Unendliche Lust auf mehr - Katherine Garbera - E-Book

Unendliche Lust auf mehr E-Book

Katherine Garbera

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Beschreibung

Survival-Expertin Jessie hat ein sexy Problem: Sie soll angehende Astronauten für ihre Mars-Mission trainieren - und nicht mit einem von ihnen eine heiße Affäre beginnen! Aber die Lust zwischen ihr und Hemi "Thor" Barrett ist überwältigend wie das ewige All …

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IMPRESSUM

Unendliche Lust auf mehr erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Katherine Garbera Originaltitel: „Pushing the Limits“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY EXTRA HOT & SEXYBand 68 - 2017 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Johannes Heitmann

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733739263

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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1. KAPITEL

Jessie Odell stand in einer Ecke der Scheune der Bar T Ranch, in der die Party tobte.

Die Bar T Ranch befand sich etwas außerhalb von Cole’s Hill in Texas, und mit dieser Gala-Party wurde die Eröffnung des neuen Mick Tanner Cronus Trainingszentrums gefeiert. In der umgebauten Scheune hatten sich Astronauten, Vertreter von Behörden und private Investoren versammelt, die bereit waren, ihren Beitrag zu leisten, um der Menschheit einen Weg zum Mars zu eröffnen.

Jessie hatte keine Lust mehr, noch weiter über all die Expeditionen zu reden, die sie erlebt hatte, oder über irgendwelche berühmten Menschen, denen sie begegnet war. Dieser Teil ihres Lebens war seit dem Augenblick vorbei, als Alexi am Mount Everest in die Gletscherspalte gestürzt war. In dem Augenblick, in dem sie ihn nicht hatte retten können.

Sie hatte gedacht, die Trauer würde sie wie ein Fausthieb treffen, doch stattdessen war sie innerlich wie vor Kälte erstarrt. In ihrem bisherigen Leben hatte sich alles auf die TV-Reportagen über ihre Expeditionen konzentriert, doch jetzt wollte sie nicht mehr, dass jeder Moment mit der Kamera festgehalten wurde. Sie sehnte sich nach Privatsphäre.

Deshalb war dieser Job im Trainingszentrum für die Cronus-Mission für sie wie ein Geschenk des Himmels.

„Kein großer Fan von Partys?“

Der Mann, der ihr die Frage gestellt hatte, lehnte sich links von ihr an die Wand.

„Nicht so richtig“, gab sie offen zu. Im dämmrigen Licht konnte sie von dem Mann nur die Umrisse erkennen. Er trug einen perfekt sitzenden Smoking und überragte sie, trotz ihrer eins neunundsiebzig und der High Heels. Ihre Mutter hatte immer gesagt, sie solle sich wegen ihrer Größe niemals schämen, und Jessie stand zu sich und ihrer Körpergröße.

„Ich auch nicht. Ich bin übrigens Thor.“

„Jessie. Thor? Wirklich? Ein nordischer Gott?“

Beim Klang seines Lachens musste sie lächeln. Er lachte laut und unbekümmert, nicht so leise und zurückhaltend, wie Alexi immer gelacht hatte.

„Stimmt, tut mir leid. Dumme Angewohnheit. Thor ist mein Rufname bei der NASA. Ich bin Hemi Barrett. Astronaut und einer der Anwärter für die erste Cronus-Mission.“ Er trat aus dem Schatten und streckte ihr die Hand hin.

„Der Name stammt von den Maori, oder?“

„Das stimmt. Kommt von meiner Mom. Sie und mein Dad haben sich auf Hawaii getroffen. Aber aufgewachsen bin ich in L.A.“

Das kantige Kinn und die dunklen Bartstoppeln betonten seine vollen, sinnlichen Lippen. Wie gebannt sah Jessie auf seinen Mund und konnte kaum glauben, dass ihr Herz sofort schneller schlug. So etwas war ihr noch nie passiert! Lust auf einen Mann, das entwickelte sich bei ihr sonst immer aus Freundschaft heraus.

Bei diesem Mann war alles anders. Ganz eindeutig. Es war Lust.

Seine Augen hatten den Farbton dunkler Schokolade, es wirkte fast sündig. Seine Haut war tief gebräunt, und um die Augen hatte er kleine Lachfältchen. Auf der Stirn sah sie eine kleine Narbe, und dann war da noch dieses winzige Muttermal unter dem rechten Auge … Jessie wusste, dass so ein Muttermal bei den Maori als ein Zeichen dafür galt, dass die Götter mit diesem Menschen große Pläne hatten.

Fragend zog er eine Braue hoch.

Ihr wurde bewusst, dass sie ihn anstarrte, doch es machte ihr nichts aus. Sie war naturverbunden aufgewachsen und lebte mit dem Grundsatz, nie zurückzuweichen.

Während einer ihrer Expeditionen in Neuseeland hatte sie bei einer Maori-Familie gelebt, und sie hatte die Akten von allen Astronautenanwärtern gelesen. Doch kein noch so ausführlicher Bericht konnte die Ausstrahlung eines Mannes wie Hemi einfangen.

Der Anflug eines Lächelns lag auf seinen Lippen, und er trat einen Schritt näher. Unwillkürlich legte Jessie ihm eine Hand auf den Arm, und durch den Stoff des Smokings hindurch spürte sie seine Stärke.

Jessie drückte etwas zu. Die Männer in ihrem Leben waren durch die anstrengenden und entbehrungsreichen Trips in die Wildnis schlank und eher hager gewesen. Hemi hingegen war muskulös und kraftvoll.

Sein Händedruck war energisch, doch es wirkte auf Jessie nicht so, als versuche er, sie einzuschüchtern.

„Jessie Odell.“

Aus seinem Mund klang es beinahe ehrfürchtig. Anscheinend hatte er ihre Reportagen gesehen oder ihre Bücher gelesen.

„Richtig.“

„Wow. Als Kind habe ich die Reportagen deiner Eltern gesehen.“

Sie wusste, dass sie durch diese Reportagen für viele Menschen ein fester Bestandteil ihrer Kindheit war. Als Meeresbiologen hatten ihre Eltern, ähnlich wie Jacques Cousteau, abenteuerliche Forschungsreisen unternommen, und Jessie war von Kindheit an auf der Jacht mitgereist und dabei gefilmt worden.

Im Augenblick wollte sie lieber über ihre Kindheit sprechen als über ihren letzten Aufstieg zum Mount Everest. Sie brauchte Abstand, genau deswegen war sie hierher nach Texas gekommen.

Im Vergleich zu all dem, was sie bisher gemacht hatte, würde dieser Job hier ein Kinderspiel werden.

„Schätze, das bekommst du oft zu hören.“

„Hin und wieder. Aber die meisten wollen wissen, wie es für mich war, durch die Arktis zu wandern.“

„Cool.“ Er zwinkerte. „Aber ich war schon im All.“

Es überraschte sie selbst, dass sie lachen musste. Hemi hatte recht. Alle Männer und Frauen hier im Raum hatten genau wie sie schon Außerordentliches erlebt.

„Wie ist das so?“, fragte sie.

„Spendier mir einen Drink, dann können wir uns gegenseitig von unseren Abenteuern erzählen. Ich will unbedingt hören, wie das bei dir im Haikäfig war, damals vor der afrikanischen Ostküste.“

„Die Drinks kosten doch überhaupt nichts.“

„Dann hast du ja nichts zu verlieren.“

„Okay, gehen wir.“

Auf dem Weg durch die Menge entdeckte Jessie ihre Freundin Molly Tanner, der die Bar T Ranch gehörte, wie sie gerade mit ihrem Verlobten Ace McCoy tanzte. Ace würde die Langzeitmission leiten, mit der eine Raumstation auf halbem Weg zwischen Erde und Mars errichtet werden sollte.

„Ace ist wirklich zu beneiden“, stellte Hemi fest, als er ihrem Blick folgte.

„Findest du?“

„Natürlich. Tolle Verlobte, Kommandant der Cronus-Mission, und obendrein hat er dieses Trainingszentrum aufgebaut.“

„Willst du all das auch?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nicht gerade die typische Frage bei einem ersten Date.“

„Ist das hier unser erstes Date?“ War das eine zu persönliche Frage? Normalerweise lernte sie Menschen kennen, die kurz davor standen, etwas sehr Wagemutiges zu riskieren, und in solchen Situationen sprachen alle sehr offen über Persönliches, denn es war nie sicher, ob alle Teilnehmer lebend zurückkehrten. Egal, wo sie auf der Welt gewesen war, meist war sie die Außenstehende, die neugierig Fragen stellte, und manchmal ging sie dabei etwas zu weit.

Hemi war da völlig anders, und das machte Jessie neugierig.

„Das hoffe ich“, antwortete er zwinkernd.

Charme hat er, das muss man ihm lassen, dachte sie. Bei seinem Aussehen und seinem Körper brauchte er sich wahrscheinlich nie sehr anzustrengen, um bei den Frauen zu landen. „Warten wir’s ab, was ich von dir zu hören bekomme, nachdem ich dir erzählt habe, wie ich als Zehnjährige dem Weißen Hai begegnet bin.“

„Dafür erzähle ich dir, wie sich bei einem Weltraumausflug meine Halteleine gelöst hat.“

„Anscheinend hast du es zurück zur Erde geschafft.“

„Es war aber einen Moment lang sehr heikel.“ An der Bar angelangt lehnte er sich an den Tresen. „Auf welches Gift stehst du?“

Tee mit Yakbutter. Aber das behielt sie lieber für sich. „Ich nehme, was immer du auch nimmst.“

„Oh, ich trinke nicht. Ich muss in Topform bleiben. Findest du, das gelingt mir?“

Langsam ließ sie den Blick an seinem Körper hinabgleiten. Breite Schultern, muskulöse Brust, schmale Hüften und lange Beine. Sie zog eine Braue hoch. „Sieht alles ganz gut aus, könnte aber auch am Smoking liegen.“

Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Wenn du deine Karten richtig ausspielst, erlebst du mich vielleicht noch ohne Smoking.“

Jessie verdrehte die Augen, obwohl er es offensichtlich als Scherz gemeint hatte.

Er bestellte ihnen beiden einen Cranberrysaft mit Mineralwasser und ging zu einem Bartisch etwas abseits des Geschehens.

Ihre Fingerspitzen berührten sich, als er ihr das Cocktailglas reichte, und es kam Jessie vor, als habe sie einen Stromschlag bekommen. Die Gänsehaut, die darauf folgte, fühlte sich aufregend an.

„Auf neue Freunde und große Abenteuer.“

„Auf große Abenteuer.“ Prostend hob sie ihr Glas und trank einen Schluck.

Hemi blickte sich um. Ace stand bereits als Kommandant der ersten Mission fest, und Dennis Lock hatte als stellvertretender Manager des Cronus-Programms den Termin für die erste Cronus-Mission festgelegt. Noch neun Monate! Alle Astronautenanwärter waren mindestens so aufgeregt wie Hemi. Er trank sein Glas halb leer. „Wieso bist du hier auf der Party? Bist du eine der Anwärterinnen?“

„Nein, nein, ich bleibe lieber auf diesem Planeten. Hier gibt es noch so viele Gegenden, die ich nicht erkundet habe.“ Hatte sie tatsächlich gedacht, ihre Abenteuerlust sei erloschen? Bei diesem Mann wurde diese Lust wieder wach. Selbst wenn es nur ein kurzes Aufflackern war, es fühlte sich sehr gut an. „Ich bin die Survival-Trainerin, die allen Anwärtern beibringt, wie sie in Grenzsituationen überleben.“

Die Ausbilderin! dachte Hemi erstaunt. Jessie Odell war berühmt für ihre Abenteuer und TV-Reportagen. „Gut zu wissen, dass sie die Beste für diesen Job engagiert haben.“

Schon als Teenager war er ein bisschen in die schlanke sexy Jessie aus dem Fernsehen verknallt gewesen, und heute sah sie einfach umwerfend aus. Das dichte blonde Haar hatte sie am Hinterkopf hochgesteckt, nur ein paar Strähnen umrahmten ihr Gesicht. Ihre Augen waren so blau wie der Pazifik, den er während seiner Kindheit in Kalifornien tagtäglich gesehen hatte. Ihre schlanken Arme waren durchtrainiert, und das silberne Kleid betonte ihre langen, schlanken, aber muskulösen Beine. Der tiefe Ausschnitt ließ den Ansatz ihrer Brüste frei.

„Gefällt’s dir?“

Ohne sich zu schämen, nickte er. „Auf jeden Fall. Das Kleid steht dir. Aber im Bikini hast du mir noch besser gefallen.“

„Im Bikini habe ich mich seit meiner Teenagerzeit nicht mehr filmen lassen.“

„Damals war ich auch noch Teenager“, entgegnete er zwinkernd.

„Verstehe.“ Sie räusperte sich. „Du bist also einmal fast ins All getrieben. Willst du deshalb bei dieser Mission dabei sein? War es dieses Erlebnis, das dich jetzt antreibt?“

Sie hatte die Unterarme auf den Bartisch gelegt und die Finger verschränkt. Jetzt beugte sie sich leicht vor, und ihre langen Diamantohrringe schwangen und blitzten auf. Sie sah ihn aus ihren unglaublich blauen Augen an.

Hemi schluckte. Andere Leute würden sich im Raum umsehen oder auf ihr Smartphone, doch Jessie sah ihm nur in die Augen. Es war lange her, seit jemand ihm so ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt hatte. „Das ist bestimmt auch ein Grund, wieso ich wieder ins All will. Aber das würde ich bestimmt auch dann wollen, wenn sich meine Leine damals nicht gelöst hätte.“

„Wie ist das denn passiert?“

„Fehlende Schwerkraft und technisches Versagen. Der Clip an meinem Raumanzug hatte einen kleinen Defekt, und als ich das Gleichgewicht verloren habe, war der Ruck zu stark, und der Clip ist gebrochen.“

Noch sehr genau konnte er sich an diesen Augenblick erinnern, als er sich trudelnd von der Raumstation entfernt hatte. Ace hatte einen Rucksack mit Jetantrieb getragen und war Hemi gefolgt, doch ungefähr dreißig Sekunden lang war er hilflos in die Unendlichkeit getrieben. In seinem ganzen Leben hatte er nie so große Angst gehabt, dennoch war er gedanklich alle Möglichkeiten durchgegangen, wie er zurück zur Station gelangen könnte.

Sie nickte. „Am Annapurna im Himalaya ist mir auch mal der Karabinerhaken gebrochen. Zum Glück konnte ich mit meinem Eispickel Halt finden, sonst wäre ich abgestürzt. Aber du hattest ja nichts zum Festhalten. Wie bist du zurückgelangt?“

„Ace war in meiner Nähe und hat mich gehalten. Diesem Mann verdanke ich mein Leben. Wenn ich mit jemand anderem da oben gewesen wäre … Ich weiß nicht, ob alle so schnell wie Ace reagiert hätten.“

„Vertrauen in die Crew ist sehr wichtig. Auf der ganzen Welt gibt es bestimmt nicht mehr als drei Menschen, denen ich in gefährlichen Situationen blind mein Leben anvertrauen würde.“

„Nur drei? Also ich vertraue allen Kameraden, mit denen ich da oben war. Bei den neuen Anwärtern weiß ich das aber erst, wenn wir zusammen im All sind.“

„Macht dir das keine Angst? Klingt sehr riskant.“

Er lachte leise. „Deine Sache mit dem Haikäfig damals fand ich viel riskanter. Ehrlich, als ich die Episode gesehen habe, habe ich verkrampft auf der Stuhlkante gesessen.“

„Mein Dad hat mich damals gerettet, aber das hast du ja gesehen. Die Situation war ein bisschen wie bei dir. Die Schwachstelle im Stahl haben wir erst bemerkt, als der Käfig nachgegeben hat. Der Hai hat in den Käfig gebissen, und mein Bein hat in sein Maul geragt. Mein Dad hat dem Hai einen Faustschlag auf die Maulspitze versetzt und …“

Hemi legte die Hand auf ihre, obwohl Jessie so gelassen über den Vorfall sprach, als würde sie erzählen, wie sie als Kind vom Fahrrad gefallen war. „Tut mir leid.“

„Was denn?“

„Dass ich gefragt habe.“

„Das ist schon lange her. Im Gegensatz zu anderen Vorfällen.“

Hatte sie erst kürzlich wieder dem Tod ins Auge gesehen? Hemi hatte ihre Abenteuer nicht mehr verfolgt, seit er der Air Force beigetreten war, um ins Raumfahrtprogramm aufgenommen zu werden. „Willst du darüber reden?“

Sie schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. „Ganz sicher nicht.“

„Lieber tanzen?“

„Ich bin darin nicht so gut“, erwiderte sie, stellte jedoch ihr Glas ab.

„Ich aber.“ Hemi wackelte mit den Augenbrauen.

„Ehrlich?“

„Ich bin immer ehrlich. Das hat mein Dad mir und meinen Brüdern von frühester Kindheit an eingetrichtert. Und meine Mom hat darauf bestanden, dass wir alle tanzen lernen. Sie meinte, Frauen lieben es, zu tanzen, und Männer, die es nicht tun, würden etwas verpassen.“

Jessie lächelte. „Klingt nach guten Eltern.“

„Die hatte ich.“

Hemi führte sie auf die Tanzfläche und zog sie zu dem langsamen Song in die Arme, sodass ihre Körper sich fast berührten. Eine Hand legte er ihr an die Taille, die andere hielt er mit ihrer verschränkt. Offenbar konnte Jessie sehr wohl tanzen. Ihre Beine streiften seine, und die ganze Zeit über beobachtete sie ihn so eingehend wie während der Unterhaltung.

„Da hat deine Mom wirklich etwas Gutes getan“, stellte sie leise fest.

„Sie war für uns vier wilde Jungs die Allerbeste.“

„Vier Söhne? Klingt sehr lebhaft. Welcher davon bist du denn?“

„Rate mal.“ Die meisten Leute hielten ihn wegen seiner Führungsqualitäten für den Erstgeborenen, aber diese Eigenschaft besaßen auch seine Brüder.

„Du bist selbstbewusst, aber nach dem, was du über deine Eltern erzählt hast, schätze ich, das trifft auch auf deine Brüder zu. Du bist verwöhnt, deshalb … der Jüngste?“

„Verwöhnt? Wie kommst du darauf?“

„Du gehst fest davon aus, dass du alles bekommst, was du haben willst.“

„Das … Das liegt nur daran, dass ich gut bin in dem, was ich tue. Mit verwöhnt sein hat das nichts zu tun.“

„Schon klar.“ Schweigend sah sie ihn einen Moment an. „Und? Habe ich recht?“

„Hast du“, gab er zu. „Die meisten halten mich für den Ältesten.“

„Kann ich mir vorstellen, aber dafür fehlt dir das Verantwortungsbewusstsein. Als Ältester würdest du niemals ins All fliegen und deine Familie zurücklassen.“

„Wow. Das trifft mich.“

„Ich sage auch immer die Wahrheit. Außerdem weiß ich ja bereits, dass du ein Mensch bist, dessen Zukunft in den Sternen liegt.“

„Richtig. Sonst noch was?“

„Wie du schon gesagt hast, das ist alles sehr persönlich für ein erstes Date.“

„Dann ist dies also ein erstes Date?“ Wieder zwinkerte er.

„Könnte sein.“

„Gut. Wenn dies ein erstes Date ist, dann bedeutet das, es gibt noch mehr.“

„Warten wir erst mal ab, wie es endet, bevor wir voreilige Schlüsse ziehen.“

Er mochte sie. Als er sie in der Ecke hatte stehen sehen, hätte er sie beinahe in Ruhe gelassen. Aber irgendetwas an ihrer Art hatte ihn angezogen. Ihre langen Beine hatten ihn in seinem Entschluss bestärkt.

Wie natürlich sie war! Wenn sie ihn aus ihren großen blauen Augen ansah und die hübschen, sinnlichen pinkfarbenen Lippen leicht öffnete, musste er unwillkürlich an zerwühlte Laken und endlose heiße Nächte denken.

„Allerdings halte ich ein zweites Date für keine gute Idee.“

„Wieso nicht?“

Der Song war gerade zu Ende, und sie lächelte ihn an. „Weil ich deine Ausbilderin bin. Wir sollten unsere Beziehung auf das Berufliche beschränken. Aber danke für diesen Tanz.“

In dem Punkt war er völlig anderer Ansicht als sie. Wieso konnte zwischen ihnen nicht mehr sein als zwischen Ausbilderin und Schüler? Jemand rief seinen Namen, und Jessie trat einen Schritt zurück. Hemi wandte sich nur kurz um, um zu sehen, wer ihn gerufen hatte, und als er wieder nach vorn sah, war sie gegangen.

2. KAPITEL

Beim Betreten der Trainingshalle für Martial Arts atmete Jessie tief aus. Sie war erleichtert darüber, all die vielen Lichter und die Musik hinter sich gelassen zu haben. An Partys oder anderen gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen war für sie anstrengend. Viele Menschen um sich herum war sie nicht gewohnt. Als Kind war sie von ihren Eltern auf der Jacht unterrichtet worden, und später hatte sie den Großteil ihrer Zeit auf einsamen Expeditionen verbracht.

Das alles hier war für sie neu und aufregend. Lieber wäre sie nach draußen gegangen. Ein paar Ausflüge hatte sie auf der Bar T Ranch bereits unternommen, um Übungen für das Überlebenstraining zu planen, doch um nachts loszulaufen, kannte sie sich nicht gut genug aus.

Sie zog sich die Schuhe aus, und sobald sie die Trainingsmatten unter den Fußsohlen spürte, kam sie innerlich zur Ruhe. Die High Heels ließ sie neben der Tür liegen und ging zur Umkleide, wo sie sich ihren weißen „Gi“ anzog, den traditionellen Kampfanzug. Sobald sie sich den schwarzen Gürtel zuknotete, ging ihr Atem tiefer und ruhiger.

Hemi. Thor. Sie mochte es, dass alle Astronauten sich gegenseitig diese Rufnamen gaben. Das kam sicher daher, dass die meisten Anwärter zuvor beim Militär gewesen waren. Bei dieser Mission arbeitete die NASA jedoch nicht mit dem Militär zusammen, sondern mit einer zivilen Organisation namens „Final Frontier“.

Sie verließ die Umkleide und fing zu joggen an. Ruhig atmend drehte sie ihre Runden und ließ ihren Gedanken ebenfalls freien Lauf.

Zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit sah sie nicht sofort den Mount Everest und Alexi vor sich, sondern Hemis Gesicht. Man merkte ihm die Selbstsicherheit an, weil er schon so viel erreicht hatte, und auch die Leidenschaft für seinen Job. Allerdings sah Jessie ihn im Moment nicht als Astronautenanwärter vor sich.

Nach einer Viertelstunde hörte sie auf zu joggen und durchlief die unterschiedlichen Taekwondo-Folgen, die sie als Kind auf der Jacht ihrer Eltern erlernt hatte.

„Hier hast du dich also versteckt.“

Sie beendete noch ihre seitliche Trittfolge, bevor sie sich zur Tür umwandte. Dort im Schatten stand Hemi.

„Auf Partys halte ich es nie lange aus“, gab sie leise zu.

„Ich auch nicht. Wegen meines Jobs muss ich oft auf Partys, aber bis zum Ende bin ich noch nie geblieben.“ Er trat ins Licht. „Hast du gerade Taekwondo gemacht?“

Sie nickte.

„Was dagegen, wenn ich mitmache?“

„Überhaupt nicht. Ich habe den schwarzen Gürtel. Dritter Dan.“

„Vierter.“ Frech lächelnd streifte er sich die schwarzen Schuhe ab und ging zur Umkleide.

Jessie ließ den Kopf nach vorn sinken. Hemi brachte sie aus dem inneren Gleichgewicht. Warum war sie eigentlich hier in die Halle gekommen? Was hatte sie hier finden wollen? Sie trauerte immer noch um Alexi. Mit ihm hatte sie auch einen Teil ihrer Seele verloren. Ihre Eltern hatten gesagt, sie brauche einfach Zeit. Aber wie viel? Ihr Vater hatte gesagt, sie müsse ihren Mut wiederfinden, doch ihre Mutter befürchtete, sie habe ihr Herz und ihre Seele verloren.

In Hemis Nähe spürte sie wieder die prickelnde Neugier auf frische Abenteuer. Und jetzt hatte er sie hier aufgespürt und wollte mit ihr kämpfen.

Ging es um Sex? War es nicht mehr als körperliche Lust?

Vielleicht sollte sie sich auf eine Affäre mit ihm einlassen. Verboten war es nicht, aber würde sie ihn noch unvoreingenommen beurteilen können, wenn sie mit ihm schlief? Oder war es bereits zu spät? Schon jetzt war er für sie mit seinen muskulösen Armen und dem tiefen Lachen mehr als nur einer von vielen Kandidaten. Dieses Lachen konnte sie nicht vergessen.

Sie hörte, dass er in die Halle zurückkehrte, und er tippte sich grüßend an die Stirn, bevor er zum Aufwärmen im Kreis durch die Halle lief.

Als sie das letzte Mal mit einem Mann allein gewesen war, war es Alexi gewesen. Die Erkenntnis traf sie tief. Er war nicht mehr da.

Sie wollte gehen.