Freiwilligen“:

Weil ich es möchte.

Ich mache es freiwillig.

3. Der Graubereich dazwischen:

Ich fühle mich verpflichtet.

Ich mache es trotzdem gerne.

Schauen Sie sich Ihre Gründe jetzt einmal auf diese Aspekte hin an und schreiben Sie diese unter die jeweilige Position auf der Skala. Sie können dafür auch ein großes Blatt Papier und Post-its verwenden.

Abbildung 1: Grad der Freiwilligkeit

Schauen Sie sich Ihre ausgefüllte Skala an. Was fällt Ihnen auf? Auf welcher Seite der Skala stehen die meisten Gründe?

Wenn Sie möchten, können Sie sich für jeden einzelnen Grund folgende Fragen stellen:

Ist das wirklich so?Ist das wirklich wahr?Bin ich wirklich die Einzige?Gibt es niemand anderen?Muss ich das genauso machen?Wie könnte es anders gehen?

Wie hoch ist Ihr Grad der Freiwilligkeit?

Je freiwilliger Sie sich entscheiden, je freiwilliger die Gründe sind, umso kraftvoller können Sie Ihren Alltag bewältigen, umso mehr Energie wird freigesetzt.

Eines ist mir dabei besonders wichtig: Ihre Situation kann sich verändern. Ihre Gründe können sich verändern. Sie dürfen sich neu entscheiden! Es heißt nicht, dass Sie bei der einmal getroffenen Entscheidung bleiben müssen.

BEISPIEL

Sabine D. hat sich entschieden, ihre Mutter zu sich in die Wohnung zu holen. Am Anfang lief es auch recht gut. Doch Sabine fühlt sich mit der Situation zunehmend überfordert. Sie schläft schlecht, es kommt ständig zu Reibereien mit ihrer Mutter und der Pflegeaufwand ist mittlerweile so hoch, dass Sabine am Ende ihrer Kräfte ist. Aber sie macht weiter, bis sie kurz vor einem Burn-out steht, weil sie sich immer wieder sagt: „Ich habe mich einmal dafür entschieden – jetzt muss ich es durchziehen. Ich habe doch keine Wahl. Dann würde ich mich wie eine Versagerin fühlen, weil ich es nicht geschafft habe.“

Das Beispiel zeigt ganz deutlich, wie sehr wir immer wieder unsere Bedürfnisse hintanstellen. Ganz wichtig ist: Sie dürfen eine einmal getroffene Entscheidung ändern! Auch wenn das oft sehr viel Kraft und Überwindung kostet. Deshalb ist es wichtig, regelmäßig zu überprüfen, ob das alles noch so für Sie passt. Ich empfehle, die Übung alle sechs Monate zu machen. Überlegen Sie sich, ob Sie das jetzt wirklich noch leisten können und wollen, ob es genau so und in diesem Umfang sein muss und was Ihre Gründe dafür sind. Was könnten Sie abgeben, wer könnte Sie unterstützen? Dadurch bekommen Sie ein Gefühl für die notwendigen Veränderungen und können sich rechtzeitig Alternativen überlegen. Das ist ein wichtiger Punkt der Selbstfürsorge.

Was sind die Aufgaben der Elternkümmerer?

Das Kümmern um die alten Eltern betrifft die unterschiedlichsten Bereiche und ist sehr individuell. Bei den einen geht es ganz plötzlich, zum Beispiel nach einem Sturz oder einem Krankenhausaufenthalt. Andere bemerken an Kleinigkeiten, dass die Eltern nicht mehr so fit sind wie früher.

Doch die Herausforderungen sind für alle Elternkümmerer die gleichen: Die Situation der alten Eltern beschäftigt Sie und Sie machen sich Gedanken, wie Sie Ihre Eltern unterstützen können. Der Begriff „Mental Load“ beschreibt das sehr treffend.

Diese Unterstützung setzt sich aus den unterschiedlichsten Bereichen und Aufgaben zusammen. Dabei wird sehr oft unterschätzt, wie viel der eigenen Zeit und Energie dafür benötigt wird. Jede Aufgabe für sich betrachtet ist vielleicht gar nicht so aufwendig. Doch wenn man sich einmal klar darüber wird, was alles dazugehört, dann ist es kein Wunder, dass viele Elternkümmerer überfordert sind.

Folgende Bereiche gehören auf jeden Fall dazu:

Die alten Eltern

Ihre Eltern benötigen zunehmend mehr Unterstützung zur Bewältigung ihres Alltags und bei der gesundheitlichen Versorgung. Gleichzeitig prallen die unterschiedlichen Erwartungen aufeinander und Konflikte aus der Kindheit kommen wieder hoch.

Medizin

Die Organisation der Arzttermine und die Begleitung zu diesen ist sehr zeitaufwendig. Hinzu kommt noch die Auseinandersetzung mit den Krankheitsdiagnosen, der Medikamentenüberwachung und der Abstimmung mit dem Pflegedienst. Selbst wenn Sie vieles davon delegieren können, müssen Sie trotzdem dafür sorgen, dass alles funktioniert.

Der Papierkram

Haben Sie schon einmal versucht, die Abrechnung eines Pflegedienstes oder Pflegeheims nachzuvollziehen? Oder die Arztkosten mit der privaten Krankenversicherung und der Beihilfe abzuklären? Oder Leistungen bei der Pflegeversicherung zu beantragen?

Allein die Übernahme der normalen Elternkorrespondenz und der Bankgeschäfte ist schon aufwendig genug. Und dann gibt es noch die spontan an der Haustür abgeschlossenen Verträge …

Zwei Haushalte

Auf einmal müssen Sie Zeit und Energie einplanen fürs Einkaufen, Kochen, Ordnung halten, waschen, putzen und die Fahrtzeit zu Ihren Eltern.

Finanzen

Die Übernahme der Bankgeschäfte, wie Überweisungen und Geld abheben, gehören dazu, aber oft auch die Sorge, ob das Geld noch reicht, oder ob Sie Ihre Eltern unterstützen müssen.

Eigene Berufstätigkeit

Berufstätige müssen mit ihrer Zeit extrem jonglieren, denn die Arbeitsanforderungen, der Termindruck und feste Arbeitszeiten bringen viel Stress mit sich. Besonders dann, wenn Sie nicht ungestört telefonieren oder im Notfall erreichbar sein können. Flexible Arbeitszeiten und Erreichbarkeit sind deshalb extrem wichtig und entlastend.

Ihr Job kann Ihnen aber auch dabei helfen, sich gegenüber Ihren Eltern gut abzugrenzen und auch mal auf andere Gedanken zu kommen.

Eigene Familie

Wenn Sie eine eigene Familie haben, wollen Sie auch den Bedürfnissen Ihres Partners und Ihrer Kinder gerecht werden, was aber nicht immer so funktioniert, wie Sie es gerne hätten. Und dann sind da noch Ihre Geschwister, die alle das Beste für Ihre Eltern wollen. Nur: Jeder versteht möglicherweise etwas anderes darunter.

Eigene Bedürfnisse

Das wohlgemeinte „Du musst mal ausspannen!“ entlockt Ihnen oft nur ein müdes Lächeln. Wenn es so einfach wäre. Denn manchmal reicht es gerade noch für ein Eis auf dem Sofa vor dem Fernseher. Zeit für Freunde, Hobbies, Urlaub oder eine kurze Auszeit, müssen sich die Elternkümmerer richtig erkämpfen. Denn eigene Bedürfnisse fallen als Erstes hinten runter.

Körperlicher Stress

Je länger die Überforderung andauert, umso häufiger meldet sich der Körper: Der Stress zeigt sich z. B. in Form von Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Heißhungerattacken oder Appetitlosigkeit.

Emotionaler Stress

Dazu kommt dann noch der emotionale Stress mit ständiger Sorge um das Wohlergehen der Eltern, Nicht-abschalten-können, ein Gefühl der Überforderung, schlechtes Gewissen und Streit.

Die deprimierenden Gedanken: „Egal, wie viel ich mache, es ist nie genug!“ und das ständige unbewusste Vergleichen: „Andere schaffen viel mehr als ich!“ sind ständige Begleiter.

Zeitdruck

Zu wenig Zeit zu haben – dieses Gefühl zieht sich durch alle Bereiche. Und ist bei der Fülle der Aufgaben sehr verständlich.

Abbildung 2: Die Aufgaben der Elternkümmerer

Wenn Sie sich jetzt einmal all diese einzelnen Bereiche anschauen, wird Ihnen hoffentlich klar, dass das Kümmern um die Eltern eine große Aufgabe ist, die sich nicht mal eben nebenbei von selbst erledigt. Und dass es wichtig ist, nicht alles allein schaffen zu wollen.

Schauen Sie sich die unterschiedlichen Bereiche einmal an und bewerten Sie für jeden Bereich, wie Sie Ihre Situation einschätzen:

Abbildung 3: Situationsbestimmung

Sie haben jetzt einen guten Überblick über Ihre aktuelle Situation.

Was hat Sie überrascht?

Was war Ihnen schon klar?

Was läuft gut?

In welchem Bereich benötigen Sie die meiste Unterstützung?

Wie viel Verantwortung muss ich für meine Eltern übernehmen?

Diese Frage stellen sich die Elternkümmerer immer wieder. Wie in so vielen anderen Bereichen gibt es auch hier keine eindeutige Antwort.

Wenn Sie wirklich Verantwortung übernehmen wollen, dann setzen Sie sich rechtzeitig mit Ihren Eltern zusammen und überlegen gemeinsam, welche Lösungen am besten sind, wenn Ihre Eltern mal nicht mehr so können.

Wenn sie das dann auch noch mit einer Vorsorgevollmacht und einer Patientenverfügung festlegen, haben Sie schon einen wichtigen Schritt gemacht. Doch auch bei der Vorsorgevollmacht gilt: Solange Ihre Eltern in der Lage sind, ihren Willen zu äußern und die Folgen ihrer Handlungen abzuschätzen, sind Ihre Eltern für sich selbst verantwortlich.

Und genau hier beginnt die Grauzone.

Fakt ist – solange Sie schon auf der Welt sind, haben es Ihre Eltern geschafft, selbst für sich zu sorgen. Fakt ist aber auch, dass es jetzt Bereiche gibt, in denen Ihre Eltern sich nicht mehr so gut um sich selbst kümmern können.

Ich empfehle den Elternkümmerern daher immer, die Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Autonomie der Eltern so lange wie möglich zu wahren und die notwendige Unterstützung nur wohldosiert, respektvoll und gesichtswahrend anzubieten.

Es ist verständlich, dass Sie sich um Ihre Eltern sorgen, dass Sie möchten, dass es Ihnen gut geht. Und wir haben ganz oft eine genaue Idee davon, was richtig und vernünftig ist – auch wenn wir uns selbst nicht so verhalten …

Unser Verantwortungsgefühl besteht dann oft aus ungebetenen Hilfsangeboten. Wenn Ihre Mutter seit jeher für einen schön gedeckten Tisch sorgt, dann ist es für sie keine Hilfe, wenn Sie ihr sagen: „Bleib ruhig sitzen, ich decke den Tisch für dich, du schaffst das ja nicht mehr.“ Stattdessen könnten Sie Ihre Hilfe bei der schweren Pfanne anbieten oder beim Bereitstellen der Getränke.

Oder da gibt es die gut gemeinten Verbote. Wenn Ihr Vater schon immer leidenschaftlich in seinem Werkzeugkeller gebastelt hat, dann wird er auf ein Verbot „Du darfst nicht mehr in deinen Werkzeugkeller gehen, du könntest stürzen“ mit Sicherheit ärgerlich reagieren.

Natürlich sollten Sie dafür sorgen, dass die Treppe hell beleuchtet ist und es keine Stolperfallen gibt. Doch es gibt auch das allgemeine Lebensrisiko und Sie können Ihre Eltern nicht vor allem bewahren. Ja, Ihre Mutter könnte sich beim Abwaschen am Messer schneiden oder Ihr Vater könnte auf der Treppe stürzen.

Aber wollen Sie Ihnen das wirklich alles verbieten? Sollen Ihre Eltern den ganzen Tag im Bett liegen, damit sie auf keinen Fall stürzen oder sich verletzen? Es geht dabei immer wieder um die Abwägung von Schutz vor Selbstgefährdung und dem Erhalt der Lebensqualität.

Bitte unterschätzen Sie nicht, welchen Verlust an Lebensqualität die gut gemeinten Verbote bedeuten!

Und gleichzeitig ist es immer wieder eine Gratwanderung zu entscheiden, wann Ihre Eltern sich selbst und andere so schädigen, dass Sie eingreifen müssen.

Doch die Eingangsfrage möchte ich noch aus einem anderen Blickwinkel stellen:

Wie viel Verantwortung muss ich für mein eigenes Verhalten übernehmen?

Oft stecken wir noch in der Rolle des Kindseins fest. Wir lassen uns gerne bekochen, schicken unsere eigenen Kinder ganz selbstverständlich in den Ferien zu den Großeltern und erwarten, dass der Rasen gemäht ist, wenn wir zu Besuch kommen.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie anstrengend es für Ihre Eltern ist, die Großeinkäufe zu machen oder den Garten zu versorgen? Wie sie mit dem Alltag zurechtkommen?

Wenn Sie sich bewusst damit auseinandersetzen, dass es für Sie darum geht, Ihren Eltern erwachsener zu begegnen, dann haben Sie schon einen großen Schritt getan. Verantwortung fängt schon bei der gemeinsamen Planung für den letzten Lebensabschnitt an.

Denn wenn Sie bereits berechtigte Sorgen haben, dass Ihre Eltern nicht mehr alleine zu Hause leben können, wird es schwieriger, darüber zu reden.

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Sie müssen sich nicht um Ihre Eltern kümmern. Doch Sie können sich dafür entscheiden.

3Unterstützung der Eltern

Vier Unterstützungsphasen