Unter dem Drachenmond - Lucy Monroe - E-Book

Unter dem Drachenmond E-Book

Lucy Monroe

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Beschreibung

Ihre Leidenschaft brennt heißer als Drachenfeuer - im vierten Teil von Lucy Monroes mitreißender Gestaltwandler-Serie

Die schottischen Highlands im 12. Jahrhundert. Als Kind musste Ciara mit ansehen, wie der Drachenwandler Eirik ihren Bruder tötete. Auch Jahre später leidet sie noch unter den Erinnerungen. Daher ist sie schockiert, als sie Eirik unerwartet erneut gegenübersteht. Noch viel überraschender ist allerdings, dass sie nicht nur Hass für den stolzen Krieger empfindet. Im Gegenteil: Zwischen ihnen lodert ein Verlangen auf, vor dem es kein Entkommen gibt ...

"Ein leidenschaftlicher und gefühlvoller Liebesroman ... fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite." PUBLISHER‘S WEEKLY.

In "Krieger des Mondes", dem nächsten Band der romantischen paranormalen Fantasy-Reihe, versuchen Shona und der Werwolf Caelis, die Schatten der Vergangenheit zu überwinden ...

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Glossar

Der Beginn

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

Epilog

Weitere Titel der Autorin

Children of the Moon – Kinder des Mondes:

Band 1: Lockruf des Mondes

Band 2: Im Bannkreis des Mondes

Band 3: Im Mond des Raben

Band 5: Krieger des Mondes

Über dieses Buch

Ihre Leidenschaft brennt heißer als Drachenfeuer – im vierten Teil von Lucy Monroes mitreißender Gestaltwandler-Serie

Die schottischen Highlands im 12. Jahrhundert. Als Kind musste Ciara mit ansehen, wie der Drachenwandler Eirik ihren Bruder tötete. Auch Jahre später leidet sie noch unter den Erinnerungen. Daher ist sie schockiert, als sie Eirik unerwartet erneut gegenübersteht. Noch viel überraschender ist allerdings, dass sie nicht nur Hass für den stolzen Krieger empfindet. Im Gegenteil: Zwischen ihnen lodert ein Verlangen auf, vor dem es kein Entkommen gibt …

Über die Autorin

Lucy Monroe lernte bereits mit vier Jahren lesen – und damit begann ihre Leidenschaft für Bücher. Mit den Jahren las sie sich durch alle Bücherregale, die ihr zur Verfügung standen. Dennoch machte es ihr selbst etwas Angst, als sie realisierte, dass sie sich nichts mehr wünschte, als Schriftstellerin zu werden. Aber nichts konnte sie davon abhalten, ihren Traum Realität werden zu lassen. Heute gehört Lucy Monroe zu den erfolgreichsten Autorinnen der romantischen Fantasy-Literatur. Sie lebt, liebt und arbeitet an der Pazifikküste Nordamerikas.

Bei beHEARTBEAT ist ihre paranormale Liebesromanreihe »Children of the Moon – Kinder des Mondes« als eBook für Kindle und alle anderen Lesegeräte verfügbar. Spannend, abenteuerlich und voller knisternder Momente erzählt sie darin romantische Geschichten der besonderen Art: Folgen Sie ihr ins mittelalterliche Schottland zu wilden Highlandern und Gestaltwandlern – in eine Welt der Werwölfe und Drachen, Liebe und Leidenschaft!

Auf Lucy Monroes englischsprachiger Homepage www.lucymonroe.com erhalten Sie weitere Informationen über die Autorin.

Lucy Monroe

UNTER DEMDRACHENMOND

Aus dem amerikanischen Englisch vonUlrike Moreno

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2012 by Lucy Monroe

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Dragon’s Moon«

Originalverlag: The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Group (USA) Inc.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2014/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dorothee Cabras

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Chris Harvey | johnbraid | ruzanna; © GettyImages: Kiuikson

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-7983-9

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für meine Mom, die mein größter Fan war,als sie noch lebte,und die mir mehr fehlt, als ich je in Worte fassen könnte,seit sie nicht mehr ist.Sie ist nach wie vor eine meiner größten Inspirationen.Ich liebe dich, Mom …aber das wusstest du und weißt es immer noch.

Glossar

bairn – Baby

ben – Hügel

Ben Bristecrann – Hügel des gebrochenen Baumes (ein geheiligter Ort für Ciaras Familie)

Cahir – Krieger, die die Fearghall bekämpfen

celi di – schottischer Highland-Priester, der ohne offizielle Bindung an die römisch-katholische Kirche den Katholizismus praktiziert (historisch korrekte Bezeichnung in Bezug auf Schottland und Irland)

Chrechten – Gestaltwandler, die ihre Seelen mit Wölfen, Vögeln oder Raubkatzen teilen

Clach Gealach Gra – Herz des Mondes (geheiligter Stein der Vogel-Gestaltwandler)

conriocht – Werwolf (Beschützer der Faol, verwandelt sich in ein riesiges Wesen, das halb Mensch, halb Wolf ist)

Éan – Gestaltwandler, die die Form von Vögeln (Raben, Falken, Adler) annehmen

Faol – Gestaltwandler, die die Form von Wölfen annehmen

faolán – kleiner Wolf (gälisches Kosewort)

Faolchú Chridhe – Herz des Wolfes (geheiligter Stein der Wolf-Gestaltwandler)

Fearghall – Geheimbund von Wölfen, deren Ziel die Ausrottung/Unterjochung anderer Chrechte-Rassen ist

Hüter des Steines – Chrechte, der oder die eine besondere Verbindung zu dem geheiligten Stein hat und dessen Potenzial voll ausschöpfen kann, um zu heilen, besondere Fähigkeiten zu verleihen und die Beschützer der Rassen (Werwolf, Drache und Greif) hervorzubringen

kelle – Kriegerpriesterin (wird in der keltischen Mythologie erwähnt)

Kyle Kirksonas – Tal und Fluss der Heilenden Kirche

Laird – Clan-Führer

mo gra – Liebste/Liebster, Geliebte/Geliebter

Paindeal – Katzen-Gestaltwandler (große Raubkatzen)

usquebagh – Wasser des Lebens (schottischer Whisky)

wahre Gefährten – Die Bindung zwischen wahren Gefährten ist eine geheiligte Bindung, die bis zum Tod anhält und es dem Chrechten (männlich oder weiblich) körperlich unmöglich macht, Geschlechtsverkehr mit jemand anderen als seinem Chrechte-Partner zu haben

Der Beginn

Vor Tausenden von Jahren erschuf Gott ein Volk, das so streitbar war, dass sogar seine Frauen im Kampf gefürchtet waren. Sie waren ein durch und durch kriegerisches Volk, das es ablehnte, sich irgendwelchen anderen Regeln als den eigenen zu unterwerfen … egal, wie groß die Armeen waren, die ausgesandt wurden, um sie zu bezwingen. Ihre Feinde sagten, sie kämpften wie Tiere; ihre geschlagenen Gegner sagten nichts mehr, denn sie waren tot.

Sie wurden als primitives, barbarisches Volk betrachtet, weil sie ihre Haut mit blauen Tätowierungen verunstalteten. Anfangs waren diese Zeichnungen noch schlicht und gaben die schmucklosen Umrisse eines einzelnen Tieres über ihren Herzen wieder. Die Anführer wurden mit Bändern um ihre Arme gekennzeichnet, die Symbole enthielten, die von ihrer Kraft und Tapferkeit im Kampfe kündeten. Paare erhielten Kennzeichen, die ihre Bindung deutlich machten.

Und trotzdem waren ihre Feinde nie imstande, die Bedeutung irgendwelcher dieser bläulichen Tätowierungen zu entschlüsseln.

Einige mutmaßten, dass sie Symbole ihrer kriegerischen Natur waren, womit sie teilweise auch recht hatten, denn die Tiere standen für einen Teil ihrer selbst, der von diesem wilden, freiheitsliebenden Volk unter Todesstrafe geheim gehalten wurde. Es war ein Geheimnis, das sie in den Jahrhunderten ihrer Existenz bewahrt hatten, während die meisten von ihnen quer durch Europa abgewandert waren, um sich im unwirtlichen Norden Schottlands anzusiedeln.

Ihre römischen Feinde nannten sie Pikten, und dieser Name wurde auch von anderen Völkern ihres Landes und der Länder weiter südlich übernommen, doch sie selbst bezeichneten sich als Chrechten.

Ihr tierähnliches Verhältnis zu Kampf und Eroberung rührte von einem Teil ihrer Natur her, der ihren rein menschlichen Gegenstücken nicht gefiel. Denn diese kämpferischen Geschöpfe waren Gestaltwandler.

Die bläulichen Tätowierungen auf ihrer Haut waren Kennzeichen, die im Verlauf eines Übergangsritus verliehen wurden, wenn sie ihre erste Verwandlung durchmachten. Einige Männer hatten die Kontrolle über diese Verwandlung; bei anderen war es der Vollmond, der ihre Veränderung bestimmte, bis sie an dem geheiligten Geschlechtsakt teilnahmen. Die Frauen aller Rassen erfuhren sowohl ihre erste Verwandlung in ihre Tiergestalt als auch die spätere Kontrolle darüber mit dem Einsetzen ihrer ersten Menstruation.

Einige verwandelten sich in Wölfe, andere in riesige Raubkatzen, und wieder andere in größere Vogelarten wie Adler, Falken und Raben.

Das eine, was alle Chrechten gemeinsam hatten, war, dass sie sich nicht so schnell oder zahlreich fortpflanzten wie ihre rein menschlichen Brüder und Schwestern. Obwohl sie eine Furcht erregende Spezies waren und ihre Schläue und Gerissenheit noch verstärkt wurde durch ein Verständnis der Natur, das die meisten Menschen nicht besaßen, waren sie jedoch nicht tollkühn und wurden auch nicht von ihrer tierischen Natur beherrscht.

Ein Krieger (egal, ob männlich oder weiblich) konnte hundert Feinde töten, doch falls er starb, ohne Nachwuchs gehabt zu haben, führte sein Tod zu einer unvermeidlichen Verringerung der Rasse. Einige piktische Clans und solche, die in anderen Teilen der Welt unter anderen Namen bekannt waren, hatten es schon vorgezogen auszusterben, statt sich den ihnen unterlegenen, aber weitaus zahlreicheren Menschen um sie herum zu unterwerfen.

Die Faol der schottischen Highlands waren zu klug, um lieber dem Untergang ihrer Rasse ins Auge zu blicken, als sich mit den Menschen zu vermischen. Diese Wolfs-Gestaltwandler sahen einen Weg in die Zukunft. Im neunten Jahrhundert nach Christus bestieg Keneth MacAlpin den schottischen Thron. Obwohl er von Faol-Chrechtischer Herkunft seitens seiner Mutter war, hatte MacAlpins menschliche Natur sich durchgesetzt.

Er war nicht »verwandlungsfähig«, was ihn jedoch nicht davon abhielt, Anspruch auf den piktischen Thron zu erheben, wie er zu jener Zeit genannt wurde. Um sein Königtum zu sichern, verriet er bei einem Abendessen seine chrechtischen Brüder, indem er alle noch verbliebenen Mitglieder der königlichen Familie ermordete – und damit bei den Chrechten ein für immer tief verwurzeltes Misstrauen rein menschlichen Geschöpfen gegenüber hervorrief.

Trotz dieses Misstrauens, aber auch im bitteren Bewusstsein der Konsequenzen von MacAlpins Verrat, erkannten die Faol oder Wölfe unter den Chrechten, dass ihnen im Kampf gegen die ständig wachsende und immer weiter vordringende menschliche Rasse nur eine Möglichkeit blieb, wenn sie nicht aussterben wollten: Sie mussten sich den keltischen Clans anschließen.

Und das machten sie.

Soweit dem Rest der Welt bekannt war – und obwohl zahlreiche Beweise für ihre frühere Existenz vorhanden waren –, gab es das einst als Pikten bekannte Volk nicht mehr.

Da es nicht ihrer Natur entsprach, von anderen als ihren eigenen Leuten regiert zu werden, wurden die keltischen Clans, die die Chrechten aufgenommen hatten, innerhalb von zwei Generationen von verwandlungsfähigen Herrschern angeführt. Und obwohl die meisten der rein menschlichen unter ihnen nichts davon wussten, wurden einigen wenigen die Geheimnisse ihrer Verwandten anvertraut. Diejenigen, die über diese Geheimnisse im Bilde waren, wussten, dass es den sicheren und sofortigen Tod bedeutete, den Schweigekodex nicht einzuhalten.

Geschichten von anderen Gestaltwandler-Rassen, den Éan und den Paindeal, wurden am Lagerfeuer oder den Kindern als Gutenachtgeschichten erzählt. Da die Wölfe jedoch seit Generationen keine Gestaltwandler mehr außer ihren eigenen gesehen hatten, begannen sie, die anderen Rassen für nichts anderes als einen Mythos zu halten.

Doch Mythen schwangen sich nicht mit schwarzen, schimmernden Flügeln in die Lüfte auf. Mythen lebten nicht als Gespenster im Wald und atmeten Luft genau wie alle anderen Menschen und Tiere. Die Éan waren kein Mythos; sie waren Raben und Adler mit Fähigkeiten, die über die des bloßen Gestaltwandelns hinausgingen.

Und sie trauten den Faol der Chrechten noch weniger, als die Wölfe den Menschen trauten. Doch genau wie für die Faol vor ihnen war nun auch für die Éan die Zeit gekommen zu lernen, mit ihrem Misstrauen umzugehen und sich den menschlichen Clans anzuschließen.

Ihre Zukunft als Spezies hing davon ab.

Prolog

Heute habe ich den Drachen gesehen.

– Konfuzius

Auf den Ländereien der Donegals in den schottischen Highlands, 1142, während der Regentschaft des schottischen Königs Dabíd mac Maíl Choluim

Ich habe schon wieder von dem heiligen Stein der Wölfe geträumt.« Um dieses bisschen Information an ihren Bruder weiterzugeben, hatte Ciara gewartet, bis ihre Mutter ihren Haferbrei gegessen hatte und in ihr winziges Schlafzimmer zurückgekehrt war, wo sie wieder einmal an die Wand starren würde, als enthielte sie den Sinn des Lebens.

Sein Kopf fuhr hoch, und Galen hielt im Schärfen seines Breitschwertes inne. Wolfsaugen vom gleichen intensiven Grün wie Ciaras richteten sich auf sie und forderten sie stumm auf fortzufahren.

Früher war es ein Spiel gewesen. Oder zumindest war Ciara überzeugt gewesen, dass es das war. Früher. Vor Vaters Tod und Mutters Verfall.

Inzwischen wusste Ciara jedoch, dass ihr Bruder, aus welchem Grund auch immer, ihre Träume für die Rettung ihres Volkes hielt.

Galen sagte, die alten Geschichten wären wahr: Die Wölfe hätten tatsächlich einst einen magischen Stein besessen, der bei der Volljährigkeitszeremonie benutzt wurde, um sie stärker zu machen. Und um einige sogar zu conriocht oder Werwölfen werden zu lassen – also nicht nur zu jemandem, der sich in einen Wolf verwandeln konnte, als wäre diese Gabe ihres Volkes nicht schon erstaunlich genug! Nein, die alten Geschichten behaupteten, dass einige sich mithilfe des heiligen Steins in conriocht verwandelten – halb Mensch, halb Wolf, und größer als beide. In Hünen, die im Kampf nicht besiegt werden konnten, nicht einmal von anderen Wölfen.

Und schon gar nicht von den Éan.

Ciara wusste nicht, ob sie das glaubte. Und wenn ja, musste sie sich fragen, ob sie beim Zustandekommen einer solchen Kreatur behilflich sein wollte. Doch Ciara liebte ihren Bruder, und den Tag damit zu verbringen, aufgrund von Hinweisen aus ihrem Traum nach diesem Stein zu suchen, war noch ein Vergnügen.

Trotz Galens Veränderung in diesen letzten beiden Jahren.

»Der Faolchú Chridhe.« Ehrfurcht schwang in seiner Stimme mit, wenn er den uralten Namen des Steines flüsterte, den ihr Volk ihm in Erzählungen verliehen hatte, die noch älter waren als die Geschichte der Wölfe mit den Clans.

Das Herz des Wolfes … Wie hatten sie es als Volk verlieren können, falls es wirklich existierte?

»Wovon hast du geträumt?«, fragte er sehr nachdrücklich und mit einem fanatischen Glühen in den grünen Augen.

Eine ihr unverständliche Furcht ließ sie erschaudern, als sie das Frühstücksgeschirr abräumte. Denn eines, was sie nie bezweifelte, war, dass ihr Bruder sie liebte.

»Der Traum war wie die anderen.« Ciara brachte die Worte kaum über ihre plötzlich trockenen Lippen. Auch ihre Kehle war wie zugeschnürt von dieser merkwürdigen Angst. »Ich habe einen Stein gesehen, der ein Smaragd gewesen sein könnte, wenn er nicht so groß gewesen wäre wie eine Männerfaust.« Denn einen Smaragd von dieser Größe gab es wahrscheinlich nirgendwo auf dieser Welt. »Er lag auf einem Altar aus dunklem Stein, in einer Höhle, die von einem schwachen grünen Licht erglühte, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte.«

»Dieses Glühen, das ist neu.«

Das war es nicht, aber Ciara hatte es bisher für zu bizarr gehalten, um es zu erwähnen. Erst Galens immer heftigeres Drängen nach mehr und mehr Informationen hatte sie dazu bewegt, es ihm nun doch zu erzählen.

»Wo war die Höhle?« Das wollte er jedes Mal wissen, als würde ihr die Erkenntnis kommen, wenn er nur beharrlich genug war.

Das geschah jedoch nie, obwohl sie sich bemühte, ihm alles Hilfreiche zu sagen, woran sie sich erinnern konnte. »Es fühlte sich so an, als befände ich mich tief unter der Erde.«

»Es fühlte sich so an?«, fragte er mit einem Zweifel, der sie ärgerte, auch wenn sie es nicht sagte.

»Ja.«

»Konntest du den Eingang zu der Höhle sehen?«

»Nein, ich hatte das Gefühl, als wäre er hinter mir, aber in meinem Traum konnte ich mich nicht von dem Faolchú Chridhe abwenden.«

»Es gibt also keinen Beweis dafür, dass du tief unter der Erde warst?«

»Nein«, musste sie zugeben.

»Die Höhle liegt wohl eher in den Bergen. Vögel würden unseren Stein nicht tief in der Erde vergraben. Das widerspricht ihrer Natur.«

Galens Überzeugung, die Éan hätten den Faolchú Chridhe gestohlen, war im vorletzten Winter nach Vaters Tod entstanden, als ihr Bruder begonnen hatte, mehr Zeit mit Wirp zu verbringen. Auch ihr Vater hatte nie ein gutes Haar an den anderen Chrechten gelassen, die den alten Erzählungen zufolge früher einmal existiert hatten.

Aber Wirp war noch schlimmer; er hatte so getan, als wären die Faol besser als alle anderen Spezies, und männliche Wölfe die Überlegensten von allen. Der alte Mann war Ciara derart unsympathisch gewesen, dass niemand froher gewesen war als sie, als Wirp bei Barr, ihrem neuen Laird, in Ungnade gefallen war. Allerdings hütete sie sich davor, das ihrem Bruder gegenüber zuzugeben.

»Es fühlte sich aber wie tief unter der Erde an«, beharrte sie.

»Ich sagte dir doch schon, dass der Tummelplatz der Éan nicht unter der Erdoberfläche ist.«

»Und wenn es nicht die Vogel-Gestaltwandler waren, die den Stein der Wölfe gestohlen haben?«

»Sie waren es.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein, obwohl du nicht mehr als die Geschichten eines alten Mannes zum Beweis dafür hast?«

»Ich habe diese Geschichten und deine Träume.«

»Aus meinen Träumen geht nur hervor, dass der Faolchú Chridhe existiert, aber nicht, dass irgendjemand ihn gestohlen hat. Außerdem könnten diese Träume auch nichts weiter als nächtliche Fantasien sein.«

»Nein. Sie sind Prophezeiungen, die wir berücksichtigen müssen.«

Warum dann nicht auch berücksichtigen, dass sich die Höhle unter der Erde befand? Ciara sprach diesen Gedanken jedoch nicht laut aus, weil sie nicht mit ihrem Bruder streiten wollte. So verzichtete Galen vielleicht darauf, sich auf die Suche nach dem Stein zu machen. Sie sah ihn ohnehin schon selten genug; da wollte sie diesen Tag nicht auch noch opfern.

Galen wollte tatsächlich nach dem Stein suchen, doch er bestand darauf, noch einen weiteren Krieger mitzunehmen, mit der Begründung, drei Wölfe würden mehr wahrnehmen als nur zwei.

Ciara war da anderer Meinung. Dieser Krieger war ihr nicht sympathischer, als Wirp es ihr gewesen war. Schlimmer noch – sie machte sich große Sorgen, dass ihr Bruder die Absicht hatte, sie mit Luag zu verheiraten.

Ihre Menstruation hatte schon eingesetzt, obwohl sie erst zwölf Jahre alt war. Galen würde mindestens noch zwei Jahre warten, bevor er sie zur Heirat drängte, doch dann gab es kein Entrinnen mehr. Die Angst, die ihr dieser Gedanke einflößte, verursachte ihr Übelkeit, auch wenn sie sich bemühte, ihre Abneigung gegen Luag zu verbergen.

Aber das würde nicht viel nützen. Er war jetzt bei ihnen und würde auch nirgendwohin gehen, bis sie entweder der Suche müde wurden oder wie durch ein Wunder den Faolchú Chridhe noch heute fanden.

Sie hatten mittlerweile schon stundenlang gesucht und befanden sich tief im Wald, als Luag plötzlich witternd den Kopf hob. »Ich rieche Raben.«

Ciara konnte den offenkundigen Abscheu in seiner Stimme nicht verstehen. Sie wusste, dass der Heiler ihres Clans sowohl ein Rabe als auch ein Wolf war, obwohl Ciara das noch nie jemandem erzählt hatte. Mit Ausnahme ihres Bruders vertraute sie anderen nur selten an, was ihre Träume ihr verrieten. Und auch Galen erzählte sie nie von Träumen, die etwas mit den Éan zu tun hatten.

»Lasst uns auf die Jagd gehen!«, schlug Luag mit einem Grinsen vor, das mehr ein Zähnefletschen war als alles andere.

Galen schüttelte den Kopf. »Wir haben hier Wichtigeres zu tun.«

»Es ist alles Teil desselben Ziels«, widersprach Luag.

»Ich jage nicht, wenn Ciara bei uns ist.«

Wollte ihr Bruder damit sagen, dass er Raben jagen würde, wenn sie nicht bei ihnen wäre? Ciara konnte nicht glauben, dass seine hartnäckigen Vorurteile so tief gingen. Und wie wollten sie es überhaupt anstellen, Jagd auf einen Vogel zu machen? Wollten sie sich aus Zweigen Flügel bauen und dem Raben damit hinterherfliegen? Sie hatten keine Bögen mitgebracht, und ihre Wolfsgestalt würde bei der Verfolgung ja wohl kaum sehr hilfreich sein.

Sie schüttelte den Kopf. Manchmal verstand sie Krieger einfach nicht. Schließlich war es eine allgemein bekannte Tatsache, dass die Beute eines Wolfes Tiere waren, die auf der Erde lebten, aber keine Vögel.

»Ist sie denn so schwach?«, fragte Luag abfällig.

Normalerweise hätte Ciara heftig dagegen protestiert, als schwach bezeichnet zu werden, bei Luag jedoch war das etwas anderes: Ihr war jede Gelegenheit recht, in seinen Augen als hilflos und unfähig dazustehen.

»Meine Schwester ist nicht schwach, sondern nur zu jung.«

»Sie ist zwölf Jahre alt.«

»Und damit immer noch ein kleines Mädchen.«

»An der Schwelle zur Frau.«

Einen beängstigenden Moment lang dachte Ciara, sie stritten womöglich über mehr als nur die Frage, ob die Wölfe in ihrer Anwesenheit jagen sollten. Und das Wortgefecht erregte Übelkeit in ihr. Ciara hatte Gerüchte gehört, dass englische Aristokraten ihre Kinder schon so jung vermählten, doch in den Highlands kam das eigentlich nicht vor.

Nicht einmal, wenn sie die Tochter eines Lairds gewesen wäre. Und das war sie nicht. Galen würde sie frühestens in zwei Jahren verheiraten, und falls er sich an die üblichen Traditionen hielt, würde sie bei ihrer Vermählung sogar noch älter sein.

Es war ja auch nicht so, als hätte sie schon eine große Aussteuer zusammengetragen. Ciara hatte kaum mit dem Besticken der Wäsche für ihr eigenes Heim begonnen.

»Nein.« Galens Ton besagte, dass er sich nicht umstimmen lassen würde, obwohl er der jüngere der beiden Männer war. Nein, ganz gleich, worum es bei ihrem Disput ging, Galen würde ganz bestimmt nicht nachgeben.

Erleichterung durchflutete Ciara, und sie holte tief Luft, um ihre brennenden Lungen mit Sauerstoff zu füllen.

Luag sah alles andere als erfreut aus. »Sie kann ja hierbleiben.«

»Das ist zu gefährlich.«

»Wir befinden uns in unseren eigenen Jagdgründen«, beharrte Luag.

Was nicht ganz richtig war, weil sie mindestens zwei Wegstunden nördlich des Territoriums ihres Rudels waren. Und das besagte auch Galens Blick, mit dem er den anderen Wolf bedachte.

»Sie kann in der Höhle warten«, schlug Luag vor, als machte er ein großes Zugeständnis.

Ciara erwartete erneuten Protest von Galen, doch diesmal nickte er, und ihr Herz verkrampfte sich. »Ja, das wäre eine Möglichkeit.«

Diesmal öffnete sie den Mund, um zu widersprechen, doch ein einziger Blick von Galen verriet ihr, dass es sinnlos wäre. Mit dem schmerzlichen Gefühl, verraten worden zu sein, wandte sie sich grußlos ab und ging zurück zu der Höhle, die sie gerade erst erforscht hatten. Sie hatten dort keine geheimen Gänge gefunden, aber reichlich Zeit damit verbracht, danach zu suchen, und daher wusste Ciara, dass die Höhle nicht von anderen Raub- oder Beutetieren bewohnt war.

Galen folgte ihr. »Bleib hier, bis wir zurückkehren! Wir befinden uns nämlich nicht in unseren eigenen Jagdgründen.«

Statt einer Antwort schnaubte sie nur geringschätzig; schließlich wusste sie das ebenso gut wie er selbst. Nicht sie, sondern sein Freund war dumm genug gewesen, das Gegenteil zu behaupten.

Galen seufzte. »Ich will nicht, dass dir etwas zustößt, Ciara.«

»Ich komme schon zurecht.«

»Aye. Ich weiß.«

Vor einem Jahr hätte sie das Gleiche sagen können, doch Galen hätte ihr nicht geglaubt. Dann hatte ihre Menstruation eingesetzt, und ihre erste Verwandlung hatte stattgefunden. Deshalb vertraute Galen heute mehr auf ihre Fähigkeit, sich selbst schützen zu können.

Ciara liebte ihren Wolf und normalerweise auch die Jagd mit ihrem Bruder, nur sah sie keinen Sinn darin, in Wolfsgestalt auf Vögel Jagd zu machen. Außerdem wollte sie auf gar keinen Fall mit Luag jagen, weil sie ihm durchaus zutraute, dass er dabei versuchen könnte, sich mit ihr in Wolfsgestalt zu paaren.

Was allerdings nicht bedeutete, dass sie den beiden männlichen Wölfen nicht folgen würde, wenn sie aufbrachen. Ciara war sehr neugierig, und seit dem Tod ihres Vaters war Galen so überfürsorglich geworden, dass sie es geradezu als erdrückend empfand.

Ciara legte ihr Plaid und das Hemd ab, das sie darunter trug, und verwandelte sich, sowie ihre Kleidung sie nicht mehr behinderte.

Bemüht, ihren eigenen Duft zu überdecken, hob sie witternd ihre Wolfsnase. Vom stets hilfreichen Wind geleitet, setzte Ciara den anderen beiden Wölfen nach, die zumindest vernünftig genug waren, ihre fliegende Beute in menschlicher Gestalt zu jagen. Wie sie das allerdings ohne Pfeil und Bogen anstellen wollten, war Ciara ein Rätsel.

Sie war ihnen bereits etwa eine Viertelstunde gefolgt, als sie Luags erhobene Stimme und sein rohes Gelächter hörte.

Aber warum sollten sie sich über ihre Beute lustig machen? Das sah Chrechten so gar nicht ähnlich. Alles Leben war kostbar, selbst das, das sie nehmen mussten, um sich zu ernähren und überleben zu können.

Ciara spähte durch das Blattwerk, das sie verbarg, und blinzelte angesichts des Anblicks, der sich ihr bot. Ihr Bruder und Galen standen zwei kleinen Jungen gegenüber, die mit Lederschurzen statt mit Plaids bekleidet waren.

Sie hatten doch nicht auf diese Kinder Jagd gemacht! Luag hatte gesagt, er könne Raben riechen. Vögel. Aber doch keine Vogel-Gestaltwandler! Nein, das war zu niederträchtig, um es auch nur in Betracht zu ziehen. Chrechten jagten ihresgleichen nicht.

Das gab es einfach nicht.

Doch der Geruch von Raben hing deutlich spürbar in der Luft, und Ciaras scharfe Wolfsaugen konnten nirgendwo auch nur einen dieser Vögel sehen.

Schmerz krampfte ihr wie eine eiserne Faust das Herz zusammen, als ihr Verstand sich gegen den Beweis sträubte, den ihre Sinne ihr vermittelten. Ihr Bruder konnte nicht an einer solchen Abscheulichkeit beteiligt sein!

Chrechtische Kinder als Jagdbeute!

»Und wo ist euer Beschützer?«, höhnte Luag laut und mit abscheulicher Häme in der Stimme. »Ist er zur Memme geworden und davongelaufen?«

»Unser Prinz fürchtet niemanden«, gab der ältere Junge kühn zurück.

Aber der jüngere sah sehr verängstigt aus.

Ciara kannte diesen Gesichtsausdruck. Sie hatte oft genug selbst so ausgesehen, wenn sie sich mal wieder mit ihrer Neugierde in Schwierigkeiten gebracht hatte, statt sich an die Regeln ihrer Eltern und die des Clans zu halten.

»Sie haben keinen Beschützer bei sich«, sagte Galen und bewies damit, dass er diese Jungen ebenso leicht durchschaute, wie er auch Ciara stets durchschaut hatte.

»Ist das wahr? Seid ihr zwei Bengel euren Beschützern davongelaufen?«

»Wir wollten jagen«, behauptete der jüngere der beiden mit zitternder Stimme.

Ciara erwartete von ihrem Bruder, dass er den Kindern anbieten würde, sie heimzubringen. Zumindest hoffte sie es. Weil das der Bruder wäre, den sie kannte und liebte.

Stattdessen jedoch lachte Luag wieder, und diesmal war der rohe, grausame Unterton in seiner Stimme sogar noch stärker ausgeprägt. »Umso leichter wird es sein, die Welt von zwei weiteren nutzlosen Vögeln zu befreien.«

Nein. Das meinte er nicht so.

Er konnte es nicht so meinen.

Obwohl all die scharfen Sinne ihres Wolfs es ihr bewiesen, weigerte Ciara sich, zu glauben, dass diese Jungen Luags und Galens Beute waren.

Doch ihr Entsetzen wuchs nur noch, als die Stimme ihres Bruders zu ihr herüberdrang. »Wir sind Chrechte-Krieger, wir töten keine Kinder.«

Wollte er damit etwa sagen, dass er diese Raben-Gestaltwandler bedenkenlos getötet hätte, wenn sie Erwachsene gewesen wären? Seine Feststellung bewies auf jeden Fall, dass er gewusst hatte, dass sie Gestaltwandler und nicht nur ganz normale Vögel jagten. Bitte, bitte … bitte nicht! Ihr Bruder war doch nicht böse.

»Diese Ausgeburten des Teufels sind keine Kinder.«

Sehr ursprüngliche, tierische Instinkte kochten in Ciara hoch. Sie hatte so etwas noch nie erlebt, aber der plötzliche Impuls, Luag die Kehle durchzubeißen, war so stark, dass ihre Muskeln sich zum Sprung anspannten.

Kinder mussten beschützt werden. Immer und unter allen Umständen. Vor allem Chrechte-Kinder benötigten ihren Schutz! Ihre Spezies vermehrte sich nicht leicht. Ihre eigenen Eltern waren als vom Schicksal sehr begünstigt betrachtet worden, weil es ihnen gelungen war, zwei Faol-Nachkommen über das Kindesalter hinauszubringen.

»Wir sind keine Brut des Teufels«, sagte der ältere Junge trotzig, obwohl sein kleiner Körper vor Angst zitterte.

Luag holte mit der Faust aus, und Ciaras Hinterbeine krümmten sich zum Sprung.

Ein einziger Faustschlag eines Kriegers konnte ein Kind töten.

Bevor sie jedoch aus ihrem Versteck herausspringen konnte, ertönte über ihnen ein gewaltiges Brüllen, so laut und zornig, dass sogar Luag erstarrte. Zutiefst erschrocken und ungläubig starrte er zum Himmel empor.

Als auch Ciara aufblickte, verstand sie seine Reaktion und wollte ihren Augen nicht trauen. Doch dies war keine Fantasie. Über den klaren blauen Himmel flog ein großer, scharlachroter Drache, dessen Schuppen so dunkel waren, dass sie schon fast schwarz erschienen, und dessen wütendes Brüllen die Baumwipfel erschütterte.

Die Jungen wirkten jedoch gar nicht verängstigt, und Ciara wusste plötzlich, dass dieses … mythische Wesen aus uralten Zeiten ihr oberster Beschützer war. Vielleicht sogar der Prinz, von dem der ältere Junge gesprochen hatte.

Der Drachenkopf wandte sich ihrem Bruder und Luag zu, und bernsteinfarbene Augen richteten sich böse funkelnd auf die Männer, die die jungen Gestaltwandler bedroht hatten. Luag schleuderte seinen Dolch nach dem jüngsten Kind. Wahrscheinlich hoffte er, den Drachen dadurch abzulenken, um fliehen zu können, der Feigling!

Die Klinge verfehlte den Körper des Jungen, schnitt ihm im Vorbeifliegen jedoch den Arm auf. Das Kind fiel auf den Rücken und schrie auf, als es sah, wie Blut aus der Schnittwunde hervorquoll.

Wieder brüllte der Drache, und dann riss er sein großes Maul noch weiter auf und spie orangefarbene Flammen aus, die alles in ihrem Weg vernichteten.

Ciara, die vor Schreck wie erstarrt war, konnte nur hilflos dastehen und zusehen, wie ihr Bruder starb. Sein grauenhafter Aufschrei würde sie noch in ihren schlimmsten Albträumen verfolgen. Luag war schon losgerannt, aber vergeblich. Der Drache beherrschte die Luft und flatterte dem Kinderpeiniger hinterher. Ein weiterer Flammenstoß ging zur Erde nieder. Luags Schreie waren sogar noch furchtbarer als Galens, als er und die Bäume, zwischen denen er sich hatte verstecken wollen, zu Schutt und Asche zerfielen.

Es war ein Wunder, dass nicht der ganze Wald in Flammen aufging, aber es war offensichtlich, dass der Drache seine Feuerstöße auch nur mit größter Sorgfalt ausspie.

Schließlich wandte er sich ab und kam zurückgeflogen, um neben den Jungen zu landen, die schnell und furchtlos auf seinen Rücken kletterten. Kurz darauf waren sie alle drei verschwunden, und der Himmel war wieder so klar und frei, als hätte es dort nie ein solches Fabelwesen gegeben.

Das Einzige, was zurückblieb, war Galens Asche sowie die seines Freundes und einiger Bäume. Und Ciaras Herz. Sie hatte tatenlos danebengestanden, als Galen einen grauenvollen Tod gestorben war. Sie hatte nichts für ihn tun können, genauso wenig wie für die Éan-Jungen.

Nicht, dass die Kleinen ihre Hilfe gebraucht hätten. Das Wissen, dass sie andernfalls wahrscheinlich mit ihrem Bruder gestorben wäre, konnte Ciaras Schmerz nicht lindern.

Luags Asche ließ sie für die wilden Tiere zurück. Sollte sie sich doch mit deren Hinterlassenschaften vermischen – er verdiente es nicht anders. Doch die Asche ihres Bruders schaufelte Ciara mit bloßen Händen in den Lederbeutel, den sie mit ihren Sachen aus der Höhle geholt hatte. Ihre Tränen vermischten sich mit Knochenstückchen und Asche, als sie die kostbaren Überreste einsammelte.

Sie würde die Asche ihres Bruders vom Gipfel des Ben Bristecrann im Wind verstreuen, so wie sie es auch mit der ihres Vaters getan hatten.

Ohne Zeit mit Trauern zu vergeuden, lief sie den restlichen Tag und die ganze nächste Nacht hindurch, um zu diesem Berg zu gelangen. Er hatte seinen Namen von einem vom Blitz gespaltenen Baum, der wie durch ein Wunder noch immer auf dem Gipfel wuchs. Ihr Vater hatte behauptet, es sei ein heiliger Ort.

Da seine Asche mit der Erde dort vermischt ist, ist er wohl tatsächlich irgendwie heilig, dachte Ciara. Mit gebrochener Stimme sprach sie die rituellen Worte für einen chrechtischen Verstorbenen, während der Wind auffing, was von ihrem Bruder geblieben war, und es mitnahm, um ihn mit ihrem Vater zu vereinen.

Es war schon später Vormittag, als sie endlich ihr Elternhaus erreichte und ihre Mutter von Galens Tod unterrichten konnte.

Von dem Drachen erzählte Ciara niemandem. Sie sagte nur, Luag hätte ihren Bruder in Gefahr gebracht und sie hätte die beiden tot im Wald gefunden. Ihrem Clan gegenüber behauptete sie, selbst die Scheiterhaufen für die beiden toten Männer aufgebaut und angezündet zu haben, und niemand zweifelte an ihren Worten.

Sie war immerhin die Tochter ihres Vaters, und er war als einer der eigenwilligsten Männer in den Highlands bekannt gewesen. Luag hatte keine Angehörigen, die sich über ihre Handlungen beklagen oder Zweifel daran hegen könnten, dass sie seine Asche ebenso verstreut hatte wie die ihres Bruders.

Und Ciara behielt die Wahrheit für sich, weil ihr Herz, das vor Wut und Schmerz noch immer brannte, ihr sagte, Luag verdiene seine letzte Ruhestätte.

Ihre Mutter ließ keine Reaktion auf die traurige Nachricht erkennen, ja, sie schien nicht einmal zu begreifen, was Ciaras Worte bedeuteten, als sie von ihrem Verlust erfuhr.

Ciara erkannte jedoch, wie sehr sie sich geirrt hatte, als sie ihre Mutter am nächsten Morgen tot in ihrem Bett vorfand. Es war durchtränkt von dem Blut aus den tiefen Schnitten an ihren Handgelenken.

1. Kapitel

König ist, wer nichts fürchtet; König ist,wer nichts begehrt!

– Lucius Annaeus Seneca

Das Reich der Éan in den schottischen Highlands, 1149

Bist du sicher, dass es der richtige Weg ist, den du gehst?« Bei der Frage seiner Großmutter wandte sich Prinz Eirik Taran Gealach von seiner Betrachtung des Waldes unter ihnen ab. Eines Tages in nicht allzu weiter Zukunft würde diese Aussicht nur noch eine Erinnerung für ihn sein. Er würde jedoch nicht die Folgen einer Entscheidung bedauern, die er zum Wohle der Éan getroffen hatte.

Er war ihr Prinz und hatte nur seine Pflicht getan.

Mit einer angedeuteten Verbeugung begrüßte er die Raben-Gestaltwandlerin, deren Haar trotz ihres hohen Alters noch immer mehr schwarz als silbern war. »Anya-Gra.«

Sie mochte seine Großmutter sein, aber sie war auch nach wie vor das spirituelle Oberhaupt und älteste Mitglied des Dreierrats der Éan.

»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du unserem Volk zuliebe zu viel aufgibst, Eirik.« Aufgewühlte braune Augen in einem von Sorge geprägten Gesicht erwiderten seinen Blick.

Doch dies war nicht der richtige Moment, die Entscheidung infrage zu stellen, die er getroffen hatte und die von den drei Mitgliedern des Triumvirats (einschließlich seiner Großmutter) gebilligt worden war. Sie hatten gewusst, dass dieser Tag kommen würde, seit er die Zeremonie verweigert hatte, die ihn zum König seines Volkes und Herrscher über seine Territorien machen würde.

Hätte er diese Rolle angenommen, wäre es den Éan schier unmöglich gewesen, sich auf ehrenhafte Weise den Clans anzuschließen, solange Eirik lebte. Damals hatte seine Großmutter davor gewarnt, die Zukunft ihres Volkes durch eine Krönung zu gefährden, obwohl sie darauf bestanden hatte, dass er den Namen seines Vaters annahm, wie es der Brauch verlangte.

Anya-Gra hatte selbst erklärt, dass das Wohl ihres Volkes Opfer erforderte. Eirik hatte ihr zugestimmt und dieses Opfer gebracht, wodurch er der erste Prinz seines Volkes war, der sich niemals König nennen würde. Doch nun sträubte Anya-Gra sich dagegen, dass er ein weiteres Opfer brachte, von dem doch beide wussten, dass es nötig war.

»Du warst auch der Meinung, dass die Éan sich den Clans anschließen müssen, um zu überleben. Als anfangs davon gesprochen wurde, war es sogar deine Idee.«

»Aye, aber dafür soll unser Volk auf deine Führung verzichten?« Die alte Frau schüttelte den Kopf.

»Ich trete nicht die Führerschaft über die Éan ab, sondern gebe nur die alltägliche Führung eines Clans auf. Das ist der einzige Weg. Ich werde doch nicht einen Clan-Chef töten, nur damit ich den politischen Führer spielen kann!«

»Warum nicht? Du bist ein Drache«, warf Eiriks jüngerer Cousin ein, als er zu ihnen auf die Plattform hinaustrat, die über zweihundert Jahre das Zuhause der Familie der Éan gewesen war.

Ein Zuhause zwischen den Bäumen, das nur im Flug erreichbar war; keiner der Menschen, die unter ihnen lebten, hatte je einen Blick hinter die Mauern dieser luftigen Behausung geworfen. Und in weniger als zwei Mond-Phasen würde auch er, Eirik, es nicht mehr tun.

»Und wen sollte ich deiner Meinung nach im Kampf um seine Stellung töten, Fidaich?«, fragte Eirik seinen Lieblingscousin. »Diejenigen, die in diesen letzten sieben Jahren an der Seite unseres Volkes kämpften, uns beschützten und uns halfen, einen Weg aus diesem geheimen Leben im Wald herauszufinden? Den Sinclair? Buchanan? Den Donegal vielleicht? Ich müsste meinen eigenen Schwager töten, um die Führung dieses Clans zu übernehmen, ganz abgesehen von einem der unseren.«

Denn Crispin, der sich unter Barr, dem Clan-Chef der Donegals, noch in der Ausbildung zum Laird befand, würde Eirik zweifelsohne zum Duell fordern, falls dieser das Undenkbare tat und den amtierenden Laird und Ehemann von Sabrine, Eiriks einziger Schwester, tötete. Ha! Wahrscheinlich würde Sabrine ihm selbst den Garaus machen, bevor Crispin auch nur Gelegenheit dazu bekam, ihn zum Duell zu fordern.

Dieser Gedanke zauberte fast ein Lächeln auf Eiriks Gesicht.

Fidaich zuckte mit den Schultern und zeigte damit eine blutrünstige Seite, die man unter den Raben nur selten sah. »Es gibt andere Clans in den Highlands.«

»Aber keinen, der die Sicherheit unseres Volkes durch das Wort seines Oberhauptes und Rudelführers garantiert.« Und das war ihm bei dem Sinclair sicher.

Genau wie diejenigen der Éan, die den Clans des Balmoral und des Donegal beigetreten waren, darauf vertrauen konnten, bei ihnen gut aufgehoben und beschützt zu sein.

»Mit einem Drachen als unserem Prinzen brauchen wir keine Zusagen anderer Clan-Führer.« Fidaich straffte sich in dem Bemühen, älter auszusehen als seine dreizehn Jahre.

Eines Tages würde der Junge ein großer Krieger sein, doch heute war noch zu viel von dem Kind in ihm, das in den Händen zweier sadistischer Wölfe beinahe gestorben wäre. Fidaich hatte mehr Gründe als die meisten Éan, den Wölfen nicht zu trauen oder sich nicht darum zu scheren, ob einer sterben müsste, damit Eirik seinen Platz als Oberhaupt des Clans einnehmen konnte.

Was allerdings nicht bedeutete, dass Eirik die Einstellung seines jungen Cousins teilte. Er hatte die Wölfe, die Fidaich und Canaul bedroht hatten, getötet, aber in einem Moment des Schocks und des Entsetzens, der ihm für immer im Gedächtnis eingebrannt sein würde.

»Ich kann nicht überall sein, und das weißt du nur zu gut. Wenn wir nicht die Loyalität eines Clans besitzen, tauschen wir nur einen Jagdgrund, wo Raben die Beute sind, gegen einen anderen aus.«

»In den alten Zeiten …«

»Was du von den alten Zeiten weißt, beruht auf den Geschichten, mit denen man Kinder unterhält. Diese alten Zeiten waren keineswegs so ruhm- und siegreich, wie die Geschichtenerzähler euch glauben machen wollen«, wies Anya-Gra den Jungen sanft zurecht.

Fidaich zog einen Flunsch, was erneut bewies, dass er erst noch zum Manne werden musste. »Diese Geschichten sind unsere Vergangenheit.«

»Aye.« Die Augen der Großmutter waren von Trauer überschattet. »Ein Teil davon. Der Rest unserer Geschichte wird nicht so oft erzählt.«

Doch sie wurde erzählt, und daher war Fidaich gut informiert über die unglücklichen Erfahrungen der chrechtischen Vergangenheit.

»Die alte Lebensweise dezimierte fast alle Volksstämme der Chrechten.« Eirik legte eine Hand auf die Schulter seines Cousins. »Ist es das, was du willst?«

Fidaich fiel in sich zusammen wie eine Schweinsblase mit einem kleinen Leck. »Nein.«

»Und er wird auch sicher nicht mitansehen wollen, wie unser Volk alles verliert, was es ausmacht und was ihm heilig ist.« Anya-Gras Ton war freundlich, aber nicht ganz ohne Tadel.

Wie konnte sie denken, dass Eirik, der letzte wahre Prinz ihres Volkes, so etwas gestatten würde? »Das wird nicht geschehen.«

Die Éan waren eine uralte Rasse, die sich allein schon von ihrer Natur her immer von den menschlichen Clans und den Faol, die derzeit unter ihnen lebten, unterscheiden würde. Und obwohl Eirik nicht ihr Clan-Führer sein konnte, war er immer noch der Prinz ihres Volkes.

Seine neuen Pflichten entbanden ihn von der Führung eines Clans, doch trotz allem blieben ihm Verantwortungen überlassen, die ohne jeden Zweifel genauso wichtig oder sogar noch bedeutsamer waren als die, die er im Augenblick noch trug.

Als seine Großmutter keine Antwort gab, erinnerte Eirik sie daran, dass sowohl sie als auch er Mitglieder des neuen Rates der Chrechten waren.

Jedes der Highland-Rudel, die innerhalb der Clans lebten, hatte Mitglieder in diesem Rat. Ein Gestaltwandler aus jeder Gruppe der Éan, die sich den verschiedenen Clans anschlossen, war ebenfalls in diesen Rat berufen worden. Anya-Gra behielt ihre Stellung als spirituelle Führerin, unabhängig davon, bei welchem Clan sie sich zu leben entschied.

Im Augenblick war dieser Clan der Donegal’sche, da sie in der Nähe von Eiriks Schwester Sabrine und deren Sohn, Anya-Gras einzigem Urenkelkind bislang, leben wollte.

Sowohl die Faol als auch die Éan sollten im Rat vertreten sein und die Möglichkeit erhalten, ihren Beitrag zur Auslegung und Durchsetzung der alten Gesetze zu leisten, denen die Chrechten unterlagen.

Eirik konnte sich nicht sicher sein, auf diese Weise zu verhindern, dass die Vergangenheit sich wiederholte, aber er glaubte immerhin daran. Andernfalls hätte er nicht den Bedingungen für die Aufnahme der Éan in den einzelnen Clans zugestimmt.

Er war ihr Prinz und würde seine Leute mit seinem Leben und notfalls auch mit dem Drachen, der in ihm lebte, beschützen.

Wieder erinnerte er seine Großmutter: »Es wurde vereinbart, dass ich das letzte Wort in Angelegenheiten der Éan habe … selbst für die, die bei anderen Clans leben.«

Die Lösung war nicht perfekt und hing zudem auch von der Redlichkeit und Mitwirkung der Faol’schen Lairds ab, doch Eirik würde Barr, Talorc oder Lachlan sein eigenes Leben anvertrauen. Das Leben seiner Untertanen in ihre Hände zu legen fiel ihm sehr viel schwerer, aber er würde es tun.

Zum Wohle der Éan und ihres langfristigen Überlebens.

»Wenn der Rat so gut ist, warum sind dann keine Mitglieder der Flachland-Clans dabei?«, wollte der junge Fidaich wissen.

Anya-Gra lachte leise. »Ach, Kind … wir sind Chrechten. Selbst die Raben sind zu streitlustig, um voll und ganz vereint zu sein.«

Das stimmte. Einige der Éan hatten ihren Prinzen und die Empfehlung des Triumvirats, sich mit den Highland-Clans zusammenzutun, abgelehnt. Eine Hand voll Raben, ein paar Adler und einige wenige der Menschen, die bei den Éan lebten, hatten sich dafür entschieden, im Wald zu bleiben. Sie würden weiterhin so leben, wie die Éan es in den vergangenen zwei Jahrhunderten getan hatten, gejagt wie Beute und gezwungen, schon ihre bloße Existenz geheim zu halten.

»Du solltest hierbleiben und die Éan führen, die sich nicht den Clans anschließen wollen«, sagte Fidaich und bewies damit, dass er ähnlich wie Eirik dachte, ja, wenn nicht sogar zu den gleichen Schlussfolgerungen wie er kam.

»Nein. Wenn sie mir nicht zu den Clans folgen wollen, werden sie auch im Wald nicht länger meiner Führung folgen.« Mit ihrem Entschluss zu bleiben hatten diese Raben ihn schon faktisch als ihr Oberhaupt abgelehnt, noch bevor er die Führerschaft einem Clan-Laird übergeben hatte.

Fidaich runzelte die Stirn. »Aber du hast ihnen die Wahl gelassen, selbst als das Triumvirat dir davon abriet, es zu tun.«

Eirik warf Anya-Gra einen strafenden Blick zu. Da Fidaich eigentlich nichts von dieser Debatte des Triumvirats wissen sollte, konnte Fidaich nur aus einer einzigen Quelle davon erfahren haben.

»Das Triumvirat hat nicht immer recht.« Die beiden anderen Mitglieder, abgesehen von seiner Großmutter, hatten gewollt, dass Eirik seinen Drachen einsetzte, um die Faol zu unterwerfen und wie in früheren Zeiten die Herrschaft über alle Chrechten zu übernehmen. Aber er war kein MacAlpin und hatte ihnen das auch gesagt. »Was die Éan angeht, die weiterhin im Wald leben wollen: Wenn sie meiner Führung vertrauen würden, hätten sie sich nicht dafür entschieden, dort zu bleiben.«

Anya-Gra schüttelte den Kopf und seufzte. »So einfach ist das nicht, mein Junge. Und das weißt du auch. Einige wollen das zivilisiertere Leben unter Menschen einfach nicht.«

»Aber sie riskieren, gejagt und zu Tode gehetzt zu werden, wenn sie bleiben.« Und das war auch ihr sehr wohl bewusst.

Selbst wenn die kleinere Gruppe eine bessere Chance hatte, unbemerkt von jenen Faol zu leben, die noch immer darauf versessen waren, Eiriks Rasse auszulöschen.

Die Augen seiner Großmutter nahmen den glasigen Blick an, der verriet, dass sie Dinge sah, die anderen verborgen blieben. »Für einige ist die Freiheit zu leben, wie sie immer gelebt haben, diese Gefahr wert.«

»Ich dachte, du unterstützt den Anschluss an die Clans.« Auch wenn sie es missbilligte, dass er vorhatte, auf die Herrschaftsgewalt in seinem angenommenen Clan zu verzichten.

»Das tue ich auch.« Wieder überschattete die alte Trauer ihr Gesicht. »Aber ich verstehe unsere Leute, die diese Veränderung nicht wollen. Es gibt immer noch Faol, die in den Höhlen des Waldes leben, Eirik.«

Er hatte dieses Gerücht gehört, doch nie daran geglaubt. »Wir sehen sie aber nicht.«

»Weil sie uns nicht jagen wie einige dieser fehlgeleiteten Wölfe innerhalb der Clans. Außerdem beanspruchen sie Berglandschaften als ihr Territorium, die ziemlich weit entfernt von unseren eigenen Wäldern sind.«

Eirik fragte gar nicht erst, woher ihr Wissen über diese wilden Faol-Rudel stammte. Seine Großmutter wusste vieles, was sie eigentlich unmöglich wissen konnte. Beispielsweise hatte sie stets behauptet, es sei nur eine kleine Splittergruppe der Faol, die in diesen modernen Clan-Mitglieder-Zeiten noch Jagd auf die Éan machte. Der Rest der Éan hatte angenommen, es seien alle Wölfe. Aber Anya-Gras Urteil hatte sich als richtig erwiesen.

Fidaich schnaubte verächtlich. »Vielleicht sollte ich bei den Éan hier im Wald bleiben.«

Eiriks Drache gab ein Geräusch von sich, das tief aus seiner Brust kam wie ein Knurren und sich mit dem eines jeden Wolfes messen konnte. »Du vertraust mir also auch nicht?«

Er machte sich nicht die Mühe, seinen jungen Cousin darauf hinzuweisen, dass seine Eltern bereits unterwegs zur Sinclair-Festung waren. Und Eirik erwähnte auch nicht, dass Fidaichs bester Freund und Komplize bei all dem Unfug, den die beiden Jungen so gern trieben, ebenfalls zur Burg mitkam. Denn all das spielte keine Rolle.

Sie waren Cousins, aber Eirik war der Prinz. Entweder vertrauten seine Éan’schen Brüder seinen Entscheidungen … oder sie ließen es.

Einschließlich seiner Familie.

Fidaich erschrak. »Natürlich vertraue ich dir.«

»Dann wirst du mit mir zu den Sinclairs kommen.«

»Du solltest uns wenigstens nicht zwingen, bei dem Clan zu leben, der versucht hat, mich zu töten.«

Ah, der dramatische Hang eines Jungen an der Schwelle der Männlichkeit! »Das war nicht der ganze Clan.« Nur zwei Wölfe mit sadistischem Herzen und ohne Chrechte-Ehre.

Jener Tag war das erste Mal gewesen, dass Eiriks Drache jemanden getötet hatte. Die beiden Jungen waren vermisst worden, und er hatte sich dem Suchtrupp angeschlossen und sie mit seinen viel schärferen Drachensinnen am schnellsten gefunden.

Und zwar gerade noch rechtzeitig. Sein hervorragendes Gehör hatte die Drohungen gegen Fidaich und Canaul und die Ernsthaftigkeit dahinter mitbekommen. Zweifellos hatte der ältere Wolf tatsächlich vorgehabt, die Kinder umzubringen. Eirik hatte voller Abscheu und in blindem Zorn reagiert. Ohne Bedenken oder Zögern hatte sein Drache die beiden Faol-Chrechten in Flammen aufgehen lassen, bis nichts als Asche von ihnen geblieben war.

Ihre Schreie verfolgten ihn jedoch, wie kein Gespenst es sich jemals erhoffen konnte. Er hatte die Jungen und das Geheimnis des Éan’schen Prinzen und Drachen beschützt, aber zu einem Preis, den er nie vergessen würde.

Weil er nicht im Kampf getötet hatte, sondern seine Gegner mit einer Macht vernichtet hatte, mit der sie sich nicht hatten messen und gegen die sie sich nicht hatten verteidigen können.

Ciara saß auf dem Turm des unteren Burghofs, ließ die Beine über die steinerne Kante baumeln und wartete. Dieser eine von zwei Türmen auf der unteren Hälfte der Außenmauer um die Sinclair-Festung war der perfekte Aussichtspunkt für sie, um einen ersten Blick auf die Neuankömmlinge zu werfen, die ihrem angenommenen Clan beitreten würden. Eigentlich dürfte sie gar nicht hier sein, doch dies war einer ihrer Lieblingsplätze, wenn sie ungestört sein wollte.

Die meisten Clan-Mitglieder hatten sich gestern und heute zum gleichen Zweck auf dem Hof versammelt, doch Ciara mochte das Gedränge so vieler Menschen um sie herum nicht.

Jetzt war von der Menge allerdings nichts mehr zu sehen. Die Menschen und anderen Chrechten waren wieder einmal enttäuscht nach Hause gegangen, als die Nacht hereinfiel und sie noch nichts von den Neuankömmlingen gesehen hatten. Aber Ciara wartete auch noch, als der Mond aufging, weil sie es nicht über sich brachte, zur Burg zurückzukehren. Ihre Neugier, diese neuen Clan-Angehörigen zu sehen, war einfach viel zu groß, um ihr zu widerstehen.

Als Mitglied der Faol war ihr gesagt worden, bei den Neuankömmlingen handelte es sich um Chrechten, doch Ciara vermutete sehr stark, dass diese Leute Éan waren.

Da ihre Träume nicht alle Albträume waren, hatte sie darin gesehen, dass die Vögel am Himmel menschliche Gestalt annahmen und das Plaid der Sinclairs anlegten.

Waren diese Chrechten Flüchtlinge wie sie, die ein neues Leben unter den Sinclairs beginnen wollten?

Ciara hatte sich nichts erhofft, als sie hierhergekommen war, um bei Laird Talorc und seiner gehörlosen Gattin Abigail zu leben. Noch betäubt vom Kummer nach dem Tode ihrer Mutter so unmittelbar nach dem grauenvollen Ableben ihres geliebten Bruders Galen, hatte Ciara einfach nur getan, was man ihr gesagt hatte.

Und Laird Barr hatte ihr gesagt, sie brauche ein neues Leben ohne so viele Erinnerungen um sie herum, und Ciara hatte sich an seine Anweisungen gehalten, zumindest in der Tat, auch wenn sie mit dem Herzen nicht dabei gewesen war. Ohne auch nur den kleinsten Einwand war sie zu Barrs früherem Clan, den Sinclairs, gekommen, um bei ihnen zu leben.

Aber was hätte sie auch einwenden können? Ciara hatte keine Familie mehr, keine Lieben, die sie bei den Donegals festhielten.

In den letzten sieben Jahren hatte sie sich nach Kräften bemüht, ihrem neuen Clan zu dienen, und ihr alter würde sie heute nicht mehr wiedererkennen. Nichts erinnerte mehr an das eigenwillige Mädchen, das seine Familie und andere mit der ganzen Leidenschaft seines jungen Herzens geliebt hatte.

Im Gegenteil. Ciara tat, was sie konnte, um so wenig wie nur möglich zu empfinden, weil sie nie wieder mit einer Hingabe lieben wollte, die sie so leicht erneut zerstören könnte.

Laird Barrs Hoffnung, dass sie fern von allem, was ihr vertraut war, ihre schmerzlichen Erinnerungen vielleicht leichter vergessen würde, hatte sich nicht erfüllt, doch Ciara nahm ihm seinen Plan nicht übel.

Ihre Erinnerungen hatten sich mit dem Feuer eines Drachen in ihr Gedächtnis eingebrannt; es war ihr unmöglich, jemals zu vergessen oder sich je wieder ganz sicher zu fühlen. Jener schicksalhafte Tag im Wald und alles, was darauf gefolgt war, lebten in ihr in einem Strudel von Kummer, Ehrfurcht, Verwirrung, Unglauben und manchmal sogar blanker Angst.

Es war nicht so, dass sie diese Gefühle je ganz an die Oberfläche kommen ließ, doch oft erwachte sie mitten in der Nacht vom letzten Schrei ihres Bruders, nur um zu erkennen, dass es ihr eigener gewesen war. Sie träumte von blutdurchtränkten Laken und einer Frau, bleich wie der Tod, die ihr Häuschen nach einem Sohn und Ehemann absuchte, die nie wieder dort erscheinen würden.

Ciara war dankbar für die dicken Steinmauern, die ihre Albträume verborgen hielten, aber sie war sogar noch dankbarer dafür, dass Laird Talorc und sein Stellvertreter Niall, statt sie zu einer Heirat zu zwingen, als sie volljährig wurde, alle potenziellen Freier sogar abschreckten. Ob es nun Chrechten oder Menschen waren.

Laird Talorc und Abigail behandelten Ciara wie ein geschätztes Mitglied der Familie, das beschützt und behütet werden musste. Ciara wusste, dass sie sie für gebrochen hielten und sie deshalb nicht zum Heiraten zwangen.

Und Ciara tat und sagte nichts, um sie von diesem Glauben abzubringen.

Sie wollte keine echte Familie, die sie wieder verlieren könnte, verspürte kein Verlangen, je zu heiraten oder Kinder in die Welt zu setzen, die ihr von diesem unbesiegbaren Feind, dem Tod, wieder genommen werden könnten. Ciara hoffte, dass sie niemals ihrem geheiligten Gefährten begegnen würde – oder falls doch, dass er dann zumindest schon an eine andere gebunden war.

Mitzuhelfen, sich um Abigails und Talorcs Zwillinge zu kümmern, die jetzt in ihrem vierten Sommer waren, war schwierig genug. Die Jungen ließen nichts unversucht, um Ciaras Herz zu gewinnen. Sie musste ihre ganze unbeugsame Entschlossenheit aufbieten, um sich nicht zu erlauben, die Zwillinge zu lieben.

Und tief in ihrem Innersten, an einem Ort, den sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen wollte, befürchtete sie, dass sie es schon tat … mehr sogar noch, als sie den Drachen fürchtete, der ihren Bruder getötet hatte.

Doch nun schüttelte sie diese Gedanken ab und spähte durch die vom Mond erhellte Nacht, um ihren ersten Blick auf die Éan zu werfen, die sich bald schon ihrem Clan anschließen würden. Sie hätte eigentlich gar nichts von den Éan wissen dürfen. Niemand außer einer kleinen Gruppe Auserwählter hatte Kenntnis davon. Und gerade Ciara verstand besser als die meisten den Grund dafür.

Aber es war nicht ihre Schuld, dass sie viele Dinge wusste, die sie eigentlich nicht wissen dürfte. Selbst ohne das Belauschen. Ihre Träume und Visionen waren häufiger geworden, seit sie den scharlachroten Drachen Feuer hatte speien sehen.

Und neuerdings machte ihr der Faolchú Chridhe sogar noch mehr zu schaffen als die Schreie ihres toten Bruders und das so sinnlos vergossene Blut ihrer Mutter. Ciara schlief nur selten, und wenn sie es tat, dann um zu träumen, und jeder Traum war noch mehr von einem Gefühl der Dringlichkeit geprägt als der vorangegangene. Sie konnte nicht einmal mehr essen, weil dieses Empfinden der Dringlichkeit sie auch im Wachzustand verfolgte, ihr den Magen zusammenkrampfte und sie mit einer Furcht erfüllte, die Ciara nicht verstand.

Sie wusste einfach nicht mehr, was sie tun sollte.

Vielleicht war es ja an der Zeit, jemandem von der Existenz des Wolfssteins zu erzählen. Würde dieses Wissen bei Laird Talorc sicherer sein, als es bei Galen gewesen war? Schmerz durchzuckte Ciara angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass es so war.

Galen hatte die Macht des Steins gewollt, um die Éan zu vernichten. Laird Talorc dagegen würde ihnen helfen wollen.

Bei ihren stillen, heimlichen Streifzügen durch die Burg hatte Ciara genug gehört, um zu wissen, dass das stimmte. Sie wusste auch, dass Talorc sich ihrer Gegenwart bewusst war. Er war ein Wolf mit den scharfen Sinnen eines Wolfes, doch er tadelte sie nie. Vielleicht, weil er wusste, dass sie niemanden hatte, dem sie die belauschten Geheimnisse anvertrauen könnte.

Das noch schwache Hufgetrappel mehrerer Pferde ließ Ciara aufblicken und alle Gedanken an Geheimnisse und den Faolchú Chridhe vorübergehend in den Hintergrund treten. Eine Gruppe von vielleicht zwanzig Reitern kam in Sicht. Interessiert beobachtete Ciara, wie sie unangefochten näher und näher an die Burg heranritten.

Das mussten die Éan sein.

Sie kamen nahe genug heran, dass Ciaras scharfe Wolfsaugen die Plaids erkennen konnten, die einige trugen, während andere mit Kleidungsstücken aus gegerbten Tierhäuten und -fellen bekleidet waren.

Der hünenhafte Krieger, der sie anführte, trug etwas, was wie ein lederner Kilt aussah, dazu breite Manschetten an den Handgelenken aus demselben Material und ein Band um den Oberarm, in dem ein gefährlich aussehendes Messer steckte. Sein langes Schwert trug er auf dem Rücken, was an dem über seiner linken Schulter hervorstehenden Schwertgriff zu erkennen war. Das Lederband, an dem die Schwertscheide befestigt war, kreuzte seine ansonsten nackte Brust – eine völlig unbehaarte, aber ausgesprochen muskulöse Brust.

Eine Art Medaillon an einem Lederriemen um seinen Hals schimmerte im Schein des Mondes. Der Krieger trug keine Stiefel, sondern Sandalen, die jedoch den ganzen Fuß umgaben und an den Knöcheln verschnürt waren. Sie sahen fast so aus wie das Schuhwerk der römischen Soldaten der Antike, von denen Ciara in Höhlenwänden eingeritzte Zeichnungen gesehen hatte … damals, als sie mit ihrem Bruder nach dem Faolchú Chridhe gesucht hatte.

War dieser Krieger ein Éan ? Er war größer als seine Begleiter, ja, mindestens einen Kopf größer als alle anderen Reiter. Er musste ein Hüne sein, wenn er stand, wahrscheinlich sogar noch größer als Niall, der Stellvertreter des Lairds, und mindestens so breitschultrig und muskulös wie er.

So groß hatte Ciara sich die Krieger der Éan nicht vorgestellt. In ihren Träumen waren sie stark, das ja, aber stets von kleinerer Statur als die Faol.

Ihr Bruder hatte auch immer behauptet, die Éan wären die kleinste der Chrechte-Rassen. Galen hatte es voller Spott gesagt, und da Ciara selbst viel kleiner gewesen war als er, hatte sie sich oft gefragt, warum er den Unterschied für so verachtenswert hielt.

Dieser Mann hier war aber keineswegs zu klein geraten, und darüber hinaus besaß er auch noch die majestätische Haltung eines Königs. Wie würde er Talorcs Führerschaft hinnehmen?

Würde der hünenhafte Krieger ihren Laird, den Mann, der sich als Ciaras Vater sah, herausfordern?

Ein beängstigendes Gefühl befiel sie, als die fremden Chrechten näher ritten. Kaum einen Meter von der Zugbrücke entfernt, die auf Laird Talorcs Anweisung noch nicht hinaufgezogen worden war, wurden die Gesichtszüge des anführenden Kriegers deutlicher.

Und in einem einzigen langen Ausatmen entwich die Luft, die Ciara unwillkürlich angehalten hatte.

Dieser Mann, der ein Sinclair werden sollte, war … atemberaubend, obwohl sein Gesichtsausdruck genauso grimmig war wie das Funkeln seiner bernsteinfarbenen Augen. Augen, die selbst im Mondlicht noch von Chrechte-Kräften glühten. Seine Kiefermuskeln waren so angespannt, dass sie wie aus Stein gemeißelt aussahen, und die Haltung seines Nackens und seiner Schultern von einer Arroganz und Starre, die für jedermann Gefahr verhieß, der ihn verärgerte.

Eine sehr ursprüngliche Angst presste Ciara die Brust zusammen, bis sie kaum noch atmen konnte.

Der Krieger hob den Kopf, und ein sogar noch schärferer Blick als ihr eigener richtete sich mit unfehlbarer Zielgenauigkeit auf Ciara. Der Chrechte hätte sie eigentlich gar nicht sehen dürfen, so dicht an die Wand gekauert, wie sie saß, doch sie wusste, dass er es tat. Und er wandte den Blick genauso wenig von ihr ab, wie sie den ihren von ihm lösen konnte.

Noch nie zuvor hatte sie eine solch unmittelbare und intensive Verbindung zu jemandem gespürt. Ihr Wolf flüsterte ein Wort, das sie nicht hören wollte, und Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf, die sie sich ihr Leben lang verboten hatte.

Außerstande, den Blickkontakt mit dem Krieger zu unterbrechen, aber auch nicht gewillt zu bleiben, wo sie war, sprang Ciara auf. Die schlaflosen Nächte und die Tage, an denen sie nicht einmal genug gegessen hatte, um einen Spatz, geschweige denn einen Wolf zu ernähren, rächten sich in diesem einen ungemein verwirrenden Moment. Sie geriet ins Schwanken, ihr Körper neigte sich nach vorn …

Ciara fuhr zurück, aber viel zu schnell und heftig, und einer ihrer Füße trat ins Leere.

Es war kaum zu glauben, doch plötzlich und trotz ihrer wölfischen Gelenkigkeit stürzte sie vornüber. Während sie mit den Händen um sich griff, um Halt zu finden, taumelte sie in den Abgrund und schaffte es gerade noch, sich mit einem Finger in dem Gemäuer festzuhaken. Sie versuchte es mit einem zweiten, um sich besser festhalten zu können, doch schon jetzt konnte sie spüren, wie die Kraft sie verließ.

Sie krallte sie noch fester ins Gestein, aber nun begannen die Schnitte und Risse an ihren Fingern zu bluten, und diese Nässe wurde ihr zum Verhängnis. Sosehr sie sich auch anstrengte, sich in den Mauerritzen festzuhalten, sie rutschte an dem Blut ab und stürzte.

Ihr Wolf stieß ein Heulen aus, als sie sich noch im Sturz zu verwandeln versuchte und wider jede Vernunft noch zu überleben hoffte.

Doch es war nicht der harte Boden, der ihren Fall aufhielt. Scharfe Krallen schlossen sich um ihren Körper, warme Schuppen, die sich wie ein lebendiger Kettenpanzer anfühlten, drückten sich an ihr Gesicht, und plötzlich stürzte sie nicht mehr, sondern flog in die Höhe. In den Vorderbeinen eines Drachen!

Das war das Letzte, was ihr gequälter Verstand ertragen konnte, und Ciara begrüßte die Schwärze, die sie überwältigte und verschlang.

2. Kapitel

Der Drachenflügel der Nacht überdeckt die Erde.

– Shakespeare

Der Körper der Frau erschlaffte in Eiriks Armen, woran er merkte, dass sie ohnmächtig geworden war.

Wut, geschürt durch eine ihm unerklärliche Besorgnis und die Notwendigkeit, sich in seinen Drachen zu verwandeln, obwohl andere Sinclairs ihn vielleicht beobachteten, erfüllte Eirik, als er mit Ciara in den Armen zu seinen Leuten zurückflog.

Wenigstens war es dunkel, aber der Mond war schon fast voll, und ein scharfäugiger Sinclair könnte nicht umhin, einen Drachen am Himmel über ihrer Festung zu bemerken.

Was hatte dieses verrückte Frauenzimmer sich bloß dabei gedacht, auf diesen hohen Turm zu steigen, statt in der Sicherheit der Burg zu bleiben?

Und was trieb sie überhaupt so spät in der Nacht hier draußen? Da er ihren Wolf riechen konnte, wusste er, dass sie eine Chrechte war. Dachte sie etwa, das bewahrte sie vor im Dunkeln lauernden Gefahren?

Trotz seiner Verärgerung war er jedoch sehr behutsam, als er sie auf dem Gras ablegte, um sie wieder zu sich kommen zu lassen. Er war schon voll angekleidet und schnallte gerade sein Schwert um, als ihre Augenlider flatterten.

Augen, grün wie Smaragde, blickten in sichtlicher Verwirrung zu ihm auf. »Ihr seid ein Drache.«

Eirik bestritt es nicht.

»Ihr seid es!« Sie versuchte aufzustehen, war jedoch noch zu schwach dazu und sank wieder ins Gras. »Ihr seid der Drache.«

»Und Ihr seid ganz schön ungeschickt für eine Faol.«

Sie schüttelte den Kopf, aber er glaubte nicht, dass es eine Verneinung war. Dunkle Schatten verunzierten die ansonsten makellos helle Haut unter den wundervollen grünen Augen. Das ovale Gesicht der Faol war so schön, dass es schon beinahe schmerzte, sie nur anzusehen. Ihre Schlüsselbeine zeichneten sich unter dieser hellen Haut ab, als hätte sie lange nicht genug gegessen. Und ihre Hände zitterten.

Sorgte Talorc nicht für seine Leute?

Eirik konnte das von dem hochmütigen, aber grundanständigen Chrechte-Laird nicht glauben.

Das Zittern könnte auch einfach nur von Furcht herrühren. Er konnte ihn an ihr riechen, den säuerlichen Geruch der Angst, der weder zu ihrer Schönheit noch zu ihrem Chrechte-Geist passte.

»Mein … ich …«

»Was habt Ihr dort oben auf dem Turm gemacht?«

»Auf Euch gewartet.«

Er warf ihr einen zweifelnden Blick zu. War sie vielleicht tatsächlich ein bisschen … sonderlich? Eirik konnte ihr Erröten spüren, noch bevor ihre alabasterne Haut sich rosig färbte.

»Ich meine, auf euch alle. Ich wollte die neuen Chrechten sehen, die sich unserem Clan anschließen werden.«

»Ihr seid eine Sinclair.« Natürlich war sie das. Sie trug das Karomuster des Clans, auch wenn ihre restliche Kleidung ein bisschen anders war.

Ihr Rock war der gefältelte Schottenrock der Sinclairs, doch dazu trug sie ein vorn geschnürtes schwarzes Mieder über ihrer weißen Bluse und ein kariertes Umschlagtuch um ihre Schultern.