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Wie geht es nach "Innblut" weiter? Wilhalm sitzt in Fragenstein fest, um abzuwarten ob ein kirchliches oder weltliches Gericht das Schicksal Rainalds bestimmen wird. Das 14. Jahrhundert war nicht nur von epischen Schlachten und Kreuzzügen geprägt. Kleine und große Geschichten wurden durchlebt, ohne je Geschichte zu schreiben.
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Seitenzahl: 453
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Fragenstein
Tratzberg
Unhold
Hieb oder Schuss
Rattenberg
Botschaft
Hilfen
Burgen
Meinungen
Gericht
Immer wieder
Gottes Hilfe
Bogenschützen unter sich
Geheimnis im Turm
Blutvergießen
Leiden
Unterkunft Tratzberg
Kerkerhoffnung
Handwerk
Kurzer Prozess
Italienisch sterben
Heilerfolg
Speisen
Festliche Aussichten
Dilettantische Mörder
Die Kunst des Bogenbaus
Nur noch Zwei
Bekanntschaften
Einigungen
Die Planung beginnt
Verzweiflung
Heilkraft gegen Pfeilspitzen
Angriff
Nach Norden
Aufträge
Festakte
Winterbeginn
Ein neues Leben
Auf nach Innsbruck
Dreiundvierzig
Winterbeschäftigungen
Innsbruck
Abmarsch
Vereinbarungen
Planung Burgfest
Auf nach Zirl
Bauarbeiten
Planänderung in Pisa
Verhör Theodor
Lui auf Fragenstein
Bögen bauen
John zieht ab
Festplan
Theodors goldene Pläne
Warten Lui
Ankunft Brixen John
Rosmarie Pfeilbau
Gericht zu Hörtenberg
Theodor ist weg
Neuigkeiten in Zirl
Ab nach Innsbruck
Der erste Bogen
Lui bei Wilhalm
Theodor und Theodor
Lagerplatz
Truppenteilung
Bogenschulung
Erster Einsatz Rosmarie
Jenbach ruft
Theodors Tod
Gästelisten
Frauen im Trupp
Nie mehr Tratzberg
Raus aus Fragenstein
Den Söldnern ihr Sold
Richtungswechsel
Begegnungen
Zuversicht
Gedrechselte Geheimnisse
Verhandlungsgeschicke
Begehung
Wenn der Fuchs Geld riecht
Valerianus
Überraschung!
Zahlreicher Besuch
Festtage
Pfeil und Bolzen
Scheiden
Epilog
Prolog
Wilhalm vom Stain verlor jeden Glauben an sich, seinen Mitmenschen und der Mutter Kirche, nach dem, was sich in Zirl zugetragen hatte. Kein Teufel war es, den er gejagt hatte, nicht der Mörder seiner Schwester und keine tückischen Dämonen.
Die Fortsetzung von »Innblut« schließt nahezu nahtlos an den Schluss der Geschichte an und beginnt daher in Zirl.
Da Ende des 14. Jahrhunderts ist in Europa eine aufwühlende Zeit. Wir kennen sie vielleicht als Zeit der Pest, Hungersnöte und des Leids, was auch zum Teil stimmen mag. Aber die Menschen strebten nach Frieden, Ablenkung und Sicherheit. Nicht nur Kriege wurden geführt, es gab Friedensphasen und Feiern, Farben und Freude. Das Mittelalter war nicht nur finster, wie uns seit der Barrockzeit gelehrt wird. Die Menschen waren auch ohne Schulen verhältnismäßig gebildet, der Adel war nicht unermesslich reich, Ritter waren nicht immer gut und edel. Auch liefen sie kaum einmal in Rüstung umher, dies war nur im Kampf oder zu Repräsentationszwecken notwendig. Es gab Bürokratie, Innovationen, faire Prozesse, weit weniger Hexenverbrennungen und Folter nicht annähernd in der Form wie uns skurrile Museen heutzutage vermitteln wollen. Frauen hatten Rechte, die Menschen waren fromm, die Geistlichen nur sittenlos, die Umwelt noch intakt. Vorurteile, die lange Zeit nicht widerlegt wurden, weil der schaurig-schöne Blick in ein finsteres Zeitalter so behaglich graut.
Zugegeben, ist »Unhold« wie »Innblut« diesbezüglich nicht immer sehr viel besser, aber hiermit sei darauf hingewiesen, dass die Bilder mit diesem Bewusstsein erzeugt und als literarische Notwendigkeit genutzt wurden. Wenn diese Geschichte Geschichte beschreibt, macht esdurchaus Sinn, an der einen oder anderen Stelle innezuhalten und sich zu fragen, gab es das? Gibt es das noch, oder könnte das so gewesen sein? Besucht man Altstädte, zum Beispiel Rattenberg, bekommt man vielleicht eine grobe Ahnung, wie es sich anfühlen musste, wenn gepanzerte Soldaten den Zugang bewachen und man hinein wollte. Berühren sie den behauenen Stein einer Burg und denken sie an den Steinmetz, der mit Hammer und Meißel dieses unbeachtete Kunstwerk schuf, das noch immer an seiner vorgesehenen Stelle ruht. Blicken sie auf die Farben und verspielten Formen der Bilder und Gebäude aus der Zeit und dann lassen sie sich ein auf die furchtbare Geschichte und Fragen sie sich:
Wer oder was ist UNHOLD?
Fragenstein
Der Fuß schmerzte wieder unerträglich. Als er die Binden abnahm, sah er auf eine große Wunde, wie keine Waffe sie zu schlagen vermag. Ein übler Geruch stieg auf, als er die Tücher abrollte, um sie durch neue zu ersetzen. Durch die vor Schmerz zugekniffenen Augen sah er hinaus, vorbei an dem verzierten Fenster, das ihm den Blick nach Westen, auf den Weineckerturm, freigab. Er war alles andere als zufrieden, jetzt wo er wieder in Zirl auf der Burg saß und auf die Gerichtsverhandlung warten musste. Da der schwer verwundete Pfaffe in Zirl seine Kirche verwaltete, sollte sich der Bischof für ihn zuständig fühlen. Aber es schien, als würde niemand etwas mit Rainald zu tun haben wollen, nachdem das ganze Dorf auf der großen Wiese am Waldrand das Blutbad mitbekommen hatte. Es war ein verstörendes Bild und hartnäckig trieb die Kunde ihr Unwesen, dass der Teufel persönlich nach Zirl gekommen sei, um Rainald für seine Untaten zu bestrafen. Viele Gedanken raubten seither Wilhalm, dem harten Streiter für Gottes Gerechtigkeit, den Schlaf. Er war so versessen darauf, Satan zurück in die Unterwelt zu schicken, um den Tod seiner geliebten Schwester zu sühnen, dass er nie einen Gedanken daran verschwendete, ein Mensch, ein Dirndl voller Schmerz, wäre dazu in der Lage, ausgewachsene, kriegsgeübte Männer zu töten. Er wollte nicht glauben, dass seine Schwester von einem Mädchen so zugerichtet wurde. Der Bauch war ihr weit geöffnet worden, der Schädel so zerschlagen, dass er sie nicht einmal mehr als menschlich erkannte, zudem sie schon Tage tot war, als er damals nach Innsbruck kam.
Aber nicht nur Hedwig vom Maierhof hatte seinen Glauben erschüttert. Er war es leid, ein Gespenst zu jagen, keines der Bücher, die er gelesen hatte, gab Hinweise darauf, wie er das Böse finden oder gar besiegen könnte. Für sich dachteer an die Zeilen, die Hedwig auf ihre Fetzen schrieb, wie sie ihre Morde beschrieb und ihrem Hass freien Lauf gelassen hatte. Das Mädchen baute auf Rache, glaubte an ihre Erlösung und ihr gerechtes Werk. In diesem Vertrauen starb sie in den Armen ihrer Schwester. Beinahe hätte Wilhalm sie für diesen unbeugsamen Glauben in solchen Momenten um den Tod beneidet. Sterben für seine Überzeugung, in seinen Augen eine durchaus achtbare Art, diese Welt zu verlassen. Die drei Finger der Hand rieben um die Stellen ohne Haut auf seinem Fuß. Auf dem grob gehauenen Fenstersims ließ sich ein Rabe nieder und hob Wilhalms düstere Gedanken in die Jetztwelt.
Die Freundin eines armseligen Knechts des Maierhofbauern brachte Kräutersalben, die den Schmerz linderten und die Wundheilung unterstützten. Der Medicus war nicht in der Gegend, daher schickte er aus, um jemanden zu finden, der sich auf Erleichterung von allerlei Leiden verstand. Er ließ die Wissende zu sich bringen, die ihm genau die Ingredienzien aufzuzählen hatte, bevor ihr erlaubt war, seine Wunden zu behandeln. Viele Worte fand sie nicht für den Kriegspfarrer, der im Übrigen verwundet nicht minder bedrohlich wirkte, mit dem großen Dolch in der Hand in dem Stuhl am Fenster sitzend als würde er jeden Moment aufspringen und ihr an die Kehle springen.
»Du kommst aus dem Dorf?«
»Aus dem Wald am Dorf.«
»Du bist die verfemte Dorfhexe?« Wilhalm zog fast unmerklich seinen Fuß zurück, was ihr aber nicht entgangen war. Ein bedrohlicher Mann kann gefährlich sein, aber einer der Angst hat, ist gefährlich.
»Ich bin gerne im Wald und helfe den Menschen, die Hilfe wollen.«
»Sind fromme Leute, die Tiroler« murmelte Wilhalm, während er den Dolch zur Seite legte.
»Sie glauben, was ihnen gesagt wird.«
Er horchte auf, sie beschäftigte sich mit den Verbänden.
»Was wird ihnen denn gesagt?«
Der Herr vom Stain hob den Kopf der Frau am Kinn an, um seinen prüfenden, durchdringenden Blick auf sie zu richten.
»Woran glauben die Tiroler, wenn nicht an den einen Gott?«
»Natürlich glauben sie an den Gottvater im Himmel, das wurde ihnen ja auch so gesagt.«
Wilhalm vergaß seine schmerzende Wunde, setzte sich aufrecht hin und musterte die füllige Frau, die da sein Bein versorgte und ihm Linderung brachte.
»Was wird ihnen denn noch so gesagt?«
»Dass Gott alles um uns herum und im Himmel erschaffen hat.«
Bisher war ihm nicht klar, worauf das hinauslaufen sollte, dennoch ließ er sich darauf ein, mit dem festen Willen, seine Wut in Zaum zu halten.
»Was noch? Was glauben die Dorftölpel, ich meine die Bewohner da unten, sonst noch?«
Der Verband war tadellos angebracht und die Kräuter taten ihre Wirkung. Dies besänftigte ihn, bevor er sich zu einem seiner gewohnten Wutausbrüche hinreißen ließ. Sie stand auf, bewegte sich zwei Schritte rückwärts von ihm weg und schaute ihm mit mutigem Blick ins Gesicht.
»Manche glauben, dass Sie, mein hoher Herr, nicht den Teufel jagten. Sie jagten ein Mädchen, dass das Ebenbild der Rosmarie vom Maierhof war. Und Ihr habt es getötet. Mansagt, es wurde von einem Eurer Männer fast entzweigehauen. Und nur wer große Angst hat, schlägt mit dem Langschwert mit einer solchen Wucht auf ein Mädchen ein. Sie wurde in geweihter Erde begraben und ein Kreuz und Blumen zieren ihr Grab. Nie würde ein Teufel oder Dämon so der Mutter Kirche in die Erde gelegt werden.«
Eine Beleidigung war das nicht, es war eine Anklage, er hörte die Trauer in ihrer Stimme und war betont zurückhaltend, bevor er ihr diese Unverschämtheit zu beantworten gedachte. Um Zeit zu gewinnen, vollzog er ein paar Schritte, als wolle er den Sitz der Bandagen überprüfen. Um mehr Autorität zu demonstrieren, nahm er im Vorbeigehen wie beiläufig den Dolch auf und drehte sich zur Heilerin.
»Das Mädchen von dem du sprichst, war vom Teufel besessen. Es war nicht Hedwig, die uns bedrohte, es war Satan persönlich.«
Langsam bewegte sich Wilhalm auf sie zu, putzte sich halbherzig die Fingernägel mit der Spitze seiner Waffe und blieb knapp vor ihr stehen. Sie wich nicht zurück und blickte direkt in seine Augen.
»Aber Hedwig liegt nun in der kalten Erde.«
»Das stimmt, wir mussten dem Teufel sein Werkzeug entreißen und dies hatte auch Erfolg. Du kannst jetzt gehen, ich lasse nach dir schicken, wenn ich was brauche.«
»Ich komme in zwei Tagen, dann muss der Verband gewechselt werden« wandte sie sich von ihm ab.
»Sage mir deinen Namen« hielt sie Wilhalm an.
»Sie können nach Irmgard verlangen, aber sobald sich Ihre Wunde bessert, werde ich nicht mehr zur Verfügung stehen.«
»Du wirst....« Wilhalm machte ein paar große Schritte an ihr vorbei zu der schweren Holztür und rammte den Dolch in das Holz. »Du wirst mir mit deiner Heilkunst solange dienen, wie ich es für nötig erachte.«
Sie hob den Kopf, lugte auf die Waffe in der Tür und lächelte Wilhalm milde an.
»Die Tür werde ich aber nicht heilen.«
Sogleich öffnete sich diese und Erhard, der Bogenschütze, der Wilhalm damals begleitet hatte und nun zu seiner Wache zählte, überzeugte sich, ob alles in Ordnung sei.
»Begleite meine Heilerin zum Tor, der Knecht vom Maierhof wartet sicherlich schon. Und gib ihr einen Regensburger Pfennig für ihre Dienste. Raus jetzt!«
Die Salbe unter dem Verband tat ihre Wirkung, was Wilhalm half sich zu beruhigen. Der Arm war schon so gut wie verheilt, das Messer wurde durch den dicken, ledernen Armschutz gebremst und hinterließ nur einen Narbe auf dem Arm. Brecht erwischte eine Klinge an der Gurgel, er war an seinem eigenen Blut erstickt, bevor er sich beim Sturz vom Pferd den Hals gebrochen hatte. Die vielen Toten auf der Wiese inmitten der Blumen und der singenden Vögel. Das Bild begleitete Wilhalm seit Wochen und das obwohl er genügend Frauen, Männer, Alte und Kinder hatte sterben sehen und das des Öfteren auf unschöne Weise. Er selbst hatte schon genug davon zum Herrn geschickt, aber den Tag nach seiner Ankunft in Zirl vergisst er nicht. Unterdessen war er hier oben bei Parzival und verdammt darauf zu warten, dass sie nach Telfs zum iudicium geladen wurden. Er selbst müsse von den Ereignissen Zeugnis ablegen, der Richter, Herr auf der Burg Hörtenberg würde dann die gerechte weltliche Strafe für Rainald festlegen. Wilhalm hoffte, dass sie den verfluchten Pfaffen nach Oberhofen bringen, am Lengeberg musste man ihn hinrichten. Dochdas lag nicht mehr in Wilhalms Händen, was ihn noch mehr gegen Rainald aufbrachte. Dass er Mädchen von den Eltern nahm und an Hurenhäuser verkaufte, war verständlich, dass der Pfaffe drohte, mordete und Reichtümer anhäufte, war für den Inquisitor aus Brixen auch in gewisser Hinsicht zu verstehen. Aber dass er, Wilhalm, wegen dieser Geschichte in seinem Glauben erschüttert wurde, weil kein Teufel, Dämon oder Satan sein Seelenheil herausforderte, sondern nur ein Mädchen, das Rache wollte ... das war nur die Schuld von Rainald, der aus Habgier das Mädchen, das als teuflischer Zwilling galt, nicht nach der Geburt töten ließ, sondern nach Augsburg ins Hurenhaus verkaufte. Wilhalm beanspruchte Rainalds Tod dafür, dass er seine Denomination an Gott und damit an Satan in Frage stellen musste. Glauben war so trivial, aber Wissen verlangt hinterfragt zu werden, und das war urprünglich nicht Wilhalms Plan.
Rainald hatte ihn reich beschenkt für die Errettung vor dem Satan in der Person des besessenen Mädchens. Er gab ihm großzügig. Unterschiedlichste Münzen, leuchtende Steine und kostbare Bücher aus Stams. Ein Packpferd hatte derweil auch noch zu versorgen, weil der dankbare Dorfpfaffe zusätzlich Stoffbündel und Proviant in die Satteltaschen packen ließ. Gern würde er wieder nach Brixen zurück, aber solange sein Herr andere Pläne hatte, wird er vermutlich beim Bauern in Dorf warten müssen. Wilhalm ließ sich Rainalds Zuwendungen auf das Pferd packen und befahl dann die schändliche Einkerkerung unter den Mauern von Fragenstein. Der Pfaffe schrie vor Schmerzen aus voller Kehle, als man ihn auf den Wagen hob, der ihn zur Burg rauffuhr.
Der Fahrer, ein Knecht vom Maierhof mit einem für den schmalen Weg passenden Karren, schien geradewegs auf die größten Schlaglöcher zuzusteuern, die Schreie des Pfaffenwaren lange zu hören und verstummten auch nicht als man ihn in den Kerker warf. Ein kleines Loch in bodenhöhe des Innenhofs war all das Licht, das der Unhold vom Tag mitbekam und wenn er Essen erhielt, dann wurde es ihm schlicht und einfach durch das Loch geworfen. Freilich jammerte und schrie er, bis sich Parzival und Wilhalm einig waren, die Heilerin vom Wald holen zu lassen. Erst widerwillig, ließ sich Irmgard letzten Endes doch zur Burg bringen. So konnte sie wenigstens Lukas sehen, Wilhalms Verbände wechseln und den Peiniger des Mädchens treffen, das sie mittlerweile so in ihr Herz geschlossen hatte. Die angeschwollenen Knie des Pfaffen und die blauroten Spuren des Hammers waren selbst für ungeübte Augen mühelos zu sehen. Benommen lag er da, der Peiniger so vieler unschuldiger Seelen. Rainald stöhnte vor sich hin, aber es ging ihm noch nicht übel genug, um Irmgard nicht als Hexe, Hure und Giftmischerin zu beschimpfen. Es wäre ihr ein leichtes gewesen, den Pfaffen das kleine Kräutermesser an den Hals zu legen oder dem Augenschein nach ein Tränklein zu mischen um dem Elend ein Ende zu setzen. Die Wachen machten nicht den Eindruck, dass sie dies sonderlich gestört hätte. Aber Irmgard war besonnen genug, ihn liegen zu lassen und unverichteter Dinge nach den Wachen zu rufen, die ihr aus dem Kerkerloch halfen. Dies wollte der wütende Pfaffe als gotteslästerliche Unterlassung verstanden wissen, das interessierte aber niemanden. Sein Leben war vorbei. Er war zu hilflos, um sich selbst zu richten, sie machten sich nicht einmal die Mühe, ihn am Ring an der Mauer anzuketten, weil allen klar war, dass dieser Mann nie wieder einen Schritt gehen, geschweige denn laufen, würde. Die Ratten fraßen, was er nicht schnell genug erreichte und wenn er etwas unter seiner Kutte versteckte, fraßen sie es, wenn er schlief.
Wilhalm atmete tief ein, als Irmgard die Bandagen abwickelte und die klebrigen Kräuter aus seiner Wunde löste. Als er hinsah, war er verwundert über die vorzügliche Wundheilung und bemerkte, dass der Gestank bei Weitem nicht mehr so abscheulich war wie vor ein paar Tagen. Irmgard war nicht beeindruckt, sie dachte nur daran, dass Wilhalm ein gefährlicher Mann war, den man besser auf der Seite der Verbündeten hatte und so erledigte sie ihre Arbeit.
»Ich bitte um Nachsicht, mein edler Herr, ich kann den Priester im Kerker nicht behandeln« meinte Irmgard, ohne aufzusehen.
»Er wird sterben, das ist einerlei« murmelte Wilhalm abwesend. Er saß immer noch angespannt auf seinem Stuhl am Fenster und schaute hinaus in den bunten Wald und rauf zu den Bergen, die bald wieder von Schnee bedeckt den Winter ankündigen werden.
»Ich könnte ihm helfen, Herr, aber....«
»Du kennst Rosmarie...« unterbrach er.
»Sie hat an dem Tag als Ihr nach Zirl gekommen seid, zwei Menschen verloren, bevor sie diese je richtig zu lieben gelernt hat.«
Wilhalm richtete sich auf und deutete Irmgard, sich zu erheben. Sehr wohl bemerkte er die feuchten Augen, aber den Anblick von Frauentränen war er gewohnt und vermochten sein Herz nie zu erreichen. Er versuchte, dennoch so einfühlsam wie möglich zu sein.
»Bald schon bringen sie ihn nach Oberhofen, dann wird er der gerechten Strafe zugeführt.«
Er schaute sie nicht an, er begab sich humpelnd durch das Zimmer, der Holzboden knarzte und unterbrach das Schweigen der Beiden.
»Der Tod wird ihm Gnade sein, die er nicht verdient.«
»Darüber haben wir nicht zu befinden, Heilerin, wir sind Gottes Werkzeug und nicht umgekehrt!«
»Mein Herr, ich bin nur eine Heilerin aus dem Wald, aber ich begegne Gott jeden Tag in all seiner Vielfalt. Er gibt uns Pflanzen, die unsere Leiden heilen, er ermöglicht uns, dass wir die Wirkungen erkennen und anwenden können, wahrhaftig, wir sind Gottes Gerätschaften!«
»Also was denkst du, ist er nun der Gnade Gottes oder unserer Gewogenheit ausgeliefert?«
»Wenn wir als Gottes Axt auf dieser Erde sein Werk verrichten, so wird er uns leiten, die Axt zu führen, gegen welchen seiner Feinde auch immer. Ihr, mein Herr, habt die hohe Ehre, dass Ihr Schwert und Kreuz mit Euch führen dürft, somit ist jeder Hieb ein von Gott geführter Hieb. Lasst Ihr den Pfaffen weiter leiden, oder sofort meucheln, es ist Gott, der mit seiner Hand die Eure führt.«
»Du bist eine kluge Frau und du hast Mut. Du sagst, was dir am Herzen liegt und du stehst zu denen, die du liebst. Das mag ich nicht besonders, weil solche zu Vielem bereit sind. Aber wie du schon gesagt hast, ich führe Gottes Willen auf dieser Erde aus, was mir sehr viel Verantwortung aufbürdet. Was mir das Schwert, sind dir die Pflanzen, wir dürfen diese Geschenke des Herrn nicht gegen seine Geschöpfe richten, sonst versündigen wir uns bis zum jüngsten Tag. Ich habe schon Frauen, Kinder, Alte und prächtige Krieger für weniger Worte tagelang der Folter überantwortet um ihnen Gelegenheit zur Buße zu geben. Sie alle hörte ich flehen und jammern, von Allen habe ich Tränen gesehen und sie wußten, dass es die letzte Möglichkeit war, mit Würde dem Tod in die leeren Augen zu sehen. Deine Heilkunst bewahrt dich diesmal, mit dem Pfaffen den Kerker zu teilen und nun geh und schick die Wachen zu mir.«
Irmgard öffnete die schwere Holztür zum Gang, ohne sich umzudrehen, und deutete Erhard sich zu seinem Ritter zu begeben. Sie rannte auf den Stiegenabgang zu. Wie alle gewendelten Treppen führte diese linksläufig hinunter in die Halle. Damit war für die Verteidiger die rechte Schwerthand nicht von der Mittelsäule behindert wie für die Angreifer. Sie setzte sich auf eine der kalten Treppenstufen und es war ihr nicht mehr möglich, ihre Angst zurückzuhalten, die sie nun übermannte.
Das Zittern und die Kälte ließen sie lange Zeit nicht los und so kauerte sie eine ganze Weile auf der Steintreppe.
»Du bist die Heilerin von Wilhalm?«
Da sie nah an der Mittelsäule saß, sah sie den Jungen nicht gleich kommen. Die Heilerin hob den Kopf und sah auf Augenhöhe in ein Knabengesicht, das gehörte, der etwas ratlos unterhalb von ihr stand. Er hatte Teile von einem Unterarmzeug an seinem rechten Arm, eine Armkachel. Ellenbogenkachel und Mäusel waren straff mit Riemen befestigt, erreichten aber nicht den erwünschten Eindruck, weil der Rest nicht dazu passte. Sein besorgter, hilfloser Blick war aber beruhigend und endlich konnte Irmgard ihre Gedanken ordnen.
»Ja, ich habe mich nur ein wenig ausgerastet, jetzt muss ich los.«
»Ich bin der , der Knappe vom Herrn vom Stain.«
»Deinem Herrn geht es schon besser, mach dir keine Sorgen, bald kann er wieder aufs Pferd.«
Ohne darauf einzugehen, fuhr der Knappe fort.
»Ich habe Rosmarie in Burghausen gesehen und dann hier ...auf der Wiese,...ich bin weggelaufen, geht es ihr gut?«
Seine Rolle in der Geschichte kannte sie, er begleitete Rosmarie in Burghausen zum Verhör und brachte sie zum Apotheker, um sie vor Wilhalms List zu schützen.
»Es geht ihr etwas besser, sie ist bei ihrem Vater und erholt sich auf dem Maierhof.«
Schon war versucht zu sagen, wie leid es ihm täte, wie er sich wünschte, dass er mehr bewirken könnte, aber die Kräuterfrau sagte nur:
»Ich sage ihr, dass du gefragt hast und da bist.«
Er drehte sich um und rannte die Treppe runter, er sann nicht darauf, dass die gewöhnliche Frau aus dem Wald seine tränenden Augen und die rotzende Nase sah.
Tratzberg
»Als sie ihm mit dem schweizerischen, schlichten Dolch in die rechte Achselhöhle stach, begann er unvermittelt einen gellenden Schrei auszustoßen, den die Umstehenden kaum auszuhalten vermochten. Dies zog immer mehr Menschen aus dem Dorf an, die dem Schauspiel beiwohnen wollten. Nicht immer wurde so einer öffentlich für seine Untaten bestraft. Das Blut floss an seinem nackten und wegen der Überdehnung straffen Körper bis zu den Füßen, um sich im nassen Schlamm mit dem Dreck zu vermischen. So manche traten etwas zurück, um ihre Stiefel, sofern sie welche anhatten, nicht zu besudeln. Er hing mit zwei Stricken an dem massiven Balken über dem Tor an den Handgelenken aufgezogen. Der folgende, tiefe Schnitt über die Rippen bis zur Hüfte wurde sehr gemächlich geführt, was den Schrei schier endlos zerdehnte, wie sie sich vorstellen können. Nur kurz war die Verschnaufpause, als sie das Werkzeug aus seinem Körper zog. Ein präziser Stoß in die linke Achselhöhle und wie schon auf der anderen Seite, folgte der Einschnitt bis hinunter. Kurz war das weiße Fleisch und ein paar Rippen zu sehen, bevor das Blut alles bedeckte und langsam aus seinen Seiten entwich. Ein Guss fauligen Wassers weckte den besinnungslosen aus seiner nur allzu kurzen Erlösung...«
An ihm vorbei gab das offene Tor den Blick auf die schneebedeckten Berge frei.
»...da ist mir eingefallen, dass ich weiter mußte und schaute mir das nicht mehr weiter an.«
»Wie lange ist das her?« Fragte er in die entgegengesetzte Richtung seines Informanten.
»Keine vier Tage, Herr, ich bin gerade...«
»Warum warst du in Rattenberg, bei den Bayern?« unterbrach er ihn rasch, um sich nicht wieder unnötige Märchen anhören zu müssen.
»Mein Herr, nur weil die Länder an Stephan fielen, heißt das nicht, dass plötzlich alles Bayern im Unterinntal sind« duckte sich der undurchsichtige Tuchhändler.
»Ich war eigentlich in Kranzach, weil die Dominikanerschwestern Tuch für ihre Kutten brauchten und dann war ich beim Steinbruch, weil die Herren dort immer gute Ware zu schätzen wissen, ihr versteht?« lächelte er verhalten dem Ritter zu, der ihm keine besondere Beachtung schenkte.
Der Freundsberger schaute hinunter auf den Inn und die dichten Auen, Tratzberg lag an der Grenze zu den Bayern und diese schnappten sich gerne mal einen armen Tiroler, um ihm Geheimnisse mit Hilfe der Folter raus zu pressen. Genau wie seine Leute das mit den Wittelsbachern auch veranstalten. Aber eine Frau, die öffentlich im Dorf foltert?
»Was wollte sie von dem armen Teufel gemocht haben?«
Der Geduckte erschrak, als das Wort an ihn gerichtet wurde. Während der Rittersmann ihm immer noch den Rücken zukehrte, schaute er sich in dem großen Raum um. Weil Tratzperch, wie er es nannte, die Klause der Stanser Jochwand kontrollierte, waren hier einige Soldaten stationiert und die Gemäuer halbwegs befestigt. Der Holzboden war sichtlich mitgenommen von dem Eisen, das er täglich zu tragen hatte. Die Männer trugen zumindest Kettenhemden und Waffen aller Gattungen. Tuch wurde in solch einer Burg immer benötigt und der Tucher sah gedeihliche Geschäfte auf sich zukommen.
»Sag schon, was wollte sie wissen? War es eine Bayrische? Wer war bei ihr?«
»Mein edler Herr, Ihr habt so viele Fragen, ob ich mich setzen dürfte?« Er zeigte mit seinem dürren Finger auf die Steinbank, die in der Mauer unterhalb des Fensters eingelassen war. Mit strengem Blick deutete ihm Konrad von Freundsberg sich zu setzen. Mit der Bewegung rasselte der Haubergon, der ihm fast bis zu den Knien reichte. Auf einem großen, schweren Tisch mitten im Raum lagen Rüstungsteile, der Edelknappe war zur Stunde dabei sie zu pflegen, als der Tuchhändler eingelassen wurde. Der schwarz-goldene Schild mit dem Wappen war an ein Gestell gelehnt, der Dreiberg und der Schwan waren mühelos zu sehen. Gold und Schwarz, er hatte gezielt die Stoffe mitgebracht, die hier möglicherweise Verwendung finden würden, aber jetzt war nicht die Zeit für Geschäfte, nun war es Zeit, einen einflussreichen Herren für sich zu gewinnen, das Andere würde sich dann fast von selbst erledigen. Nicht jeder durfte das lange Kettenhemd tragen, daher war ihm klar, dass er es mit dem Kommandanten der Burg zu tun hatte und erst Informationen und dann bunter Stoff gehandelt wurden.
»Habt Dank, ich bin schon lange auf den Beinen und Eure Güte möge Euch belohnen.«
Ohne auf die Lobhudelei einzugehen, fuhr Konrad fort.
»Was wollte die Hexe von dem Mann?«
»Oh, das war bei Gott keine Hexe, mein edler Herr! Das war wohl ein gefährlicher Mensch, gar ein Weibsbild, aber keine Hexe. Sie sagte nicht viel, sie war eher ruhig, nur das Zustechen strengte sie ein wenig an, da keuchte sie immer.«
Der Ritter wurde etwas ungehalten, in aller Form.
»Was willst du mit dieser Nachricht bei mir erreichen? Ich brauche Stoff für unsere Kleider und Fahnen, dies Geschäft ist wohl schon fast gemacht, also gib mir, was ich brauchen kann, oder geh zum Verwalter und mach deinen Handel.«
»Erst dachte ich ja, sie wäre mit einem der Euren in Kranzach, weil die Farben der Pferdedecken mein Interesse weckten, wie ihr verstehen könnt.«
»Was war mit den Decken?«
»Ich dachte erst sie wären schwarz gold, wie die von Eurem edlen Geschlecht, aber sie waren schwarz gelb wie die der Herren vom Stain.«
»Vom Stain? Der Inquisitor aus Brixen? Was soll der in Kranzach wollen, wo er doch seinen Teufel in einem Pfaffen gefunden hat, den ein Mädchen für ihn zur Strecke brachte?« Während er dies aussprach, kam ihm schon der nächste Gedanke.
»Ein Weibsbild foltert einen langen Tagesritt von Innsbruck entfernt einen Mann ohne Grund und ihre Begleiter bekennen die Farben des Herren vom Stain?«
»Es war nicht Wilhalm, ich hatte mal das Vergnügen in Brixen, ich sagte nur, dass sie dieselben Farben führten, ohne ein Wappen zu sehen. Sie war mit dem Messer so geschickt, dass er noch sehr lange lebte, nachdem sie mit ihm fertig war. Die Menschen rings herum durften ihn nicht abnehmen und wenn es welche versuchten, wurden sie von den Männern mit ihren Breschenmessern abgehalten.«
»In Gottes Namen, was wollten diese...?« Konrad schaute aus dem Fenster, er wusste nicht, was er davon halten mochte. Nach einer angemessenen Wartezeit, in der der Ritter vor ihm aus dem Spitzbogen starrte, meinte der Tuchhändler:
»Ich fuhr mit meinem Karren vom Steinbruch zurück zur Innbrücke nach Rattenberg, ich habe die Handelserlaubnis für Bayern und Tirol müsst Ihr wissen, und da sah ich die Pferde am Aufgang zur oberen Burg. Ich darf da ja nichthinauf, aber das feine Tuch in Schwarz und Gelb habe ich gleich wieder erkannt.«
»Die Frau ist mit dem Trupp in Rattenberg?« wandte er sich zügig um, sodass die Ringe seines Kettenhemdes der Drehung folgend, ein rasselndes Geräusch von sich gaben.
»Oh Herr, verzeiht, das wagte ich nicht zu behaupten, ich meinte die Pferde gesehen zu haben am Aufgang, die Folterfrau sah ich nicht.«
Konrad strebte nicht danach, damit etwas zu schaffen zu haben, daher war ihm nicht klar, was er mit den Nachrichten des Händlers anfangen wollte. Wenn Wilhalm vom Stain nicht eine Lanze losgeschickt hatte, um seinen Ängsten nachzustellen, dann würde das alles gar nichts mit Tratzberg, seinen Männern und ihm etwas zu tun haben. Was würde ihm ermöglichen, den Tuchhändler ohne einiges Aufsehen loszuwerden? Dieser ist dienlich unterrichtet über die Reisen, die seinesgleichen unternehmen und wenn einer nicht ankommt, dann werden nach ein- zwei Tagen schon Knechte ausgeschickt, die nach dem Rechten sehen und Fragen stellen, was wiederum die Aufmerksamkeit der umliegenden Burgherren auf sich zieht. Überhaupt hier im Grenzgebiet ist ein Vorwand für eine Auseinandersetzung immer willkommen. Nur im Moment nicht, Konrad erstrebte eine friedvolle Zeitspanne in Jenbach für die Dauer seiner Verpflichtung beim Grenzdienst.
»Wir nehmen die Stoffe, die du gebracht hast, du lieferst sie aber nach Schwaz, wo die Näherinnen von Freundsberg unsere Fahnen, Überkleider und Wappen nähen.«
»Die Wappen werden gestickt, edler Herr, nicht genäht«, konnte sich der vorlaute Geschäftsmann nicht verbeißen.
»Ich kaufe deine Stoffe, ich bezahle dir die Lieferung nach Schwaz und vergesse deine unnützen Informationen, die nur Hetze und Argwohn schüren. Ich blicke hinweg über deineVerleumdungen gegen Wilhalm vom Stain, ohne dich einer strengeren Bestrafung zu unterziehen, und du unwissender Wicht willst mich belehren? Ich kann dir gerne unseren Keller zeigen lassen, es heißt, dass daraus keine Schreie zu hören sind, selbst wenn man die Gequälten durch das Loch im Boden sehen kann!«
»Ich werde die Stoffe noch heute zu Eurer Zufriedenheit abliefern, mein Herr, ich darf mich empfehlen?«
Gebückt rückwärts gehend begab er sich zur Tür, um der Wache durch ein zartes Klopfen sein Austreten zu signalisieren. Konrad schaute derweil aus dem Fenster, ohne den Händler eines weiteren Blickes zu würdigen. Zufrieden blickte er runter zum Inn, der sich silbern schimmernd durch die Wälder und Auen des Inntales zog. Er war froh, dass das so leicht aufzuklären war und er keinen Grund hatte, Wilhalm zu begegnen.
Unhold
»Du pflegst seine Beine, damit er seiner Anklage lebend beiwohnen kann! Es ist mir einerlei, ob das ein Freund oder dein schlimmster Feind ist, er wird lebend seinem Urteil entgegensehen, hast du das verstanden!«
Rot vor Zorn sprang er von Stuhl auf, um, ganz nach seiner Sitte, möglichst aufsehenerregend dem aufsteigenden Ärger polternd Luft zu verschaffen. Er humpelte leicht, dennoch war er mit einem Sprung am Tisch, schnappte sich ein Schulterteil der Rüstung und hämmerte damit auf die massive Eichenplatte. Erhard betrat den Raum, er war aber nicht in Eile, weil er Wilhalm kannte, und wusste, dass es nicht besorgniserregend war, wenn sein Herr schrie und tobte. Es behagte dem Alten schon besser, ob das erfreulich war oder nicht, lag nicht an ihm zu beurteilen. Als er reinkam, sah er Irmgard mit den Bandagen und Salben am Boden kniend, aber mit festem und wütendem Blick zu Wilhalm schauend.
»Was?« brüllte der Ermittler der Kirche in Richtung seines Edelknappen.
»Ihr habt nach mir gerufen?«
»Wieso sollte ich?«
»Es ist meine Pflicht, nach Euch zu sehen...«
»Eure Pflichten mir gegenüber sind Gehorsam und Untertänigkeit, nicht meine Amme zu spielen!« wobei er bei jeder Silbe den Schulterharnisch auf den Tisch hämmerte.
»Ich bin auf meinem Posten« entzog sich Erhard jedem Disput und begab sich hinaus zum Gang an die Wendeltreppe.
»Ich behandle Euch, mein Herr, weil ich glaube, dass ihr eigentlich auf der richtigen Seite steht und helfen könnt, dasVerdorbene auf der Welt weniger werden zu lassen. Ich glaube auch, mein Herr, wie Ihr, nur anders.«
Wilhalm schob den Unterkiefer vor, warf das Eisenteil in die Ecke quer durch den Raum und begab sich wortlos zum Stuhl vor Irmgard.
»...aber den Pfaffen im Kerker, er hat schlimme Verbrechen begangen und soll dafür leiden, bis er elendig stirbt. Ich wünsche ihm einen schrecklichen Tod und ich würde dafür sorgen, wenn ich nicht Heilerin wäre.«
Angestrengt keuchend hob sich der Brustkorb des Ritterpfaffen. Er erfasste Irmgards Blick und nach ein paar tiefen Atemzügen meinte er in einem etwas versöhnlicheren Ton:
»Du wirst den Pfaffen so gut versorgen, wie du mich gepflegt hast. Du wirst alles tun, damit er möglichst lange lebt. Er muss nie wieder laufen können, er muss auch nicht von seinen Schmerzen befreit werden, aber er muss leben. Ich kenne seine Taten und er wird bezahlen dafür. Aber nicht, wie es die Hedwig vom Maierhof für ihn vorgesehen hat. Sie starb, weil er ihr Herz schon als Kind vergiftet hatte und sie nicht anders konnte, als ihren Schmerz an jedem auszulassen, der sie bedrohen konnte. Nicht sie tötete all die Leute, ob Abschaum oder nicht, auch nicht der Teufel in ihr. Es war Rainald, der sie vor bald achtzehn Jahre tötete und nun dafür bezahlen wird.«
Irmgard kniff ihre Augen abschätzend zusammen, während sie ein Stück Salbei kaute.
»Er wird leiden, aber leben, Herr. Sie können die Verbände weglassen, wann immer dies möglich ist, die Wunde braucht Luft und Licht.«
Sie erhob und drehte sich, um ihre Utensilien einzusammeln. Die gewendelte Treppe führte bis in den Keller, wenngleich es keinen Eingang zum Kerker gab. Aberandere Lagerräume waren in den Stein gehauen worden, manche mit schweren Türen versehen, anderswo wiederum nur Nischen eingelassen, um wertloses Zeug zu lagern. Die Gefangenen sowie das Essen wurde durch den Schlitz am Boden des Burghofs außen hinuntergelassen. Erhard begleitete sie, da er beide, Rainald und Irmgard, bei der Behandlung bewachen solle. Die Wachen hatten das Seil mit dem Brett bereitgestellt, um erst Erhard und dann Irmgard runterzulassen.
»Meine Knie sind blau und so geschwollen, dass man keine Knochen mehr sieht! Ich leide Höllenqualen und die schicken mir eine Hexe! Ich bin vielleicht ein Gefangener, aber immer noch ein Mann Gottes!«
»Ihr könnt gerne Gott um Eure Heilung bemühen. Ich lasse Euch diese Salbe hier, sie lässt die Schwellungen abklingen. Eure Kniescheiben sind zertrümmert und ich vermute auch Teile der Beinknochen. Ihr werdet wohl zu Eurer Richtstätte getragen werden.«
Der einsetzende Regen ließ durch die Öffnung hoch oben ein kleines Rinnsal entstehen, das sich langsam auf dem felsigen Boden verteilte. Fragenstein ist auf Fels gebaut, verstärkt mit dicken Holzbalken. Es gibt nur eine kleine Stelle im Grund, die mit einer Schicht Erde bedeckt war und genau dieser Platz wurde zum Kerker.
»Versucht Euch trocken zu halten, damit ihr nicht vorzeitig zum Teufel geht,« sagte sie ihm in ruhigem Ton.
»Man wird mich wahrscheinlich zum Gericht tragen, da magst du Recht behalten, du Dirne, aber man wird mich auch wieder hinaustragen in die Freiheit, ich habe weiss Gott mächtigere Freunde, als du Trampel dir ausmalen kannst.«
Ein kräftiger Tritt an sein Bein beendete die Unterhaltung, zu Erhard hingewandt meinte sie:
»Ich musste den Knochen untersuchen, das schmerzt wohl etwas.«
Erhard, der sonst teilnahmslos bei Verhören und Folter, Befragungen und Erpressungen anwesend war, konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Du bist die Heilerin und versuchst nur zu helfen.« Er brüllte, um das Geschrei des Pfaffen im Dreck hinter ihnen zu übertönen. Schon kam das Brett am Seil durch die Luke und als sie endlich hinaufgezogen wurden, prasselte ihnen der Regen entgegen.
Hieb oder Schuss
»Hieb, Stich und Schnitt!«
Er schwang gekonnt das lange Schwert und brüllte dabei die drei Verletzungsarten mit der Waffe.
»Du kannst den Hieb von oben führen, auf den Schädel, die Schultern und alles was dir unterkommt. Scheiss im Kampf auf die Ritterehre, du kannst sie jederzeit wieder herstellen, wenn dein Feind verscharrt ist.«
Die Schläge prallten auf die Puppe mit der Rüstung und schlug tiefe Beulen in das Eisen.
»Mit einem gezielten Stich in die richtige Stelle kannst du dir schnell einen Gegner vom Leib halten!«
Das Schwert bohrte sich zwischen dem Brustpanzer und der Schulterplatte in die Strohfigur.
»Der Schnitt muss genau geführt sein, sonst machst du nur einen Kratzer an der Stelle. Schneide in die ungeschützten Teile oder von mir aus in ein Pferd.«
Jedes seiner Worte unterstrich er mit Schnitten, Hieben und Stichen auf die Puppe.
»Eine edle Waffe und nur einem Edlen würdig...« keuchte er, »...du darfst das Schwert tragen, also wirst du es auch führen!«
Damit warf der alte Weinecker die Waffe vor die Füße des Sohnes seines Bruders. Da er auf den Landesfürsten nicht mit Freuden zu sprechen war, hatte ihm anfangs der Gedanke gut gefallen, einen Mann aus der Familie auf seiner Burg zu wissen. Aber Philipp war in den Augen des Kriegers und Burgherren ein feiger Weichling, der ohne Rüstung und ohne Schwert kämpfen wollte. Er sprach wenig, war ungehorsam und sammelte Erfahrungen in zweifelhaftenHaufen von Engländern, die ihm das Bogenschießen in den Kopf setzten.
Dieser Hawkwood, ein Verbrecher in den Augen des Ritters vom alten Schlag, versammelte tausende Männer, um mit seinen Söldnern jedem zu dienen, der nur genug dafür bezahlte. Die weiße Kompanie bestand wohl nur aus Bogenschützen und brachte so manchen Neuling auf die Idee, mit diesem verfluchten Gerät auf reichlich Abstand ritterlich zu töten. Aber das war nicht der Fall, nicht jeder dahergelaufene Bauer war imstande, mit einem glücklichen Schuss auf hundert Meter Entfernung unbemerkt ein Löchlein in eine Rüstung zu bohren, sodass der Getroffene kampfunfähig war und dann wie ein Hund am Feld erschlagen werden konnte. Es braucht Übung, Geduld und Wissen, um das lautlose Töten zu beherrschen. Der Weinecker hasste die Bogenschützen und jeden, der nicht in der Lage war, im ehrlichen Zweikampf zu fallen oder zu siegen. Der Junge brachte Holz mit nach Tirol, Eiben, die hier ebenso wachsen und ihm wichtiger waren als die Taschen mit den Vorräten. Bogenbauer und Krieger zu sein, war sein Bestreben. Mit seinem Kriegskameraden, dem Zirler ohne Gesicht, den Wilhalms Männer unten in den Feldern abgeschlachtet hatten. Dem war ein Kämpfer zu nahe gekommen und selbstverständlich büßte er mit seinem Leben dafür. Einen Bogenschützen gegenüber zu stehen, bedeutete meist, dass dieser nicht mehr allzu lange ein Dasein auf Erden hatte. Aber der Vorfall in den Wiesen, wie sie das Gemetzel am Waldrand nannten, war keineswegs Grund genug, sein Vorhaben zu verändern, er würde auf Fragenstein Bögen bauen, Pfeile und Sehnen herstellen, um die Männer mit dem Gerät vertraut zu machen. Der Engländer, den sie Acuto nannten, setzte dem Jungen Flöhe ins Ohr, von glorreichen Siegen und der Überlegenheit der leichten Einheiten gegenüber der schweren Reiterei. Daspolternde Geschrei des Parzifal Weinecker imponierte dem jungen Dachs in keiner Weise, er sprach oft mit der Herrin Weinecker darüber, die es eine gute Idee fand, mit der Zeit auf die Entwicklungen und Erfahrungen der Kriege im Ausland zu reagieren. Sie sah die überlebenden Kriegsrückkehrer als wichtige Informanten, ihr Gatte sah das aber nicht so, er vertraute auf die alte, bewährte Tradition.
»Ich verweigere nicht ein Schwert zu führen, mein Onkel, ich bevorzuge es nur, mir den Feind solange vom Leib zu halten wie möglich und das mit sehr großem Abstand!«
»Das ist unritterlich und feige, einem Edlen wie dir nicht würdig und auch dein Vater sieht das so! Du überlässt die Stöcke den Bauern, die es nicht besser wissen und du machst dich besser daran, deinen Schwertkampf zu verbessern, ansonsten wirst du beim nächsten Gefecht von der erstbesten Klinge erschlagen! Mit dem Bogen ist deine Ritterehre nicht zu retten!«
Philipp war genötigt einen Schritt zurückzuweichen, damit er nicht Parzifals Wanst mit dem Kopf streifte, als er sich nach der Waffe bückte.
»Was ist ehrvoller, einen Mann mit der Klinge wie einen Baum zu fällen, oder ihn durch einen gezielten Schuss zu töten?«
»Es ist nicht an dir, die Ehre zu hinterfragen, es ist deine Bestimmung, dich an den Kodex zu halten! Du bist von Geburt aus kein Bauer und du bist kein gewöhnlicher Handwerker! Deine Bestimmung ist der Kampf unter deinesgleichen, um das Blut rein und unser Geschlecht edel zu bewahren!«
»Die Engländer haben ein stehendes Heer Bogenschützen...«
Eine heftige Ohrfeige beendete den Satz vor seiner Zeit und ließ Philipp auf die Seite taumeln. Überraschend schnellentriss der Alte seinem Neffen die Waffe und schlug mit der flachen Seite auf ihn ein. Mit jedem Schlag entfuhr ihm ein wütendes Wort.
»Du...wirst...den Unterschied...von Schwert...und Pfeil...schon...noch...schmecken...!«
Ohne große Mühe wehrte Philipp die Schläge mit dem Unterarm, der gut gepolstert und durch die Eisenplatten geschützt war, ab. Voller Zorn stapfte der Weinecker über den kleinen Innenhof zum Tor. Im Rausstürmen warf er das Schwert über die Schulter zurück, es landete klirrend auf einem flachen Felsen inmitten der Grasbüschel. Der Sohn seines Bruders stand verärgert da und schaute an den Mauern entlang nach oben.
Wilhalm war im großen Saal, wie immer, wenn Irmgard kam, um seine Wunden zu versorgen. Sein Gesicht erschien in einem der westlichen Fenster zum Hof, ein paar Öffnungen weiter das Antlitz der Burgherrin. Ein leichtes Nicken Wilhalms bestätigte Philipp, Weineckers Gattin lächelte milde und deutete ihm sie aufzusuchen.
»Ihr werdet als offizielle Abordnung in Kropfsberg, Lichtwerth und Matzen Eure Aufwartung machen und uninteressante Informationen als Freundschaftsgeste überbringen. Versucht zu erfahren, ob sie etwas über eine gefährliche Frau wissen, die eine unangenehme Art Fragen zu stellen hat. Den Unseren könnt ihr etwas mehr anvertrauen, als den Wittelsbachern, habt ihr das verstanden?«
»Verstanden, Kommandant. Wir brechen morgen früzeitig auf und werden Euch am Abend berichten können!«
Der Lanzenführer kehrte um und verließ mit lautem Geklapper den Saal. Er beabsichtigte, den Worten des Tuchhändlers nicht zu viel Bedeutung beizumessen, aberdennoch sah er sich genötigt, der Sache nachzugehen. Konrad von Freundsberg erstrebte eine geruhsame Dienstzeit, um in Hall oder Innsbruck als Beamter in einem Stadthaus die Interessen seiner Familie zu wahren, ohne mit Waffen und Rüstung dafür Sorge zu tragen. Wenn er Tratzberg ohne viel Aufsehens übergäbe, wäre ihm ein Lebensabend in Ruhe und Frieden vergönnt. Informationen und Wissen waren die Waffen seiner Wahl, er verabscheute das blutige Handwerk eines Soldaten. Doch die Traditionen verlangten den Militärdienst und Kriegsausbildung, bevor er eine andere Funktion erfüllen konnte. Der Gerichtssitz in Schwaz oder auch das Recht auf den Wochenmarkt in der kleinen Stadt am Inn waren der Familie zu verdanken. Mag sein, dass seine Zukunft gar in Schwaz liegt, wo nie etwas geschieht, das von Bedeutung ist und das niemanden interessiert, genau das war es, was er erstrebte- Wohlstand und Ruhe. Ein toter oder verletzter Mann in Kranzach war ihm einerlei, dennoch hatte er genug Erfahrung, um zu wissen, dass ein unbedachtes Übergehen eines solchen Vorfalles schnell zu einem Disput führen konnte, der ihm und seiner Familie einiges kosten würde und genau das war in niemandes Interesse, weil es das Geschäft mehr störte als antrieb.
»Du verstehst es einen Bogen zu bauen, wie sie die Engländer verwenden?«
»Aus Eibe, mit Hornocken und Hirschsehnen, die Pfeile mit Entenfedern dreifach befiedert und...«
Wilhalm unterbrach den Heißsporn, obgleich die anwesende Hausherrin mit Interesse seinen Worten zu folgen versuchte.
»Wie du das anstellst, wie das verteufelte Werkzeug des lautlosen Tötens gebaut wird, ist mir so wichtig wie das was du durch den Abtritt von den Mauern scheißt!«
Er begab sich zur Tür, um Erhard mit dem Daumen über die Schulter zu deuten, den Raum zu betreten. Da die Hausherrin Philipp erwartete, dieser aber nicht erschien, begab sie sich auf den Gang, zumal sie schon angenommen hatte, dass der kriegerische Alte den Jungen abfangen ließ. Ohne die Einladung Wilhalms abzuwarten, setzte sie sich an die große Tafel mit den Rüstungsteilen. Nun war sein Bogenschütze am Tisch, ohne zu hinterfragen, was von ihm erwartet wurde.
»Du,« deutete er zu Erhard, »auf welche Entfernung kannst du mit deinem Bogen einen Reiter vom Pferd holen?«
»Ich zähle keine Schritte, bevor ich meine Arbeit verrichte,« meinte der Schütze abweisend.
Wilhalms Blick schweifte über seine Schulter zur Frau am Tisch. Für sie war es schwer ihr Entzücken ob dieser Antwort nicht zu zeigen und seine zugekniffenen Augen verrieten, dass er dies bemerkt hatte.
Er stand nahe an Erhard, so nah, dass sie sich gegenseitig riechen konnten. Starr schauten sie sich an, Philipp und die Herrin des Hauses versuchten ein unverfängliches Gespräch.
»Es soll am Sonntag nach dem Kirchgang ein größeres Mahl geben, bei dem auch Fleisch auf den Tisch kommt, bekommen wir Gäste?« fragte Philipp mit einem bemühten Lächeln.
»Hörtenberger Gerichtsherren haben sich angekündigt. Es wird geprüft, ob ...der Gefangene ...in ihre Zuständigkeit fällt.«
Der alte Krieger drehte langsam den Kopf, dann den Oberkörper und endlich sich selbst in Richtung der beiden Sprechenden. Der Neffe des Lehnsherren richtete sich so unverfänglich wie möglich das Beinkleid, um dem scharfen Blick zu entgehen, Madlen, die Frau des Weineckers, lächelte hingegen, nahezu sanft, den Ritter an. Die Kiefermuskeln des in seiner Fragerei gestörten sprangen wild auf und ab, doch fanden keine Worte aus ihrer krampfhaften Umgebung den Weg. Wilhalm blieb vorsichtig, zu viel brauchte er womöglich von diesem überheblichen Gesindel auf ihrer lächerlichen Behausung, die sie Burg nannten. Ein Grinsen mit zusammengebissenen Zähnen ließ ihm das Reden schwerfallen, aber zumindest vermochte er so seiner Gastgeberin hinlänglich angemessen sein Anliegen vorzubringen.
»Verehrteste. Sie mögen für den Augenblick meine Fragen an meinen Soldaten nicht verstehen und auch nicht, warum er da hier ist,« er deutete mit seinem, nun etwas entspannteren Kinn zu Philipp, der sich nunmehr doch wagte, dem Geschehen zu folgen.
»Mein Soldat.«
»Wie meinen?«
»Der da, mein Soldat.«
»Er steht seit meinem letzten Besuch unter meinem...«
Wilhalm hielt inne, da er bemerkte, seine Worte gegenüber dieser Frau besser bedächtig zu wählen.
»Ich würde also gerne Ihrem Soldaten, dem Bogenschützen, einige Fragen stellen und auch dem Burschen hier, der sich angeblich auch auf das lautlose, verfemte Töten versteht.«
Ein Bote war aus dem Süden gekommen. Warum er ausgerechnet in Fragenstein erscheinen musste, war weder den Wachen, die den engen Weg hinauf säumten, noch den Männern am Tor bekannt. Das Siegel auf dem Papier aber, das kannten einige von ihnen. Der Baum, die Bischofsmütze und der für einen bloßen Boten zu prachtvoll gekleidetem Mann reichten, um ihm Einlass bis zum Haupttor zu gewähren. Die Wachen über dem Eingang hatten ihre Armbrüste gespannt im Anschlag, so wie es die Vorschrift verlangte, wenn Fremde in Frieden, aber mit Bewaffnung um Zutritt baten. Er solle die Nachricht persönlich überbringen, und zwar dem Ritter Wilhalm vom Stain.
Dieser gedachte sich endlich mit den beiden Bogenschützen befassen, als der Laufbursche Erhard im Treppenturm antraf und von dem Fremden erzählte. Der Junge war recht aufgeregt, es kamen nicht oft Reisende mit Waffen an die Mauern und wenn es nur ein einzelner Bote war. Weder der Wachmann Wilhalms, noch der Bursche hatten es eilig, daher ließ sich Erhard auf dem Weg nach oben ein wenig erzählen. Die Waffen, die der Kleine gesehen haben wollte, waren ein kurzes Schwert, ein paar Rüstungsteile und ein Bogen. Erhard horchte auf, möglicherweise würde ja sogar er einmal etwas Neues aufschnappen, das ihn interessierte. Aber erst war es seine Pflicht, dass sein Herr die Neuigkeiten erfuhr, daher gab er dem Jungen mit einer zarten Ohrfeige zu verstehen, dass dieser abtreten durfte.
Rattenberg
Die Rattenberger fühlten sich sicher mit ihrer gewaltigen Festung im Rücken und dem Inn vor ihnen. Die Bayern haben sich mühelos eingelebt in dem Städtchen und die Bewohner kochten unter tiroler- wie bayrischer Herrschaft seit jeher ihre eigene Suppe. Viele Menschen kamen durch die Stadttore, ebenso wenn sie mit dem Floß vom Inn her unterwegs waren. Unten, bei den bescheidenen Häusern, war es nahezu überall möglich, eine Bleibe für die Nacht zu finden. Die Bürger und vor allem die Bürgerinnen schätzten, dass auf dem kleinen Fleck sicheren Landes kaum Huren und Wegelagerer zu finden waren. Mehr als die doppelte Menge an Soldaten wie Bürger verweilten innerhalb der Mauern, streng kontrolliert von den Kirchenmännern, die sich aber nur für die paar Huren der Stadt verantwortlich fühlen, sie beschützen, bezahlen und besteigen.
Diese Frau war alles andere als eine, die sich jedem hingab, der ihr ein paar Münzen dafür überließ. Sie ist mit ihren Brüdern unterwegs, seit ihr kleines Anwesen im Kärntnerland aufgegeben wurde. Erst die Heuschrecken, dann die Strafe Gottes, die ihnen auf so schreckliche Weise Eltern, Geschwister und Bekannte genommen hatte. Als die Juden gejagt wurden, flohen sie aus der Gegend, die soviel Leid und Schmerz in sich barg. Aber nicht weit genug.
Viele verloren sich in Gebeten und Geißelungen, erstrebten nach Jerusalem aufzubrechen, um Buße zu tun und ließen Kinder und Höfe im Elend zurück.
In den gut zwanzig Jahren, die seither ins Land gezogen waren, war es ihr möglich, mit Arbeit und Betteln ihre Brüder und sich selbst am Leben zu erhalten. Der Jüngste ist jetzt kaum älter als zwanzig. Sie zogen los, als er grade auf diese Welt gekommen war. Der Vater war schon verscharrt,tagelang wartete sie auf einen Priester, der ihr den Grund weihte, ehe sie den schwarzen, starren und furchtbar übel riechenden Leichnam des geliebten Vaters unter die Erde brachten. Die Mutter war schon mehr tot denn lebendig, als der kleine Andre schnell den sterbenden Körper der Gebärenden verließ. Seinen ersten Schrei hörte sie schon nicht mehr, die schwarzbraunen Flecken auf ihrer Haut, die Beulen unter den Armen und die Schmerzen ließen sie Tag und Nacht schreien, wenn sie kräftig genug dafür war. Daher ist die Geburt fast nicht aufgefallen. Er war der Letzte der übrig gebliebenen Brüder und Schwestern, der überlebte. Zwei Mädchen und einen Buben hatten sie schon begraben, lange bevor das Elend noch schlimmer wurde.
Die Burg in Sankt Leonhard hatte sie abgewiesen und so blieben die vier Geschwister eine Zeit lang im Norden von Wolfsberg, als Findlinge an einer kleinen Festung an einem Bachlauf. Ludwig, der Bischof von Bamberg, hatte die Burg als Lehen einem Spross der Herren vom Graben überlassen. Den paar Bauern um das kleine Anwesen war es möglich, alle zu ernähren, mit der Fischerei war Abwechslung auf den Tellern und erwartungsgemäß auf dem Markt ein Geschäft zu erzielen. Die Kinder des niederen Adels spielten mit den Dorfkindern, man hielt zusammen. Der Burgherr erkannte in den drei jungen Burschen die Fähigkeit, Waffen zu führen und dass sie somit dienlich als Wachen eingesetzt werden könnten. Sie lernten, einen Dolch zu handhaben, Messer zu wetzen und mit der Hellebarde stramm zu stehen. Als tüchtige Männer könnten sie bei Auseinandersetzungen mit den Ungarn lohnenswerte Dienste leisten und die Schuld ihres Überlebens abdienen.
Lui, wie man sie nannte, lernte, wie Brei und Fisch bereitet werden, wie man Löcher im Gewand flickt und eine rechtschaffene, gottesfürchtige Frau wird. Die Buben spielten den ganzen Tag mit den Holzschwertern und Lanzenaus Ästen mit Luitgard, sie lernten von den kleinen Grafen den Umgang damit und zeigten voller Freude, was sie gelernt hatten.
Im Lavanttal schüttelte der Herr oder gar der Teufel persönlich letztlich den Boden derart, dass Burgen und Kirchen unter lautem Getöse zusammensackten. Oft erinnerte sie dieses langsame Sterben der Mauern an ihre Eltern in den letzten Tagen auf dieser Erde.
Eng waren die Geschwister den Holzhäusern verbunden, denen das Gerüttel nichts anhaben konnte und als die Burg fast gänzlich einstürzte, war Lui schon bald zu alt, um womöglich noch verheiratet zu werden. Ein langer Riss schien den Wohnturm nahezu von oben nach unten zu spalten. Bedrohlich neigte sich ein kleinerer Turm zum Wasser hin und es wurde davon gesprochen, die Burg aufzugeben. Der umliegende Wald bot genug Baumaterial und Bauplätze, aber die Burgherren entschieden letztlich doch, die Gemäuer aufzubauen und zu verstärken. Das war ihr einerlei, die Kinder sannen immer darauf, zusammenzubleiben und so entschlossen sie sich eines Tages ebenfalls gemeinsam aufzubrechen, weg von diesem Land, dass sie so schwer prüfte. Eine Heirat mit einem der im Umland wohnenden Gutsherren kam für sie nicht in Fragen, schon gar nicht, wenn dies ihre Brüder zu Knechten machte.
Heute sind sie im Dienste vieler Herren, die Männer beschützen jetzt ihre große Schwester, zwei von ihnen sind ihr schon weit über den Kopf gewachsen. Andre sieht sich aber nicht als Kämpfer, er ist mit seinem Bogen beschäftigt, baut ständig neue oder klebt mit dem stinkenden Fischleim Federn an seine Pfeile. Sie lernte schnell, sich zu wehren, die Schule der Brüder war auf überleben und keine hohe Kunst von Waffengattungen ausgerichtet. Die kleine Gruppe hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes durchgeschlagen. Und sokam es, dass sie heute in bairischen Diensten standen und für diese im Umland Erkundungen ausführten. Seit sie die Burgruine im Lavanttal verlassen hatten, trieb sie es umher wie Laub im Herbst. Sie wechselten Dienstherren wie Unterkünfte.
Botschaft
»Wer hat dich geschickt und woher wusstest du, wo du mich finden kannst?« Wilhalm war verwundert, verstand es aber, mit erhabenen Gesten darüber hinwegzutäuschen.
»Die Nachricht ist vom Bischof in Brixen. Er ist gut informiert und sendete mich direkt hierher, nach Fragensten, mein Herr.«
Die Erscheinung entsprach in der Tat nicht der eines Boten. Wie üblich für Hausfremde hatte er seine Bewaffnung abgegeben, dennoch schufen Kleider und Rüstungsteile eher den Eindruck eines Soldaten, denn eines bescheidenen Überbringers einer Nachricht.
»Kennst du den Inhalt dieser Botschaft von Johann Ribi?«
»Ich kenne nur den Teil, der mich betrifft, mein Herr vom Stain.«
Wilhalm bemühte sich, nicht in unpassende Unruhe zu verfallen. Dieser Herr von Lenzburg war ihm nicht verwerflich gesonnen, er unterstützte ihn damals, bei dem Bestreben, mit einem Schreiben des Papstes in Tirol als Inquisitor nach dem Teufel, dem Mörder seiner Schwester zu suchen.
»Warte draussen, bis ich dich holen lasse!« Wilhalm zeigte mit einer beiläufigen Bewegung durch ein kurzes Kopfheben zur Tür.
»In Gottes Namen. Wir, der Bischof von Brixen, tun euch kund, dass Ihr sobald als möglich zurückkehrt zu euren Herren, um Bericht zu geben. Wir möchten aus Eurem Munde Nachricht über die Erkenntnisse aus der Teufelsverfolgung und schließlicher Ausrottung dessen hören. Auch warten neue Aufgaben auf Euch, die wenig Aufschub gewähren. Unsere Zeit in Kärnten verbindet unsimmer noch mit dem Herzog und seinem Spross, Albrecht. Seine Schwester, die ehrenwerte Margarethe, begab sich vor einiger Zeit in die gnädigen Hände des Herrn, Johann Heinrich hat aber schon wieder den Bund der heiligen Ehe geschlossen. Wir waren ihr freundschaftlich verbunden und sprachen mit ihr etliche Male über einen Frieden zwischen Baiern und Tirol. Ihr habt in den letzten Jahren ja selber an vielen Kämpfen für unseren Herrn gekämpft und nun wird zahlreich davon gesprochen, dass sich die Baiern unter Stephan und die Österreicher unter Albrecht zu Verhandlungen für einen Frieden treffen sollten. Die Wittelsbacher passierten ja schon den Brenner und waren in unserer Nähe, wenn die braven Bauern sie nicht geschlagen hätten, wären wir jetzt womöglich noch vor der Zeit bei unserem Erlöser. Wir brauchen jeden Edlen sowie jeden Gulden, um uns einen achtenswerten Frieden erkaufen zu können. Ihr seid berufen, für uns an diesen Verhandlungen teilzuhaben und den Frieden für Tirol zu besiegeln. Ihr könnt den Winter noch nutzen, um Männer, Geld und Ehre zu sammeln, aber im nächsten Frühjahr erwarten wir Euch persönlich vor uns! Der Junge, der Euch diesen Brief überreichte, ist das Ergebnis einer dankbaren Sünderin, die ihren Sündenerlass nur mit ihrem jämmerlichen Körper bezahlen konnte. Wenigstens ist aus ihm ein brauchbarer Soldat erblüht, dem wir trauen können. Wir ließen ihn am Bogen ausbilden, die Engländer sollen ja regelrecht besessen von dieser Waffengattung sein. Er bleibt bei Euch und geleitet Euch im Frühjahr zu uns.«
Wilhalm setzte sich, während er das Papier in seiner Faust umklammerte. An der Tür klopfte es leise, ihn verärgerte diese Zurückhaltung bei einem Mann, deshalb schrie er durch den Raum gefälligst wie ein Mann Einlass zu verlangen oder draußen zu verfaulen. Ohne eine weitere Reaktionöffnete sich langsam die Tür mit einem Knarren, Wilhalm drehte sich überrascht um. Madlen, die Burgherrin stolzierte mit Irmgard durch die Tür.
»Wir erlaubten uns einzutreten, da ihr Euer Wort ja an die Männer gerichtet habt.«
Auf der Stelle war ihm klar, dass dies die Damen amüsierte, Tränen wie Lächeln, im Gesicht von Frauen verstand er aber noch nie zu deuten.