Umzug? Alles halb so wild! - Karsten Wollny - E-Book

Umzug? Alles halb so wild! E-Book

Karsten Wollny

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Beschreibung

Karsten Wollny, seit über 20 Jahren Möbelpacker, beschreibt in 55 unterhaltsamen Anekdoten aus seinem Leben, was bei einem Umzug alles schiefgehen kann, und gibt Tipps, wie sich Fehler vermeiden lassen. Als Experte in Sachen Möbeltransport kennt der Autor die Gefahren, die da lauern, und die Möglichkeiten, ihnen auszuweichen, ganz genau. Aber auch für die kleineren Dinge, wie das korrekte Einpacken von Geschirr, die Verpflegung von Helfern, das Besorgen des nötigen Materials oder das Freihalten eines Parkplatzes für den Lkw, hat er die richtigen Ratschläge parat. Beginnend mit der Frage, ob man vielleicht eine Spedition anheuern sollte, bis hin zur Erwägung einer Einweihungsparty folgen die wahren Geschichten und die sich daran anschließenden Tipps dem Ablauf eines Umzugs vom Anfang bis zum Ende. Dieser chronologische Aufbau ermöglicht es dem Leser, den gerade benötigten Tipp schnell zu finden. Ob jemand seinen Umzug ausschließlich mit Freunden bewältigen oder sich von Profis helfen lassen möchte: Wer von Beginn an alles richtig machen will, kommt um dieses Buch nicht herum.

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Seitenzahl: 383

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KARSTEN WOLLNY

UMZUG? ALLES HALB SO WILD!

EIN RATGEBER IN 55 ANEKDOTEN

VORWORT

Mit einem Umzug ist das so eine Sache. Der eine bestellt einfach ein paar Freunde und schmeißt mit denen seinen Krempel auf einen Transporter, der andere durchlebt schlaflose Nächte, weil er nicht weiß, wie er seine fünfköpfige Familie und deren Habe in das neue Heim bringen soll. Dabei ist ein Umzug eine Angelegenheit, die wirklich jeder erledigen kann. Da gibt es keinen Grund, nervös zu werden. Allerdings: Wenn auf einem Umzug mal etwas kaputtgeht, oder vielleicht auch etwas mehr, dann findet sich oft schnell jemand, der sagt: »Tja, dreimal umgezogen ist eben wie einmal abgebrannt.«

Diesen Spruch kennt fast jeder. Dabei stimmt er gar nicht. Der Spruch beschreibt weder die Arbeit der Profis noch die der Amateure korrekt. Einmal abgebrannt ist viel schlimmer.

Aber es gibt sie, diese falschen Sprüche, die sich hartnäckig dem Vergessen widersetzen. Lemminge begehen kollektiven Selbstmord, die natürliche Selektion beruht auf Zufall, der Erdschatten verursacht die Mondphasen, dreimal umgezogen ist wie einmal abgebrannt. Das alles sind Vorstellungen, die auf einem falschen Verständnis der Wirklichkeit beruhen. Und weil es mich bei meiner Arbeit persönlich betrifft, will ich wissen, wo dieser doofe Spruch über das Umziehen herkommt. Zwei Minuten Internetrecherche schaffen Klarheit: Der Spruch wird Benjamin Franklin zugeschrieben. Der Mann hat den Blitzableiter erfunden. Noch Fragen?

Wenn es im 18. Jahrhundert bei Erfinders zu Hause brennt, dann hat das nichts mit den Experimenten des Hausherrn zu tun, dann sind, na klar, die Umzugshelfer schuld. Einigen wir uns doch bitte auf Folgendes: Wir streichen den Spruch aus unserem Repertoire für jetzt und alle Zukunft, und ich erkläre Ihnen, wie Sie Ihren Umzug bewältigen können, ohne dass auch nur das kleinste Glimmen einer Zigarette in Ihnen die Angst vor dem Feuer auslöst.

Ein Umzug mag für viele Leute aussehen wie eine ungeheure Aufgabe, aber eigentlich ist ein Umzug so eine Art Scheinriese, wie Herr Tur Tur aus Jim Knopf. Von Weitem sieht er gigantisch aus, aber je näher man ihm kommt, desto kleiner wird er, bis man ihm gegenübersteht, und dann ist er nicht mehr sonderlich beeindruckend. Ich werde versuchen, Sie Schritt für Schritt an den Scheinriesen heranzuführen, bis Sie merken, was für einen Winzling Sie da in Wirklichkeit vor sich haben. Ich kann ja alle verstehen, die einen Umzug für ein großes Unterfangen halten, aber glauben Sie mir: alles halb so wild. Ich habe das jahrzehntelang gemacht und es wurde nicht nur Routine, es wurde sogar stinklangweilig. Sie werden lachen, Ihren Umzug schaffe ich mit den Kollegen zusammen mit links. Mich dazu aufzuraffen, in meiner Küche den Abwasch zu machen, bereitet mir wesentlich größere Schwierigkeiten. Ob Sie eine Spedition engagieren, oder ob Sie Ihren Umzug mit der Hilfe Ihrer besten Freunde erledigen wollen: Es gibt eine Menge an Sachen, die man bedenken muss, damit die ganze Angelegenheit ohne Probleme und ohne Schäden an Mensch und Material über die Bühne geht. Aber das ist keine Wissenschaft, das ist alles eigentlich ganz einfach.

Mit diesem Buch will ich Ihnen zeigen, auf was zu achten ist, wenn Ihr Umzug zu keiner unangenehmen Erfahrung werden soll. Anhand der Geschichten, die ich Ihnen erzähle, werden Sie sehen, dass all das, was auf einem Umzug passieren kann, nicht nur Ihnen passiert, sondern anderen Menschen auch, und dass es aber auch für alles eine Lösung gibt. Anhand der Tipps, die ich Ihnen gebe, können Sie sehen, wie sich Probleme vermeiden lassen. Ja, es geht auch mal was schief, aber das ist meistens weniger schlimm, als es am Anfang aussieht. Darum möchte ich Sie, bevor ich anfange, noch bitten, dass wir uns auf ein Motto einigen. Ein lieber Kollege brachte das immer gerne, wenn er angesichts vermeintlicher Schwierigkeiten gemütlich ins Grinsen kam, er hat den Spruch sozusagen etabliert: Wir dürfen jetzt nur nicht die Nerven verlieren!

Karsten Wollny

1

WER BRAUCHT SCHON EINE SPEDITION!

Als ich vor vielen Jahren an einem Morgen auf dem Weg zur Elbe durch mein Viertel spazierte, begegnete ich in einer Seitenstraße meinem alten Freund Klaas, den ich lange nicht gesehen hatte und der dabei war, ein Lastenfahrrad zu bepacken. Das war so eine Art Dreirad mit einem riesigen Kasten zwischen den Vorderrädern, an dessen hinterem oberen Ende die Lenkstange befestigt war. Klaas hatte darin schon fünf Umzugskartons und ein paar kleinere verstaut sowie einen Rucksack, drei Taschen, Regalbretter, ein zerlegtes Futongestell, Tischbeine und einen Teppich. An der Seite ragten Regalaufsteller schräg nach hinten heraus.

»Willst du umziehen?«, fragte ich, nachdem wir uns begrüßt hatten.

»Das hast du gleich erkannt, was?«

»Klar, ich bin ja vom Fach.«

»Na, dann fass mal mit an.«

Gemeinsam holten wir aus der Wohnung die Reste für seinen Umzug in eine Land-WG, etwas mehr als fünfzig Kilometer entfernt im Norden von Hamburg. Ein paar Holzteile und Taschen stopften wir noch in die letzten kleinen Lücken, dann kam eine Tischplatte auf die Kartons, auf die wir noch einen Sessel und die Futonmatratze packten. Alles festbinden, Plane drüber – fertig. Klaas schob das Rad auf die Straße, lief in eine Toreinfahrt und kam mit einem Anhänger zurück, den er an das Lastenrad hängte. Auf dem Hänger hatte er noch zwei Werkzeugkisten und, ich glaubte es kaum, ein komplettes Schlagzeug (extrem zerlegt), zwei Gitarren und einen kleinen Verstärker. Der Mann hatte seinen Hausstand hochprofessionell in ein kompaktes Format gebracht und verpackt. Besser ging nicht.

Staunend bewunderte ich sein Werk, da befürchtete ich plötzlich, dass er mit dem ganzen Gewicht niemals an einem Tag in der WG ankommen würde. Aber dann bemerkte ich die Gangschaltung: drei Kettenräder und sieben Ritzel. So was hatten damals höchstens Mountainbikes. Aber nicht bei Klaas. Der war Bastler. Als er im Sattel saß nickte er mir zu. »Komm mal vorbei.«

Ich grinste. »Wenn dich unterwegs einer von der Morgenpost sieht, dann bringen die morgen dein Foto.«

»Na, wenn sie’s brauchen.«

Klaas war es egal, ob irgendwelche Leute das kurios fanden, was er da tat. Leute zum Beispiel, die mit Fahrrädern auf dem Dach Auto fuhren. Klaas war leidenschaftlicher Radfahrer (seine anderen Räder würde er nach und nach abholen), und ein Auto hatte er nie besessen. Er hatte ja nicht einmal einen Führerschein. Da fand ich die Art, wie er seinen Umzug erledigte, nur konsequent. Er selbst sah das wahrscheinlich anders. Auto besorgen, Fahrer besorgen, herumtelefonieren, Termine machen – alles viel zu umständlich. Klaas packte einfach seinen Kram zusammen und fuhr los. Der wäre auch drei- oder viermal gefahren, wenn das nötig gewesen wäre, dessen war ich mir plötzlich bewusst, als ich ihm nachblickte, wie er die Straße hinunterfuhr.

Ein gutes halbes Jahr später rief mich der Vater eines Freundes an, den ich schon seit frühester Jugend kannte. »Du, Karsten«, sagte er. »Ich habe einen Job für dich.« So wie manche Väter eben mit den Freunden ihrer Söhne reden. Umziehen wollten seine Frau und er. Den riesigen Haushalt, den ich seit Jahrzehnten kannte, mit all seinen wertvollen Antiquitäten, wertvollen Bildern an den Wänden und allem teuren Geschirr, das die Mutter seit Ewigkeiten sammelte, wollten die mit mir und »ein paar Freunden« an einem Tag erledigen.

»Natürlich bereiten wir das schon vorher vor.«

Natürlich. Wahrscheinlich hatte er den Freunden gesagt, oder würde das noch tun, dass das alles ganz schnell gehen würde, weil er ja einen vom Fach kennt. In Gedanken lief ich durch das Haus der Familie, in dem eine fünfköpfige Geschwisterschar natürlich zahllose Dinge aus Kindheit und Jugend nach dem Auszug zurückgelassen hatte. Ich schätzte die Menge des Transportgutes aus der Erinnerung auf achtzig bis über hundert Kubikmeter, also zwei bis drei große Lkws voll.

»Das wird nichts«, sagte ich. »Das mache ich nicht.«

»Wieso nicht?«, fragte der Vater des alten Freundes. »So schlimm ist das doch nicht.«

Oh ja, er hatte als Student auch mal bei einer Umzugsfirma gearbeitet, so etwa vor vierzig bis fünfzig Jahren. Das hatte ich mal mitbekommen.

»Also nicht, dass ich Ihnen nicht helfen will, aber das ist zu viel für ein paar Freunde.«

»Meinst du?«

»Da brauchen Sie zehn Profis. Und außerdem ist ja alles, was Sie haben, total wertvoll. Das machen Ihnen Amateure nur kaputt.«

»Ach was!«

»Doch, doch! Wenn sie eine Spedition nehmen, dann ist das alles versichert, und außerdem wissen die, wie das geht«, sagte ich.

Er versuchte noch ein bisschen, mich umzustimmen, aber ich konnte ihm schließlich klarmachen, dass für einen Umzug in dieser Größenordnung eine Fachspedition das Beste ist. Ich erzählte noch ein bisschen über verschiedene Angebote, die er sich einholen solle und anderes, was er beachten solle, dann verabschiedeten wir uns.

Er hat dann zwar nicht die Firma genommen, in der ich arbeitete, weil eine andere ein attraktiveres Angebot erstellte, aber zwei Monate später meldete er sich trotzdem noch einmal, um sich zu bedanken. »Du hast ja so recht gehabt«, sagte er. »Ich hatte das völlig unterschätzt.«

»Na, dann war es doch schön, dass sie jemanden vom Fach kennen.«

ÜBERLEGEN SIE SICH VOR IHREM UMZUG SORGFÄLTIG, ob Sie eine Spedition brauchen oder nicht. Zweihundert Kartons kann man auch mit Freunden transportieren (oder nach und nach auf dem Fahrrad), kommen jedoch teure Möbel und wertvolles Porzellan dazu, dann sollte man zweimal nachdenken.

Holen Sie Angebote ein, selbst wenn Sie eigentlich mit Freunden umziehen wollen. Ein Angebot kostet nichts und verpflichtet zu nichts. Sie wissen dann, was möglich ist. Wenn zwei verschiedene Akquisiteure für Ihren Umzug acht oder zehn Stunden mit fünf oder sechs Mann (Profis!) veranschlagen, dann ist vielleicht der Punkt erreicht, an dem Sie die Idee, nur mit Freunden zu arbeiten, fallen lassen sollten. Wägen Sie ab, Sie kennen Ihre Freunde!

Ist Ihnen Ihr Mobiliar nicht so sehr ans Herz gewachsen wie einem Antiquitätenhändler, betrachten Sie es eher als Gebrauchsgut, dann können Ihre Freunde nicht viel falsch machen.

2

KEINE ANGST VOR FREMDEN MÄNNERN!

Angeblich weiß jeder, was er am 11. September 2001 gemacht hat. Ich weiß sogar noch, was ich gemacht habe, als der erste Teil von Der Herr der Ringe ins Kino kam. Ich saß in der allerersten Vorstellung nachmittags um vier im fast leeren Kino um die Ecke und hatte eines der tollsten Kinoerlebnisse meines Lebens. Mit meiner Abscheu vor allem, was mit Fantasy zu tun hat und dem ganzen Quatsch, der damit zusammenhängt, konnte ich mich während des Filmes nicht befassen, denn Peter Jackson und seine Crew haben mich geplättet. Lange Jahre hatte ich beim Betrachten eines Filmes nicht mehr so gestaunt, und es war mir völlig egal, dass ich da nur Blödsinn zu sehen bekam. Was interessierte es mich, wie dämlich Fantasy im Allgemeinen war, wenn jemand die Gesetze des Genres so toll kapiert hatte und mir diesen Meilenstein des Films präsentierte? Nach der Vorstellung ging ich in die Stammkneipe, traf einen filmbegeisterten Freund, erzählte ihm immer noch völlig verstrahlt, wie geil das war, hörte ihn rufen: »Sag nichts, ich will da morgen hin!«, und sagte: »Ich komm noch mal mit.«

Und dann ging irgendwann diese entsetzlich doofe Diskussion los, an welchen Stellen sich Peter Jackson nicht an die Vorlage gehalten hätte. Als könne man Vorlage und Film immer vergleichen!

An einem langweiligen Sonntagmorgen wühlte ich mich irgendwann das erste Mal durch Filmbesprechungen und Kundenrezensionen im Internet. Die Buchfans interessierten sich selten für das filmische Vorgehen, sondern sprachen meistens über das, was sie aus der Vorlage vermissten. Fehlte nur noch, dass jemand schrieb, er hätte das Drehbuch besser gefunden als den Film. Als ich später auf der Internet Movie Database die schlechten Rezensionen zu PulpFiction las, fragte ich mich, ob diese Leute und ich den gleichen Film gesehen hatten. Da wurde John Travoltas brillante Darstellung auch mal als »überzogenes Grimassieren« bezeichnet, genauso wie Nicolas Cages Leistung in Adaption (wo er endlich mal eine andere als immer die gleiche Rolle spielt) als »unbeholfenes Gestümper«.

Während ich noch etwas stöberte und mich wunderte, wie einige Leute Filme sehen, kam mir eine Idee. Ich googelte Kommentare und Besprechungen von Kunden zu Umzugsfirmen, die ich kannte, und plötzlich wurde es sehr interessant, denn jeder Mensch erfährt jedes Geschehen ein wenig anders als andere Menschen, das hatte ich ja schon bei den Filmbesprechungen gelesen, und man kann das auch sehen, wenn man Besprechungen seiner Lieblingsbücher oder seiner Lieblingsmusik liest. Wenn es um Speditionen geht, die man kennt, dann wird es auch mal lustig.

Wenn ein Kunde schreibt, die Möbelpacker hätten ihm »jeden Wunsch von den Augen abgelesen«, dann kann das auch heißen, dass hochprofessionelle Arbeiter sich gerade noch nicht beschwert haben, als sie von einem ewig nörgelnden Kunden zu noch einer und noch einer unvereinbarten Extraleistung genötigt wurden.

»Die Männer der Spedition waren äußerst unhöflich« kann ebenso heißen, dass die Möbler dann eben doch mal in aller Höflichkeit sachlich darauf hingewiesen haben, dass für diese und jene Extraarbeit vielleicht ein Aufpreis anfallen könnte.

Der eine Kunde beschwert sich, dass sein »kleiner« Umzug ganze zehn Stunden gedauert hat, der andere jubelt, wie rasend schnell seiner erledigt wurde, und beide hatten die gleiche Menge.

Der eine Kunde findet es nett, wenn ein Möbelpacker beim Einpacken der Bücher eine Frage zu einem Buch äußert, der andere schreibt dazu, die Möbelpacker hätten völlig indiskret »in den Regalen geschnüffelt«.

Man muss das alles nicht besonders ernst nehmen, was man da liest. Es gibt ja auch Leute (kein Witz!), die bewerten Klopapiermarken im Netz.

Ich amüsierte mich an jenem Sonntagmorgen beim Lesen dieser Texte, weil ich die betroffenen Speditionen kannte, als plötzlich mein Telefon klingelte.

Mein alter Freund Michael war dran, den ich noch aus vormöblistischen Zeiten kannte, in denen wir zusammen durch die Kneipen unseres Viertels gezogen waren.

»Karsten«, sagte er, »du musst mir helfen!«

»Was ist denn los?«, fragte ich.

»Du kennst doch diese nette alte Frau aus dem ersten Stock bei mir. Die ist völlig mit den Nerven fertig, weil die umziehen muss.«

»Ja, und was soll ich da machen?«

»Wir müssen mal zu der hin und mit der reden. Die weiß ja gar nicht, wie sie das wuppen soll.«

»Wie jetzt?«, fragte ich. »Soll ich der ihren Umzug machen?«

»Nee«, sagte Michael. »Die braucht nur mal einen, der mit ihr redet und ihr das erklärt. Die weiß überhaupt nicht, wo ihr der Kopf steht.«

»Und wann soll das sein?«, fragte ich.

»Äh … Nachher irgendwann«, sagte Michael.

»Geht’s noch?«

»Ach komm, ich geb auch ein Bier aus, oder zwei.«

»Drei«, sagte ich, und dann saß ich eine halbe Stunde später auf meinem Fahrrad und fuhr zu einem alten Freund, um mit ihm zusammen seiner alten Nachbarin bei den ersten Fragen zu helfen, die ihren Umzug betrafen. Ob ich in meinem Leben noch mal was anderes machen würde, fragte ich mich auf dem Weg. Ich verdiente ja schon in meinem Job wenig genug. Und jetzt verschenkte ich auch noch meinen Sonntag, um alten Damen, die ich gar nicht kannte, gratis Rat zu erteilen?

Aber es kam natürlich ganz anders. Nicht im engen, überheizten Wohnzimmer mussten wir bei lauwarmem Kaffee und schrecklich überzuckertem Kuchen sitzen, sondern leckeres Gulasch (»Ich koch uns mal eben schnell was«) und Likörchen gab es als verspätetes Mittagessen bei Michaels Nachbarin, deren Mann vor so circa zwanzig Jahren verstorben war.

»Damals hat er sich ja um alles gekümmert«, sagte die alte Dame, sinnierend aus dem Fenster schauend. »Ich weiß ja gar nicht, wie man solch einen Umzug organisiert, und ich habe da schreckliche Angst vor.« Solch ein nervliches Wrack, wie Michael gemeint hatte, schien sie mir gar nicht zu sein; dass sie Rat bräuchte, war mir trotzdem klar, schon bevor sie fragte: »Ja, wie macht man das denn nun eigentlich?«

Frau Behrens, so hieß sie, hatte die letzten vierzig Jahre in derselben Wohnung gewohnt, gut die Hälfte davon mit ihrem Mann. Nun war die Miete zu teuer geworden, und irgendwie hatte sie irgendwo eine neue Wohnung gefunden. Sie hatte kein Internet, sie hatte kein Handy, sondern ein altes Telefon mit mechanischer Wählscheibe, und sie hatte fast keine Freunde mehr. Vor allem hatte sie keine Ahnung, wie man eine Umzugsspedition engagiert.

»Wenn mein Herbert noch da wäre«, sagte sie. »Aber so habe ich doch ein bisschen Angst. Man liest ja so viel.«

Inzwischen hatte sie Gulasch aufgetischt, und wir ließen es uns schmecken.

»Vielleicht können wir das einfach so machen«, schlug ich vor. »Ich bringe ein paar Kollegen mit, und dann geht das schon.«

»Nein, nein«, sagte Frau Behrens. »Das muss schon alles seine Richtigkeit haben.«

»Aha«, sagte ich.

Während ich leckerstes Gulasch mampfte, wurde es mir klar. Diese Frau wusste, in welchem Feinkostladen um die Ecke sie am besten bedient wurde. Sie kannte die Läden in ihrer Umgebung, in denen sie sich mit dem Alltäglichen versorgen konnte. Sie hatte auch irgendwann gelernt hinzunehmen, dass die kleine Postfiliale in ihrer Straße geschlossen worden war und dass sie jetzt einen längeren Weg in Kauf zu nehmen hatte, wenn sie ein Paket aufgeben wollte. Wie sie eine Spedition für ihren Umzug finden sollte, hatte sie nie gelernt. Nur mal gelesen hatte sie darüber, in ihrer Zeitung, und hatte im Fernsehen gesehen, was einem Schlimmes passieren konnte, wenn man an Nepper, Schlepper, Bauernfänger geriet. Und natürlich hatte sie Angst, dass ihr die falschen fremden Männer ins Haus kamen, wo sie doch keinen Mann mehr hatte, der sie beschützte.

Im Grunde hatte sich seit ihrer medialen Sozialisation vor vielen Jahren und den Warnungen, die man heutzutage im Internet finden konnte, nichts geändert. Überall hieß es immer: Passt auf, dass ihr nicht beschissen werdet, denn die Welt da draußen ist voller Ganoven.

»Ich habe solche Angst, betrogen zu werden«, sagte Frau Behrens. »Und ich weiß ja auch gar nicht, was so was kostet.«

Ich nahm den Pfefferstreuer, ließ Pfeffer über das leckere Gulasch rieseln und schob mir eine volle Gabel in den Mund. »Haben Sie ein Branchenbuch?«

WENN SIE AUF DER SUCHE NACH EINER GEEIGNETEN SPEDITION FÜR IHREN UMZUG SIND, dann lassen Sie die Bewertungen im Internet außen vor. Nicht einmal die Hälfte von dem, was Kunden da schreiben, ist für Sie brauchbar, denn jeder Depp kann da seinen Senf abgeben. Wer das nicht glaubt, der lese bitte Kommentare auf YouTube.

Auch eine Website ist nicht immer ein Garant für Seriosität, denn einen Auftritt im Netz kann ja wohl jeder hinlegen, und sei es von einem Server in Tuvalu aus. Wenn Sie ernsthaft suchen, dann beziehen Sie das gute alte Analoge in Ihre Suche mit ein. Ein Auftritt in einem Branchenbuch ist teurer als einer im Internet. Wenn Sie zufällig ein Branchenbuch von vor zehn Jahren entdecken, werfen Sie einen Blick rein! Was, die Firma mit dem verlockenden Angebot gab es schon damals? Ein Pluspunkt! Fragen Sie Freunde und Bekannte, deren Urteil können Sie wesentlich besser einschätzen als das von »Zoppelgnu«, »Maneater« und »Dieter 123« aus irgendwelchen Foren im Netz.

Machen Sie niemals, ich wiederhole: niemals, einen Vertrag mit einer Firma, von der sie nur eine Handynummer haben, egal, wie verlockend das Angebot erscheint. Vielleicht gibt es diese Firma gar nicht wirklich und die Adresse, die man Ihnen mitteilt, ist nur ein Briefkasten an einem Baum im dunklen Mittelgebirgswald. Im Ernst: Ohne einen Festnetzanschluss keine seriöse Firma! Sie können die Adresse, die Sie vielleicht erhalten haben, auch googeln. Schauen Sie bei Google Maps oder Google Earth, ob da Lkws rumstehen oder zumindest so etwas wie Bürogebäude (nicht alle Speditionen parken ihre Lkws beim Büro). Machen Sie sich schlau. Zehn, zwanzig Minuten Internetrecherche können eine Menge Ärger ersparen!

3

WIE GROSS IST EIGENTLICH EIN TIER?

Mit zwei alten Freunden saß ich am frühen Abend in der Kneipe. Zwei Bier hatten wir jeder getrunken, das dritte stand vor uns, als uns das Geld ausging. Anschreiben lassen konnte keiner von uns, unsere Zettel waren voll und der Wirt darüber nicht besonders erfreut.

Als ein junger Typ den Laden betrat, hellten sich die Gesichter meiner Freunde auf.

»Hey, Johannes!«, riefen sie. Der junge Typ war ein gemeinsamer Bekannter der beiden und ihren Gesichtern entnahm ich, dass da vielleicht was zu holen wäre. Johannes bestellte sich ein Bier und nahm an unserem Tisch Platz. Sogleich wurde er von Martin und Daniel (so hießen die beiden) ins Gespräch verwickelt. Wie es denn ginge und was denn so liefe und so weiter. Ja, meinte Johannes, den ganzen Tag hätte er gedaddelt, also Computerspiele gespielt, und jetzt hätte er Durst, und sonst sei irgendwie auch alles beim Alten. Im Kino sei er gewesen, um den Hobbit zu gucken und außerdem den neuen Bond und den neuen Bourne »mit diesem Jeremy Renner«, aber der sei doof gewesen, na ja und Prometheus war ja auch irgendwie scheiße.

»Ich fand den gut«, sagte Daniel.

»Geht so«, sagte Martin.

»Der hat doch tolle Bilder«, sagte Daniel.

»Aber diese Story«, meinte Johannes. »Das ist doch alles total peinlich.« Ein bisschen diskutierten die drei noch über den Film, dann fragte Johannes, ob einer von uns The Raid gesehen hätte. Hatte aber keiner, und Johannes schwärmte uns vor, was für ein Martial-Arts-Kracher das wäre, auch wenn er nicht an den Charme klassischer Kung-Fu-Filme herankäme, wobei besonders die alten Hongkong-Produktionen der Shaw Brothers zu erwähnen seien.

»Gib mal einen aus«, sagte Martin, als unsere Biere alle waren, aber Johannes zierte sich. »Ich muss sparen.«

»Stell dich nicht so an, wir haben Durst«, sagte Daniel, aber Johannes blieb stur, also bearbeiteten die beiden ihn noch ein bisschen, allerdings ohne Erfolg.

»Worauf musst du denn sparen?«, fragte Martin.

»Ich will umziehen«, sagte Johannes. Martin und Daniel sahen mich an. Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin inkognito hier«, versuchte ich, mit dem Blick zu sagen.

»Dein Umzug wird ja wohl nicht an ein paar Bier scheitern«, sagte Daniel.

»Nichts da«, sagte Johannes. »Ich brauch das Geld, ich will da raus.«

»Wieso eigentlich?«, fragte Martin.

»Ach, Marcus geht mir immer mehr auf die Nüsse, spielt sich da immer als Chef auf, und außerdem wird mir das da langsam zu eng.«

Plötzlich hatte ich eine Idee. »Wie viel hast du denn für den Umzug schon gespart?«, fragte ich.

»Fünfhundert«, sagte Johannes. Ich unterdrückte ein Grinsen. »Lass uns mal etwas probieren«, schlug ich vor. Ich hatte drei Bier getrunken, ich war in Stimmung für einen Spaß. »Gib mir mal deine Hand«, sagte ich.

»Was?«

»Na, gib mal.«

Johannes reichte seine Hand über den Tisch. Ich griff seinen Handrücken mit meiner Linken, drehte seine Hand nach oben und legte meinen Daumen in ihre Mitte. Dann bedeutete ich Johannes mit einer Geste, etwas nach vorn zu kommen. Ich legte ihm meinen rechten Handballen an die Stirn und Ring- und Mittelfinger auf die Fontanelle. Den Daumen legte ich an seine Schläfe. »Schließ die Augen!«, befahl ich dem Verblüfften, während ich die amüsierten Blicke von Daniel und Martin bemerkte. Dann schloss ich selbst die Augen und gab vor, mich zu konzentrieren. Ja, ein bisschen konzentrierte ich mich tatsächlich.

Ich hatte immer wieder mit Freunden und Bekannten zu tun, die tatsächlich an Wahrsagerei glaubten. »Du, der hat mir Sachen gesagt, die konnte er gar nicht wissen!« Leute aus meinem weiteren Bekanntenkreis gingen natürlich nicht auf den Jahrmarkt, die besuchten Schamanen. Der Effekt ist der gleiche, das wusste ich, nachdem ich mich über Cold Reading schlaugemacht hatte. Und selbst wenn meine Fähigkeiten darin auch eher bescheiden sind, brauchte ich bei diesem Typen eigentlich nur zu raten. Die Trefferquote würde deutlich über fünfzig Prozent liegen, schließlich machte ich seit über zwanzig Jahren Umzüge.

Ein Mann Mitte zwanzig, der mit einem anderen zusammenwohnte, der sich als »Chef« aufspielte, das hieß aller Wahrscheinlichkeit nach: Waschmaschine und Kühlschrank sowie das meiste Geschirr in der Küche gehörten dem »Chef«, dem Hauptmieter. Das würde ihm da zu eng, hieß, dass jeder ein Zimmer hat, dass die Wohnung klein ist. In ein Zimmer passt nicht viel persönliches Gut hinein, und wenn einer die alten Klassiker der Shaw Brothers kennt, dann liest er vielleicht auch nicht besonders viel, weil er ja obendrein den ganzen Tag noch Computerspiele daddeln muss, also gibt es auch nicht besonders viele Bücher.

»Hm …«, machte ich. »Ich sehe ein Zimmer mit einem Bett, einem Schreibtisch und einer Kommode. Nein, warte …« Ich zögerte. Das gehört dazu. Unschärfen lassen, sich schwammig ausdrücken, nie sich wirklich festlegen, dann kann man auch nicht festgenagelt werden. »Es könnte auch ein Schrank sein.«

»Ein Schrank«, sagte Johannes.

»Auf jeden Fall etwas für die Klamotten«, sagte ich. Wenn man seinen Gegenüber erst einmal so weit hat, dass er mitmacht, dann verrät er einem alles, was man nicht weiß.

»Ich sehe eine umfangreiche Filmsammlung«, sagte ich, und wenn ich richtig gut, also physisch sensibel gewesen wäre, dann hätte ich Johannes’ Zustimmung bis in seine Handfläche hinein gespürt. Ich nahm meine Rechte von seinem Kopf, behielt aber seine in meiner Linken. Ich sah ihn an.

»Du hast ein Bett, einen Kleiderschrank, einen Schreibtisch, einen Computer, eine DVD-Sammlung und kaum Bücher, dazu noch ein bisschen Kleinkram und vielleicht ein Beistelltischchen oder so was. Du wirst etwa zwanzig, höchstens dreißig Umzugskartons brauchen und wir können heute Abend mindestens zweihundertfünfzig Euro versaufen.«

Während Daniel und Martin in Gelächter ausbrachen, starrte er mich entgeistert an. »Woher weißt du das?«

Martin winkte dem Wirt, um bei ihm vier Bier und vier Tequila zu bestellen.

»Wir machen das so«, sagte ich. »Du gibst mir zweihundert Euro, und ich mache mit dir den Umzug, ich bringe sogar den Lkw mit. Vielleicht hast du noch ein, zwei Freunde, die dir helfen, aber die sind nicht wirklich wichtig.«

»Karsten ist nämlich Möbelpacker«, sagte Daniel.

»Und Hellseher«, fügte Martin hinzu.

Zweihundertfünfzig Euro haben wir an dem Abend nicht mehr versoffen, aber die Rechnung ging deutlich Richtung hundert. Als Johannes angeschlagen genug war, um sich von mir über das Cold Reading aufklären zu lassen, war er auch belustigt genug, mit Getränken nicht zu geizen.

Ich habe dann Wochen später mit ihm seinen Umzug gemacht. Das war eine lächerlich geringe Angelegenheit, die kaum bis vierzehn Uhr gedauert hat, und fast schon hätte ich es als zu viel empfunden, zweihundert Euro von ihm zu kassieren. Aber immerhin habe ich ihn ja mit dem Gefühl zurückgelassen, dreihundert Euro gespart zu haben.

»SAG MAL, WAS KOSTET EIGENTLICH SO EIN UMZUG?« Diese Frage musste ich oft in meinem Leben hören, dabei ist sie genauso sinnlos wie die Frage nach den Kosten einer Reise oder wie die Frage: »Wie groß ist eigentlich ein Tier?«

Aus der Bücherhalle habe ich mir mal eine DVD übers Tapezieren geliehen. Im Ernst! Ich fand alleine schon die Idee so komisch, dass ich die einfach mitnehmen musste. Da hieß es dann: »Die Menge der zu verarbeitenden Tapete hängt zunächst einmal von der Größe der Wände ab.« Hammer! Aber es ist wirklich so. Jeder Umzug ist anders, und die Höhe des Preises hängt zunächst einmal von der Menge des Umzugsgutes ab. Aber nicht nur. Viele andere Dinge sind zu berücksichtigen. Ein Umzug vom Erdgeschoss ins Erdgeschoss ist natürlich billiger als einer vom fünften Stock in den fünften. Kann der Lkw direkt vor der Tür geparkt werden, oder müssen da viele, viele Meter Weg zurückgelegt werden? Das alles spielt eine Rolle. Je mehr Besitz Sie angehäuft haben, desto dringlicher wird eine genaue Kalkulation durch einen Profi. Holen Sie also rechtzeitig Angebote ein, und zwar mehrere. Da kommt dann einer und guckt sich das an. Hören Sie niemals auf »Profis«, die meinen, einen Preis nennen zu können, ohne sich einen Überblick verschafft zu haben. Diesen Überblick können die sich natürlich auch verschaffen, wenn Sie am Telefon oder per Internet genaue Angaben über alles machen. Aber immer gilt: je pauschaler, desto unsicherer.

Und selbst wenn Sie nur mit privaten Helfern umziehen, kostet nicht jeder Umzug das Gleiche oder gar »nichts«. Was kostet zum Beispiel der Miet-Lkw? Welches Material wie Kartons und Packseide brauchen Sie? Und müssten nicht eigentlich die Helfer auch ein bisschen verpflegt werden? Das alles sind Kostenpunkte, über die Sie sich rechtzeitig klar werden müssen. Da müssen Sie vorher rechnen, denn es gilt: Jeder Umzug hat seinen eigenen Preis. Pauschale Aussagen gibt es nicht.

4

GESUNDE SKEPSIS IST WERTVOLL

»Ich hatte ja noch ein wesentlich billigeres Angebot als das von eurer Firma«, sagte unsere Kundin, als wir mit ihr in der Sonne auf ihrem breiten Balkon saßen und das Frühstück genossen, das sie uns bereitet hatte. Dazu hatte sie Kirschen vom Markt mitgebracht. »Hier«, hatte sie gesagt und sich selbst eine in den Mund gesteckt, damit in ihren Augen die Lebensfreude aufblitzen konnte. »Die müsst ihr unbedingt probieren. Sind die nicht lecker?« Ich fühlte mich wohl. Eine Kundin oder ein Kunde, die ihre positive Einstellung zum Leben an andere weitergaben, waren immer das Beste, was einem passieren konnte.

»Und wieso haben Sie nicht die billigere Firma genommen?«, fragte Kollege Otis mit einem Hackbällchen in der einen und einem Löffel mit Salat in der anderen Hand.

»Ich weiß auch nicht«, sagte die Kundin.

»Wie viel billiger waren die denn?«, fragte Kollege Sunny, der sorgfältig Kräutersalz über einem Frühstücksei verstreute.

»Das war ja das Komische«, sagte die Kundin. »Ihr wart ja schon billig im Vergleich zu anderen, aber der hat noch mal fünfhundert Euro weniger verlangt.«

»Fünfhundert?«, fragte Kollege Ludwig erstaunt. Vier Möbelpacker sahen einander an.

»Ja«, sagte die Kundin. »Irgendwie kam mir das auch komisch vor, aber das ist ja auch eine Menge Geld, die man da sparen kann, und vielleicht hätte ich das sogar gemacht. Aber dann war da noch der Akquisiteur von denen.«

»Was war mit dem?«, fragte ich.

»Also eurer, der kam mir einfach kompetenter vor. Der hat sich das alles angeguckt und mir erklärt, was das alles im Einzelnen kostet und welchen Aufwand das macht und so. Der hat mir haargenau alles erklärt und aufgelistet. Der wusste sogar fast genau, wie viele Kartons ich brauchen würde. Der von der anderen Firma, der ist nur einmal kurz durch die Wohnung gegangen und hat mir dann einen Preis gesagt.«

»Das geht ja gar nicht«, sagte Otis. Ein Akquisiteur, der meint, er kann nach zehn Minuten in der Wohnung einen Komplettpreis ansagen, der kann nicht seriös sein. Dafür gibt es viel zu viele Dinge zu berücksichtigen. Da muss aufmerksam betrachtet werden, da muss geklärt werden, was der Kunde selber machen wird, ob er zum Beispiel Schränke selber auseinanderbauen will oder ob er selber alles verpacken will, da muss ausgerechnet werden, wie viele Kartons und anderes Packmaterial gebraucht werden. Das geht nicht in einer Viertelstunde.

»Und außerdem war mir der Mann von der anderen Firma unsympathisch«, sagte die Kundin.

»Wie, unsympathisch?«, fragte Sunny.

»Ich weiß auch nicht. Nicht, dass der ausgesehen hätte wie der letzte Penner. Und irgendwie war der Preis ja auch sehr verlockend, aber ich mochte den Mann einfach nicht. Keine Ahnung, das war so ein Bauchgefühl.«

»Ich glaube, Sie haben das ganz richtig gemacht«, sagte ich. Ich hatte eine Idee, was sie mit ihrem Bauchgefühl meinte. Ich hatte zwar noch nie in meinem Leben den Akquisiteur einer Möbelspedition bei mir zu Hause, aber ich hatte andere Leute getroffen.

Da war mal ein Typ gewesen, den ich kennengelernt hatte, als er als Aushilfe in den Möbeln gearbeitet hatte. Das war eigentlich ein netter Kerl gewesen, und er hatte mir sogar bei ein paar Problemen mit meinem Computer geholfen. Insgesamt hatten wir uns gut verstanden und zusammen Spaß bei der Arbeit gehabt. Aber dann war er eines Abends bei mir aufgetaucht, weil er wohl gerade in der Gegend war und einfach mal vorbeischauen wollte. Ich wollte am nächsten Tag für zwei Wochen mit Freunden zusammen verreisen, und ich hoffte, dass sich das noch nicht bis zu ihm herumgesprochen hatte, denn er war gerade wohnungslos. Als wir so bei mir zusammensaßen, befürchtete ich plötzlich, er würde mich fragen, ob er in den zwei Wochen in meiner Wohnung wohnen könne. Ich hatte plötzlich eine totale Abneigung gegen die Idee und überlegte, wie ich ihn loswerden konnte. Natürlich fand ich das auch unfair von mir. Er war bei meinen Computerproblemen hilfsbereit gewesen, und ich hatte nichts anderes im Kopf, als ihn für die nächsten zwei Wochen aus meiner Wohnung herauszuhalten. Aber ich hatte es auch, dieses »Bauchgefühl«. Ich wollte nicht, dass der bei mir wohnte. Ich konnte es mir nicht erklären, es war einfach da.

Glücklicherweise tauchte dann eine Exfreundin von mir auf, die um die Ecke wohnte und fragte, ob sie mal schnell bei mir ins Internet könne. Mit dem Rücken zu uns saß sie an meinem Schreibtisch und ich wusste, wie ich den Typen loswerden konnte, bevor er Fragen nach Wohnraum stellen könnte. Mit den Augen deutete ich auf meine Ex, machte anzügliche Gesten und schielte Richtung Wohnungstür. Er begriff genau das, was ich ihm suggerierte, grinste, machte sich auf den Weg und ich war ihn los.

Nachdem ich es der Ex erklärt hatte, sagte sie, es wäre ihr eine Freude, mir behilflich gewesen sein zu können. Ein paar Monate später hörte ich dann, wie der Typ andere so sehr um Geld beschissen hatte, dass er sich auf der Flucht vor denen einen Lebensraum in anderer Stadt gesucht hat, und ich wusste, dass es richtig gewesen war, auf mein Gefühl zu hören.

»Ich weiß ja nicht, ob ich dem Akquisiteur nicht unrecht getan habe«, sagte unsere Kundin. »Es war ja nur so ein Gefühl von mir gewesen. Aber dann habe ich da noch im Fernsehen so einen Bericht gesehen, von Leuten, die von irgendwelchen Billiganbietern bei ihrem Umzug abgezockt worden sind. Die hatten da erst einen total günstigen Preis, und dann haben die Möbelpacker schon vor dem Abladen kassieren wollen, und zwar doppelt so viel. Und wenn die das nicht bezahlt hätten, dann hätten die einfach die ganzen Möbel auf dem Lkw gelassen und wären weggefahren.«

Ja, das gibt es. Jeder Spediteur hat im Prinzip das Recht, vor dem Abladen zu kassieren. Das macht natürlich kaum einer, aber es gibt auch Kunden, die die Spediteure bescheißen wollen, und da ist es für die Spediteure praktisch, ein »Pfandrecht« zu haben. Allerdings sollte so was natürlich von vornherein geklärt sein. Die Leute aus dem Fernsehbericht, von dem unsere Kundin erzählte, hatten keinerlei rechtliche Handhabe und mussten, nachdem sie die überhöhte Rechnung bezahlt hatten, entweder klein beigeben und es dabei belassen oder lange, komplizierte Prozesse führen.

DAS KOMPLEXE NERVENGEFLECHT IN DER BAUCHGEGEND ist entwicklungsgeschichtlich wesentlich älter als die Großhirnrinde oder das Großhirn. Es kann deswegen unter Umständen auch »klüger« sein als das, was sich da in Ihrem Schädel befindet. Hören Sie da auf jeden Fall hin, wenn etwas grummelt und rumort. Ein paar Hundert Euro sind weniger wert als diese gefühlsmäßige Intelligenz in Ihrem Bauch. Es geht um Ihr Hab und Gut, es geht um Ihren Lebensinhalt. Hören Sie auf Ihre Instinkte!

Wenn ein billiges Angebot Sie locken will, der Mensch, der es Ihnen unterbreitet, aber Alarm in Ihrem Bauch auslöst, dann unterschreiben Sie nichts! Erklären Sie, dass Sie sich die Angelegenheit durch den Kopf gehen lassen werden, und führen Sie den Mann zur Tür. Der hat bei Ihnen nichts zu suchen, und wenn er wirklich seriös ist, dann kommt er auch ohne Ihren Auftrag zurecht, weil er ja so viele andere hat. Geben Sie ruhig etwas mehr aus, wenn Sie auf der sicheren Seite sein wollen.

5

AUCH MAL IN DIE FERNE SCHWEIFEN!

Als am Horizont die Kanarischen Inseln auftauchten, fiel mir auf, dass mir dieses Mal kein Alkohol gegen die Flugangst geholfen hatte. Obwohl ich auch dieses Mal das Flugzeug nicht nüchtern betreten hatte, hatte der Alkohol keine Chance, mir zu helfen, denn ich hatte schon zu viele Tage zu viel getrunken, und also hatte ich nach zu kurzem Schlaf in der Nacht keine Chance gehabt, vor dem Flug gegen die Kopfschmerzen anzutrinken.

Normalerweise hätte ich extrem verkatert mit dickem Kopf Panik über den Wolken durchstehen müssen, aber heute spürte ich die meiste Zeit keinerlei Angst. Das lag daran, dass ich genervt war. Von Junior.

Junior ging mir auf die Eier, seit wir uns in Hamburg getroffen hatten, um zum Flughafen zu fahren. Junior war extrem verstrahlt, von einem Mix aus Drogen, den er in der vergangenen Nacht zu sich genommen hatte, und er redete ohne Unterlass auf ein älteres Ehepaar ein, mit dem er sich die Sitzreihe vor mir teilte. Ich konnte es nicht fassen. Der Typ laberte und laberte auf die beiden ein, und die schien das nicht im Geringsten zu stören.

»Ja, nö, Meister, is so, kann’s ma sehn«, sagte Junior immer wieder am Ende irgendeiner Erzählung. Und dann sagte der Mann: »Tja, wenn das so ist.« Und seine Frau ergänzte: »Da kann man dann wohl nix machen«, und Junior holte aus zur nächsten Geschichte.

War ich der Einzige, der mitbekam, dass bei Junior nur noch wenig Blut zwischen den Drogen in den Adern unterwegs war?

Steffi, Henning, Leo und König saßen ein paar Reihen weiter und dösten den größten Teil des Fluges. Ich hatte Junior am Hals. Und dabei hatte der eigentlich gar nicht mitkommen wollen, nach La Gomera, wo wir zwei Wochen lang feiern wollten.

Feiern ist ja normalerweise nicht meine Idee von Urlaub. Klar, ab und zu mal, aber ich tue in anderen Gegenden auch gerne mal was anderes. Auch ich hatte zuerst nicht mit den anderen fliegen wollen, aber König hat mich überredet. König war sein Nachname und zusammen mit Leo, Henning und Steffi wollte er auch diesen Winter zum alljährlichen Besäufnis nach Gomera. Steffi hieß eigentlich Stephan, und warum er Steffi genannt wurde, hatte mir noch keiner aus der Gruppe der Kollegen erzählt, die relativ gleichzeitig in unserer Firma angefangen hatten und die sich alle seit Ewigkeiten kannten.

Ein feines Team war das, das da rechtzeitig in den Möbeln auftauchte, in einem Moment, als ich den Eindruck bekommen hatte, dass nur noch Idioten als Möbelpacker anfingen. Mit den neuen hatte es von Anfang an Spaß gemacht zu arbeiten. Und außerdem war mit denen nach Arbeitsende gut zu feiern. Also hat es auch nicht lange gedauert, bis König mich an einem Abend am Tresen überredet hat mitzufliegen, obwohl ich gar nicht wollte. Doch nach genug Bier war ich nicht mehr ganz abgeneigt und außerdem: »Willst du wirklich nur hier in Hamburg abhängen, Alter? Wann warst du das letzte Mal weg?«

Also holten mich die anderen zwei Wochen später bei mir zu Hause ab, wo ich nach viel zu wenig Schlaf in schlechter Stimmung erwacht war. In einem Kleinbus wurden wir zum Flugplatz gebracht, und zwar von Steffis Freundin Ute. Junior war auch dabei. Nach durchfeierter Nacht wollte er mit, um die Freunde zu verabschieden.

Am Flugplatz kam alles ein wenig anders als geplant. Irgendwer hatte plötzlich die besoffene Idee, für ein Ticket für Junior zusammenzulegen, und so wurde, nachdem sich Junior nur kurz geziert hatte, ein Last-Minute-Ticket gekauft.

In Arbeitskleidung, also Sweatshirt mit Firmenlogo, Veddelhose und Sicherheitsschuhen betrat er das Flugzeug. In der Seitentasche seiner Hose steckte ein Zollstock, in der rechten Gesäßtasche Arbeitshandschuhe. Der Mann war von der Arbeit aus in die Kneipe gefahren und von der Kneipe aus nach La Gomera.

Vielleicht war es ja dieses Outfit, das eine Art von ambulantem Einsatz vermuten ließ, und alle außer mir und den dösenden Kollegen Seriöses über Junior vermuten ließ, obwohl er eigentlich eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen könnte. Jedenfalls wenn man das unter flugsicherheitstechnischen Gesichtspunkten betrachtete. Aber, na ja, das war lange vor 9/11. Und vielleicht war ich auch der einzig Intolerante in diesem Flugzeug. Keine Ahnung.

Als die Maschine über Teneriffa zur Landung ansetzte, war ich froh, dass ich Juniors Gesabbel endlich entgehen konnte. Die Passagiere auf dem Gang drängelten Richtung Tür, und hinter mir stand ein Steward, der mich mit Blick auf Junior fragte: »Seid ihr wirklich Möbelpacker?«

»Klar«, sagte ich.

»Aber ihr seid nicht zum Arbeiten hier, oder?« Ich grinste. Das erste Mal seit Stunden.

Als wir auf das Schnellboot nach Gomera warteten, entdeckte ich im ersten Stock des Fährterminals eine Bar, in der ich gierig zwei Bier trank, ohne den anderen Bescheid zu sagen. Es hätte ja sein können, dass ich dann wieder Junior neben mir hätte.

Im Schnellboot flogen wir nach Valle Gran Rey, warfen unser Gepäck bei einem Bekannten von Steffi ins Zimmer und enterten die nächste Kneipe.

Es wurde ein langer Abend und eine lange Nacht.

Als ich am Strand erwachte, hatte ich keine Ahnung, wie ich da hingekommen war. Von den anderen war nichts zu sehen. Ich latschte los, um ein Café zu suchen, und traf schon eine Viertelstunde später meine Kollegen an einer Eckkneipe, wo sie nicht etwa Kaffee, sondern Bier tranken. Junior schien nüchtern zu sein und stand vor König, der gemütlich grinsend in einem Stuhl in der Sonne saß.

»Gib mal Geld, Alter«, sagte Junior. »Ich muss sofort umbuchen!« Die anderen lachten. »Und außerdem brauche ich ein frisches T-Shirt, ich stinke wie ein Wiesel. Und Andrea ist stinksauer, ich muss nach Hause!«

Ganz langsam begriff ich, was eigentlich mit Junior los war. Bis er am Morgen aufgewacht war, hatte er nicht wirklich kapiert, was er eigentlich machte. Er war am Abend von der Arbeit aus in die Kneipe gegangen und am nächsten Morgen auf La Gomera aufgewacht.

»Ich muss den nächsten Flieger nehmen«, sagte er und die anderen lachten wieder.

Es ist bestimmt nicht leicht, seiner Freundin, die einen nach der Arbeit zu Hause erwartet, am nächsten Morgen mit einer Ausrede zu kommen, wie: »Äh, du Schatz, ich bin auf Gomera.«

Plötzlich war Junior mir durch und durch sympathisch. Später erzählte man mir, dass er auch schon mal aus New York zu Hause angerufen hatte, aber da war ich skeptisch.

Im Laufe des Tages ist Junior dann verschwunden, um zu Hause die Wogen zu glätten.Wir anderen feierten weiter.

Als ich ein paar Tage später wieder mal verkatert erwachte und mich von meinem Zimmer aus auf die Suche nach den Kollegen machte, traf ich sie vor einer Kneipe, wo sie mit einem Deutschen, der ein Haus auf Gomera hatte, neben einem Kleintransporter standen, in dem sich ein Klavier befand.

»Karsten«, sagte Leo. »Du kommst gerade rechtzeitig.« Ich sah die Kollegen an, ich sah den Deutschen an, ich blickte in den Transporter. »Das ist nicht euer Ernst«, sagte ich.

Den Deutschen hatten die anderen tags zuvor in der Disco kennengelernt, als ich schon schlafen gegangen war. Er hatte sich auf der anderen Seite der Insel, in San Sebastián, ein Klavier gekauft und gedacht, dass er im Valle Gran Rey schon irgendwelche Locals finden würde, die ihm das Teil in sein Haus schleppen würden. Allerdings hatte er am Tag zuvor, als er mit dem Transporter nach La Calera zurückkam, wo sein Haus am Hang lag, niemanden mehr gefunden, und jetzt in der Mittagshitze des nächsten Tages hatte er zwar immer noch keine Einheimischen anheuern können, dafür aber eine Gruppe verrückter Möbelpacker aus der Heimat, meine Kollegen.

»Ich brauch einen Kaffee«, sagte ich.

»Jetzt stell dich nicht so an«, sagte Henning, aber als ich erfuhr, dass das Piano »da drüben am Hang« seinen Zielort hatte, winkte ich erst recht ab. Ich vermied doch im Urlaub nicht das Treppenviertel in Blankenese, um dann in La Calera ein Klavier über endlose Stufen zu wuchten! Ich ließ die Kollegen stehen und latschte nach Vueltas, wo am Hafen ein netter junger Österreicher eine Kneipe hatte, in der es vorzügliche Käsebrötchen gab, von denen ich nach Kaffee und zwei, drei Bieren bestimmt eines brauchen würde.

Wir hatten da schon gesoffen. Der Österreicher hatte uns an einem lustigen Abend immer wieder ironisch »Fischköpfe« genannt und uns alle Ostfriesenwitze erzählt, die er kannte. Das war lustig gewesen, denn auch wenn es sich dämlich anhört, kann so was eine nette Art sein, sich kennenzulernen. Na ja, angeheitert eben.

Ich trank Kaffee, trank Bier und aß Käsebrötchen. Dann pendelte ich zwischen verschiedenen Kneipen und Strand, bis ich wieder beim Österreicher landete. Von meinen Kollegen sah ich den ganzen Tag über nichts. Am Abend tauchten sie beim Österreicher auf. Besoffen, ausgelassen und bester Laune. Wie geil der Tag war und wie sehr sie mit dem Deutschen gefeiert hätten, nachdem sie dem sein Klavier über lange Treppen zum Haus hinauf- und dann ins Haus hineingeschleppt hätten, erzählten sie, und dass ich ja den größten Spaß verpasst hätte. Nach dem Klaviertransport hätten sie nämlich mit dem Deutschen noch ausgiebig gefeiert, und zwar in einer Kneipe, in der vorher die ganze Zeit Einheimische über die blöden Deutschen gelacht hätten, die mittags in knallheißer Sonne Klaviertransporte vornahmen. Und dann hätte aber die anschließende gute Laune der blöden Deutschen dazu geführt, dass in der Kneipe insgesamt die Stimmung endlich mal in Richtung Party gekippt wäre.

Na, solches eben erzählten die Kollegen, und, ja, ich hatte mal wieder das Gefühl, viel zu verschlossen zu sein. Nicht offen, neuen Erlebnissen gegenüber, dass ich also die lustigsten Erlebnisse immer nicht mitkriege. Auch wenn es mir nicht einleuchtete, warum ich einem hier residierenden Deutschen erst sein Klavier ins Haus schleppen muss, bevor der sich auf einen Spaß mit mir, dem »Möbelpacker«, einlässt. Aber vielleicht bin ich einfach insgesamt zu engstirnig.

Schließlich kam auch irgendwann der Österreicher von irgendwelchen Besorgungen zurück und entdeckte uns an unserem Tisch.

»Ah, die Fischköpfe«, und schon begann er wieder, Ostfriesenwitze zu erzählen. Aber diesmal hat keiner von uns mitgelacht. Wir hatten nämlich langsam genug davon. Einen Witz zweimal dicht hintereinander zu erzählen ist fade, und es stellte sich auch schnell das Gefühl ein, dass der Mann den Begriff »Fischköpfe« und seine Ostfriesenwitze nicht aus irgendeinem wirklichen Sinn für Humor heraus benutzte, sondern, weil er so oberflächlich war, dass ihm nichts Besseres einfiel, als immer wieder auf dem ersten gemeinsamen Spaß herumzureiten. Und es war dann Henning auch nicht als der einzige Ostfriese unter uns speziell als Ostfriese genervt, sondern weil er es, genau wie wir anderen, nicht mehr hören konnte, weil es langweilig wurde und zu offensichtlich unbeholfen war.

»Ich kenne noch einen Ostfriesenwitz«, sagte er dann irgendwann lächelnd zu dem Österreicher, der in Erwartung eines tollen Witzes, der sich über andere lustig machte, die Augenbrauen hob. »Was machen Ostfriesen bei Ebbe?«, fragte Henning.

Der Kneipenchef überlegte einen Moment und zuckte dann die Schultern. »Keine Ahnung.«

»Sie verkaufen Land an die Österreicher.«

Dem Kneipwirt fiel die gute Laune aus dem Gesicht, von seiner Freundlichkeit blieb nichts mehr übrig. Fünf deutsche Möbelpacker, die er als alkoholvernichtende Kunden gerne umworben hatte, lagen immer wieder vor Lachen unter dem Tisch. Nicht, weil sie den Witz so toll fanden, sondern weil der Österreicher so konsterniert reagiert hatte. Versteht sich, dass wir für den Typen erledigt waren, und dass wir in den nächsten Tagen woanders gefeiert haben.