Um die Hecke gebracht - Kristina Hortenbach - E-Book
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Um die Hecke gebracht E-Book

Kristina Hortenbach

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Beschreibung

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Gartenbuchpreis in der Kategorie »Gartenprosa und -lyrik«

Lehrerin Rosalinde Reich freut sich auf den vorzeitigen Ruhestand. Endlich kann sie ihrer Leidenschaft als Landschaftsgärtnerin nachgehen. Ihr erster Auftrag führt sie auf ein herrschaftliches Anwesen bei Bonn. Als sie beim Umgraben auf Knochen stößt, ist ihr Auftraggeber überfragt, also ergreift Rosa die Initiative und stellt Recherchen an. Kurz darauf wird der Bürgermeister des Ortes ermordet, und bei Rosas Arbeit häufen sich die Unfälle. Offenbar gefällt nicht jedem, dass sie in der Vergangenheit gräbt. Zum Glück hat Rosa Unterstützung von ihrem Gärtnereiteam, Mops Archie und ihrem ehemaligen Schüler Peter Klein, der inzwischen bei der Polizei arbeitet. Da geschieht ein weiterer Mord, und mit der ersehnten Ruhe ist es endgültig vorbei ...

»Für mich als rheinischer Gartenliebhaber mit großem Latinum und Sternzeichen Löwe – trotz Katzenhaarallergie – genau das richtige Buch! Ein cantz spannender Krimi.« Guido Cantz

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Seitenzahl: 447

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Das Buch

Lehrerin Rosalinde Reich freut sich auf den vorzeitigen Ruhestand. Endlich kann sie ihrer Leidenschaft für Landschaftsgärtnerei nachgehen. Ihr erster Auftrag führt sie auf ein herrschaftliches Anwesen bei Bonn. Als sie beim Umgraben auf Knochen stößt, ist ihr Auftraggeber überfragt, also ergreift Rosa die Initiative und stellt Recherchen an. Kurz darauf wird der Bürgermeister des Ortes ermordet, und bei Rosas Arbeit häufen sich die Unfälle. Offenbar gefällt nicht jedem, dass sie in der Vergangenheit gräbt. Zum Glück hat Rosa Unterstützung von ihrem Gärtnereiteam, Mops Archie und ihrem ehemaligen Schüler Peter Klein, der inzwischen bei der Polizei arbeitet. Da geschieht ein weiterer Mord, und mit der ersehnten Ruhe ist es endgültig vorbei …

Die Autorin

Kristina Hortenbach wurde 1969 in Bonn geboren, wo sie auch ziemlich lange studierte. Durch ein Volontariat landete sie beim Südwestrundfunk in Baden-Württemberg. Als »Frl. v. Hochtenbach« brachte sie den Hörern Schwäbisch bei. Seit vielen Jahren ist sie als Promireporterin für Radio und Fernsehen unterwegs und jeden Freitag in der TV-Sendung »Kaffee oder Tee« zu sehen. Seit ihrer ersten selbst gezogenen Möhre im Reihenhausgarten liebt sie alles, was wächst und blüht. Obwohl sie eher die grüne Faust hat, begleiten sie seit Jahren ein Olivenbaum, ein Oleander und ein Hibiskus.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Originalausgabe 03/2023

Copyright © 2023 dieser Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die litmedia.agency, Germany.

Redaktion: Michelle Stöger

Covergestaltung: zero-media.net, München, unter Verwendung von FinePic®, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-28499-2V002

www.heyne.de

Für Carina

Homo homini leo est

Der Mensch ist dem Menschen ein Löwe

Dr. Karl Schäfer, frei nach Titus Maccius Plautus

Et hätt noch immer joht jejange

Wird schon gutgehen

Willy Schmitz zitiert das Rheinische Grundgesetz, Artikel 3

Prolog

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, der Tau lag schwer auf dem Gras und ließ die akkurate Schnittfläche hell in der Dämmerung leuchten. Von dem Gebäude, das bei Tage so prachtvoll wirkte, waren nur dunkle Schemen zu erkennen, kein Licht in den Fenstern, auch nicht in seinem Zimmer. Ob er noch im Bett lag? War er allein, oder lief sie gleich durch den Garten und schlich sich zu ihm? Das Haus schlief jedenfalls nicht. Erst war ein Klappern zu hören, dann Schritte. Jemand stieg die Treppenstufen vom Lieferanteneingang des Hauses hoch. Es war der Mann mit dem gezwirbelten Schnurrbart. In jeder Hand hielt er einen Blecheimer, wie jeden Morgen. Seine schweren Stiefel hinterließen dunkle Abdrücke auf dem feuchten Rasen.

Schnell hinter die akkurat geschnittene Buchsbaumhecke! Von hier aus war gut zu beobachten, wie der Mann mit ausladenden Schritten den parkähnlichen Garten durchquerte, vorbei an den jungen Obstbäumen und dem Springbrunnen, aus dem zu dieser Tageszeit noch kein Wasser sprudelte. Er schaute sich nicht um, welch ein Glück, hatte auch keinen Blick für die Schönheit des erwachenden Schlossgartens. Der Sand unter seinen Stiefeln knirschte, als der Mann die schmiedeeisernen Bänke passierte. So schöne Erinnerungen hängen an ihnen! Jetzt verliehen sie der frühmorgendlichen Szenerie eine herrschaftliche Eleganz.

Durch das Gebüsch war leicht zu verfolgen, wie der Mann den von weißen und roséfarbenen Kletterrosen umwucherten Laubengang hinter sich ließ. Ihr Duft ist mit das Schönste an diesem Garten, der sich immer mehr wie der meine anfühlt. Vielleicht wird er es bald tatsächlich werden.

Die Blätter der alten Kastanien raschelten, als der Mann mit dem gezwirbelten Bart den hinteren Teil des Gartens erreichte. Doch was war das? Etwas war anders als an den anderen Tagen. Auf der gegenüberliegenden Seite des großen Rasens war eine zweite Person zu erkennen, die anscheinend der ersten durch den jetzt dichter werdenden Park folgte. Wer war das? Wollte noch jemand das Ungewisse dieser Dämmerstunde ans helle Licht des Verstandes und des Tages bringen? Hinterher, beeil dich!

Nach einigen Metern erreichte der Schnurrbärtige eine Lichtung. Birken, Buchen und einige Tannen umsäumten die große freie Fläche, auf der sonst Platz genug für Sport und Spiel der Familie und ihrer Gäste war. Jetzt stand dort ein riesiges Zelt, umgeben von einigen Schindelwagen, die nicht nur dem Transport, sondern auch als fahrbare Behausung dienten. Der Mann mit den Eimern schien noch nicht bemerkt zu haben, dass er verfolgt wurde. So wie der Verfolger, wie es aussah, nicht wusste, dass er seinerseits beobachtet wurde.

Es war kühl. Die Feuchtigkeit des Morgens drang langsam und unaufhaltsam durch Mantel und Schuhe, während ein mächtiger Kastanienstamm den nötigen Schutz bot, um zu sehen, dass der Mann mit den schweren Stiefeln vor einem Käfigwagen stehen blieb. Die Blecheimer stellte er am Fuße der kurzen Treppe ab, um einen großen Schlüssel aus seiner Hosentasche zu ziehen, mit dem er das Vorhängeschloss an der Käfigtür öffnete.

Mit jeder Minute, die verging, brachte die Sonne ein wenig mehr Licht in die Szene. Das Tier war schemenhaft im Wagen auszumachen. Es stand in der hinteren Ecke, den schweren Körper an die Stäbe gepresst. Seine Augen blitzten auf, als sie jede Bewegung des Mannes mit dem Futter fixierten. Jetzt lief es unruhig auf und ab und knurrte leise. Die Spannung war bis hinter die Kastanie zu spüren. Der Mann entfernte rasselnd die Kette und öffnete die Tür.

»Latscho ratschaha, tschavo«, brummelte er dabei.

Die Stiefel quietschten, als er sich umdrehte, um nach den Eimern zu greifen. Doch plötzlich fuhr er zurück, als sein Verfolger aus den Büschen hervorsprang.

»Hast du mich erschreckt, was zum Teufel tust du denn hier?«

Das war die Stimme des Schnauzbärtigen. Doch statt einer Antwort folgte ein lautes Scheppern. Die Eimer!Langsam näher heranschleichen. Jetzt war die Szene deutlich zu erkennen: Die Gestalt bedrängte den Schnauzbärtigen, für einen kurzen Moment verschmolzen die beiden Umrisse zu einem. Bis sie sich, begleitet von einem erstickten Schrei, schlagartig voneinander lösten. Der Mann mit dem Schnauzbart machte einen Satz rückwärts in den Käfig, er strauchelte, während sich die Tür vor ihm schloss. Er knallte auf den Boden, kam direkt vor dem Tier zum Liegen. Das warf den Kopf hoch und brüllte. Es hob eine seiner schweren Pranken und wehrte den vermeintlichen Angriff ab.

Der Mann schrie laut auf, als sich das Tier auf ihn stürzte. Zwei Körper, die miteinander zu verschmelzen schienen. Wie ein Spiel, die stürmische Umarmung zweier Liebender, die sich über den Boden wälzten. Dann wurde es schlagartig still im Käfig. O mein Gott, o mein Gott, o mein Gott!

Die dunkle Gestalt drehte sich um, die Kapuze war ihr vom Kopf gerutscht. Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages tauchten das Gesicht in warmes Licht. War das alles ein böser Traum? Was passierte hier? Die Blutlache unter dem halb zerfetzten Körper des Schnauzbärtigen breitete sich unaufhaltsam im Käfig aus und mit ihr die schreckliche Erkenntnis über das gerade Gesehene.

Kapitel 1

Rosa stand auf dem Schulhof unter der großen Linde und ließ ihren Blick langsam über die Fassade gleiten: Das Rhenus-Gymnasium in Bad Godesberg, ihr zweites Zuhause in den vergangenen fünfunddreißig Jahren. Kaum zu glauben, dass heute ihr letzter Tag sein sollte. Heute schloss sich ein Kapitel ihres Lebens. Ein sehr dickes Kapitel, dachte Rosa, fast so dick wie der Pflanzenkatalog, den sie letztens aus Andreas Krawinskys Baumschule mitgebracht und in dem sie so viele Arten allein von der Azalee gefunden hatte mit so interessanten Namen wie ›Persil‹, ›Beethoven‹ oder ›Satan‹.

Um sie herum wuselten die Kinder und eilten zur ersten Stunde. Sie würde die lebhaften Schüler vermissen, wenn sie sie auch noch im vergangenen Winter so heftig mit Schneebällen beworfen hatten, dass ihr die Brille von der Nase geflogen war. Vor allem im Sommer hatte Rosa gerne die Pausenaufsicht übernommen, um im Schatten der alten Lindenbäume von ihren Zukunftsplänen zu träumen. Denn sie hatte schon lange vor, einer anderen großen Leidenschaft nachzugehen, die von ihr Besitz ergriffen hatte, seit sie zum ersten Mal eine selbst gezogene Mohrrübe aus der Erde gebuddelt hatte: die Natur.

Schon als Kind hatte es Rosa geliebt, draußen zu sein, durch die Felder zu radeln, später durch die Rheinauen, und ihren Eltern in der Gärtnerei zu helfen. Während ihre Schwester sich immer aus dem Staub gemacht hatte, wenn es darum ging, die Tomaten im Gewächshaus zu gießen oder Brennnesseln und römische Kamille aus den Freilandbeeten zu rupfen, hatte Rosa es herrlich gefunden zu beobachten, wie aus Samen ganze Bäume wurden. Auch heute noch konnte sie darüber staunen, wie eine fast vergessene Narzissen-Zwiebel in billiger Supermarkterde im Frühjahr zum Leben erwachte und die schönsten Blüten hervorbrachte. Als Studentin hatte Rosa im Frühling immer frische Tulpen vom Bonner Markt auf dem Tisch gehabt, und sobald sie einen Balkon besaß, zogen dort auch schon Zitrone, Oleander, Hibiskus und sogar ein Olivenbäumchen ein. Lange hatte sie gedacht, dass sie nach der Schule die Gärtnerei ihrer Eltern übernehmen würde, aber vor allem ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass ihre Töchter ›etwas Richtiges‹ lernten. Also hatte Rosa studiert und so ihre Liebe zur Natur zum Lehrberuf gemacht, Biologie und Erdkunde schienen perfekt zu ihr zu passen. Sie hatte die Zeit als Lehrerin geliebt, trotzdem war das Gefühl geblieben, es würde ihr etwas fehlen, weshalb sie sich an der Fernuni eingeschrieben und den Aufbaustudiengang Landschaftsplanung begonnen hatte. Die Urkunde, die ihr einen erfolgreichen Abschluss bescheinigte, lag fertig eingerahmt auf dem Schreibtisch und wartete darauf, in ihrem neuen Büro aufgehängt zu werden. Rosa war stolz auf sich. Und glücklich. Ihr neues, grünes Leben konnte beginnen. Sie würde die alte Gärtnerei ihrer Eltern auf Vordermann bringen und ein Gartenplanungsbüro anschließen.

Sie roch förmlich schon Rosen, Lavendel und Flieder. Ihre Kunden würden begeistert sein. Vielleicht konnte sie auch einen Auftraggeber mit großem Garten zu Lindenbäumen überreden. Schließlich galt der Baum mit seinen herzförmigen Blättern als Symbol der Liebe. Und wenn die Lindenblüten im Sommer süßlich-betörend dufteten, kamen die Bienen und Hummeln von ganz allein. Und vielleicht ja auch die Männer. Rosa seufzte und strich den Rock ihres geblümten Kleids glatt. Seit dem Tod ihres Mannes vor drei Jahren hatte sie auf ihrem Balkon zwar keinen Platz für eine Linde, aber für einen Mann allemal. Aber so richtig bereit für eine neue Liebe, eine neue Partnerschaft fühlte sie sich nicht. Nur mit der Ruhe, eine Leidenschaft nach der anderen, sagte sie sich und wischte den Gedanken schnell beiseite.

»Na, Rosalindchen, du wirst doch nicht rührselig werden auf den letzten Metern?«

Ein Arm legte sich um ihre Schultern und hielt ihr einen großen Rosenstrauß in ihrer Lieblingsfarbe Pink unter die Nase.

»Karl, was machst du denn hier?«

»Amicus certus in re incerta cernitur – einen sicheren Freund erkennt man in unsicherer Lage. Ich kann meine langjährige Lieblingskollegin auf dem schwersten Gang der gesamten Schulzeit doch nicht allein lassen.«

Dr. Karl Schäfer, Lehrer für Latein und Geschichte, seit einem Jahr im Ruhestand und noch immer sehr tief drin in seiner lateinischen Welt. Aber auch noch immer Rosas bester Freund. Er zog erst seine Weste zurecht, zu der er eine pinke Fliege trug, und anschließend seine Kollegin in Richtung Eingang.

»Komm, ich zeig dir, wie das geht mit dem würdevollen Abschied in den Ruhestand.«

Rosa lächelte. Wie schön, dass sie einen Freund wie Karl hatte, gerade jetzt, wo sich ihr Leben völlig ändern sollte. Nie mehr früh aufstehen und in den Wintermonaten noch im Dunkeln zur Schule fahren müssen. Nie mehr Urlaub machen, wenn Tausende andere Lehrer, Eltern und Schüler ebenfalls unterwegs waren. Nein, sie hatte jetzt eigentlich jeden Tag Urlaub. Denn sie würde ihren Traum leben. Sie würde grüne Oasen gestalten mit Bäumen, Blüten, Gräsern. Farbe, Duft und Leben in die Gärten der Menschen bringen. Jeder Familie, die sie zu sich rief, würde sie raten, Beete anzulegen und Gemüse für die eigene Küche zu ziehen. Der Gedanke, die Welt ein bisschen besser und gesünder zu gestalten, machte Rosa froh.

»Sag mal, Karl, was heißt eigentlich Linde auf Lateinisch? Und bist du sicher, dass du als Ehemaliger überhaupt noch auf das Schulgelände darfst?«

Aber da waren sie auch schon drin, im altehrwürdigen Schulgebäude.

. . .

Eine große pinke Torte und unzählige Gläser Sekt später, stand Rosa wieder draußen vor der Schule. Diesmal für immer, dachte sie wehmütig. Karl half ihr, ihre Abschiedsgeschenke zu ihrem Mini zu tragen.

»Also, so einen bombastischen Abschied habe ich damals nicht bekommen, Rosa, deine Schüler lieben dich wirklich.«

Sie nickte. »Ja, Karl, dass die sich gemerkt haben, dass ich den König der Löwen so sehr mag, hat mich sehr gerührt. Gut, dass Joshua aus der Zwölf den Ton nicht getroffen hat, sonst hätte ich hemmungslos geheult.«

»Wie bei Jenseits von Afrika?«

»Schlimmer.«

Rosa lachte. »Stell dir vor, ich wäre ihnen als die leicht beschwipste alte Tante in Erinnerung geblieben, die mit verheulten Augen das Weite sucht, wunderbare Vorstellung.«

Rosa wuchtete die Kiste mit ihren persönlichen Sachen in den Kofferraum und nahm Karl den Geschenkkorb ab. Sie hatte gehofft, dass die Schüler ihrer Theater-AG Lieder aus dem ein oder anderen Musical vortragen würden, die sie ihnen in den vergangenen Jahren beigebracht hatte – zumindest hatte sie es versucht.

Das war eins der Dinge, die Rosa schnell in ihrer fünfunddreißigjährigen Tätigkeit als Lehrerin eingesehen hatte: dass sie nicht aus jedem Schüler einen Uwe Kröger Musicalstar machen konnte – fantastisch, wie der im letzten Jahr im Phantom der Oper gesungen hatte. Auch waren nicht alle so angetan wie sie selbst aus ihrem Biologie- und Erdkundeunterricht gegangen, um sich fortan der Erforschung der Natur hinzugeben. Jeder hatte halt seine ganz eigene Bestimmung, was er auf dieser Erde machen sollte. Und ihre, da war sich Rosalinde Reich sicher, sollte es in Zukunft sein, diese Erde umzugraben. Im wahrsten Sinne.

»Du kannst stolz auf die Schüler sein. Rosa, das ist dein Werk! Alles richtig gemacht, du kannst völlig entspannt von dannen ziehen.« Karl blickte in ihren Korb. »Und so viele Geschenke, Wahnsinn. Alles sehr praktisch, was?«

»Und wie!«

Ihre Schüler hatten nicht vergessen, was sie vorhatte. Einen Gartenkrimi hatten sie ihr geschenkt mit dem schönen Titel Der Gärtner ist immer der Mörder und damit gleich zwei ihrer Leidenschaften abgedeckt. Außerdem ein Paar Gartenhandschuhe, das wahrscheinlich aus einem Bonner Geschenkegeschäft stammte und weniger aus dem Fachhandel, aber egal. Sollte ihr Neffe Moritz mit den richtigen Handschuhen die Gärten umgraben, während sie mit den feinen ein paar verdorrte Blüten abschnitt. Moritz hatte versprochen, ihr vor allem am Anfang zur Hand zu gehen. Zeit sollte er haben, er hatte nicht nur erfolgreich Abitur gemacht, auch sein Freiwilliges Soziales Jahr war zu Ende. Um ihr neues Büro bekannt zu machen, hatte Moritz vor Kurzem bereits ein Interview mit ihr geführt, für das Anzeigenblatt, für das er seit der Schulzeit schrieb. Jeder Haushalt in Bonn und Umgebung bekam das Blättchen umsonst in den Briefkasten gesteckt – da waren hoffentlich viele potenzielle Kunden dabei. Rosa hoffte insgeheim darauf, dass ihr Neffe, wenn er ihr aushalf, früher oder später ebenfalls die Liebe zur Gartenarbeit entdecken würde.

Erfreut zog sie noch ein Tütchen aus dem Geschenkkorb.

»Schau mal, Glücksklee-Samen, jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen mit meinem Gartenplanungsbüro!«

»Ut sementum feceris, ita metes – wie du säst, so wirst du ernten!«

»Wie gut, dass du mir wenigstens erhalten bleibst, Karl.«

»Und Cicero! Wusstest du, dass es eine Rosensorte namens Cicero gibt? Die Blüten sind weiß und rosa gefüllt, wie wir Botaniker sagen, die pflanze ich persönlich in deinen ersten selbst kreierten Garten!«

Rosa lächelte ihren Freund an und atmete tief durch. Rosalinde Reich, die Lehrerin, war einmal. Die neue Rosa trug Latzhose, hatte Dreck unter den Fingernägeln und Laub im Haar. Wenigstens werde ich mit meiner verblühenden Schönheit thematisch gut in die alte Gärtnerei passen. Rosa grinste in sich hinein. Mit ihren dreiundsechzig Jahren fühlte sie sich nicht gerade wie ein Frühblüher, eher wie eine Walnuss im Herbst – außen hart und gefurcht, aber innen drinnen sehr kernig, knackig und perfekt gereift. Ihr neues Leben konnte beginnen.

Kapitel 2

Rosa saß in dem kleinen Büro, das sie in das einzige, übrig gebliebene Gewächshaus der Gärtnerei ihrer Eltern hatte hineinbauen lassen. So war sie mittendrin in ihrer grünen Oase. Sie drehte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zur Seite und sah durch die Glaswand auf die Reihen von Pflanzen, die ihr ältester Mitarbeiter Willy frisch angelegt hatte. Rosa, wie ihr Name. Neben Pink ihre zweite Lieblingsfarbe. Sie lächelte. Und ließ ihren Blick über die vielen Pfingstrosen schweifen, die draußen gerade in voller Blüte standen und die, wie Rosa wusste, die Luft mit ihrem Duft versüßten. Ein wohliges Gefühl breitete sich in Rosa aus. Sie liebte diese Blume. Sie gehörte an erster Stelle in jeden neuen Garten, der darauf wartete, von ihr gestaltet zu werden. Und Levkojen und Hortensien natürlich, weiße Schneeball-Hortensien machten einiges her. Sie würde eine Mappe mit Fotos ihrer persönlichen Lieblingsblumen und -büsche anlegen, die sie jedem Kunden zeigen konnte, beschloss Rosa. Die Vorfreude machte sie ganz hibbelig. Daran konnte auch der gähnende Archie zu ihren Füßen nichts ändern. Rosa hatte ihn zufällig am selben Tag aus dem Bonner Tierheim geholt, als sich England, die Welt und sie selbst über das neue Mitglied des britischen Königshauses gefreut hatten: Baby Archie, das Kind von Prinz Harry und seiner Frau Meghan. Aber ihre Liebe zu allem, was britisch war, musste sie momentan hintanstellen.

Sie schaute auf die Wand hinter sich, wo Willy ihr Diplom von der Fernuniversität gleich heute früh aufgehängt hatte. So, dass es jeder potenzielle Kunde direkt sehen konnte und wusste: Hier bin ich richtig. Hier ist ein Profi am Werk. Hier ist mein Garten in zupackenden Händen.

Rosa schlug das Anzeigenblatt auf, das ihre Mutter ihr heute früh gebracht hatte, zusammen mit einem großen Cappuccino aus dem neuen Café nebenan. Rosa bemerkte, dass sie und ihre neu gestaltete Gärtnerei unter den Stadtteilnachrichten eine ganze Seite bekommen hatten, samt Foto. Unter der Überschrift ›Hier werden Sie Ihr blühendes Wunder erleben – neues Leben in Bonns ältester Gärtnerei‹ hatte Moritz alles gegeben, um Rosas neues, kleines Unternehmen anzupreisen. Haben Sie statt eines grünen Daumens eher die grüne Faust? Fehlen Ihnen Zeit und Lust, sich die Hände dreckig zu machen? Haben Ihre Rosenstöcke schon lange den Kampf gegen Spinnmilben, Blattläuse und Mehltau verloren? Dann kommen Sie in Bonns neues Planungsbüro für Gärten, las Rosa. Die diplomierte Landschaftsplanerin Rosa Reich erwartet Sie mit frischen Ideen und einem eingespielten Team, damit Sie den Sommer in ihrem eigenen blühenden Paradies genießen können. Vom Minibalkon bis zum Park: Rosa Reich begrünt alles, was nicht weglaufen kann. Ganz getreu dem Motto und Namen ihres Gartenplanungsbüros: Hier blüht Ihnen was. Sie lächelte zufrieden. Das war unbezahlte Werbung, Donnerwetter, sie musste Moritz danken.

Mit der Kaffeetasse in der Hand machte Rosa erst einmal einen Rundgang durch ihr neues Reich. Hinter dem Gewächshaus war Willy gerade dabei, die knospenden Pfingstrosen aus den Büschen zu schneiden. Jeweils zehn Blütenstängel band er zu dicken, fröhlichen Sträußen und stellte sie in Wassereimer, wo sie bereitwillig darauf warteten, verkauft zu werden.

»Moin, Willy. Die sehen fantastisch aus.« Rosa schnupperte an den Sträußen. »Und wie die duften! Die werden uns die Kunden nur so aus den Händen reißen.«

»Datt will isch hoffen. Sonst wär die janze Arbeit ja ummesonst.« Kleine, neugierige Augen schauten sie durch eine dicke, immer verschmierte Brille schelmisch an. Willys sonnengegerbtes Gesicht erzählte von vielen Stunden im Freien. Er reichte ihr eine Pfingstrose.

»Für mich?« Rosa staunte, in ihrer eigenen Gärtnerei Blumen geschenkt zu bekommen, hatte sie nicht erwartet. Schon gar nicht vom knorrigen Willy.

»Nä, für ding Zwilling. Isch kann se auch dem lecker Mädsche nebenan bringen.« Willy hatte also auch schon Bekanntschaft mit der hübschen Sarah aus der Bäckerei gemacht. »Isch muss disch doch bei Laune halten, Scheffin. Jetzt hann wir ja disch für datt janz große Jeld. Haste schon Kunden akquiriert?«

Rosa schnappte sich schnell einen der Eimer mit Pfingstrosen und ging damit Richtung Verkaufsraum. »Kümmere dich lieber um den Holunder vor dem Laden. Auf meinem Weg heute früh habe ich auch einige Büsche gesehen. Aus den Blüten könnte ich Sirup machen, bevor die ersten Aufträge kommen. Den könnten wir hier verkaufen. Mama hat bestimmt ein Rezept dafür.«

»Was habe ich?« Roswitha Reich beugte sich in ihrer neuen, pinken Schürze mit der Aufschrift Hier blüht Ihnen was über eine Reihe von Töpfchen und goss die Kräuter, die im kleinen Verkaufsraum aufgereiht auf dem Boden standen. Basilikum, Rosmarin, glatte und krause Petersilie, Waldmeister und viele mehr. Rosa war bei der Neuplanung der Gärtnerei wichtig gewesen, dass Willy weiterhin die beliebtesten Blumen und Kräuter in der Gärtnerei selbst zog, damit sie diese günstig verkaufen konnten. Das lockte Kundschaft ins Geschäft, die dann vielleicht auch bereit war, ihren ganzen Garten oder Balkon von Rosa gestalten zu lassen. Außerdem gab es viele italienische Lokale in der Nähe, die immer wieder Kräuter brauchten – und sei es nur als Dekoration für ihre Tische. Genau wie Sarah, die junge Bäckerin nebenan. Sie würde Rosa als Nächstes besuchen, sobald sie ihrer Mutter den neuen Arbeitsauftrag erläutert hatte. Erstaunlich, wie sicher sie sich noch durch die Gärtnerei bewegt, mit ihren vierundachtzig Jahren, dachte Rosa. Ihre Mutter hatte sich ihren Ruhestand schon lange verdient, aber es schien, als fühle sie sich am wohlsten zwischen ihren geliebten Pflanzen.Das war etwas, das Rosa nur zu gut nachvollziehen konnte.

»Ein Rezept für Holundersirup brauche ich, den hast du doch früher immer aus den Blüten gemacht. Schmeckt so gut im Sekt. Ich finde, wir könnten hier auch einiges Selbstgemachtes anbieten. Darauf stehen doch gerade alle, schön bio und regional.«

»DIY, heißt das heute, sagen sie immer im Fernsehen«, klärte ihre Mutter sie auf. »Ich habe auch noch ein Rezept für Holunderküchlein von Oma. Das könnte man schön aufschreiben und an die Flaschen hängen.«

Rosa strahlte. »Gute Idee, Mama, ich sehe, wir kommen wunderbar voran. Bei einer neuen Geschäftsidee zählt vor allem die Kreativität. Aber erst mal muss Willy in die Pötte kommen. Und die Pfingstrosen natürlich auch.«

. . .

Mit einem der Sträuße und ihrer leeren Kaffeetasse, ging Rosa durch eine Glastür rüber zu Sarah Franz, ihrer neuen Pächterin. Ihr hatte sie nach dem Umbau der Gärtnerei die Hälfte des alten Blumengeschäftes überlassen, um ein kleines, gemütliches Café darin einzurichten. Da auch diese Wand zwischen Café und Geschäft aus Glas war, konnten sich ihre Gäste, die ihren Kaffee mit Blick in Gärtnerei und Blumengeschäft tranken, fast wie im Botanischen Garten von Bonn fühlen und bekamen vielleicht Lust, nach Kaffee und Kuchen einen Strauß Blumen mit nach Hause zu nehmen. Als der Architekt ihr vor einem halben Jahr seine Pläne gezeigt hatte, war Rosa begeistert gewesen. Das Prinzip, zwei Geschäftsideen in einem Laden unterzubringen, hatte sie oft auf ihren Musicalreisen in Berlin gesehen. Friseur und Café, Restaurant und Buchladen, sogar ein Autohaus mit angeschlossener Imbissbar hatte sie entdeckt. Das war modern, lebendig und brachte Menschen zusammen. Genau das, was Rosa sich wünschte. Und wenn es einmal zu laut im Café werden sollte, gab es immer noch eine Glastür, die sie verschließen konnte.

»Ich bringe dir Arbeit und Vergnügen«, begrüßte Rosa ihre Pächterin und reichte ihr die gebrauchte Kaffeetasse und die Pfingstrosen. »Noch mal ganz offiziell willkommen bei Hier blüht Ihnen was. Ich freue mich so, dass du mit deiner Bäckerei hier eingezogen bist. Oh pardon, Konditorei muss ich jetzt wohl eher sagen. Glückwunsch zum Abschluss! Mir scheint, Zusatzausbildungen sind gerade in.«

Sarah lächelte sie an. Mit ihren langen, dunklen Haaren und der hellrosa Schürze sah sie einfach zuckersüß aus. Fast so süß wie ihr Gebäck, das sie gerade auslegte.

»Danke, Rosa, darf ich dir einen Scone anbieten? Die habe ich frisch aus dem Ofen geholt. Oder vielleicht ein Petit Four?«

Rosa schluckte. Sie liebte diese kleinen, französischen Leckereien und die englischen Teegebäcke erst recht. Mit ihrer Auswahl traf Sarah genau Rosas Geschmack. So würde auch an langen Arbeitstagen niemand hungern müssen. Als Rosa ihrer Pächterin gerade eine der Köstlichkeiten abnehmen wollte, rief ihre Mutter aus der Gärtnerei rüber.

»Rosa, Telefon, ich stelle in dein Büro rüber.«

»Na, erster Auftrag?« Sarah sah sie fragend an.

»Vermutlich mein ehemaliger Kollege Karl, der mir seinen Cicero vorbeibringen will.«

Bevor Sarah nachfragen konnte, was ein römischer Philosoph mit ihrer Gärtnerei zu schaffen hatte und ob der auch französischen Kuchen mochte, war Rosa schon in ihr Büro geeilt. Mit einem Scone und einem Petit Four.

Kapitel 3

Wenn das was werden soll mit den größeren Aufträgen, muss ich mich endlich an den Transporter gewöhnen, dachte Rosa, während sie ihren Mini in die einladende Auffahrt lenkte. Der Weg war gesäumt von großen, sehr alten Kastanienbäumen, die dieses Jahr viele Früchte haben würden, wie Rosa mit Kennerblick feststellte. Da würden die jüngeren Schüler viele Kastanienmännchen im Kunstunterricht basteln können. Sie lächelte. Es würde lange dauern, bis sie die Lehrerin in sich abgelegt hatte.

Gut Loewenstein las sie auf dem Sockel rechts des Torbogens, auf dem tatsächlich ein Löwe thronte. Sehr eindrucksvoll, aber hoffentlich passt unser großes Ladefahrzeug hier auch durch. Wenn der Garten auch nur annähernd die Ausmaße hatte, die die weitgeschwungene Auffahrt zum Schloss erahnen ließ, würde sie richtig viel Erde brauchen und großes Gerät. Und natürlich auch den ein oder anderen schon angewachsenen Baum von Herrn Krawinsky, ihrem Baumschulexperten. Im letzten halben Jahr war Rosa bestimmt ein Dutzend Mal bei Andy gewesen, wie er gerne genannt werden wollte, was sie aber noch nicht übers Herz gebracht hatte, obwohl er ein paar Jährchen jünger war als sie. Bei Herrn Krawinsky hatte Rosa ihre Liste abgearbeitet und alles neu gekauft, was in der alten Gärtnerei ihrer Mutter verrostet und klapperig aussah: Harke, Schaufel, Schubkarre, Arbeitshandschuhe und diese grüne Latzhose, die ihre Weiblichkeit zwar nicht wirklich hervorhob, deren Farbe ihr aber dennoch recht gut stand. Aber für dieses Anwesen würden eine neue Latzhose und Handschuhe nicht reichen. Wenn das nicht ein bis dreißig Nummern zu groß istfürmeinen ersten Auftrag. Rosa schwitzte leicht in ihrer karierten Bluse, die sie heute Morgen in einem Hochgefühl aus ihrem Kleiderschrank genommen hatte. Als hätte sie geahnt, dass es heute schon losgehen würde mit der Gartengestaltung. Aber niemals hätte sie vermutet, dass ihr erster Auftraggeber ein echter Graf sein würde. Vielleicht war sie doch etwas underdressed für so einen Kundenkontakt. Schließlich repräsentierte sie jetzt eine Firma. Ihre Firma. Darüber hatte sie auf der zwanzigminütigen Fahrt von Bonn bis in das kleine Dorf mit dem schönen Namen Kappeshoven nachgegrübelt. Mal schauen, ob hier auf den Feldern auch wirklich Kappes, also Kohl geerntet wurde.

Rosa parkte den Mini neben einem Lieferfahrzeug. Damit’s läuft: Ludwig-Bier prangte auf der Seite. Durch ihre Sonnenbrille konnte sie nicht erkennen, wer drinsaß. In dem Moment fuhr der Wagen auch schon rückwärts und brauste davon. Rosa stieg aus und blickte auf das Schloss, vor dessen Eingang ein junger Mann aufgetaucht war. Blond, schlank, Jackett und Turnschuhe zur Jeans. Neben ihm standen einige gestapelte Getränkekisten. Rosa leinte Mops Archie an, schließlich war nicht jeder Hundeliebhaber. Aber als Archie sie in der Gärtnerei mit seinen treuen Augen traurig angesehen hatte, hatte sie nicht anders gekonnt, als ihn ins Auto hüpfen zu lassen. Der Mann kam ihr entgegen.

»Christopher Graf, danke, dass Sie so schnell kommen konnten.«

Rosa reichte ihm verdutzt die Hand. »Heißt das nicht Graf Christopher?«

Er lachte. »Das ist nur mein Nachname, ich bin kein Graf, tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen. Ich habe das Schlösschen nur gekauft. So einfach ist das mit den Titeln leider nicht.«

»Rosa Reich, weder Gräfin noch vermögend, auch wenn ich so heiße.« Sie lächelte den Nicht-Grafen an. Ihr erster Auftraggeber schien Humor zu haben, das war schon mal gut. »Und das ist Archie, mein Mops. Ich hoffe, es stört sie nicht, dass ich ihn mitgebracht habe. Aber er liebt Ausflüge, vor allem ins Grüne.«

»Kein Problem. Als Königin der Gärten dürfen Sie alles, würde ich sagen. So hat der Reporter sie in dem Artikel genannt.« Rosas Gesichtsfarbe wechselte von zartrosa Frühlingslilie zur Dahliensorte Arabische Nacht.

»Den hat mein Neffe geschrieben, er arbeitet für das Anzeigenblatt. Ich fürchte, er hat etwas übertrieben. Ich bin in meinem Beruf noch nicht mal eine Freifrau.«

»Hauptsache, Sie kennen sich mit allem aus, was grün ist und blüht. Der Rest ist mir völlig schnuppe.«

»Soll ich Ihnen helfen, die Getränkekisten reinzutragen?«

»Bloß nicht, darum soll sich Martin kümmern. Ich weiß sowieso nicht, wie ich zu der Ehre komme. Scheint ein Willkommensgeschenk der örtlichen Brauerei zu sein. Oder eine etwas üppige Werbung. Hier, diese Wahlzettel hat er mir auch noch gegeben, da steht wohl eine Bürgermeisterwahl an. Ich weiß gar nicht, ob wir als Zugezogene da schon mitwählen dürfen. Nehmen Sie ruhig einen, er hat genug dagelassen. Aber jetzt kommen Sie doch erst mal rein.«

Während der junge Graf, also Herr Graf, Rosa durch die Eingangshalle führte, erzählte er ihr von dem echten Freiherrn, dem ehemaligen Besitzer des Schlosses, Freiherr zu Loewenstein.

»Er musste das Anwesen verkaufen. So ein Schloss in Schuss zu halten ist kostspielig. Da nutzt der Titel allein gar nichts. Ein bisschen Modernisierung alle paar Jahrhunderte kann nicht schaden.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Rosa betrachtete staunend den großen Wandteppich, der eine ziemlich unschöne Jagdszene darstellte. »Die Renovierung des Buckingham Palace kostete 400 Millionen Euro, aber der hat auch über 700 Zimmer.« Rosa erinnerte sich an ihren letzten Musicalbesuch in London, als sie sich einen lang gehegten Traum erfüllt und eine Tour durch den Palast mitgemacht hatte. Sehr beeindruckend, aber die Queen war leider nirgendwo zu sehen gewesen. Und jetzt war es zu spät dafür, zu schade!

Christopher Graf lachte. »Na, ganz so viele sind es hier nicht. Aber es reicht schon, wenn ich mir die Handwerkerrechnungen anschaue.«

Während sie durch Salon, Esszimmer und den Wintergarten gingen, erfuhr Rosa, Mops Archie auf dem Arm, dass der Graf nicht reich geboren worden war, sondern sein Vermögen mit seinem Start-up-Unternehmen gemacht hatte, beziehungsweise mit dessen Verkauf. Irgendwas mit Computern, IT, Handy-App, viel mehr hatte sie nicht verstanden.

»Und das Geld reicht bis ans Lebensende?«, hatte sie – wahrscheinlich recht naiv – gefragt und hoffte, nicht zu neugierig zu klingen.

»Das wäre toll«, hatte ihr der junge Graf lachend geantwortet, »und wenn nicht, entwickle ich einfach etwas Neues.«

Wenn das Rosa nur von sich und ihren Gärten sagen konnte. Schnell mal was Neues entwickeln. Aber Pflanzen brauchten viel Zeit und Zuwendung. Schnell ging anders. Doch die Mühe lohnte sich. Sie hoffte, dass Herr Graf das ähnlich sehen würde.

Als sie draußen auf der großen Terrasse ankamen, konnte Rosa nur staunen. Das ist mal ein Garten, dachte sie, ach was, das ist schon ein Park. Eine kurze Treppe führte von der Terrasse hinunter auf einen sandigen Weg, der den Rasen teilte. Abgegrenzt von einigen in Form geschnittenen Buchsbäumen, die an die akkurate französische Gartenarchitektur erinnerten. Umsäumt wurde der Rasen von Hecken und Laubbäumen, die Rosa aus der Entfernung nicht bestimmen konnte. Aber dass sie dringend einen Rückschnitt brauchten, das sah sie mit einem Blick. Die wenigen schmiedeeisernen Bänke standen etwas verloren zwischen den Bäumen und hatten schon rostfreiere Tage gesehen. Weiter als bis zu einem stillgelegten, dreckigen Springbrunnen konnte Rosa kaum sehen. Dahinter verdichtete sich der Park. Ihr Blick blieb in einem Dickicht aus unterschiedlichem Grün stecken. Nur ein Baum stach klar heraus.

»Ist das eine Blutbuche? Ich liebe die rote Farbe ihrer Blätter.«

Christopher Graf sah sie interessiert von der Seite an.

»Jetzt weiß ich auch, was da vor allem in der Abendsonne immer so leuchtet! Ja, die ist schön, nicht wahr, aber der ganze traurige Rest, vor allem da hinten: Was sagen Sie dazu?« Er betrachtete skeptisch seinen Garten, bevor er sich wieder Rosa zuwandte. »Archie können Sie hier ruhig frei herumlaufen lassen. Kaputt machen kann er nichts mehr.«

Rosa ließ Archie von der Leine, der sofort durchs hohe Gras davonstürmte.

»Was der Garten hier vorne verspricht oder besser gesagt, einmal versprochen hat, das scheint er weiter hinten nicht halten zu können. Abgesehen davon, dass viele der Bäume einen Formschnitt brauchen. Aber für die zweite Gartenhälfte müssen wir uns etwas ganz Neues überlegen, fürchte ich. Können wir runtergehen? Dann erzählen Sie mir auf dem Weg durch den Garten, was Sie sich so vorstellen, und ich sage Ihnen, was ich für machbar halte.«

. . .

Eine gute Stunde hatte sich der nette, junge Herr Graf Zeit genommen und Rosa jeden Winkel seines Gartens gezeigt. Jedenfalls jeden Winkel, der erreichbar war. Das letzte Stück hinter der Blutbuche erinnerte eher an einen Dschungel aus heimischen Pflanzen als an einen Garten. Rosa war jetzt doch sehr froh, dass sie sich für praktische Kleidung entschieden hatte. Mit Ihrem Handy machte sie Fotos und sprach einige informative Sprachnachrichten für sich selbst ein. »Blutbuche könnte Solitär im hinteren Drittel sein«, »Brombeerhecken eventuell versetzen«, »Obstbäume und Gemüsebeete«. Im Büro wollte sie sich erinnern, was sie mit Christopher Graf besprochen hatte. Er erzählte ihr von seiner Frau, die in einigen Wochen ihr erstes Kind zur Welt bringen würde. Rosa hatte herausgehört, dass es ihm vor allem deshalb wichtig war, dass ein Großteil des Gartens weiterhin aus Rasen bestand, auf dem er mit seinem Nachwuchs unbedingt Fußball spielen wollte. Ein Planschbecken aufbauen. Herumtollen. Verstecken spielen. Rosa erinnerte sich an ihre eigene Kindheit. In der Gärtnerei war das alles nicht möglich gewesen, es gab zwar genügend Grün, aber auch viel Glas. Außerdem war dort immer Arbeit angesagt gewesen. Zum Spielen und Herumtollen nutzte sie damals die nahe gelegenen Felder, wo heute Häuser standen.

»Was halten Sie davon, wenn wir hier hinten alles lichter machen, aber trotzdem die gesunden Bäume stehen lassen, das könnte im Sommer ein wunderbarer Schattenplatz sein. Sie könnten mit Ihrer Familie unter der Blutbuche Kaffee trinken.«

»Klingt ja fast wie ein Krimi: Kaffeemord unter der Blutbuche.« Christopher Graf grinste sie an. »Nein, finde ich genial, die Sommer werden ja immer heißer, wir werden uns über Schatten freuen, gerade mit einem Baby.«

»Im Mittelteil belassen wir es bei den Obstbäumen, die wir ein wenig aufpäppeln, dann haben Sie immer etwas zu essen, und die blühen auch schön. Und daneben, als Randbepflanzung, Gemüse. Möhren, Kartoffeln, Kürbis, was Sie wollen. Vielleicht eine Hecke aus Hainbuche als Begrenzung, die Blätter können Sie sogar in einen Salat geben. Eine Art Nutzgarten im Garten.«

»Dann bekäme unser Kind gleich ein Gefühl für die Natur, für gesunde Nahrung. Super!«

Archie folgte ihnen zurück Richtung Schloss, sichtlich glücklich über so viel Auslauf. Gerade wollte Rosa noch ein paar Vorschläge loswerden für blühende Inseln zwischen den Bäumen und natürlich vorne an der Terrasse, als ihr Handy klingelte. Ihre Mutter rief aus dem Geschäft an.

»Hallo, Mama, was ist los?«

»Willy ist tot.« Rosa erschrak. Ihre Mutter klang aufgebracht.

»Was, wieso, was ist los?« Sie fühlte, wie ihr Blutdruck einen Satz nach oben machte. »Aber er war doch eben noch ganz lebendig«, warf Rosa wenig einfallsreich ein. Und da ihre Mutter nicht viel von sich gab außer: »Plötzlich bewegte er sich nicht mehr«, »gerade noch gegessen« und »ganz tote Augen«, beschloss Rosa, hier und sofort die Gartenbesichtigung zu beenden, ihren Mops zu schnappen und zurück in die Gärtnerei zu eilen. Ihre Gärtnerei. In der es an ihrem ersten Arbeitstag einen Toten gab.

Kapitel 4

Puls und Tacho waren am Anschlag, als Rosa zurück zur Gärtnerei fuhr. Noch immer konnte sie sich nicht erklären, warum ausgerechnet der heute früh noch quicklebendige Willy sich von jetzt auf eben verabschiedet haben sollte. Sie wagte gar nicht, es auszusprechen. Tot! Rosa spürte die Gänsehaut auf ihren Armen. Was für ein Verlust! Willy war der gute Geist der Gärtnerei, solange sie denken konnte. Wie alt war Willy eigentlich? Sie war jetzt seine Chefin, sie sollte das wissen.Rosa hatte den Eindruck, Willy war schon uralt, als sie noch ein Kind gewesen war. Was sein Tod für ihre Gärtnerei bedeutete, darüber wollte und konnte sie sich jetzt noch keine Gedanken machen. Dabei hatte der Tag doch so gut angefangen! Erst mal musste sie sich um ihre bestimmt in Tränen aufgelöste Mutter kümmern.

Aber von der war weit und breit keine Spur, als Rosa ihren Mini vor der Tür parkte, gleich neben dem alten Hollandrad ihrer Mutter. Sie betrat die Gärtnerei durch den Verkaufsraum. »Hallo?« Sie lief weiter Richtung Gewächshaus, warf einen Blick durch die Glaswand in ihr Büro – leer. Das kann doch nicht sein, dass mitten am Tag die Gärtnerei offen und vollkommen verlassen ist! Rosa ließ sich etwas zittrig auf den klapprigen alten Stuhl sinken, auf dem Willy gerne während seiner Pause gesessen und vermutlich so manches Schläfchen gehalten hatte, gleich neben den Tränenden Herzen im Beet. Ein leichter Duft nach Zitronenverbene und Basilikum stieg ihr in die Nase. Wer soll sich jetzt um die Anzucht der neuen Pflanzen kümmern? Ein neuer Mitarbeiter wird mehr Geld verlangen, als ich im Moment bezahlen kann. Und für Mama ist die Arbeit zu beschwerlich. Rosa stützte ihren Kopf in die Hände. Mein Planungsbüro ist am Ende, bevor ich überhaupt richtig losgelegt habe.

»Woret datt schon mit der Arbeit? Datt jeht ja jut loss, Frolleinschen.«

Rosa fuhr herum. »Willy, du lebst?«

»Watt soll isch denn sonst maache?«

»Aber, also, Mama rief mich an und meinte, du bist tot. Was ist hier los, wo ist sie eigentlich?«

»Die hockt bei dä lecker Mädsche bei lecker Teilchen nebenan. Brauchte auch ein Schnäpperken. Ging ihr nich so jut nach ihrem Fund.«

»Welcher Fund? Willy, was ist hier los? Wer ist tot?«

»Na Willy junior, der Goldfisch. In dem kleen Wasserkasten neben der Kass. Den gab’s schon, als isch hier anjefangen hab. Der war doch steinalt.«

Rosa ging nicht weiter darauf ein. Den Goldfisch hatte sie schon gar nicht mehr wahrgenommen. Sie musste sich sammeln.

»Also, Willy, sehe ich das richtig, du lebst und der Goldfisch ist tot?«

»Jetzt versteh isch endlich, warum du studiert hast. Isch glaub, jetzt brauch isch auch Promille. Komm, isch jeb uns een Kölsch aus.« Ihr ältester Mitarbeiter streckte ihr seine schwielige, sehnige Hand entgegen und zog sie vom Stuhl hoch.

Und so ging Rosa mit Willy senior in Sarahs Bäckerei, um mit ihrer Mutter ein Kölsch auf Willy juniors Ableben zu trinken. Das hatte sich das neue Gärtnereiteam in Person von Willy senior von Anfang an gewünscht: dass die Bäckerei nebenan auch immer ein Fläschchen Kölsch auf Vorrat hatte. Jetzt wusste Rosa auch, warum. Sie ließ sich auf den Stuhl neben ihrer Mutter fallen und nahm einen Schluck.

»Mama, wie konntest du mich nur so erschrecken? Erzählst mir am Telefon was vom toten Willy!«

Ihre Mutter Roswitha sah immer noch ein wenig blass aus unter ihrem grauen Kurzhaarschnitt.

»Kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag muss das passieren. Ich denk noch – seit wann macht unser Willy Rückenschwimmen in seinem Aquarium? Und das ganz oben im Wasser.« Roswithas Stimme klang ein wenig brüchig. »Dabei war der Willy Stier, und die stehen doch immer ganz fest im Leben.« Die Augen ihrer Mutter füllten sich mit Tränen. Das wurde Rosa jetzt doch zu viel. Während sie selbst schon ihren ältesten Mitarbeiter in den Rabatten hatte liegen sehen, mit dem Gesicht in der frisch aufgelockerten Erde, erstellte ihre Mutter einem toten Goldfisch ein Horoskop und trauerte um ihn, als hätte sie beide Töchter gleichzeitig verloren. Sie schnappte sich ihre Bierflasche, klopfte ihrer Mutter aufmunternd auf die Schultern und überließ sie dem letzten überlebenden Willy der Gärtnerei, Kölsch und Schnapsflasche, während sie sich in ihr Büro zurückzog. Der erste Arbeitstag in ihrem neuen Planungsbüro war noch nicht mal richtig vorüber, doch aufregend war er allemal. Es gab einen ersten Auftrag, einen sehr großen. Und einen Todesfall, aber nur einen ganz kleinen. Rosa atmete auf. Dass ihr ruhiger Lebensabend zum Krimi wurde, hätte ihr gerade noch gefehlt.

Kapitel 5

»Stangenbohnen, Möhren, Radieschen.« Andreas Krawinsky packte die Tütchen mit Samen in die große Kiste, in der schon Rankhilfen für die Bohnen lagen. »Klingt nach Hasenfutter, ist aber ein solider Anfang zu dieser Jahreszeit, Frau Reich. Jetzt können Sie säen ohne Ende. Haben Sie denn schon Beete dafür?«

Rosa seufzte. »Heute geht es erst richtig los. Gleich kommt mein Neffe und hilft mir beim Umgraben und Anlegen der Gemüsebeete. Das heißt, ich brauche sehr viel Mutter- und Anzuchterde.«

»Dann haben Sie Ihren ersten Auftrag also an Land gezogen?«

»Sieht ganz so aus.« Rosa strahlte den Baumschulbesitzer an, der ihr mittlerweile ein guter Freund und noch besserer Berater geworden war. Eigentlich stand sie nicht auf Männer mit Bart, aber heute trug Krawinsky seine langen Haare zum Zopf, was ihn in Rosas Augen zusammen mit dem Vollbart zum perfekten Naturburschen machte. Nachdem er ihr letztens erst erzählt hatte, dass er sein Haus auf dem Gelände der Baumschule so gut wie eigenhändig gebaut hatte, sah Rosa ihn mit anderen Augen, vor allem seine großen, zupackenden Hände.

»Ja, dem neuen Schlossherrn hat mein Entwurf gefallen. Vorne bunt und licht und duftig, im Mittelteil Obst und Gemüse und weiter hinten im Garten habe ich ein großes Schattenreich mit altem Baumbestand geplant. Da komme ich demnächst noch mal auf Sie zu, da muss einiges ausgedünnt werden, vielleicht können mir Ihre Mitarbeiter dabei helfen. Wir fangen heute mit dem schönsten Baum des Gartens an, eine traumhafte alte Blutbuche. Für die werden wir Platz schaffen, damit der Auftraggeber einen unverstellten Blick hat.«

»Sie gehen nicht unbedingt logisch vor, aber psychologisch, das gefällt mir.« Andy grinste sie an.

»An die bestehenden Obstbäume müssen wir auch ran, und das Gemüse sollte bald gesät werden, wenn das noch was werden soll mit der Ernte dieses Jahr.«

Andy Krawinsky nickte. »Richtig. Zucchini gingen noch. Und vergessen Sie nicht – die Möhren haben es gerne feucht, wollen aber nicht im Wasser stehen. Viel Sonne und lockere Erde. Wenn Sie möchten, gebe ich Ihnen noch Sand mit.«

Er redete sich in Rage. Das kannte Rosa schon, der Mann war ihr lebendes Pflanzenlexikon, ohne ihn würde keine Stangenbohne strammstehen, keine Erdbeerpflanze Früchte tragen, und jeden frisch gesetzten Apfelbaum konnte sie gleich den Würmern überlassen. Den Apfelwicklern, wie sie Herr Krawinsky beim letzten Besuch belehrt hatte. Natürlich, dachte Rosa, wie konnte ich nur meine Eselsbrücke vergessen: diese fiesen kleinen Raupen, die sich in die Äpfel futtern, in einen Kokon quasi einwickeln wie Haare um einen Lockenwickler und als nervige Flattermänner herauskommen.

»Wegen der Schädlinge komme ich noch mal extra, Herr Krawinsky, ich muss dem Schlossherrn schonend beibringen, dass jede Pflanze ihren ganz eigenen Zoo in Gestalt von Läusen und Würmern und Schnecken mitbringt. Sagen Sie mir ehrlich – brauche ich Gift?«

»Es gibt da einen Sud, den können Sie aus Brennnesseln herstellen, hilft zumindest schon mal gegen Blattläuse, ist ganz natürlich, riecht aber nicht sonderlich angenehm«, Andy Krawinsky grinste. »Oder ihr Schlossherr hängt zum Herbst hin ein Vogelhäuschen auf. Ihre kleinen, lebendigen Helfer bei der nächsten Wurmplage. Es gibt auch Pflanzen, an die gehen Schädlinge nicht ran. Schnecken mögen zum Beispiel keinen Rosmarin und Thymian.

»Sie sind ein Schatz, was bekommen Sie für die ganzen Herrlichkeiten? Ach, das trage ich immer noch mit mir rum.« Rosa zog einen Zettel aus ihrer Handtasche. ›Damit’s läuft wie das Bier: Wählt Matthias Ludwig!‹ »Herrje, Werbung für die Bürgermeisterwahl in dem Ort, der zum Schloss gehört. Da will der Brauereibesitzer neuer Bürgermeister werden. Na, das können Sie zum Altpapier werfen.«

»Oder wir testen demnächst mal das Bier und den Kandidaten! Nach getaner Arbeit natürlich.« Andreas Krawinsky grinste sie verschmitzt an und kassierte ab.

Rosa seufzte erleichtert und griff nach ihren Einkäufen. Wie gut, dass sie um Giftpflanzen herumgekommen war. Das könnte sie nicht verantworten, wenn ihr Herr Graf demnächst Nachwuchs bekam. Babys steckten doch alles in den Mund. Wie gut, dass sie Andreas Krawinsky hatte.

»Abgemacht, wenn der Brennnesselsud wirkt, gibt’s Gerstensaft.«

. . .

Moritz war angekommen, stellte Rosa erfreut fest, als sie zurück in der Gärtnerei war. Er hatte sein Versprechen, ihr heute zu helfen, also nicht vergessen. Momentan saß er ziemlich entspannt nebenan bei Sarah in der Bäckerei. Während sie die Kaffeetassen aus der kleinen Spülmaschine nahm und ins Regal räumte, himmelte er sie an. Sarah war aber auch eine besonders Hübsche. Heute trug sie ihre langen dunklen Haare hochgesteckt. Die zarte helle Bluse verschwand fast vollständig hinter ihrer rosa Schürze. So süß wie ihre Törtchen, dachte Rosa und schmunzelte. Von denen steckte Moritz sich gerade eins in den Mund und genoss den Geschmack sichtlich.

»Letzte Stärkung vor dem Einsatz? Pack dir lieber noch ein Brötchen ein!« Rosa lächelte ihren Neffen auffordernd an. »Heute geht’s los mit dem Umgraben, da brauchst du was Ordentliches im Magen. Sarah hat auch Körnerbrötchen, die sie dir mit der vegetarischen Paste aus Paprika und Walnüssen bestreichen kann, die ich letztens gemacht habe, sehr lecker.« Sie setzte sich zu Moritz.

»Hallo, Tantchen.« Moritz grinste sie mit vollem Mund an. Er wusste genau, dass sie diesen Spitznamen nicht leiden konnte. Moritz war der Sohn ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Regina, einer erfolgreichen Ärztin und Dozentin, die an der Uniklinik forschte. Insofern war der Begriff Tante schon zutreffend, aber Tantchen klang in Rosas Ohren nach verwirrter, alter Dame, die in Kittelschürze und Schlappen zum Einkaufen ging und nicht mehr nach Hause fand. So sah sich Rosa nun wirklich nicht. Vielleicht war sie aber auch nur ein wenig sensibler als sonst, jetzt, da sie zugegebenermaßen auch Pensionärin war. Pensionärin im Unruhestand. Streng genommen war sie noch voll berufstätig, selbstständig sogar. Darf ich mein Planungsbüro eigentlich auch als Start-up bezeichnen?, fragte sie sich selbst in Gedanken und dachte an Christopher Graf. 

Rosa wuschelte ihrem Neffen durch die kurzen dunklen Locken. Nur weil Moritz ein paar Jährchen jünger war als sie und auf einem Skateboard zur Gärtnerei gerollt kam, auf den Kopfhörern seine heiß geliebte Hip-Hop-Musik, hieß das noch lange nicht, dass sie eine alte Schachtel war. Das Tantchen treibe ich dir schon noch aus, mein Lieber.

»Und deine Familie kommt aus Bonn? Vielleicht aus einer alten Bäckerfamilie und nach euch wurde das Franzbrötchen benannt, stimmts?«, fragte Moritz gerade Sarah. Vielleicht war Rosa voreingenommen, aber so spitzbübisch bis neugierig, wie Moritz die junge Frau anlächelte, sah er so niedlich aus wie der kleine Junge, der er noch vor Kurzem gewesen war. Rosa verstand nicht, warum er noch immer keine feste Freundin hatte. Und dass ihre Bäckerin Sarah Franz aus einer alten Brötchendynastie stammen könnte, darauf war sie selbst noch überhaupt nicht gekommen. Jetzt sah auch sie Sarah hinter der Theke fragend an.

»Nein«, Sarah lachte und schüttelte den Kopf, sodass sich eine Strähne aus ihren hochgesteckten Haaren löste und sanft ihr Gesicht umspielte. »Das Franzbrötchen kommt aus Hamburg, das haben wahrscheinlich die Franzosen mitgebracht vor über hundert Jahren. Sehr lecker, sollte ich demnächst mal machen. Meine Familie kommt eigentlich von überallher.«

»Was heißt überall? Ausland?« Moritz hatte jetzt einen Zitronenmuffin in seiner Gewalt.

»Auch. Aber meine direkte Familie lebt vor allem hier in Bonn. Das erzähle ich dir mal in Ruhe, wenn du magst.« Moritz strahlte sie an und nickte eifrig.

Na, da gönne ich den beiden mal lieber noch ein paar Minuten Zweisamkeit beim Kleingebäck, dachte Rosa und beschloss, sich erst mal umzuziehen, bevor sie ihren ersten großen Auftrag angingen. Heute war Tag zwei für Rosa Reich, die Gärtnerin in Aktion, und Tag eins für ihre neue, grüne Latzhose.

Kapitel 6

Der Kies knirschte unter den Rädern, als Moritz den Transporter vor Gut Loewenstein zum Stehen brachte. Da ist aber einer froh, sein Skateboard mal gegen etwas mit Motor einzutauschen, dachte Rosa, die ihren Neffen heute gerne ans Steuer gelassen hatte. Sie hoffte nur, dass alle Pflanzen im Laderaum des Wagens noch aufrecht standen. Gemeinsam luden sie Kräuter, Blumen, ein paar Gräser, ihr Handwerkszeug und natürlich die Einkäufe aus Andys Baumschule auf ihren alten Gärtnereiwagen. Wenn sie heute auch nicht alles in die Erde bekamen, so waren doch Pflanzen und Material schon mal an Ort und Stelle, und sicherlich freuten sich die jungen Besitzer über die ersten Blüten auf ihrer großen Terrasse. Rosa stellte zwei Margeriten-Hochstämmchen auf den kleinen Wagen und zog eine Bougainvillea aus den Tiefen des Transporters nach vorne, die Willy schon in einen schweren, braunen Kübel gepflanzt hatte. Dieses zarte, pink blühende Exemplar, das Rosa für einen Moment an ihre Reisen nach Spanien denken ließ, brauchte die direkte Südsonne. Und von der gab es auf der Terrasse hinter dem Haus reichlich. Die Margeritenbäumchen ließ Rosa gleich rechts und links vom Eingang als fröhlichen Willkommensgruß stehen, bevor sie klingelte. Sie überlegte, ob der schwere Türklopfer, der aussah wie ein Löwenkopf, der in einen Ring biss, wohl noch oft genutzt wurde, als sich die alte Holztür öffnete.

»Ja, bitte?« Vor ihr stand ein gedrungener, älterer Mann in einem dunkelblauen Anzug und weißen Handschuhen. Livree wäre wohl der richtige Ausdruck für das, was er trug, grübelte Rosa und wunderte sich. Weniger darüber, dass es noch Menschen gab, die Angestellte hatten, sondern darüber, dass sie diese in Uniform steckten. So antiquiert war ihr der neue Besitzer des Schlosses gar nicht vorgekommen.

»Rosalinde Reich vom Planungsbüro Hier blüht Ihnen was, wir haben heute unseren ersten Termin, um den Garten zu gestalten.« Sie blickte in die stahlblauen Augen des Mannes, die sie zu mustern schienen.

»Sehr wohl, bitte hier entlang.« Der blaue Anzug öffnete die Tür und ließ Rosa eintreten. Sie gab Moritz ein Zeichen, dass er draußen warten sollte. Sicherlich würden sie nicht ihr ganzes Gerät durchs Haus tragen müssen.

»Einen Augenblick bitte, ich sage der Dame des Hauses Bescheid.« Der Diener ließ sie in der Eingangshalle stehen. Dame des Hauses, so hat mich noch nie jemand genannt. Nicht mal Karl. Na ja, meine Dreizimmerwohnung ist mit diesem Palast hier natürlich auch nicht vergleichbar. Rosa sah sich um, seit ihrem letzten Besuch schien sich nichts verändert zu haben. Ein großer runder Tisch in der Mitte bremste jeden aus, der auf die Idee kam, durch den Raum zu rennen. Wie unpraktisch, hatte Rosa damals schon gedacht, wenn so ein Trumm im Weg steht. Ich würde zumindest eine Vase mit frischen Blumen draufstellen. Sie nahm sich vor, beim nächsten Besuch welche mitzubringen. Lilien vielleicht, die machten was her. Standen sie nicht für Weiblichkeit, Fruchtbarkeit und Liebe? Dazu hatten sie etwas Edles, Hochherrschaftliches. Genau das Richtige für das junge Paar, das in diesem Schloss residiert und bald Eltern werden würde. Hoffentlich finde ich rote Lilien, grübelte Rosa, die weißen gelten vielen als Totenblumen. Und das war eindeutig die falsche Symbolik für eine Eingangshalle. Sie betrachtete die Jagdszene auf dem Wandteppich, den sie bereits bei ihrem letzten Besuch gesehen hatte, genauer. Männer mit Bärten und roten Pluderhosen waren hinter Hirschen her. Ein Tier lag auf der Seite, ein Speer steckte in seinem Körper, Blut floss heraus. Rosa schüttelte den Kopf und wandte sich ab. Natürlich verstand sie, warum Menschen auf die Jagd gingen. Aber dass das Töten von Tieren jemandem so ein Vergnügen bereiten konnte, dass er sich das Erlebnis in einen Teppich weben ließ, das würde sie nie verstehen.

»Furchtbar, nicht wahr?« Die Stimme gehörte zu einer jungen Frau mit blondem Pferdeschwanz und langem Flatterkleid, die ihr jetzt aus den Wohnräumen entgegenkam. »Sobald wir Ess- und Wohnzimmer renoviert haben, geht’s in der Halle weiter, der alte Lappen muss unbedingt weg.« Sie deutete auf den Teppich und hielt Rosa dann ihre Hand hin. »Hallo, ich bin Laura Graf, die …«

»Dame des Hauses, Sie wurden mir schon angekündigt, Rosalinde Reich, Ihre Gärtnerin, freut mich.« Die Frauen gaben sich die Hand. Laura Graf lachte.

»Dann haben Sie also Martin kennengelernt, unseren, ähm Angestellten. Ich trau mich gar nicht, Diener zu sagen. Die Vorstellung, dass mich jemand bedient, kommt mir immer noch komisch vor.« Sie lächelte Rosa an.

»Ja, er hat mich hereingebeten. Sie werden aber wahrscheinlich jede Hilfe gebrauchen können, bei diesem großen Haus. Palast trifft es besser.«

»Da haben Sie recht. Vor allem, wenn unser Nachwuchs auf der Welt ist.« Sie deutete auf ihren Bauch, der sich unter ihrem Kleid abzeichnete. »Gut, dass Sie sich um den Garten kümmern. Martin hat das wohl immer so mitgemacht neben seiner anderen Arbeit im Haus, aber das ist natürlich alles viel zu viel. Da kam er in den letzten Jahren gar nicht mehr hinterher. Deshalb müssen wir jetzt auf einen Schlag alles erneuern, in Haus und Garten. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg um das Gebäude herum, dann müssen Sie nicht mit Ihren Sachen durchs Wohnzimmer, da wird eh gerade die Tapete runtergerissen. Den Salon meine ich natürlich, gut, dass Martin mich nicht hört.« Sie lächelte Rosa an und öffnete die schwere Haustür.

»Dann arbeitet Ihr Angestellter schon länger hier?« Sie traten hinaus in die Sonne, wo Moritz inzwischen den Transporter leer geräumt und den Gärtnereiwagen vollgepackt hatte.

»Ja, eine Ewigkeit, er war schon für den Vater des Vorbesitzers tätig. Er gehört quasi zum Inventar. Ich sehe, Sie haben auch Hilfe mitgebracht, hallo, ich bin Laura.«

»Moritz«, stellte sich ihr Neffe vor. Fast sah es so aus, als wollte er sich verbeugen, bemerkte Rosa amüsiert. Das musste an Schloss Loewenstein liegen. Das alte Gemäuer rief eine gewisse Ehrfurcht hervor. Ob wohl dunkle Geheimnisse hinter den alten Mauern verborgen lagen? Wie hatten frühere Generationen hier gelebt und geliebt? Ein Blick auf die Uhr stoppte ihre Gedanken, bevor die sich im wehenden weißen Kleid auf einen Schimmel setzen und in die Abendsonne reiten konnten. Genug geträumt, sie mussten endlich loslegen. Ihre Aufgabe war es heute, einen Garten für die Zukunft anzulegen, und nicht, in der Vergangenheit zu schwelgen.

. . .

»Es ist eigentlich ganz einfach.« Rosa setzte den Spaten an und stellte einen Fuß auf den Rand. Sie musste ihr gesamtes Körpergewicht einsetzen, bis sich das Schaufelblatt in den Boden quälte. Moritz sah ihr skeptisch zu. Vielleicht ist das doch mehr eine Arbeit für Männer – oder für jüngere Menschen.