Umkämpftes Eigentum -  - E-Book

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Beschreibung

Vom Klimaschutz über die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne bis zum Recht auf die eigenen Daten: Wir erleben gegenwärtig ein Comeback von Eigentumsdebatten. Der Band bietet erstmals eine umfassende Einführung in diese hochaktuellen Streitfragen. Welche Folgen hat die Finanzialisierung für geistiges Eigentum und das Eigentum an Wohnraum? Welche Gründe sprechen für Gemeineigentum? Sind Erbschaften von der Eigentumsidee gedeckt? Die Beiträge von u. a. Katharina Pistor, Christoph Menke, Brenna Bhandar, Rahel Jaeggi, Andrej Holm, Philipp Staab und Andreas Malm entwickeln Lösungsansätze aus den Perspektiven von Philosophie, Soziologie, Recht und Geschichte.

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Seitenzahl: 1077

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

3Umkämpftes Eigentum

Eine gesellschaftstheoretische Debatte

Herausgegeben von Niklas Angebauer, Jacob Blumenfeld und Tilo Wesche

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabedes suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2450.

Originalausgabe© Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin, 2025

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-78092-3

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Tilo Wesche

:

Einleitung – Was ist Eigentum?

I. Konzepte und Kritik des Eigentums

Hanoch Dagan

:

Die liberale Eigentumstheorie

Katharina Pistor

:

Eigentumsrechte jenseits des Kapitalismus

Christoph Menke

:

Expropriation der Expropriateure. Die Rettung des Eigentums

Brenna Bhandar

:

Eigentümliche Abstraktionen

II. Grenzen des Eigentums

Nicholas Mulder

:

Vier Thesen zur Geschichte der Enteignung

Jacob Blumenfeld

:

Was war Sozialisierung? Versuch einer begrifflichen Klärung einer zweideutigen Debatte

Tim Wihl

:

Vergesellschaftung als juristische Kategorie

Thomas Gutmann

:

Eigentum und Erbrecht

Stefan Gosepath

:

Befristetes Privateigentum

III. Wohneigentum

Barbara Schönig

:

Wohnraum

ist

eine Ware – und eine unverzichtbare Infrastruktur. Für einen neuen Umgang mit der Macht des Faktischen in Wohnungsfragen

Regina Kreide

:

Kollektives Eigentum und die alte, neue Wohnungsfrage

Rahel Jaeggi

:

Vergesellschaftung des Gesellschaftlichen. Zur Wohnungsfrage

Andrej Holm

:

Politische Ökonomie des Wohnens. Zur Bedeutung von Eigentumsverhältnissen im Wohnungswesen

Niklas Angebauer

:

Bodenlos. Urbanes Eigentum und die große Umverteilung

IV. Ökologie und Eigentum

Jens Kersten

:

Die Ökologisierung des Eigentums

Philipp Degens

:

Eigentum im Anthropozän. Zu Neuverhandlungen von Freiheit und Verpflichtung

Megan Blomfield

:

Eigentum an Naturgütern und der Klimawandel

Andreas Malm und Wim Carton

:

Asset stranding

. Die Stilllegung des fossilen Eigentums

William E. Scheuerman

:

Ökosabotage – eine Form des disruptiven eigentumsbezogenen Ungehorsams

V

. Immaterielles Eigentum

Bertram Lomfeld

:

Immaterialgüterrecht als reflexives Eigentumsregime

Salomé Viljoen

:

Daten als Eigentum?

Philipp Staab und Christoph Sorg

:

Plattformen als Infrastrukturen. Konflikte um Eigentum?

Hyo Yoon Kang

:

Patente als Vermögenswerte. Geistiges Eigentum als Subjekt und Objekt des Markts

Danksagung

Textnachweise

Hinweise zu den Autorinnen und Autoren

Fußnoten

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Tilo Wesche

Einleitung – Was ist Eigentum?

Wohl kaum eine andere Institution moderner Gesellschaften ist so umkämpft wie das Eigentum. Eigentum scheint Fluch und Segen zugleich zu sein. Einst wurde Eigentum als Schutz gegen Willkür und Raub eingeführt. Mittlerweile bedarf es eines Schutzes vor ebendiesem Eigentum. Ganz gleich, ob es sich heutigentags um Umverteilungen von unten nach oben, Konzentrationen sozialer Macht, die globale Kluft zwischen Arm und Reich, das Überschreiten planetarer Grenzen oder die gefährdete Privatsphäre im digitalen Raum handelt: Gesellschaftliche Konflikte dieser Art werden von Eigentumsrechten angetrieben, verschärft und verstetigt. Dabei wird nicht nur um konkrete Eigentumsverhältnisse gestritten, wie etwa, wem der gesellschaftliche Wohlstand, wem die Stadt oder wem die Natur gehört. Umkämpft ist auch die Deutungshoheit darüber, was Eigentum ist. Der Zankapfel besteht darin, welches Eigentum gilt: das, welches Fluch, oder das, welches Segen ist. Wenn wir uns zu gesellschaftlichen Konflikten verhalten wollen, so müssen wir deshalb auch um die Frage ringen: Was überhaupt ist Eigentum?

Der Versuch, diese Frage zu beantworten, ist wie das Schälen einer Zwiebel. Jede Antwort wirft neue Fragen auf. Schier unerschöpflich sind die Vorstellungen darüber, was Eigentum ist und sein soll. Wer in seiner kulturellen und historischen Vielfalt eine Reinform des Eigentums sucht, jagt einer Chimäre nach. Doch mögen sich Eigentumsvorstellungen noch so sehr unterscheiden, so setzen sie gleichwohl Strukturähnlichkeiten voraus. Zwischen deren konkurrierenden Deutungen verlaufen die umkämpften Konfliktlinien. In dieser Einleitung sollen, notgedrungen äußerst schematisch, einige Konfliktlinien nachgezeichnet werden.

Ausgegangen wird von der Beobachtung einer Eigentumsvergessenheit in den Sozialwissenschaften und von der Frage, wie die Eigentumsforschung Boden gutmachen kann (1.). Anschließend werden einige Schlüsselbegriffe der Eigentumstheorie erläutert. Zunächst werden drei Bedeutungen unterschieden, die Eigentum hinsichtlich seiner Funktionen (2.), Werte (3.) und Normen (4.) annimmt. Sodann werden die normativen Grundlagen genauer be10trachtet (5.) und auf diesem Feld vier Konfliktlinien nachgezeichnet. Sie verlaufen entlang der Alternativen von individueller und kollektiver Freiheit (6.), Sachen und Gütern (7.), Schranken und Grenzen (8.) sowie Aneignung und Enteignung (9.). Abschließend wird der Aufbau des Buches erläutert, der sich daraus ergibt (10.).

1. Eigentumsvergessenheit

Nichts ist bemerkenswerter in den Sozialwissenschaften als ihre Eigentumsvergessenheit. Sie lenken von vornherein ihre Gesellschaftsanalysen auf Gleise, die einen mit traumwandlerischer Sicherheit an der Frage nach dem Eigentum, dieser gesellschaftlichen Basisstruktur, vorbeileiten. Dabei bildete die Eigentumsfrage einst die Achse, um die das Denken in der politischen Philosophie kreist. Von Thomas Hobbes und John Locke über Immanuel Kant und G.W.F. Hegel bis Karl Marx steht die Eigentumsfrage im Mittelpunkt der politischen Theoriebildung. Seit dem späten 19. Jahrhundert geriet sie in den Sozialwissenschaften jedoch in Vergessenheit und wanderte in die angewandten Eigentumswissenschaften, das heißt in die aufkommenden Rechts- und Wirtschaftswissenschaften aus. Selbst dort, wo sie, wie bei Émile Durkheim und Georg Simmel, berührt wird, hat sie ihren zentralen Stellenwert eingebüßt. Erst seit der Banken- und Finanzkrise 2008 wird verstärkt versucht, sie als eine sozialwissenschaftliche Forschungsfrage wiederzugewinnen.[1] 

Mit der sozialwissenschaftlichen Eigentumsvergessenheit wird die Tendenz verstärkt, dass gesellschaftliche Konflikte nicht mehr als Konflikte ums Eigentum sichtbar werden. Denn ihre Wahrnehmung als Eigentumskonflikte setzt klarerweise ein Verständnis dessen voraus, um was in ihnen gestritten wird: Es bedarf einer empirisch und theoretisch belastbaren Vorstellung von Eigentum, von seinen Strukturmerkmalen, Widersprüchen und Kontexten. Die Eigentumsvergessenheit arbeitet somit einer Invisibilisierung von Eigentumsverhältnissen in die Hände. Selbst wo genau hingesehen wird, bleiben die Eigentumsverhältnisse unsichtbar. Ohne ein scharfgestelltes Eigentumsverständnis entzieht sich dem Blick, 11dass sich hinter sozialen Ungleichheiten, politischen Verwerfungen, ökonomischen Erschütterungen, technologischen Umbrüchen und ökologischen Krisen oftmals ein Streit um die Eigentumsfrage ›Wem gehört was und warum?‹ verbirgt. Wir kommen gleich auf diese Invisibilisierung zurück, wenn wir uns ihren Ursachen zuwenden.

Durch diese Invisibilisierung wird schließlich die Eigentumsfrage einer politischen Öffentlichkeit entzogen. Wo Eigentumsverhältnisse nicht ins Bewusstsein gelangen, besteht wenig Anlass dazu, sie in Frage zu stellen und nach Alternativen zu suchen. Eine Entpolitisierung des Eigentums ist die Folge: Eigentumskonflikte lassen sich in der gesellschaftspolitischen Debatte nicht mehr adressieren. Gerät die Eigentumsfrage in den Sozialwissenschaften in Vergessenheit, rückt sie zunehmend auch aus dem Blickfeld politischer und zivilgesellschaftlicher Gestaltungsmacht. Ohne Kategorien des Eigentums bleiben Eigentumsverhältnisse unsichtbar und damit gegen eine öffentliche Politisierung abgeschirmt.

Vergessenheit, Invisibilisierung und Entpolitisierung des Eigentums bilden gemeinsam den kritischen Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes. Dessen Beiträge eint das Anliegen einer eigentumstheoretischen Dechiffrierung gesellschaftlicher Konflikte. Diese sollen in Kategorien des Eigentums betrachtet und somit als Eigentumskonflikte sichtbar gemacht werden, um die Eigentumsfrage in den gesellschaftspolitischen Diskurs zurückzuholen. Werden beispielsweise soziale Ungleichheiten eigentumstheoretisch betrachtet, erschließen sie sich nicht nur als Verteilungskämpfe um Besitz wie Einkommen und Vermögen, sondern auch als Teilhabekonflikte um soziale Macht. Soziale Ungleichheiten sind immer auch Ausdruck von Eigentumskonzentrationen, wo die eigentumsgebundene Entscheidungsmacht in den Händen weniger liegt. Bahn bricht sich die Forderung nach gleicher Teilhabe an ihr etwa in urbanen Auseinandersetzungen darüber, wem die Stadt gehört. Im Licht der Eigentumsfrage treten aber auch Ursachen für politische Verwerfungen wie Postdemokratie und Demokratieskepsis zutage. Wer von der Eigentümermacht ausgeschlossen ist, wird leicht empfänglich für den Eindruck fehlender Selbstwirksamkeit und das Misstrauen gegenüber einer Demokratie, in der wenige Eigentümer gesellschaftlich mehr Einfluss ausüben als andere durch politische Mitbestimmung. Insbesondere im Finanzkapitalismus schrumpft 12Eigentum auf die Freiheit der ökonomisch Erfolgreichen zusammen. Schließlich lassen sich auch die gegenwärtigen Ökologiekrisen der Erderwärmung, Globalvermüllung, Ressourcenerschöpfung und des Artensterbens als Streit um die Frage begreifen, wem die Natur überhaupt gehört.

Um solche Eigentumsfragen für die gesellschaftspolitischen Debatten der Gegenwart wiederzugewinnen, muss bei den Ursachen für die Eigentumsvergessenheit angesetzt werden. Diese Ursachen sind vielfältig. Erstens wurde ihr durch die zunehmende Ausdifferenzierung der Einzelwissenschaften im 19. Jahrhundert der Boden bereitet. Indem sich spezifische Wissenschaften herausbilden, wird keine von ihnen allein einem Eigentumsverständnis mehr gerecht. Was Eigentum ist, wie sich Eigentum begründen lässt, wann Eigentum gerechtfertigt ist und wann nicht sowie welche Pflichten mit ihm verbunden sind – mit solchen Fragen sind jeweils Philosophie, Soziologie und Staatswissenschaft überfordert. Sie entlasten sich folglich von einer Eigentumsforschung und verlassen sich stattdessen auf die hochgradig präzisen und differenzierten Eigentumsvorstellungen, mit denen in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften gearbeitet wird. Diese beschränken sich jedoch in der Regel auf Anwendungsfragen: Wie lassen sich Eigentumsansprüche verrechtlichen; wie Eigentumsstreitigkeiten schlichten; wie Eigentumsschutz durchsetzen; und wie Eigentumsrechte funktional nutzen? Mit dieser Beschränkung auf Anwendungsfragen geht einher, dass Eigentum auf seine positivrechtliche Bedeutung verengt wird, die sich in Rechtsdokumenten, Gesetzestexten etc. findet. Seine normativ-begriffliche Bedeutung – was Eigentum seinem eigenen Begriff nach ist und sein soll – geht dabei verloren. Um ihr trotzdem gerecht zu werden, müssen die Wissenschaften fortan im Verbund die normativ-begrifflichen Grundlagen des Eigentums erschließen. Im Sinn einer solchen transdisziplinären Eigentumsforschung wird die normativ-begriffliche Bedeutung des Eigentums in diesem Band aus den vielfältigen Perspektiven von Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Rechtswissenschaft beleuchtet.

Zweitens wird durch die Fragmentierung des Eigentums dazu beigetragen, dass die Eigentumsfrage kaum noch im öffentlichen Diskurs vorkommt. Eigentum wird in bestimmten Rechtstheorien und Rechtspraktiken zu einem Bündel von Ansprüchen fragmen13tiert, das vermeintlich zu seiner Auflösung führt.[2]  Eigentum zerfällt in eine Vielzahl formaler Titel, die Aktionäre, Kreditgeber, Manager, Unternehmensinhaber, Vermögensverwalter etc. jeweils besitzen. Eigentümer desselben Guts treten damit als Träger verschiedener Ansprüche auf, die voneinander getrennt, hierarchisch gestuft und interessenorientiert zugeschnitten sind. Industrialisierung, Finanzialisierung, Globalisierung und Digitalisierung – man denke nur an den Hochfrequenzhandel – haben dabei zahllose Varianten von Schutzrechten, Verwertungsrechten, Kontrollrechten, Transaktionsrechten und Zugriffsrechten hervorgebracht, die es erschweren, noch irgendein Muster zu erkennen, das es erlaubt, sie als Gestalten des Eigentums zu begreifen. Mit dieser deflationären Auflösung des Eigentumsbegriffs werden Eigentumsverhältnisse unsichtbar gemacht. Denn indem zersplitterte Einzelrechte von Kategorien des Eigentums entkoppelt werden, sind sie nicht mehr als Eigentumsrechte erkennbar. Sind sie erst einmal als Eigentumsrechte unkenntlich gemacht, kann auch kein öffentlicher Eigentumsdiskurs entstehen. Ein erster Schritt muss deshalb sein, die diffusen und fluiden Einzelrechte ins Licht eines nachvollziehbaren Begriffs von Eigentum zu rücken. Erst durch ihre begriffliche Sichtbarkeit werden die verflüssigten und verflüchtigten Einzelrechte als Eigentum greifbar – und angreifbar.

Drittens wird die Eigentumsvergessenheit durch die zunehmende Diversifikation der Objekte angetrieben, über die Eigentumsrechte ausgeübt werden. Das, woran Eigentum gehalten wird, fächert sich mittlerweile in ein breites Spektrum unterschiedlichster Güter auf: Naturgüter wie genetisches Material, Böden und Energieträger; Finanzprodukte wie Versicherungen, Derivate und Investmentfonds; Infrastrukturen wie Wohnraum, Rechenzentren und Universitäten; Immaterialgüter wie Daten, Kunst und Marken; Gebrauchsgüter wie Möbel, Kleidung und Handys. Die entsprechende Diversifikation in Patentrechte, Bodenrechte, Wasserrechte, Immaterialgüterrechte, Unternehmensrechte, kulturelle Rechte etc. täuscht darüber hinweg, dass über die jeweiligen Güter eine ähnliche eigentumsförmige Verfügungsmacht ausgeübt wird. Eigentum wird somit durch 14seine Diversifikation unsichtbar gemacht und einem öffentlichen Diskurs entzogen. Die Herausforderung besteht hier darin, für die unterschiedlichsten Güter ein gemeinsames Eigentumsverständnis zu finden, das gleichwohl ihren Besonderheiten gerecht wird. Drei Kapitel dieses Bandes sind deshalb jeweils Eigentumsarten gewidmet, die sich auf bestimmte Güter (Wohnraum, Naturgüter, Immaterialgüter) beziehen.

Die Eigentumsvergessenheit ist viertens eine Folge der Reduktion, Eigentum insgesamt auf Privateigentum zu verkürzen. Privateigentum erscheint wie eine alternativlose, geradezu naturgegebene Gesellschaftspraxis. Es ist jedoch recht betrachtet nur eine mögliche Eigentumsform neben denen des Gemeineigentums und des öffentlichen Eigentums. Von den Enclosure-Bewegungen der Frühindustrialisierung über den Besitzindividualismus im Fordismus bis zum gegenwärtigen Neoliberalismus vollführt der Kapitalismus einen Prozess, in dem das Privateigentum zunehmend als vorherrschendes Ordnungsprinzip durchgesetzt wird. Nicht nur Produktion und Erwerbstätigkeit werden fortschreitend durch Privateigentum organisiert, sondern auch die Grundversorgung mit Wohnraum, Bildungszugängen, Gesundheitsleistungen, Alterssicherung etc. Mit der entfesselten Monokultur des Privateigentums in nahezu allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen schwindet, so lässt sich beobachten, sowohl im Alltagsbewusstsein als auch in den Wissenschaften ein Sinn für Alternativen. Je umfassender das Privateigentum Raum greift, desto mehr geraten Alternativen in Vergessenheit. Kollektive Eigentumsformen werden allenfalls mit dem Staatssozialismus sowjetischer Prägung in Verbindung gebracht und lösen geradezu naturwüchsige Berührungsängste aus. Die Bedeutung des öffentlichen Eigentums für demokratische Gesellschaften oder des Gemeineigentums in Gestalt von Genossenschaften, Commons, betrieblicher Selbstverwaltung etc. wird dabei marginalisiert.

Der historische Aufstieg des Privateigentums geht somit, nur scheinbar paradox, Hand in Hand mit der Eigentumsvergessenheit. Diese ist ohnehin von ihrer Kehrseite, der Eigentumsversessenheit, kaum zu trennen: Die Schrumpfform des Eigentums geht mit der Eigentumsdifferenzierung in Wirtschaft und Recht einher; die Invisibilisierung mit der Allgegenwart eines Besitzindividualismus; die Entpolitisierung mit einer neoliberalen Politik der privatwirtschaftlichen Eigentumsexpansion. Je ausgedünnter das Eigentums15verständnis ist, desto weniger werden Alternativen vermisst. Die Beiträge in diesem Band nehmen deshalb die einseitige Fixierung aufs Privateigentum ins Visier, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten: Anstatt Eigentum in Bausch und Bogen zu verwerfen, sensibilisieren sie für alternative Eigentumsvorstellungen des Gemeinschaftlichen und des Öffentlichen.

Belastbare Alternativen müssen sich ausgehend von den bestehenden Rechtstraditionen, Geltungslogiken und Gesellschaftspraktiken des Eigentums herleiten lassen. Alles andere wäre Traumtänzerei: ein selbstgestricktes Eigentumsideal ohne verbindliche Geltung und Aussicht auf Realisierung. Mit anderen Worten: Eigentum wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen, indem die Alternativen aus den eigenen Grundlagen des Privateigentums entwickelt werden. Diese immanente Kritik ist mit dem Segeln gegen den Wind vergleichbar. Nutzt man die eigene Kraft des Windes, bewegt man sich sogar gegen dessen Richtung fort. Genauso lassen sich die normativen Grundlagen bestehenden Privateigentums selbst nutzen, um gegen dessen Vorherrschaft, wie ich im Folgenden zeigen möchte, alternative Vorstellungen gemeinschaftlichen und öffentlichen Eigentums in Anschlag zu bringen. Zu diesem Zweck werde ich einige Unterscheidungen einführen, mit denen sich der Debattenstand ordnen und Eigentum neu vermessen lässt.

2. Funktionen des Eigentums

Die allgemeinste Unterscheidung, die auf Eigentum zutrifft, ist die zwischen seinen Funktionen, Werten und Normen. Eigentumsrechte erfüllen eine gesellschaftliche Funktion, haben einen Wert für das gute Leben und besitzen eine normative Geltung. Eigentum bewegt sich immer auf diesen drei Ebenen zugleich.

Eigentum erfüllt vielfältige Funktionen in einer Gesellschaft. Diese Funktionen verdankt es vor allem seiner Rechtsform. Eigentum ist, so eine bewährte Sichtweise, eine Rechtsbeziehung zwischen Personen im Verhältnis zu äußeren Gütern.[3]  Güter werden deshalb mit Hilfe von Eigentumsrechten bestimmten Rechtsper16sonen zuordenbar. Durch diese Allokation wird kenntlich und schutzbewehrt, wem was gehört: das Fahrrad gehört Sabine, dieses Haus der Wohngenossenschaft, das öffentliche Schwimmbad der Gemeinde. In arbeitsteiligen Gesellschaften mit knappen Ressourcen zirkulieren Güter zwischen Produzenten, Konsumenten und Händlern; diesen müssen dabei die Güter stets zuordenbar sein, damit kenntlich ist, wer über welche Güter entscheidet und wer nicht. Diese Allokation wird durch das rechtlich kodifizierte Medium des Eigentums geregelt; wobei diese funktionale Allokation noch unterhalb der normativen Ebene gerechtigkeitsbezogener Distribution liegt. Güter werden verteilt, indem individuelle oder kollektive Eigentümer über die Nutzung (ius utendi), Verwertung (ius fruendi) und Übertragung (ius abutendi) entscheiden.[4]  Mit der Ausübung von Eigentumsrechten wird also eine Funktion der Allokation erfüllt, die in komplexen Gesellschaften unverzichtbar ist.

Die Allokation von Gütern ist die wohl wichtigste Funktion des Eigentums; auch deshalb, weil sie die Grundlage für weitere Funktionen ist. Diese, um nur einige zu nennen, sind: Aufgrund des einklagbaren Eigentumsschutzes werden Gesellschaften grundsätzlich (zunächst einmal) stabilisiert und pazifiziert; selbst wenn es zum Streit darüber kommt, wem was gehört, lässt sich dieser Streit gewaltfrei vor Gericht beilegen. Eigentumsrechte entlasten zudem von einem kostspieligen, konflikthaften und zeitintensiven Prozess, stets aufs Neue aushandeln zu müssen, wem was gehört; diese funktionale Entlastung ermöglicht wirtschaftliche Effizienz. Indem Güter ihren Eigentümern zugeordnet werden, werden außerdem besteuerbarer Besitz und der Adressat einer Steuerpflicht bestimmbar; Eigentumsrechte machen somit Besteuerung möglich. Durch Eigentum werden ferner Ansprüche auf etwas vom physischen Besitz entkoppelt: Eigentümer verlieren nicht ihr Recht an etwas, das sie aus der Hand legen oder das ihnen gestohlen wird. Durch Eigentum wird Besitz somit auf Dauer gestellt und eine Wertspeicherung möglich, die eine Voraussetzung für wirtschaftliche Planungssicherheit ist. Seine Funktion der Wertspeicherung macht wiederum möglich, dass Eigentum auch zur Kreditbesicherung dient.

17Die Legitimität von Eigentumsrechten hängt davon ab, dass sie ihre Funktionen gut erfüllen. Erfüllen sie ihre Funktion schlecht, büßen sie an Berechtigung ein. Für ihre Funktionstauglichkeit setzen Eigentumsrechte drei Merkmale voraus, die hier nur in Bezug auf die Allokation angedeutet seien. Erstens besitzt Eigentum eine große Variabilität. Eigentumsrechte sind ein wandelbares Rechtsinstitut.[5]  Sofern sie der Güterallokation dienen, muss ihre institutionelle Ausgestaltung dieser Funktion angepasst werden. Eigentum wird deshalb so umgestaltet, geformt, verwandelt und transformiert, dass es seine Allokationsfunktion am besten erfüllt. Eigentum ist deshalb keine erstarrte Naturkonstante, sondern eine gesellschaftliche Variable, die den sozialen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen anzupassen ist, unter denen die Güterallokation stattfindet. Neue Produktionsweisen, technologische Innovationen und veränderte Sozialbeziehungen stellen die Allokation vor neue Herausforderungen, die nur durch entsprechend ausgestaltete Eigentumsrechte bewältigt werden. Eigentum unterliegt daher einem Strukturwandel, der von gesellschaftlichen Veränderungen ausgeht.

Auf der funktionalen Ebene zeigt sich zweitens, dass Eigentum keineswegs notwendig, sondern kontingent ist. Wenn Eigentum der Güterallokation in arbeitsteiligen Gesellschaften mit knappen Ressourcen dient, dann bedarf es in Gesellschaften ohne Arbeitsteilung und Ressourcenknappheit keiner rechtlich kodifizierten Allokation und insoweit keines Eigentums. Eigentum ist deshalb keine unentrinnbare Notwendigkeit. Weil es der Allokation dient, ist Eigentum kein Selbstzweck: Eigentum ist nicht um seiner selbst willen erstrebenswert. Eigentumslose Gesellschaften sind insoweit grundsätzlich denkbar, vorausgesetzt, dass Arbeitsteilung und Ressourcenknappheit eben überwunden sind.[6]  In uns bekannten Ge18sellschaftsformationen bleibt ihre Überwindung jedoch eine ferne Vision und Eigentum so lange unverzichtbar.

Die funktionale Bedeutung des Eigentums führt drittens dazu, dass für die Eigentümerschaft eine Publizität gilt. Eigentümer schulden anderen erst einmal keine Rechenschaft über den Gebrauch ihrer Güter. Trotzdem leitet sich aus der Allokation her, dass Eigentümer und ihre Güter bestimmbar sein müssen. Allokation bedeutet die rechtlich geregelte Zuordenbarkeit in Hinsicht darauf, wem was gehört. Dafür muss aber klar erkennbar sein, um welche bestimmten Eigentümer und um welche Güter genau es sich dabei handelt. Sowohl der Eigentümer als auch die Güter müssen identifizierbar sein. Dieser Publizität widerspricht es, wenn Mieter nicht die Eigentümer ihrer Wohnungen ausfindig machen können; wenn Finanzprodukte zum Zweck der Spekulation ein undurchsichtiges Portfolio haben; wenn es keine Angaben zu einem Abtretungsempfänger von Hypotheken gibt; wenn aus Gründen der Steuervermeidung der juristische Eigentümer in Gestalt einer Briefkastenfirma, die alleiniger Adressat einer Steuerpflicht ist, und der ökonomische Eigentümer in Gestalt eines Mutterkonzerns getrennt werden, dessen Vermögen einer Besteuerung entzogen ist; oder wenn im Hochfrequenzhandel Güter in Bruchteilen von Sekunden ihre Eigentümer wechseln, so dass diese zwar rein theoretisch erkennbar sind, nicht aber in der Praxis. Intransparente Finanzprodukte, Unternehmensverschachtelungen, Immobilienverhältnisse oder Hochfrequenztransaktionen sind funktional vom Eigentumsrecht nicht gedeckt. Dessen Publizität ist vielmehr ein Argument gegen sie.

3. Werte des Eigentums

Eigentum besitzt einen subjektiven Wert. Dieser drückt sich in Gestalt der Wertschätzung aus, die ein Eigentümer seinen Gütern entgegenbringt. Güter erscheinen ihren Eigentümern als bedeutsam, wertvoll oder begehrenswert. Eigentum ist hier ein individuelles oder kollektives Ziel der erstpersonalen Wertorientierung: Eigentum ist für mich oder uns wichtig. Die jeweilige Wertschätzung beruht dabei auf dem Wert, den das Eigentum im Licht einer Vor19stellung des guten Lebens hat.[7]  Für wertvoll wird etwa die Eigentumsbildung gehalten, mit der wirtschaftliche Tätigkeiten belohnt werden (beispielsweise klassische Nationalökonomie und Neoklassik), oder die Teilhabe an gemeinschaftlichem Eigentum (beispielsweise bestimmte Praktiken der Sharing Economy) oder Lebensformen des Eigentumsverzichts (beispielsweise religiöse Armutsideale oder besitzminimalistische Lebensentwürfe) oder die besitzindividualistische Maximierung des eigenen Hab und Guts

Dabei ist zwischen Werten, die das Eigentum tatsächlich oder nur scheinbar hat, zu unterscheiden. In letzterem Fall wird eine Wertvorstellung des Eigentums für begründeter gehalten, als sie ist. Eigentum wird dann über Gebühr wertgeschätzt. Bezieht sich diese übermäßige Wertschätzung auf Privateigentum, wird sie Besitzindividualismus genannt.[8]  In ihm hängt das subjektive Selbstsein zunehmend vom eigenen Privateigentum ab: Man ist, was man hat. Selbstwertgefühl, Glückserfahrungen und Wohlergehen werden vom Erwerb privaten Eigentums erwartet.

Es gibt unterschiedliche Deutungen darüber, worin genau der Wert des Eigentums liegt. Vor allem besitzt Eigentum einen Wert für die Bildung personaler Identität. Er wird von Margaret Jane Radin anhand beispielsweise des persönlichen Werts eines Eherings veranschaulicht.[9]  Zu solchen biographisch bedeutsamen Dingen zählen etwa auch ein prägendes Buch, ein liebgewonnener Garten oder Erinnerungsstücke, an denen man hängt. Solche Dinge verkörpern bestimmte Erlebnisse, die im Lebensverlauf wichtig geworden sind. Eigentum wird somit ein immaterieller Wert durch die Bedeutung verliehen, die ein Ding biographisch hat: Ich lege Wert darauf, dass mir ein Ding gehört, weil es zu meiner Lebensgeschichte gehört. Diese Identitätsbildung verkehrt sich jedoch in eine Eigentumsfixierung, sobald sich das Bedingungsverhältnis umkehrt: Wenn Dinge nicht durch die Biographie anverwandelt werden, sondern die Biographie durch Dinge konstituiert wird. Eine Identität wird der Person hier durch ihre Rolle als Eigentüme20rin verliehen. Dinge erscheinen als bedeutsam, weil ihr Eigentum das Selbstwertgefühl steigert, Distinktionen aufwertet oder soziale Wertschätzung verschafft. Eigentum an Statusdingen ist also wichtig, nicht weil diese Dinge biographisch bedeutsam sind, sondern weil umgekehrt ihr Eigentum der Biographie Bedeutung verleiht.

Der Wert des Eigentums kann wiederum in dem Gefühl von Sicherheit liegen. Wo sein Wert jedoch über die Sicherung von Freiheitsrechten oder des Lebensunterhalts hinausgeht, entspringt für Theodor W. Adorno Ideologie.[10]  Den Grund für die fetischhafte Versessenheit auf Eigentum sieht Adorno in dessen vermeintlicher Sinnstiftung. Scheinbar gibt Eigentum Sicherheit darüber, was den Sinn eines vergänglichen Lebens ausmacht. Auch im Gefühl von Freiheit wird der Wert des Eigentums gesehen: Nach Georg Simmel wird Eigentum wertgeschätzt, weil es ein Freiheitsgefühl schafft.[11]  Ihm zufolge wird eine solche Freiheitserfahrung zwar durch Eigentum an materiellen Dingen ermöglicht, nicht aber durch Geldeigentum, das aufgrund seiner Immaterialität nur scheinbar eine Korrelation zwischen dem Wachstum von Eigentum und der Steigerung von Freiheit herstellt.

4. Normen des Eigentums

Bereits die Funktion der Allokation schließt dieses zentrale Merkmal des Eigentums ein: Freiheit. Güter werden, so haben wir gesehen, verteilt, indem individuelle oder kollektive Eigentümer über die Nutzung, Verwertung und Übertragung ihrer Güter entscheiden. Eigentum ist insoweit das Entscheidungsrecht, über den Gebrauch der eigenen Güter selbst zu bestimmen. Als Entschei21dungsrecht unterscheidet es sich vom Besitz: Während Besitz der Zugang – die rechtliche Erlaubnis – zum Gebrauch (beispielsweise einer Mietwohnung) ist, entscheiden Eigentümer (in diesem Fall der Vermieter) über den Zugang zu diesem Gebrauch.[12]  Auf dieses Entscheidungsrecht verweisten der lateinische Begriff für Eigentum dominium (Herrschaft) und das Recht auf »Verfügen« (ius disponendi de re sua), mit denen die Tätigkeit des Eigentümers beschrieben wird. Der Begriff »dominium« bildet die gemeinsame Bedeutungseinheit, aus der die Begriffe für politische Herrschaft (auch: supernus, das heißt Souveränität) und Eigentum (auch: proprietas) hervorgingen:[13]  Während politische Herrscher über die Gesetze bestimmen, entscheiden Eigentümer über äußere Güter. Freiheit nimmt, anders gesagt, in Bezug auf äußere Güter die Gestalt von Eigentum an.[14]  Mit Eigentum wird Selbstbestimmung bezogen auf äußere Güter ausgeübt. Das zentrale Merkmal des Eigentums liegt in dieser Selbstbestimmung, über den Gebrauch von Gütern selbst zu entscheiden. Diese eigentumsgebundene Entscheidungsmacht kann entweder individuell von Privateigentümern oder kollektiv durch gemeinschaftliche beziehungsweise öffentliche Eigentümer ausgeübt werden. Als ein solches Entscheidungsrecht verkörpert Eigentum also Freiheit. Dabei beschränkt sich Freiheit jedoch auf ein selbstbestimmtes Verhältnis nur zu äußeren Gütern, weshalb sich Freiheit nicht im Eigentum erschöpft; wir kommen darauf zurück.

Damit zieht die Funktion des Eigentums unweigerlich eine normative Bedeutung nach sich. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens besitzt Freiheit eine normative Geltung. Freiheit gilt, normativ betrachtet, als ein berechtigter Anspruch, dessen Anerkennung erwartet und dessen Missachtung kritisiert werden darf. Wenn also Freiheit für die funktionale Allokation unverzichtbar ist, dann nimmt 22sie im Eigentum zwangsläufig auch die normative Gestalt eines berechtigten Anspruchs an. Dabei sind die Begründungsaufgaben jeweils anders verteilt. Funktionen begründen, warum es überhaupt Eigentumsrechte gibt; Normen hingegen, welche bestimmten Eigentumsrechte es geben sollte. Funktionen sind der Grund für ihre Existenz; Normen sind der Grund für ihre bestimmte Ausgestaltung. Normativ lässt sich nicht erklären, warum es Eigentumsrechte gibt, sondern lediglich, wie sie institutionell auszugestalten sind.

Dieses Junktim zwischen der funktionalen und der normativen Bedeutung erklärt, weshalb sich Eigentum nicht zu einer Konvention normativ entkernen lässt. Als Konvention betrachtet besitzt Eigentum keine eigenständige normative Geltung, weshalb es an gesellschaftliche Kontexte je nach Bedarf angepasst werden könne. Eine solche Vorstellung von Eigentum als normativ entkernter Konvention geht jedoch fehl, weil sie fälschlicherweise zweierlei behaupten müsste. Entweder muss sie annehmen, dass Eigentum nichts mit Freiheit zu tun hat; was, wie bereits gesehen, der Allokationsfunktion widerspricht. Oder sie müsste bestreiten, dass Freiheit ein berechtigter Anspruch ist, der Schutz verdient; womit man sich, wie gleich zu sehen ist, vom Emanzipationsversprechen des Eigentums verabschiedet.

Der zweite Grund für die normative Bedeutung des Eigentums ergibt sich aus dem Umstand, dass Eigentum ein Exklusionsrecht ist. Denn wer selbst über etwas bestimmt, schließt andere von der Mitbestimmung aus. Eigentum befugt insoweit dazu, andere von der Verfügungsmacht auszuschließen. Eigentümer entscheiden unabhängig von der Zustimmung anderer und schulden deshalb niemandem Rechenschaft darüber, wie sie ihr Hab und Gut gebrauchen. Dieses Exklusionsrecht ist ein neutraler Eigentumsschutz, der in zweierlei Richtungen wirkt: Ebenso wie Privateigentum vor kollektiven Interessen ist kollektives Eigentum vor Privatinteressen geschützt. Privateigentümer sind geschützt vor dem Zugriff eines (überlegenen) Kollektivs auf ihre Güter. Aber genauso dürfen kollektive Eigentümer andere daran hindern, ihre Güter zu privatisieren.[15]  Eigentumsrechte sind also auf den Schutz des Privateigen23tums ebenso wenig festgelegt wie auf den des Gemeineigentums und können zum Schutz von Privateigentum genauso dienen wie zum Schutz vor Privateigentum.

Das eigentumsförmige Exklusionsrecht geht jedoch über die Schutzwirkung eines klassischen Abwehrrechts hinaus. Diese Besonderheit ergibt sich aus dem Zusammentreffen zweier Faktoren: der Freiheit und der Weltbeziehung. Eigentum ist, wie bereits gesagt, Freiheit angewandt auf äußere Güter. Äußere Güter gehören zur Welt, die Menschen miteinander teilen. Eigentum an äußeren Gütern ist deshalb eine Beziehung auf eine gemeinsame Welt und – dies wird als seine Drittwirkung bezeichnet – betrifft somit unvermeidbar andere Personen. Auch wenn Eigentümer anderen Personen zunächst keine Rechenschaft schulden, stehen sie, vermittelt über die Güter einer gemeinsamen Welt, in Beziehung zueinander. Weil Eigentumsrechte stets für die Nichteigentümer Folgen haben, wirken sie nicht nur als Abwehrrechte. Eigentum kann sich aufgrund seiner Exklusionsmacht von einem Abwehrrecht in ein Herrschaftsinstrument verkehren. Die Lebensführung anderer Personen wird durch meine Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und körperliche Selbstbestimmung nicht beeinträchtigt. Hingegen geht mein Eigentum auf Kosten der Mitbestimmung anderer über meine Güter, die auch zu ihrer Welt gehören. Anderen wird somit eine Mitsprache über die Güter einer gemeinsamen Welt entzogen. Hauseigentümer, Aktienbesitzer, Unternehmenseigner oder Grundbesitzer üben gewollt oder ungewollt auch einen Einfluss auf das Leben anderer aus.

Diese Exklusionsmacht macht Eigentumsrechte zu einer janusköpfigen Erscheinung. Einerseits gehört es spätestens seit Hobbes, Locke, Kant und Hegel zu den Gewissheiten moderner Gesellschaften, dass die Sicherung der Freiheitsrechte auch über die Garantie des Eigentums erfolgt. Andererseits errichten sie Herrschaftsordnungen, die zu Entfremdung, Ausbeutung und Freiheitsverlust führen. Sie können zur Emanzipation beitragen, sich aber auch ins Gegenteil verkehren. Dass Eigentümer über ihre Güter bestimmen, hat immer auch den Preis der Fremdbestimmung über die Nichteigentümer: Die Selbstbestimmung der einen geht auf Kosten der Selbstbestimmung anderer. Eigentum bleibt mit diesem Widerspruch zwischen Freiheit und ihrem Gegenteil zwangsläufig behaftet. Diese Ambivalenz ließe sich nur vermeiden, wenn 24Eigentum selbst abgeschafft wird. In arbeitsteiligen Gesellschaften mit knappen Ressourcen lässt sich jedoch auf Eigentum nicht verzichten. Seine Ambivalenz lässt sich deshalb nur einhegen, indem es reguliert wird. Die normative Geltung des Eigentums wirft also die Frage nach seiner Regulierung auf.

5. Eigentumsverhältnisse

Eigentumsverhältnisse umfassen alle normativen Regulierungen, denen das Eigentum in einer Gesellschaft unterworfen ist. Eigentumsrechte werden dabei auf drei Arten reguliert: durch Eigentumsförmigkeit, Eigentumsordnungen und Eigentumspflichten.

Mit der Eigentumsförmigkeit wird erstens unterschieden, welche Güter (und Dienstleistungen) die Form des Eigentums annehmen können und welche nicht. Durch sie wird die Verfügungsreichweite begrenzt, indem bestimmt wird, auf welche Güter sich die Eigentumsmacht erstreckt und auf welche nicht. Dieses Kriterium zieht also die Trennlinie zwischen Eigentumsgütern und Gütern, die sich dem Eigentum entziehen. Die Frage ist also nicht, wie Eigentumsrechte an bestimmten Gütern auszugestalten sind. Vielmehr sind unter diesem Aspekt Eigentumsverhältnisse so zu gestalten, dass bestimmte Güter vom Eigentumsrecht ausgenommen werden.

Vor allem Personen entziehen sich der Eigentumsförmigkeit. Eigentum an Personen würde ihnen die Freiheit rauben, die zugleich solches Eigentum rechtfertigen soll. Eigentum an Personen würde also der Freiheit widersprechen, die den normativen Grund des Eigentums ausmacht. Es verliert mit der Freiheit auch den Grund für seine eigene Geltung. Aus Gründen der Konsistenz kann grundsätzlich nur eigentumsförmig sein, was selbst keinen freien Willen hat.[16]  Daraus ergibt sich ein Argument gegen die Sklaverei. An Menschen kann kein Eigentum gehalten werden, weil es sich in einen Selbstwiderspruch verstrickt. Das Eigentum an Sklaven kann also kein geltendes Recht sein. Ebenso wenig sind Güter eigentumsförmig, die, wie Körperorgane, Arbeitskraft und persönliche Daten, mit der Person untrennbar verbunden sind.[17] 

25Zweitens wird Eigentum innerhalb von Eigentumsordnungen reguliert. Eigentumsordnungen setzen sich aus zwei Variablen zusammen, die einander unterschiedlich zugeordnet werden können: aus verschiedenen Rechtssubjekten und aus Güterarten. Dabei kommen unterschiedliche Eigentümer in Frage. Eigentümer kann eine Einzelperson, eine Gemeinschaft oder eine Gesellschaft sein. Dementsprechend wird zwischen den Eigentumsformen Privateigentum, Gemeineigentum und öffentliches Eigentum unterschieden;[18]  die beiden letzteren bilden die Formen kollektiven Eigentums. Vorstellbar ist sogar, dass Tiere oder überhaupt die Natur Eigentümer sein können.[19]  Es lassen sich wiederum vier Arten von Gütern und dementsprechende Eigentumsarten unterscheiden: Gebrauchsgüter wie Bekleidung, Möbel und Bücher (Gebrauchseigentum); Bedarfsgüter, das heißt Infrastrukturen wie Kliniken, Wohnraum und Universitäten (Bedarfseigentum); Produktivgüter wie Unternehmen, Aktien und Kredite (Produktiveigentum); und Naturgüter wie Wälder, Böden und Meere (Natureigentum).

Die Verschiedenartigkeit von Rechtssubjekten und Güterarten – von Eigentümern und ihren Gütern – eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie beide sich einander zuordnen lassen. Damit stellt sich die normative Frage nach der richtigen Zuordnung von Rechtssubjekten und Güterarten – daher die Bezeichnung Eigentumsordnung. Eigentumsordnungen bestehen in der jeweiligen Passung von Rechtssubjekten und Güterarten und regulieren Eigentumsrechte demnach hinsichtlich ihrer Verfügungsverteilung: Über welche Güter sollten welche Eigentümer bestimmen? Eigentumsordnungen regeln, ob beispielsweise Bedarfsgüter wie Wohnraum, Energieversorger und Kliniken der öffentlichen Hand gehören oder von ihren Nutzerinnen gemeinschaftlich verwaltet oder 26Privateigentum von Einzelnen sein sollten; oder ob diese Güter eine hybride Eigentumsform unter Beteiligung aller drei Rechtssubjekte erfordern.

Drittens werden Eigentumsrechte durch bestimmte Pflichten reguliert, an die Eigentümer gebunden sind. Diese Eigentumspflichten nehmen die Gestalt von Verfügungssperren an: Eigentümer verfügen über ihre Güter nicht nach Belieben, sondern nur soweit es ihre Pflichten zulassen. Pflichten versperren ihnen also eine unbegrenzte Verfügung.

Kollektives Eigentum ist zwangsläufig an Pflichten gebunden. Gemeineigentum und öffentliches Eigentum ziehen, wie immer sie auch inhaltlich bestimmt seien, Pflichten gegenüber den Mitgliedern einer Gemeinschaft oder Gesellschaft nach sich. So gilt für Entscheidungsträger der öffentlichen Hand, dass sie demokratische Verfahren einzuhalten haben sowie dem Parlament Rechenschaft und Transparenz schulden. Im Fall gemeinschaftlichen Eigentums wiederum sind die Mitglieder beispielsweise einer Genossenschaft an die Entscheidungen gebunden, die gemeinsam getroffen werden. Beim Privateigentum jedoch entfallen diese Bindungen gegenüber Mitgliedern, weshalb der Eindruck entstehen könnte, dass mit ihm keine Eigentumspflichten einhergingen. Eine Regulierung von Eigentum unter Berufung auf Pflichten ist deshalb vor allem bezogen auf Privateigentum umstritten. Der Zankapfel betrifft hier die Frage, ob und, falls ja, in welchem Umfang die Ausübung privater Eigentumsrechte einem Gemeinwohl verpflichtet ist.[20] 

Eigentumsförmigkeit, Eigentumsordnungen und Eigentumspflichten stehen unter hohem Rechtfertigungsdruck. Eigentumsverhältnisse benötigen eine Begründung: Wenn Eigentum ein berechtigter Anspruch ist, dann bedarf es normativer Gründe, die seine Einschränkung rechtfertigen. Es steht die Frage im Raum, weshalb die Freiheit von Eigentümern berechtigterweise eingeschränkt werden darf. Vor allem diese Frage ist in den Theorien 27und der Praxis des Eigentums hart umkämpft. Der Streit wird dabei entlang von vier Konfliktlinien ausgetragen, die im Folgenden mit einem Schwerpunkt auf der Frage nach der Eigentumsordnung behandelt werden. Die Fragen nach der Eigentumsförmigkeit und Eigentumspflicht werden weitgehend eingeklammert.

6. Individuelle und kollektive Freiheit

Die erste Konfliktlinie betrifft das Verhältnis von individueller und kollektiver Freiheit. Für die Frage nach der Eigentumsordnung – ob und, falls ja, in welchem Umfang Privateigentum, Gemeineigentum oder öffentliches Eigentum berechtigt ist – ist zentral, was unter Freiheit verstanden wird. Dabei geht es nicht darum, ob Freiheit überhaupt, sondern welche Gestalt von ihr – individuelle oder kollektive Freiheit – Eigentum rechtfertigt. Eigentum verkörpert Freiheit; und je nachdem, ob sie eine individuelle oder kollektive Gestalt annimmt, konkretisiert es sich als Privateigentum oder als Gemein- oder öffentliches Eigentum.

Eigentum wird unvermeidlich im Rückgriff auf Freiheit begründet: Wenn Freiheit als ein berechtigter Anspruch gilt und wenn sie in Bezug auf äußere Güter die Gestalt von Eigentum annimmt, dann gilt Eigentum als ein berechtigter Anspruch. Die Eigentumsbegründung stützt sich dabei auf eine ganz bestimmte, materialistische Bedeutung der Freiheit: Freiheit in Bezug auf äußere Güter wird als materielle Selbstbestimmung ausgeübt. Diese materialistische Bedeutung von Freiheit ist eine von vier Arten der Selbstbestimmung. Die anderen sind die personale Selbstbestimmung, über Handlungsziele, Ausdrucksweisen und Lebensführung selbst entscheiden zu können (personale Freiheit); die epistemische Selbstbestimmung, sich selbst der Gründe für Verhaltensweisen, Handlungsaufforderungen und Wertvorstellungen vergewissern zu können (epistemische Freiheit); und die politische Selbstbestimmung, die von Bürgern durch ihre Teilhabe am demokratischen Prozess der Meinungs- und Willensbildung ausgeübt wird (politische Freiheit). Nicht nur also hängt unsere Vorstellung von Eigentum davon ab, was wir unter Freiheit verstehen. Weil es nicht eine Reinform der Freiheit, sondern nur diese vier konkreten Bedeutungen von Selbstbestimmung gibt, wird Freiheit unter anderem 28auch vom Eigentum, das heißt von ihrer materiellen Konkretion her gedacht.

Die materielle Selbstbestimmung erlaubt es Menschen, ohne Versorgungsabhängigkeiten selbst (und gemeinsam mit anderen) ein Auskommen zu haben. Frei von dirigistischen Zuteilungen versorgen sie sich mit Gütern aus eigener (und gemeinsamer) Kraft. Personen bestreiten hier ihren Lebensunterhalt frei von einem bevormundenden Versorger und Ernährer, der den Seinen gibt, was sie brauchen. Damit können sie frei von Angst vor Sanktionen einen Willen ausbilden und öffentlich vertreten. Diese materielle Selbstbestimmung wird durch das allgemeine Recht auf Eigentum garantiert. Das Eigentumsrecht verbürgt, dass Personen unabhängig von sozialer Stellung, Herkunft, Ansehen, Gesinnung und Geschlecht lebensrelevante Güter erwerben und über sie verfügen können. Diese Verfügungsmacht über Güter befreit somit aus feudalen, paternalistischen und hegemonialen Abhängigkeiten: Darin liegt das Emanzipationsversprechen des Eigentums. Eigentum wird also unter Berufung auf einen materialistischen Freiheitsbegriff begründet.

Dies wirft eine weitere Frage auf. Wenn Freiheit der normative Grund des Eigentums ist, was ist dann wiederum der Grund für die Freiheit?[21]  Mit den Antworten hierauf werden bereits die Weichen für oder gegen kollektives Eigentum gestellt. Denn die Art und Weise, wie Freiheit begründet wird, hat stets Einfluss darauf, welche Freiheit gilt. Im Kontraktualismus, den Naturrechtslehren und den Vernunftrechtstheorien wird Freiheit unterschiedlich begründet und somit eine Vorentscheidung getroffen, ob Freiheit auch eine kollektive Form annehmen kann. Sie leiten also die Eigentumsordnungen in jeweils andere Bahnen. Die Konfliktlinie – ob Privateigentum oder kollektives Eigentum einen Vorrang verdient – verläuft entlang von Theoriealternativen, in denen Freiheit auf unterschiedliche Weise begründet wird. Ich werde drei Unterscheidungen vorschlagen, die aufeinander aufbauen: zunächst die zwischen Kontraktualismus und Werttheorie (a); die Werttheorie verzweigt sich wiederum in Naturrecht und Vernunftrecht (b); das Vernunft29recht schließlich gabelt sich in substantialistische und prozedurale Vorstellungen kollektiven Eigentums (c). Diese häufig übersehenen Unterscheidungen sind kein Selbstzweck, sondern markieren Weggabelungen in der Theoriebildung, die zum kollektiven Eigentum und somit zu Alternativen zum Privateigentum führt.

(a) Die erste Theoriealternative bilden der Kontraktualismus und die Wert- beziehungsweise Arbeitstheorie des Eigentums. Dem Kontraktualismus zufolge wird Eigentum erst durch Verträge geschaffen. Es gibt kein vorvertragliches Recht auf Eigentum. Leistet ein Arbeiter einen Beitrag, geht ihm dieser umgehend verloren, es sei denn, er hat sich das Eigentum an ihm zuvor vertraglich gesichert. Er kann auch vereinbaren, dass sein Arbeitsertrag ins Eigentum einer anderen Person übergeht und dass er als Gegenleistung einen Lohn erhält. Eigentumstitel an Arbeitserträgen und Lohn werden hier getauscht. Arbeitserträge gehören an sich niemandem und gehen in jemandes Eigentum über, wenn ein entsprechender Vertrag geschlossen wird. Eigentum entsteht also erst durch Verträge und entspringt somit der Vereinbarung von Privatpersonen. Durch sie können deshalb privatrechtlich auch neue Gestalten des Eigentums geschaffen werden.[22] 

Der Kontraktualismus tritt jedoch in einen Widerspruch mit sich selbst.[23]  Eigentum soll sich einerseits aus Freiheitsgründen rechtfertigen, schafft aber andererseits Zwänge. Der Kontraktualismus 30erzeugt insbesondere auf dem Arbeitsmarkt neue Unfreiheiten und Abhängigkeiten, die die Geltung des Eigentums als Freiheitsrecht untergraben. Die Freiheitsgründe, aus denen sich Eigentum rechtfertigt, werden hier vom Eigentum selbst verneint. Indem es also neue Zwänge schafft, verliert Eigentum seinen eigenen Rechtfertigungsgrund. Der Kontraktualismus verfehlt somit eine belastbare Begründung des Eigentums.

Eine alternative Eigentumsbegründung bietet die Wert- beziehungsweise Arbeitstheorie – im Folgenden kurz: Werttheorie – des Eigentums. In ihr wird angenommen, dass es ein vorvertragliches Recht auf das Eigentum am Arbeitsertrag gibt. Eigentum entsteht als das Recht am Ergebnis des eigenen Tuns. Wer einen Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung leistet, der besitzt auch ein Recht auf das Eigentum am entsprechenden Wert.[24]  Kurzum: Wer einen Wert erzeugt, dem gehört er auch. Eine bestimmte ›Leistung‹ berechtigt demnach zum Eigentum an ihren Erträgen. Unter Leistung wird werttheoretisch der individuelle oder kollektive Beitrag verstanden, der zur Wertschöpfung geleistet wird.[25] 

Die Werttheorie des Eigentums wird, teilweise unausdrücklich, von unterschiedlichen Positionen der Ideengeschichte vertreten. Sie findet sich, eine Auswahl muss hier reichen, in Thomas von Aquins Vorstellung vom göttlichen Eigentum,[26]  der libertären Theorie des Selbsteigentums von John Locke,[27]  der Arbeitswerttheorie von Karl 31Marx,[28]  der Kritik an unbezahlter Sorgearbeit[29]  und der Kritik an sozialer Ungleichheit, die aufgrund der Vermögensbildung durch leistungslose Einkommen, sogenannte ökonomische Renten, entsteht:[30]  Weil Arbeit das Eigentum an ihren Erträgen rechtfertigt, ist eine leistungslose Eigentumsbildung, die zur Ungleichheit führt, ungerechtfertigt. Erbschaften sind das Paradebeispiel für eine solche leistungslose Eigentumsbildung.[31] 

Die genannten Positionen zehren von der intuitiven Kraft des Gedankens, dass ein Wert dem gehört, der ihn erschafft. Diese Intuition lässt sich im Rückgriff auf den Freiheitsgedanken in ein Argument übersetzen. Personen müssen sich, so haben wir gesehen, aus Freiheitsgründen unabhängig von sozialer Stellung, Herkunft, Ansehen, Gesinnung und Geschlecht mit Gütern selbst versorgen können. Dieser materialistische Freiheitsbegriff ist das Argument für die Werttheorie des Eigentums. Denn das Eigentum am Ertrag des eigenen Tuns ermöglicht eine selbstbestimmte Versorgung mit Gütern und verwirklicht demnach Freiheit auf einer materiellen Ebene. Wenn Freiheit ein berechtigter Anspruch ist und wenn durch das Eigentum am Arbeitsertrag Freiheit realisiert wird, dann gilt auch das Eigentum am Arbeitsertrag als ein berechtigter Anspruch. Mit Hilfe solchen Eigentums wird materielle Selbstbestimmung und damit Freiheit – allerdings nur ihre materialistische Spielart – verwirklicht. Freiheit ist also ein Grund für das Eigentum am Ertrag des eigenen Tuns und begründet somit die werttheoretische Regel ›Wertschöpfung rechtfertigt Eigentum‹.

Das werttheoretische Argument baut also auf drei Annahmen auf und kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Zunächst ist, wie in Bezug auf seine funktionale Bedeutung oben gesehen, Eigentum ein Entscheidungsrecht. Als Entscheidungsrecht schließt Eigentum wiederum Freiheit und insoweit eine normative Geltung ein: Es gilt als ein berechtigter Anspruch. Schließlich realisiert sich 32dieser normative Freiheitsanspruch in materieller Hinsicht (materielle Selbstbestimmung) als das Recht auf Eigentum durch Wertschöpfung.

(b) Die Werttheorie des Eigentums verzweigt sich nun selbst wiederum in eine Theoriealternative: in die zwischen Naturrecht und Vernunftrecht. Eigentum wird in den Naturrechtslehren aus dem Personenstatus hergeleitet, den Menschen als Menschen besitzen. Die Person wird als gattungsspezifische Entität begriffen, der ein unbedingter Schutz zusteht.[32]  Diese Unantastbarkeit der Person stellt die naturrechtliche Grundlage des Eigentumsrechts dar. Weil die individuelle Person und ihr Wille unantastbar sind und weil dieser Wille in Bezug auf äußere Güter als Eigentum ausgeübt wird, steht auch ihrem Eigentum der Rang eines unantastbaren Rechts zu. Seine normative Geltung entspringt somit der Unantastbarkeit der individuellen Person und ihres Willens.

Die Naturrechtslehren haben zwei Folgen für das Eigentumsverständnis. Eigentum wird erstens in ein fundamentales Persönlichkeitsrecht verwandelt und somit wie die Rechte auf Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit mit einem starken Abwehrrecht gegen den Staat ausgestattet. Über ihre Güter bestimmen Personen mit der gleichen Unantastbarkeit wie über ihre Gedanken, Wünsche und ihren Körper. Ihnen scheint Eigentum gar im gleichen elementaren Sinn zuzustehen wie das Recht auf Leben.[33]  In der Naturrechtsvorstellung wird Eigentum zweitens von vornherein zu Privateigentum individualisiert. Denn aus dem Status individueller Personen folgt klarerweise lediglich ein Anspruch auf individuelle Freiheit, die sich wiederum nur als Privateigentum einer Einzelperson realisiert. Privateigentum erscheint somit als ein unantastbares Persönlichkeitsrecht, das an sich schützenswert ist. Sofern also individuelle Freiheit ein unantastbarer Anspruch ist und sich in Bezug auf äußere Güter als Privateigentum konkretisiert, wird Privateigentum zum einzigen grundlegenden Eigentumsrecht naturalisiert. Sein Vorrang gegenüber kollektiven Eigentumsformen ist damit von Anbeginn besiegelt.

33Naturrechtslehren tragen zwar dem Umstand Rechnung, dass Freiheit die normative Grundlage des Eigentums bildet. Sie scheitern aber daran, Freiheit selbst zu begründen. Letztlich wird die Unantastbarkeit der Person als ein Schutzstatus vorausgesetzt, der von Natur aus angeboren ist und sich selbst nicht mehr begründen lässt. Diesem Unbegründbarkeitsaxiom wird in den Naturrechtslehren dadurch Ausdruck verliehen, dass der Personenstatus, wie im Fall von John Locke, in religiöse Vorstellungen der Unantastbarkeit, des Heiligen und der Schöpfung eingebettet wird.[34]  Indem Eigentum einem angeborenen Personenstatus entspringt, scheint seine Geltung selbst von Natur aus gegeben und nicht durch eine stichhaltige Begründung gedeckt zu sein. In der Naturrechtstradition wird dem Privateigentum seine sakrosankte Bedeutung durch religiöse Glaubensgewissheiten verliehen, die nicht den Standards überprüfbaren Wissen entsprechen. Das Naturrecht auf Privateigentum kann sich zwar auf dessen sakrale Herkunftszuschreibung berufen, dem zufolge sich die Unantastbarkeit des Eigentums aus der Heiligkeit göttlichen Eigentums herleitet.[35]  In demokratischen Gesellschaften bedarf es jedoch einer säkularen Begründung von Rechten, deren Anerkennung jeder Person unabhängig von ihren Überzeugungen zugemutet werden kann. Auch das Eigentumsrecht muss einer solchen Prüfung standhalten, die allen möglich ist.

Das Vernunftrecht bildet eine Alternative zum Naturrecht und setzt kritisch an dessen Begründungsdefizit an. Eigentumsrechte müssen, damit sie als berechtigte Ansprüche gelten, begründet sein. Dieser Begründungsbedarf wird jedoch nicht durch den Verweis auf 34Inhalte – wie den angeborenen Personenstatus im Naturrecht – gedeckt, die selbst begründungsbedürftig sind. Begründet werden sie daher vielmehr im Rückgriff auf allein die Form, die eine Norm hat. Eine Norm besteht formal aus den Bedingungen, die ihre Geltung erfüllen können muss. Eine solche formale Begründung von Normen wird in Kants formaler Ethik, in Fichtes Anerkennungstheorie, in der Diskursethik und insbesondere in der Rechtsphilosophie von Hegel vertreten. Wie jeder Anspruch wird auch das Eigentumsrecht mit Hilfe solcher Geltungsbedingungen begründet, die ein Anspruch erfüllen muss, damit er als berechtigter Anspruch gilt. Diese Geltungsbedingungen werden in der nachkantischen Tradition auf den Begriff der Vernunft gebracht.[36]  Nur in Gestalt eines Vernunftrechts gilt Eigentum als berechtigter Anspruch; und erst dann darf seine Anerkennung von allen erwartet werden.

Das Vernunftrecht ermöglicht nun, dass das Recht auf Eigentum vom individualistischen Ansatz des Naturrechts und dessen Vorentscheidung fürs Privateigentum entkoppelt wird. Ausgehend vom Vernunftrecht geht der scheinbar natürliche Vorrang des Privateigentums verloren und wird Raum für kollektives Eigentum geschaffen. Denn die Geltung des Eigentumsrechts hängt nun nicht mehr vom individuellen Personenstatus, sondern von den formalen Geltungsbedingungen ab, die auch durch kollektive Formen des Eigentums erfüllt werden können.

Das Vernunftrecht trägt damit dem Umstand Rechnung, dass Arbeitserträge zumeist Ergebnisse kollektiver Prozesse sind. Werte werden von und für die Gesellschaft erzeugt. Eine Person leistet durch ihre Arbeit zwar einen individuellen Beitrag, weshalb ihr ein individuelles Recht an den entsprechenden Erträgen zusteht. Dieser Beitrag ist jedoch durch eine Reihe von Faktoren gesellschaftlich vermittelt, die für sein Zustandekommen vorausgesetzt werden. Dieser gesellschaftliche Kooperationszusammenhang setzt sich aus der kollaborativen Bereitschaft anderer Personen zur Zusammenarbeit und Perspektivübernahme, der zumeist von Frauen ausge35übten Reproduktionsarbeit, den institutionellen Verflechtungen einer politischen Rahmenordnung, den Infrastrukturen für Kommunikation, Mobilität etc. und dem kulturellen Wissen, das aus sozialen Lernprozessen historisch entsteht, zusammen.[37]  Jede dieser kollektiven Bereitstellungen rechtfertigt es, dass ihre Akteure an den Erträgen beteiligt werden. Wenn Wertschöpfung Eigentum rechtfertigt und wenn durch diese Bereitstellungen zur Wertschöpfung beigetragen wird, dann steht auch deren Akteuren eine Beteiligung am Eigentum zu. Das Vernunftrecht legt damit den Grundstein für das Recht auf kollektives Eigentum.

(c) Zwei Vorstellungen kollektiven Eigentums unterscheiden sich dabei hinsichtlich ihrer Begründungsfigur. Für den Kommunismus und Postoperaismus ist ein substantialistisches Verständnis des kollektiven Eigentums kennzeichnend.[38]  Demzufolge stellt die Kooperation einen hinreichenden Grund für kollektives Eigentum dar: Weil Wertschöpfung durch die Beiträge vieler entsteht, bilden diese vielen ein Eigentümerkollektiv. Der Akt, der kollektives Eigentum stiftet, ist die Kooperation. Kraft ihrer Kooperation vergesellschaften sich die Mitglieder zu einem organischen Eigentümerkollektiv mit einem einheitlichen Gemeinwohlinteresse. Aus der kollektiven Eigentümerschaft leitet sich wiederum eine demokratische Mitbestimmung her. Da Eigentum ein Entscheidungsrecht ist, entscheiden alle Eigentümer hier gemeinsam, das heißt demokratisch, über die Nutzung, Verwertung und Übertragung ihrer Güter. Der Begründungsgang führt also von der Kooperation über kollektives Eigentum zur demokratischen Mitbestimmung: Kollektives Eigentum geht aus der Kooperation hervor und berechtigt wiederum zur demokratischen Mitbestimmung.

Doch die substantialistische Vorstellung von Kollektivität birgt Fallstricke: Für sich betrachtet ist Kooperation kein hinreichender Grund für kollektives Eigentum, weil sie allein lediglich zum glei36chen Recht auf individuelles Eigentum berechtigt. Soll Kooperation kollektives Eigentum rechtfertigen, bedarf es zusätzlich eines Zwischenschritts. Allen Beteiligten der Wertschöpfung steht zunächst gleichermaßen bloß ein individuelles Recht auf Eigentum zu. Wenn zwei Personen gemeinsam eine Arbeit verrichten, dann gehört jeder individuell der gleiche Anteil. Ihre Zusammenarbeit rechtfertigt jedoch nicht, weshalb sie nur gemeinsam über die Erträge entscheiden dürfen. Will man trotz dieses Einwands an der Vorstellung kollektiven Eigentums festhalten, bedarf es einer Alternative.

Diese besteht in einem prozeduralen Verständnis kollektiven Eigentums, das häufig als demokratischer Sozialismus bezeichnet und in Verbindung mit Wirtschaftsdemokratie gebracht wird.[39]  Das Begründungsverhältnis zwischen Demokratie und Eigentum verläuft hier in umgekehrter Richtung wie im substantiellen Kollektiveigentum: Kollektives Eigentum leitet sich aus der demokratischen Selbstbestimmung her. Kollektives Eigentum folgt nicht unmittelbar aus dem gesellschaftlichen Kooperationszusammenhang, sondern setzt den Zwischenschritt demokratischer Selbstbestimmung voraus. Aus der Kooperation allein folgt bloß, wie gesagt, das gleiche Recht auf Eigentum, das allen Beteiligten der Wertschöpfung individuell zusteht. Alle Mitglieder einer Gesellschaft verdienen aufgrund ihres jeweiligen Beitrags zur Wertschöpfung zunächst gleichermaßen ein individuelles Recht auf Eigentum. Wer es allerdings, wie es in der liberalen Eigentumstheorie der Fall ist, bei dieser Aussage belässt und sich mit der gerechten Verteilung von Einkommen zufriedengibt, verwechselt Eigentum mit Besitz. Weil Eigentum im Unterschied zum Besitz ein Entscheidungsrecht ist, folgt vielmehr aus dem gleichen Recht auf Eigentum ein demokratisches Mitbestimmungsrecht: Wenn alle Mitglieder erstens ein gleiches Recht auf Eigentum haben und zweitens Eigentum ein Entscheidungsrecht ist und drittens gleiche Entscheidungsrechte in einer Gesellschaft demokratisch organisiert werden, dann sollte über die gesellschaftlich geschaffenen Werte demokratisch entschieden werden.

37Diese demokratische Gestaltungsmacht wird, und erst damit kommt der Eigentumsgedanke an sein Ziel, in Form kollektiven Eigentums ausgeübt.[40]  Einzelne formieren sich über ihre Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen zum einheitlichen Willen eines kollektiven Eigentümers. Demokratische Selbstbestimmung realisiert sich so in der partizipativen Gestalt kollektiven Eigentums. Arrangements, in denen eigentumsgebundene Entscheidungsrechte demokratisch ausgeübt werden, sind unter anderem:[41]  das partizipative Bürgerbudget; die wirtschaftsdemokratische Selbstverwaltung von Betrieben; die Vertretung von Verbrauchern, Nutzern, Publikum etc. in den Leitungsgremien von Infrastrukturen (Energie, Bildung, Mobilität, öffentlicher Rundfunk etc.); Parlamente, in denen die Repräsentanten die Rolle von Treuhändern eines öffentlichen Eigentums einnehmen, das der Allgemeinheit gehört, die sie vertreten. Weil alle Beteiligten demokratisch mitbestimmen und diese Mitbestimmung durch kollektive Eigentümerschaft ausgeübt wird, haben sie ein Recht auf kollektives Eigentum. Um demokratisch über Güter bestimmen zu können, müssen sie als deren Miteigentümer entscheiden. Kollektives Eigentum ist hier also Ausdruck einer Vergesellschaftung durch Individuierung: Das gleiche individuelle Recht auf Eigentum rechtfertigt sich aus der Wertschöpfung aller und berechtigt selbst wiederum zu einer demokratischen Mitbestimmung, die die Gestalt kollektiven Eigentums annimmt.

7. Sachen oder Güter

Eigentum ist, so die Standardversion, ein Rechtsverhältnis zwischen Personen in Bezug auf äußere Dinge. Es besteht demnach aus einem Subjekt und einem Objekt: den Eigentümern, die Ansprüche aus38üben, und ihren Dingen, über die Ansprüche ausgeübt werden. Die eigentumsförmigen Dinge – das Bezugsobjekt – werden auf zwei alternative Begriffe gebracht: Sie werden entweder als Sache oder als Güter codiert. Mit dieser Unterscheidung werden die Weichen für eine grundsätzliche Alternative in der Theoriebildung gestellt: für die zwischen Sacheigentum und Gütereigentum. Diese Theoriealternative wird häufig übersehen, ist aber von entscheidender Bedeutung, um die Eigentumsvergessenheit zu überwinden. Während das Sacheigentum eine Hauptursache für unser verarmtes Eigentumsverständnis ist, bildet das Gütereigentum den Schlüssel für ein unverkürztes, volles Eigentumsverständnis

Schon im römischen Recht der Antike wird das Bezugsobjekt als Sache vorgestellt. Eigentum sei das Recht an einer Sache (ius in re/rem). Sachen zeichnen sich durch drei Eigenschaften aus. Erstens werden sie ausschließlich von den Ansprüchen der Eigentümer her entworfen. Die Sache erschöpft sich darin, Gegenstand von Ansprüchen zu sein. Diese Sachherrschaft ist eine Gemeinsamkeit, die sich ungeachtet aller Unterschiede die römischrechtliche Tradition, libertäre und liberale Eigentumstheorien sowie die Bündeltheorie miteinander teilen.[42]  Sachen gehen darin auf, dass Eigentümer über sie verfügen. Sie sind insoweit Rechtskonstruktionen, denen in der Welt nichts selbständig Wirkliches entspricht.

Durch die Codierung als Sache wird zweitens, wie Kant sagt, von der »Beschaffenheit des Objects […] abstrahirt«.[43]  Indem das Objekt nur als Sache in Betracht kommt, über die Eigentümer ihre Ansprüche ausüben, wird von seinen jeweiligen Besonderheiten abgesehen. Die einzige Beschaffenheit, die eine Sache formal besitzt, ist die Operationalisierbarkeit der Eigentümeransprüche: Ansprüche an einer Sache müssen sich realisieren und durchsetzen lassen. Das heißt vor allem, dass sich andere vom Gebrauch einer Sache, über die allein ihr Eigentümer bestimmt, ausschließen lassen. Dies 39trifft beispielsweise auf Atemluft in der Atmosphäre nicht zu. Im Hinblick auf diese Operationalisierbarkeit wird zwischen Sachen und Immaterialgütern unterschieden sowie zwischen beweglichen und unbeweglichen, vertretbaren und unvertretbaren, teilbaren und unteilbaren Sachen. Die Sache ist demnach eine formalistische Rechtskonstruktion, mit der die inhaltlichen Besonderheiten der Güter (Naturgüter, Gebrauchsgüter etc.) ausgeblendet und somit ihre Unterschiede eingeebnet werden.

Die Codierung von Sachen ermöglicht drittens die Identität unterschiedlicher Güter. Unterschiedliche Güter gelten eigentumstheoretisch als dieselbe Sache. Sämtliche Güter werden somit trotz ihrer Unterschiede unter eine einzige Objektvorstellung gestellt. Die Sache ist das Allgemeine, unter das unterschiedliche Güter als gleiche Fälle fallen. Es macht deshalb keinen Unterschied, an welchen Gütern Eigentum gehalten wird. Als Sache betrachtet, können beispielsweise Naturgüter (Kohle, Wälder, Gewässer etc.) genauso wie Gebrauchsgüter (Kleidung, Möbel, Bücher etc.) verbraucht oder Bedarfsgüter (Wohnraum, Schulen, Kliniken etc.) wie Gebrauchsgüter verwertet werden. Das Sacheigentum lässt sich also folgendermaßen beschreiben: Indem das Eigentumsobjekt als Sache codiert wird, kommt es erstens nur als etwas in Betracht, über das Eigentümer ihre Ansprüche ausüben; zweitens werden seine Besonderheiten ausgeblendet; und drittens werden alle Güter als gleiche Fälle einander angepasst.

Güter sind im Unterschied zu Sachen nicht bloß das Objekt eines Rechtsanspruchs, sondern auch eine eigenständige Größe, die für sich steht. Im Gütereigentum wird das Eigentumsrecht von beiden Entitäten aus begriffen: von seinem Inhaber und von seinem Gegenstand. Zwar sind Güter selbst keine normative Quelle. Ihnen entspringt keinerlei normativer Inhalt, der Eigentumsrechte prägen könnte. Dass Güter eine eigenständige Größe bilden, erklärt sich vielmehr aus ihren artspezifischen Besonderheiten und aus den Anforderungen, die sich aus diesen Besonderheiten für die Geltung von Eigentumsansprüchen ergeben.

Erstens zeichnen sich Güter durch Besonderheiten aus, die sie in verschiedene Arten unterteilbar machen. Gebrauchsgüter wie Bekleidung, Möbel und Bücher werden im alltäglichen Gebrauch genutzt und besitzen zumeist eine persönliche Bedeutung. Bedarfsgüter, das heißt Infrastrukturen wie Kliniken, Schulen und Wohn40raum, machen einer Bevölkerung Ressourcen zugänglich, die benötigt werden, um einen Grundbedarf an Lebensqualität, Sicherheit und Persönlichkeitsentfaltung zu decken. Produktivgüter wie Unternehmen, Aktien und Kredite ermöglichen es, Güter herzustellen; und Naturgüter wie Wälder, Böden und Meere zeichnen sich durch Ökosystemdienstleistungen aus, die von Menschen genutzt, aber nicht hergestellt werden.

Diese artspezifischen Besonderheiten sind zweitens für die Art und Weise bedeutsam, wie Eigentumsrechte ihre Geltungsbedingungen erfüllen. Geltungsbedingungen werden von Eigentumsrechten vorausgesetzt, die Geltung beanspruchen, und stellen insoweit bloß einen Anspruch auf Geltung auf. Dieser ist erst verwirklicht, wenn die Geltungsbedingungen auch erfüllt sind. Die Besonderheiten der Güter stellen nun jeweils bestimmte Anforderungen an die Art und Weise, wie sich die Geltungsbedingungen erfüllen lassen: Eigentum muss in Bezug auf unterschiedliche Güter je andersartig ausgestaltet werden, um Geltung zu erlangen.[44]