Unsere Herzen auf Repeat - Miel Moreland - E-Book

Unsere Herzen auf Repeat E-Book

Miel Moreland

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Beschreibung

Eva, Celeste, Gina und Steph waren immer unzertrennlich. Eine Freundschaft, die ewig hält - dachten sie. Die vier haben Höhen und Tiefen miteinander erlebt, darunter auch den kometenhaften Durchbruch ihrer queeren Popband Moonlight Overthrow. Doch auf einmal ist alles anders. Die Band existiert nicht mehr, und sowohl ihre Freundschaft als auch die Romanze zwischen Eva und Celeste scheint zerbrochen. Als ein schweres Unwetter Teile ihrer Heimatstadt in Minnesota zerstört, treffen sie zum ersten Mal seit Jahren für ein Benefizkonzert wieder aufeinander. Und während sie sich noch auf die Show vorbereiten, bemerken sie, dass erwachsen werden nicht unbedingt heißt, sich auseinanderzuleben ...

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Seitenzahl: 442

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Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Juni 2021

Juni 2021 – Eva

Mai 2021 – Celeste

Juni 2021 – Eva

Juni 2021 – Eva

Juni 2021 – Eva

Juni 2021 – Celeste

Juni 2021 – Eva

Juni 2021 – Celeste

Juni 2021 – Gina

Juni 2021 – Celeste

April 2019 – Eva

Juni 2021 – Gina

Juni 2021

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Steph

Juli 2021 – Eva

Mai 2019 – Gina

Oktober 2019 – Celeste

Juli 2021 – Steph

November 2019 – Eva

November 2019 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Steph

Juli 2021 – Eva

Januar 2020 – Eva

Juli 2021

Januar 2018 – Gina

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Celeste

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

November 2016 – Steph

April 2021 – Gina

Juli 2021 – Gina

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Celeste

Mai 2021 – Gina

Juli 2021 – Eva

Januar 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

November 2020 – Celeste

Juli 2021 – Celeste

Juli 2021 – Eva

Februar 2019 – Celeste

September 2019 – Steph

Juli 2021

Juli 2021 – Celeste

Juli 2021 – Eva

Februar 2020 – Steph

Juli 2021 – Celeste

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Celeste

April 2017 – Eva

Juli 2021 – Steph

Juli 2021 – Steph

Juli 2021 – Gina

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Steph

Juli 2017 – Eva

Juli 2021 – Gina

Juli 2021 – Celeste

Juli 2021 – Steph

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Eva

Juli 2021 – Celeste

Juli 2021 – Gina

Juli 2021 – Eva

Juli 2021

Juli 2021 – Steph

August 2021 – Eva

Nachwort

Danksagungen

Anmerkung zur deutschen Übersetzung

Impressum

Übersetzung aus dem Englischen von Svantje Volkens

Für alle, die sich schonmal in ein Lied verliebt haben, und für alle, die an meins geglaubt haben

Juni 2021

moonlite-babe:

Sperrt die Lauscher auf, Cosmic Queers! Falls ihr die Nachrichten heute Morgen nicht gelesen habt, ist hier eine Zusammenfassung:

Celeste und Gina sind gestern Abend in den gleichen Club gegangen (Geburtstagsparty eines Stars, dessen Namen ich hier nicht nennen werde, um mir nicht haufenweise anonyme Nachrichten einzufangen)

Gina war wie immer SUPERHEISS

Celeste sah auch sehr, sehr gut aus, mein kleines queeres Herz bedankt sich

Auf den Bildern wirken sie eigentlich ganz fröhlich, also ::Wiedervereinigung wann??::

Passt auf, Babes, offensichtlich gehöre ich nicht zum PR-Team, und offensichtlich erwecken die Fotos schon den Eindruck, dass Moonlight Overthrow eine Reunion bevorsteht. Perfekte Publicity-Maßnahme. ABER. Mittlerweile sind anderthalb Jahre vergangen. Gina und Celeste sind beide an Verträge und laufende Projekte gebunden. Wiedervereinigung? Keine. Chance.

#moonlightoverthrow #business as usual #moonlight gerüchte #celeste rogers #gina wright #sorry ich versuche professionell zu bleiben aber habt ihr Ginas Make-up gesehen?

maybeitsmoonlight:

Ihr wisst alle, dass ich für eine Moonlight-Overthrow-Reunion-Tour mein Erstgeborenes verkaufen würde, und ich freue mich sooooo, 2/4 (!!!) Bandmitgliedern strahlend und zufrieden zu sehen, aber wenn das hier PR ist, dann eher für die Projekte, die sie im Moment am Laufen haben.

OT4 ist zwar Geschichte, aber immerhin liefert uns ein Teil unserer queeren Lieblingsband noch quality queer content, stimmts?

Celeste macht ihr Ding.

Gina macht ihr Ding.

Eva. Ihr Ding.

Steph ...

#MO-Updates #CR #GW

Juni 2021

Eva

Als sie die Bilder sieht, fühlt es sich an, als würde jemand einen Eimer voller Eiswasser über ihrem Kopf ausleeren. Wie ein Kälteschock, der einem den Atem raubt.

»Eva«, hört sie ihre Mutter sagen, weil sie sich immer noch wie betäubt das Handy ans Ohr hält.

Eva will antworten, aber bringt nichts heraus.

Mit der anderen Hand hält sie zitternd ihr Tablet fest. Sie scrollt weiter. Noch ein Foto, und noch eins. Jedes hallt wie eine schiefe Note in ihrem Kopf wider, denn so was sollte doch nicht passieren. Gina, Celeste ... auf einer Party. Zusammen, in der Öffentlichkeit. Ohne sie. (Und auch ohne Steph.)

Eva würde das Tablet am liebsten durchs Zimmer pfeffern.

Oder darin eintauchen, in das Bild schlüpfen, um auch dabei zu sein und für die Kamera zu lächeln.

»Eva?«, fragt ihre Mutter wieder, diesmal mit einem besorgten Unterton. »Ich wollte nur nicht, dass du es von Twitter erfährst.«

Manchmal bereut Eva es, dass sie ihrer Mom beigebracht hat, wie Twitter funktioniert.

Manchmal tut Eva so, als würde sie Moonlight Overthrow bereuen.

»M-hm«, bringt Eva jetzt heraus. »Ja, okay. Danke.« Kurz schwankt sie zwischen Traurigkeit und Wut, entscheidet sich dann aber für Letzteres. »Ich meine, es ist ja nicht so, als würde ich nicht auch in L.A. wohnen. Und das wissen sie auch. Wir haben sogar einen verdammten Gruppenchat.«

Sie ändern alle immer noch häufig ihre Nummern – selbst Steph –, und neue Nummern in den Chat einzutragen ist der einzige Kontakt, den sie seit den letzten Treffen vor anderthalb Jahren haben.

Seit der Trennung.

Oder wenigstens dachte Eva das. Vielleicht sind Celeste und Gina befreundet geblieben, still und heimlich, ohne sie.

»Evie, du hattest auch Möglichkeiten«, erinnert ihre Mom sie sanft.

Sie meint damit, sie hätte sich bei den anderen melden können. Sich vertragen können.

Aber ihre Mutter weiß auch, warum Eva nicht am Soundtrack für einen von Ginas Filmen mitarbeiten wollte. Sie weiß, warum Eva Celestes Label – ihr eigenes ehemaliges Label – nicht zurückgerufen hat, als sie wollten, dass sie einen Song für Celestes neues Album schreibt, das sie und der Rest des Fandoms damals noch CR2 nannten. Das Album hieß am Ende Silhouette und steht nach Wochen immer noch in den Charts – auch ohne Evas Hilfe.

Um fair zu sein: Die Frau vom Label rief am nächsten Tag zurück und hinterließ Eva noch eine weitere Nachricht auf der Mailbox, in der sie sich umständlich für die Störung entschuldigte. Sie versicherte Eva, dass das alles ihre Idee gewesen sei, alles von Seiten des Labels, und rein gar nichts mit Celeste zu tun habe. Als ob Eva das nicht schon klar gewesen wäre. Die Kollaborationen mit Hayley Kiyoko und Ariana Grande in Silhouette waren Beweis genug, dass Celeste Evas Hilfe nicht brauchte.

»Das war aber keine Arbeit«, raunzt Eva schroff, damit ihre Stimme nicht zittert. »Sie sind auf eine Party gegangen.«

Sie scrollt weiter durch den Artikel. Jedes Foto ist begleitet von einer neuen Info: wie viele Leute bei Celestes letztem Konzert waren, wann Ginas neue Netflix-Serie rauskommen soll, was die beiden anhaben. Ginas Haare sind länger als im Frühling, als sie ihre Serie gedreht und einen kurzen Afro getragen hat, und sie hat wohl eine neue Stylistin: Sie ist in helle, auffällige Farben gekleidet, die an den anderen drei weißen Ex-Bandmitgliedern nicht halb so gut aussehen würden.

Ehemalige Bandmitglieder. Das schreiben zumindest die Medien immer. Eva hat keine Ahnung, wie ihre Pressesprecherin sie alle dazu gebracht hat, zu kooperieren, aber irgendwie hat sie es geschafft. »Ehemalige«, das hat Eva auch immer in Interviews gesagt – zumindest, als sie noch Interviews gegeben hat. »Ex« klingt verbittert, und so durfte sie natürlich nicht rüberkommen.

Und Celeste?

Celeste ist ...

Na ja.

Auf dem einen Bild liegt ihre Hand auf Ginas Arm. Ihre Nägel sind frisch manikürt und silbrig lackiert (was nichts Neues ist), und sie hat blaue Strähnchen in den Haaren (die definitiv neu sind).

Umwerfend.

Das Wort bleibt Eva fast in der Kehle stecken.

»Lass dich davon nicht aus der Bahn werfen, okay?«, sagt ihre Mutter.

Die Hälfte ihrer Ex- (ehemaligen) Band ist gestern Abend auf die angesagteste Party der Stadt gegangen. Das letzte Mal, als sie zu viert auf einer Party waren, war nur Steph schon alt genug gewesen, um zu wählen.

Eva hat gar keine Wahl, sich davon aus der Bahn werfen zu lassen.

Ihre Mutter räuspert sich. »Hast du heute was vor?«

»Hausaufgaben.«

»Du hast im Moment nur einen Kurs, oder?«

Eva ist neunzehn Jahre alt, eine Songwriterin, deren Lieder es in die Charts geschafft haben, und ehemaliges Mitglied einer Band, die zwei Grammys gewonnen hat – und trotzdem fragt ihre Mom noch nach ihren Hausaufgaben. Eva wäre gerne davon genervt – von dem Getue und der Forderung, dass sie nicht mehr als dreißig Sekunden über die Menschen nachdenkt, die ihr Leben damals so hell erleuchtet haben –, aber irgendwie ist sie auch dankbar. Langsam entspannen sich ihre Schultern, und sie dreht das Tablet mit dem Bildschirm nach unten.

»Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn in zwei Jahren die Abschlussrede von irgendjemand total Abgedrehtem gehalten wird«, seufzt Eva.

Ihre Mom hat recht: Dieses Jahr hat sie nur einen Kurs, aber die nächsten zwei Jahre hat Eva vor, so viele Kurse wie möglich zu belegen, damit sie ihren Abschluss ein Semester eher machen kann.

»Du weißt doch, dass mir das egal ist«, erwidert ihre Mom.

»Und hey, dann siehst du mich endlich wieder auf der Bühne, wie findest du das?« Eva versucht, ganz unbefangen zu klingen. Nach jahrelanger Medienübung sollte ihr das eigentlich leichtfallen, aber selbst Ex- (ehemalige) Popstars können ihre Mütter nicht anlügen.

»Ich werde genauso stolz sein wie all die anderen Male«, sagt ihre Mom sanft.

Und das meint sie auch wirklich so. Eva ist sich noch nicht ganz sicher, ob sie selbst es genauso sieht. Meistens schon, glaubt sie zumindest. Aber heute ist die Ausnahme von all ihren neuen Regeln.

Sie legen auf und Eva analysiert kurz, ob es sich lohnt, sich vor dem Frühstück noch umzuziehen. Sie hat heute keine Uni und muss auch nicht ins Studio, also kann sie theoretisch den ganzen Tag im Schlafanzug verbringen. Meistens zieht sie sich aber trotzdem um. Die ersten paar Monate hat es sich befreiend angefühlt, sich ihre eigenen Klamotten auszusuchen. Das war eigentlich das einzig Gute an der Situation, und Eva klammerte sich wild entschlossen daran fest.

Sie hat immer noch jemanden fürs Styling, für alle Fälle – für die Interviews, die sie direkt nach der Trennung gegeben hat, und für diese schreckliche Preisverleihung, bei der sie als Einzige anwesend war, um den Grammy nicht entgegenzunehmen, den sie nicht gewonnen hatten –, aber meistens sucht sie ihre Outfits jetzt selbst aus. Allerdings lässt sie die meisten ihrer Kleidungsstücke noch maßschneidern. Der Unterschied ist wirklich spürbar.

Eva tapst im Schlafanzug die Treppe hinunter und öffnet im Vorbeigehen die Vorhänge, sodass die Morgensonne der Hollywood Hills hineinströmt. Sie lässt sich auf eins der Sofas fallen und beobachtet die Bilder, die an ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Dabei konzentriert sie sich auf jedes einzelne Element – Ginas goldene Ohrreifen, Celestes Wedge-Schuhe –‍, in der Hoffnung, dass das gesamte Bild dann vielleicht weniger wehtut.

Tut es nicht.

Wie können sie das nur ohne mich machen?, denkt Eva. Wie können sie nur irgendwas ohne mich machen?

Dass sie alle vier in verschiedene Himmelsrichtungen zerstreut sind, kann sie noch aushalten. Aber dass Gina und Celeste sie so außen vor lassen? Ganz ohne Warnung?

Schluss jetzt, ermahnt sie sich selbst. Das bringt sowieso nichts.

Aber sie lässt sich trotzdem fallen, lässt sich von dem Gefühl, das stärker als die Schwerkraft ist, hinunterziehen, begraben. Um sie herum scheint das Haus vor Leere zu pulsieren, ein stilles, vorwurfsvolles Echo.

Neunzehn ist eigentlich viel zu jung, um so ein großes Haus zu haben. Das geht nur in L.A., und sie konnte L.A. nach der Trennung einfach nicht verlassen. Sie wollte in den Staaten bleiben, in einer Stadt mit Musikindustrie, und Celeste hatte sich schon New York unter den Nagel gerissen. Wo sollte sie sonst hingehen, nach Nashville?

Also blieben Eva nur L.A. und ein Haus mit sechs Schlafzimmern.

Außerdem hatte sie auch bedenken müssen, wo sie studieren wollte. Sie ist die Einzige von ihnen, die wirklich zur Uni gegangen ist. Gina hat letzten Sommer einen Schauspiel-Intensivkurs oder so gemacht. Sie hat also eine Schauspielausbildung. Gina wird nicht nur für die Publicity gecastet, und Eva würde sich mit jedem anlegen, der das anders sieht.

Zumindest privat würde sie das. Anonym. Interviews dieser Art gibt Eva schon lange nicht mehr.

Aber einem Kinderstar bleiben nur wenige Unis, an denen man nicht direkt als Freak gebrandmarkt wird: Harvard, Brown, NYU, Stanford. Und UCLA.

Vor ihrem ersten Semester traf Eva sich mit einem Studienberater, der ganz überrascht war, dass sie als Nebenfach zu ihrem Literaturstudiengang nicht Musikindustriewissenschaft gewählt hatte (wer hätte gedacht, dass es so einen Studiengang gibt?).

Dank der Band hat Eva bereits drei Jahre Vollzeit in der Musikindustrie gearbeitet, und seit der Trennung sind es nun schon fast zwei Jahre in Teilzeit. Zum Glück zählt auf ihrer Seite der Branche Erfahrung genauso viel wie eine Ausbildung. Mit mehr als dreißig Liedern aus ihrer Feder als Songwriterin und vier Singles auf Platz eins hat Eva normalerweise keine Probleme, sich zu behaupten.

Sie quält sich vom Sofa und tapst in die Küche, wo sie auf den eingebauten Lautsprechern einen Song von Halsey anmacht und sich zum Frühstück einen Smoothie zubereitet. Heute ist so ein Morgen. Ein Morgen, an dem man eine Stimme wie Halseys braucht, weil man Fotos von seiner Ex sieht, wie sie am Arm einer anderen hängt.

Obwohl Eva natürlich weiß, dass zwischen Celeste und Gina nie etwas war.

Trotzdem.

Mai 2021

Celeste

»Celeste, es ist ja ganz schön viel passiert, seit du das letzte Mal hier warst. Landlocked ist letztes Jahr auf Platz zwei gelandet, und seit zwei Wochen steht Silhouette jetzt auf Platz eins – was für eine Leistung. Herzlichen Glückwunsch.«

»Danke, Jane. Ich bin so dankbar für all die treuen Fans, die mich seit Moonlight Overthrow begleiten, und die neuen Fans, die mit Landlocked dazugekommen sind, und die mir als Künstlerin das Vertrauen entgegengebracht haben, um diesen ersten Platz zu erreichen. Das fühlt sich echt unglaublich an, und ich bin unendlich dankbar.«

(The Just Late Enough Show Starring Jane Leigh)

INTERVIEWER: Also, Celeste, ich muss einfach nachfragen: Das Mädchen, um das es in diesem neuen Album geht – ist das dieselbe, über die du in Landlocked gesungen hast?

CR: Ich glaube, was man bei Musik und uns Künstlerinnen und Künstlern immer bedenken muss, ist, dass die Songs manchmal eben einfach Kunst sind. Oder Geschichten. Natürlich ist es mir wichtig, dass die Gefühle in meiner Musik echt sind, aber die Einzelheiten der Geschichte sind nicht immer wahr, oder manchmal schon, aber sie sind nicht mir passiert. Manchmal geht es gar nicht wirklich um ein Mädchen, sondern um ein Gefühl oder einen Ort. Manchmal bin ich auch das Mädchen. Aber eigentlich ist es auch ganz egal, an was oder wen ich gedacht habe, als ich den Song geschrieben habe. Wichtig ist, woran meine Fans denken, wenn sie den Song hören, um wen oder was es für sie in dem Song geht. Das ist die Magie von Musik.

(Transkript eines Interviews mit Rolling Stone)

»Celeste, danke, dass du dir heute Zeit für uns nimmst.«

»Klar, danke, dass ich hier sein darf.«

»Dein zweites Soloalbum ist gerade herausgekommen und ist jetzt schon ziemlich erfolgreich – herzlichen Glückwunsch dazu.«

»Danke.«

»Bist du guter Dinge, dass damit jetzt die Gerüchte einer Wiedervereinigung zerstreut sind?«

»Ich bin jedes Mal wieder überwältigt, wie viele Fans Moonlight Overthrow hat, die der Band immer noch treu sind. Ich hoffe, dass sie auch weiterhin die drei Alben lieben, die wir zusammen produziert haben – denn ich bin sehr stolz darauf, wie hart wir an ihnen gearbeitet haben –, und dass sie uns auch auf unseren jetzigen individuellen Wegen begleiten werden.«

(Interview mit Apple Music)

»Celeste, vor deinem ersten Album hast du kaum Fragen zu Moonlight Overthrow beantwortet. Hast du deine Einstellung nur geändert, um dein neues Album zu bewerben?«

»Celeste, arbeitest du wirklich an einem neuen Song mit Hailee Steinfeld?«

»Celeste, das Mädchen, um das es in deinem Album geht – hat sie die Songs gehört?«

»Celeste, um wen geht es in deinem Album?«

»Celeste!«

Juni 2021

Eva

Eva liest ein paar Texte für ihren Kurs und loggt sich dann bei Tumblr ein.

Vermutlich gibt es Fans, die in diesem Moment gerade dabei sind, sich Streits oder geheime Wiedervereinigungen auszudenken, aber davon bekommt sie nichts mit. Evas Tumblr ist sorgfältig kuratiert: kein Drama, kein Hate, OT4 bis der Mond ins Meer stürzt.

Anfangs, als sie noch ihre eigene PR gemacht haben, hatten sie alle geheime Tumblr-Accounts, und später auch noch, damit sie nachgucken konnten, was das Fandom trieb, ohne von ihren PR-Leuten zensiert zu werden. Aber Eva ist die Einzige, die ihren Account behalten hat.

Als sie sich einloggt, wartet eine Nachricht auf sie.

kaystar:Du hast die Bilder schon gesehen, oder? Unsere Girls😍so gorg

Eva antwortet ganz instinktiv.

celestial-vision:Brillant, wie immer😍

Bevor die Band sich trennte, rebloggte sie nie irgendetwas und postete schon gar nicht selbst oder redete mit irgendwem. Aber danach ...

Direkt nach der Trennung gab es einfach so viele Gif- und Fotosets und Edits und Danksagungen, so viel Liebe dafür, was sie all diesen unbekannten Menschen bedeutet haben, und sie konnte dem allen nicht einfach den Rücken kehren. Wenn sie schon ihre Band nicht behalten konnte, dann wollte sie sich wenigstens diese Liebe erhalten, wenn auch nur in Form eines Tumblr-Archivs. Irgendwann fing Eva dann an, kleine Korrekturen oder Anmerkungen zu fremden Posts hinzuzufügen, wenn jemand zum Beispiel den Namen von Ginas PA falsch geschrieben oder die Konditionen von Celestes Solo-Deal nicht verstanden hatte. Nur Business-Sachen. Nichts, was darauf hindeuten würde, dass sie ein Insider war, sondern Sachen, die jeder engagierte Fan selbst herausfinden und erklären könnte.

Dank dieser Nicht-Insider-Insider-Infos flogen Eva die Follower zu. Sie spricht selten mit einzelnen von ihnen – in DMs zu lügen geht ihr dann doch zu weit –, aber Kay stellte gute Fragen, nie anonym, und Eva gefielen ihre Tags.

kaystar:Glaubst du, Eva ist neidisch, dass sie sich ohne sie getroffen haben? Die Party war immerhin in LA

kaystar:(Ich weiß, dass du Eva eigentlich nicht folgst, aber tu mir dieses eine Mal den Gefallen?)

Auf Tumblr ist es manchmal schwer, die Balance zwischen Selbstverliebtheit und Ignoranz zu finden. Wenn Eva sich zu offensichtlich selbst ausschließen würde, würde es auffallen, und sie würde vermutlich in Verdacht geraten, kein echter OT4-Stan zu sein.

(Honey, denkt sie manchmal, wenn solche Themen aufkommen, ich glaube es nicht nur – ich weiß es.)

celestial-vision: Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass sie das Geburtstagskind kennt, warum sollte sie also zur Party kommen?

kaystar:Aber wenn man in LA wohnt und berühmt ist, muss man Leute doch gar nicht persönlich kennen, um zu ihrer Party zu gehen, oder? Es sah nicht wirklich nach einer Privatfeier aus. C hat ja auch noch nie mit ihm zusammengearbeitet.

celestial-vision:Stimmt. Aber C will ja auch immer noch in der Öffentlichkeit stehen.

Für den Großteil ihrer Jugend wurde Evas Körper ständig begutachtet und bewertet, aus jedem Winkel, in jeder Zeitzone, von Stylisten und Fotografinnen und so vielen Fans. Und auch von so vielen, die eben keine Fans waren. Jede der Pubertät geschuldete Veränderung wurde sofort genauestens unter die Lupe genommen. Es ist eine Erleichterung, nicht mehr auf öffentliche Partys gehen zu müssen – und eine richtige Wohltat, im Internet einen Raum zu haben, in dem sie nur an ihrem Profilbild zu erkennen ist: ein doppelter Regenbogen.

kaystar:Ooh, meinst du, Eva war da, und es gibt nur keine Fotos von ihr?? Weil sie keine Wiedervereinigungsgerüchte in die Welt setzen wollten?

kaystar:VIELLEICHT SIND SIE JA ALLE WIEDER BEFREUNDET. (Die drei zumindest.)

Eva spürt ein unangenehmes Ziehen im Magen, so wie immer, wenn Steph nicht zu ihnen »allen« hinzugezählt wird. Nach der Trennung wollte Steph es so, aber Eva tut es immer noch weh, Gina und Celeste täglich in Talkshows lachen zu hören und sie bei Galas mit neuen Kleidern und Haarschnitten zu sehen, während Steph im Jahr 2019 eingefroren ist.

celestial-vision:Wir hätten es vermutlich mitbekommen, wenn Eva da gewesen wäre

kaystar:Ja, du hast recht

kaystar:Vielleicht war sie gestern ja auch gar nicht in L.A. Kann ja sein, dass sie bei ihren Eltern war oder so. Sie hat schon seit fast einer Woche nichts Neues gepostet.

Klar, Eva hätte bei ihren Eltern sein können. Ihr Sommerkurs ist nur einmal die Woche, also hätte sie definitiv Zeit, ein paar Tage in Chicago zu verbringen. Sie möchte nicht, dass ihre Fans sich um sie sorgen. Oder ihre Eltern.

celestial-vision:Du weißt doch, dass ich ihnen nirgendwo folge

kaystar:Jaja, weiß ich. Du folgst stattdessen mir

celestial-vision: 😘

celestial-vision:Ob mit oder ohne Eva, sie sehen glücklich aus. Und sie sind zusammen. Das ist das Wichtigste

Um drei Uhr nachmittags zieht Eva sich Sportklamotten an und schreibt eine Nachricht an Lydia. (Heute ist also doch kein Schlafanzugtag. Irgendwo ist es bestimmt gerade acht Uhr morgens.)

EvaIch gehe gleich zum Jazz ... die Einladung steht noch

Lydialol du gibst auch nie aufGeh zu deiner Popstar-Tanzstunde

Ehemaliger Popstar, denkt Eva und antwortet mit einem Emoji, das die Zunge herausstreckt, gefolgt von einem, das die Augen verdreht.

Am Anfang steckte ein vielleicht hinter jedem Tanzschritt, den Eva vollführte, aber mittlerweile hat sie es aufgegeben, auf den Anruf zu warten. Das Tanzen ist jetzt ihre Sache, etwas aus ihrem alten Leben, das sie noch begleitet, aber das sie jetzt ganz für sich hat. In jedem anderen Teil ihres Lebens geht es noch so sehr um Worte – wenn sie Songs und Essays schreibt – dass es eine Erleichterung ist, sich einfach nur zu bewegen.

LydiaTreffen wir uns Dienstag oder Mittwoch?

EvaMittwoch hab ich keine Zeit, aber morgen auf jeden Fall!

LydiaIch schreib dir, wenn ich mit der Arbeit fertig bin

Als sie sich im Wintersemester kennenlernten, erzählte Lydia ihr, dass sie zwar schon im zweiten Jahr war, aber im Herbst eine Pause machen würde, um zu arbeiten. Eva hatte ihr damals angeboten, dass Lydia kostenlos bei ihr wohnen könnte, oder zumindest für eine sehr geringe Miete. Aus ihrer Sicht war es perfekt: Evas leere Schlafzimmer würden ohnehin nie von wiederkehrenden Bandmitgliedern eingenommen werden, und Lydia hatte Geldprobleme. Aber Lydias Antwort lautete immer wie der Song von Amy Winehouse: no, no, no.

Anfangs wollte Eva einen Einführungskurs in Astronomie oder Astrophysik belegen – irgendwas mit Weltraum –‍, aber sie hatte Angst, dass das an die Medien gelangen würde. Ihre Band hieß nun einmal Moonlight Overthrow, und irgendwer würde daraus schon eine Story machen. Es war sicherer, für die verpflichtende Wissenschaftskomponente einen Kurs in Umweltwissenschaften zu wählen. Ihre anfängliche Enttäuschung verflog schnell, denn wenn sie Astronomie belegt hätte, hätte sie Lydia nie kennengelernt. Lydia hatte dieselbe pragmatische und zielorientierte Einstellung, die der Band zum Erfolg verholfen hatte, und ihre Ziele deckten sich mit Evas: kein Drama, nur einen Abschluss. Die beiden machten sich regelmäßig über Paare bei House Hunters lustig und taten sich dabei an den Snacks gütlich, die Evas Koch vorbereitet hatte, und TMZ brachte keine Story über Evas Kursbelegung.

Am Tag ihrer Klausur erreichte eine Single, die Eva für ein aufsteigendes Popsternchen geschrieben hatte, Nummer eins; ihr erster Labortag fiel auf den Tag, an dem Gina die Dreharbeiten für ihre neue Netflix-Serie anfing; und Celeste war kurz davor, Silhouette herauszubringen. Und Steph ... Am Anfang herrschte einvernehmliches Schweigen zwischen Lydia und ihr; über Moonlight Overthrow, ihre ehemaligen Freunde und Evas Songwriting-Karriere. Aber gegen Ende des Semesters wurden diese Themen nicht mehr unbedingt verschwiegen, sondern sie waren ... irrelevant. Manchmal wurde Eva ein bisschen länger (oder auch viel länger) angeschaut, wenn sie zusammen ausgingen. Manchmal kam ein Song von Moonlight Overthrow im Radio, und manchmal einer von Celeste.

Aber was hatte das alles mit ihnen zu tun, mit dem morgendlichen Eisessen am Manhattan Beach, oder mit den Abenden, an denen sie zusammen über Evas Kursbelegung für das nächste Semester brüteten? In ihrer Freundschaft ging es nicht darum, den einen Teil von Evas Leben auszuklammern; es ging um den anderen Teil.

So läuft Evas Woche: am Montag Hausaufgaben und der Jazzkurs, am Dienstag Hausaufgaben und Lydia – bei Eva, weil Lydia kein Geld für eine eigene Wohnung hat und mit drei anderen Leuten zusammenwohnt. Am Mittwoch Hip-Hop, dann ihr eigentlicher Collegekurs, dann ein Meeting mit ihrem Steuerberater. Am Donnerstag zwingt Eva sich dazu, sich an ihr Klavier zu setzen (von Baldwin, Evas Weihnachtsgeschenk an sich selbst nach ihrer zweiten Tour), bis sie zum Aufwärmen zwei schlechte Songs geschrieben hat, und dann eine Hookline und eine erste Strophe, die vielleicht sogar Potenzial haben. Manchmal bleibt ihr eine Textzeile im Brustkorb stecken und vibriert dort auf genau der richtigen Frequenz, und dann weiß sie einfach, dass die Worte perfekt zu dem Song passen. Sie hat zwar keine Band mehr, und auch keine richtige Freundesgruppe, aber immerhin hat sie noch das hier.

Am Freitag hat sie Pilates, gefolgt von Ballett, gefolgt von einer weiteren Schicht am Klavier. In ein paar Wochen wird sie dann ins Studio gehen und zusammen mit einer Produzentin den Songtext überarbeiten und eine Demo für das Stück aufnehmen, das dann später im Radio gespielt wird. Vielleicht schafft sie es eines Tages sogar, die Songs zusammen mit den Menschen zu schreiben, die sie dann tatsächlich singen, so wie sie es mit den Co-Songwriterinnen und Songwritern bei MO gemacht hat, aber im Moment kann sie das noch nicht. Wenn sie ihre Texte wollen, dann bekommen sie nur die Texte.

Eva muss ihr Leben so planen, dass sie jeden Tag etwas Produktives tut, damit es sich so anfühlt, als würde sie arbeiten. Damit die leeren, bandlosen Tage sie nicht runterziehen. Als sie darüber nachdenkt, muss sie kurz lachen. Nach drei Jahren ständiger Übermüdung, langer Touren, nächtlicher Sessions im Studio und endloser Interviews weiß sie nicht, was sie jetzt mit der ganzen Freizeit anfangen soll?

Am Samstag ist sie zu einer Party eingeladen.

Eva entscheidet sich für ein kurzes blaues Kleid ohne Ärmel mit einem U-Boot-Ausschnitt, der hinten ihren Rücken freilässt. Sie findet, dass das Outfit auch einen leichten »Vermutlich-queer«-Vibe ausstrahlt, aber vielleicht bildet sie sich das auch nur ein. Nicht, dass Eva die subtilen Hinweise nötig hat: Ihr Coming-out hatte sie bei ihren Eltern, als sie zwölf war, und seit sie vierzehn ist, weiß es die ganze Welt.

Aber zum Glück ist nicht die ganze Welt auf diese Party eingeladen, sondern nur ein kleiner Teil der Entertainmentindustrie.

Olivia, die Gastgeberin, war Produzentin für das zweite und dritte Album der Band, und seitdem arbeitet Eva mit ihr zusammen. Wenn jemand einem zu drei Top-Ten-Singles und zwei erfolgreichen Alben in Folge verholfen hat, hört man nicht einfach auf, mit der Person zusammenzuarbeiten, wenn sie nicht gerade ein Arschloch ist oder man das Genre wechselt. Und Eva hat sich weit genug von der Industrie zurückgezogen, dass sie nicht mehr auf die Partys von Arschlöchern geht.

Sie macht ein Selfie für Instagram – ein Update für die sozialen Medien, check – und schnappt sich den Schlüssel. Lydia babysittet heute ihre Cousinen, ansonsten hätte Eva sie eingeladen. Aber Lydia hätte die Einladung vermutlich ausgeschlagen: Sie steht eher auf Pizza und Parks and Rec als auf Partys, für die sie sich in Schale werfen muss. Das kann Eva respektieren.

Als Eva ankommt, wird sie von Olivia mit einer Umarmung und einem Gin Tonic begrüßt.

»Deja und Sylvie sind auch hier!«, ruft Olivia. »Irgendwo findest du sie bestimmt – vielleicht hinten beim Pool?«

»Danke«, antwortet Eva etwas lauter, denn eine Gruppe Neuankömmlinge drängt sich gerade lautstark durch die Tür. Deja, Olivias Protegé in der Produzentinnenbranche, und Sylvie, eine Toningeneurin, kannten Eva noch nicht, als sie noch Teil von Moonlight Overthrow war. Es ist immer eine Erleichterung, mit Menschen zu sprechen, die sie nur als sie selbst kennen und sie nicht ständig wegen der Trennung bemitleiden.

Olivia schiebt Eva in Richtung Terrassentür, und Eva verschwindet nach draußen.

Es ist Ende Juni. Als Eva nach L.A. gezogen ist – als sie alle nach L.A. gezogen sind, kurz vor der Highschool, als alles angefangen hat – war sie überrascht davon, wie kalt es abends wurde. Ständig vergaß sie, sich einen Pulli mitzunehmen. Celeste überließ Eva nie ihren Pulli, aber sie zog sie an sich und schlang die Arme um sie. Sie kamen erst ein Jahr später zusammen, aber Eva war damals schon hoffnungslos verliebt. Jede Berührung war wie ein Funkensprung auf ihrer Haut.

Auf der anderen Seite des Pools entdeckt Eva Deja und Sylvie. Sie reden mit zwei anderen Menschen, die Eva im Schatten des Hauses nicht erkennen kann. Vermutlich kennt sie sie aber; die Musikindustrie ist vielleicht Big Business, aber besonders groß ist sie nicht.

Sie bahnt sich ihren Weg am Pool entlang und begrüßt ein paar Leute, die sie besser kennt. Als sie an einer Gruppe Menschen vorbeikommt, die alle rauchen, muss sie husten. Aus den Lautsprechern im Garten dröhnt ein Song, und jedes Mal, wenn jemand die Terrassentür öffnet, vermischt er sich mit einem anderen Song von drinnen. Eva hätte sich gerne in den sozialen Ozean der Party fallengelassen, aber – selbst eine Party, auf der einige Menschen sie kennen und lieben wäre einfacher, wenn sie eine echte Freundin dabeihätte.

Sie drückt ihr Glas an die Brust und hält einen Arm schützend darum, um den Inhalt nicht auf den Designerklamotten der immer betrunkener werdenden Gäste zu verschütten. (Mein Gott, es ist erst viertel nach elf. Reißt euch mal zusammen, Leute.) Endlich schafft sie es an der letzten Gruppe vorbei, die sie von Deja und Sylvie trennt. Sylvie hat sie noch nicht gesehen, aber sie macht einen kleinen Schritt zur Seite, und Eva sieht, wer neben ihr steht, und es ist ... da ist ...

Celeste.

Juni 2021

Eva

Der Gin Tonic gleitet Eva aus der Hand.

Shit.

Die Vorderseite ihres Kleides ist sofort durchnässt. Sie erwartet, dass das Glas spektakulär zu Bruch geht, neben ihrem Fuß zerspringt und Splitter auf dem Boden verteilt, aber es ist wohl so ein bruchsicheres. Klackernd schlägt es ein paarmal auf und rollt dann in den Pool, wo es einen herzzerreißenden Moment lang auf der Oberfläche treibt, bevor es ins Chlorwasser sinkt.

Der Nachtwind drückt Eva ihr nasses Kleid an die Haut und sie zittert.

Celeste starrt sie mit offenem Mund an, vielleicht von einem überraschten Keuchen, das im Partylärm untergegangen ist, oder vielleicht auch von einem angefangenen »Hallo«. Es sieht nicht so aus, als wäre irgendwer außerhalb ihrer kleinen Gruppe auf die Situation aufmerksam geworden; hier hinten liegt alles in Schatten und Rauch. Buchstäblich. Eva hätte am liebsten geschrien: Wisst ihr denn nicht, wie schlecht Rauchen für die Stimme ist?

Für ihre, obwohl die mittlerweile nicht mehr so wichtig ist.

Für Celestes, die sehr wohl wichtig ist. Das ist eine Stimme, die Millionen wert ist, und Evas Lungen füllen sich mit immer mehr Zigarettenrauch, und sie kann nur noch stumm starren.

Celeste.

Hier.

Oh mein Gott.

»Komm, ich bring dich rein«, sagt Deja in die fast eingefroren wirkende Szene hinein. »Na los, Olivia hat bestimmt ein Kleid, das du dir ausleihen kannst.«

»Ich glaube, ich gehe lieber nach Hause«, erwidert Eva, und die Worte klingen merkwürdig taub, automatisch, während in ihrem Kopf die totale Panik ausbricht.

Sie starrt immer noch Celeste an, von der bis jetzt noch kein Wort kam. Kein Wimpernzucken.

Celeste hat ein hellgrünes Kleid an, das sich an all die richtigen Stellen schmiegt – was heißen soll, an alle Stellen: ihre Brüste, ihre Hüften, ihren Hintern. Große Ohrringe, eine unauffällige Kette. Das Licht im Garten lässt sie so aussehen, als stünde sie auf der Bühne, nur ihr Make-up passt dafür nicht.

»Wir sollten es zumindest ein bisschen trockentupfen«, sagt Sylvie mit einem Blick auf den Fleck auf Evas Kleid.

Vor anderthalb Jahren wären sie dahin zurückgegangen, wo sie gerade die Nacht verbrachten – ein Hotel, wenn sie gerade auf Tour waren, was meistens war, und eine Wohnung, wenn sie keine Tour hatten, was fast nie war – und Celeste hätte sie aus dem nassen Kleid geschält. Ganz langsam. Hätte die Träger von ihren Schultern gestreift. Sich hinter sie gestellt und einen Finger über die kalten Stellen auf Evas Haut gleiten lassen.

Vermutlich ist eine Party, auf der sie unerwartet mit Celeste konfrontiert wurde und vor Schock ihren Drink hat fallen lassen, nicht der richtige Ort, um sich Fantasien von Celestes Hand, die über ihren Bauch und zwischen ihren Brüsten streichelt, hinzugeben. Nein, definitiv nicht.

»Gerry hat bestimmt ein Sweatshirt für dich im Auto«, sagt Celeste unvermittelt. Das ist das Erste, was sie seit der Trennung zu Eva gesagt hat. Seit den Trennungen.

»Gerry arbeitet jetzt für die Jenners«, antwortet Eva.

Sie fühlt sich, als schwebte sie neben ihrem Körper und beobachtete die Szene aus der Ferne. Aus ihrem Mund kommen Worte, ruhige Worte, aber innen drin? Innen drin dröhnt in ihrem Kopf immer noch ein ohrenbetäubendes Rauschen aus Überraschung und Neugier und unglaublich viel Schmerz, und gegen ihren Willen auch ein Fünkchen Hoffnung ...

»Oh«, macht Celeste.

»Ich bin selbst gefahren.«

Die Stille zwischen ihnen dehnt sich immer weiter aus und ist viel verletzender als alles, was Celeste sagen könnte, denn sie sagt aus, dass es gar nichts mehr zu sagen gibt.

Nach all dem – gar nichts?

»Komm, ich bring dich rein«, sagt Sylvie, genau wie vorher Deja. Sie legt Eva eine Hand auf den Arm, und plötzlich muss Eva an das Foto von Gina und Celeste denken, zusammen auf einer viel wilderen Party.

Sollte sie Celeste noch etwas sagen? Irgendwas Unverbindliches: Es war schön, dich zu sehen. Irgendwas Defensives: Niemand hat mir gesagt, dass du hier bist. Irgendwas Wütendes: Warum hast du mich verdammt nochmal nicht angerufen? Irgendwas Trauriges: Ich vermisse dich.

Ein perfekter vierstimmiger Akkord.

Sie lässt sich von Sylvie ins Haus führen.

Der Fleck ist schon halb getrocknet, aber Eva hält trotzdem still, als Sylvie mit einem Geschirrhandtuch daran herumtupft.

»Wie unangenehm«, sagt Sylvie immer wieder. »Ich hatte keine Ahnung, dass ihr beide hier seid. Ich dachte ...«

Alle, die sie wirklich kannten, hätten nur eine von ihnen eingeladen, nicht beide zusammen. Offensichtlich hat die Party letztes Wochenende dieses stillschweigende Gebot zunichtegemacht. Als ob Celestes und Ginas Treffen auf einer riesigen Geburtstagsfete dasselbe wäre wie die intime Feier, auf der Eva und Celeste sich gerade in die Arme gelaufen sind. Allerdings hat Olivia schon immer erwartet, dass andere ihr Ego hintenanstellen, wenn es um das große Ganze geht.

»Kein Problem«, bringt Eva heraus, obwohl es ganz offensichtlich doch ein Problem ist. Dafür ist ihr nasses Kleid der Beweis. Wenigstens ist es dann nicht mehr schlimm, wenn ihr auf dem Weg nach Hause ein paar Tränen auf den Schoß tropfen sollten.

In der Küche ist es voll. Alle versuchen, an Essen, Drinks oder andere Leute heranzukommen, und Eva ist nicht sicher, ob Sylvie sie überhaupt hören kann. Sie fügt hinzu: »Früher oder später wäre es eh passiert.«

Als Eva mit dem College anfing, und Celeste in New York ihre Alben produzierte und später auf Tour ging, war alles gut. Aber – sie blättert in ihrem mentalen Terminkalender – Celeste gibt Montagabend ein Konzert im Staples Center, und natürlich wollten Olivia und die anderen sie vorher sehen. Und natürlich wollte Celeste sie auch sehen. Warum hat Eva nicht daran gedacht?

Sylvie bringt Eva zur Haustür. »Sicher, dass du nach Hause fahren willst? Sicher, dass es dir gut geht?«

»Ja, ich muss auf jeden Fall nach Hause«, sagt Eva. »Dann gehts mir wieder gut. Ich meine, mir gehts gut. Ich kann nur nicht hierbleiben. Alles ist gut.«

»Du bist auch nicht zu betrunken zum Fahren?«, fragt Sylvie besorgt.

»Olivia hat mich direkt, nachdem ich angekommen bin, zu euch geschickt. Ich habe nur das getrunken, was nicht auf meinem Kleid gelandet ist«, sagt Eva. Mit einem schiefen Lächeln fügt sie hinzu: »Also nicht besonders viel, wie du siehst.«

Sylvie lacht. »Okay. Fahr vorsichtig.«

»Danke für deinen Beistand«, sagt Eva. In ihrem alten Leben hätte Celeste sie für die altmodische Sprechweise aufgezogen, die Eva immer herausrutscht, wenn sie sich unwohl fühlt. »Gute Nacht.«

Sie fährt nach Hause. Der Weg ist nicht besonders lang, aber doch lang genug, um über die Stille nachzudenken, und über all die Sachen, die sie fast zu Celeste gesagt hätte.

Juni 2021

Eva

Als Eva am Sonntag aufwacht, zeigt ihr Handy mehr neue Nachrichten an als gewöhnlich, aber sie interessiert sich nur für die aus dem seit Monaten brachliegenden Gruppenchat.

GinaDann bist du wohl als Nächstes dran, Steph.

Was?

Bevor sie sich einen Reim auf die Nachricht machen kann, kommt schon eine neue an.

CelesteEs tut mir echt leid, Eva

Celeste hat Gina wohl erzählt, dass sie sich gestern Abend in die Arme gelaufen sind.

EvaAlles gut, das Kleid wird es schon überleben.

Es ist nicht gut. Gar nichts ist gut. Celeste ist ihre Ex – ihre einzige wirkliche Ex, weil sie seitdem kaum über ein erstes Date hinausgekommen ist, geschweige denn eine echte Beziehung vorweisen kann – und Celeste ... entschuldigt sich, weil Eva gestern ihren Drink verschüttet hat. Obwohl Eva nicht einmal betrunken war. Obwohl Celeste sich nicht einmal für alles andere entschuldigt hat.

GinaDu hast das Kleid echt gerockt, Babe.

Eva presst den Handrücken an den Mund und kneift die Augen zu. Hat sie ihnen nicht vor anderthalb Jahren schon all ihre verdammten Tränen gegeben? Sie können doch jetzt nicht wiederkommen und noch mehr verlangen.

CelesteOh, ShitIch meine nicht das Kleid, aber das tut mir natürlich auch leidDu hast es wohl noch nicht gesehen ...

Evas Magen zieht sich zusammen. Gesehen? Was gibt es denn zu sehen?

Gründen Celeste und Gina ein Musikduo? Ist Celeste ... mit jemand anderem zusammen? Evas Gedanken rasen immer schneller, jeder schlimmer als der vorherige, jeder ein verzweifelter Versuch, sie auf die kommende Katastrophe vorzubereiten. Ist Celeste verlobt? Hat sie geheiratet? (Aber warum ging es dann um Steph? Und warum redet Gina über das blöde Kleid?)

CelesteIrgendjemand hat ein Foto auf Insta gepostetVon uns bei Olivia

Oh Shit stimmt also.

Eva lässt ihr Handy auf die Bettdecke fallen und greift hektisch nach ihrem Laptop. Wenn sie schon durch Tumblr, Twitter und ein halbes Dutzend schmieriger Promiseiten scrollen muss, will sie das wenigstens auf einem 15-Zoll-Bildschirm mit einer richtigen Tastatur tun.

Bevor sie sich die Artikel durchliest (nicht schwer zu finden, dafür hat Twitter gesorgt), sieht sie sich das Foto an. Es wurde wohl geschossen, nachdem Eva ihr Glas runtergefallen ist, denn es ist schon nicht mehr zu sehen. Selbst im schummrigen Licht kann man erkennen, dass auf Evas Kleid ein Fleck ist. Mit blassem Gesicht und weit aufgerissenen Augen starrt sie Celeste an, deren Gesichtsausdruck ähnlich aussieht. Sylvie und Deja stehen zögernd zwischen ihnen.

Was auch erklärt, warum die Schlagzeilen so aussehen: KEINE HOFFNUNG MEHR FÜR MOONLIGHT? STREIT ZWISCHEN EHEMALIGEN GIRLBAND-MITGLIEDERN AUF HOLLYWOOD-PARTY und CATFIGHT! CELESTE ROGERS WIRFT EINEN DRINK NACH EHEMALIGER BANDKOLLEGIN EVA BELL und WANKENDE WIEDERVEREINIGUNG: DOCH KEINE WIEDERVEREINIGUNG NACH NÄCHTLICHEM STREIT ZWISCHEN CELESTE ROGERS UND EVA BELL?

Es ist also ein ausgewachsener Shitstorm. (Echt jetzt, niemand hat irgendwas von einer Wiedervereinigung gesagt.)

Eva sollte wohl dankbar sein, dass sie und Celeste sich nie als Paar geoutet haben, sonst wäre vermutlich alles noch schlimmer. Natürlich waren sie alle trotzdem out, die beiden waren nur nicht offiziell zusammen. Sie haben es nicht unbedingt geheim gehalten, aber körperliche Zuneigung zwischen Mädchen wird sowieso immer als freundschaftlich abgestempelt – und das gilt ganz besonders für Girlbands. Sie waren auch vor der Band schon befreundet, also war es ganz natürlich, dass sie bei Preisverleihungen Händchen hielten und zusammen in den Urlaub fuhren. Und sie waren auch alle noch so jung ... Das war zumindest die Sichtweise, die ihre Publizistin der Presse verkaufte.

Hach, wie gut befreundet diese Mädels doch sind!

Eva hebt ihr Handy vom Bett auf und scrollt durch den Rest ihrer verpassten Nachrichten: von ihrer Managerin, ihrer Publizistin. Von ihrer Mom, ihrem Dad, Lydia. Olivia, Deja, Sylvie. Ein paar andere, die es gut meinen. Noch ein paar andere, die es nicht so gut meinen.

EvaIch bin ungeschickt af, sagt der Presse Bescheid

GinaWenn du nicht auf der Bühne stehst, meinst du.Ohne den Zusatz ist das viel zu offensichtlich, das glaubt niemand.

Ja, fick dich auch, Gina, denkt sie. Wessen Schuld ist es nochmal, dass ich nicht mehr auftrete?

CelesteOkay ... meine Publizistin ruft deine an und wir denken uns ein Statement aus?

EvaGenau. Auf die altmodische Art

Evas Finger fliegen förmlich über den Bildschirm. Ihre Wut fühlt sich kalt und bestimmt an, aber die Autokorrektur nimmt ihr den frostigen Unterton.

EvaHat Pip Isabelles Nummer noch?

Celeste

EvaNiemand ist sauer, wir sind alle schockiert, weil ich meinen Drink fallengelassen habe, wir wünschen uns alle gegenseitig Erfolg, keine Wiedervereinigung. So ungefähr?

Eva knirscht mit den Zähnen. Sie hasst es. Sie hasst es, dass sie gestern auf die bescheuerte Party gegangen ist. Sie hasst es, dass sie sich eine Geschichte für die Öffentlichkeit ausdenken müssen, nur, um nicht wochenlang nach dem Vorfall gefragt zu werden. Sie hasst es, dass ihr einmal, vor nicht allzu langer Zeit, allein der Gedanke an eine solche Situation unvorstellbar erschienen wäre.

GinaDa fehlt noch was, um dem Gerücht vorzubeugen, du seist Alkoholikerin geworden.Eigentlich bist du ja noch gar nicht alt genug, um zu trinken.

EvaIch habe vielleicht zwei Schlucke von dem bescheuerten Drink getrunken

GinaHey, ich glaub dir ja. Ich will nur helfen.

EvaWeiß ich. Ich ruf Isabelle an, Moment

Bevor sie Isabelles Kontakt raussuchen kann, kommt eine neue Nachricht an.

CelesteWarteOder wir machen es selbstZumindest fast selbst. Wir brauchen natürlich trotzdem ein Statement

Natürlich.

EvaHast du noch Kontrolle über deinen Twitter-Account?

Eva schon, aber sie geht ja auch aufs College, nicht auf Tour. Sie will nicht, dass ihre Kursräume so voll sind wie ihre Konzerte.

CelesteDarauf kannst du wetten

Die alte Celeste – Evas Celeste – hätte gesagt: Darauf kannst du deinen süßen Hintern verwetten. Und jetzt komm her, mein Engel.

Eva ruft Isabelle also nicht an.

EvaDie nimmt Pip dir morgen bestimmt ab ...

CelesteFolgst du mir zurück?

Und so schnell hat Eva zwei neue Benachrichtigungen: Celeste Rogers folgt ihr jetzt auf Twitter und Instagram.

Schon wieder.

Zwei Klicks, und schon folgt Eva ihr zurück.

Schon wieder.

@celesterogers:Notiz an mich selbst: Stell das nächste Mal, wenn du dein Girl @evabellofficial überraschen willst, vorher sicher, dass sie keinen Drink in der Hand hat #moonlitmistakes

Ich bin nicht dein Girl, denkt Eva. Zumindest nicht mehr. Celeste hat das damals sehr deutlich gemacht.

CelesteOk?

@evabellofficial@celesterogers lol wenigstens kriegt man den Fleck raus! In der Schule sind unsere Malarbeiten am Theaterset nicht immer so glimpflich ausgegangen.

Mit dieser Antwort wird Isabelle zufrieden sein, da ist sich Eva sicher: Sie ist unbeschwert und erinnert die Leute daran, dass die beiden schon befreundet waren, bevor die Band berühmt wurde, und es daher niemanden überraschen sollte, dass sie auch nach der Trennung noch befreundet sind. (Sollte es nicht. Tut es aber trotzdem. Eva zumindest.)

Celeste und Gina liken den Tweet; Gina folgt Eva, Eva folgt ihr zurück, und auf einmal bilden sie ein perfektes Dreieck. Nicht die balancierte Raute, die sie mit Steph gewesen wären, aber es ist immerhin etwas. Wenn Eva damals gewusst hätte, dass ein verschütteter Drink das erreichen konnte, hätte sie all ihre Kleider geopfert.

Aber es ist nicht damals, es ist jetzt, und ein so tiefes Loch soll einfach mit einem Unfall gestopft werden? Ihre Wut macht sich wieder bemerkbar. Sollte sie nicht mehr verlangen? Nach allem, was sie ihr angetan haben, verdient sie mehr als eine Freundschaftsanfrage auf Twitter. Eva ist dem Tsunami der Traurigkeit bis jetzt erfolgreich entflohen, aber offenbar braucht es nur diesen kleinen Schubser, bevor er sie erfasst.

Juni 2021

Celeste

»Hättet ihr nicht wenigstens so tun können, als wäre es Wasser gewesen?« Selbst im Videoanruf ist spürbar, wie verärgert Pip ist.

»Wir haben uns auf das Wichtigste konzentriert«, antwortet Celeste. Sie lehnt ihr Handy gegen den Badezimmerspiegel ihres Hotelzimmers und spritzt sich Wasser ins Gesicht. Normalerweise hätte Pip ihr wenigstens eine heiße Dusche nach ihrem Workout zugestanden, bevor sie anruft, aber PR-Krisen sind nun einmal dringender.

Pip seufzt. »Ich sag ja nur ... Wolltest du Eva nicht beschützen? Stattdessen hast du sie als alkoholkranken Teenager dastehen lassen.«

»Pip ...«

»Um wen geht es in deinem Album, Celeste? Geht es in Landlocked und Silhouette um dasselbe Mädchen? Hat sie die Lieder gehört? Was denkt sie von ihnen?«

»Danke, ich habs verstanden.« Celeste nimmt ihr Handy in die Hand und lässt sich im Wohnbereich der Executive Suite aufs Sofa sinken. »Aber das kann ihr doch alles nichts mehr anhaben. Sie geht jetzt aufs College, hast du das noch nicht gehört? Sie macht Gina ihren Platz als die Schlauste streitig.«

»Sie geht aber nicht ewig aufs College«, erwidert Pip.

Doch drei oder vier Jahre sind in der Musikindustrie eine Ewigkeit. Genug Zeit für den Aufstieg und den Höhepunkt, und sogar für den Fall. Genug, dass vier Teenager drei Alben und genauso viele Solotouren hinlegen können. Dass sie neben Interviews, Shows und Sessions im Studio noch ihre Hausaufgaben dazwischenschieben können. Nur Steph ist überhaupt zum Abschlussball gegangen, mit einem Jungen aus der Nachbarschaft, dessen Freundschaft auch der unerwartete Ruhm nichts anhaben konnte. Celeste war damals nicht eifersüchtig; sie hatte ja Eva.

»Wenn sie eine Solokarriere wollte, hätte sie die bereits«, schnappt Celeste. Sie nimmt tiefe Züge aus ihrer Wasserflasche, um Pips Blick zu entgehen.

Eva wollte keine Solokarriere.

Darum ging es ja gerade.

Das war ja gerade das verdammte Problem.

Juni 2021

Eva

Es ist nicht so wie in den ersten Wochen nach den Trennungen, als sie sich in einem Zimmer im Haus ihrer Eltern in Chicago verkroch, das zwar ihr gehörte, aber in dem sie sich nie lange genug aufgehalten hatte, um ihm wirklich diesen Jugendzimmer-Vibe zu verleihen, den man immer in Filmen sieht. Damals hätte sie am liebsten nie das Haus verlassen. Hätte am liebsten nie das Bett verlassen. Warum auch, wenn ihre drei besten Freunde nicht nur ihrer Band den Rücken gekehrt hatten, sondern überhaupt nicht mehr mit ihr redeten? Wer war Eva überhaupt ohne Moonlight Overthrow?

Um ehrlich zu sein, wollte sie auch gar nichts von Celeste hören, es sei denn, es handelte sich um eine ernst gemeinte, akustische Entschuldigung. Aber als Tag für Tag auch Gina und Steph nichts mehr von sich hören ließen, brach ihr Herz in immer kleinere Stücke. Als sie den ersten Vertrag unterschrieben, hatte Eva nicht wirklich auf die Klausel geachtet, in der es um Mitglieder ging, die die Band verlassen, aber jetzt kannte sie sie praktisch auswendig. Die anderen hatten sich dazu entschlossen, zu gehen, und alles, was ihr blieb, war der Beweis dafür, dass schon von Anfang an ein Fluchtweg in ihren Vertrag eingebaut war. Und Spotify, das ihr die klassischen, tieftraurigen Powerballaden von Adele und einer jungen Kelly Clarkson lieferte.

Eva ist zwar nicht nach Chicago abgehauen, und sie liegt auch nicht im Bett, aber es tut trotzdem weh, dass sich, seit die PR-Krise bewältigt ist, niemand bei ihr gemeldet hat. Die anderen haben also immer noch kein Problem damit, sie wie eine heiße Kartoffel fallenzulassen, wenn sie sie nicht mehr brauchen. Aber im Unterschied zum letzten Mal gibt es jetzt in ihrem Leben noch andere Leute. Und wenn sie eben gerade Lust dazu hat, im Wohnzimmer auf dem Boden zu liegen, während sie durch ihren Tumblr-Feed scrollt, dann ist das ihr gutes Recht.

kaystar:Wo steckst du, Lady?

Eva verzieht das Gesicht. Sie hatte es nicht beabsichtigt, Kay wortlos hängen zu lassen.

celestial-vision:Sorry, ich hab gerade Besuch von ein paar alten Schulfreunden und es gab natürlich mal wieder Drama

kaystar:::hugs::

kaystar:Eine Schulfreundin von mir bewirbt sich zum Wintersemester auf mein Masterprogramm, und wenn sie angenommen wird, teilen wir uns vermutlich ein Zimmer

kaystar:Aber ich weiß, dass nicht alle so gut mit den Leuten aus ihrer Schule klarkommen <3

celestial-vision: Das mit dem Zusammenwohnen haben wir auch schon ausprobiert ... Aber egal. Wie gehts dir?

Im Fandom wurde immer schon viel mit alliterativen Titeln gespielt – Monarchin der Mehrklänge, Marquess der Melodien, Baronin der Beats – aber bisher war niemandem aufgefallen, dass Eva die Zarin der Zerstreuung war. Wenn Kay das an Evas Fandom-Persona aufgefallen ist, stört es sie scheinbar nicht.

kaystar:QUEEN C @STAPLES HEUTE ABEND

kaystar:Ich kann immer noch nicht glauben, dass du nicht hingehst, wie konntest du uns das antun

kaystar:(Scherz, ich weiß ja, dass die Tickets superteuer waren)

kaystar:Zwei von meinen Mutuals machen auf jeden Fall Livestreams, falls du später die Links willst

Wenn Eva jetzt losführe, könnte sie es noch zum Staples Center schaffen, bevor die Vorband anfängt zu spielen. Isabelle könnte auf dem Weg einfach Pip anrufen, um alles zu arrangieren. Beim Gedanken daran zieht sich ihr Herz zusammen. Sie könnte einfach ins Auto steigen. Aber sie ist nicht blöd. Wenn sie zum Konzert ginge, wäre das nur eine weitere Gelegenheit für Celeste, auf ihrem Herz herumzutrampeln.

celestial-vision:Ich weiß noch nicht, ob ich Zeit habe, aber kannst du mir die Links trotzdem schicken?

Als Celeste zum ersten Mal auf Tour ging, wollte Eva eigentlich gar keine Konzertvideos anschauen. Das hatte sie zumindest ihren Eltern erzählt. Aber dann waren die Gifs einfach überall, ihr Dash war voll davon, und Videos gab es auch, und da war sie. Celeste, die die Bühne rockt. Allein.

Es ist einfacher, hinter dem Bildschirm ein Fan zu sein. Wenn sie selbst da wäre, könnte sie weder die Entfernung zur Bühne noch die Menschenmenge aushalten, die sie von Celeste trennt.

kaystar:np, ich teile doch immer gerne Videos von der großartigen Celeste ;)

kaystar:und wo wir gerade beim Thema sind ... du hast vermutlich das Foto von ihr und Eva gesehen?

Gesehen, selbst erlebt, und das Kleid zur Reinigung schicken lassen, denkt Eva.

celestial-vision:Ich hab versucht, es nicht zu beachten. Aber obwohl ich mit meinem Dash so vorsichtig bin ... ich hab nie alle trashigen Promiseiten auf meiner Blacklist.

kaystar: ja, die Leute taggen das einfach nicht richtig :/ für uns sind nur verlässliche Quellen und formelle Interviews gut genug!

kaystar:Aber im Ernst. Sie sehen einfach beide sooo schockiert aus. Das war definitiv nicht geplant, nicht so wie das mit Gina und Celeste

Eva zuckt zusammen. Wenigstens eine Person sieht die Wahrheit. Sie zögert kurz, während sie im Kopf eine Antwort formuliert.

celestial-vision:Da kann ich dir nur zustimmen

kaystar: Ich will ihnen einfach nur Tee machen und sie in eine kuschlige Decke wickeln und sie, keine Ahnung, mit einer ausgebildeten Therapeutin in einen Raum stecken, damit sie endlich mal über alles reden und dann wieder Besties sein können ... Es ist so deutlich zu erkennen, dass sie das beide wollen

Ist Eva so erbärmlich? So offensichtlich? Ihr geht es gut ohne Celeste. Sie will Celeste gar nicht zurück, wenn dann nur alles wieder kaputtgeht, was auf jeden Fall passieren würde. Und Celeste will auf keinen Fall wieder Besties sein.

Celeste hätte sie einfach mal anrufen können. Sie hätte ihr ein Ticket für das Konzert heute Abend schicken können.

Eva atmet tief durch, ein und aus, so, wie eine Therapeutin es ihr vermutlich geraten hätte, wenn sie je zu einer gegangen wäre. Wenn sie mit Kay chattet, ist sie nicht Eva Bell, ehemaliger Star und gegenwärtige Hit-Songwriterin. Sie ist celestial-vision, die jedem Drama meisterhaft aus dem Weg geht.

celestial-vision:Aber sie haben doch beide getweetet? Also waren/sind vermutlich ein paar Sachen hinter den Kulissen am Laufen, von denen wir nichts wissen

kaystar: Ja, stimmt schon. Vielleicht haben sie am Samstag geredet

kaystar: UND JETZT FOLGEN SIE SICH WIEDER ALLE GEGENSEITIG ::swoon:: Ich freu mich so für sie. Ganz offensichtlich hatten sie sich alle so lieb, und sie waren nach der Trennung alle traurig

Panik schnürt Eva die Kehle zu. Können sie sich nicht an ihre üblichen Themen halten, so wie Celestes Setlist? Kays Katzen, Marvin und Florence? Das eine Rezept für Bananenbrot, das Kay Eva vor ein paar Wochen geschickt hat, und ob sie vielleicht noch mehr solche einfachen Rezepte hat?

Obwohl Eva sich auch für sich und die anderen freut.

Vielleicht.

Obwohl es eigentlich nur eine Strategie war, um es nicht so aussehen zu lassen, als hätte Celeste einen Drink nach ihr geworfen, und keine wirkliche Versöhnung.

kaystar:Ich finde es natürlich MEGA, was sie alle allein machen, aber ich will einfach nur, dass sie glücklich sind, und ich glaube, das beinhaltet, dass sie befreundet sind

kaystar:Das hoffe ich zumindest

Dafür weiß Eva die richtige Antwort.

celestial-vision:OT4 bis der Mond ins Meer stürzt

Juni 2021

Celeste

Der Soundcheck war schon vor Stunden; Celeste überlässt die Vorband ihren Stimmübungen. Während die Make-up- und Haarabteilungen ihr Zauberwerk vollbringen, spielt sie nervös mit ihrem Handy herum.

Sie mag die blauen Strähnchen, die waren echt eine gute Entscheidung.