Innblut - Ernst J. Huber - E-Book

Innblut E-Book

Ernst J. Huber

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Beschreibung

Tirol, zwischen 1365 und 1370. Zahllose kleine und große Kriege haben das Land in immer neue Grenzen gewiesen. In diesen harten Jahren wachsen in Zirl, am Fuße der Burg Fragenstein, zwei Jugendliche heran. Sie, Tochter vom großen Burgbauernhof, er Schweinehirte im Dorf. Sie treffen sich immer wieder im Wald, bis sie eines Tages getrennt werden. In der sicheren Stadt, in Innsbruck, blüht der Handel, von überall her strömen die Kaufleute durch die Tore, halten Markttage ab und bieten Waren aller Art an. Egal, ob Huren oder Pfaffen, alle sind auf der Straße um sich mit dem einzudecken, was sie benötigen. "Ich" komme von Augsburg nach Innsbruck, und mein Weg ist lang und blutig für viele. Ich folge meiner Stimme, schreibe meine Tage nieder und kann mich nicht zeigen, bis es soweit ist. Als der Knecht am Markt in Innsbruck bei helllichtem Tag auf so schreckliche Weise umkommt, bin ich beeindruckt von der Tat, muss daraufhin aber auch weg aus der Stadt. Ein kleiner Trupp, eine sogenannte Lanze, bricht unter dem launenhaften Wilhalm vom Stain von Zirl aus auf, um einer Spur zu folgen, die anscheinend direkt zum Teufel selbst führt. Er hat Aufzeichnungen in einem Büchlein, das ihn nach Innsbruck geführt hat. Seine mehr oder weniger freiwilligen Begleiter folgen ihm, ohne, dass er ihnen sagt wohin. Durchs Inntal nach Bayern, Burghausen und Augsburg. Rosmarie weiß nicht was sie beichten sollte und warum es der grobe Kriegspfarrer auf sie abgesehen hat. Nach einer gescheiterten List muss Wilhalm das Mädchen laufen lassen, aber er wäre nicht der Herr vom Stain, wenn er nicht weiter hinter Rosmarie her wäre.

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Seitenzahl: 295

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Kapitel

August

September

Oktober

November

Dezember

Januar

Feber

März

April

Mai

Juni

Juli

Ein Jahr

Vorbereiten

Aufwachen

Eröffnen

Arbeiten, Beten

Fragen

Arbeiten und sterben

Unterwegs

Erinnern

Aufwärmen

Fromm und Tot

Schmale Grade

Zurückkehren

Gehen oder Laufen?

Antworten und Fragen

Besuchen

Unzufrieden

Vertraute Pfade

Heimkommen

Entwickeln

Kommen und gehen

August

Ein Blick in den Himmel zeigt, dass es ein herrlicher Tag werden kann. Er hat am Morgen, als er aus dem Heu kroch und sich auf den Weg zum Wasser machte, ein Stück Lederriemen gefunden, so breit wie sein Finger und lang genug um ihn, um sein Handgelenk gewickelt, zuknöpfen zu können. Nun liegt er da in der Sonne und der Rücken juckt, weil der Morgentau das grobe Leinen an seinem Körper feucht werden lässt. Der alte Sommer in diesem Jahr des Herrn, dessen Zahl er nicht genau kennt, entlockt der Natur so manch essbares Zeug, es ist eine Zeit, in der ihn der Hunger selten plagt. Weit war er nicht gekommen heute, die zwei Schweine versenken ihre Rüssel im Schlamm, den der Platzregen gestern Abend im weichen Wiesenboden im Wald hinterlassen hat. Sie grunzen zufrieden vor sich hin, nichts scheint sie zu stören oder zu beunruhigen in ihrer hingebungsvollen Suche nach Fressen.

Eigentlich hat er sich vorgenommen, wie so oft, sich eine Spur zu suchen und mit seiner Phantasie über den Urheber dieser, loszugehen. Meist gelangt er nach kurzer Zeit zurück nach Zirl, zwischen den paar Hütten ans Ziel seiner Reise und wenn er nicht aufpasst, klatscht ihm wieder jemand eine Ohrfeige ins Gesicht, um ihn lachend aus dem Traum vom ritterlichen Helden zu reißen. Fast immer kommt diese Person dann in der nächsten Geschichte unheilvoll weg, eine grausame Verstümmelung ist da milde, die er sich dann ausmalt.

Das kleine Dörfchen, das die älteren Bewohner noch »Zirle« nennen, liegt nicht weit von Innsbruck und so knüpft er manchmal, wenn eine Spur gar zu packend erscheint, seine Schweine mit einem langen Seil, an einen Baum nahe einer Stelle, die für die Tiere offenbar als angenehm empfunden wird, der menschlichen Nase aber wenig schmeichelt, sogar der eines Schweinehirten nicht.

Die Stadt am Inn sollte er eigentlich nicht alleine aufsuchen, zu zahlreich treibt sich Gesindel in der Gegend herum. Den ganzen Sommer schon versuchen immer wieder die Wittelsbacher Bayern nach Tirol zu marschieren, obwohl oder just weil die Maultasch das Land an Rudolf, dem Habsburger, übergeben hat. Die Geplänkel, die sich die verfeindeten Truppen liefern, verlaufen meist zwar harmlos, dennoch sind schon einige dem politischen Gerangel zum Opfer gefallen.

Übergelaufene Bayern, des Kampfes müde, Tiroler Fußsoldaten die kaum als solche zu erkennen sind, zu weit entfernt sind sie von der ritterlichen Ehre, zu arm um sich mit Eisen vor den grausamen Waffen zu schützen. Eine Rüstung, wie manche in der Schlacht eine tragen sollen, hat er gar nie gesehen, manchmal zweifelt er, ob es das überhaupt gibt, was ihm da schon alles, meist unter vorgehaltener Hand und flüsternd, damit das laute Wort die eisernen Männer nicht auf der Stelle anlockt, um die Tuschler mit ihren mannslangen Schwertern entzweizuhacken, erzählt wurde!

Die Mischung aus Angst und Neugier ließ ihn die Alten zum Weitererzählen antreiben und wenn sie gar zu bunt das Schlachtentreiben schilderten, hörte er mit den Händen auf die Ohren gepresst zu, damit nicht all die furchtbaren Worte in sein Ohr fanden, um im Kopf in schillerndsten Farben der abgetrennten Glieder, gespaltenen Köpfe, durchtrennte Sehnen und von Pfeilen durchbohrte Körper zu malen.

Das war früher. Heute kennt er alle Schilderungen, er weiß nur nicht mehr genau, ob er sich an die Warnungen, die mit den Geschichten verknüpft wurden, erinnert oder an die prächtigen Gemälde, die er sich selber vor Jahren in seinem Innern gemalt hatte. Es war egal, abschrecken konnte ihn das nicht mehr. Jetzt ist die Neugier erwachsen, die Angst im Laufe der Jahre gealtert und gestorben, die Mutter der Wissbegierde ist tot.

Den Inn entlang zu gehen ist riskant, am wenigsten sind da die Innschiffer zu fürchten, grobe Kerle, die Salz ins Oberland bringen.

Sie sind meist übellaunig, weil sie abseits der Hauptroute, von Hall flussabwärts, mit Schweizern Geschäfte betreiben müssen. Gute Geschäfte, damit das klar ist. Den Schweizern wiederum eilt ein gewisser Ruf voraus, sie kämpfen ohne Rüstung, sie verweigern sogar das Tragen von Eisen, sind in bunte Kleider gehüllt und schmücken sich mit Federn auf ihren Hüten! Mit ihren langen Lanzen treten sie stumm dem Feind in geschlossenen Reihen entgegen, Verwundete die jammern, werden von den eigenen Männern niedergemacht. Seit die Schweizer vor ein paar Jahren gegen österreichische und italienische Heere erfolgreiche Schlachten schlugen, haben sie die Geschwister des Ruhmes in ihren Familien. Angst und Anerkennung. Durch die unterschiedlichsten Beziehungen kamen auf dem Rückweg der Innschiffer immer wieder solch furchteinflößende Männer längs dem Inn entlang Richtung Innsbruck und er bedarf Keinem von ihnen begegnen.

Als ich die kurze Klinge wieder aus ihm herauszog, sah er mich mit weit geöffneten Augen an, als wollte er mich zu fragen, was ich da entfacht habe, ich vermochte ein Lächeln nicht unterdrücken. Dann hat sich der widerliche, dürre Wegelagerer an die Stelle gefasst, an der wie aus fröhlicher Quelle sein Blut sprudelte, nur um mich mit seinem verfaultem Lebenssaft zu beschmutzen. Damit brachte er mich, um das Vergnügen ihm zuzusehen, beim Sterben. Er erzielte hiermit sogar, ihn zu erschlagen, in dem Moment kam mir ein tödlicher Stoß mit dem Dolch doch als zu gnädig vor. Durch die Wucht des Schlages mit dem armdicken Ast, der in Griffweite lag, landete er ungelenk auf dem Rücken. Ich war verärgert, das Leinengewand war ruiniert, es ließ sich keineswegs so leicht reinigen wie die Klinge im Innwasser.

Zuhause, am Feuer lauschte er gern den Geschichten der Alten, die Rüstungen und Schlachten, Schweizer und Deutsche im Kampf gesehen haben, durchbohrte Körper und schreiende, hart gesottene Männer. Am hellhörigsten wurde er aber, wenn einer von den Bogenschützen erzählte. Da vermochte er gar nicht genug nachzubohren und zu betteln, immer wieder fragte er nach seinen Helden. Einigen war er schon begegnet, die erzählten freimütig von ihren Taten als Söldner in verschiedenen Heeren, wie sie Schädel gespalten und Arme abgeschlagen haben. Wie sie über den Feind lachten und ihn mit kräftigen Schlägen vom Pferd holten um ihn grinsend und im Blutrausch spuckend zum Herrn schickten.

Kam aber die Frage nach Bogenschützen, wurde er entweder gescholten oder gleich wortlos verprügelt, kaum einer wollte oder konnte von ihnen reden, was sein Interesse und seine Phantasie nur steigerten.

Wahrscheinlich ist das die treibende Kraft, die ihn immerdar auf die Suche schickt; er ist nicht gewillt, immer Schweine hüten. Viele Versuche, einen Bogen zu bauen scheiterten, mal war der Ast zu schwach und verbog sich, mal verdrehte er sich, dann wieder brachte er einen Pfeil in die Luft, aber der Bogen war danach weich wie der Arm eines Geräderten, dem alle Knochen gebrochen wurden.

In Hall sollte ein Drechsler und Schnitzer sein, der unter Umständen Lehrlinge aufnimmt und ihn in die Kunst des Bogenbaus einführt. Aber so weit war er nie gekommen und Zirl liegt zu abseits, um einmal kurz hinzugehen, mindestens eine Tagesreise zu Fuß. Aber eines Tages wird er nach Hall gehen und bei einer Meisterfamilie um Aufnahme bitten, auch wenn er das Lehrgeld nicht bezahlen kann, dann dauert die Lehrzeit halt länger. Mag sein, wenn er mit einem Händler oder Bauern wieder einmal nach Innsbruck darf, um mit den anderen Burschen aus der Umgebung die Warenlieferung zu bewachen und den Karren aus den Löchern in der Straße zu heben.

Im Moment freilich, steht er im Wald, fast in Riechweite der Schweine und sein Blick schweift rüber zur Burg, in eine Gegend, die er gut kennt, wenn auch nicht die besten Erlebnisse damit in Erinnerung kommen.

Fragenstein steht schon seit er denken kann da oben am Fels, gleich neben der Schlucht. Von Nordost her gilt sie als sturmfrei, so tief eingeschnitten ist die Klamm in den Berg und schützt damit auf natürliche Weise die Befestigung. In den letzten Jahren wechselte Fragenstein öfters den Besitzer, Folter und Befragungen, Namensgeber des Bollwerks, wurden aber nicht mehr erfüllt, sagen die hohen Herren zumindest. Erzählt wird natürlich auch Anderes, dass man nachts die Schreie hört, wenn sie den armen Seelen die Haut vom Körper ziehen und sie mit Salz und Essig einreiben. Die Burg macht manchen Menschen hier immer Angst, zumindest sorgt sie nicht nur für ein Gefühl des Schutzes beim niederen Volk.

Die Häuser unterhalb der Burg, Maierhof genannt, dienen so manchen Angestellten und dem Vieh als Unterkunft. Auch darüber wird sich einiges erzählt aber natürlich nicht laut. Der Maierhof gehört zur Burg, hier wohnt oder wohnte die Familie, die für die Herren das Vieh versorgen und die Bäume fällen. Er kennt ein Mädchen, das in den Häusern lebt, kennen ist etwas zu viel gesagt, sie sind sich schon einige Male im Wald am Fuß des Bergfrieds begegnet und wechselten ein paar Worte, verschüchtert, ob dies erlaubt ist oder nicht; von wem immer.

Früher reichte ein kleines Missgeschick oder der Verdacht, dass jemand mit dem Teufel paktiert, und schon bekam man freies Geleit in den gefürchteten Keller. Es konnte mitunter schnell gehen, dass zur »Befragung« jemand abgeholt wurde. Aber tatsächlich wird hier schon lange nicht mehr Gericht gehalten, diese Zeiten sind vorbei. Den Kindern wird aber dennoch gern gesagt, falls sie es gar zu bunt treiben, dass sie bald »nach oben« geführt werden, genauso wünscht man dies heimlich einem üblen Nachbarn an den Hals. Er fragt sich manchmal, so für sich, warum damit gedroht wird, »nach oben« zu kommen, es ist zwar nicht allen bekannt, dass es »oben« im Gegensatz zu anderen Burgen, kein Verlies gibt, kein Loch in der Erde, das mit Mauern und Eisen gesichert ist. Die Mühe musste man sich nicht machen. Ebenerdig geht es in die Kammer, ein kleiner Schlitz lässt an sonnigen Tagen wie zum Hohn der Gefangenen für ein paar Augenblicke die Strahlen hinein.

Er würde gerne einmal da oben stehen, aus einem der Türme schauen und beobachten, wie die Händlerscharen und all die Pilger vom Seefelder Sattel zum Brenner oder nach Deutschland oder umgekehrt, da dreht sich einem schon der Kopf, bei solch hehren Gedanken. Er, der Schweinehirte in der Burg seines Herrn, kaum vorstellbar, aber es müsste doch auf irgendeine Art und Weise gehen ...

Martinsberg, leicht angehoben am Inn stehend, fasziniert ihn aber kaum, obwohl es strategisch in guter Lage steht, wie schon die Römer wussten. Wie eine Insel sind die Häuser dort vom Wasser des Inns umschlossen, aber die Mentlberger die hier seit kurzem weilen, umgeben sich nur mit dem Innwasser, nicht mit schauerlichen Gerüchten. Jedoch hat sich mit den Herrschaften nie viel geändert. Es gab auf Fragenstein den Herren Charlinger und Ebenhausen, jetzt hat der fette Parzival von Weineck I. eben die Mauern. Für ihn bedeutet das keinen Unterschied.

Inzwischen, da die Sonne hoch oben steht und das Hemd schon getrocknet ist, schaut er rauf zur Burg, sie liegt hocherhoben auf dem vorgelagerten Felsen und bietet ein imposantes Bild. Er erkennt sogar die Handwerker, die Material den steilen, engen Weg hinaufschaffen. Die Wagen, die sie benutzen, sind gut ein Fuß schmäler als normal, so eng ist der Pfad hinauf. Diese Burg scheint uneinnehmbar von unten.

Der Bach, der an der Burg vorbei durch das Dorf fließt, ist braun verfärbt, die Steinmetze schlagen die Steine meist unten in Form und bringen die fertigen Teile rauf. Wenn er genau lauscht, so kann er das stumpfe Schlagen der Zimmermannsbeile hören, einzelne Befehle und Zurufe. Eigentlich herrscht geschäftigeres Treiben als sonst, etwas ist anders heute.

Die Lieferungen an Salz und Wein, die dem Herrn jährlich geliefert werden, sind auch heuer wieder unterwegs, obwohl ja selbst Wein angebaut wird. Der fromme Weinecker wird für die Burgbewohner und seinem Wampen schon mehr benötigen, als sie selbständig herstellen können.

September

Sein Zögern, wenn er in die Stadt will, stört ihn. Die Nächte sind lange schon deutlich kälter aber dafür ist der Blick am Tag klarer. Er sieht zu den Bergen hinauf. Der obere Wehrturm der Burg ist so gut wie fertig, die meisten Handwerker sind wieder abgezogen. Wenn er Einem begegnet, fragt er ihn, ob er mitgehen darf, egal, ob ins Bayrische oder Italienische und wenn sie ihn auslachen, den Schweinehirten, dann quetscht er sie wenigstens über ihre Arbeit aus, mit wem sie werken, was sie so machen und mit wem und, ob sie etwa schon Ritter oder Bogenschützen gesehen haben. Mit der Zeit kommen da so manch bewegende Nachrichten ins Dorf. So wie neulich, mit dem Steinmetz, der nach langer Zeit wieder heimkehrte.

Der Parlier machte im Dorf eine kurze Rast, um sich nach Verpflegung und dem Weg zu erkundigen. Etwas mürrisch zeigte der Meister sein Werkzeug, den »Zweispitz« sowie die »Fläche« zum Bearbeiten der Steinquader, die verschiedenen Fäustel und Eisen. Den Rest gibt der Handwerker nicht preis, alles ist wohl verpackt auf dem Wagen und die Neugier eines Hirten vermag ihn nicht dazu zu bewegen mehr aus den Tüchern und Kisten zu kramen.

Aber redselig ist er und zu erzählen gibt es Einiges, weit gereist wie er schon ist. Die Schilderungen vom Baubetrieb sind ja reizvoll, wie Zimmermannsleute Kräne bauen und damit riesige Steinblöcke bewegen können, die Gerüste, mit Seilen gebunden, die sich Tag für Tag an die Höhe der Mauer anpassen. Unfälle sind selten aber verheerend, meist stürzt einer von den Wällen oder klemmt sich Glieder in den Steinen. Alles Meldungen, die er mehr oder weniger schon kennt, etwas enttäuscht wendet er sich dann dem Feuer zu, das ihm schnell von vorne die Röte ins Gesicht treibt, während ihm der Rücken bis zum Arsche abfriert. Da der Parlier das mitkriegt, lacht er zum ersten Mal und mit der groben Hand greift er dessen Schulter und dreht ihn sachte mit seiner feuchtkalten Kehrseite zum warmen Lodern. Den Umgang mit Menschen und im Speziellen mit jungen Heißspornen hat er schon lange gelernt, der Steinmetz. Mit dem Handrücken vor dem Mund beugt er sich langsam zu ihm und flüstert ihm ein scheinbares Geheimnis zu, just so laut, dass die anderen etwas hören können, die Bedeutung seiner Aussage aber nur als für ihn bestimmt, zu erkennen ist.

»Der Weineckerturm auf Fragenstein ist wegen der Überhöhung im Westen notwendig geworden, die neusten Belagerungsmaschinen können mächtige Geschoße aus großer Entfernung schleudern, meist können die Bogenschützen sie kaum erreichen.«

Der gebildete Handwerker nennt ihm eindrucksvolle Zahlen, die ihm nicht im Geringsten imponieren, weniger seiner rauen Abgebrühtheit wegen, vielmehr kann er nicht mit den Zahlen anfangen.

Die obligatorische Frage nach den Bogenschützen spart er sich, da es hier ja kaum welche gibt, die Herren verlassen sich da ja vorzugsweise auf die Armbrust, ein verfemtes Gerät, das jeder ungeübte Tölpel zu bedienen vermag. Man muss nur in die Richtung halten und warten, bis der Feind nahe genug ist und den Hebel ziehen, damit sich der Bolzen in den Körper des Anderen bohrt. Nur, ist der Gegner ein geübter Bogenschütze, dann tritt man seinem Schöpfer gegenüber, bevor der Feind überhaupt erkannt wurde! Keine Waffengattung kann es mit dem Bogen aufnehmen!

Schon wieder. Immer wieder begegne ich Abschaum, der es schafft, mich wütend zu machen. Dieser hat es gar nicht bemerkt. Ich lasse sie es sonst gerne wissen, dass ich erbost bin. Die Welt wurde von ihm durch dessen eigene Waffe befreit, die er an den Baum lehnte, als er sich auf einen Bettler oder Siechen zu seinem Vergnügen erleichterte. Die Kriegssense hatte deutliche Spuren vergangener Kämpfe, Scharten und Rost im Eisen zeugen davon. Die speckige Stange war mit Nägeln geschmückt, was verhindert hat, dass ich durch den Schwung der Drehung das Ding nicht aus den Händen gleiten ließ. Die Klinge traf nicht wie vorgesehen den Hals, um die Rübe vom Acker zu ernten. Die Schneide, leicht geschwungen und zu einer Spitze auslaufend auf der einen und ein schlichter Dorn auf der anderen Seite auf dem langen Stock war gut für den Zweck zu gebrauchen, ein schweizerisches Modell, etwas älter, aber schon aus einem Stück geschmiedet. Der Tor trug irgendwelche Rüstungsteile, die er vermutlich erbeutet hatte, nur eben die Falschen. Die Schneide glitt fast ohne Widerstand durch den roten Hemdsärmel mit dem Weißen Kreuz darauf aber nicht mühelos, ich spürte trotz des Schwunges, wie dieser plötzlich durch den Knochen gebremst wurde. Das knackende Geräusch war das Signal für die Sense, zu halten.

Der rechte Arm hing lächerlich sinnlos unter dem eisernen Schulterteil herunter, erst fast weiß, dann schnell blutig rot färbte sich die Schnittfläche, wogegen die Farbe seiner Tracht dem Schauspiel die Freude nahm. Ich war schon für den zweiten Schlag bereit, wobei ich kurz überlegen musste, ob ich nicht die Spitze einsetzen sollte, ich mag das Löchlein zugespitzter Waffen, das lange Zeit so viel Erlösung über die Welt gebracht hat. Doch der erwartete Schrei blieb aus, das Vieh drehte sich langsam um, als wäre er von einem Geräusch dabei gestört worden, den Halbtoten im Graben mit Pisse zu versorgen. Nichts hätte er mehr zu meiner Besänftigung beitragen können! Etwas erschrocken von meinem Anblick viel er auf die Knie, schier zu viel der Ehre, ich reckte seine blutige Waffe vor und legte ihm die Spitze in den Mund, was er mit leisem winseln und Schweißtropfen auf der Stirn einfach geschehen ließ.

Obwohl er sich vorhin erleichtert hatte, färbte sich die Schamkapsel zwischen seinen Beinen dunkel, womit meiner Zuneigung ein Ende gesetzt wurde. Ich legte das Ende der Stangenwaffe auf die Erde, während die schwere Spitze in seinem Mund am Gleichgewicht zehrte. Erst wollte ich ihm dann auf den Hinterkopf treten, hatte aber Bedenken, dass mir der Stachel durch die Stiefel kommt, daher nahm ich einen großen Stein.

Leider hat die Wucht des Gesteins die Waffe beschädigt, sie war verbogen und hat sich nicht mehr aus dem Stück Dreck herausziehen lassen.

Der jammernde Haufen im Graben lag mit dem Gesicht nach unten im Unrat und bemerkte erst als es wieder geräuschlos war, dass neben ihm eine Leiche lag und seine Lumpen nicht mehr nur von der Pisse des Anderen feucht waren, sondern von dessen Blut.

Oktober

Er nahm sich vor, beizeiten wieder den gelehrigen Pfarrer oder Mönch zu besuchen, um mehr zu lernen, was er ja doch einmal brauchen könnte. Vor Zahlen hat er sich bislang immer verdrückt, zu wirr scheinen ihm diese Zusammenhänge. Doch je mehr er der Neugier nachgeht, desto öfter stößt er an die Grenzen seines Erfassbaren, da ihm die Erklärungen nichts sagen, so wie vorhin eben die Schilderungen des Steinmetzes.

Nun erst hat er die Schuhe öfter an, wie ihm beigebracht wurde, damit sie lange halten. Die anfängliche Enge ist bald vergessen, der Boden kann jetzt gern gefroren und hart sein! Ebenso hat er sein Übergewand schon gebraucht, so kalt werden die Tage.

Vor dem Weinecker damals, kam der Pfarrer Rainald, der allerlei Geschichten erzählte; nicht nur vom Herrn. Gern gab er weithin hörbar Auskunft über die Heldentaten der Ritter auf ihrem Weg nach Jerusalem. Herrlich die Erlösung der Seelen durch das Schwert! Göttlich der Wille, wenn ein Heide oder Muslim durch Christenhand in fortan zwar blutige, aber dafür geweihte Erde fällt. Wenn sich die zuhörenden Frauen abwenden oder, wie er selbst früher, die Ohren zuhalten, kann der Pfaff lachen!

«Ein gespaltener Schädel erleichtert der Heidenseele die Ausfahrt aus dem elenden Körper!», entfährt ihm dann oft in entrückter Begeisterung.

Woher er die Geschichten hat, ist ihm egal, er hört sie gern, nur weiter zu fragen getraut er sich den Ordensmann nicht. Wenn er das fanatische Mönchlein sieht, ist ihm etwas unwohl, dennoch zieht es ihn immer wieder rätselhaft zu dem Gottesmann hin. Er ist nicht nur freiwillig hier in Zirle, erzählte er einmal, nachdem er schon etliche Humpen in sein großes Loch unter der Nase gekippt hat.

Der Durst des Gottesmannes war ebenso beachtlich wie seine Geschichten aus der Ferne, einer fremden Welt. Warum er aber nicht hier sein sollte, hat er noch nicht herausgefunden, eines der wenigen Themen, über die der fromme Mann sich nicht so gern auslässt.

Neulich, als er wieder einmal das Mädchen vom Maierhof im Wald getroffen hat, begegnete ihnen der Gottesmann, torkelnd und unverständliche Worte vor sich her sprechend. Ein solcher Herr wird womöglich beten, jemand anderer hätte so möglicherweise zu irgendwelchen Geistern gesprochen oder Hexenwerk getan. Als er die Zwei erblickte, versuchte er sich sichtlich zusammennehmen, dann aber starrte er das Mädchen an, mit angsterfülltem Blick und machte kehrt. Schnell entfernte er sich ohne Begrüßung oder Verabschiedung, mit deutlich hörbarem, lautem Gebet. Die Angst, die er scheinbar vor dem Mädchen hatte, war nicht erklärbar, sie schauten sich fragend an und fuhren mit ihrer Unterhaltung fort. Diese Begegnung mit dem Pfarrer ist ihm immer noch im Kopf, er kann sich die Angst in den Augen des Mönchleins nicht erklären und dass er keine Worte fand, wo er doch sonst kaum eine Gelegenheit auslässt, um mit lauter Stimme sein Wort und auch das Gottes zu verkünden.

Es macht einen Höllenlärm, wenn ein Streithammer auf einen Helm trifft. Gerne nehme ich Angebote an, verschiedene Waffen zu probieren, mittlerweile habe ich schon einige kennen gelernt, aber dieser ansprechende Hammer war bisher am lautesten, was meine Aufgabe aber nicht gefährden konnte. Obwohl von einer deutschen Schmiede war dieses Stück äußerst lieblich anzusehen, eine kleine Faust, fast wie meine, mit einer kurzen Dolchklinge im festen Griff. Mir war sofort klar, dass ich damit jemand im Besonderen belohnen werde.

Aber wenn es kälter wird, sind die Menschen noch geruhsamer und verärgern mich immer seltener, daher hab ich unter dem Mantel schon seit Wochen das hübsche Ding unnütz verborgen. Ich wollte aus dem stinkenden Innsbruck raus, seit Tagen hat es nicht geregnet, der heiße Wind trägt den Gestank in jeden Winkel, was mich an Augsburg erinnert. Beim Leuthaus nahe dem Wiltener Kloster konnte ich die schmutzigen Händler mit ihren Knechten, die sie zum Schutz vor Gesindel mitnehmen, beobachten, einige schienen bei Überfällen verletzt zu sein, waren aber froh, wieder lebend den Weg über den Brenner zu der Stadt am Inn gefunden zu haben. Ich war am falschen Ende, wollte das Herbergshaus Richtung Norden, erst durch das Spitalstor und dann durch das Inntor verlassen.

Es war Zinstag, die umliegenden Dörfer am Fuß der Nordkette lieferten den Herbstzins auf den Höttinger Bühel. Ich folgte den Bauern, da ich es nicht eilig hatte und konnte so ein Stück weit weg von dem alltäglichen Treiben. Fässer und Kisten, allerlei Getier und Körbe mit Eiern wurden geliefert. Der sichtlich vollgefressene Verwalter August saß an einem großen Tisch, der Pöbel vor ihm aufgereiht, die er nacheinander mit Namen, die ein Diener aus einer Liste wählte, aufrief. Erst die mit den lebenden Tieren, dann die Weiber mit Eiern und Butter. In jeden Brotlaib steckte er den Daumen in die Mitte, um mit dem Zeigefinger einen Kreis zu beschreiben. Hatte der Laib die richtige Größe, kostete er davon, wie von allem, was ihm dargereicht wurde. Meine Wut machte mich etwas unzufrieden, ich fühlte das angenehme Gewicht des Hammers am Gürtel. Als aber alle Leute ihren Zins zur Zufriedenheit des Herrn abgeliefert hatten, lud er mit einer ausladenden Bewegung in die Halle vom Herrenhof, gleich neben der Küche und dem Lager, in das die Zofen und Knechte die Sachen hinterlegten. Es war ein fröhliches Saufen und Fressen, derbe Zoten wurden gerissen und den Mägden auf den Arsch geschlagen, dass sie zum Spaß der anderen laut aufschrien. Ich war gar nicht aufgefallen und labte mich am Schinken und dem Brei mit Honig, als mich dann aber der Ekel hinaustrieb. Ich konnte mich nicht entscheiden, wer meinen deutschen Hammer probieren dürfe, sie hätten es alle verdient. Erst lassen sie sich die Steuern aus der Tasche ziehen und dann feiern sie mit ihrem Peiniger- was für ein Mahl stünde mir da schon seit Ewigkeiten zu!

November

Die Berge der Nordkette und nach Süden zum Brenner hin sind schon seit Tagen in Wolken gehüllt. Wenn zwischendurch der zu warme Wind, der vor allem die altgedienten Krieger quält, weil er die Wunden wieder schmerzen macht, die längst verheilt scheinen, die Wolken wegbläst, dann kann er den Schnee sehen, weit herunter bis zu den Häusern am Fuß der Berge. Lange schon haben die Menschen die Fenster mit Brettern vernagelt und nur ein kleines Loch für etwas Licht gelassen. Manche haben in Öl getränkte Tücher oder Tierhäute in die Öffnungen gespannt. Morgens stehen die Tiere eng beisammen und selbst die nackten Bäume und Sträucher machen den Eindruck, dass sie wie das Vieh versuchen, in der Kälte durch das Zusammenrücken etwas Wärme aus zu tauschen. Die Schweine bleiben manchmal im Stall, der gefrorene Boden gibt nicht mehr viel frei, demnach ist er öfter alleine im Wald unterwegs, um Zapfen und Laub zu sammeln. Die Menschen nutzen die hellen Stunden um sich auf den langen und harten Winter vor zu bereiten, es kommt die Zeit der Entbehrungen, Zeit um Geräte zu reparieren, Körbe zu flechten- die Jungen konnten im Schnee Belagerung, Angriff und Heiden töten spielen.

Die anderen sind dann meist mit mächtigen Holzschwertern bewaffnet, haben abenteuerliche Helme auf und stürzen sich sodann in die Schlacht von Mann zu Mann. Der Dorfplatz ist dann das Schlachtfeld der Knaben. Da wenig überraschend niemand die Heiden mimen will, werden entweder Bäume, Pfosten oder Strohballen zum Feind erklärt, am lustigsten ist aber mit den Krüppeln, den Irren und den Blinden. Er hat dann meist mit einem armseligen Stock einen Bogen und ein paar Pfeile gebaut und in die Schlacht gebracht. Wenn er damit auch nicht weit schießen konnte, um einem Geistlosen oder Humpelten einen Wehschrei zu entlocken reichte sein Rüstzeug allemal. Manchmal, wenn er besonders gut getroffen hat, klatschen sogar einzelne Zuschauer und die unfreiwilligen Heidendarsteller begannen wütend zu brüllen. So mancher Erwachsene würde sich da gerne ins Getümmel stürzen und den Stellvertretern der Gottlosen auch eine Stange über den Schädel ziehen. Aber die einzigen Alten in diesem Schauspiel waren nicht zu beneiden.

Leider sind die Schule und die Kinderkriege den Jungen vorbehalten, wenngleich bei Zweiterem mehr als doppelt so viele sind als die, die beim Pfarrer lernen. Er war schon manchmal im Winter dort, doch wurde dann meist lesen und rechnen sowie schreiben gelehrt, was anstrengend und langweilig war. Dem Mädchen vom Maierhof hat er dann gleich erzählt, was er wieder gelernt hat, denn sie geht wie alle anderen Mädel nicht zum Unterricht. Sie lernt nähen und kochen, die harte Arbeit auf dem Feld und wie Lebensmittel für den Winter haltbar gemacht werden. Sie ist aber eine eifrige Schülerin und so manches Mal erklärte sie ihm schon, was er von den Worten des Pfarrers nicht verstanden hatte. Er weiß nicht, dass sie im wohlbehütetem Haus ihres Vaters unterrichtet werden soll, was so einiges ändern würde.

Der Pfaffe macht ihnen Angst, aber warum genau haben sie bislang nicht herausfinden können.

Den Winter über werde ich in der Innsbrucker Umgebung bleiben, ich hasse die Kälte, die Berge und den Gestank, wobei ihm der Frost einiges an Schärfe nimmt. Vor den Toren der Stadt herrscht immer noch reges Treiben, im Gegensatz zu den Rosen blüht der Handel hier das ganze Jahr. Dennoch bin ich schon am Morgen von meiner Wut getrieben. Ich kenne mich gut aus in Innsbruck und habe Ruhe, solange ich für alles bezahle. Die Bürger zeigen deutlich, dass sie durch die Nähe zu den Zünften etwas Besseres sind als die einfachen Inwohner. Echte Adelige sieht man nur selten hier, was für mein Einkommen nicht gerade leicht ist.

Meinen lieblichen Kriegshammer bin ich mittlerweile los, in gewisser Weise. Etwas aus der Übung nahm ich zu viel Schwung und so durchschlug er mühelos die Stirn gleich unterhalb des Topfhelms und flog mitsamt dem Helm und Stücken vom Kopf in hohem Bogen in den Inn. Der Trennungsschmerz wegen der Waffe währte nur kurz, der Fremde Helmträger stolperte wie ein Betrunkener über das schlammige Ufer des Flusses und zeichnete eine stilvolle, rote Spur hinter sich. Da kaum Flößer auf dem Inn unterwegs sind und bereits die Dämmerung hereinbrach, konnte ich mir Zeit nehmen, das elende Stück Mensch zu durchsuchen. Wenigstens hatte er ein paar Münzen dabei, was mich etwas beruhigte. Der Ärger, dass mir mangels Licht das Schauspiel nicht gegönnt war, bis zum Schluss zu warten, war damit nicht zu groß. Der stinkende Haufen zuckte immer noch mit dem Gesicht in den Resten seines offenen Schädels. Mittlerweile war aber vorne und hinten nicht mehr zu erkennen also schleppte ich in ihn in das kalte Innwasser, was mich dann aber doch verärgerte, weil es sehr anstrengend war. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass nichts von Wert verloren ginge, ließ ich ihn ins Wasser gleiten, farblos und friedlich versank das Pack in den sanften Wellen.

Eines Tages aber, beginnt der Lehrer mit einem Beispiel von einem Bogenschützen, eine Rechenaufgabe. Dabei kommt der Geistliche durch die Fragen der Schüler so vom Thema ab, dass an diesem Tag nicht mehr gerechnet wird. Kein einziges Wort will er vergessen, anfangs versucht er in seine Wachstafel, die zu der Stiftung der Fragensteiner Eigner gehört und sie alle geliehen bekamen, etwas zu kritzeln, aber bald konzentriert er sich auf die Worte und die erschreckenden Ausschweifungen des Herrn Pfarrers. Nach einem mehrstündigen Vortrag über die glorreichen Kämpfe gegen Muselmanen, Ketzer, Juden, Sodomiten, Bayern, Schweizer, Engländer wie Franzosen hat der Mann Gottes den Faden endgültig verloren. Der viele Wein, den er in sich hineingeschüttet hatte, macht ihn übellaunig und mürrisch, sodass er schließlich seine Schüler mit Ohrfeigen nach Hause schickt. Aber er will so viel mehr hören, vor allem von den Bogenschützen, wofür er sich extra eine Maulschelle einfängt.

Dezember

Im Winter nach Innsbruck zu kommen ist nicht gefährlicher oder schwerer als im Sommer, manche Bauern, die vor der Stadt Waren verkaufen dürfen, fahren mit dem großen Schlitten zweimal am Tag hin, wenn die Geschäfte gut genug gehen. Wenn er mitkommen darf, dann hat er zwar weniger Abenteuer, dafür aber eine gewisse Sicherheit. Er hilft dann dem Bauern, die Waren zu entladen, sobald sie im Ballhaus die strenge Kontrolle der Büttel überstanden haben. Dies garantiert, dass die Masse und Gewichte entsprochen wird und natürlich, dass die Steuer eingehoben werden kann. Es kommt vor, für eine entsprechende Gegenleistung, dass schon mal ein Korb mit Gemüse zu wiegen vergessen wird. Einmal ist es ein Stück Fleisch, ein andermal Wein, der dazu reicht, ein paar Waren zu übersehen.

Über die linke Innseite kommend, folglich von der Nordseite her, begegnet man so mancherlei unterschiedlichen Leuten. Mit einigen kommt er sogar ins Gespräch, obwohl im Winter sehr viel weniger unterwegs sind, auch sind sie nicht so redselig als zu wärmeren Zeiten. Der Brückenzoll ist fällig, der alte Zöllner kommt aus seinem Häuschen an der Innbrücke und macht ein freundliches Gesicht. Nichts scheint hier bedrohlich, nicht einmal die paar bewaffneten Knechte, die sich lautstark mit Schimpfwörtern überhäufen. Sie warten darauf, dass die vielen Karren und Schlitten stecken bleiben, um gegen eine entsprechende Entlohnung den Wagen aus dem Loch zu heben.

Manche Löcher auf dem Weg sind aber auffällig ungünstig gelegen, bei einer Fahrt im Sommer hatte der Bauer daher Bretter mit, damit er nicht auf den Beistand der Landsknechte angewiesen ist. Mit ihren Helmbarden und Dolchen überzeugten sie den Händler aber, dennoch für die »Hilfe« zu bezahlen, obwohl sie sich keinen deut bewegten, sondern nur hämisch grinsten, als sie ihn aus purer Bosheit zwangen, in das Schlammloch zu springen.

Er kennt die Stadt gut, bei jeder Gelegenheit ist er dabei, wenn einer nach Innsbruck fährt und da er etwas lesen und rechnen kann, wird er immer wieder einmal mitgenommen. Bis er alleine hinkommt, wird aber dauern. Da muss er noch oft die Schweine in den Wald treiben, bis er dafür die Erlaubnis und den nötigen Mut bekommt.

Als sie über die Brücke kommen ist er schon gespannt, was es wieder Neues gibt, es wird allerlei gebaut in der Stadt, von Jahr zu Jahr wächst sie, meint er zu erkennen. Die Stadtmauer steht überaus lange, beginnt bei der Burg Andechs, schlingt sich um die St. Jakobskirche bis zum Inn. Die Wehrtürme gefallen ihm besonders, auch hier hat er sich schon Ohrfeigen abgeholt, als er die Wachen überzeugen wollte, dass er hinauf müsste. Durch das Inntor, eines der vier Stadttore, das Neueste ist das Pickentor am Westausgang, kommen sie zum Ballhaus. Da hat er nichts verloren, daher macht er sich gleich auf den Weg durch den braunen, nasskalten Schnee.

Gleich ums Eck, nahe dem Rathaus, der Stadtturm, der so hoch ist, dass ihm das Genick schmerzt, wenn er über eingehende Zeit versucht, die Wachen dort oben zu erkennen. Lange geht das ohnedies nicht, es herrscht reges Treiben und so wird er angerempelt und verflucht. Dabei muss er aufpassen nicht hin zu fallen, da auf der im Sommer staubigen oder schlammigen Straße der Schnee und die Jauche der Tiere mit den Abfällen eine eisig kalte Brühe ergeben und vor dem Abendessen kommt er nicht heim. Berge sieht man heute keine, als ob sie verschwunden wären, es ist nur kalt, ein leichter Wind weht durch die Gassen und macht alles noch kälter. Da und dort hat jemand Feuer gemacht, gerade groß genug, um sich die klammen Finger zu wärmen.

Es wird gesagt, dass heute die Bäume gedeihen und sich Wasser in Wein verwandeln soll. Das Vieh sollte sprechen können, in dieser besonderen Nacht. Derzeit blühen nur die eisigen Schneeblumen, das Wasser wurde faul und der Wein gesoffen. Tier hat bislang keines zu mir gesprochen, aber das Stück Fleisch heut Abend hat geschmeckt. Reges Treiben herrscht heute in den Gassen, die Leute gehen in die Mette zur Jakobskirche, um dem Herrgott zu preisen, diese jämmerlichen Narren.

Sie frieren und loben den Herrn, verhungern fast und loben den Herrn, selbst im Moment des Todes loben sie den Herrn, wenn sie noch dazu kommen. Heute, als es längst Dunkel war, trat ein Taugenichts, volltrunken vom Wein, den Weg zu Gott an, vermutlich ist er nun schon angekommen. Ich wollte ursprünglich nur in Ruhe zur Herberge, als ich an den Höfen vorbei durch die Neustadt kam. Auf Höhe des Spitals sprang er mich von der Seite her an, für einen Moment dachte ich schon, die Stadtbürger hätten mir den Stadtrichter mit seinen Bütteln auf den Hals gehetzt, es sind gefährliche Zeiten, wenn man eine solche Aufgabe wie ich zu erfüllen hat. Nichtsdestotrotz hatte der stinkende Haufen mit dem Sprung schon all seine Kraft eingebüßt und als er so hilflos am Boden lag, nahm ich die Einladung, meine Wut über die Stadt und das Land loszuwerden, an.

Mein bescheidener Hodendolch, den ich verbotenerweise, aber aus verständlichen Gründen, verdeckt trage, erledigte seine Sache zu meiner vollsten Zufriedenheit. Ein kleines Löchlein hinten, oberhalb des Gürtels reicht, es fließt kaum Blut und kaum einer hat je geschrien, es ist fast, als würde es nicht einmal schmerzen. Jedoch musste ich das Ende aus der Ferne beobachten, da heute so Viele in den Gassen sind. Das Stück Fleisch und der Wein im Wirtshaus danach mundete vorzüglich, ich konnte gleich zum Wirt am Stadtturm, da mich der stinkende Angreifer weder mit sich noch mit seinem verpesteten Blut beschmutzt hat.

Die Geschichte, dass ich auf meinen Vater warte, der aus Augsburg anreisen sollte und ein reicher Kaufmann ist, hält bis jetzt, man bedauert mich aber dafür, dass es so lange dauert. Ich habe Münzen, wenn auch viele verschiedene, die aber gerne gewechselt werden. Ich scheine für niemanden eine Gefahr zu sein, was erfreulich ist, meine Gedanken aber kreisen immer öfter um mein eigentliches Ziel, das schon so nahe scheint.

Januar

Die Gärten und die Innauen sind tief verschneit, nur wenige fahren nach