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In "Unter den Hohen Tauern: Ein Roman aus der Steiermark" entführt Arthur Achleitner die Leser in die malerischen Landschaften und kultivierten Traditionen der Steiermark. Der Roman zeichnet sich durch einen eindringlichen, detailreichen Stil aus, der sowohl die geografischen Gegebenheiten als auch die emotionalen Gefilde seiner Protagonisten meisterhaft einfängt. Die Erzählung ist in einem zeitgenössischen Rahmen verankert, evoziert jedoch zugleich die tiefe kulturelle und historische Verstrickung der Region und präsentiert ein Wechselspiel von Mensch und Natur, das nicht nur unterhaltsam, sondern auch nachdenklich stimmt. Arthur Achleitner, ein österreichischer Autor mit einer tiefen Verbundenheit zur Steiermark, schöpft aus eigenen Erfahrungen, um die Seele seiner Heimat literarisch zu ergründen. Aufgewachsen in dieser reizvollen Region, vermag er es, die einzigartige Atmosphäre und die menschlichen Schicksale seiner Umgebung authentisch zu reflektieren. Seine Kenntnisse über die lokale Kultur und Geschichte verleihen dem Werk eine besondere Glaubwürdigkeit und Tiefe, wodurch er sich als wahrer Chronist seiner Heimat positioniert. "Unter den Hohen Tauern" ist nicht nur ein Roman, sondern ein Erlebnis, das den Leser dazu einlädt, die Schönheit und Komplexität der Steiermark zu entdecken. Es ist ein unverzichtbares Werk für Liebhaber der Literatur, die an regionaler Identität und menschlichem Universum interessiert sind. Achleitners schriftstellerisches Können und seine einfühlsame Erzählweise machen dieses Buch zu einer lohnenden Lektüre, die lange im Gedächtnis bleibt. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
An einem Augustnachmittage schoß die Sonne noch rasch etliche stechende Strahlenpfeile in das von der munteren Enns durchzogene Talbecken von Admont[1], dann verschwand das Weltlicht hinter einer dunklen Wolkenbank, die dräuend Sturm und Grobwetter ankündigte. Dumpfe Schwüle brütete in der Niederung;[1q] um die grauen hochragenden Kämme der wuchtigen Bergkolosse, der sogenannten „Haller Mauern[2]“ im Norden von Admont, wehte ein starker Nordwestwind, der alsbald dem breiten Felsenhaupte des Großen Pyrgas eine Nebelhaube aufsetzte und auch dem Scheiblingstein, der gigantischen zweitgrößten Erhebung dieses starren Steinmeeres, Wolken und Schwaden zujagte, so daß die Zinnen und Grate, die Schneemulden und wildzerrissenen Rippen und Runsen von einem weißgrauen Chaos verhüllt wurden.
Bleischwer und glühendheiß war die Luft selbst im Fichtenwalde des Mittelgebirges, sie trieb den auf einem Jagdsteige bergan schreitenden Förstern den Schweiß aus allen Poren. Voran stieg elastisch, stetig und stumm der Oberförster Ambros Hartlieb, ein schlanker, geschmeidiger Mann von etwa fünfunddreißig Jahren in verwitterter Steierertracht; dunkel das Auge, energisch und streng der Blick, schwarz das Haar und der kurzgehaltene Vollbart. Eine sympathische Erscheinung, doch umweht von einer Strenge, die eine vertrauliche Annäherung verhindern zu wollen schien. Das Gegenteil solcher Härte im Gesichtsausdruck offenbarte die Gestalt des Begleiters, des Forstwartes mit dem drolligen Namen Benjamin Gnugesser; mittelgroß der gleichalterige Mann mit einem berufswidrigen Bäuchlein, blauäugig, gutmütig, rötlichblond das lockige Haupthaar und ganz fuchsfarbig der überlange, wallende Patriarchenbart. Wie ein Gnom, ein Bergmanndl aus der Sagenwelt, sah der Forstwart Gnugesser aus, die Mensch gewordene Herzensgüte, Friedensliebe und Einfalt.
In dieser Gewitterschwüle beim Aufstieg schwitzte Gnugesser infolge seiner Korpulenz für drei, und mancher Seufzer entfloh dem Gehege seiner etwas schadhaften Zähne. Hartlieb achtete dieser Seufzer nicht, zu sehr war er in Gedanken vertieft, die sich mit den durch Besitzwechsel geschaffenen neuen Verhältnissen beschäftigten.
An die Zukunft im Dienst, im Jagdbetrieb und in den Revieren dachte auch Gnugesser, und viel Gutes glaubte er nicht erhoffen zu dürfen. Gerne hätte er darüber mit dem Vorgesetzten gesprochen, Hartliebs Meinung erholt. Da der Oberförster sich bisher ausgeschwiegen hatte, wagte der Forstwart es nicht, das ihn überstark beschäftigende Thema anzuschneiden.
Auf einer kleinen Hochfläche in Nähe eines steilwandigen Grabens blieb Hartlieb stehen, betrachtete hochgegangenes Kleinvieh, die alte verfallene Heuhütte, modernde Baumriesen und die Hirschfährten, die zu einer nahen Suhle führten. Dann aber richtete der Oberförster einen forschenden Blick zum grau überzogenen Firmament und mahnte den Begleiter zur Eile.
„Wohl, wohl! Wird bald losgehen! Macht aber nix, naß bin ich bereits!“ erwiderte Gnugesser, lächelnd wie immer und nach Atem ringend.
Als die beiden weiterschritten, rollte der Donner aus der Wolkenbank, die sich auf dem wuchtigen Pyrgas-Kolosse festgesetzt hatte. In beschleunigtem Tempo strebte Hartlieb zwischen den Randklippen der Gstattmaier-Hochalpe zu, auf deren Plateau die Pyrgas-Jagdhütte inmitten der besten Gamsreviere lag. Gnugesser keuchte schweißtriefend hinterdrein.
Im Felsgewirre staubte es auf, der Bergwind trieb sein Spiel und bemühte sich, den Förstern die Hüte vom Kopf zu reißen. Die Jagdhütte kam in Sicht, ein verwittertes Holzhaus, mit einem gelbweiß blinkenden neuen Anbau, windumtost. Ein Jagdgehilfe in Hemdsärmeln stand vor der Türe und hielt Ausschau. Und wie er die beiden Förster erblickte, verschwand er, um rasch darauf in Joppe und mit Hut wieder zu erscheinen und den Vorgesetzten entgegenzugehen. Ein bildhübscher blonder Bursch, schlank, ein Kerl zum Verlieben, zart und fein die Gesichtszüge, etwas melancholische Augen, ein nettes Schnurrbärtchen, kirschrot die feinen Lippen. Ein schmucker Bursch, den die Steierertracht sehr gut kleidete. Die Sommersonne hatte Wangen, Hände und Knie nur wenig zu bräunen vermocht. Höflich, fast demütig begrüßte er die Vorgesetzten und wollte ihnen Rucksack und Gewehr abnehmen.
Hartlieb nickte zum Gruße und wehrte mit einer Handbewegung die Bemühungen des hübschen Jagdgehilfen Eichkitz ab. Der Forstwart schnappte nach Luft und lief Galopp, als der erste Regenschauer über den Hochalpboden rauschend prasselte. In großen Sprüngen erreichten die drei die schützende Hütte. Und nun ging es los: knatternd schlugen Graupeln auf das Schindeldach, dann vollführten erbsgroße Schloßen einen betäubenden Lärm, den ein Wolkenbruch mit eigroßen Hagelstücken ins Maßlose steigerte.
Viel Schaden konnte der Sturm der Jagdhütte nicht zufügen, denn Eichkitz hatte die hölzernen Fensterläden auf der Wetterseite fürsorglich bereits vor dem Losbruch des Gewitters fest geschlossen. An den Holzläden prallten die Hagelkörner machtlos ab.
Im Spektakel des Orkans war ein Sprechen unmöglich; man hätte brüllen müssen, um sich einigermaßen verständlich machen zu können.
Angenehm empfand Oberförster Hartlieb, während er Rucksack und Gewehr ablegte, die warme Temperatur im Kochraume der Diensthütte; der Jäger Eichkitz als Praktikus hatte im eisernen Herd ein tüchtiges Feuer entfacht und zum Empfang der schwitzenden Herren stetig unterhalten. Die Wärme tat wohl nach mühevollem Aufstieg. Befriedigt nickte Hartlieb, als Eichkitz geschäftig noch weiter Holz in den Herd schob.
Benjamin Gnugesser machte es sich bequem, nahm Platz auf der Bank an der einen Hüttenseite, aber er lächelte jetzt nicht und hatte auch kein Verlangen nach der Tabakspfeife. Das schwere Unwetter schien ihn, wenn auch nicht zu ängstigen, so doch mit einigem Unbehagen zu erfüllen. Oft genug hatte er den Admonter Fachmann gemahnt, endlich auf der Pyrgas-Jagdhütte den Blitzableiter anzubringen, doch dem Manne war bisher der Weg hinauf zur einsamen Höhe zu weit gewesen. So wetterhart Gnugesser war, vor Blitzschlägen hatte er einen gewaltigen Respekt.
Unbekümmert um den schweren Sturm, der sich vergeblich bemühte, die Hütte umzureißen, zündete sich Hartlieb eine Zigarre an, und zum Dank für das wohlige Herdfeuer spendete er dem Jagdgehilfen einen Glimmstengel, den Eichkitz katzbuckelnd, dankend entgegennahm und sofort in Brand steckte.
Eine Weile herrschte nächtliche Finsternis um die sturmumtoste Hütte. Im Herdraume waren nur die roten Punkte der glimmenden Zigarren und zuweilen aufzuckende Flämmchen im Ofen zu sehen.
Dann ließen Hagel und Regen nach, es wurde lichter. Dafür umwallten schwere Nebelschwaden die Hütte.
Eichkitz öffnete nun die Fensterläden auf der Wetterseite. Eisigkalte Luft drang herein, so daß der Jäger die Fenster schleunigst wieder schloß.
Auf dem Alpboden wogte ein Nebelmeer, weiß wie um Weihnachten war der Grund, vom Hagel bedeckt. Kalt pfiff der Höhenwind. Doch der Sturm hatte ausgetobt; ihm folgte ein feiner Regen.
Hartlieb nahm jetzt die Besichtigung des neuen Anbaues vor, gefolgt vom Forstwart und Jäger. Und auf den ersten Blick gewahrte der Oberförster den Mangel eines Ofens im Wohnraume des Zuhäusels. Hartlieb wandte sich an Gnugesser mit der Frage, ob der Ofen rechtzeitig bestellt worden sei. Mit einem Lächeln des ruhigen Gewissens antwortete der Forstwart: „Wohl, wohl, Herr Oberförster! Rechtzeitig bestellt, selbstverständlich sofort, wie ich den Auftrag erhalten habe! Aber die Handwerksleut sind halt so langsam! Und von selber kommt der Ofen halt nicht herauf zur Pyrgas-Hütt’n!“
„Der Teufel soll die Kerle holen! Demnach sind vermutlich auch in den anderen Anbauten die Öfen noch nicht aufgestellt? So eine verdammte Schlamperei! Und jeden Tag kann die Fürstin ankommen! Wird ein Aufenthalt auf einer der Jagdhütten befohlen, so haben wir das höllische G’frett gleich zum Beginn der neuen Herrschaft! Der Hausmarschall wird zetern, daß uns die Ohren sausen!“
Auf Gnugessers bartumwucherten Lippen erstarb das Lächeln, da er stotterte: „Wohl, wohl! Sein tuets ein Öllend mit die Handwerksleut! Und die neue Ära fangt schief an!“
„Veranlassen Sie morgen früh in Admont alles Nötige wegen der Ofenlieferung! Treten Sie die Kerle, bis sie quietschen! Es muß alles zusammen helfen, auf daß der Befehl vollzogen ist, bevor die neue Gebieterin erstmals heraufkommt! Sie sind mir verantwortlich, Herr Forstwart! Verstanden?“
„Wohl, wohl!“ stammelte Gnugesser in sichtlichem Unbehagen.
Hartlieb wandte sich zum Jagdgehilfen und rügte mit scharfen Worten die ungenügende Revierkontrolle wegen des hochgegangenen Kleinviehes. „Dieser Unfug darf nicht geduldet werden! Sie müssen doch als Jäger wissen, daß die Gams die Witterung von Ziegen und Schafen absolut nicht vertragen! Ausgebrochenes und hochgegangenes Kleinvieh muß entweder gepfändet oder erschossen werden, auf daß die Eigentümer für bessere Beaufsichtigung sorgen! Erstmals pfänden gegen Auslösung im Jagdamt zu Hall! Nützt das nichts, so machen Sie von der Waffe Gebrauch und schießen das hochgegangene Kleinvieh kurzerhand ab! Die Jagdgehilfen sind für die Reinhaltung der Reviere verantwortlich!“
„Zu Befehl!“ erwiderte Eichkitz.
„Sie sind jetzt ein für allemal gewarnt! Ich dulde keine Schlamperei im Dienst und Revier!“
„Zu Befehl! An mir wird’s nicht fehlen! Je schärfer wir aber vorgehen, desto rabiater und aufsässiger werden die Almbauern werden! Wo uns Jaagern von den Leuten eh bereits nichts mehr an Milch und Butter abgegeben wird! Ich bitt g’horsamst: Dürfen wir es zunächst nicht im Guten, mit Verwarnungen versuchen?“
Scharf klang Hartliebs Antwort: „Wie Sie es machen, das ist mir egal! Ordnung muß herrschen! Denken Sie gefälligst mehr an Ihren Dienst! Sehe ich noch mal hochgegangenes Kleinzeug im Revier, so haben Sie die Kündigung zu gewärtigen!“
Von dieser Androhung erschreckt, bat der schmucke Jäger um Verzeihung, und eifrig gelobte er schneidiges Vorgehen.
„Wird gut sein in Ihrem eigenen Interesse! – Wie haben sich die Zimmerleute beim Bau des Zuhäusels verhalten?“
„Zu dienen, Herr Oberförster! Ich bin fleißig um die Weg g’wesen, ist niemand weiter als höchstens zur Schneemulde am Großen Pyrgas gekommen! Ich glaub nicht, daß die Gams besonders beunruhigt worden sind! Touristen hab ich nach Möglichkeit abgewiesen!“
„Bis auf weiteres bleibt jeder Durchgang in den Hochrevieren gesperrt! Will die Fürstin den Jochbummlern das – Gamsversprengen erlauben, so ist das Sache der Gebieterin! Die Jägerei wird hierüber verständigt werden! Einstweilen ist jeder Tourist ausnahmslos aus den Revieren auszuweisen! Bei Aufstellung des Ofens in der Pyrgas-Hütte haben Sie die Aufsicht zu führen, jede Revierbeunruhigung nach Möglichkeit zu verhindern! – So, nun begleiten Sie uns in die Steinschütt!“
Die Herren kehrten in die alte Hütte zurück, indes Eichkitz das Zuhäusel sorgfältig versperrte.
Säuerlich lächelnd meinte Gnugesser: „Mit Verlaub, Herr Oberförster! Ich hab g’meint, wir bleiben über Nacht in der Pyrgas-Hütte...! Wo es doch regnet!“
„Das wäre sinnlose Zeitvergeudung! Wir gehen noch am Abend über Schottenboden und Assangeralp zur Million-Hütte, wo wir den Hausmarschall treffen werden. Der Regen kann uns nicht abhalten! Und Ihnen kann fleißige Bewegung nur nützlich sein; je eher Sie tannenschlank werden, desto besser für Sie! Ich fürchte sehr, daß die neue Gebieterin wegen Ihres Bäuchleins Schlüsse auf – Bequemlichkeit und üppiges Leben ziehen wird!“
„Ach, du lieber Himmel! Bei dem mageren Gehalt und strengen Dienst ein – üppiges Leben! Und wo meine Frau zudem keine – Kochkünstlerin ist!“
Ein sarkastisches Lächeln huschte über Hartliebs Gesicht, und ein ironischer Blick streifte Gnugessers Wanst.
Rucksäcke und Gewehre wurden umgehangen. Auch Eichkitz hatte sich marschfertig gemacht; er löschte das Herdfeuer und schloß die Hütte ab, nachdem die Herren ins Freie getreten waren.
Kalt pfiff der Wind, trostlos in Fäden träufelte der Regen hernieder. Unter den schweren Bergschuhen knirschten die Hagelkörner auf dem Alpboden.
Der vorausstapfende Jäger Eichkitz nahm die Richtung zur nebelerfüllten Felswildnis der Steinschütt, elastisch schreitend, doch arg verdrossen.
Hartlieb erkannte sofort, daß bei dem schlechten Wetter auf einen „guten Anblick“ nicht zu rechnen, der Marsch in die Schütt ganz zwecklos war. Deshalb schickte er den Jäger zurück und wanderte mit dem Forstwart auf steinigen, teils mit Schloßen bedeckten, teils vermurten oder ausgewaschenen Pfaden durch Regen, Wind und Nebel den Weg zurück zur Plechauer-Alp und dann hinüber zum Schottenboden. Das Ziel war die sogenannte Million-Hütte im Bereiche des Stadlgrabens, wo die besten Hirsche stehen.
Spätabends erreichten die durchnäßten Förster die einsame Hütte, die gleichfalls einen neuen Anbau für Damen aufwies. Wider Erwarten war die Million-Hütte verschlossen, der Hausmarschall der Fürstin Sophie von Schwarzenstein, Graf Thurn-Valsassina von Villalta und Spessa, mit dem Jäger Xandl noch nicht angekommen.
Dienstwillig suchte Gnugesser den Hüttenschlüssel in der Holzschicht an der Seitenwand der alten Hütte und schloß auf. Kalte Luft wehte entgegen. „Wird gleich warm werden!“ rief der Forstwart, der schnell Gewehr und Rucksack ablegte und im Sparherd Feuer anzündete. Dann holte er vom nahen Brünnlein Wasser herbei und stellte es in einem Topf darauf. Hartlieb entnahm seinem Rucksack zwei kleine Konservenbüchsen mit Gulasch, eine Flasche Bier und Brot.
Als das Wasser zischte und brodelte, wurden die Konservenbüchsen in den Topf gelegt. Wenige Minuten später war die Kocharbeit beendet. Mit einer Blechschere öffnete Hartlieb die Büchsen, denen ein würziger Duft entstieg.
Gnugesser schnupperte wohl wie ein windender Jagdhund, lehnte aber die Einladung zum Mitessen dankend ab und begnügte sich mit dem mitgeführten Stück Speck und Schwarzbrot.
„Wie Sie wollen! Mögen Sie Gulasch nicht?“ fragte Hartlieb.
„Schon, aber nur in der Nähe von einem Wirtshaus!“
„Ach so! Von wegen dem Durst, den der Paprika erzeugt? Na, in Konserven ist nur sehr schwacher Paprika enthalten, und zum Durstlöschen gibt es ja Wasser genug! Ich werde die zweite Portion für den Grafen aufbewahren, falls er keinen Proviant bei sich haben sollte!“
An seinem Speck kauend, richtete Gnugesser im Heuboden oberhalb des Herdraumes ein Lager zur Nachtruhe her. Dann kehrte er in das Wohn- und Kochstübchen zurück und fragte, ob er, da der Graf wahrscheinlich nicht kommen werde, heimgehen dürfe.
Ironisch fragte Hartlieb: „Treibt Sie denn sehnsüchtige Liebe nach Hause?“
„Ich bitt, Herr Oberförster! Wo ich doch schon zwei Jahr verheiratet bin! Ich hab nur gemeint, Sie benötigen mich nicht für Abend und Nacht!“
„Ich allerdings nicht! Kommt der Graf doch noch, so könnte es sein, daß er Sie morgen um die Führung bitten will! Kommt er heute nimmer, so hätte Ihre Anwesenheit allerdings keinen Zweck!“
„Will denn der Graf pirschen auf Hirsche? Bei diesem Wetter wird er keinen Wedel äugen können! Was will er sonst heroben?“
„Weiß ich nicht! Vielleicht nur ein Inspektionsgang, Kontrolle, ob alle Jagdhütten den Damen-Anbau vorschriftsmäßig erhalten haben!“
„Ist g’spaßig, daß unser Jagdbetrieb nun – verweiblicht werden soll! Ein Frauenzimmer als – Jagdherr! Ich kann mir nicht denken, wie das geht! Die Jaager stecken auch die Köpf zusammen und tuscheln darüber!“
Hartlieb trat vor die Hütte, lauschte, kehrte zurück und stellte es Gnugesser frei, nach Hause zu gehen.
Die Gelegenheit, über die neuen Verhältnisse mit dem Vorgesetzten zu sprechen, wollte der Forstwart nun doch nützen. Er steckte die kleine Petroleumlampe an, schloß die Fensterläden und bat, Gesellschaft leisten zu dürfen.
„Aber die teure Gattin?“
„Wird nicht sterben, wenn ich über Nacht ausbleibe! Dergleichen kommt ja öfter vor in unserem Beruf! Mit Verlaub, glauben Sie, Herr Oberförster, daß wir mit gleichem Gehalt übernommen werden? Hat der Hausmarschall darüber nichts gesagt?“
„Bis jetzt keine Silbe! Ich denke, die Käuferin des Jagdgutes wird froh sein, tüchtiges und geschultes Personal übernehmen zu können!“
„Wohl, wohl! Was aber, wenn das Gehalt etwas reduziert würde? Das wär für uns doch recht bitter! Für die verheirateten Beamten nämlich! Sie, Herr Oberförster, brauchen als lediger Mann sich da weniger zu sorgen...“
„Verbürgen kann ich nichts! Beruhigen Sie sich nur! Wegen der Löhne und Gehälter muß ich ja gefragt werden, und ich werde selbstverständlich dafür eintreten, daß in dieser Beziehung alles beim alten bleibt!“
Gnugesser lächelte und glättete seinen fuchsigen Patriarchenbart, nun ihm der größte Stein der Sorge von der Brust fiel. Und zutraulich meinte er: „Noch schöner tät es sein, wenn Sie, Herr Oberförster, eine Gehaltsaufbesserung durchsetzen könnten! Für mich gleich nur zweihundert Kroneln, eine Wohltat wäre das für meine Verhältnisse!“
„Mit einer Aufbesserung darf man der Fürstin bei der Übernahme des Besitzes nicht kommen! Um so weniger, als sie teuer, zu teuer gekauft hat!“
„So? Hätt sie doch die Finger davon gelassen! Wenn man denkt: Auf den Jagdherrn Grafen Lichtenberg, der freilich nur Pächter war, ein Frauenzimmer als Gebieterin in Jagdangelegenheiten – – der Magen könnt sich umdrehen! Jagdlicher Damenbetrieb! Unmöglich, nicht auszudenken!“
Hartlieb streifte die Asche von seiner Zigarre und wollte dem Forstwart eben raten, das Zünglein zu hüten, da wurden Schritte laut, die sich der Hütte näherten.
Gnugesser stand auf und eilte hinaus.
Auch der Oberförster erhob sich und öffnete die Türe, damit die Angekommenen etwas Licht zur Orientierung haben sollten.
„Guten Abend!“ grüßte eine hohe schlanke Gestalt in dunklem Lodengewande. Graf Thurn-Valsassina, der weißhaarige Hausmarschall und Hofchef, reichte den Beamten die Hand und entschuldigte das arg verspätete Erscheinen mit dem Hinweise auf das Unwetter, das zu unfreiwilligem Aufenthalt in der Griesweber-Hochalm gezwungen hatte.
Hartlieb bat den Grafen, in die warme Stube einzutreten und vorliebzunehmen mit dem Wenigen, was geboten werden könne.
Der Hausmarschall trat in die schwacherleuchtete Stube und rief: „Oh, wie wohlig warm! Das ist wirklich sehr behaglich! Ich bitte Sie, meinetwegen keine Umstände zu machen! Proviant habe ich mit im Rucksack, den mein wackerer Begleiter, der brave Xandl, trägt! Wir wollen in der Bergeinsamkeit brüderlich teilen! He, Xandl, antreten und auspacken!“
Mit seinem schönsten Lächeln auf den bebuschten Lippen griff Gnugesser, der fuchsige Gnom, ein, indem er dem großen Jagdgehilfen Xandl den Rucksack abnahm und zuflüsterte: „Gschwind den Herrn bedienen! Stiefel ausziehen!“
Hartlieb legte inzwischen Holz im Herde nach, so daß es alsbald knisterte.
Flink kniete Xandl, ein Koloß von einem sonnverbrannten Menschen, vor dem Hausmarschall nieder und bat: „Haben S’ die Gnad, Herr Graf, und lassen S’ Ihnen die schweren Schuach ausziehen! Einen Haxen nach dem andern, wenn’s g’fällig ist!“ Und flink löste er die Schuhriemen auf.
„Ei ei, wie geschult doch der Xandl im Kammerdienst ist!“ meinte schmunzelnd Graf Thurn.
Gnugesser fischte aus dem Inhalt des Rucksackes die Hausschuhe heraus und überreichte sie dem Hofchef.
Zu dritt nahmen die Herren am kleinen Tische Platz, indes Xandl sich bescheiden auf die Bank an der Wand setzte und an einem Stück Schwarzbrot kaute.
„So ist’s nicht gemeint, Xandl! Auch der brave Führer und Jägersmann gehört an den Tisch! Vorerst aber bringen Sie uns den Wein und den kalten Aufschnitt!“
Brüderlich wurde alles geteilt. Der Höflichkeit halber nahmen die Beamten die Happen Schinken zur Brotschnitte dankend an, ebenso den Schluck Ungarweines. Hartlieb schenkte die Gulaschportion dem Xandl, dem das Gesicht vor Freude leuchtete. „Werd ich gleich Kuchelmadel machen und aufkochen! Vergelt’s Gott, Herr Oberförster!“
Graf Thurn erzählte, daß er nach der Inspektion einiger Hütten zur Gamsquöhn aufgestiegen sei, vom Gewitter überrascht wurde, in der Hochalm lange wartete, dann in den Falkennotgraben gestiegen sei, um dann nach zeitraubender Kraxelei den Stadlgraben zu erreichen. „Es ist ein wundervolles Gebiet, aber scharf und strapaziös! Der Dienst und wohl auch die Jagdausübung wird in den Revieren der ‚Haller Mauern‘ nicht leicht sein! – He, Xandl, die Zigarren!“
Gnugesser blinzelte dem Oberförster zu, als Graf Thurn die Bemerkung über Dienst und Jagdausübung in den Revieren gemacht hatte. Doch Hartliebs Antlitz blieb unverändert. Auch enthielt er sich jeder Äußerung. Die Zigarrenspende Thurns nahm er mit einer leichten Verbeugung an, während Gnugesser und Xandl laut dankten.
Graf Thurn fragte, ob in allen für die Fürstin bestimmten Anbauten, so wie in den Kochzimmern gleichfalls eiserne Öfen aufgestellt seien.
„Sie sind längst bestellt, werden nächster Tage zur Aufstellung gelangen!“ erwiderte Hartlieb.
„Schön! Machen Sie die Sache eilig, denn Durchlaucht werden in allernächster Zeit ankommen! Und einmal in Hall, ist man keine Stunde sicher, daß ein Hüttenbesuch befohlen wird! Bei Eintritt groben Wetters wäre es sehr fatal, wenn Durchlaucht in einer Hütte frieren müßte!“
Gnugesser hatte den Mund angelweit offen, sosehr interessierte ihn jedes Wort. Und plötzlich rutschte ihm die Frage heraus, ob die Fürstin von der Jagd etwas verstehe.
„Herr Forstwart, ich bitte Sie, jede indirekte Frage zu unterlassen!“ bemerkte rügend Hartlieb, und ein scharfer Blick flog zu Gnugesser hinüber.
Begütigend meinte Graf Thurn: „Nicht doch! Das Interesse der Forstbeamten für die neue Herrin ist ja begreiflich! Und hier unter uns Männern hat es nichts auf sich, wenn Fragen gestellt werden! Die Fürstin hat zu Lebzeiten ihres Gemahls den gnädigsten Herrn oft auf Pirschgängen begleitet und, soviel ich weiß, manchen Hirsch mit gutem Blattschuß umgelegt!“
Nun wagte auch der hünenhaft gebaute Jagdgehilfe Xandl eine Bemerkung dahin, daß ein gelegentlicher Pirschgang und ein weidgerechter Jagdbetrieb zweierlei sei. „Mit Vergunst, Herr Graf, wenn es erlaubt ist: wird die Duhrlauch selber die Jagdleitung führen, selbständig dirigieren, oder bleibt unser Herr Oberförster der Chef?“
„Das weiß ich nicht! Ich für meine Person, als Hofchef und Hausmarschall, werde mich in die Jagdangelegenheiten ganz gewiß nicht einmischen! Und falls ich gefragt werden sollte, werde ich befürworten, daß Herr Oberförster Hartlieb der Jagdleiter bleibe! Den Entschließungen der Fürstin kann natürlich nicht vorgegriffen werden! Durchlaucht ist die Gebieterin, wir haben ihre Befehle zu vollziehen!“
„Oh, Jessas!“ rief Gnugesser, und sein Bäuchlein zitterte.
„Nur keine Angst! Durchlaucht ist die Güte selbst! – Nun aber Schluß, meine Herren! Ich bin müde!“
Zu dritt kletterten die Herren auf der Leiter in den Dachboden, wo das Nachtlager im Heu bezogen wurde. Wollene Decken schützten vor der Zugluft, die durch die Balkenritzen trotz der Moosverstopfung kalt und scharf eindrang.
Xandl räumte unten auf, löschte das Lämplein und legte sich angekleidet auf die Holzbank zur Nachtruhe nieder.
Nach Mitternacht entlud sich ein Gewitter über den Stadlgraben, heftig wütete der Sturm unter schweren Regengüssen, rüttelte an der Hütte, riß grob die Türe wiederholt auf, die der aus dem Schlafe aufgeschreckte Jäger Xandl wieder schloß. Doch gegen Tagesanbruch verstummte das Sturmgeheul, das Wehen erstarb, der Regen hörte auf.
Xandl erwachte, rieb sich den Schlaf aus den Augen, und sachte öffnete er die Fensterbalken. Helles Morgenlicht und würzige Alpenluft strömten herein. Reingefegt war das Firmament, das lichtblau sich über den angeschneiten Haller Mauern wölbte. Ein prachtvoller Pirschmorgen nach düsterer Sturmesnacht. Des Jägers erster Gedanke war der seiner Führung anvertraute Graf und die günstige Chance für eine Pirsch. Aber in Erinnerung der Tatsache, daß Graf Thurn keine Büchse mitführte, wurde Xandl unschlüssig. Den herrlichen Pirschmorgen ungenützt verstreichen zu lassen, deuchte ihn eine schwere Unterlassungssünde zu sein. Als Hofchef und Hausmarschall müßte der Graf ja doch Abschußerlaubnis haben... Und die Kugelbüchse kann ihm ja der Oberförster oder der Forstwart leihen. So weckte denn Xandl die Herren mit der Meldung, daß ein prachtvoller Pirschmorgen angebrochen sei. Und hurtig machte der Jäger Feuer im Herd, um ein karges Frühstück, eine Brennsuppe zu bereiten.
Verfroren und steif in den alten Knochen kam Graf Thurn die Leiter herab, hinter ihm die Förster. Vor der Hütte wurde die Pracht des alpinen Sommermorgens, das Funkeln und Glitzern der Millionen Wasserperlen an Blattwerk und Koniferennadeln im Glanz der ersten, in den Graben blinzelnden Sonnenstrahlen bewundert.
Hartlieb bot sein Dienstgewehr für einen Pirschgang an und stellte sich als Führer zur Verfügung. Gnugesser sprach von einem guten Zwölfender, der auf dem Waschenberge stehe.
Da rief Graf Thurn: „Aber, meine Herren! Wo denken Sie hin! Ohne spezielle Erlaubnis werde ich mich hüten, eine Büchse auch nur in die Hand zu nehmen, geschweige denn auf irgendwelches Wild Dampf zu machen! Erst muß die Gebieterin ihren Besitz angetreten, das Jagdgut übernommen haben! Dann werden wir schon hören, ob uns die Bejagung eines Revierteiles gestattet wird oder versagt bleibt! Zur Hütteninspektion bin ich heroben, nicht zum weidwerken! Drum: hands off!“
Diesmal wechselte Hartlieb mit Gnugesser einen vielsagenden Blick.
Xandl aber platzte heraus: „Also wird die Duhrlauch – schußneidisch sein! Sell geht grad noch ab!“
Graf Thurn ignorierte diese Bemerkung und fragte, ob ein warmer Schluck, egal was, zum Frühstück zu haben sei.
Ganz Kuchelmadel, Kammerdiener, Küchenchef in einer Person, offerierte Xandl: „Haben S’ die Ehr, gnädig Herr Graf, die Brennsupp’n ist serviert! Aber noch heiß, verbrennen Sie Ihnen nicht die Lefzen! Wär schad drum! Wo Sie einen so schönen weißen Schnauzer haben!“
Mit Behagen wurde die Brennsuppe, der nur das Salz fehlte, geschlürft.
Da Graf Thurn auf die Fortsetzung der Hüttenbesichtigung verzichtete, traf Hartlieb seine Dispositionen: Gnugesser erhielt Auftrag, wegen schleunigster Ofenlieferung nach Admont zu gehen, Xandl solle in der Hütte aufräumen und hiernach Dienst machen in den oberen Revieren und im Gebiete des Natterriegel vorwitzige Gamsversprenger wegstampern, für absolute Ruhe im Gamsrevier sorgen. Wenn nötig, unter Anwendung von Gewalt.
„Na, schön! Wie disponieren Sie, Herr Oberförster, über sich und mich?“ fragte Graf Thurn.
Lächelnd meinte Hartlieb: „Über den Herrn Hofchef hat wohl der Jagdleiter am allerwenigsten zu verfügen! Wenn Sie aber, Herr Graf, erlauben, möchte ich Sie durch unsere schönsten und besten Reviere geleiten, Ihnen zeigen, daß wir einen gutgehegten Wildstand haben! Weidmännisch gesprochen: Einen ausgiebigen ‚guten Anblick‘ mit viel ‚roten Fleckerln‘ möchte ich Ihnen verschaffen!“
„Topp, einverstanden! Freilich wird es schmerzlich sein, bei ‚gutem Anblick‘ den Finger nicht krumm machen zu dürfen! Also gehen wir!“
Vor Gnugessers Abgang fragte Hartlieb noch, wie weit die Schlägerungsarbeit auf dem Raschanger gediehen sei.
„Wird heute beendet werden! Ich werd nachmittag kontrollieren! Mit Vergunst, Herr Oberförster, darf ich dem drängelnden Simerlbauern den erbetenen Schindelstamm anweisen! Ist ein zudringlicher Mensch!“
„Wenn wirtschaftlich kein Hindernis besteht, daß der betreffende gewünschte Stamm wegkommt und der Stamm zur Taxe bezahlt wird, kann angewiesen werden! Entspricht der Baum nicht, so geben Sie ihn als Prügelstamm weg, aber nicht unter der üblichen Taxe!“
„Ist recht! Darf ich mir bei dieser Gelegenheit auch den Zangerlbauern durch Befriedigung seines Wunsches – er möchte drei Schnitthölzer zu einem Schlafzimmerboden erhalten – vom Halse schaffen? Tanne oder Fichte?“
„Ist egal, je nachdem Stämme passend stehen! Halten Sie sich aber knapp und die Bauern kurz! Gott befohlen!“
„Empfehl mich, Herr Oberförster!“ Und zum Hofchef gewendet, verabschiedete sich der Bäuchleinträger mit österreichisch-höflichem „Küß d’ Hand, Herr Graf!“
Eine erquickende, zuweilen freilich nasse Wanderung durch triefende Gräser, durch kühle Wälder war es. Diana zeigte sich gnädig und gönnte den Herren manchen „guten Anblick“ von eleganten Rehböcken, von einem guten Zehnender mit hohem, weit ausgelegtem Geweih. Mehr als ein Dutzend Stück Hochwild ließ die Göttin vorüberwechseln.
Für Berghirsche waren die Geweihträger wirklich gut zu nennen.
Graf Thurn hielt mit anerkennenden Worten für den Heger nicht zurück, doch bat er den „Anblicks“-Gang abzubrechen. „Es berührt auf die Dauer doch schmerzlich, wenn – die Jagderlaubnis fehlt!“
Hartlieb nickte zustimmend. Aber gute Gams wollte er dem Hofchef noch zeigen. Und dabei erproben, ob Graf Thurn – steigen könne. Weit war im Gebiet der Haller Mauern nicht zu wandern, aber steil ist dieses hochragende Kalkgebirg. Leicht und geräuschlos, für sein Alter erstaunlich gut und sicher, stieg Graf Thurn, und die Freude an der großartigen Alpennatur, das Interesse für das Krickelwild leuchtete aus seinen Augen.
Nach kaum zweistündigem Aufstieg wurde ein prächtiges Plätzchen erreicht; ein verhältnismäßig breites Latschenfeld, durchzogen von einzelnen grünen Grasflecken, breitete sich aus und zog zu grauweiß leuchtenden Wandeln hinauf.
Hartlieb trat vorsichtig hinter einen Fichtenboschen und lud durch eine leise Kopfbewegung den Begleiter ein, sich an seine Seite zu stellen. Graf Thurn folgte dem Oberförster und stand wie angemauert, als sich vorne ein gelbgrauer Fleck aus dem Krummholz emporschob, ein starker Gams, der ein Weilchen äste, dann aber den Grind hob und mißtrauisch zu äugen begann. Um den Kapitalen wurde es lebendig, sieben, acht Gams kamen aus den Latschen, schüttelten sich die Regentropfen aus der fahlen Sommerdecke, sonnten sich behaglich im warmen Licht und guckten den sichernden Bock verwundert an. Die Kitze hatten Hunger und ästen alsbald, zupften eifrig an den Spitzen der saftigen Gräser, treulich behütet von den Mamas, die immer wieder aufwarfen und auf den kapitalen Bock äugten.
Der herrliche „gute Anblick“ machte den Grafen zittern vor Jagdlust. Hartlieb, an derlei gewöhnt, stand starr wie eine Bildsäule. Thurn verlor die Herrschaft über sich. Eine winzige Bewegung von Kopf und Hand genügte: der Kapitale empfahl sich und verschwand plötzlich in den Latschen, deren Äste über ihm zusammenschlugen und einen Sprühstaub von glitzernden Tropfen in das Sonnenlicht warfen. Eiligst ahmten Geißen und Kitze das Beispiel nach...
Seufzend verließ Thurn diese Stätte und folgte dem Jagdleiter auf der Wanderung zu Tale. Stumm, hochbefriedigt, dankbar. Und mit der Hoffnung in der Brust, daß die Gebieterin vielleicht doch ein Teilchen dieser Idealreviere zur Bejagung freigeben werde...
Dem Befehl entsprechend war der hünenhafte Jäger Xandl wohl in die obersten Reviere gestiegen, aber mit dem Marsche zum Felsgewirr des „Natterriegel“ eilte es ihm nicht. Viel wichtiger hielt er eine Aussprache mit dem Kollegen Eichkitz, dem er erzählen wollte, was in der Million-Hütte an Neuigkeiten zu hören gewesen war. Deshalb stapfte Xandl pfadlos durch das steinige Gebiet des „Scheibling“ und suchte mit dem Fernrohr das Gstattmaier-Revier ab, hoffend, den Kollegen irgendwo sehen zu können. Diese Erwartung erfüllte sich nicht. Einen Besuch der Pyrgas-Hütte mußte sich Xandl versagen, der Dienst erlaubte eine solche Zeitvergeudung nicht. Und mit dem unerbittlich strengen Jagdleiter Hartlieb war nicht zu spaßen. Aber ein Mittel zur Verständigung des Kollegen wußte Xandl doch: Deponierung einer schriftlichen Nachricht in der tiefer gelegenen Plechauer-Alm, wo Eichkitz sicher in den nächsten Tagen einkehren wird. Der Höhenverlust hatte für einen Jäger nicht viel zu bedeuten. Also stieg Xandl zur Plechauer-Alm herab. In der Hütte traf er den schönen Eichkitz in eifriger Unterhaltung mit der schmächtigen Sennerin Burgl, die einen Schreckensschrei ausstieß, als Xandl plötzlich auftauchte und spottlustig rief: „Tue mir nix, ich tue dir auch nix!“
Eichkitz ließ sich nicht in Verlegenheit bringen, vom Kollegen hatte er keine Unannehmlichkeiten zu befürchten; gelassen meinte er: „Je, der Xandl! Bist natürlich – dienstlich da, wie ich!“
Die Sennerin benutzte die Gelegenheit, das Kämmerlein zu verlassen, und machte sich vor der Hütte zu schaffen.
„Dienstlich grad nicht! Hab dir einen Zettel bei der Burgl hinterlegen wollen, die große Neuigkeit, wo der Graf Thurn, der wo der Hofchef von der Duhrlauch ist, in der Million-Hütt’n verzählt hat!“
„Schieß los!“ meinte Eichkitz und zupfte an seinem Bärtchen.
„Ja! G’sagt hat er, der Graf, er hätt bis jetzt keine Abschußerlaubnis! Ausschauen tuets akrat so, als tät die Fürstin – schußneidisch sein! Spannst was, Eichkitz?“
Gelassen erwiderte der hübsche Bursch: „Ich wüßt nicht, warum ich darüber heiß werden sollt! Wir kriegen ja doch keine Abschußerlaubnis! Und ob der Graf jaagern darf oder nicht, das kann uns wurscht sein!“
„Ich bin der Meinung, daß es schief geht, wenn die Duhrlauch schußneidisch ist! Das gang grad noch ab!“
„Bist irrig, Xandl! Ist die Fürstin wirklich schußneidisch, so haltet sie was auf ihre Jagd! Das kann uns nur freuen!“
Xandl schüttelte den Kopf. „Ist überhaupt zwider, daß wir keinen Herrn nimmer haben! Weiberwirtschaft im Jagdbetrieb, der Teufel soll s’ holen![2q]“
„Bist irrig, Xandl! Justament das Weiberregiment g’fallt mir!“
„Ah na! Wird nicht sein! Weiber haben verdammt viel Mucken und Launen!“
„Das schon! Kann auch zuweilen höllisch zwider sein und werden! Aber weil die neue Besitzerin ein Weib ist, kann derjenige nur profitieren, der es versteht, das Weib zu behandeln!“
„Jessas, na! Wie du daherredest so leicht und ausg’schamt! Du bist nur ein Jaager, und sie eine wirkliche Fürstin! Die wird sich in Ewigkeit nicht von dir behandeln lassen! Gstampert wirst katschaus in der ersten Minut, wo du anfangst, frech z’ werden!“
„Bist wieder irrig, Xandl! Von Frech-werden ist keine Red! Im Gegenteil! Demütig sein, katzbuckeln, einschmeicheln, vorsichtig anpirschen, und grad nur das reden, was sie gern hört, die Duhrlauch! Z’viel von der Jagd wird sie eh nicht verstehen! Versteht sie aber gar nix, ist es noch besser! Um so leichter laßt sie sich anbleameln...!“
„Wo der Oberförster so streng und scharf ist!“
„Bist wieder irrig! Ich glaub, die strenge harte Zeit für uns ist bereits vorbei! Und beim Weiberregiment wird der hantige Hartlieb mit sich und seiner Stellung Arbeit g’nug haben! Sauer wird ihm sein Dienst werden! Für uns aber wird es besser und leichter! Wenigstens ich spekulier darauf!“
„Wenn du dich nur nicht verspekulierst!“
„Keine Sorg, Xandl! Auf die Weiberbehandlung versteh ich mich! Der Fürstin wird die b’sonders schwache Seit’n wohl auch und bald abzugucken sein! Da ist mir nicht bang!“
„Tue, was du willst! Ich verbrenn mir die Finger nicht! Und jetzt muß ich springen, muß Dienst machen auf ’m Natterriegel!“
„Dank schön für die Botschaft! Sag nichts, daß wir uns ’troffen haben! Der Hartlieb wird eh immer fuchtig, wenn er merkt, daß Jaager bei Sennerinnen einkehren! Eh schon wissen! Aufs Wiederschauen gelegentlich! B’hüt dich, Xandl!“
„Auch soviel!“ Xandl verließ, die Sennerin kurz grüßend, die Alm in unbehaglicher Stimmung. Für die Art, wie Eichkitz die Lage auffaßte, fehlte es dem Hünen an dem nötigen Verständnisse. Xandl fürchtete sich geradezu vor dem Weiberregimente im Jagddienst.
Eichkitz griff nach Büchse und Bergstock, um den Reviergang fortzusetzen.
Die Sennerin Burgl hantierte am Brunnen und rief spöttisch: „Pressiert es jetzt auf einmal mit dem Dienstmachen? Was haben denn die Jaager so Wichtiges zu verhandeln g’habt?“
„Der Xandl fürchtet sich so vor der Fürstin!“ antwortete ironisch der hübsche Jäger.
Burgl ließ das Wasserschaffl fallen und trippelte auf Eichkitz zu. „Was sagst?“
„Fürchten tuet er sich vor der Duhrlauch!“
„Warum denn? Ist die Fürstin etwa ein harbes Weib?“
„Derweilen wissen wir noch gar nix!“
„Schaden könnt es nix, wenn sie einen gewissen Jaager z’sammenstauchen tät! Von wegen Hoffart und Eitelkeit! Ist ja ganz aus der Art, wie du mit die Weiberleut umspringst! Kein bisserl Achtung vor dem weiblichen Geschlecht! So ein Sausewind! Gleich immer aufs Verführen aus! Schamst dich nicht?!“
„Wüßt nicht warum! Küß d’Hand, gnä Fräuln!“ spottete Eichkitz.
Nun erzürnt, sprang Burgl in die Hütte.
Der hübsche Jäger wanderte über den grünen sonnigen Almboden und lachte in sich hinein: „Wirst schon noch zahm werden, Wildkatzl!“
*
Als der Forstwart[4] Gnugesser sein Falstaff-Bäuchlein zum Wiedschlag auf dem Raschanger hinaufschleppte, seufzend und nach Luft schnappend, warteten bereits zwei spindeldürre Bergbauern auf ihn, der Simerl und der Zangerl, rauchend, mit Tabak ordinärster Sorte die Waldluft verpestend. Und sogleich lamentierten sie, mit dem Warten soviel Zeit verloren zu haben.
In seiner Herzensgüte entschuldigte sich Gnugesser, daß er beim besten Willen nicht früher habe kommen können; der Weg nach Admont und über Hall zurück und zum Raschanger sei weit und beanspruche Zeit. „Dafür soll nun jeder geschwind sein Holz angewiesen bekommen!“
„Nur nix übereilen! Ich bitt, geben S’ mir den Schindelstamm mehr herunten, wo die Bringung leichter ist und nicht soviel Zeit, Müh und Geld kostet! Wo ich den Stamm auch noch zahlen muß!“ meinte der Simerl und begann nun, der Bergsohle zustapfend, einen schönen Baum zu suchen. An jeder Fichte hatte der Bauer etwas auszusetzen, kein Stamm war ihm schön und astfrei genug. Und immer maulte der Simerl: „Wo ich den Stamm zahlen muß!“
Lächelnd mahnte Gnugesser zur Eile und Zeitersparnis. „Such dir die Fichte aus, aber bald! Der Zangerl möchte ja auch heute noch seine Schnitthölzer! Und ich möcht dann meine Ruh bekommen!“
