Und was machst Du so? - Ali Mahlodji - E-Book

Und was machst Du so? E-Book

Ali Mahlodji

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Die Kids haben alle ein Smartphone und Internet, aber immer noch dasselbe Problem, das ich in dem Alter hatte. Sie wissen nicht, was sie mit ihrem Leben anstellen sollen!" Ali Mahlodj   Ali Mahlodji wurde im Iran geboren und wuchs in einem österreichischen Flüchtlingsheim auf. Er stotterte, schmiss das Abitur und probierte über vierzig verschiedene Jobs aus. Dabei lernte er auch, wie unglücklich der falsche Beruf machen kann. Schon als 14-jähriger hatte er sich ein "Handbuch der Lebensgeschichten« gewünscht. Ein Buch, in dem man sich von den Lebenswegen anderer inspirieren lassen könnte. 2012 gründete er das StartUp whatchado, eine Internet-Videoplattform auf der Menschen von ihrem Leben, ihrer Karriere und ihren Träumen erzählen. Damit will er Mut machen und Perspektiven bieten. Tausende – vom Auszubildenden bis zum österreichischen Bundespräsidenten – geben dort mittlerweile Einblick in ihren Beruf und in ihr Leben. In diesem Buch erzählt Ali Mahlodji nun seine eigene Geschichte, nach der er immer wieder gefragt wird.    

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

»Die Ausbildung, die du einmal in deinem Leben gemacht hast, kann dir keiner mehr nehmen«.

Diese Worte seines Vaters brachten Ali Mahlodji dazu, lebenslanges Lernen als Motor zu sehen – und jede scheinbare Niederlage als teure Erfahrung. Uns zeichnet aus, was wir tun – nicht das Nichtstun. Daneben prägen uns die Menschen, denen wir begegnen. Aber wie viele inspirierende Menschen kennen wir und wo finden wir sie?

Ali Mahlodji hat viele Höhen und Tiefen erlebt. Von der Flucht in ein fremdes Land, über Stottern, Schulabbruch, Arbeitslosigkeit, Tod seines Vaters bis zum Burnout. Gleichzeitg hat er erlebt wie Fleiß, Hartnäckigkeit und Ausdauer belohnt werden. Lange hatte er das Gefühl, ein Fehler im System zu sein. Dabei sind Fehler erlaubt und sogar nötig, wenn man sich weiterentwickeln will. Ali Mahlodji hat eine Weile gebraucht, um seinen Weg zu finden. Jetzt hat er es sich zur Aufgabe gemacht, anderen dabei zu helfen Orientierung zu finden.

Der Autor

Ali Mahlodji (*1981) hatte in seinem Leben über 40 Jobs u.a. als Apothekenhelfer, Bauarbeiter, Fastfood-Koch, Kassierer, Lehrer, Projektmanager, Putzmann, Taxifahrer, Verkäufer, Systemadministrator und Management Consultant gearbeitet.Mit der von ihm geschaffenen Internetplattform whatchado ist Ali Mahlodji Gründer eines international beachteten Start-up-Unternehmens geworden. Er hat u.a. folgende Auszeichnungen erhalten: Deutscher Online-Kommunikationspreis, European Digital Communication Award, UN World Summit Award, Onliner des Jahres, HR Excellence Award. 2013 wurde er von der Europäischen Union zum Jugendbotschafter ernannt und erhielt 2017 den Deutschen New Work Award.

Econ

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.

Hinweis zu Urheberrechten

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem Buch befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

ISBN: 978-3-8437-1657-4

© der deutschsprachigen AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017Covergestaltung: FHCM GRAPHICS, MünchenAutorenfoto: Raffael Stilborek

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Auf Whatchado zeigen wir tausende von Lebensgeschichten – ich werde immer wieder nach meiner gefragt. Hier ist sie.Gewidmet …… all den ungehörten Geschichten, die es zu erzählen gilt. All den unverstandenen Genies, deren Fesseln darauf warten, gesprengt zu werden. All den Unangepassten, die kein Fehler im System sind. All den Visionären, deren einzige Realität ihre Phantasie ist. All den Menschen, denen Freundschaft und Zuneigung wichtiger sind als ein Leben voller Ruhm und Geld. All denjenigen, deren Puzzlestück nur scheinbar nirgends passt.Ihr macht die Welt zu dem bunten Haufen, der sie ist.

Inhalt

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Widmung

VORWORT

PROLOG

MEINE GESCHICHTE

1. NUR NOCH SCHNELL DIE WELT RETTEN

FluchtWie ich einen Soldaten um den Finger wickelte

Der beste Ratschlag der WeltWarum ich über vierzig Jobs ausprobierte

Superheld in speWeshalb Stottern meine größte Stärke wurde

Ein KindheitstraumWie ich auf die Idee kam, die Welt zu retten

Willkommen in der StatistikWarum manchmal etwas zerbrechen muss, bevor etwas Neues entsteht

2. RESTART

Der schlimmste Job der WeltUnd wie gerade er mich dazu brachte, groß zu träumen

NeugierdeWarum ich mich unsterblich in eine Firma verliebte

150 Bewerbungen späterEin echter Fan lässt niemals locker

Social ImpactWas sich durch einen Bücherschrank verändern lässt

Konzern ZombieMein Einstieg ins Topmanagement

3. BREAK DOWN

Welt retten vs. KonzernMein Kindheitstraum wird auf eine harte Probe gestellt

Der AnrufWarum es für wichtige Dinge kein »Später« gibt

LeereEine Depression ist kein Schnupfen

Killing whatchadoWie ich mir schwor, whatchado zu begraben

4. EINE ZWEITE CHANCE

Der LehrlingWie ich wieder ganz unten begann

Der LehrerDer härteste und beste Job meines Lebens

Alles ergibt SinnWarum meine Fehler mich auf meine größte Aufgabe vorbereiteten

DIE GESCHICHTE VON WHATCHADO

1. WHATCHADO, EIN TRAUM

Löse ein ProblemWarum eigentlich die Welt retten? Das whatchado-Konzept

Vergiss ExpertenWarum du immer der beste Experte bist

Die whatchado-FamilieWarum dein Team wichtiger ist als du selbst

You only get one shotWie ein Bluff die Geburt von whatchado beschleunigte

Plötzlich UnternehmerWie wir über Nacht Kunden und Investoren gewannen

LoslassenWann du du dich voll auf das Risiko einlassen musst

2. FIRST THINGS FIRST

6000 LebensgeschichtenWie wir sogar den Präsidenten für unsere Idee begeisterten

Wie whatchado sich anfühlen sollWarum Mitarbeiter wichtiger sind als Kunden

Mitarbeiter, deine HeldenWarum manch einer den Chef im Büro vergeblich suchte

Kunden, die wahre LiebesgeschichteWie wir alles für unsere Kunden tun und uns dabei selber treu bleiben

In der Höhle der LöwenWie wir ohne Pitch die renommiertesten Investoren an Land zogen

Und wo ist der Haken?Warum Vertrauen die wichtigste Zutat jeder Partnerschaft ist

3. KEEP IT SIMPLE, STUPID

Der KussWeshalb simpel zu denken die Königsklasse ist

Rauf auf die Bühne, sonst sieht dich keinerWarum wir uns zu Idioten machen müssen, um aufzufallen

Disruptives DenkenWie man den Großen ans Bein pinkelt

Die erste MillionDas Gefühl, in der Champions League mitzuspielen

Small is beautifulWachstum um des Wachstums willen ist dein Grab

4. GIVING BACK

One for OneGesellschaftliche Verantwortung als Basis jedes Tuns

Gesellschaftliche VeränderungWas mir als EU-Jugendbotschafter wichtig ist

WhatchaSKOOL, die Revolution in SchulenWarum Schulabbrecher die beste Berufsorientierung bieten

Refugee-StorysDen »Fremden« eine Stimme geben

5. MACH DICH ERSETZBAR

Coaching-ZoneWarum auch der beste Chef nicht alles wissen muss

Ein zweites Mal loslassenWie ich drei Jahre daran arbeitete, mich ersetzbar zu machen

Alles hängt zusammenWarum Zufälle der einzig wahre rote Faden sind

UND WAS MACHST DU SO? – DIE SIEBEN WHATCHADO-FRAGEN

Warum deine Geschichte mehr über dich verrät, als du denkst

DANK

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

Vorwort

»Vom Tellerwäscher zum Millionär«, so lautet der Ausspruch, der zum Leitsatz der Aufsteiger des vergangenen Jahrhunderts geworden ist. Von ganz unten nach ganz oben. Das war nicht nur Henry Ford’s Erfolgsgeschichte. Das war auch die Verwirklichung des American Dream: Jeder hat die Chance, sich auf Kosten anderer durchzusetzen, Macht und Einfluss zu erlangen und natürlich Geld, sehr viel Geld anzuhäufen.

Die Welt ist nicht so geblieben, wie sie damals war. Doch in den Köpfen sehr vieler Menschen vollzieht sich dieser Wandel erheblich langsamer. Ihre aus dem letzten Jahrhundert stammenden Vorstellungen scheinen dort oben, in ihren Gehirnen, regelrecht einzementiert. »Ausländer sind gefährlich«, »Muslime wollen die Welt beherrschen«, meinen manche. Andere glauben, dass sie ihre Kinder antreiben müssen, damit sie es zu etwas bringen, und halten all jene für Versager, die weder ein Abiturzeugnis noch einen akademischen Abschluss vorweisen. Manchen kommt sogar die Haltung »Yes, we can« so suspekt vor, dass sie lieber einen Anführer wählen, der vorgibt, alles für sie regeln zu können. Es mag sein, dass diese Personen mit ihren fest im Hirn verankerten Überzeugungen noch eine Zeitlang in der Lage sind, Einfluss auf das zu nehmen, was in der Welt geschieht. Aber die Richtung, in die sich unsere Welt verändern wird, bestimmen sie nicht. Denn für die zukünftige Welt brauchen wir andere Ideen und andere Ansätze als jene aus dem letzten Jahrhundert. Und damit sich diese neuen Vorstellungen ausbreiten und eine Wirkung entfalten können, brauchen wir Beispiele dafür, dass es geht und wie es geht. Nicht in der Theorie, sondern in der Praxis.

Dieses Buch von Ali Mahlodji ist solch ein leuchtendes Beispiel. Ali erfüllte alle Vorurteile: Flüchtling, Schulabbrecher, schwer erziehbar mit einer ADHS-Diagnose, an ein Studium war für ihn nicht zu denken, und einen »richtigen« Beruf hatte er auch nicht erlernt. Aber er beschreibt in diesem Buch, was alles geht: Er hat ein Unternehmen gegründet, das inzwischen international aufgestellt ist. Es hilft jungen Menschen, ihre Talente und Begabungen zu entdecken und sich damit auf eine sie erfüllende Weise einzubringen. Aber seine Geschichte »Vom Flüchtling und Schulabbrecher zum internationalen Unternehmer« ist völlig anders als die von Henry Ford. Ali Mahlodji hat nicht andere als Objekte für die Durchsetzung seiner eigenen Ziele und Interessen benutzt. Mit seinem Unternehmen whatchado (abgeleitet von »What do you do?«) bietet er jungen Menschen Gelegenheit, ihren Weg zu einem sinnerfüllten Leben oder wenigstens zu einem für sie passenden Job zu finden.

Wie er das geschafft hat, beschreibt er in diesem Buch. Weshalb ihm das gelungen ist, steht hier eher zwischen den Zeilen. Es hat viel mit den Schubladen zu tun, in die er vor allem als Schüler gesteckt worden ist, mit den Vorurteilen, die ihm als Flüchtling entgegengebracht wurden. Manche verzweifeln daran und steigen aus. Er hat den anderen Weg gewählt und ist eingestiegen. Seine wahrscheinlich schon während der Kindheit gewachsene Überzeugung, dass jeder Mensch wertvoll ist und Potentiale in sich trägt, die es zu entfalten gilt, hat er sich nicht rauben lassen. Sie wurde für ihn zum entscheidenden Motiv und verlieh ihm die Kraft, sich dafür einzusetzen, dass junge Menschen, denen es oft ähnlich gegangen war wie ihm selbst, endlich Mut fassen, sich aus ihren Objektrollen zu befreien und die Gestaltung ihres Lebens wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Begegnet bin ich Ali Mahlodji erst vor ein paar Jahren, als sich die von ihm gegründete Berufsorientierungsplattform schon zu einem sehr erfolgreichen Unternehmen entwickelt hatte. Er gehört nicht zu denen, die sich auf dem einmal Erreichten ausruhen. Er wollte weiter und suchte nach Möglichkeiten, um Heranwachsende nicht erst nach dem Schulabschluss, sondern bereits während ihrer Schulzeit zu ermutigen, an sich selbst zu glauben und ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen. Ich habe gemerkt, dass es ihm damit ernst war, und vielleicht konnte ich ihm als Mentor auch den einen oder anderen hilfreichen Hinweis geben. Aber umgesetzt hat er dieses Vorhaben aus eigener Kraft und mit einem starken Team. WhatchaSKOOL heißt die dafür aufgebaute Initiative. Etwa 50000 Schüler aus ganz Europa hat er mit seinem Team im letzten Jahr in ihren Schulen besucht. Ali Mahlodji ist inzwischen zum Jugendbotschafter und Anwalt der Jugend der EU ernannt worden und hilft nun auch europaweit im Rahmen von Lehrerfortbildungen, seinen Ansatz zur Wiedererweckung der Lernlust und der Gestaltungsfreude von Schülerinnen und Schülern an das pädagogische Fachpersonal weiterzugeben.

Ich bin froh, dass Ali Mahlodji als »Expert Fellow« inzwischen zu einem wichtigen Mitglied der Akademie für Potentialentfaltung geworden ist. Aber noch glücklicher macht es mich, dass er nun endlich dieses Buch geschrieben hat und seine Erfahrungen an Sie, als Leserinnen und Leser, weitergibt.

Denn voneinander lernen und miteinander gestalten heißt das neue Leitbild für das 21. Jahrhundert. Ali Mahlodji zeigt in seinem Buch, wie das künftig deutlich besser als bisher gelingen kann und dass es dabei auf etwas ganz anderes ankommt als auf das, was Henry Ford vor hundert Jahren noch für maßgeblich hielt.

Göttingen, im Juni 2017

Gerald Hüther

Prolog

Als mein Zug im Wiener Westbahnhof stehenblieb, sah ich die Menschenmassen auf den Bahnsteigen. Ich trat hinaus und hörte überall laute und hektische Stimmen in Sprachen, die ich nicht verstand. Was war hier los? Über dem ganzen Bahnhof lag eine angespannte Atmosphäre, und in den Augen der Menschen sah ich eine Mischung aus Neugierde und Angst.

Ich kam gerade aus Tirol vom Europäischen Forum Alpbach, bei dem ich eingeladen war, um mit dem jetzigen Bundeskanzler Christian Kern über Start-ups und das Potential von Umbrüchen in Europa zu sprechen. Nach einer anstrengenden Rückreise freute ich mich, dass meine Freundin Anna mich am Gleis abholte. Wir waren gerade mal ein Jahr zusammen, und ich war glücklich, sie wiederzusehen.

Während sie mir entgegenkam, erkannte ich auf ihrem Gesicht einen Ausdruck von Sorge und Traurigkeit. Mein erster Gedanke war: »Oh Gott, was ist passiert? Hoffentlich macht sie nicht Schluss mit mir.« Anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie mit Tränen in den Augen auf mich wartete. Doch in derselben Sekunde wurde mir durch die kollektive Stimmung am Bahnhof bewusst, dass es etwas anderes sein musste. Hier geschah etwas, das alle Menschen beschäftigte.

Am 3. September 2015 war der Westbahnhof in Wien voll. Voller Menschen, die schon vor Wochen vor der untragbaren Situation in Syrien geflohen waren und nun mit letzter Kraft als Flüchtlinge Österreich erreichten. Anna war am Bahnhof drei jungen Männern begegnet, die ihr erzählt hatten, dass sie bereits vor Wochen aus Syrien geflohen waren. Viel konnten sie in ihrem Zustand nicht sagen. Sie waren erschöpft, ihre Augen sprachen Bände. In Wien angekommen, hatten sie keinen Cent mehr in den Taschen und nur noch eine Flasche Wasser. Anna gab ihnen ihr letztes Geld und begleitete sie zum Notfallsstand der Caritas, die am Bahnhof wochenlang half, dass die ankommenden Flüchtlinge versorgt wurden. Von Lebensmitteln und Schlafplätzen bis hin zu Fahrkarten für die Weiterreise kümmerte sich die Caritas um alles, was wichtig war. Da es die Möglichkeit gab, der Caritas vor Ort Geld zu spenden, das direkt für die Versorgung der Flüchtlinge eingesetzt wurde, hoben Anna und ich insgesamt 600 Euro vom Geldautomaten ab – mehr ließ unser Tageslimit nicht zu. Als wir das Geld spendeten, waren wir den Caritas-Mitarbeitern sehr dankbar dafür, dass sie den Menschen, die ankamen, ein Gefühl von Sicherheit vermittelten.

Die Bereitschaft der Menschen zu helfen war in diesen Tagen überwältigend. Sie hat mich auch deshalb sehr berührt, weil ich selbst mit meinen Eltern als Flüchtling nach Österreich gekommen bin. Ich wünschte, meine Eltern hätten bei ihrer Ankunft eine solche Willkommenskultur erlebt.

Nach der Flucht meiner Familie aus dem Iran bin ich in Österreich in Sicherheit und Freiheit aufgewachsen. Doch wie viele andere Jugendliche fühlte ich mich orientierungslos, und ein Ausländer zu sein, der stottert, war kein Vorteil.

Trotzdem wollte ich wissen, wie man seinen eigenen Weg geht. Dabei half mir die Inspiration, die ich in den Geschichten anderer Menschen fand, wenn sie mir von ihrem Leben und ihrem Werdegang erzählten. Als Kind wünschte ich mir deshalb ein Handbuch mit Lebensgeschichten. Ein Buch, in dem Menschen aus der ganzen Welt erzählen sollten, wer sie waren und wie sie ihren Weg gegangen sind. Es sollte ein Ort der Inspiration und Orientierung sein, für all diejenigen, die nicht wussten, wie ihre Zukunft aussieht.

Einen Schulabbruch und vierzig Jobs später wurde daraus whatchado, eine Webseite, die monatlich über eine Million Menschen erreicht und ihnen hilft, ihren Berufsweg zu finden. Tausende Menschen aus der ganzen Welt erzählen auf dieser Videoplattform ihre Lebensgeschichte. Heute beschäftigt whatchado über fünfzig Mitarbeiter aus über zehn Nationen, die zwanzig Sprachen sprechen. Mit der whatchaSKOOL-Initiative besuchen wir jährlich über 50000 Schüler und Schülerinnen und geben Inspiration, wo oft nur Angst vor der Zukunft herrscht.

Wir möchten Schüler motivieren, von denen gesagt wird, dass sie nicht lernen wollen oder können. In den vergangenen Jahren habe ich nicht einen Schüler gesehen, der nicht wollte. Was ich aber oft sah, waren junge Menschen, die das Gefühl hatten, nicht gut genug zu sein. Ich sprach mit vielen Jugendlichen, die dachten, sie müssten repariert werden, weil mit ihnen etwas nicht stimme – weil sie nicht so funktionierten wie der Rest. Diesen jungen Menschen möchten wir Mut machen und ihnen neue Perspektiven zeigen.

Als Kind war ich ein Fehler im System. Jetzt bin ich genau das, was der Arbeitsmarkt braucht. Das gilt für alle Schüler, wenn man ihr Potential nur sieht und fördert. Und das gilt insbesondere auch für diejenigen Menschen, die nach ihrer Flucht in Europa angekommen sind. Ein Flüchtling ist perfekt für den Arbeitsmarkt. Wenn man Vorstände oder Arbeitsforscher fragt, was der Arbeitsmarkt aktuell braucht, dann sind das Menschen, die sich auf unterschiedliche Kulturen einlassen können und die mehrsprachig und flexibel sind. Ein Flüchtling, der sich integriert, spricht mehrere Sprachen, kann mit verschiedenen Kulturen umgehen und besitzt die Flexibilität, sich auf neue Situationen einzulassen. Deswegen – und aus Gründen der Menschlichkeit – muss man diesen Menschen Orientierung und Chancen geben. Wenn wir das schaffen – dann retten wir zwar nicht die ganze Welt – aber die Welt dieses einen Menschen.

Flucht

Wie ich einen Soldaten um den Finger wickelte

Ich war zwei Jahre alt, als meine Eltern Hals über Kopf aus Teheran, meiner Geburtsstadt, fliehen mussten. 48 Stunden zuvor hatten sie an einer Demonstration gegen das Khomeini-Regime teilgenommen, das seit der islamischen Revolution 1979 im Iran herrschte. Das Khomeini-Regime versetzte das Land Stück für Stück zurück in die islamische Steinzeit und missbrauchte den Islam als Mittel der Unterdrückung. Demonstrationen waren deshalb an der Tagesordnung, immer mehr Menschen gingen auf die Straßen, um gegen die Praktiken des Regimes zu protestieren.

Meine Eltern lebten – wie viele ihrer Generation – als weltoffene und liberale Menschen und sahen die Demonstrationen als einen friedlichen Weg, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Auch an jenem Tag im Jahr 1983 wollten sie ein Zeichen gegen das diktatorische Regime setzen, von dem sie in ihrer Freiheit eingeschränkt wurden. Dass dieses Zeichen der Auslöser für unsere lange Flucht sein würde, hatten sie im Leben nicht erwartet. Denn als Reaktion auf den Widerstand fing die Regierung an, Kritiker in ausufernden Verhaftungswellen aus dem Weg zu räumen.

Wir fuhren nach Nordwesten Richtung Türkei, als wir an einer Straßenkontrolle bei Täbris von Soldaten aufgehalten wurden. Sie suchten nach Dissidenten. Meine Eltern gaben vor, auf dem Weg zu einer Hochzeit zu sein. Doch unter dem Schleier meiner Mutter lagen all unsere wichtigen Dokumente verborgen. Wenn die Soldaten die Reisepässe meiner Eltern dort entdeckten, würde sofort auffliegen, was wir vorhatten. Da im Zuge der damaligen Verhaftungswellen auch die Anzahl der Hinrichtungen im Iran stieg, war das Risiko groß, dass meine Eltern die Konsequenzen dieser Straßenkontrolle nicht lebend überstehen würden.

Unter den Soldaten befand sich keine Frau, weshalb meine Mutter nicht gleich einer Leibesvisitation unterzogen wurde. Die Männer wandten sich zuerst meinem Vater zu, der mich in seinen Armen trug. Er sollte seine Jacke, seinen Pullover und seine Schuhe ablegen. Deswegen bat er den Kommandanten der Truppe, mich zu halten. Meine Eltern haben es mir oft erzählt: Statt verängstigt zu weinen, fing ich schnurstracks an, mit dem Bart des Soldaten zu spielen. Er war jetzt mein »Onkel«. So nannte ich wohl zu jener Zeit jeden Erwachsenen, der einen Bart hatte. Meine Eltern waren schweißgebadet, weil sie damit rechneten, jede Sekunde aufzufliegen, doch ich hatte meinen Spaß.

Während mein Vater sich langsam seiner Sachen entledigte, begann auch der Oberkommandant lustige Gesichter für mich zu ziehen. Meine Eltern beobachteten überrascht, wie innerhalb weniger Minuten der zweite grimmig aussehende Soldat plötzlich zum nettesten »Onkel« wurde und es genoss, mit mir herumzualbern. Als er sah, dass meine Eltern sehr müde waren, befahl er seinen Kollegen, sich lieber um echte Grenzgänger zu kümmern und so eine nette Familie mit so einem lieben Kind in Ruhe zu lassen: »Sie können weiterfahren. Genießen Sie die Hochzeit!« Mein Vater zog sich seine Sachen wieder an und nahm mich verdutzt in die Arme, während meine Mutter schon in das Auto stieg. Hinter der nächsten Ecke hielten sie kurz an und atmeten tief durch. Von ihren Wangen flossen Tränen der Freude und Erleichterung. Vor wenigen Minuten noch waren wir drauf und dran gewesen, verhaftet zu werden, jetzt hatten wir ein zweites Leben geschenkt bekommen. Seit diesem Tag sagten mir meine Eltern immer wieder, dass ich ihr Leben rettete. Ich war damals zwar gerade mal zwei Jahre alt und habe nicht gewusst, was ich tat, doch es war das Richtige gewesen.

Mit der Hilfe von Schleppern – mein Vater hatte sie auf illegalem Wege aufgetrieben – schafften wir es in einer Nacht- und Nebelaktion, die grüne Grenze zur Türkei zu erreichen. Nun standen meine Eltern in der Dunkelheit am Grenzübergang Nähe Urmai im west-aserbaidschanischen Teil des Iran. Sie hatten mich im Arm und vor sich eine Zukunft, die sie zunächst durch die Wälder und dann hoffentlich in die Türkei bringen würde. Meine Mutter blickte noch einmal auf die mondbeschienenen Hügel zurück. Es war an der Zeit, sich von der Heimat zu verabschieden. Kurz zuvor hatten uns die Schlepper unsere Dokumente abgenommen und versprochen, sie uns auf der anderen Seite wiederzugeben. Außer Hoffnung besaßen wir jetzt keine Währung mehr, die wir dem entgegenhalten konnten – unser ganzes Geld hatten sie ja schon.

1982 feiere ich meinen ersten Geburtstag mit meinen Eltern in Teheran.

Was danach auf meine Eltern zukam, davon hatten sie zwar gehört, konnten es sich aber nicht vorstellen. Schließlich waren beide in geordneten Verhältnissen aufgewachsen. Meine Mutter Minoo Mirkhani war das Kind einer Lehrerin und eines Spitzenbeamten. Sie war die Älteste von vier Geschwistern, zwei weiteren Mädchen und einem Jungen, der wohl oder übel als jüngstes Kind unter der Herrschaft seiner Schwestern litt (zumindest erzählt mein Onkel das regelmäßig bei Familienfeiern). Kindheit und Jugend meiner Mutter standen unter dem Stern der liberalen Politik des Shah Pahlavi, und ihre Beine tanzten zur Musik der Beatles. Die Heimat meiner Eltern war im Vergleich zu den anderen Ländern der Region schon früh von westlichen Einflüssen geprägt, auch wenn das heutige Mullah-Regime alle Relikte dieser Zeit gerne verschwinden lassen würde. Ja, der Iran war mal richtig hip, und genau da lernte meine Mutter meinen Vater kennen. 1951 in der Stadt Kermanschah geboren, war Mohsen Mahlodji das zweitälteste von fünf Kindern eines Orthopäden und einer Hausfrau. Mein Vater war in vielerlei Hinsicht ganz anders als meine Mutter, und genau deshalb hatten mein Bruder und ich eine tolle Kindheit. Wir wurden von zwei inspirierenden Menschen umsorgt, die uns tagtäglich neue Sichtweisen auf die Welt eröffneten.

Während meine Mutter Betriebswirtschaft studierte, zog es meinen Vater zum Studium der Mathematik und Computerwissenschaften. Meinen Eltern war die politische Lage ihres Landes immer wichtig, und so kam es, dass sich die beiden Studenten bei einer liberalen politischen Kundgebung kennenlernten. Ein Jahr später heirateten sie. Kurz darauf war ich bereits im Anmarsch. Meine Eltern wählten den Namen Ali – weil das der Name eines Heiligen ist, dem Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Und auch, weil der Name meiner Mutter einfach gefiel. Und ja, meine Eltern gaben mir nur diesen einen Vornamen, auch wenn alle Menschen im Westen immer glauben, dass man mehr als einen haben müsste. Nur Ali, leicht zu merken und kurz genug, um auf jedes Nummernschild zu passen. Heute zudem verdächtig genug, um bei jeder Flugreise in die USA zum »zufälligen« Sicherheitscheck am Flughafen gerufen zu werden.

Auf unserer Flucht wurden wir von einem der Schlepper begleitet, der uns immer wieder anwies, ruhig zu sein und uns im Dickicht zu verstecken. Die Grenzen waren teilweise stark bewacht, und doch gab es immer wieder Waldstücke, wo man Chancen hatte, unbemerkt in die Türkei zu gelangen. Der Himmel und die Wälder strahlten eine trügerische Ruhe aus, die sich mit jedem Schatten im Wald in den Umriss einer Grenzpatrouille verwandeln konnte.

Aufgrund der Strapazen hatte ich eine starke Augeninfektion und große Schmerzen. Damit ich nicht laut wurde, gab man mir Valium. Schon damals bemerkten meine Eltern etwas, das mir die Ärzte viele Jahre später wieder attestierten: In akuten Stresssituationen zeigen Beruhigungsmittel bei mir manchmal keine Wirkung. Ich spürte die Angst meiner Eltern, und die daraus resultierende Abwehrreaktion meines Körpers verhinderte die Wirkung des Valiums. Ich war wach, hellwach. Meine Eltern mussten mir regelmäßig den Mund zuhalten, damit wir nicht auffielen. Manchmal weinte ich vor Furcht – und manchmal lachte ich laut los, wenn der Sternenhimmel klar war und ich Sternschnuppen sah.

Auf der Flucht mit meinem Vater Mohsen an der Grenze zur Türkei.

Während wir durch die Wälder unterwegs waren, hatten meine Tanten und Onkel alles Menschenmögliche in Bewegung gesetzt, um internationale Hilfsorganisationen auf unsere Flucht hinzuweisen. Wir waren nach dem geglückten Grenzübergang in der türkischen Provinz Hakari von Grenzschutzpolizisten angehalten und festgenommen worden. Man wollte prüfen, ob man uns zurückschicken sollte. Wir wurden mit vielen anderen Flüchtlingen in einem Haus untergebracht, das den Spitzenamen »Hotel Hakari« trug, obwohl es eher einer größeren Lagerhalle glich. Im gesamten Gebäude gab es nur eine Dusche, und es war den Menschen anzumerken, dass niemand freiwillig hier war. Von Tag zu Tag wuchs die Angst, da niemand wusste, wie es weitergehen sollte. Es kursierten immer wieder Gerüchte, dass demnächst die Registrierung der Flüchtlinge beginnen würde, doch es vergingen Tage, und nichts passierte. Es waren Amnesty International, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und das Österreichische Innenministerium, die uns aus unserer Internierung befreiten und die Möglichkeit gaben, in Österreich um Asyl anzufragen. Das UNHCR brachte uns nach Istanbul, wo wir mit Unterstützung der anderen Hilfsorganisationen einige Tage unterkamen und dann mit dem Flugzeug nach Wien gebracht wurden.

Die ersten Wochen verbrachten wir in Traiskirchen, einem Flüchtlingsheim vor den Toren Wiens. Ich fragte meinen Vater oft, wie es dort gewesen war. An seinem Schweigen merkte ich, dass es sich wohl um eine der schmerzhaftesten Erinnerungen seines Lebens handelte. Zusammengepfercht mit fremden Menschen zu wohnen, die alle ihr Zuhause zurückgelassen haben und nun nicht wissen, wie es weitergeht, übersteigt wohl die Vorstellungskraft eines jeden Menschen, der wohlbehütet im Herzen einer Demokratie aufwächst.

Der beste Ratschlag der Welt

Warum ich über vierzig Jobs ausprobierte

Wenn wir geboren werden, sind wir ein Stück Hardware ohne Software. Wir können nicht gehen, nicht sprechen, nicht mal unseren Kopf selbst halten und brauchen jemanden, der uns füttert, wärmt und uns Dinge beibringt – kurz gesagt, dafür sorgt, dass wir überleben. Erst später folgt die Phase unseres Lebens, in der wir uns selbst durch andere Menschen kennenlernen. Im Alter von einem Jahr fangen wir an, uns selbst im Spiegel zu erkennen und zu verstehen, wen meine Eltern meinen, wenn sie hundert Mal am Tag »Ali« sagen.

Wenn wir auf die Welt kommen, haben wir absolut keine Ahnung, was wir dürfen und was nicht – und was »normal« ist und was nicht. Erst durch die Interaktion mit anderen Menschen begreifen wir nach und nach, wie die Welt ist und wie sie in den Augen der Gesellschaft sein sollte.

Eine eindrückliche Lektion darin bekam ich auf einem Feriencamp der Wiener Kinderfreunde, einem Verein, der einkommensschwache Familien unterstützt. Wir spielten dort jeden Tag Tischtennis, und ich trug diesen einen grünen Pullover, den ich über alles mochte. Mein Vater hatte ihn mir gekauft, und ich wollte ihn gar nicht mehr ausziehen. Auf der Brust stand in großen Lettern das Wort »EVENT«. Ich verstand zwar nicht, was es bedeutete, doch ich fand es sehr, sehr cool. Als ich den vierten Tag in Folge im selben Pullover auftauchte, fragte mich ein Junge, ob ich denn keinen anderen Pullover hätte. Ich setzte gerade zu einer Erklärung an, da wurde ich von den Worten – »Wahrscheinlich habt ihr auch kein Geld« – unterbrochen. Ich war völlig von den Socken und verstand nicht, was er meinte. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass meine Familie arm sein könnte. Ich hatte ja alles, was ich brauchte.

Viele Dinge, die ich damals besaß, waren secondhand von Wohltätigkeitsorganisationen oder von Schulkollegen. Für mich war es das Paradies! Ich bekam so viele verschiedene Dinge geschenkt. Und jedes erzählte durch sein Vorleben eine eigene Geschichte. Die coolsten Sachen vererbte mir Michael Riedling, mein bester Freund. Er war zwar zwei Köpfe größer als ich – keine wirklich gute Voraussetzung für einen Kleidertausch –, wusste aber, was cool war (zumindest dachten wir das damals). Er war so ziemlich in allen Dingen einer der Besten. Er spielte ausgezeichnet Fußball, konnte super Schlittschuh fahren und war richtig gut in Deutsch. Alles Dinge, wo ich eine Niete war. Beim Basketball hatten wir jedoch immer jede Menge Spaß zusammen – dieser Sport ist bis heute meine größte Leidenschaft. Ich muss wohl recht lustig in den viel zu großen Klamotten ausgesehen haben, und trotzdem fühlte ich mich total lässig und cool. Wie Michi eben.

Als ich zehn Jahre alt war, waren wir bereits dreizehn Mal umgezogen, aber erst bei der letzten Wohnung in dieser langen Reihe befand sich die Toilette nicht auf dem Hausflur. Kommt man als Flüchtling in ein Land, kann es schon sein, dass die ersten Wohnungen wie »Löcher« wirken – was sie auch sind. Und doch sind diese »Löcher« immer noch besser als nichts. Das Schöne war: Die Wohnungen wurden immer größer und der »Luxus« mehr. In diesem Fall bestand unser Luxus aus einer Toilette in der Wohnung. Bis dahin war eben der Gang auf den Hausflur unausweichlich, wenn ich mitten in der Nacht mal wieder »musste«.

Dass meine Familie – zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits zu viert (mein Bruder Erfan wurde geboren, als ich fünf Jahre alt war) – immer noch in einem Zimmer zusammenwohnte und schlief, war für uns selbstverständlich und schweißte uns als Familie sehr stark zusammen.

Kurz bevor ich eingeschult wurde, schenkten mir meine Eltern zu meinem sechsten Geburtstag einen wunderschönen kleinen Schreibtisch mit einem Holzhocker. Beides hatten wir dank der Caritas aus zweiter Hand erhalten. Ich liebte diese zwei Möbelstücke wie verrückt. Nun hatte ich zum ersten Mal meinen eigenen Platz, um zu schalten und zu walten. Bereits im Alter von sechs Jahren war mir dieser Ort wichtig – dass das Bedürfnis nach Selbständigkeit der rote Faden meines Lebens sein sollte, spürten meine Eltern schon damals.

Unsere Wohnsituation und die Art und Weise, wie ich neue Klamotten oder Spielzeuge bekam, waren für mich wunderbar – ich wusste nie, welches Abenteuer als Nächstes um die Ecke biegen würde. Und wie alle Kinder liebte ich es, Dinge zu entdecken.

Die Probleme begannen erst, als andere Kinder mich darauf ansprachen, ob wir denn arm seien. Denn in meiner damaligen Weltsicht waren nur diejenigen Menschen arm, die kein Heim hatten, unter einer Brücke schlafen mussten und keine Ahnung hatten, wie sie den nächsten Tag überleben sollten. Für österreichische Kinder dagegen, für die eine schöne Wohnung, neue Klamotten und Geschenke zu Weihnachten zum Alltag gehörten, war klarerweise alles, was unter ihrem Niveau lag, arm oder bemitleidenswert.

Anfangs irritierte es mich, als »arm« wahrgenommen zu werden. Glücklicherweise spürte ich in diesem Moment, dass das Urteil der anderen Kinder nicht »die Wahrheit« war. Ich hatte nämlich recht früh lernen müssen, mir meine eigene Meinung zu bilden, da es damals wenig gab, auf das meine Familie und ich in Österreich zurückgreifen konnten. Wir hatten keinen österreichischen Freundeskreis und auch sonst wenig Zugang zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft und all ihren Annehmlichkeiten. Später wurde mir klar, dass meine Klassenkameraden eine »gesellschaftliche Meinung« nachgeplappert hatten, die sich letztlich auch nur aus den Weltbildern verschiedener Menschen, in erster Linie denen ihrer Eltern, speist. Schlimm ist, wenn diese Weltbilder vielleicht nichts mit der eigenen Realität zu tun haben, man aber trotzdem nicht dagegen gefeit ist, sich die Sichtweise der Gesellschaft überstülpen zu lassen. Das Schöne ist – es sind die Weltbilder anderer Menschen. Wenn wir eine davon abweichende Sichtweise haben, dürfen wir daran festhalten und zu unserer Realität stehen.

Als ich mit meinen Eltern darüber sprach, erklärte mir meine Mutter: »Wir haben momentan weniger Geld als die meisten Österreicher, aber das wird sich mit der Zeit bessern. Es ist nicht so wichtig, wie viele Pullover man besitzt. Wichtig ist, dankbar zu sein, für das, was man hat.« Tatsächlich stellte ich damals fest, dass nicht ich bemitleidenswert war – ich hatte ja alles –, sondern die Leute, die alles hatten, aber nicht verstanden, wie reich ihr Leben eigentlich war. Sie besaßen alles, was ein Mensch für ein gutes Leben braucht, und erachteten das als völlig normal. Sie hatten nie die Chance, die Dankbarkeit zu fühlen, die es mit sich bringt, wenn diese banalen Dinge nicht als Selbstverständlichkeit gesehen werden.

Später verstand ich, dass Menschen, die von Anfang an mit diesen Privilegien ausgestattet sind, unbewusst sehr oft Verlustängste in sich tragen. Sie fühlen sich unfrei, weil sie ständig Angst haben, ihren hohen Lebensstandard zu verlieren. Sie sind nicht in der Lage, sich vorzustellen, wie das Leben ohne diese Sicherheiten ist. Sicherheiten, die geborgt sind – wir werden ohne sie geboren und können sie nicht mit ins Grab nehmen.

Für meine Familie und mich war seit unserer Flucht die Unsicherheit eine tägliche Konstante und wurde zu unserem besten Freund. Kennt man nur ein Leben voller Sicherheiten, stürzt man bei Unsicherheit ins Bodenlose. Kennt man allerdings die Unsicherheit als Konstante des Lebens, trifft es einen nicht so schwer, wenn sich die eigene Welt plötzlich verändert.

Unsicherheit war für mich deshalb selten mit Angst verbunden, sondern eher mit der Tatsache, dass ich mich vom Leben überraschen ließ. Wenn etwas gut lief, freute ich mich mehr als alle anderen um mich herum, und wenn etwas schlecht lief, war es für mich einfacher, dies zu akzeptieren.

Da ich zum Glück ganz regulär in die Schule gehen durfte, lernte ich die deutsche Sprache sehr schnell und sprach bald »schöner« Deutsch als alle österreichischen Kinder. Als ich zehn Jahre alt war, verkündete meine Lehrerin ganz stolz vor der Klasse, dass ich das einzige Kind sei, das das Wort »Baum« richtig schön und hochdeutsch aussprechen könne. Dazu muss man wissen: Ich bin im Arbeiterbezirk Simmering aufgewachsen – einem wahren Hotspot des Wiener Dialekts, wo das Wort Baum eher »Baaam« ausgesprochen wird. Hier der Einzige mit einer hochdeutschen Aussprache zu sein, war nicht wirklich schwer. Trotzdem hatte sich in den Augen meiner Lehrer gerade ein kleines Wunder mit persischem Touch ereignet.

Zu Hause galt die Regel, Deutsch zu sprechen, damit wir uns besser integrieren. Meine Eltern sagten mir immer, dass wir – als Fremde in einem fremden Land – die Sprache besser lernen müssten als jeder Österreicher, da wir es aufgrund unseres Aussehens und unserer Herkunft immer schwerer haben würden. Meine Eltern behielten recht. Kannst du mal die Sprache, kommst du mit allem klar – kannst du sie nicht, ist jede Art der Integration schon fast zum Scheitern verurteilt. Denn in den Augen vieler bist du dann »der Ausländer, der sich nicht integrieren will«. Doch wir haben auch immer wieder Persisch gesprochen. Im Alter von fünf Jahren ging ich samstags in einen Persischkurs und lernte die Sprache lesen und schreiben. Heute spreche ich so gut Persisch wie ein Österreicher, der gut Persisch gelernt hat – mit einem österreichischen Dialekt.

Wann immer mein Vater mir Ratschläge geben wollte, tat er das, während er mit mir spielte oder wir uns eine meiner Lieblingsserien im Fernsehen ansahen. Mit ihm Zeit zu verbringen, empfand ich als Abtauchen in eine fremde Welt voller Phantasie. Die gemeinsame Zeit endete zumeist darin, dass wir miteinander zeichneten oder Geschichten erfanden. Er nutzte diese Augenblicke, um mir ohne Druck Lebensweisheiten mitzugeben, von denen er wusste, ich würde sie eines Tages gut brauchen können. Als ich zehn Jahre alt war, gab mir mein Vater einen Rat mit, der mein Leben später stark prägte und dazu führte, dass ich über vierzig verschiedene Jobs ausprobierte.

Wir hatten gerade eine Runde UNO – mein absolutes Lieblingsspiel – beendet, als ich meinen Vater fragte, bei welchem seiner Jobs er am meisten gelernt hätte. Er erzählte mir, dass er in allen seinen Jobs etwas mitgenommen hatte, wollte mir aber keinen als den besten empfehlen, um meine Sichtweise auf die Zukunft nicht einzuschränken. Er warnte mich vor, dass ich bestimmt irgendwann gefragt werde, was ich später mal machen möchte. Als Kind kenne man jedoch sehr selten schon alle Berufe, die einem später einmal passieren werden. Außerdem gehöre es auch zum Standardrepertoire aller Erwachsenen, den Kindern zu sagen, was man dürfe und was nicht oder was man könne und was nicht. All das solle ich nicht zu ernst nehmen und mich davon nicht stressen lassen.

Mein Vater und ich hatten mehr Gemeinsamkeiten, als ich dachte.

Ich höre heute noch seine Stimme, wenn ich daran denke, was er dann sagte. Sein Ton wurde ganz ruhig, damit ich das, was er mir vermitteln wollte, auch verstand.

»Ali, wir als deine Eltern lieben dich über alles, und wir geben dir die Ratschläge mit, von denen wir glauben, dass sie dir helfen werden. Und viele von diesen Ratschlägen sind sicher gut. Doch kein Erwachsener weiß, wie die Welt in zehn Jahren aussehen wird, und alle Ratschläge, die man dir weitergibt, sind im Grunde nichts anderes als ein Wissen aus der Vergangenheit dieser Personen. Doch dieses Wissen hat wahrscheinlich nichts mit deiner Zukunft zu tun, auch wenn Erwachsene gerne glauben, die Zukunft aufgrund ihrer Vergangenheit voraussagen zu können. Höre Menschen, die dir helfen wollen, gut zu. Doch hinterfrage alles, und überlege, ob das auch für dich und die heutige Zeit gilt. Wenn du wissen willst, was da draußen in der Welt wirklich vor sich geht und welche Möglichkeiten dir offenstehen, dann geht das nur, wenn du dich in Bewegung setzt, da rausgehst und es für dich selbst ausprobierst.«

Und so kam es, dass ich recht früh begann, in meiner Freizeit arbeiten zu gehen. In Österreich war das gesetzlich ab dem Alter von 14 Jahren erlaubt. In den Sommerferien jobbte ich auf Baustellen, in den Winterferien bei einer Fastfoodkette, an den schulfreien Samstagen in einem Supermarkt und am Sonntag in einem Kino.

Dabei lernte ich – wenn auch ungewollt – relativ früh, was es bedeutet, sich zu wehren. Einer meiner ersten Jobs war ein sechswöchiges Praktikum auf einer Baustelle. Die Arbeit machte Spaß, ich war an der frischen Luft und konnte erleben, wie etwas Neues entsteht. Zum ersten Mal sah ich auch die Unterschiede zwischen den Menschen in der »harten« Arbeitswelt. Mir gefiel es, mich an einem Tag mit dem Malermeister zu unterhalten und am nächsten Tag dem Architekten bei der Begutachtung der neuen Innenräume zuzusehen. Zu dieser Zeit wuchs in mir der Wunsch, eines Tages Architekt zu werden und Dinge zu bauen.

Steve Jobs hat nach seinem Rausschmiss bei Apple einmal festgestellt, dass wir uns zu wenig klarmachen, dass alles, was uns umgibt, von Menschen gebaut wurde, die auch nicht smarter sind als wir. Wer dies einmal verstanden hat, ist nicht mehr derselbe. Als ich auf der Baustelle arbeitete, war das der Moment, in dem ich begriff: Fast alles, was uns umgibt, ist eines Tages als Gedanke im Kopf eines Menschen entstanden. Architekt zu sein schien mir die ultimative Ausprägung des Schöpferischen und eine Arbeit zum Wohle von Menschen, die schließlich immer ein Dach über dem Kopf brauchen.

Am Ende des Praktikums stellte ich jedoch fest, dass ich weit weniger verdient hatte, als mir mündlich zugesagt worden war. Und das lag nicht an den Steuer- und Sozialabgaben. In mir stieg Wut auf – ich hatte das Gefühl, die Baufirma wolle mich über den Tisch ziehen. Nicht mit mir! Ich war zwar noch jung, aber angriffslustig, und so engagierte ich bei der Österreichischen Arbeiterkammer einen Anwalt. Die Arbeiterkammer war schließlich eine Vertretung aller Arbeiter, und ich konnte als angestellter Praktikant auf ihre Dienste zurückgreifen. Auch ich mit meinen 14 Jahren hatte schließlich Rechte – und diese forderte ich ein. Okay, meine Mutter half mir etwas – na ja, viel. Am Ende der Verhandlungen bekam ich die gleiche Menge an Gehalt noch einmal überwiesen und eine Entschuldigung von der Baufirma obendrauf. Ich wünsche keinem 14-Jährigen, dass er sich jemals mit solchen Themen herumschlagen muss, doch so schnell hätte ich sonst wohl nie gelernt, wie viel man bewegen kann, wenn man sich wehrt.

Im Laufe meiner Jugend erlebte ich außerdem, wie blockierend die eigene Herkunft für das eigene Vorankommen sein kann. Als ich in einem amerikanischen Fastfoodrestaurant als Putzmann arbeitete, war ich dafür zuständig, Toiletten, Küche und Lobby sauber zu halten. Ein anstrengender, aber auch cooler Job, da ich sehr viel über die Gewohnheiten und Manieren von Menschen lernte: Wie man sich dem Putzpersonal gegenüber verhält, verrät nämlich eine Menge über das eigene Menschenbild. Manche grüßen und sind dankbar, dass jemand diese Arbeit macht, andere behandeln einen wie das Inventar des Gebäudes und sind entsetzt, wenn man sich dagegen wehrt.

Eines Tages kam ich mit der damaligen Filialleiterin des Restaurants ins Gespräch. Bis dahin hatte ich nie die Gelegenheit gehabt, mit ihr zu reden. Im Laufe unserer Unterhaltung merkte ich, dass sie total überrascht von mir war. »Herr Mahlodji, Ihr Deutsch ist ja total super, wo haben Sie das so gut gelernt?« Und plötzlich ging es auf der Karriereleiter rasant nach oben: »Möchten Sie an die Kasse wechseln?«

Ich erklärte ihr, dass ich seit meinem zehnten Lebensjahr die österreichische Staatsbürgerschaft habe, in Österreich bereits im Kindergarten war und es eine Schande wäre, wenn ich nicht perfekt Deutsch könnte. Der aufsteigenden Röte und Scham in ihrem Gesicht zu entnehmen, begann sie wahrscheinlich gerade ihr bisheriges Bild von Ausländern, die 90 Prozent ihres Personals ausmachten, zu hinterfragen. Vielleicht hatte sie womöglich das Potential ihrer Mitarbeiter bis dato nur am Aussehen oder ihrer Arbeitsuniform festgemacht. Als mir das klar wurde, fühlte ich eine tiefe Kränkung. Ich fühlte mich, als würde ich stellvertretend für alle Ausländer, deren Potential man nur an der Hautfarbe festmacht, die Stellung halten. Jahre später noch stieg dasselbe Gefühl von Kränkung in mir auf, wann immer ich sah, dass einer Minderheit unrecht getan und sie hinter ihren Möglichkeiten gehalten wurde.

In all meinen Jobs, egal wie mühsam oder aus Sicht der Gesellschaft »niedrig angesiedelt«, gab es etwas, das in meinen Augen echt cool war. Die Alternative – den Job langweilig zu finden – kam für mich nie in Frage. Das sah ich als Verschwendung meiner Lebenszeit an: mich während der Arbeit schon auf die Freizeit zu freuen und die Arbeitszeit nicht zu »genießen«.

In jedem Job, ob wir wollen oder nicht, verbringen wir Stunden damit, etwas zu machen, das man von uns erwartet. Es gibt Menschen, die auch beim Bodenputzen versuchen, ihren Vortagesrekord zu schlagen, und wissen, dass ein gutgeputzter Boden die beste Visitenkarte eines Unternehmens ist. Und dann gibt es Menschen, die sagen: »Ich bin ja nur Putzmann, das ist das Letzte.« Man kann sich vorstellen, dass ich zu Ersterem tendierte, weil ich – aus rein egoistischer Sicht – nicht bereit war, mir meine Laune verderben zu lassen. Die Arbeit war immer die gleiche mühsame Schinderei, aber wie ich darüber dachte und damit mein eigenes Seelenleben steuerte, konnte ich jeden Tag aufs Neue entscheiden.

Alle meine Nebenjobs besaßen ein Ablaufdatum, da ich immer mehr probieren und sehen wollte. Im Nachhinein betrachtet, hätten meine Jobs unterschiedlicher nicht sein können. Und doch hatten sie eine Sache gemeinsam: Sie griffen alle in das Leben von Menschen ein, entweder direkt oder indirekt. Diese Entdeckung war es, die mir klarmachte, dass in Wirklichkeit so ziemlich jeder Job auf seine Weise das große Ganze beeinflusst – wir nehmen das nur zu selten wahr. Und so gesehen, gibt es nichts Schöneres, als so viele Jobs wie möglich auszuprobieren – und all die Wege zu erkunden, auf denen das eigene Handeln einen positiven Einfluss auf die Welt haben kann. Wenn man bedenkt, dass es 100000 verschiedene Berufe auf der Welt gibt, sind meine über vierzig Jobs deshalb gar nicht so viel, wie manche Menschen mir weismachen wollten:

Apothekenhelfer // Babysitter // Basketballtrainer // Bauarbeiter // Baukalkulation // Baustellenaufsicht // Briefträger // Botenfahrer // DJ // Fastfoodkoch // Fließbandbetreuer bei einem Kaffeeproduzenten // Flüchtlingsbetreuer // Fotograf // Geologie-Assistent // Geschäftsführer // Integrationsbotschafter // IT-Betreuer // Jobcoach // Kassierer // Kinomitarbeiter// Kundenberater // Lagerarbeiter // Lehrer // Maler // Management Consultant // Maurer // Möbelbauer // Nachhilfelehrer // Programmierer // Projektmanager // Putzmann // Redakteur für ein Jugendmagazin // Securitymann // Sportartikeltester // Start-up-Gründer // Straßenverkehrszähler // Systemadministrator // Technischer Mitarbeiter bei Sozialprojekten // Verkäufer // Vortragsredner // Zeitungsausträger // Zimmerer.

Superheld in spe

Weshalb Stottern meine größte Stärke wurde

Als mein Bruder und ich von der bevorstehenden Scheidung unserer Eltern erfuhren, waren wir beide derart geschockt, dass wir aufhörten zu sprechen. Wir konnten einfach nichts mehr sagen, so unwirklich war die Vorstellung, bald nicht mehr zu viert zusammenzuleben. Unsere Kindheit war bis dahin durch die Flucht und die anhaltende Ausgrenzung schwierig gewesen, doch wir hatten immer uns als Familie gehabt. Das war nun Geschichte. Es war, als würde man mir den Boden unter den Fußen wegziehen. Das einzige Fundament eines sehr jungen Lebens zerbrach. Es dauerte einige Tage, bis mein Bruder und ich wieder zu sprechen begannen, doch wir stotterten – beide.

Die Flucht hatte einen tiefen Graben in die Partnerschaft meiner Eltern gerissen. Wo Liebe und Vertrauen eine Ehe unter guten Umständen zusammenhalten, hatten Angst vor der Zukunft und völlig unterschiedliche Perspektiven sie auseinandergebracht. Nach der Flucht mussten meine Eltern diverse Hilfsjobs annehmen, um unsere kleine Familie über Wasser zu halten. Obwohl meine Mutter im Iran einen Universitätsabschluss und Top-Jobs gehabt hatte, begann sie als Putzfrau zu arbeiten. Sie sah das als eine gute Möglichkeit, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen, und war dankbar dafür, ihr eigenes Geld verdienen zu können. Zudem lernte sie die Sprache schnell und fand in den anderen Frauen ihres Deutschkurses erste Kontakte.

Mein Vater war im Iran Manager gewesen und hatte an der Universität unterrichtet. In Österreich gelang es ihm nicht, Teil der Gesellschaft zu werden, und er lernte die Sprache auch bei weitem schlechter als meine Mutter.

Menschen, die auf der Flucht waren, sind häufig traumatisiert. Studien gehen davon aus, dass fast die Hälfte aller Flüchtlinge Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) entwickeln, die unter anderem dazu führen können, dass Betroffene Gedächtniseinbußen ihrer Flucht erleiden. Je größer die Angst, nicht zu überleben, umso größer das Trauma.

Basketball war mein Leben und mein Bruder Erfan immer mit dabei.

Mein Vater hatte so ein Trauma. Er schwankte zwischen Angstzuständen und Panikattacken. Unsere Verfolger aus dem Iran tauchten auf Wiens Straßen auf, obwohl sie klarerweise nur in seinem Kopf zu Hause waren. Eine Wahnvorstellung, die aus der Sicht seiner Psychologen nachvollziehbar war, für viele Menschen jedoch einem »er will sich ja nicht integrieren« gleichkam. Sein Trauma und die Tatsache, dass meine Eltern seit der Flucht nur noch funktionieren mussten, trieben einen immer größeren Keil zwischen meinen Vater und meine Mutter und führten schließlich zu ihrer Scheidung – da war ich zwölf Jahre alt.

Ab diesem Zeitpunkt nahmen meine schulischen Probleme zu, weil ich nun neben dem Druck, der Fremde zu sein, auch der war, »der nicht mal richtig sprechen konnte«. Schon zwei Jahre zuvor hatte ich die Schule gewechselt, weil ich an Panikattacken und Angst vor dem Unterricht litt. Ich tat mich irrsinnig schwer, mit schulischem Druck umzugehen. Das fing schon an, wenn ich vor der gesamten Schulklasse etwas vorrechnen musste, und intensivierte sich, wenn eine Prüfung anstand.

Möchten Sie gerne weiterlesen? Dann laden Sie jetzt das E-Book.